Kitabı oku: «Abpfiff», sayfa 2

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Aufblitzen der kräftigen Schenkel, der Blässe des Hinterns, rund, muskulös.

Auch wenn nichts richtig ins Bild passt, weder die beiden Armleuchter von Mördern noch Romeros fehlende Vorsichtsmaßnahmen noch letztlich das Vorhandensein von zwanzig bis dreißig Gramm Kokain am Tatort. Aber mit solchen Details wird sich der Richter nicht aufhalten. Ich werde ihm sagen, dass in dieser Sache Eile geboten ist. Spuren lassen sich leicht beseitigen, und die Verbindung zwischen den beiden Fällen ist schon jetzt so dürftig … Und natürlich kein Wort über besagten Martinon, solange wir nichts über ihn wissen.

Schluss für heute Abend. Es ist fast elf. Nur noch ein obsessiver Gedanke: Sam nehmen, jetzt. Pralles Geschlecht und surrender Kopf.

Als Daquin heimkommt, liegt der große Raum im Parterre im Dunkeln, doch im Zwischengeschoss brennt Licht. Er steigt die Treppe hoch, Stufe für Stufe, als sei dies die letzte Überlebenschance, als ginge direkt hinter ihm die Welt unter, mit jedem Schritt ein Stück mehr. Sam schläft, liegt nackt auf dem Bauch, die Arme gekreuzt, schwach beleuchtet von einer Lampe auf dem Boden. Seine Silhouette ist irreal, leblos, tot … Leben! Rausch – Begehren, Wut, Alkohol. Tief sitzende Aggression. Daquin dringt gewaltsam in den Körper ein, der sich widersetzt, ersticktes Wimmern ins Kopfkissen, der Leib windet sich, um zu entkommen. Daquin, so viel schwerer, so viel breiter, stemmt sich mit seinem vollen Gewicht gegen ihn. Und der andere gibt plötzlich nach. Da, endlich, der Orgasmus, strahlend hell, gewaltig.

Schlaf nicht ein. Dieser reglose Körper, die Arme um den Kopf gewinkelt, ohne Gesicht und ohne Stimme unter deinem Gewicht. Schlaf nicht ein. Diesen Mann voller Wärme, deinen Geliebten, verlierst du, wenn du einschläfst. Leise flüsternd: Sam, hilf mir da raus.

Eiskalte Dusche, Bademantel. Daquin geht hinunter in die Küche, Espresso machen. Steigt mit einer vollen Kanne und zwei Tassen wieder nach oben, kniet sich neben das Bett, füllt beide Tassen. Sam sitzt an die Wand gelehnt im Schneidersitz auf dem Bett, schmales Gesicht, das feuchte schwarze Haar klebt an der Stirn, wachsamer blauer Blick, Kraft und ein Schuss Angst. Eine unendlich verführerische Mischung. Er nimmt seine Tasse, trinkt kleine Schlucke.

Langes, träges, intimes Gespräch über die Dinge des Lebens, dann: »Wenn ich mich recht erinnere, hast du vor deinem Aufenthalt in den Staaten beim FC Lisle-sur-Seine gespielt, oder?«

»Ja. So vor sechs, sieben Jahren. Da war das längst nicht der Verein, der es heute ist. Damals war es ein Amateurclub. Ich erhielt hier und da Spielerprämien, war aber kein richtiger Profi. Als er in die zweite Liga aufstieg, bin ich nicht geblieben, ich war nicht gut genug.«

»Ich fahre morgen dorthin.«

»Aha, wieso?«

In dem blauen Blick überwiegt schlagartig die Angst. Merkwürdig. »Hat sich so ergeben. Heute wurde bei einer Abrechnung unter Dealern eine junge Frau erschossen, und sie ist die Schwester des Stadionwarts. Ich will mit ihm reden.«

»Ich fahre morgen Abend für die Zeitung hin. Ein wichtiges, womöglich entscheidendes Spiel um die Meisterschaft.«

Sam stellt seine Tasse auf den Boden, zwei Falten auf dem flachen Bauch. Daquin streicht leicht über den Nacken, den das etwas zu lange schwarze Haar verdeckt, fährt die Schulterlinie entlang, berührt die pochende Vene am Halsansatz, streift die Brustwarze, stützt sich auf die flache Hüfte, gleitet zum Rücken, über die weiche, warme Haut im Kreuz, Aufwallung von Zärtlichkeit.

»Lass mich dich lieben, Sam, ganz respektvoll, ganz langsam, und dich befriedigen. Und dann lass mich neben dir einschlafen.«

Zweiter Tag
Freitag, 4. Mai 1990

Beim Betreten der Leichenhalle meint Daquin die kleinen toskanischen Zigarren zu riechen, die Romero sich hier immer ansteckte, um gegen den Geruch von Formalin und Tod anzustinken, der ihm den Magen umdrehte. Da ist Nadines Leiche, das Gesicht aufgedeckt. Ein längliches, bleiches und farbloses Gesicht, geschlossene Augen, blasse Brauen und Wimpern, markante Nase, gerader Mund, praktisch ohne Lippen, feines, langes, glattes blondes Haar. Keine Spur von Make-up. Eher mager als schlank. Seit vierundzwanzig Stunden tot und schon alterslos.

Kurzer Blick auf die Liste der Kleidungsstücke, die sie zum Zeitpunkt ihres Todes trug: Bluejeans, grünes T-Shirt, Jeansjacke und Turnschuhe, Baumwollslip und kein BH.

Fürs Erste ganz gewöhnlich und ungreifbar.

Der rechtsmedizinische Befund vermerkt neben einer gründlichen Analyse der Verletzungen, die Daquin überspringt: In jüngster Zeit regelmäßiger Konsum von Methamphetaminen und Amphetaminen (es folgt eine Liste von Produkten mit ihren wissenschaftlichen Bezeichnungen), Spuren von Ephedrin und Heroin, vermutlich als Cocktail konsumiert, Kokain sowie Alkohol. Ein wahres Chemielabor. Gut. Das hilft mir, die These vom Drogenhändlerring zu stützen. HIV-positiv. In den Stunden vor ihrem Tod Geschlechtsverkehr ohne Präservativ und ohne Gewalt. Sie trug eine Spirale. Eine voll ausgetragene Schwangerschaft mit anschließender natürlicher Geburt, vor drei oder vier Jahren … schnell nachgerechnet, also etwa mit fünfzehn.

In einer Plastiktüte die Gegenstände, die bei der Toten gefunden wurden. Ein Schlüsselbund, eine lederne Faltbörse, darin um die hundert Franc, Busfahrkarten und eine Geldkarte auf den Namen ihres Bruders, Ausweispapiere in einer Plastikhülle. Eine zerbrochene Sonnenbrille. Eine Armbanduhr. Daquin beugt sich vor. Die immer noch geht. Eine Omega. Sieh an. Und das war’s.

Letzter Blick auf das bleiche Gesicht. Kaum fertiger als der Durchschnitt. Ein kleiner Spitzel für ein banales Geschäft mit Ice, Amphetaminen, Koks oder Heroin? Jäher Hass, vollkommen irrational.

Lisle-sur-Seine, ein Pariser Vorort im Grenzbereich zwischen dem Dienstleistungs-Schick der Bürostadt La Défense und den Arbeitervierteln von Seine-Saint-Denis. Daquin umfährt ihn auf der Umgehungsstraße und landet direkt beim Fußballstadion, errichtet am äußersten Ende der Gemeinde am Seineufer, auf riesigen, sorgsam mit Bäumen und Rasen gestalteten Flächen inmitten eines dahinsiechenden Industriehafengebiets.

Rechts, durch Gitter abgetrennt, die wuchtige Tribünenanlage, etwas erschlagend, sehr nah, für geschätzte 15 000 bis 20 000 Personen, mehrfach erweitert, die Kurven noch im Bau. Hinter dem Stadion riesige asphaltierte Parkplätze, ein Stück weiter Sozialwohnungsblocks. Vor ihm ein würfelförmiges kleines Betongebäude, vermutlich Büros, dahinter das Trainingsgelände, auf dem einige Fertigbauhallen stehen. Und zur Linken, etwas höher gelegen, ein gepflegtes modernes Haus mitten im Grünen.

Offenbar keine Menschenseele da. Seltsam zu dieser vormittäglichen Stunde. Außer in den Büros. Daquin tritt ein. Zwischen Computern und Aktenstapeln bilden fünf Frauen einen Schreibpool. Daquin geht zu der, die der Tür am nächsten sitzt, und stellt sich vor.

»Nicht viel los in diesem Stadion …«

Wissendes Lächeln. »Heute Abend ist ein Spiel, alle Spieler und das Betreuerteam sind abgetaucht. Und die Bauarbeiten sind unterbrochen.«

»Ich suche Éric Speck.«

Mitleidig: »Er ist auf den Tribünen und macht letzte Sicherheitskontrollen.«

Speck ist nicht schwer zu finden. Dort steht er, ganz allein auf der Ehrentribüne, in einem Trainingsanzug in den Vereinsfarben Grün und Orange, über einen vor ihm ausgebreiteten Plan gebeugt. In den Kurven sind die nackten Betonflächen übersät mit mehr oder weniger kunstvollen Tags und Graffiti. Auf die Stufen der Treppen zwischen den Sitzreihen sind langgezogene weiße Riesenfiguren gesprayt, die rennen oder klettern. Viel Bewegung. An der Mauer hinter der linken Kurve ein Schriftzug in reich verzierten, über zwei Meter hohen Lettern: Fanblock Nord.

»Éric Speck? Ich bin Commissaire Daquin.«

Er dreht sich um. Nicht sehr groß, stämmig, kurz geschnittenes kastanienbraunes Haar, dickliches Gesicht. Älter als seine Schwester, vermutlich um die fünfunddreißig. Sichtlich keinerlei Ähnlichkeit mit der Beschreibung der beiden Armleuchter, sofern die nicht ohnehin frei erfunden ist.

»Was wollen Sie von mir?«

»Mit Ihnen über Ihre Schwester reden.«

»Das passt gerade nicht. An einem Spieltag habe ich keine Zeit zu vergeuden.«

Er dreht Daquin den Rücken zu und fährt wieder mit dem Finger über seinen Plan. Hochanständiger Typ, meinte der Commissaire von Lisle-sur-Seine. Wie sehen in dieser Stadt dann die nicht Hochanständigen aus? Daquin packt ihn am Arm und zwingt ihn, ihm ins Gesicht zu sehen.

Eisig: »Ich habe ein paar Fragen an Sie. Beantworten Sie sie gleich, oder soll ich Sie für heute Nachmittag aufs Kommissariat bestellen und zwei Polizisten in Uniform schicken, um Sie hinzubringen?«

Speck tritt von einem Fuß auf den anderen. Nach ein paar Sekunden: »Fragen Sie schon.«

Daquin drückt ihn auf einen Sitz und setzt sich schräg neben ihn, damit er ihn ansehen kann. Der andere blickt starr auf den Rasen unterhalb der Tribünen.

»Was haben Sie vorgestern zwischen sechzehn und achtzehn Uhr gemacht?«

Speck wirkt überrascht. Kurzer Blick zu Daquin. »Kann ich Ihnen nicht genau sagen. Dasselbe wie sonst auch. Zwischen siebzehn und achtzehn Uhr überprüfe ich, ob die für die Kabinen und für die Büros zuständigen Putzkolonnen da sind, und bespreche letzte Einzelheiten mit deren Chefs. Warum fragen Sie mich das? Was hat das mit meiner Schwester zu tun?«

»Was wissen Sie über den Tod Ihrer Schwester?«

»Dass sie gestern Morgen gegen zehn in Levallois erschossen wurde, bei einer Abrechnung zwischen rivalisierenden Banden von Kleinkriminellen aus Argenteuil.«

Es hat ihm noch niemand etwas gesagt. Ich verstehe nicht, warum. Immerhin gibt mir das mehr Handlungsspielraum.

»Ganz so war es nicht. Ihre Schwester wurde durch eine Maschinenpistolensalve in den Rücken getötet, abgefeuert von einem fahrenden Motorrad. Sieben Einschüsse, drei davon tödlich. Sie war sofort tot. Den Leichnam traf eine zweite Salve in die linke Seite, hier wurden vier Einschüsse festgestellt. Was auf einen geübten Schützen hindeutet. Und die beiden Kleinkriminellen, die auf sie geschossen haben, haben achtzigtausend Franc dafür kassiert.«

Jetzt ist Speck ernstlich erschüttert. »Meine Schwester … Das kann nicht sein …«

»Das kann nicht nur sein, das ist so. Wir haben die Mörder festgenommen, die inzwischen lückenlose Geständnisse abgelegt haben, wir haben die Mordwaffe und die Hälfte der vereinbarten Summe. Und die Mörder haben sich vorgestern um siebzehn Uhr mit dem Auftraggeber getroffen.«

Speck fährt auf. »Also verdächtigen Sie mich, dass ich sie habe ermorden lassen?«

»Nicht unbedingt. Ich will nur sichergehen, das ist alles. Mein Problem ist folgendes: Ich muss herausfinden, wer den Mord an Ihrer Schwester in Auftrag gegeben hat. Da ich keine konkrete Spur habe, suche ich nach dem Motiv. Ihre Schwester hat zusammen mit Ihnen hier gelebt? In dem Haus am Stadioneingang?«

Erneuter Seitenblick zu Daquin. »Ja. Ich habe meine Schwester großgezogen.«

»Wussten Sie, dass Ihre Schwester zum Funktionieren Amphetamine, Kokain und noch andere Drogen brauchte?«

Speck wendet das Gesicht ab, lässt einen Moment verstreichen. Sieht Daquin wieder an. »Ja. Was hätte ich denn tun sollen? Denken Sie, das ist leicht?«

»Das habe ich nicht gesagt. Kennen Sie ihre Lieferanten?«

»Ganz bestimmt nicht.«

»Woher hatte sie das Geld?«

Schweigen. »Ich habe es ihr gegeben. Meine Schwester hat nicht gearbeitet.« Er dreht sich zu Daquin hin. »Ich dachte, dass ich so das Schlimmste verhindere.«

»Fuhr sie oft nach Levallois?«

»Ziemlich regelmäßig. Sie zog dort gern durch die Läden, die sind um einiges schicker als die in Lisle-sur-Seine.«

»Hätte sie sich dort Drogen beschaffen können?«

»Vielleicht.«

»Erzählen Sie mir bitte, wie Ihr jeweiliger Tagesablauf aussah.«

»Ganz geregelt. Ich stehe jeden Morgen um sieben auf und bin um acht bei der Arbeit, im Büro oder im Stadion. Nadine stand normalerweise ziemlich spät auf und ging selten vor dem Mittagessen aus dem Haus. Wir aßen praktisch jeden Tag zusammen zu Mittag, sie übernahm das Kochen. Nachmittags arbeite ich, oft bis spät. Sie ging einkaufen, traf Freunde, kam heim, um mit mir zu essen, oder ging abends aus. Ich bin nie mitgegangen. Abends bin ich müde und setze mich vor den Fernseher.«

»Können Sie mir eine Liste ihrer Freunde geben?«

Er macht wieder dicht. »Die kenne ich nicht. Ich habe nicht kontrolliert, wohin sie ging. Nadine war sehr reif, schon lange. Außerdem bin ich ihr Bruder, nicht ihr Vater.«

»Hat sie den vergangenen Dienstagvormittag hier verbracht?«

Stirnrunzeln. »Vermutlich.« Er zögert. »Ja, sie war hier, wäre sie weg gewesen, würde ich mich daran erinnern.«

»Weil sie nämlich an diesem Morgen einen meiner Inspektoren anrief und sich für Donnerstag um zehn in Levallois mit ihm verabredet hat, wo er dann zusammen mit ihr niedergeschossen wurde …«

Bestürzung, dann Nervosität. Speck faltet die Hände, löst sie wieder, steht auf, läuft den Mittelgang entlang, kommt zurück und setzt sich hin, ohne Daquin anzusehen.

»Was hat sie diesem Inspektor Ihrer Ansicht nach gesagt?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Meine Schwester hatte der Polizei nichts zu sagen.«

»Meinen Sie?« Schweigen. »Dann hätte sie also an diesem Morgen von zu Hause aus angerufen?«

»Sieht so aus.«

»Sie hätten diesen Anruf also sehr wohl mitbekommen können?«

»Ich bin morgens nie zu Hause. Ich arbeite im Büro oder auf dem Stadiongelände, das sagte ich Ihnen bereits. Und ich habe meine Schwester nicht umgebracht.«

»Schön. Wir werden Ihren Tagesablauf überprüfen. Und der Tag vor ihrem Tod, wie sah der aus?«

»Am Mittwoch hat sie das Haus nicht verlassen. Sie hat Abendessen gemacht, Kalbsbraten mit Erbsen. Wir haben zusammen ferngesehen. Dann sind wir schlafen gegangen.«

»Sie hatte am Abend oder in der Nacht mit niemandem außer Ihnen Kontakt?«

Kategorisch: »Nein.« Ein Zögern, eine dämmernde Erinnerung. Dann, argwöhnisch: »Worauf wollen Sie hinaus?«

Daquin antwortet nicht und fragt weiter: »Wussten Sie, dass Ihre Schwester HIV-positiv war?«

Speck sackt buchstäblich auf dem Sitz zusammen. Nach kurzem Schweigen: »Nein, das wusste ich nicht.«

»Und was ist aus dem Kind geworden, das sie geboren hat?«

Speck sieht Daquin endlich an, lange, triefend vor Hass. »Sie hat es weggegeben. Das Recht dazu hatte sie. Lassen Sie meine Schwester in Ruhe. Und mich auch.«

»Waren Sie der Vater?«

Speck springt auf, kreideweiß, zusammengepresste Kiefer, Fäuste geballt. Daquin macht sich bereit, einen Hieb abzublocken. Dann schnappt sich Speck wortlos seinen Plan, dreht Daquin den Rücken zu und macht sich wieder an die Arbeit.

Daquin steht ebenfalls auf. Rückblende auf Nadines Leichnam. Vermutlich doch nicht so gewöhnlich, nie dem ersten Eindruck trauen.

»Ich würde gern einen Blick in das Zimmer Ihrer Schwester werfen.«

»Nein. Das Haus ist abgeschlossen, ich habe zu arbeiten und keine Zeit, Sie zu begleiten. Es sei denn, Sie haben eine richterliche Anordnung.«

»Habe ich nicht. Ich komme also wieder, Monsieur Speck. Bis dahin werden Sie Lisle-sur-Seine selbstverständlich nicht verlassen.«

Daquin steigt von den Tribünen und geht zu seinem Wagen, den er neben den Büros geparkt hat. Zwei Männer kommen ihm entgegen. Einer davon, nicht größer als eins siebzig, schlank, mit sehr lebhafter Mimik und großen braunen Augen, die im Schatten der Wimpern wach blicken, ist Reynaud. Daquin erkennt ihn, weil er sein Foto oft in der Zeitung gesehen hat. Bürgermeister von Lisle-sur-Seine, Präsident des Fußballvereins, Chef eines dynamischen Bauunternehmens, ein Gipfelstürmer der Achtziger. Braunes Jackett und beige Hose, lässig elegant. Lächelnd, etwas fahrig und herzlich. Er drückt Daquin die Hand.

»Ich darf mich vorstellen. Jean-Pierre Reynaud. Ich bin der Vereinspräsident. Die Sekretärinnen haben mir gesagt, dass Sie hier sind …«

Ein zwanghafter Verführer an allen Fronten. Spontanes Misstrauen.

Mit Blick auf seinen Begleiter: »Monsieur Danjou, mein Sekretär.«

Groß, massig, breitschultrig, dunkelgrauer Anzug über weißem Hemd und Krawatte in Grautönen, eine Art Uniform für jede Gelegenheit. Ein Fels, mit genau dem nötigen Maß an Distanz, um seinem Chef nicht auf den Leim zu gehen. An dem führt sicher kein Weg vorbei. Aber beileibe kein freundlicher Scherzbold.

Kurzes Schweigen, dann fährt Reynaud fort: »Ich hörte von dem Mord an Nicole …«

»Wann und von wem, Monsieur Reynaud?«

Erstaunt: »Na, gestern Nachmittag, von ihrem Bruder.«

»Kennen Sie die beiden Specks gut?«

»Natürlich. Éric Speck überwacht die Instandhaltung sämtlicher Vereinsanlagen, wir sehen uns praktisch täglich.«

»Und seine Schwester?«

»Ich bin ihr oft begegnet. Mehr nicht.« Dann kommt er auf sein ursprüngliches Anliegen zurück: »Ich wollte wissen, wie weit Sie mit Ihrer Ermittlung sind. Verstehen Sie mich recht. Wenn ein Mitglied meines Vereins auf irgendeine Weise in ein Verbrechen verwickelt ist, möchte ich Ihnen die Arbeit so weit wie möglich erleichtern. Andererseits sind dies die letzten Spieltage der Meisterschaft, wir haben gute Chancen, sie zu gewinnen, ich muss meine Spieler schützen … Das ist ein empfindliches Räderwerk, das schon bei der kleinsten Erschütterung nicht mehr ineinandergreift …«

Daquin grinst unverhohlen. Das Bild ist ein wenig abgedroschen. »Sie haben vorerst nichts zu befürchten. Ich bin nur gekommen, um Speck über die Umstände zu informieren, unter denen seine Schwester ermordet wurde. Was ihn übrigens erschüttert zu haben scheint. Aber für mich ist er außer Verdacht.«

»Ich bin sehr erleichtert, das zu hören. Wollen Sie mit uns zu Mittag essen, Commissaire?«

»Geht nicht. Ich habe einen Gerichtstermin in Nanterre.«

»Das bedaure ich …«

Daquin registriert belustigt, dass das vermutlich stimmt.

»… Dann erlauben Sie mir, Sie zum Spiel einzuladen. Ein großes Spiel, hoffe ich. Wir können jedenfalls schon heute Abend die Meisterschaft gewinnen.«

Ein Hauch von Verärgerung auf dem Gesicht des Sekretärs. Er ist nicht der Verführertyp.

»Ich bin eigentlich kein Fußballfan, nehme die Einladung aber gern an.«

»Na, dann also bis heute Abend, Commissaire, in meiner Loge.«

Daquin entfernt sich. Reynaud und Danjou haben ihm den Rücken zugedreht, stecken die Köpfe zusammen und wechseln ein paar Worte. Reynaud zieht eine Zigarette aus seiner Tasche, Danjou gibt ihm Feuer. Vertrautheit und Vertrauen. Aber der starke Mann ist Danjou, täusch dich nicht. Dann steigen sie hoch zu den Tribünen, vermutlich auf der Suche nach Speck.

BP-T ankstelle an der Porte de Paris, relativ geschützt zwischen Bäumen und Grün inmitten von Autobahnzubringern und Fahrzeuglawinen. Ein einzelner junger Mann an der Kasse. Le Dem zeigt seinen Polizeiausweis.

»Waren Sie vorgestern um siebzehn Uhr hier?«

»Ja. Der Geschäftsführer hat mir gesagt, dass Sie vorbeikommen. War es ein Kumpel von Ihnen, der getötet wurde?«

Blick zu Lavorel, der gedankenverloren durch den Verkaufsraum schlendert, unfähig, sich zu konzentrieren. Romero, ein Kumpel von mir? Guter Witz. Erinnerung an seine erste Observierung fürs Drogendezernat, mit ebenjenem Romero. Seine Gewalttätigkeit gegenüber einem verletzten jungen Dealer. Eine körperliche Gewalt, zu der er stand. Und die ihre Wirkung nicht verfehlte. Nein, Romero war Lavorels Kumpel, nicht meiner.

»Genau. Ein Kumpel von uns. Zwei Männer mit einem schwarzen Motorrad vorgestern gegen siebzehn Uhr dreißig, sagt Ihnen das was?«

Der Kassierer fertigt einen Kunden ab, wendet sich dann wieder Le Dem zu. »Zwei Kerle auf einem Motorrad, ganz in Schwarz, und ziemlich aufgeputscht. Die haben sich um die Zeit bei den Zapfsäulen herumgedrückt. Ich hab sie nebenher im Auge behalten, man weiß ja nie. Ein Typ, der an einer anderen Säule tankte, ging zu ihnen rüber, die haben sicher über Motorräder gequatscht. Ich hatte Sorge, dass sie sich prügeln, die Gefahr besteht ja immer. Danach kamen sie zahlen. Und letztlich gab’s keine Scherereien.«

»Wie hat der Mann bezahlt, der die beiden angesprochen hat?«

»In bar. Zwei nagelneue schöne Scheine. Die beiden anderen übrigens auch.«

»Wie sah er aus?«

»Kann ich Ihnen nicht sagen. Hier kommen ’ne Menge Leute durch, wissen Sie, und für ihn habe ich mich nicht interessiert. Er war ein ganz normaler Typ. Ich hatte die Motorradfahrer im Auge, die machten mir Sorgen.«

»Versuchen Sie sich an ein kleines Detail zu erinnern, irgendwas. Trug er Schmuck … rauchte er Zigarre … hatte er einen Tick … einen Akzent?«

Ihm fällt nichts ein. Lavorel und Le Dem treten hinaus zur Zapfanlage.

»Kann gut sein, dass die aberwitzige Story unserer beiden Armleuchter stimmt.«

Lavorel verzieht das Gesicht. »Aber wir sind keinen Schritt weiter.« Ein Moment vergeht. »Leisten wir dem Chef jetzt Schützenhilfe beim Richter?«

»Fahr du hin. Ich bleibe hier und schnüffle noch ein bisschen rum.«

Le Dem schlendert zwischen den Zapfsäulen umher, dann bis hinunter zu den Bushaltestellen, kehrt zurück in den Shop, geht aufs Klo, kauft eine Flasche Wasser, gönnt sich einen Kaffee am Automaten. Dünn und süß, wie immer. Bretonischer Kaffee, sagt Daquin. Romero, der hatte sämtliche Gepflogenheiten des Chefs übernommen, auch den sehr starken Espresso ohne Zucker.

Der Nachmittag schreitet voran. Die Kunden werden zahlreicher, und sosehr sich der Kassierer auch beeilt, es bildet sich eine kleine Schlange. Le Dem hat einen Geistesblitz. Um siebzehn Uhr war der Mann, den ich suche, hier nicht allein. Er war mehrere Minuten mit anderen Kunden zusammen, denen vielleicht etwas aufgefallen ist. Keine sehr vielversprechende Hypothese, aber einen Versuch ist es wert.

Die Kasse registriert Tag und Uhrzeit des getätigten Geschäfts sowie Zahlungsbetrag und Zahlungsart. Vorgestern gegen siebzehn Uhr, oder vielmehr kurz danach, entsprechen zwei Barbeträge einer Motorrad- und einer Kleinwagentankfüllung. Und fünf Personen haben in den darauffolgenden Minuten mit Geldkarte gezahlt. Jetzt schnell, um sie aufzuspüren, bevor die Banken schließen.

Auberger und Denoël von der Mordkommission sowie Daquin und Lavorel vom Drogendezernat drängen sich in dem kleinen Büro von Richter Bertrand, der sie stehend empfängt. Bisschen klein, bisschen stämmig, um die vierzig, schwarzes Strubbelhaar, Tweedjackett mit ausgebeulten Ellenbogen, eine hoffnungslos bäuerliche Erscheinung, äußert befangen ein paar Worte des Beileids, dann setzen sich alle. Er schlägt die vor ihm auf dem Schreibtisch liegende Akte auf, räuspert sich.

»Ich bin kein Strafrechtsexperte. Mein Gebiet ist normalerweise eher die Wirtschaftskriminalität.«

Verstimmung. Der stellvertretende Staatsanwalt, der sich nur kurz am Tatort blicken lässt, der Richter, der erklärt, dass er sich nicht auskennt … Der Tod von Inspecteur Romero ist für sie nicht wirklich relevant. Oder sie wollen sich schleunigst eine faule Geschichte vom Hals schaffen …

Der Richter blättert in der Akte und fährt an Daquin gewandt fort: »Ich habe Ihren Bericht über den Doppelmord gelesen. Die beiden Mörder sind festgenommen, es liegen Geständnisse und konkrete Beweise vor. Ich habe die Anklagen und die Verbringung in Untersuchungshaft vorbereitet. Ihrer Meinung nach, Commissaire, handelt es sich also um einen Fall von Drogenhandel, und die Auftraggeber der Morde sind weiter oben in den Dealerringen zu suchen?«

»Zweifellos.«

»Welche Ansätze verfolgen Sie?«

»Ich habe sie in meinem Bericht aufgeführt. Das kriminaltechnische Labor befasst sich bereits mit den aus dem Auftrag stammenden Geldscheinen und der Tatwaffe. Die Ergebnisse müssen wir abwarten. Der Bericht unserer beiden Armleuchter wurde heute von dem Tankstellenangestellten bestätigt, aber eine wirklich verlässliche Personenbeschreibung haben wir im Augenblick nicht. Unser Hauptziel ist, den Auftraggeber zu finden. Zunächst anhand einer gründlichen Durchsicht von Romeros Arbeitsunterlagen. Des Weiteren hat der Auftraggeber die Mörder telefonisch kontaktiert. Woher hatte er ihre Nummer? Als Erstes versuchen wir es bei den Drogendealern in Argenteuil, weil wir in A 406 jede Menge Drogen aller Art gefunden haben. Dann bei ihren gelegentlichen Arbeitgebern, alle mehr oder weniger sauber. Sollte das nichts bringen, klappern wir als Letztes die Schützenvereine der Gegend ab: Der Schütze war sehr geübt, irgendwo muss er zwangsläufig trainieren.« Der Richter macht sich Notizen, Daquin wartet kurz, fährt dann fort. »Heute Morgen habe ich Nadine Specks Bruder einen Besuch abgestattet. Momentan denke ich, er ist nicht direkt in das Verbrechen verwickelt, aber er weiß weit mehr, als er sagt, und verhält sich der Polizei gegenüber höchst unkooperativ, das scheint mir offensichtlich. Deshalb ersuche ich Sie um die richterliche Abhörgenehmigung für seinen Telefonanschluss.«

Stattgegeben. Als alle aufstehen, um zu gehen, hält der Richter Daquin zurück.

»Sagen Sie, Commissaire, am Tatort wurde Kokain gefunden. Besteht auch nur die geringste Möglichkeit, dass Ihr Inspektor sich mit Dealern eingelassen hatte, die ihn dann haben umbringen lassen?«

Eisig: »Nein. Keinesfalls. Die Mörder hatten es im Übrigen auf das Mädchen abgesehen, nicht auf meinen Inspektor. Ich lasse Ihnen eine dienstliche Beurteilung von Inspecteur Romero zukommen.«

Beim Hinausgehen suchender Blick. Lavorel ist verschwunden.

Daquin kehrt allein ins Dezernat zurück. In seinem Büro erwartet ihn Le Dem, dessen gewohnte Gegenwart etwas Tröstliches hat.

»Unser Unbekannter besitzt eine Dauerkarte für die Ehrentribüne des FC Lisle-sur-Seine.«

Daquin sieht ihn an und macht aus seiner Verblüffung keinen Hehl. »Na, Le Dem, Sie haben ja keine Zeit verschwendet. Klären Sie mich auf.«

»Ich habe einen Tankstellenkunden ausfindig gemacht, der hinter ihm stand, als er an der Kasse bezahlt hat. Er hat seine Brieftasche geöffnet, um ein paar Scheine herauszunehmen, und mein Zeuge hat ganz deutlich die Dauerkarte gesehen. Er ist sicher, dass er sich nicht täuscht, weder was die Karte noch was den Mann angeht – groß, eher eins achtzig, schlank und pechschwarzes Haar –, denn er ist selbst FC-Fan und fand, dass der Typ ein verdammter Glückspilz ist.«

»Das ähnelt mehr Larribis Beschreibung … Ein Akzent?«

»Ist ihm nicht aufgefallen, er ist aber nicht sicher, ob er ihn überhaupt hat sprechen hören. Und er hat ihn kein einziges Mal von vorn gesehen.«

»Das verleiht dem Spiel heute Abend doch einen gewissen Reiz.«

Romero ist seit einunddreißig Stunden tot.

Kurzer Abstecher zum Häuschen in der Villa des Artistes. Daquin durchquert zügig den großen Raum im Parterre, holzvertäfelte Wände, Möbel aus Holz und Leder, hinten die opulent ausgestattete amerikanische Küche, Holztresen und altgelbe Fliesen. Er steigt hoch ins Zwischengeschoss. In der Mitte des Schlafzimmers das Bett mit der herbstlaubfarbenen Decke. Lustvoller Schauer. Heute Abend bringe ich Sam mit her, und das ist gut. Entlang der Wände Regale, überladen mit mehrreihig gestellten Büchern. Er betritt das komplett weiß geflieste Bad, heiße Wanne, kalte Massagedusche. Nackt vor dem großen Spiegel, gründliche Nassrasur. Der Blick folgt der Hand, erforscht das Gesicht bis in die kleinsten Falten. Kaum wahrnehmbar der nicht mehr ganz so markante Kiefer, die schwerer gewordenen Lider, die Spuren des Todes. Nicht daran denken. Weitermachen.

Daquin wechselt ins Ankleidezimmer, Schränke und Schubfächer aus Mahagoni. Kleiderwahl mit Sinn für Abweichung und Distanz. Leinenanzug mit Maokragen in Beige. Kragenloses nachtblaues Hemd. Wildlederschuhe. Und vorm Gehen einen Espresso.

Daquin ist schon um 19 : 30 Uhr in Stadionnähe. Wie erwartet ist das Hineinkommen schwierig, das Stadion wurde erweitert, und die Zufahrtswege sind für die aktuellen Besucherzahlen nicht ausgelegt. Nachdem er zunächst im Gedränge der Fahrzeuge und Fußgänger festgesteckt hat, findet Daquin schließlich den Parkplatz für geladene Gäste und Besitzer von Dauerkarten für die Ehrentribüne, nennt dem Wachmann seinen Namen und geht hinein. Unter der Tribüne wurde ein Empfangsraum eingerichtet, etwas spartanisch, stoffbespannte Betonwände, ein paar Spots, auf Böcken ein großes Brett mit einem weißen Tuch, darauf jede Menge Gläser und Teller mit kleinen Sandwichs. Ein Kellner serviert Whisky, Pastis, Champagner und Saft. Über hundert Männer, nicht eine Frau, zusammengeschart zu ganz unterschiedlichen, sich immer wieder neu formierenden Gruppen, Glas in der Hand, gedämpfte, fast vertrauliche Gespräche vor einer lauten Geräuschkulisse – Musik, Trommelwirbel, Zuschauertrubel von den Tribünen hinter den geschlossenen Türen. Leitende Angestellte von Firmen aus La Défense, ganz in der Nähe. Ein paar Chefs hiesiger Betriebe mit noch entfernt proletarischem Aussehen und Auftreten sowie weitere, auf den ersten Blick schwerer einzuordnende Gäste. Polizisten, Ganoven? Lokalpolitiker? Daquin arbeitet sich vor zum Buffet.

»Die Stadtverwaltung von Colombes erneuert demnächst ihren Fuhrpark … Leasing-Finanzierung … Gesprächstermin … der Vertrag mit Andersen läuft im Juni aus … Unsere Buchhaltung ist abgestürzt, wieder mal eine Glanzleistung unserer IT …«

Zwei umlagerte Filmschauspieler. Ein amtierender Minister spricht lächelnd und mit lauter Stimme. »Die Politik für diese Stadt wird hier gemacht, nicht in den Pariser Büros …« Reynaud ist nicht da, der schwarzhaarige Unbekannte augenscheinlich auch nicht.

Ein Mann steuert auf Daquin zu. Nicht sehr groß, über sechzig, Bauchansatz, eine sympathische Erscheinung, liebenswürdig und leutselig. Er drückt ihm die Hand. »Léonard, Polizeikommissar im Ruhestand und Vizepräsident des Vereins. Reynaud hat mich damit betraut, Sie in Empfang zu nehmen. Er selbst erscheint nie vor Spielbeginn. Kommen Sie, trinken wir ein Glas. Was nehmen Sie?«

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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
201 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783867549783
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