Kitabı oku: «Zügellos»
Dominique Manotti
ZÜGELLOS
Aus dem Französischen
von Andrea Stephani
Ariadne Krimi 1193
Argument Verlag
Commissaire Daquin, ein wahrhaft harter Kerl mit einer Vorliebe für starken Espresso, guten Jazz und schöne Männer, leitet ein verschworenes Inspektorenteam im Pariser Drogendezernat. Der aktuelle Fall führt die Jungs ins Reitsportmilieu: Terra incognita. Dass Jockeys sich gern mal die Nase pudern, ist ja bekannt, aber spätestens nach dem zweiten Mord wird klar, dass es hier um mehr geht als ein paar Lines für den Eigenbedarf. Allerdings scheinen einige der Beteiligten tabu zu sein. Nun ist Daquin selbst ein begabter Strippenzieher, der auch dann nicht einknickt, wenn seine Vorgesetzten längst die Notbremse ziehen. Und wird es mal ganz eng, so hat er bestimmt irgendwo noch einen Gefallen gut … Diesen kantigen Noir-Macho lässt Dominique Manotti gegen Frankreichs gewiefteste White-Collar-Schurken antreten – in atemlosem Tempo, wie immer umfassend informiert und so lakonisch wie stilsicher. Die Männer um Daquin – manche kennen einen Teil des Teams schon von seinem ersten Auftritt in Hartes Pflaster (2004) – spielen eine blutige Schachpartie gegen die Sorte Verbrecher, die sich allzu sicher ist, allen anderen immer einen Zug voraus zu sein. Wieder ein packendes Lehrstück von La Manotti, die uns niemals belehrt, sondern aufs Souveränste zeigt, wie die Dinge wirklich laufen.
Else Laudan
»Wenn das Genre des sozialkritischen Politkrimis wieder von Relevanz reden darf, hat es das auch Dominique Manotti zu verdanken.« Stern
»Spannend, realitätsnah, links: Manotti beleuchtet virtuos die Verbindungen zwischen Politik und Kriminalität. Vielleicht wissen wir nur deshalb so wenig über solche Verquickungen hierzulande, weil wir keine Dominique Manotti haben, die es fertigbringt, diese zu ebenso aufklärerischen wie spannenden Thrillern zu verarbeiten.« Freitag
»Was für ein Wurf! Seit Jane Austen hat keine Frau so spannend über Geld geschrieben.« Denis Scheck
»Dominique Manotti, die sich immer mehr als eine der führenden Krimiautoren der gegenwärtigen Welt herauskristallisiert: Ein literarisches Ereignis, intelligenter kann historische Literatur nicht sein und packender kein Krimi.« Deutschlandfunk Büchermarkt
»Manotti hat sich zu einer der wichtigsten Stimmen Europas entwickelt. So schillernd sind die Figuren, so erschütternd die Verwicklungen, so klug und stark der Manotti-Sound, der alles trägt.« Horst Eckert, FOCUS online
Ariadne Krimis
Herausgegeben von Else Laudan
Titel der französischen Originalausgabe:
À nos chevaux!
© 1997, 1999, Éditions Payot & Rivages
Deutsche Erstausgabe
Alle Rechte vorbehalten
© Argument Verlag 2013
Glashüttenstraße 28, 20357 Hamburg
Telefon 040/4018000 – Fax 040/40180020
Umschlag: Martin Grundmann
Fotomotiv: © histogramm, Fotolia.com
Lektorat: Iris Konopik & Else Laudan
Satz: Iris Konopik
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN 978-3-86754-976-9
Erste Auflage 2013
Inhalt
Cover
Titel
Vorwort
Impressum
Freitag, 9. Juni 1989
Montag, 26. Juni 1989
Sonntag, 9. Juli 1989
Freitag, 14. Juli 1989
Dienstag, 25. Juli 1989
Montag, 21. August 1989
Agenturmeldung von AFP
Samstag, 2. September 1989
Sonntag, 3. September 1989
Montag, 4. September 1989
Dienstag, 5. September 1989
Donnerstag, 7. September 1989
Montag, 11. September 1989
Freitag, 15. September 1989
Samstag, 16. September 1989
Sonntag, 17. September 1989
Montag, 18. September 1989
Dienstag, 19. September 1989
Mittwoch, 20. September 1989
Donnerstag, 21. September 1989
Freitag, 22. September 1989
Montag, 25. September 1989
Dienstag, 26. September 1989
Donnerstag, 28. September 1989
Freitag, 29. September 1989
Samstag, 30. September 1989
Sonntag, 1. Oktober 1989
Montag, Dienstag, Mittwoch, 2., 3., 4. Oktober 1989
Dienstag, 3. Oktober 1989
Mittwoch, 4. Oktober 1989
Donnerstag, 5. Oktober 1989
Montag, 9. Oktober 1989
Dienstag, 10. Oktober 1989
Mittwoch, 11. Oktober 1989
Donnerstag, 12. Oktober 1989
Donnerstag, 19. Oktober 1989
Nacht von Donnerstag, 19., auf Freitag, 20. Oktober 1989
Freitag, 20. Oktober 1989
Freitag, 20. Oktober 1989
Samstag, 21. Oktober 1989
Montag, 23. Oktober 1989
Dienstag, 24. Oktober 1989
Mittwoch, 25. Oktober 1989
Donnerstag, 26. Oktober 1989
Freitag, 27. Oktober 1989
Samstag, 28. Oktober 1989
Sonntag, 29. Oktober 1989
Montag, 30. Oktober 1989
Montag, 6. November 1989
Dienstag, 7. November 1989
Mittwoch, 8. November 1989
Donnerstag, 9. November 1989
Freitag, 10. November 1989
Weitere Bücher der Autorin
Freitag, 9. Juni 1989
Glatte See bei grauem Wetter. Agathe betrachtet das kleine Auditorium, hermetisch abgeschlossener Raum, graue Wände, graue Sitze, in dem die PAMA-Hauptversammlung tagt. Drei- bis vierhundert Aktionäre in dunklen Anzügen, dumpfes Stimmengewirr zahlreicher leise geführter Gespräche. Die PAMA verwaltet Milliarden, sie ist eins der größten französischen Unternehmen. Doch offenbar sehen die Teilnehmer der Hauptversammlung schon im kleinsten Farbfleck, im kleinsten Klangsplitter eine Gefahr für die bestehende Ordnung.
Seit zwei Jahren leitet Agathe die Konzernkommunikation der PAMA. Heute sitzt sie ganz oben im Halbrund, die Nerven zum Zerreißen gespannt. Neben ihr langweilt sich Nicolas Berger, Freund aus Kindertagen und treuer Assistent, schon jetzt zu Tode.
Die Mitglieder des Aufsichtsrats kommen geschlossen herein. Der Saal verstummt.
»Ich bin immer wieder überrascht, dass sich die Aktionäre beim Eintreten des Kapitäns und seiner Besatzung nicht erheben, so wie wir früher am Gymnasium für unsere Lehrer«, bemerkt Nicolas.
Keine Antwort. Agathe greift in ihre Handtasche, holt eine Zigarette heraus, taucht hinter den Sitzen ab, nimmt drei schnelle Züge, tritt sie dann mit dem Absatz aus.
Die Aufsichtsratsmitglieder haben auf dem Podium Platz genommen. Der Präsident lässt den Blick durch den Saal schweifen. Ein alter Mann, unnachgiebig, kalt. Ein einsamer Wolf in der Steppe der Finanzwelt, sagen manche. Er zwingt sich zu lächeln, feine Risse überziehen das Gesicht, er klopft gegen sein Mikro, erklärt die Hauptversammlung in freundlichem Ton für eröffnet. Die hohe Kunst der Verstellung. Dann fasst er mit monotoner Stimme den Geschäftsbericht zusammen. Die PAMA ist ein Mischkonzern, der praktisch alle Wirtschaftszweige abdeckt, eine Diversifikation, die Risiken mindern und Stabilität gewährleisten hilft. Ein Unternehmen, das seit langem in der französischen Finanzlandschaft etabliert ist. Und so gibt sich der Präsident keine Mühe, zu begeistern oder zu überzeugen. Er ahnt nichts, denkt Agathe, schließt die Augen, faltet die Hände im Schoß und zwingt sich, ruhig zu atmen. Nicolas lässt seinen Gedanken freien Lauf und träumt vor sich hin.
Xavier Jubelin hat ganz außen am Podium Platz genommen. Er hört konzentriert zu, macht sich sogar hin und wieder Notizen. Vor zwei Jahren leitete er ein dynamisches mittelgroßes Versicherungsunternehmen, das von der PAMA geschluckt wurde. Heute sitzt er im Aufsichtsrat, und seine Meinung findet Gehör. Sportliche Erscheinung, kantiger Kiefer, auffallend lebendiger Blick und zwanzig Jahre jünger als der Präsident, dessen Nachfolger, so munkelt man, er wird. Jetzt ergreift er das Wort. Agathe ist speiübel, sie fühlt sich wie beim Sprung ins Nichts. Zunächst, in sehr gesetztem Ton, ein Befund. Die PAMA-Holding befinde sich aufgrund eines bunten Sammelsuriums von Kapitalbeteiligungen in einer Phase der Stagnation. Man müsse die industriellen Investitionen des Unternehmens schrittweise zurückfahren, es wieder auf seine homogensten Sparten ausrichten, nämlich das Versicherungs- sowie das Grundstücks- und Immobiliengeschäft, und ihm so seine lang verlorene Dynamik zurückgeben. Kurzum: Entgegen manchen Meinungen und Äußerungen sei ein grundlegender Kurswechsel geboten.
Nicolas schreckt hoch, setzt sich aufrecht hin. »Habe ich richtig gehört? Jubelin erklärt dem Präsidenten gerade den Krieg?«
Agathe reagiert nicht, lauscht mit immer noch geschlossenen Augen ihrem Herzklopfen.
Jubelin fährt fort, jetzt schroffer: »Wir haben dem Aufsichtsrat wiederholt entsprechende Anträge vorgelegt, die aber nie Berücksichtigung fanden, das ist nicht hinnehmbar. Deshalb wenden wir uns heute an die Hauptversammlung.«
Mit einem Mal herrscht spürbare Spannung im Saal, kein Laut mehr, alle Blicke sind auf Jubelin gerichtet.
Nicolas berührt Agathes Arm. »Schlaf nicht ein, hier tut sich Erstaunliches.«
Immer noch keine Reaktion.
Auf dem Podium stecken die Aufsichtsratsmitglieder, Hand überm Mikro, flüsternd die Köpfe zusammen. Einer von ihnen, Domenico Mori, ein Italiener, elegante Erscheinung und wallende weiße Haarpracht, ergreift das Wort. Er leitet in Italien ein Metallkonsortium, das er aus einem Familienbetrieb selbst aufgebaut hat. Sein Konzern ist der größte Anteilseigner der PAMA und der Grundstein, auf dem der Präsident seine Macht errichtet hat. Zudem ist Mori ein langjähriger persönlicher Freund des Präsidenten, sie gehen in der Tschechoslowakei gemeinsam auf Fasanenjagd. Eingedenk der Milliarden, die er im Rücken hat, hört man ihm respektvoll schweigend zu, auf dem Podium zudem mit einem Gefühl der Erleichterung: Jetzt kommt alles wieder ins Lot.
»Wir haben keine Veranlassung, uns den hier von Monsieur Jubelin vertretenen Vorschlägen zu widersetzen.« Leichter italienischer Akzent.
Große Erregung unter den Versammelten. Ohne daran zu denken, das Mikro zuzuhalten, flüstert der Präsident mit bleichem, verzerrtem Gesicht: »Verräter … unwürdiges Verhalten für einen alten Freund …«
Agathe öffnet die Augen, nagt an ihrem Daumen. Das Podium, jetzt von einer im Saal deutlich spürbaren Panik ergriffen, berät sich. Das kann man unmöglich zulassen. Den Angriff vereiteln, bevor der Aufstand sämtliche Truppen erfasst. Der Präsident schlägt eine sofortige Abstimmung per Handzeichen über die beiden zur Debatte stehenden Marschrichtungen vor. Seine und Jubelins. Danach soll die Hauptversammlung gemäß der mehrheitlich gewählten Marschrichtung ihren Fortgang nehmen.
Handzeichen, sorgfältige Auszählung, Jubelin hat die Mehrheit. Der Saal bricht in Pfiffe und Jubel aus, es geht zu wie im Fußballstadion. Die Aufsichtsratsmitglieder sind aufgestanden, diskutieren miteinander. Jemand vor einem Mikrofon sagt gut hörbar: »Das ist ein Staatsstreich.« Vom Tumult unbeeindruckt, bleiben nur Jubelin und Mori auf ihren voneinander entfernten Plätzen sitzen.
Nicolas wendet sich Agathe zu. »Du hast das gewusst und mir nichts gesagt?«
Agathe antwortet nicht, streicht ihm lächelnd mit den Fingerspitzen über die Wange.
Dann geht alles sehr schnell. Perrot, ein rasant expandierender Bauunternehmer, unterstützt Jubelin und fordert eine Abstimmung nach Anteilen. Fieberhaft rechnet jeder das auf einem Stück Papier für sich durch. Jubelin hält zehn Prozent der Anteile. Der Italiener fünfundzwanzig Prozent. Perrot fällt kaum ins Gewicht. Wer bringt die fehlenden Prozente? Der Vertreter der Banque Parillaud erklärt, dass er Perrots Vorschlag unterstützt.
Deluc, Berater im Élysée und PAMA-Kleinaktionär, zu Agathe, die neben ihm sitzt: »Die Messe ist gesungen, Schwester, gehet hin in Frieden.«
Agathe atmet tief durch und lässt den Druck von sich abfallen.
Die mit dem Präsidenten solidarischen Aufsichtsratsmitglieder räumen das Podium, durchqueren den Saal und verlassen ihn wortlos. Die Repräsentanten der ältesten Finanz- und Industriellendynastien Frankreichs treten ab, damit man sie nicht entlässt wie Lakaien.
»Sie machen sich auf die Suche nach dem Elefantenfriedhof«, kommentiert Nicolas halblaut.
Der Präsident, Jubelin und Mori bleiben allein auf dem Podium zurück. Die Abstimmung nach Anteilen ergibt siebzig Prozent der Stimmen für Jubelin. Die Dynamik des Sieges. Hektisch und mit undurchdringlicher Miene sammelt der Präsident die verstreut vor ihm liegenden Papiere ein. Der einsame Wolf ist in die Enge getrieben, todgeweiht.
Agathe steht auf. Ihr ist, als sähe sie zusammenwachsende Blutflecken auf den graubespannten Wänden. Seit zwei Jahren warte ich auf diesen Moment, nun ist er da und die Freude ist nicht so groß, wie ich dachte. Mir ist vor allem nach einem heißen Bad … Jetzt aber an die Arbeit.
Kurzer Abstecher zur Toilette. Eine kleine Line Koks. Make-up kontrollieren, leicht nachbessern. Dann nimmt Agathe den Fahrstuhl und fährt in den 20. Stock. Ihre Sekretärin begrüßt sie mit einem strahlenden Lächeln. Neuigkeiten sprechen sich schnell herum.
Sie öffnet die Tür zu ihrem Büro. Sehr groß, schwarzer Teppich, weiße Wände. Links ein Schreibtisch aus mattiertem Stahl und an der Wand ein Triptychon von Soulages. Rechts eine Sitzgruppe, zwei Couchtische, Sofa und Sessel aus schwarzem Leder. Und direkt gegenüber der Tür, atemberaubend, eine riesige Glasfront mit Blick auf die Esplanade und die Grande Arche de la Défense.
Ein knappes Dutzend Journalisten erwartet sie bei Fruchtsaft, Whisky oder Wein. Eine ganz zwanglose Zusammenkunft unter Freunden zwecks Vorbereitung der Pressekonferenz, auf der Jubelin morgen früh über die Ergebnisse der PAMA-Hauptversammlung berichten wird. Bei ihrem Eintreten heben alle ihr Glas, es regnet Glückwünsche.
Sie schenkt sich einen Whisky ein, setzt sich halb auf die Ecke ihres Schreibtischs, sieht sie an, selbstsicher, eine Erscheinung wie ein Star, streng geschnittenes Kleid in Kirschrot, das so gut zu ihrem hellen Teint passt, gepflegtes Make-up, goldblonder Haarknoten, Stirnlocken. Und im Lager der Sieger.
»Meine Herren, 1989 ist ein großes Jahr für die französischen Unternehmen. Die Börse boomt, der Immobilienmarkt expandiert, und der jungen Managergeneration gehört die Zukunft.«
Tiefe Stimme, ein wenig heiser, apart. Sehr verführerisch. Sie hat Thema wie Zuhörer spürbar im Griff. Sie hebt ihr Glas in ihre Richtung und leert es in einem Zug. Jetzt das Frage-Antwort-Spiel. Zur Person von Jubelin, den noch so gut wie keiner kennt.
»Ein Selfmademan, jung, sportlich. Ein ausgezeichneter Jäger, ein guter Reiter. Und ein wahrer Könner auf seinem Gebiet. Ein echter Versicherungsprofi.«
Danach zur Politik der PAMA. »Wird die PAMA wirklich ihre Industriebeteiligungen abstoßen, wie Jubelin es auf der Aktionärshauptversammlung angekündigt hat?«
»Industrielle Investitionen sind immer risikoreicher und weniger rentabel als Investitionen im Immobiliensektor. Wenn wir uns wieder verstärkt aufs Immobiliengeschäft konzentrieren, dann vor allem, um unseren Versicherten eine bessere Kosteneffizienz zu garantieren. Der Übergang wird aber reibungslos verlaufen.«
Kompetent. Entspannt. Ein Journalist spricht von »Putsch«. Sie reagiert gereizt.
»Wie kommen Sie dazu, dieses Wort zu benutzen? Das Ganze wurde auf der Aktionärshauptversammlung entschieden, vollkommen transparent. Unser Unternehmen funktioniert beispielhaft demokratisch.«
»Wie man sich erzählt, kennen Sie den neuen Geschäftsführer schon lange …«
Agathe neigt den Oberkörper vor, setzt ein strahlendes Lächeln auf und sagt betont ironisch: »Ich weiß sehr wohl, was man sich in einschlägigen Kreisen erzählt, werter Herr, und es ist mir schnuppe.«
»Brillant, die PR-Chefin«, raunt ein Journalist seinem Nachbarn zu.
Das sehr lockere Gespräch geht noch eine halbe Stunde weiter, das Publikum ist wie gebannt. Mit einem Mal ist es spät. Die Journalisten brechen auf. Lästige Fragen wird es auf der morgigen Pressekonferenz eher nicht geben. Und in den nächsten Tagen keinen einzigen gegen Jubelin gerichteten Artikel.
Agathe tritt an das große Fenster. Es ist vollbracht. Die Spannung löst sich. In ihrer Brust ein fast schmerzhaftes Gefühl von Leere. Die Sonne geht unter. Hier und da Lichtreflexe auf den Büroturmfassaden. Zur Linken Paris, fern, die ersten Lichter leuchten. Rechts die Grande Arche, Scheinwerfer, man arbeitet Tag und Nacht, um die Bauarbeiten bis zum 14. Juli abzuschließen. Dicke Scheiben, nicht ein Laut. Endlich eine gewisse innere Ruhe. In dieser Höhe kann mich nichts mehr treffen.
Montag, 26. Juni 1989
Vollmond über den Stallungen und dem angrenzenden Wald, Kühle entsteigt den Bäumen. Die Pferde schlafen bei offenen Klappen in ihren Boxen, manche liegend, manche im Stehen. Andere kauen ein paar Halme Stroh. Wenig Geräusche, hier und da ein Rascheln. Und Seufzer.
Ein Mann geht eine Boxenreihe entlang, weißer Kittel, grüne, um die Knöchel etwas zu weite Gummistiefel. Er trägt einen schweren Eisenklotz in der einen Hand, dazu zwei Kabelrollen. Vor einer Box bleibt er stehen, setzt seine Last ab, öffnet die Tür. Ein lebhaftes kleines schwarzes Pferd bläht die Nüstern, beschnuppert die Hand. Der Mann streicht ihm über den Nacken, krault den Ohransatz, betrachtet das Tier prüfend. Dann macht er die Tür wieder zu und hantiert an dem Metallklotz. Schließt ein Kabel an eine Steckdose an, zwei weitere Kabel, eins rot, eins blau, sind mit Klemmen verbunden. Mit den Klemmen in der Hand geht er zurück in die Box. Das Pferd hebt den Kopf. Er tätschelt seinen Hals, spricht ihm sanft zu. Vertrauensvoll taucht das Pferd die Nüstern wieder ins Stroh. Eine Klemme ins Innenohr. Das gekitzelte Pferd schüttelt den Kopf.
»Ruhig, mein Feiner, alles ist gut.«
Das Pferd beruhigt sich. Eine Klemme unter den Schwanz, das Pferd zuckt zusammen, dreht irritiert den Kopf zu dem Mann, der den Sitz der Klemme überprüft und hinausgeht. Er drückt einen Schalter am Transformator. Ein gewaltiger Ruck geht durch das Pferd, hebt es vom Boden, irrer Blick, der ganze heillos überstreckte Körper ist schlagartig schweißnass, sackt dann lautlos zusammen, die offenen Augen blicken leer. Der Mann tritt hinzu, überprüft, ob das Pferd tot ist, zieht die Klemmen heraus, wickelt die Kabel ordentlich auf und geht mit seiner Ausrüstung fort.
Sonntag, 9. Juli 1989
Es ist fast 14 Uhr an diesem Sonntag und Romero ist gerade aufgewacht. Mit nacktem Oberkörper und in hautenger schwarz-weißer Unterhose sitzt er auf dem Boden vor dem großen Fenster seiner Wohnung, zwei Zimmer im achten Stock hoch über dem Quai de la Loire, sehr luftig und sehr sonnig, freier Blick auf Montmartre und den nördlichen Pariser Stadtrand. Neben ihm eine junge Frau im Schlabbershirt, das Gesicht hinter buschigen braunen Locken verborgen. Aus großen Gläsern essen sie Mokkaeis in Café frappé und Butterkekse. Von Zeit zu Zeit taucht Romero einen Finger in sein Glas und malt der jungen Frau Mokkaeisstriche aufs Gesicht, die er dann sorgfältig ableckt, was sie zum Lachen bringt.
»Zieh dein T-Shirt aus.«
Das Mädchen kommt der Aufforderung nach. Romero malt mit Eis zwei Kreise um die Warzenhöfe, beugt sich über die kühlen, harten Brustwarzen. Das Telefon klingelt. Er steht murrend auf.
Eine Frauenstimme mit leichtem spanischem Akzent. »Inspecteur Romero?«
Romero verzieht das Gesicht und dreht dem Mädchen den Rücken zu, um sich auf seine Gesprächspartnerin zu konzentrieren. »Ja, Paola, ich bin’s. Was gibt’s?«
»Inspecteur, kommen Sie her, ich muss Ihnen jemanden zeigen, es ist wichtig.« Im Hintergrund hört Romero den Lärm einer Menschenmenge. »Ich bin auf der Rennbahn von Longchamp, in der Wetthalle, Schalter 10.«
»Ich bin in einer halben Stunde da.«
»Machen Sie schnell. Es eilt.«
Er legt auf, dreht sich um. Die junge Frau sitzt immer noch auf dem Boden, an die Wand gelehnt, und rollt ihre Brustwarzen spielerisch zwischen den Fingern. »So einfach kommst du mir nicht davon.«
Er geht auf alle viere und trinkt die salzigen und nach Lavendel duftenden Schweißtropfen, die zwischen ihren Brüsten hinabperlen. »Diese Brüste gehören mir.«
Er drückt die junge Frau auf den Teppich, keine Zeit für Raffinessen, und außerdem mag er’s so, erst packt einen die Leidenschaft, und danach dieses totale Wohlgefühl.
Schnell duschen, kämmen, er zögert, blickt zur Uhr, schon Viertel vor drei, dann eben unrasiert. T-Shirt, Jeans, Turnschuhe. Revolver und Papiere nicht vergessen. Dünne Jacke. Blick in den Spiegel: groß, schlank, dunkler Typ, gutaussehend, zufrieden mit sich, alles bestens.
Das Mädchen hat sich nicht gerührt. Sie liegt vor dem Fenster in einem Fleck Sonne auf dem Bauch und döst vor sich hin. Er streichelt ihre Lenden.
»Ich brauch nicht lang. Wartest du auf mich?«
Keine Antwort.
Romero betritt die große Wetthalle der Rennbahn von Longchamp. Halb vier. Beton, Tristesse, auf dem Boden Zettel. Im Moment ist wenig los, das Publikum lärmt auf den Tribünen. Ein paar einzelne Besucher drücken sich lieber vor den Fernsehschirmen herum, wechseln enttäuscht ein paar Worte. Bei Schalter 10 ist niemand.
Das Rennen ist vorbei, das Publikum flutet die Halle, eilt zu den Schaltern. Stimmengewirr, zerknitterte Zeitungen, Flaschen- und Gläserklirren an der Bar. Romero erkennt den Hintergrundlärm wieder, der sich vorhin bei Paolas Anruf in der Leitung breitmachte.
Aber immer noch keine Paola bei Schalter 10. Von einer unbestimmten Unruhe erfüllt, geht er in der Halle umher. Eine Falle? Unwahrscheinlich. Lehnt sich trotzdem an eine Wand zwecks Absicherung nach hinten, lässt die Jacke offen und den Blick kreisen. Klingeln, Ende der Wettannahme. Die Menge strömt zurück auf die Tribünen, immer noch niemand bei Schalter 10. Rückblende auf das Gesicht mit den Mokkaeisstrichen, die aufgerichteten, leuchtend rosa Brustwarzen. Und ein mulmiges Gefühl. Blick auf die Uhr, 15 Uhr 40. Genau in diesem Moment kommt am anderen Hallenende eine Frau schreiend aus der Toilette gerannt.
Commissaire Daquin betrachtet den Leichnam der jungen Frau, der auf dem Klo sitzt, leicht nach links geneigt am Wasserkasten lehnt. Ihr wurde die Kehle durchgeschnitten. Halsschlagader durchtrennt, klaffende frischrote Wunde, Luftröhre gekappt, Knorpel zersplittert, weißlich auf Tiefrot, ein Goldkettchen mit Kreuz auf dem Wundrand. Das Blut ist in Fontänen herausgeschossen. Spritzer an den Wänden. Ihr Sommerkleid ist steif, verklebt, braunrot. Und über dem offen daliegenden Klump aus Fleisch und Blut, komplett nach hinten gekippt, ein ruhiges Gesicht, Augen geschlossen, Mund halb offen. Ein sehr schönes indianisches Gesicht, hohe Wangenknochen, sehr dunkle Haut, üppiges schwarzes Haar, das bis auf den Boden hängt. Die Blutlache auf den Fliesen hat sich unter der Tür hindurch ausgebreitet.
Die Mordkommission ist an der Arbeit. Gerichtsmediziner, Fotograf, Sachverständige. Eine einzige Zeugin, eine Frau hat beim Make-up-Auffrischen das Blut unter der Klotür hervorrinnen sehen und ist schreiend hinausgerannt. Da war es 15 Uhr 40.
Daquin ist groß, gut eins fünfundachtzig, breitschultrig, massig, wenn nicht gar etwas grobschlächtig, kantiges Gesicht, ebenmäßig, aber nicht ausnehmend schön, braune Augen, ungemein wacher Blick auf alles um ihn herum, starke körperliche Präsenz. Seit der Chef da ist, fühlt Romero, wie der Druck ein wenig nachlässt.
Daquin dreht sich zu ihm um. »Und?«
»Eine meiner Informantinnen. Sie rief mich zu Hause an«, zögert kurz, »gegen halb drei, und hat mich herbestellt, zu Schalter 10, um mir jemanden zu zeigen. Sie meinte, es sei wichtig und dringend. Sie wurde umgebracht, bevor ich hier war.«
»Wo haben Sie sie her?«
»Aus dem Knast in Fleury-Merogis. Als das ganze Theater um das kolumbianische Kokain losging, habe ich mich dort umgesehen, meine Netze ausgeworfen. Sie saß ein, und ihre Mutter auch, man hatte sie beim Mitführen von je hundert Gramm Kokain erwischt, Drogenkuriere, kleine Fische. Sie sprach Französisch, schien auf Zack zu sein …«
»Und außerdem sehr hübsch.«
»Ja, das auch.« Mürrisch. »Ich habe ihre Freilassung organisiert und ihr versprochen, dass sie ihre Mutter wiederkriegt, wenn sie mir Tipps über die Kolumbianer in Paris liefert.« Rückblende: der Körper des Mädchens in der Sonne oben am Quai de la Loire, während die Zeit verstreicht. »Ich bin nicht stolz auf mich.«
Daquin mustert ihn kurz. »Das sehe ich.«
Dann wendet er sich wieder der Leiche zu und untersucht sie eingehend. Der rechte Ärmel hat nichts abbekommen. Daquin beugt sich vor, reibt den Stoff zwischen zwei Fingern. Feinste Seide. Lupft vorsichtig den Kragen. Etikett: Sonia Rykiel. Dreht mit der Fußspitze eine Sandale um, die neben der Kloschüssel liegt: zwei Wildlederriemchen mit Charles Jourdan-Schriftzug. »Und sie sprach gut Französisch?«
»Ja, fließend, gerade mal ein leichter Akzent.«
»Ihr kleiner Fisch kommt mir sehr seltsam vor, zu gut gekleidet für eine arme Kolumbianerin. Romero, Sie lernen es nie. Beim Betrachten ihrer Kleidung erfährt ein Bulle mehr über eine Frau als beim Bewundern ihres Busens.«
»Niemand ist vollkommen, Chef.«
Schweigen.
»Meiner Meinung nach sollten wir dringend ihre Mutter aufsuchen, bevor andere es tun.«
Als sie zur Gefängnisverwaltung von Fleury-Mérogis kommen, erfahren Daquin und Romero, dass Madame Jimenez zwei Tage zuvor auf richterliche Anordnung entlassen wurde.
»Können wir die Akten von Paola Jimenez und ihrer Mutter einsehen?«
Paola Jimenez hat sofort nach ihrer Inhaftnahme verlangt, Anwalt Larivière zu verständigen.
»Larivière kenne ich seit zwanzig Jahren. Er hatte schon windige Kontakte zur CIA, als ich noch beim FBI gearbeitet habe. Eine kleine Drogenkurierin, die sich bei Sonia Rykiel einkleidet und die Adresse eines CIA-Verbindungsmanns hat … Aber Larivière hat es offenbar abgelehnt, sich mit dem Fall zu befassen. Das war noch, bevor Sie aufgetaucht sind, Romero. Sehen wir uns die Mutter an.« Daquin überfliegt zwei Blätter. »Auch nicht schlecht. Vor einer Woche hatte sie Besuch von Maître Astagno, der erklärte, er sei ihr Anwalt. Kennen Sie Astagno?«
»Natürlich.« Romero ist entschieden unwohl.
»Gerissener Anwalt, Haus- und Hofverteidiger der Dealer, die wir in Frankreich dann und wann zu fassen kriegen. Hat letztes Jahr die Freilassung eines Schatzmeisters des Medellín-Kartells erwirkt, der Riesensummen auf neun Luxemburger Nummernkonten verwaltete. Es ließ sich offenbar nicht beweisen, dass das Geld unmittelbar aus Drogengeschäften stammte. Finden Sie es normal, dass Astagno sich für eine kolumbianische Dealer-Oma interessiert? Und sie binnen drei Tagen freikriegt?«
»Nein, natürlich nicht. Chef, ich gestehe, was immer Sie wollen. Ich war unvorsichtig, ich habe einem hübschen Mädchen vertraut, schnell war ich auch nicht, und ich bin mit schuld an ihrem Tod. Was machen wir jetzt?«
»Wir lassen schleunigst die Finger davon. Das Ganze riecht oberfaul. Vermutlich ein fingierter Drogendeal seitens der Amerikaner, eine gute Werbung just vor dem Pariser Weltwirtschaftsgipfel, der für die internationale Drogenbekämpfung einen historischen Wendepunkt markieren soll. Paola befördert eine Kostprobe, um die Abnehmer zu ködern. Aus einem uns nicht bekannten Grund läuft die Operation schief. Paola wird festgenommen, vielleicht haben die Amerikaner sie selber hochgehen lassen, zumal Larivière es ablehnt, sich um den Fall zu kümmern. Als Sie sie zurück ins Spiel bringen, wittern die Abnehmer etwas, erkundigen sich bei der Mutter und exekutieren das Mädchen. Zudem müssen französische Polizisten in der Sache mit drinhängen. Also Vorsicht. Sie legen eine Akte an, Romero, und wir warten ab.«