Kitabı oku: «Love is pain», sayfa 2

Yazı tipi:

Es geht dann etwas drunter und drüber. Er rennt zur Führung, Vorstellungsgespräch absagen, Liv informieren. Der kommt, um mit mir zu reden, offenbar wollte mich Maurizio überraschen. Tja die Überraschung wird er jetzt erleben, wenn er aus seinem Urlaub zurückkommt. Ich mag Maurizio, er ist der perfekte Big-Boss, ich hab viel von ihm gelernt und dass er ein Charmeur ist und aussieht wie George Clooney, ist nicht irrelevant, aber er ist auch ein Chaot. Ich bitte Liv mir bis Ende Woche Zeit zu geben, da sich die anderen bis Freitag melden wollen.

Am nächsten Tag bekomme ich eine Mail aus der Stadt am Fluss, sie bitten um eine Verlängerung, sie brauchen eine weitere Woche Zeit für ihre Entscheidung. Ich überlege, was ich tun soll und schreib zurück, ich hätte eine Stelle erhalten und muss bis Freitag Bescheid geben. Wenn sie mir bis dahin keine Antwort geben können, muss ich meine Bewerbung zurückziehen. Alles oder nichts.

Ich bin mir so sicher, ich werde die Stelle bekommen. Am Mittwoch ruft mich Caro an, sie wollten noch mehr Zeit, weil der Big-Boss noch in den Staaten ist, holen sein Einverständnis halt per Mail. Wir besprechen noch die Lohndetails. Am Donnerstag bekomme ich die Zusage. Ich hab den Job!

Alle, vor allem Bjarne, reden auf mich ein, ich soll ihn nicht annehmen, es wäre kein Umfeld für mich, ich würde dort durchdrehen. Aber ich bin mir so sicher, wie das Amen in der Kirche. Ich muss hin. Ich muss unbedingt eine wichtige Erfahrung machen. Ich bin mir bewusst, das könnte auch eine negative sein, aber es muss sein. Es scheint mir einfach schicksalsbestimmt und wichtig zu sein, um weiterzukommen.

Der Abschied nach fast 10 Jahren fällt mir schwer. Wie viele Kämpfe habe ich da geführt, wie vielen Angriffen ausgesetzt, Intrigen, Verleumdung, Lügen, nur weil ich eine Ausländerin bin. Wir werden als stille, steuerzahlende, gut integrierte Putzfrauen gern gesehen, aber nicht als Führungskraft. Einmal hab ich frustriert zu Bjarne gesagt „Wenn ich ein männlicher Einheimischer wäre, würden sie mich lieben. Sie würden den Boden küssen auf dem ich gehe.“ Er sah mich traurig an und sagte nur „Ich weiss.“

Er hielt immer zu mir, dafür bin ich ihm sehr dankbar, selbst wenn ich mal ausgerastet bin, hat er mich unter vier Augen kritisiert, aber nach Aussen verteidigt. Ich musste viel ertragen, aber ich bin auch nicht einfach. Politisch absolut inkorrekt, hart und direkt, Vorlaut, unglaublich stur, aber fair und fleissig und ich lach auch gerne.

Oft ging ich in diesen Jahren traurig nach Hause. Konnte es nicht verstehen. Natürlich habe ich auch Fehler gemacht, bin ja nicht als Chefin auf die Welt gekommen. Learning by doing war das Motto. Aus meinen Fehlern hab ich viel gelernt, mich weiterentwickelt und mir mit der Zeit auch Respekt verschafft. Die zwei letzten Jahre ist man mir mit Respekt und Wertschätzung begegnet, man höre und staune, man hat mich sogar nach meiner Meinung gefragt, nach meinem Rat, nach meiner Unterstützung.

Als ich meine Ehrenrunde drehe, bin ich überrascht, dass Giftzwerg B. Tränen in die Augen steigen als wir uns verabschieden. Bei diesem Anblick kommen auch mir die Tränen. Ausgerechnet bei ihm. Wie oft hatten wir in all den Jahren miteinander gestritten. Manches Mal hat er mich bis aufs Blut gereizt. Das letzte Jahr hat er täglich angerufen und um Rat und nach meiner Meinung gefragt.

Die Angst vor einem Neuanfang ist schon da. Bjarne hat mir die Chance gegeben, so unerfahren wie ich war, mich zu beweisen. Dank seines Vertrauens in mich, bin ich weitergekommen. Aber ich bin auch vereinsamt. Es gibt nur noch ein Arbeits-Ich, eine Chefin. Ein Familien-Ich, eine Mutter. Ich bin leider auch zu einem absoluten Workaholic verkommen. Die letzten drei Jahre hab ich fast jedes Wochenende gearbeitet. Ich selbst habe mich unterwegs verloren, mich selbst gibt es gar nicht mehr. Ich lebe zwischen Mutter- und Chefin sein. Mein Leben besteht nur noch aus Organisation, Verantwortung, führen, leiten, der Zeit hinterherrennen. Wer werde ich nun sein? Ich bin zuversichtlich, ich werde mehr Zeit für mich haben. In der Stadt, in der ich lebe nun auch nur noch vier Tage die Woche arbeiten. Ich werde das Leben endlich geniessen.

Der Neuanfang ist erfolgreicher als in meiner Vorstellung. Die erste Woche fühle ich mich gut, es ist gar nicht schlimm neu anzufangen. Ich freue mich natürlich über so einen kurzen Arbeitsweg, ein eigenes Büro und mehr Freizeit.

Doch mit der Zeit geht es nur noch bergab. Woche um Woche, Monat um Monat vergeht, ohne dass ich recht weiss, wofür ich da bin. Die Leute sind zwar nett, aber reserviert, jeder für sich. Ich sitze den ganzen Tag in meinem Büro ohne konkrete Aufgaben. Ich arbeite nicht sondern sitz einfach meine Zeit ab. Ich hab ja nichts zu tun und weiss auch gar nicht, was denn nun meine Aufgabe sein soll. Das weiss niemand so recht. Hauptsache ich bin anwesend und bediene das Telefon, falls es mal klingelt und philosophiere ein bisschen um den heissen Brei herum. Nur kein Stress, dein Projekt kommt schon. “Wir müssen schauen“ ist der meistgesagte Satz meines Chefs, während er im Monats-Rhythmus seine Meinung über das Projekt ändert, so dass ich immer wieder von vorne anfangen kann, zu philosophieren.

Die Tage werden zur Qual, die Abende verbringe ich deprimiert auf meinem geliebten Sofa. Donnerstagabends läute ich das Wochenende mit Tränen ein. Die Lethargie aus dem Büro nehme ich mit nach Hause. Meinen Haushalt hab ich früher am Samstagvormittag erledigt, nun schaff ich es das ganze Wochenende nicht. Es glänzt nicht mehr so wie früher. Jede Woche drei Tage frei, in denen ich kaum was mache. Ich sitze meist rum, weine, schleppte mich ziellos durch die Wohnung, fühle mich nutzlos, einsam, hässlich, fett, unbrauchbar, ungeliebt.

Ich verstehe nicht, warum mein Instinkt mir geraten hat, diese Stelle anzunehmen. Dieses Mal hätte er eine Gebrauchsanweisung mitliefern sollen, ich verstehe es einfach nicht.

Sechs Monate krieche ich, langsam aber stetig, in den Abgrund.

Online

Ich logg mich in die Quatschbox ein. Nicht mit meinem Pseudo sondern mit dem Fake. Mit meinem gehe ich, seit ich Jack kenne nur noch selten rein. Auch schon vor ihm hatte ich keine Lust mehr zu chatten, aber ich musste doch irgendwie meine Tage rumbringen.

Seit er in mein Leben trat, kann ich einfach nicht mehr mit diesen Typen schreiben. Auch mit Mike geht es nicht mehr. Ich logg mich ein, weil ich mir denke, ach komm, dann sind ein paar Stunden um, aber sobald ich online bin und meine sogenannten „Freunde“, die ich über die Monate angesammelt habe, mich anschreiben, würg ich grad. Ich hab keinen Bock. Ich kann mich einfach nicht mehr mit denen unterhalten. Ich will mich nicht mit denen unterhalten. Es ist alles so falsch.

Das Bild, das man da drin von sich verkauft, entspricht nicht der Realität, ich weiss es ja am besten. In diesem Chat ist die Mehrheit vergeben, angeblich auf der Suche nach Unterhaltung. Ein paar Sätze Unterhaltung später, stellt man fest, sie suchen entweder erotische Chats oder Affären oder beides. Die Singles da drin kann man vergessen, die sind nicht umsonst Single und an normale Unterhaltung, ist mit denen nicht zu denken.

Ich hab in den eineinhalb Jahren wenige gute Unterhaltungen gehabt, dafür viele skurrile Geschichten gelesen. Auch virtuell vertrauen sich mir die Menschen gerne an. Sie finden es toll, wie gut man mit mir reden kann, wie verständnisvoll ich bin und zuhöre. Bei mancher Geschichte aber, war ich so überfordert, dass ich einfach nur noch sprachlos war. Menschen und ihre Vorlieben. Ein paar hab ich auch auf einen Kaffee getroffen und musste feststellen, dass es zwischen virtueller und realer Welt einen himmelgrossen Unterschied gibt. Das hab ich auch schon vor Jack gewusst, aber aus Langeweile trotzdem gechattet. Dann aber hab ich ihn getroffen und es geht gar nicht mehr. Der Chat ist voll von selbstdeklarierten Traummännern. Jack ist ein realer Traummann.

Er hat den Mut gehabt, mich einfach anzusprechen. Er hat den Mut gehabt, über seine Ängste, Stärken, Schwächen, Erfahrungen und Gefühle von Angesicht zu Angesicht zu reden. Nach Monaten Chatten und Wischen weiss ich, dass sich echte Männer nicht online herumtreiben. Je länger sie in dieser virtuellen Welt herumlümmeln, desto grösser wird der Unterschied zwischen dem, was sie glauben zu sein und dem, was sie sind. Sie vergessen, dass das wahre Leben offline stattfindet.

Mit dem Fake geh ich rein, einfach weil es eine Gewohnheit ist. Schauen wer online ist, mal ein bisschen im öffentlichen Chat lesen, in der Hoffnung, die unterhalten mich bis Feierabend ohne, dass ich mit jemandem schreiben muss. Als Fake kann ich die „Freunde“ ignorieren. Aber es ist immer das Gleiche, die gleichen Witze, die gleichen Themen, die gleichen leeren ich-bin-so-toll Phrasen. Es ist so unglaublich langweilig, dass ich mich nach zwei Minuten schon wieder auslogge. Es ist ein Büroritual.

Vor 19 Monaten hat dieses Ritual angefangen.

August 2014

Mittags esse ich meist mit der Arbeitskollegin Salba in der Fresshalle. Sie weiss, dass ich langsam durchdrehe, sie hört mir zu, weiss wie es ist, da sie selbst nicht viel zu tun hat und diesen Job und das Umfeld seit Jahren kennt. Sie versteht mich. Sie ist mit Depression und Zusammenbruch bestens vertraut, hat sie schon hinter sich. Das ist Teil dieses Jobs.

Wir tauschen uns aber auch über anderes aus, zum Beispiel Bücher. Sie liegt mir mit dem Buch „Gut gegen Nordwind“ ständig in den Ohren, ich müsse es unbedingt lesen, wir müssen darüber reden. Ich hab früher sehr viel im Zug gelesen, aber ich hab mich mit meinem neuen Leben und der vielen Freizeit noch nicht zurechtgefunden, ausserdem kann ich mich momentan auf gar nichts konzentrieren. Ich friste mein apathisches Dasein, versuche irgendwie den Tag über die Bühne zu bringen. Zwar kaufe ich nach wie vor Bücher und der Stapel wird immer grösser, aber ich lese nicht. Weil sie aber so hartnäckig ist und meine Reaktion auf das Buch nicht erwarten kann, lade ich es runter und lese es fast in einem Atemzug. Es ist witzig, eine Achterbahn der Gefühle, inspirierend. Ein tolles Buch.

Nach der Lektüre mache ich einen Waldspaziergang, sitze auf der Bank, rauche und denke darüber nach, wie ich meine Zeit im Büro irgendwie ausfüllen könnte. Ich weiss einfach nicht mehr, womit ich mich beschäftigen könnte. Das Buch fällt mir ein. Ich denk darüber nach, wie schön es wäre, Mailfreunde zu haben. Aber selbst wenn ich viele Kontakte hätte, wer hat schon den ganzen Tag Zeit, mit mir zu mailen und worüber? Andere Menschen arbeiten in ihren Jobs, niemand hat so viel Zeit wie ich. Da kommt mir die Idee, dass es doch so Chats gibt, in dem sich Leute unterhalten. Die früheren Talk-Show-Sofasurfer fallen mir ein. Da gibt’s sicher ein paar, denen tagsüber langweilig ist und mit denen ich mich unterhalten könnte. Ich nehme mir vor, am nächsten Tag die allwissende Suchmaschine zu fragen.

Tags darauf suche ich tatsächlich und lande, jungfräulich in diesem Bereich, in der Quatschbox. Ich versuche ein halbwegs vernünftiges Profil zu erstellen und mich durch die Funktionen zu navigieren, da bekomm ich schon die erste Nachricht von Adi. Wir schreiben hin und her, nichts Weltbewegendes. Einfach belangloses Zeug, aber gepaart mit Humor. Die Unterhaltung gefällt mir, die Zeit vergeht und seltsamerweise fühlt es sich sehr vertraut an. Ich fordere ihn auf, sich zu beschreiben, was er dann auch tut. Er beschreibt zuerst sein Äusseres, dann seine Wünsche und Ziele, wie er sich selber sieht, was er mag. Jedes einzelne Wort trifft mich. Ich schreibe nichts, ich lese jeden Satz, der von ihm kommt und mit jedem werde ich trauriger. Ich weiss selbst nicht weshalb. Vielleicht, weil ich das Gefühl habe, ein wildfremder Mensch hat mein eigenes Inneres so gut erfasst. Ich weiss gar nicht, was ich zurückschreiben soll, es hat mich grad voll getroffen. Seine Worte berühren mich. Er trifft mich in der Seele.

Ich gehe rauchen, er merkt, dass ich abwesend bin, da nichts zurückkommt. Als ich wieder da bin, ist da eine Melancholie. Auch er spürt sie. Wir verstehen uns irgendwie ohne Worte. Es ist vertraut, das Gefühl ist sehr vertraut. Es ist, als wissen wir bereits alles vom anderen, es ist uns nur nicht bewusst. Wenn ich eine Frage stelle, er antwortet, ist bei mir dieses „Das wusste ich eigentlich“-Gefühl und bei ihm ist es genau das Gleiche. Ich verstehe es nicht, bin irritiert.

Ich habe mir fest vorgenommen, keine Treffen, keine privaten Kontakte, nur ein bisschen Unterhaltung während der Arbeitszeit. Ich will nicht eine dieser asozialen Talkshow-Tussis werden, die sich im Internet verlieben oder Dates verschaffen, das würde mein Ego nicht ertragen. Bloss Unterhaltung, damit ich den Tag schneller über die Bühne bringe. Aber nach dem ersten Chat mit Adi fürchte ich, das wohl unterschätzt zu haben. So habe ich mir das nicht gedacht, das ist gar nicht gut. Chatten ist ja verführerischer als ich dachte.

Adi muss gehen und ich unterhalte mich mit anderen. Da ich neu bin, werde ich von allen Seiten angeschrieben, aber bei keinem anderen ist es das gleiche Gefühl. Mit allen anderen Chattern ist es ein ganz normal, so wie ich es mir auch vorgestellt habe. Also liegt es wohl doch nicht am Chatten als Solches sondern am Mensch Adi selbst, warum auch immer. Aber immerhin ist der Tag schnell um.

Ich chatte nun täglich mit Adi. Wir verstehen uns ohne Worte, wir berühren uns nur durchs einfache Dasein. Wir kennen uns, ohne etwas voneinander zu wissen. Wir haben Spass, machen Witze, klopfen Sprüche oder reden über dieses und jenes. Es ist für beide, wenn auch sehr schön und vertraut, auch sehr verwirrend. Wir können uns auf unerklärliche Weise spüren, nicht nur, wenn wir online sind sondern die ganze Zeit. Wir wissen einfach, wann es dem anderen nicht gut geht, wann der andere glücklich ist, wann traurig. Wir wissen es einfach.

In meinen Gedanken rede ich ständig mit ihm und hab das Gefühl, er hört mich. Er schreibt in einer Nachricht, in seinen Gedanken redet er immer mit mir und hat das Gefühl, ich höre ihn. Wir sind uns sicher, es gibt einen Grund, warum wir uns begegnet sind und warum wir so ein Gespür füreinander haben, aber wir wissen nicht, welchen. Das kann kein Zufall sein.

Einmal meint er, wir sind Seelenverwandt. Da kommt mir Albert in den Sinn. Er tauchte auf, um mir eine Lektion zu erteilen. Ist es das? Muss mich wieder ein Seelenverwandter daran erinnern, wer ich bin, mir einen Spiegel vorhalten? Ist Adi ein zweiter Albert?

Da er in seinem Job mehr zu tun hat als ich, schreiben wir uns sehr viel über die Mailbox. Wir sind wie eine Art Tagebuch füreinander. Ihm schreib ich, was mir durch den Kopf geht und er mir auch. Jede Minute, die er erübrigen kann, verbringt er online. Er nimmt sich sogar manchmal den Freitag frei, weil ich ja auch frei habe, damit wir miteinander chatten konnten. Es ist schön, aber auch beängstigend. Wir arbeiten nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt, wohnen auch in der gleichen Stadt, aber ich will ihn nicht treffen, genug Ausreden habe ich. Immer einen Grund, warum ich ihn nicht treffen will. Aber im Grunde hab ich einfach Angst.

Adi ist jemand mit einem angesehenen Job, viel beschäftigter Mann, nach aussen erfolgreich, zielstrebig, gefragter Macher. Er ist getrennt, aber ist sich nicht sicher, ob er sich auch tatsächlich scheiden lassen will. Sie will wohl keine Trennung, setzt ihn mit den Kindern unter Druck und auch die Finanzen sind ein Grund, warum er darüber nachdenkt, es vielleicht doch noch mal zu versuchen. Ein Grund ist sicher auch, was er nach Aussen präsentiert. Eine Scheidung wäre nach aussen hin peinlich. Er redet nie schlecht über sie, ich lese aber zwischen den Zeilen und in seinen Gefühlen, da ist viel Wut.

Wir haben den gleichen Humor, das sorgt für Vergnügen im Büro. Wir haben die gleichen Wert- und Moralvorstellungen, wir denken genau gleich, wir fühlen genau gleich. Aber ich will ihn nicht treffen. Ich hab Angst, er ist enttäuscht, wenn er mich sieht. Ich hab Angst, die Ablehnung in seinen Augen zu sehen. Immerhin hab ich ein Bild von ihm im Kopf, geformt durch seine Worte, und das ist perfekt. Er ist 1.82 gross, sportlich, da er gerne Squash spielt und in der Freizeit viel mit dem Fahrrad unterwegs ist. Braune Haare, braune Augen und im Anzug unterwegs. In meiner Vorstellung ist er ein humorvoller, intelligenter Adonis.

Drei Monate ist er fester Bestandteil meines Alltags. Als wäre es das normalste der Welt, jemanden zu fühlen, obwohl man ihn noch nie gesehen hat. Also am Ende doch Talkshow-Tussi. Ich seh mich bei RTL II auf der Couch sitzen und jammern „Ich hab mich im Internet verliebt.“

Immer wieder schaltet sich der Kopf ein und sagt, das alles ist Einbildung, aber ich schmettere den Gedanken immer wieder weg. In manchen Momenten bin ich überglücklich, am liebsten würde ich fliegen. Dazwischen sitze ich lethargisch in einem Loch bestehend aus Angst, Einsamkeit, Traurigkeit. Der seelische Schmerz ist mein ständiger Begleiter, er erdrückt mich, lässt mich nicht atmen, lässt mich nicht klar denken. Von Tag zu Tag wird es schlimmer. Nur in den Momenten, in denen ich mit ihm chatte, beruhige ich mich, weil er da ist, weil ich da bin. Ich lebe nur noch in diesen Momenten. In diesen Augenblicken lache ich, habe Freude. Ich bin in der Gegenwart. Ist er weg, falle ich in ein Loch aus Nichts und negativen Gedanken. Er weiss auch nicht mehr, wie er mir helfen kann. Er spürt, dass es mir immer schlechter geht, weiss aber nicht weshalb und weiss nicht, wie er mich noch aufmuntern soll, damit es anhält.

Wir diskutieren immer öfters über das Thema Treffen. Er versteht nicht, wieso ich kein Vertrauen in ihn habe. Wir streiten und missverstehen uns absichtlich. Er versteht meine Angst nicht, ich sag ihm ja auch nicht, warum ich solche Panik habe, ihn zu treffen. In meiner Vorstellung ist er schön, intelligent, witzig und ich hässlich, fett, langweilig und krank im Kopf. Ich kann mich dem einfach nicht stellen. Ich will die Enttäuschung in seinen Augen nicht sehen. Ich kann nicht, reagiere panisch nur schon beim Gedanken daran.

Auf den Tag genau drei Monate nach unserem ersten Chat, lädt er mich spontan zum Abendessen ein. Er hat am Abend im Chat auf mich gewartet und mir unzählige Nachrichten geschrieben, damit ich endlich online komme. Er hat selten Zeit, abends zu chatten und ich bin auch nicht drin, aber wenn er Zeit hat, dann geht er online, schreibt mir immer wieder in die Mailbox „komm online“ und ich folge jedesmal wie blind, obwohl ich gar nicht rein will, laufe ich zum Laptop und logge mich ein, als würd ich ihn rufen hören.

Auch diesmal, er wartet auf mich. Ich lehne die Einladung robust ab. Wir haben das Thema schon ausdiskutiert und es sei erledigt. Er ist sehr verletzt und zwischen uns bricht es, wir werden uns nicht einig. Er ist sehr getroffen wegen meiner heftigen Ablehnung. Er beendet es. Er loggt sich aus und ich starre noch eine ganze Stunde auf den Satz „Es ist beendet.“

Ich lese ihn, aber er kommt nicht an, ich fühle in dem Moment nichts. Wie betäubt mache ich mich bettfertig. Ich fühle immer noch nichts. Erst als ich im Bett liege und mich schlaflos hin und herdrehe, kommt es langsam an. Es ist beendet.

Es trifft mich. Der Schmerz trifft mich heftig. Mein Handy ist neben mir und ich starre drauf, ich hab das so sichere Gefühl, er kämpft mit sich, ob er anrufen soll. Ich fühle ihn mit sich kämpfen und flehe, ruf an. Er hat meine Nummer. Aber er tut es nicht. Ich gehe mitten in der Nacht online, und sehe, dass er fünf Minuten vorher drin war, aber schon wieder weg ist. Gegen Morgen schlafe ich endlich ein.

Die Hölle zum Zweiten

Der seelische Schmerz ist da. Auch wenn nicht mehr so oft wie früher, aber er besucht mich immer wieder. Einmal am Tag sicher. Wenn ich Glück habe, verlässt er mich nach ein paar Minuten wieder und wenn ich Pech habe, dann hält er den ganzen Tag an. Es ist als würde eine Faust meine Seele umschliessen und zusammenpressen. Ich bekomme keine Luft, ich kann keinen klaren Gedanken fassen, ich bin rastlos, weiss nicht wohin mit mir. Ich atme tief durch, ich versuche es zu lösen, versuche mich zu beruhigen. In diesen Momenten bin ich richtig verzweifelt.

Trotz Therapie, trotz der Tatsache, dass es mir immerhin schon besser geht und ich wirklich weitergekommen bin, schaff ich es nicht, dieses Problem zu lösen. Ich weiss nicht, woher er kommt, weiss nicht, was ihn auslöst. Ich flehe täglich um eine Antwort, aber ich krieg keine. Da ist auch noch der Druck in der Brust, der mir auch die Luft raubt. Auch da flehe ich täglich um Antwort, warum das so ist, aber auch da bekomme ich einfach keine. Alles Mögliche lass ich mir als Ursache durch den Kopf gehen, aber nichts passt richtig. Zwei Wochen nach Jacks letzter Nachricht war der Schmerz permanent da, aber so langsam geht es wieder, er gönnt mir immer grössere Ruhepausen.

Wenn die Sehnsucht nach Jack mich packt, wenn mich die Traurigkeit über seinen Verlust befällt, hab ich auch das Gefühl, ich kann nicht mehr atmen, aber es ist nicht dieser Schmerz. Es ist etwas anderes, ich weiss aber nicht was.

Immerhin kenne ich mittlerweile die Unterschiede in meinen Gefühlen. Auch wenn ich die Ursache nicht kenne. Als sie alle über mir zusammenbrachen, konnte ich sie nicht unterscheiden.

November 2014

Der seelische Schmerz ist seit Monaten mein treuster Begleiter, nur in den Momenten, in denen ich mit Adi schrieb, liess er mich in Ruhe. Nach dem Satz „Es ist beendet“, gehe ich am Donnerstagmorgen mit verweinten Augen ins Büro. Ich fühle mich elend. Ich halte den Schmerz fast nicht mehr aus. Salba und Rina, auch eine Arbeitskollegin, raten mir schon seit einer Weile, mir endlich Hilfe zu suchen, sie sorgen sich bei meinem Anblick um mich. Beide haben Zusammenbrüche hinter sich, Therapie, Medikamente. Wissen, was der Job anrichten kann und sehen mir bei meinem wöchentlich fortschreitenden Zerfall zu, aber ich will nichts davon hören. Ich brauche sicher keine Therapie. Nie im Leben würde ich zu einem Psychiater gehen. Das ist Humbug, ich halte nichts davon.

Der Tag ist eine unendliche Qual, ich starre den ganzen Tag den Chat an und flehe, er soll reinkommen, aber er tut es nicht. Zum ersten Mal seit wir uns kennen, bleibt er den ganzen Tag fern. Ich kann nichts anderes tun als drauf zu starren, ich kann nicht denken, ich kann nicht atmen. Ich schreibe niemandem, ich starre einfach. In der Mittagspause nimmt mich Salba einfach in den Arm, ohne was zu sagen, und ich weine bitterlich.

Nichts und niemand sonst bietet mir Ablenkung. Einzig Steve, ein verheirateter Chatsüchtiger, mit dem ich oft gute Unterhaltungen habe, kann mich am Nachmittag ein bisschen trösten, auch wenn er nicht weiss, weshalb ich so leide. Aber das Gespräch mit ihm über alles Mögliche, beruhigt mich etwas, lässt mich für kurze Momente an etwas anderes denken.

Wie immer gehe ich donnerstags nach Hause, um zu weinen. Nur an diesem Donnerstag ist es tausend Mal schlimmer. Es ist nicht nur weinen, es sind Höllenqualen, es ist Panik. Ich habe Angst um sich selbst. Die DVD von B. läuft im Dauermodus. Ich hab Angst sie auszuschalten, weil ich denke, ich werde sonst durchdrehen. Es beruhigt mich immerhin ein bisschen.

Am Freitag geht es genau gleich weiter. Ich schreibe alles, was mein Handy an Kontakten zu bieten hat an, das ist leider nicht viel. Aber niemand hat Zeit oder Lust auf ein Treffen. Ich brauche dringend jemanden zum Reden. Jetzt! Doch da ist niemand, denn ich hab noch nie jemand zum Reden gebraucht.

Schlussendlich bin ich so verzweifelt, dass ich die Suchmaschine nach Psychotherapeuten durchstöbere. Ich hatte noch nie solche Angst um mich selbst, ich schaff alles, aber diesmal nicht. Es ist nichts von ausserhalb wovor ich mich fürchte, es ist innendrin. Ich bin ratlos und weiss mir selbst nicht mehr zu helfen, verlier ich jetzt den Verstand? Die DVD läuft wieder in Endlosschleife. Da gerade Mittag ist, sind bei fast allen nur die Anrufbeantworter an. Ich wähl mich durch die Liste durch. Frau M. nimmt ab, ich erklär ihr, dass ich kurz vor einem Zusammenbruch stehe und dringend mit jemand reden muss. Wir vereinbaren einen Termin für den kommenden Freitag. Doch wie soll ich die Tage bis dahin überstehen?

Ich laufe vom Wohnzimmer, zur Küche hin und her, weiss nicht, was ich will, was ich denken, was ich tun soll. Ich weiss nicht, wohin mit mir. Salba hat mir Tabletten auf natürlicher Basis und rezeptfrei empfohlen, ich hol sie in der Apotheke. Am Abend nehm ich eine und etwa eine halbe Stunde später fühle ich nichts ausser Müdigkeit. Ich geh ins Bett, schlafe sofort ein und auch durch.

Am nächsten Morgen erwache ich, fühle immer noch nichts. Ist es möglich? So einfach ist das Problem gelöst? Ich trau dem Frieden nicht ganz. Setz Kaffee auf, rauche. Mit jeder fortschreitenden Minute, kommt alles langsam wieder zurück. Nach nicht mal einer Stunde hat mich die innere Hölle vollumfänglich wieder.

Ein weiterer Tag, den ich nur weinend, rastlos, einsam und verzweifelt verbringe. Am Abend nehme ich wieder eine dieser Tabletten und es verläuft genau gleich. Ich bin müde, ruhig, gehe schlafen, wache auf, fühle nichts und dann kommt alles wieder zurück, bis es unerträglich ist.

Ich beschliesse, keine mehr zu nehmen. Ich werd verdammt noch mal da rauskommen. Flashbacks tauchen vor meinem inneren Auge auf. So viele Fehler, die ich in den letzten Jahren begangen habe. Während ich dachte, mir geht es gut, mit meinem Leben geht es bergauf, hab ich nicht gemerkt, wie ich im Grunde falle. Ich bin schon seit Jahren in einer Abwärtsspirale. So viele Warnungen, Hinweise hab ich ignoriert. Mir kann nichts passieren, ich bin tough, ich bin stark. Bäh, was für ein Schwachsinn. Ich hab mich selbst belogen. Stattdessen hab ich mich immer mehr zurückgezogen, immer weiter von mir selbst entfernt. Ich hab mich am Ende völlig verloren und bin vereinsamt. Ich hab sie nicht erkannt. Ich habe die Angst, die mich in den Würgegriff nahm und immer fester zupackte, nicht erkannt. Ich habe es schon gewusst, es war mir aber nicht bewusst. Die Antwort ist mir seit drei Monaten vor der Nase und ich hab’s nicht gesehen.

Ich wusste, es hat einen Grund, warum ich Adi begegnet bin und dass er es beendet hat, ist das Beste, was mir passieren konnte. Dieses Wissen ist da. Er ist aufgetaucht, um mir einen Spiegel vorzuhalten, in dem ich mich und meine Fehler erkennen soll. Er hat mich daran erinnert, wer ich bin und was ich eigentlich mal vom Leben wollte. Adi ist Albert 2.0.

Keine weitere Flucht mehr vor mir selbst, vor meiner Vergangenheit, vor all den Verletzungen und Schmerzen. Diese Flucht hat mich nur in die Angst getrieben. Ich dachte, Angst würde ich nie mehr im Leben haben. Was für eine Fehleinschätzung.

Aber ich hatte genug Stress, Ablenkung, Fluchtmöglichkeiten. Es war einfach, zu ignorieren. Nun nicht mehr und das ist auch gut so. Meine Depression hat nicht erst in diesem Job angefangen, sie fing schon vor Jahren an. Langsam, kaum merklich, jetzt ist der Show-down gekommen, das grosse Finale und ich muss mich mangels Fluchtmöglichkeiten stellen. Ich hab einen Scheissjob, aber es ist genau der Richtige.

Ich bereue zutiefst, nicht auf die Warnungen gehört zu haben. Ich wünschte so sehr, ich könnte die Zeit zurückdrehen und meine Fehler korrigieren, aber dafür ist es zu spät. Nun muss ich es auf die harte Tour durchstehen. Es tut weh, es tut so höllisch weh, aber da muss ich jetzt durch, wenn ich es schaffen will, wenn ich diese innere Hölle besiegen will.

Ich war schon mal in der Hölle, nur war die Hölle das letzte Mal offensichtlicher. Der Weg hinaus war schwer, steinig und ständigen Angriffen ausgesetzt, aber ich war nicht allein, gab nicht auf und hab es geschafft da rauszukommen. Dieses Mal hat sie mich hinterhältig erwischt. Über Jahre hinweg, ist es mir nicht aufgefallen, wie sie, wie eine Spinne ein Netz um mich schnürt. Vielleicht wusste ich es. Doch, ich wusste es, habe es aber einfach ignoriert. Ich hielt mich wohl für unverwundbar, für zu stark, weil ich es schon mal geschafft habe.

Nach einer turbulenten, heftigen Zeit stand er mitten in einer Nacht 1999 vor mir, ich dachte „Wow, der Teufel ist aber ein schöner Mann“ und im nächsten Moment kam mir in den Sinn „Er kann aussehen, wie er will, er ist der Teufel.“

Ich hab geschlafen, erwachte, weil ich fühlte, da ist jemand in meinem Schlafzimmer. Ich hatte einen Sessel in der Ecke und da sass jemand drauf. Als ich mich aufsetzte und fragte „Wer ist da?“ stand er auf und stellte sich vor mein Bett. Ich konnte ihn durch das Licht von aussen gut erkennen, wirklich ein schöner Mann im dunklen Anzug und darüber ein schwarzer Mantel. Seine Präsenz jagte mir aber extreme Angst ein. Ich wusste sofort wer er ist, tat aber cool, obwohl ich wusste, dass er weiss, dass ich nur so tue, während ich fast das Pyjama vollscheisse. Er sah mich mit einem frechen Grinsen schief an und meinte „Du kannst mir nicht entkommen.“ „Du kannst mir nichts tun“ versuchte ich mit kraftvoller, arroganter Stimme zu sagen. Netter Versuch. Ich umschloss meinen Talisman mit der Hand so fest ich nur konnte und bat in Gedanken um Kraft und Hilfe.

Er kam langsam ums Bett herum, ganz nah, ich schaute ihn direkt an, mein Blick war fest auf seine Augen gerichtet. Ich hatte Angst wegzuschauen, vielleicht überfällt er mich dann doch. Ich dachte, er würde mich berühren, innerlich fror ich vor Angst ein. Seine Hand kam immer näher, bis sie ein paar Zentimeter von meiner Hand war, die sich an das Sonnensymbol festgekrallt hatte. Ich hielt die Luft an.

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