Kitabı oku: «Die Mumie von Rotterdam», sayfa 3
»Hoontschoten, Er ist ein Esel!« sagte er ingrimmig. »Wäre Er nicht so alt, daß Ihm die Natur bald den Abschied aus dem Leben geben dürfte, so gäb ich Ihm den Abschied aus dem Dienste.«
»Mein Gott und Heer!« versetzte bebend Jeremias: »worin habe ich denn gefehlt? Gebot es nicht Pflicht und Gewissen, meinen wohlmögenden Patron sogleich in Kenntniß zu setzen von einem solchen Unglücksfalle? Und darin habe ich nicht gesäumt, nach den schwachen Kräften, welche mir mein Alter vergönnt. Ich habe Euch gesucht wie eine Stecknadel, im Hause und am Haven, im Prinzencollegium und am Boompjes, bis mich endlich ein scharmanter Herr, ein Professor aus Leyden, dem ich Euere und Herrn van Vlietens Personen weitläuftig beschreiben mußte, hierher verwieß.«
»Verdammter Hazenbrook!« schalt Herr Tobias für sich hin, und die große Ader auf seiner Stirn schwoll in zorniger Erinnerung höher an: »Das Gespenst des verruchten Professors verfolgt mich allenthalben und wenn ich mir ihn einmal aus dem Sinne geschlagen habe, so bringt ihn mir ein verwünschter Zufall wieder in den Wurf.«
»Ich hätte Ihn nicht für so dumm gehalten, Hoontschoten!« zürnte indessen der alte van Daalen zu seinem Untergebenen. »Er meint noch Wunder wie gut er’s gemacht hat und wäre am Ende im Stande gewesen, die Sache auf dem großen Markte auszuschreien! Myn Heer van Vlieten,« wandte er sich jetzt gänzlich umgewandelt, mit sanfter Stimme und lächelndem Angesichte, zu diesem: »der Verlust einer solchen Kleinigkeit wird keinen Einfluß auf Euere gütigen Gesinnungen für mich und meinen Cornelius haben, wir bleiben die besten Freunde, wie bisher, und Clötje wird meine Tochter und Cornel Euer Sohn.«
»Prosit!« versetzte mit einem herben Gesichte Herr Tobias. »Aus der Heirath kann ein für allemal nichts werden, wenn die Gelder nicht bis auf einen Deut al pari stehen, und dazu ist, unter den gegenwärtigen Auspicien, auf lange hin kein Anschein. Lebt wohl, Myn Heer van Daalen! Siebenmalhunderttausend ist das Wort. Ohne das geht die Braut nicht fort. Da habt Ihr in Reimen meine Meinung. Gott befohlen, Heer Jan! Ich kann meinen Thee allein trinken. Besucht mich über’s Jahr wieder!«
»Wie?« rief der Fortgewiesene mit einer Miene, in der sich Staunen und Unwille aussprachen: »Ihr wollt das alte Freundschaftsband zerreißen; Ihr könntet um des lumpigen Geldes Willen die edlern Gefühle des Herzens verleugnen? Thut das nicht, Myn Heer Tobias! Fürchtet die Rache Schiwa’s, unter dessen Augen Ihr diesen Frevel begeht!«
In seiner Herzensangst griff Herr van Daalen zu diesem letzten Mittel, die Furcht des Widerwilligen auf’s Neue zu erregen und sie zum Hülfsweg bei dem Sturme auf Tobias Herz anzuwenden. Dieser aber hatte, unter den neu eingetretenen Umständen, das Entsetzen, welches ihm der Götze früher eingeflößt, rein vergessen und rief im Fortgehen:
»Was Schiwa, was Brama! Geld ist die Bank. Morgen brennt der Schiwa im Ofen und auf dem Herde und der Kaffee, der an dem Satan gekocht wird, soll mir wohl schmecken. Trag den Thee in mein Zimmer, Clötje!« herrschte er der entgegentretenden Tochter zu, die mit großem Schrecken den Zorn des Vaters wahrnahm und im ersten Augenblicke sich und den Geliebten verrathen glaubte. »Herr van Daalen wird uns ein anderes Mal die Ehre schenken, heute trinke ich allein.«
Er schritt so rasch nach seinem Zimmer, daß ihm die gehorchende Clelia kaum folgen konnte. Herrn van Daalens Geduld war nun auch erschöpft. Ohne weiter des Sohnes im Schiwa zu gedenken, stürmte er die Treppe hinab und zum Hause hinaus. Aengstlich und sehr gedrückt trippelte der Buchhalter hinter ihm her.
»Er ist an Allem schuld, Tölpel!« schrie ihn noch auf der Straße Herr Jan an. »Warum hat Er erstlich die entsetzliche Dummheit begangen, sich die zweimalhunderttausend Dukaten nehmen zu lassen, warum begeht Er zweitens die noch entsetzlichere, die ganze Geschichte im Beiseyn des unersättlichen van Vlieten auszuplaudern?«
Jetzt erst ging dem armen Jeremias Hoontschoten ein Licht auf. Er hatte bisher nicht einmal geahnt, warum sein hochedler Prinzipal ihm zürne. Nun sah er es ein und es kam auch zugleich eine solche Reue über ihn, daß er anfing zu weinen und laut zu schluchzen. Er machte sich selbst im jämmerlichsten Tone die heftigsten Vorwürfe über seine unzeitige Schwatzhaftigkeit. Er gerieth nach und nach in eine so verzweiflungsvolle Stimmung, daß Herr van Daalen, der im Grunde ein sehr gutes Herz besaß, bald sehr gerührt wurde und in der Furcht, der alte Mann könne sich ein Leid thun, ihn zu trösten begann. Es fruchtete aber Alles nichts. Jeremias gebehrdete sich immer kläglicher, das mitfühlende Herz seines Patrons wurde immer weicher, er mußte am Ende auch weinen und als Beiden der Hausknecht die Thüre des van Daalenschen Hauses auf ihr Klopfen öffnete, war dieser nicht wenig erstaunt, seinen Gebieter und den alten Buchhalter in Thränen auf der Straße zu finden.
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Clelia van Vlieten war ein Mädchen von einigem Verstand und einiger Ueberlegungskraft, aber nur für die gewöhnlichen Fälle ihrer sehr beschränkten Lebensweise. Wenn Junker Cornelius ihr darüber etwas Schmeichelhaftes sagte, so lag der Grund dazu theils in seiner eigenen, einem liebenden Herzen entsprossenen Ueberzeugung, theils in dem allgemeinen Glauben der Rotterdammer, des reichen van Vlietens Clötje müsse, so wie ein Wunder an Schönheit, auch eins an Verstand seyn. Clelia hatte selbst, da man sie sehr oft in dieser Beziehung ins Gesicht gelobt und niemand in ihrem Hause und in dem Kreise ihrer Bekanntinnen ihr entgegenstand, den sie übersehen hätte, eine nicht geringe Meinung von ihren geistigen Fähigkeiten in sich aufgenommen. Diese reichten auch völlig für die häuslichen Geschäfte, für den Umgang mit dem Vater und den Freundinnen aus; trug sich aber etwas Außerordentliches zu, wurde sie von einem unerwarteten Ereignisse beängstigender oder erschreckender Art überrascht, so war es in einem Augenblicke vorbei mit ihrer Gedankenfähigkeit, sie war dann willenlos, Alles wurde ihr zu einem Gegenstande unklarer Besorgniß und sie folgte dann, ohne nachsinnen, ohne überlegen zu können, jedem Rathe, der ihr eben gegeben wurde und den sie vielleicht in einer andern ruhigen Stunde unbedingt verworfen haben würde. Die Ursache dieses Mangels an Selbstständigkeit war ohne Zweifel ihre beschränkte Erziehung und der einförmige Gang ihres Lebens, in dem ein Tag wie der andere, ohne die mindeste Abweichung von der einmal eingeführten Ordnung, verstrich. Der lebhafte Cornelius zeichnete sich durch seine körperlichen Vorzüge und durch die Gewandtheit seines Betragens zu sehr von den wenigen übrigen jungen Männern ihrer Bekanntschaft aus, um nicht, da er ihr auch sonst in Hinsicht auf die Glücksumstände seines Vaters am Nächsten stand, von ihr mit günstigen Blicken betrachtet zu werden. Die kecke Art und Weise, mit der er sich ihr näherte, seine heitere Laune und die leichte, aber doch zarte Anknüpfung eines innigeren Verhältnisses von seiner Seite, hatten ihr ganz und gar nicht mißfallen. Nur als er nach und nach anfing sich zu vergessen, als er länger bei ihr auf der Straße und in der Kirchthüre verweilte, als früher, und sein trauliches Flüstern zu van Vlietens Clötje’n die Aufmerksamkeit der Leute erregte, da begann das Mädchen nachzudenken und zu überlegen, und kam zu jenem Resultate, das den leichtgestimmten und auch ziemlich leichtsinnigen Cornelius in die chinesische Stube ihres Vaterhauses, in den Leib des Schiwa führte und sie selbst in eine Bestürzung brachte, die von dem eben beschriebenen Zustande der Gedankenunfähigkeit begleitet war.
Sie saß wie auf Kohlen ihrem Vater gegenüber im kleinen Gemache, das fern von dem Zimmer war, in dem sie den Geliebten zurückgelassen hatte. Ihre Hand zitterte, als sie dem alten Herrn den Thee kredenzte. Sie hatte den Zucker vergessen und er trank in seiner Aufgeregtheit den Thee hinunter, ohne das zu bemerken. Clelia sah bei aller Betretenheit wohl ein, daß ihr Vater einen gewaltigen Groll gegen die van Daalen im Herzen berge, aber sie wußte die Ursache nicht und vermochte jetzt auch nicht darüber nachzusinnen. Einzelne Ausrufungen, die er unter dem Theetrinken ausstieß, gaben ebensowenig einen weitern Aufschluß. Dieser Ausrufungen waren ohnehin nur drei, und so kräftig sie sich vernehmen ließen, so wenig klärten sie die Sache selbst auf. Als Herr Tobias die erste Tasse getrunken hatte, stieß er die chinesische Porzellanschale klirrend auf den Tisch und sagte im Tone heftiger Erbitterung: »Der Windmacher!« Bei der zweiten rief er ingrimmig: »Der Schwindelkrämer!« Die dritte ließ er unberührt stehn, indem er wild schrie: »Der Lump!« und dann hastig, ohne Clelia die gewöhnliche gute Nacht zu wünschen, in sein Schlafzimmer eilte, das er hinter sich verschloß.
In dumpfer, unklarer Erstarrung sah die Tochter ihm nach. Das hatte sie noch nie erlebt. Um zweier Tassen Thee willen, hatte es ihr Vater noch nie der Mühe werth gefunden, sich niederzusetzen; nur wenn er sein volles Dutzend genossen, bedurfte es einiger Ueberredung, ihn noch zu etlichen Schalen zu bewegen. Selten aber widerstand er einer solchen Ueberredung, oft wartete er sie kaum ab. Heute war das nun ganz anders gewesen, heute hatte Herr van Vlieten, zum erstenmale seit der Tochter Gedenken, das Prinzencollegium versäumt, nur wenigen Thee getrunken und seiner Clötje keine gute Nacht gegeben! Schreckliche Dinge mußten vorgegangen seyn, die den pünktlichen Mann aus seinem gewöhnlichen Lebensgleise rissen! Schreckliches erwartete gewiß die Tochter, wenn Tobias erst zur Besonnenheit, zu einem Entschlusse gekommen war!
Sie schlich schwankend aus dem Zimmer, wo die unterbrochene Theepartie statt gefunden hatte. In den Gängen des Hauses war es still und einsam. Das Gesinde befand sich in den Gemächern des Erdgeschosses. Wenn Herr Tobias sich einmal in seine Zimmer zurückgezogen hatte, so durften in der Regel die Diener keine Störung von seiner Seite mehr erwarten. Clelia war in einer Sinnenbetäubung, in der sie nur mit Mühe einen Gedanken, den an den versteckten Cornelius, festhalten konnte. Das Licht, das sie in der Hand trug, erschien ihr wie ein ferner, dämmernder Schein. Die Schläge ihres Herzens waren so stark, daß sie ihre Brust beengten und das geängstigte Mädchen einigemale stehen bleiben mußte, um Odem zu schöpfen. Endlich hatte sie die Thüre des großen Gemaches, das mit dem Schiwa und den chinesischen Wackelköpfen auch den gewesenen Kriegshauptmann Cornelius mit seinem unbesonnenen Feuerkopfe beherrbergte, erreicht. Ihre Hand fiel mechanisch auf den Griff der Thüre und diese öffnete sich.
Da zeigte sich ihrem ersten Blicke, der besorgt in das kerzenerhellte Zimmer fiel, der stillgeliebte Freund ihrer Seele. Er saß in einer sehr tiefsinnigen Haltung auf dem Postamente des Götzenbildes, mit untergeschlagenen Armen, mit niedergesenktem Haupte. Bei dem Eintritte Clelia’s machte er eine geringe Bewegung, die aber nur andeutete, daß er sie bemerkt habe. Er ließ die Zitternde auf sich losschreiten, er sagte kein Wort und verließ seinen Platz nicht. Als sie endlich mit dem blaßen, zerstörten Antlitze vor ihm stand, sah er die schweigende Jungfrau ebenfalls schweigend einige Augenblicke lang an, schüttelte dann mit dem Haupte und ließ aus tiefster Brust einen laut durch das Gemach klagenden Seufzer vernehmen. Sein Angesicht war dabei in ernste Falten verzogen, eine Wolke des Unmuths schwebte auf seiner Stirne, seine Augen, seine ganze Gebehrde, strebten Kummer und Wehmuth auszusprechen; allein ein anderer, der nicht so befangen und fassungslos, wie Clelia, gewesen wäre, hätte dieses ganze Aeußere als eine Larve und den Schalk hinter ihr erkannt.
»Um Gott, was fehlt Euch, Junker Cornelius?« fragte zitternd und zagend das Mädchen. »Wenn unsereins seufzt, so geschieht es gar vielemale nur zum Zeitvertreibe, wenn Ihr aber anfangt, so jämmerlich zu thun und zu stöhnen, so muß der Welt Untergang nahe seyn!«
»Er ist nahe;« versetzte dumpf und eintönig der junge Mann. »Ist unsere Liebe nicht unsere Welt? Bei dem Marschallsstabe des Prinzen Eugenius! so ist es und man hat unserer Liebe den Untergang geschworen. Ohne Liebe kann die Welt nicht bestehen. Sie geht unter: die Sonne erlischt, die Sterne sind ausgebrannt, die Erde fällt in Stücken.«
Er hatte diese letzten Worte mit einem mächtigen Pathos ausgesprochen und beobachtete nun die Wirkung, welche sie auf Clelia hervorbrachten. Sie war noch bleicher geworden, sie zitterte noch mehr. Cornelius sah ein, daß sie sich jetzt in jenem Zustand befand, wo sie keiner Ueberlegung fähig sey und den er zur Ausführung eines unbesonnen und leichtsinnig von ihm entworfenen Planes gerade geeignet fand.
»Ja, theuere Clelia,« fuhr er in einem Tone der Rührung und Weichheit fort, der ihm sehr schwer fiel, »man will uns trennen. Nicht für Tage, für Monden, für Jahre, nein! für das ganze Leben. Und um welcher nichtswürdigen Ursachen willen? Um welches elenden Dinges willen, das nicht einmal wagt, sich am Lichte des Tages zu zeigen, das mit Gewalt erst aus seiner dunkeln Verborgenheit hervorgerissen, gewaschen und geschlagen, zur Ehrlichkeit geprägt und gestempelt werden muß, damit es in der honetten Welt erscheinen kann? O, Gold, Gold, wie kann doch deine Macht die edelsten Herzen tirannisch und hart machen, die trefflichsten Gemüther, wahre Lammesnaturen, in grausame Tigerseelen verwandeln! Ja, Clelia, wir sollen getrennt werden. Als ich verborgen stand im Leibe des Schiwa, als ich durch seine großen Glasaugen, wie durch Fenster hinabsah in dieses Gemach, als ich unsere Väter hier erblickte, als der alte würdige Jeremias Hoontschoten zu ihnen getreten war, um ihnen eine Hiobspost zu verkündigen, als da im Ueberdrange der Leidenschaften ihre Seelen auf ihre Lippen traten – da, Clelia, liebwertheste Jungfrau – da habe ich schauderhafte Dinge gehört!«
Hier machte Cornelius wiederum eine Effectpause, die ganz seiner Absicht entsprach. Clelia sank wie erschöpft in einen Sessel. Dumpf lag es in ihrem Kopfe, ihre Erkenntniß war unklar, sie glaubte jetzt Alles, womit Cornelius drohen konnte, sie empfand nur die Furcht vor den schrecklichen Eröffnungen, die sie von ihrem Freunde zu erwarten hatte.
»Sagt mir Alles!« bebte es endlich über ihre Lippen. »Wenn der Vater sich von mir oder gar gegen mich wendet, so habe ich ja keinen andern Beistand auf der Welt, als Euch!«
»Leider ist es so;« versetzte mit großem Ernste, zu dem der schalkhafte Ausdruck der Augen gar nicht einstimmen wollte, der junge van Daalen. »Aber was auch geschehe, was auch Euch Schweres auferlegt werde, verlaßt Euch auf meine Hülfe, auf meine Liebe! Ja, wenn es selbst Euer grausamer Vater so weit triebe, seine entsetzliche Drohung wahr zu machen, Euch von der Gemeinschaft derjenigen zu entfernen, mit denen Ihr einen und denselben beruhigenden Glauben getheilt, wenn er Euch hinter Mauern, hinter Riegel, hinter Eisenstäbe verwahrt hielte, selbst dann soll mein Beistand Euch nicht fern bleiben. Ich werde Eueren Kerker aufzufinden wissen, und wäre er in der ödesten Einsamkeit, wohin nie eines Menschenfuß sich verirrt, ich werde die Mauern stürzen, die Riegel zertrümmern, die Eisenstäbe brechen und Euch als Preis, als überschwenglichen Lohn meiner thätigen, unerschrocknen Liebe davon tragen!«
»Aber, mein Gott!« fragte in der höchsten Beängstigung, und die schreckenvollen Blicke auf Cornelius heftend, das Mädchen: »Trägt denn der Vater wirklich so Arges gegen mich im Sinne? Will er mich einsperren in ein gräßliches Gefängniß, wo ich verlassen und ganz allein bin mit meinem Jammer und meiner Verzweiflung? Was habe ich denn verbrochen, das eine so entsetzliche Strafe verdiente?«
»Fragt danach die Tirannei?« deklamirte pathetisch Cornelius. Dann stieg er von seinem erhabenen Platze herab, setzte sich neben Clelia nieder und fuhr im zärtlichsten Tone fort. »Theure Clelia! der einzige Freund, den Du auf Erden besitzest, spricht jetzt zu Dir und wird Dir ein Geheimniß entdecken, das Dich geistig und leiblich mit einem Verderben bedroht, dem Du nur durch ein Mittel, auf einem Wege entgehn kannst. Du liebst Deinen Vater, Du achtest ihn, aber – erschrick nicht – er ist ein geheimer Catholik.«
»Entsetzlich!« rief van Vlietens Tochter, die in diesen Augenblicken die Leichtgläubigkeit selbst war. »Und davon habe ich nie etwas bemerkt, nie etwas geahnt.«
»Er wußte es klug zu verbergen;« sagte Cornelius mit einiger Verlegenheit. »Aber oft, meine Geliebte, warest Du doch Zeuge, wenn der ehrwürdige Domine unserer Gemeinde ihn ermahnte, nicht von der rechten Lehre abzuweichen, wenn er in leichtverständlichen Andeutungen ihm Lauheit und Gleichgültigkeit vorwarf. Glaube mir: der Mann hat einen scharfen Blick und sah durch das Geheimniß. Ich weiß es erst seit diesem Abende. Während seines Aufenthaltes in Indien muß Dein Vater in irgend einer portugiesischen Niederlassung, vielleicht in Goa, seinen Uebertritt bewerkstelligt haben. Er verrieth sich, als Hoontschoten die Unglücksnachricht brachte, daß mein Vater ein Paar tausend Dukaten weniger in seiner Casse zähle, als Heer Tobias. Zum größten Unglück schien er auch mich in meinem Verstecke wahrzunehmen. Da brach er los in unbändiger Wuth. Er schwur, daß Du nimmer die Meinige werden solltest, daß er Mittel in Händen habe, unsere Hoffnungen für immer zu vereiteln, daß er beim heiligen Franz von Assisi – merke wohl auf, Theuerste, er schwor bei einem katholischen Heiligen – Dich nach Brabant bringen, dort Dich zwingen wolle, ebenfalls katholisch zu werden, damit er Dich in ein Kloster stecken könne, wo Du dann in einem langen, einsamen und von allen Weltfreuden abgeschlossenen Leben von meinen Zudringlichkeiten nichts mehr zu befürchten haben würdest. So sprach der Schreckliche! Eine Nonne sollst Du werden, Holdseligste. Eine Nonne! Bedenke wohl, was alles Entsetzliches in der Bedeutung dieses Wortes liegt!«
»Es ist nicht möglich!« stöhnte Clelia, starr vor sich hin brütend. »O mein Kopf, mein armer Kopf! Das ist Alles so wild und verwirrt auf mich eingestürmt, daß ich ganz betäubt, ganz wüst im Gehirn bin. Ich kann nicht bedenken, warum diese Dinge so sind, ich höre nur das Entsetzliche und ich muß es glauben, ich muß es in mich aufnehmen, ich muß es schrecklich empfinden, ohne es prüfen, ohne ihm einen Widerstand entgegensetzen zu können. Verlaßt mich nicht, Junker Cornelius! Gebt mir Rath, leistet mir Beistand. Eher den Tod, als von meinem Glauben lassen! Meinem Vater habe ich Pflichten, aber meinem Schöpfer auch, und, wo es das bessere himmlische Theil gilt, da muß das irdische nachstehn.«
»Das ist auch meine Meinung;« stimmte der junge Mann in einem unsichern Tone ein. Er fühlte sich durch Clelias Zustand gerührt. Er machte sich Vorwürfe über den Leichtsinn, mit dem er an ein in der That strafbares Unternehmen gegangen war, er war nahe daran, sich zu verrathen. Da aber führte die Einbildungskraft ihm ein lockendes Gemälde der Zukunft vor: er sah sich als den Gatten des geliebten Mädchens im beglückten Hausstande, in dem Fluge eines Augenblickes gingen alle Reize, alles Wünschenswerthe des Gattenlebens mit Clelia an seiner Seele vorüber, und – jetzt sank mit einemmale dieses schöne Bild, das allein der wohlausgesonnene Plan verwirklichen konnte, in seine Nichtigkeit zurück, wie ein grausam täuschender Traum, und er mußte des geldgierigen Tobias gedenken, der dem minder Reichen nimmer die Tochter vergönnen, sie vielleicht dem ersten besten Bewindhebber aus Amsterdam oder einem nach Indien gehenden Rathe hingeboten würde! Alle Zweifel, alle Bedenklichkeiten verschwanden. Er beschloß, das einmal begonnene Unternehmen standhaft zu Ende zu bringen und fuhr nun, indem er die Larve des Mitleidens und der liebevollen Theilnahme fester vornahm, zu Clelia herabgebeugt fort: »Du befindest Dich in einer entsetzlichen Lage, Theuerste, aber sie ist doch nicht so verzweifelt, daß wir ringsum forschten und kein Rettungsmittel erspähen könnten. Bei dem Seeruhme Ruyter’s und de Tromp’s! Cornelius van Daalen ist der Mann, der hier zu helfen weiß und helfen wird. Im Hause Deines Vaters darfst Du nicht bleiben. Er selbst hat Dir Thüre und Thore geöffnet mit seinem Abfalle vom rechten Glauben, mit seiner mehr als schrecklichen Drohung, Dich zu einer Nonne zu machen. Deine Pflicht erfordert, daß Du Dein Seelenheil rettest. Hier ist nichts zu bedenken, nichts zu überlegen. Nur eins thut noth: Entziehung aus tyrannischer Gewalt. Höre meinen Plan, Geliebte! Höre was Dein Cornelius ersonnen hat, Dir zu helfen! Nahe bei der guten Stadt Mastricht wohnt die einzige noch lebende Verwandte Deines Vaters, Deine Muhme, die ehrenwerthe Jungfrau Jacobea van Vlieten. Ich lag bei ihr im Quartiere in Kriegszeiten. Sie ist ein vortreffliches Frauenzimmer, von den festesten Religionsbegriffen, und wie sehr sie Dich liebt, wie sehr sie wünscht, Dich zum Besuche bei sich zu sehen, das weißt Du am Besten aus ihren Briefen. Zu ihr lasse Dich führen von mir. Hier droht Dir geistiges und leibliches Verderben, dort wartet Dein himmlischer und irdischer Friede. Die Barke eines meiner Freunde liegt gerüstet und segelfertig im Haven. Mit dem ersten Strahle der Sonne ist sie bestimmt, nach Antwerpen abzugehn. Er nimmt uns freudig auf, ein günstiger Wind führt uns an ein Ufer, wo Du nichts mehr von der Grausamkeit eines Mannes zu befürchten hast, der den von seinen Vätern ererbten heiligen Glauben verleugnen konnte und auch Dir die Seligkeit rauben will, die er für sich selbst nicht mehr hoffen darf.«
Clelia begriff von Allem, was Cornelius sagte, Nichts, als daß die Reise zu der Muhme sie von dem schrecklichen, gefürchteten Abfalle von der rechten Lehre erretten, vor dem ihr durch tausend schauderhafte Erzählungen furchtbar gemachten Klosterzwange schützen solle. Sie dachte nicht an Cornelius, nicht an ihre Liebe. Sie war in der strengsten Gottesfurcht, in der beschränktesten Ansicht der Religion, wie sie damals in den Niederlanden nach den schärfsten Grundsätzen der reformirten Lehre geübt wurde, auferzogen. Ihr Glaube galt ihr mehr, als ihr Leben, mehr als Vater und Geliebter.
»Ja, ich muß fort, ich muß zu der Muhme!« stammelte sie, indem sie beide Hände des jungen Mannes, wie ein Schiffbrüchiger das letzte Rettungswerkzeug, ergriff. »Ich will Euch für meinen guten Engel ansehen, wenn Ihr mich dorthin führt, Junker Cornelius. Aber allein – nein! ich darf nicht allein gehn. Philippintje, die Hausjungfer, muß mit. Sie ist eine gute, gottesfürchtige Person und ging mir zu Liebe, wer weiß, wohin! Kommt, lieber Junker! Wir wollen Philippintje aufsuchen.«
Das war nun freilich eine Aenderung in dem Plane des jungen Mannes, auf die er nicht gerechnet hatte. Dennoch hoffte er, daß auch die Verflechtung dieser dritten Person in das unbesonnene Unternehmen glücklich von statten gehen werde. Philippintje war eine alte Jungfer, die keine Predigt und keine Betstunde versäumte. Jedesmal wenn sie in das Zimmer trat, wo das Götzenbild stand, gerieth sie in einen heiligen Eifer. Sie disputirte heftig mit Herrn Tobias, sie verlangte, daß das unchristliche Bild fortgeschafft würde aus dem christlichen Hause, aber Herr Tobias steigerte dann gewöhnlich noch ihren Zorn, indem er sie auslachte und um, wie es früher seine Lust war, sich recht aufgeklärt zu zeigen, die Meinung aussprach: alle Religionen seyen gut und der Anbeter des Brama wie der des Mahomet, käme so gut in seinen Himmel, wie der Christ in den seinigen, wenn er es anders verdiene. Diese oft aufgestellte Behauptung hatte zuletzt die starkgläubige Wallonin erbittert, sie sagte gar nichts mehr über den Schiwa, aber sie lebte nun in der festen Ueberzeugung, daß, was Religionsangelegenheiten betreffe, Herr van Vlieten, zu Allem fähig sey.
Clelia zog den etwas bedenklich gewordenen Cornelius mit sich nach dem Schlafzimmer Philippintje’s fort. Der Weg führte sie durch das Gemach, wo früher Clelia ihrem Vater den Thee kredenzt hatte, wo noch dessen dritte Tasse unberührt auf dem Tische stand. Das Mädchen riß sich mit einem Seufzer von ihrem Führer los. Sie schwankte an die Thüre des väterlichen Schlafzimmers, sie lauschte, sie vernahm die Odemzüge des Schlafenden.
»Er kann schlafen und trägt so arge Gedanken im Herzen!« stöhnte Clelia.
Da erklang des Vaters Stimme im Nebengemache und er sprach mit dumpfem Tone im Traume:
»Ja, ja, er soll und muß verbrannt werden, der Störer meines Hausfriedens! Wie will ich mich ergötzen, wenn ich ihn aufflammen sehe in lichter Lohe!«
»Im Traume ist Wahrheit;« flüsterte Cornelius, der hinter Clelia getreten war, dieser zu. »Er spricht von mir. Mir gilt die Drohung mit dem entsetzlichen Autodafé. Er möchte gern die Inquisition in unserm Lande eingeführt wissen. Das muß Euch die Wahrheit meiner Behauptung verbürgen.«
Der junge Mann hielt für gut die Sprache der Leidenschaft, in der er bisher die betäubte Clelia bestürmt, jetzt, da er sie für seine Absicht gewonnen, herabzustimmen und zugleich das vertrauliche Du wieder in das ehrerbietigere Ihr zu verwandeln. Er fürchtete Philippintje’s Scharfblick. Sie hätte leicht entdecken können, daß die Liebe mehr Theil an seinen Rathschlägen und seinem Verfahren habe, als Noth thue, und dann wäre sie wohl auch ebenso leicht auf die Vermuthung gekommen, das Ganze sey nur eine eitle Vorspieglung gewesen, um ihre jugendliche Gebieterin dem väterlichen Hause zu entführen. Zeigte er sich aber immer innerhalb den Schranken der Ehrerbietung, brachte er nur seinen Abscheu vor der schrecklichen Glaubensverläugnung, vor der beabsichtigten Gewaltthat des Vaters gegen die Tochter in Anschlag; so konnte er überzeugt seyn, in Philippintje eine ebenso treue Helferin zu finden, als sie ein gutes und strengrechtgläubiges Mitglied der reformirten Kirche war.
Philippintje hatte sich noch nicht zur Ruhe begeben, als ihr liebes Clötje, bleich und mit allen Zeichen großer Beängstigung, zu ihr in das Schlafgemach trat. Vor der Thüre harrte Cornelius mit pochendem Herzen auf den Erfolg der gewiß überraschenden Mittheilung. Von diesem Augenblicke hing Alles ab. Sah Philippintje hell genug, um sein dreistes Lügengewebe zu durchdringen, wurde sie nicht gleich Anfangs durch die Entdeckung, daß sie bisher einem heimlichen Katholiken ihre Dienste gewidmet, in ihren reizbarsten Empfindungen berührt und mit Blindheit geschlagen, so war nicht allein Alles vergebens gewesen, so mußte Cornelius selbst fürchten, seiner unbesonnenen Täuschung wegen, Clelia’s Gunst für immer verscherzt zu haben und nie wieder auf eine Hand Anspruch machen zu dürfen, deren Besitz, hätte sie auch nicht einen Goldschatz von siebenmalhunderttausend Dukaten gehalten, ihm den höchsten Zweck seines Lebens galt.
»Bei dem letzten Kanonenschusse, der einst in der Welt gethan werden wird!« sagte er, indem er sein Ohr zum Schlüßelloche neigte. »Ich will lieber vor einer geöffneten Batterie stehen, als in einer solchen Lage vor der Schlafkammerthüre einer alten Jungfer. Was ist es doch für eine schöne Sache um ein gutes Gewissen! Stehe ich nicht hier, wie ein armer Sünder, der den Beilschlag von Meister Kopfab erwartet auf dem Hochgerichte? Und woher kommt das ganze Unglück? Vom Denken, vom verwünschten bösartigen Denken! Da vergeß ich unglücklicherweise nur einen Augenblick meiner guten Gewohnheit, auch wenn ich allein bin, mir nur vorzuschwatzen, und das fatale Denken erwischt mich beim Kragen und flüstert mir tolles Zeug ein und treibt es zur Ausführung, ich mag wollen oder nicht. Und nun steht mir eben das Denken wieder als mein schlimmster Feind gegenüber, denn wenn die holdselige Philippintje anfängt zu denken, so ist’s aus mit meinen schönen Entwürfen, und meine blühenden Hoffnungen sterben ab im Nachtfroste.«
Aber in diesem Augenblicke erhob sich im Innern des Schlafgemachs heftig und schneidend die Stimme der Hausjungfer:
»Der Nebukadnezar, der Antichrist, der Rebell gegen Gottes Wort! O ich habe es längst gewußt, daß er den rechten Glauben abgeschworen hat, denn er zählt Sonntags lieber die Zuckerhüte, die im Gewölbe liegen, als die Zuckersprüche, die der hochwürdige Domine spendet! Hast Du es je erlebt, daß er zur Kirche gegangen wäre, meine Clötje? Hält er christliche Betstunde Abends im Hause, wie es sich geziemt für einen rechtgläubigen Patron und Handelsmann? Aber ich glaubte immer, er sey nur ein Heide, ein Götzenanbeter, so ein Chinese oder Kamschadale, nun ist er gar das Allerschlimmste, ein Römischer, ein Belialskind, der Antichrist selbst! Keinen Augenblick bleibe ich länger in dem verruchten Hause. Und du, Clötje, du bist sein Kind nicht mehr. Er hat sich losgesagt von dir, als er sich der entsetzlichen Babel hingegeben, er ist dein ärgster Feind geworden, da er im Sinne trägt, dich zu verderben an deinem himmlischen Seelenheil. Eine Nonne! Kind, weißt du, was das sagen will? Nein, du kannst es nicht wissen, aber ich sage dir, die Qualen, welche die Verdammten in der Hölle leiden, sind köstlich, wie Zucker und Milchcaffee, gegen das Leben im Kloster.«
Jetzt sprach wieder Clelia mit ihrer furchtsamen und weichen Stimme. Cornelius konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber es dauerte nicht lange, so wurde Philippintje’s Redeton wieder hörbar, und der Lauscher vernahm Alles so deutlich, als wenn er der ehrbaren Jungfrau gegenüberstünde:
»Wie, verbrennen will er den Junker Cornelius, den schmucken, braven Menschen, der mir jeden Sonntag in der Kirchthüre den freundlichsten und höflichsten Gruß bietet, wie ihn ein sittsames Mädchen annehmen darf? Dafür wollen wir thun. Gewiß trägt der Pontius Pilatus im Sinn, ihn in das hintere Magazin zu verlocken, wo Pech und Schwefel in Haufen liegt, dann heimlich die ganze Geschichte in Brand zu setzen und den lieben Jungen, der an nichts Arges denkt, einzusperren und so seinem Höllenglauben zum Opfer zu bringen! Ja, mein Clötje, du hast an Junker Cornelius einen wahren Freund! Er hat dir gut, er hat dir recht gerathen. Wir wollen fort, wir wollen zur frommen Muhme in die Fremde! Besser, daß der sterbliche Leib in Gefahren und Beschwerden komme, als die unsterbliche Seele! Gehe, mein Clötje, mit dem guten Junker! Ich will indessen das Nothwendigste einpacken: Erbstücke von deiner Mutter selig und meine geringe Habe. Am Haven finde ich euch wieder. Der Judas Ischarioth soll dich nicht verrathen, mein Herzenskind, und den schmucken Cornelius! Wir wollen auch nichts mitnehmen von seinem Eigenthum. Es soll ihm Alles verbleiben – dem Belial!«