Kitabı oku: «Poesía Visual im Spanischunterricht», sayfa 7

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2.1.4 Exkurs: Christlich-ikonografische und visuelle Texte um Karl den Großen

Die Produktion von carmina quadrata in der karolingischen Zeit diente zunächst dem Zweck der Herrscherpanegyrik auf Karl den Großen und knüpfte damit direkt an den konstantinischen Kaiserkult der Spätantike an. Diesen unmittelbaren Bezug verraten überlieferte Gittergedichte, die Karl den Großen mit Konstantin dem Großen gleichsetzen und ihn sogar als „novus Constantinus“ bezeichnen (vgl. Adler/Ernst 1990, 35). Nach und nach löste sich darauf die Poetik der Gittergedichte von der Panegyrik, um sich christlichen Inhalten zu widmen.

In der von dem angelsächsischen Theologen und Dichter Alkuin von York geleiteten Hofschule Karls des Großen in Aachen zeigen die christlich-ikonografisch beeinflussten visuellen Textkonstruktionen der Schüler eine Bereitschaft zur Innovation in Gestaltungsansätzen, wie sich anhand der vielen Beispiele im Ausstellungskatalog von Adler und Ernst konstatieren lässt (vgl. ebd., 36). Dort ist zu beobachten, dass sich das einfache Gittergedicht zur komplizierten Text-Bild-Komposition entwickelt.

Alkuin leitete die Hofschule nach Anweisungen Kaiser Karl des Großen. In ihr sollte die Kunst des Schreibens erlernt werden (vgl. Zárate 1976, 39). Zárate zufolge lehrte Alkuin seine Schüler, dass das Schreiben gegenüber der Malerei einen ethischen Vorrang habe (vgl. ebd., 49). Das Bild setzte sich dagegen in der Dichterschule als ein Medium durch, das die Aussagekraft des Textes stärkte (vgl. de Cózar 1991, 167). Wie im vorangehenden Kapitel beschrieben, entwickelte sich das Bild zum didaktischen Medium und Text-Bild-Kombinationen wurden zunehmend zu didaktischen Zwecken verfasst, insbesondere in der theologischen Lehre. Allerdings waren diese didaktisch orientierten Text-Bild-Konstruktionen einem bestimmten Zielpublikum gewidmet: den Klerikern. Alkuin selbst verfasste als Dichter ebenfalls visuell-poetische Texte, diese waren aber – der älteren Tradition angehörig – noch sehr stark an die Gittergedichte Optatianus Porfyrius angelehnt.

Alkuins Schüler entwickelten die Kunst des visuellen Dichtens weiter. Der berühmteste unter ihnen war der spätere Erzbischof von Mainz, Hrabanus Maurus (ca. 780−856) (in folgenden Quellen zudem als wichtigster Vertreter des karolingischen Gittergedichtes bezeichnet: Adler/Ernst 1990, 35; de Cózar, 1991, 173; Morales Prado, 2004, 18; Muriel Durán, 2000, 21; Zárate, 1976, 49.) Eine Sammlung von insgesamt 28 carmina quadrata hat Hrabanus Maurus in dem auf das Jahr 815 datierten Buch Liber de laudibus sanctae crucis hinterlassen, das 1503 in Pforzheim in gedruckter Form erschien (vgl. de Cózar 1991, 172; Zárate 1976, 49). Ein Gedicht daraus ist das carmen quadratum aus dem Jahr 831 (Abbildung 12).

Abbildung 12.

De laudibus sanctae crucis (um 800), Hrabanus Maurus, in: Adler/Ernst 1990, 13.

Es zeigt einerseits, dass Visuelle Poesie im Frühmittelalter Panegyrik und christliche Symbolik vereint, und andererseits, dass die Gattung allmählich das Bild, mit Form und Farbe, als eigenes Medium integriert. Dieses farbig und figurativ gestaltete Gedicht ist Kaiser Ludwig dem Frommen (ca. 778−840), Sohn Karls des Großen, gewidmet. Verse bilden sich innerhalb des Rechtecks von links nach rechts und von oben nach unten. Das Lob auf Ludwig ist in Form von versi intexti verfasst, die – farblich hervorgehoben − in die Figur integriert sind. Die verschiedenen Elemente der Figur (z. B. Nimbus, Kreuz, Schild etc.) beinhalten unabhängig voneinander zu verstehende Intexte. Die christlichen Symbole, die den Kaiser als vorbildlichen Christen darstellen (z. B. Kreuz, Nimbus, Fisch etc.), fungieren als Symbole ebenfalls wie ein Text, da sie für etwas stehen und dieserart ganze Textfragmente einsparen helfen. Die Text-Bild-Kombination ist bei diesem Beispiel weitaus komplexer gestaltet als bei dem vorangehendem Gedicht Alkuins. Der Text kann unabhängig vom Bild gelesen werden und umgekehrt. Das Bild referenziert nicht nur anhand der Buchstaben, aus denen es besteht, auf das Ausgangsgedicht, sondern auch anhand des Bildes, das entsteht und symbolisch auf den Inhalt verweist.

Zwei karolingische Dichter sind noch zu erwähnen: zum einen der aus Spanien stammende Theodulf von Orléans (ca. 760−821), neben Alkuin der wichtigste theologische Berater Karls, dessen Dichtkünste sich wie die seiner Geistesgenossen an die karolingischen Reformideen anlehnten (vgl. LThK 1993, Bd. 9, 1426); zum anderen José Scoto, der von de Cózar und Morales Prado zu den bedeutendsten Dichtern der karolingischen Zeit gezählt wird, über den jedoch weder Schaffens- noch Geburtsort oder -jahr bekannt sind (vgl. de Cózar 1991, 179; Morales Prado 2004, 18). Da keine wesentlichen Unterschiede zu Alkuin und Hrabanus Maurus festzustellen sind, werden sie hier nur der Vollständigkeit halber angeführt.

2.1.5 Poesía Visual im mittelalterlichen Spanien

Die karolingische Dichterschule in Aachen hatte großen Einfluss auf die Entwicklung der Visuellen Poesie im 9. und 10. Jahrhundert im christlichen Europa. Wie das vorherige Kapitel zeigt, wurden zahlreiche Überlieferungen visueller Gedichte insbesondere aus theologischem Interesse gesammelt und archiviert (vgl. Adler/Ernst 1990, 33 f.). Auch in Spanien schlugen die christlich-ikonografisch orientierten carmina quadrata aus der alkuinischen Schule Wurzeln, allerdings ohne anschließende Blütezeit, entgegen der Auffassung von Adler und Ernst. Diese Autoren beziehen sich mit ihrer Einschätzung aber lediglich auf die visuell-poetischen Textproduktionen des Mönchs Vigilán. Es ist daher fraglich, ob von einer wahrhaftigen Blütezeit die Rede sein kann (vgl. ebd., 36).

Überlieferungen visueller Gedichte aus dem mittelalterlichen Spanien sind kaum aufzufinden, weshalb bisher nur wenig über die mittelalterliche Poesía Visual geforscht wurde (vgl. de Cózar 1991, 182). Die bis heute einzigen einschlägigen Forschungen über visuell-poetische Texte im mittelalterlichen Spanien wurden von Manuel Díaz y Díaz unternommen (vgl. Díaz y Díaz 1981). Díaz y Díaz bezieht sich in seiner Untersuchung auf eine Sammlung alter Schriften aus dem Martinskloster in dem kleinen Ort Albelda in La Rioja, die in der Bibliothek des Monasterio de El Escorial archiviert ist: der Códice Albeldense oder Códice Vigilano (vgl. Díaz y Díaz 1981, 60). Auf den ersten Seiten dieses Manuskripts finden sich visuell-poetische Textkonstruktionen, die dem Mönch Vigilán und einem Illustrator, seinem „colaborador“ (Díaz y Díaz 1981, 60) Sarracino, zugeordnet werden (Abbildung 13).

Abbildung 13.

Sancta Maria (10. Jh.), Vigilán und Sarracino, in: Díaz y Díaz 1981, 61.

Es handelt sich um carmina quadrata, die formal an die karolingische Schule Alkuins erinnern. Romera Castillo geht davon aus, dass dem Mönch die Dichtungen der Aachener Hofschule bekannt waren (vgl. Romera Castillo 1980, 141). Ein Zusammenhang zwischen dem Kloster in La Rioja und der karolingischen Schule Aachens ist nicht abwegig, zumal zur Festigung Kastiliens im Kampf gegen die Mauren die Doktrinen der christlich-katholischen Kirche in Spanien ohne Weiteres übernommen wurden. Allerdings mag sich Vigilán auch direkt an Porfyrius’ Tradition angelehnt haben. In den genannten Manuskripten finden sich gleichermaßen carmina quadrata in lateinischer Sprache nach Porfyrius, die teilweise sogar buchstäblich abgeschrieben sind (de Cózar 1991, 183). Obwohl die Gedichte aus dem Códice Vigilano unter dem Namen Vigiláns bekannt geworden sind, betont Díaz y Díaz, dass insbesondere die laberintos (Kapitel 2.2.1) dem Mönch Sarracino zuzuordnen sind (vgl. Díaz y Díaz 1981, 61). Vigilán und Sarracino erscheinen zwar immer gemeinsam als Autoren, was die genaue Zuordnung erschwert. In Versdichtungen ohne visuelle Elemente unterzeichnet Vigilán jedoch allein als Autor, was Díaz und Díaz folgern lässt, dass Sarracino ausschließlich an den visuellen Gedichten beteiligt war (vgl. ebd.). Das Besondere an der Beteiligung des Mönchs Sarracino liegt in seiner Herkunft. Nach de Cózar und Romera Castillo ist sie der – bisher einzige – Beleg für mögliche mozarabische, also christlich-maurische Einflüsse in der kastilisch-karolingischen Visuellen Poesie, wobei sich die Autoren auf den Namen Sarracino berufen, der typisch mozarabisch sei.

Las decoraciones de Vigilán tienen una estrecha vinculación con el arte de los mozárabes, ya que estos se establecieron en la Alta Rioja por esta época, como muy bien da cuenta el mismo nombre del miniaturista del códice Sarracino. (Romera Castillo 1980, 148)

De Cózar merkt des Weiteren in einer Fußnote an, dass der Ort, an dem sich das Martinskloster befindet, das Valle de Iregua, zu dieser Zeit von mozarabischen Familien bevölkert war (vgl. de Cózar 1991, 184).

Indes lässt sich diese These anhand der visuellen Gedichte Sarracinos und Vigiláns nicht belegen. Díaz y Díaz bezweifelt sie ernsthaft und hält sie für eine vage Vermutung (vgl. Díaz y Díaz 1981, 61). Trotzdem sind Mutmaßungen dieser Art nicht ganz unberechtigt, denn es ist keineswegs abwegig, dass die Herrschaft der Mauren in Spanien ab dem 8. Jahrhundert (bis ins späte 16. Jahrhundert) in der Entwicklung der Poesía Visual – wie in anderen Bereichen der Kunst, Literatur, Musik etc. – Spuren hinterlassen hat. Während sich in Mittel- und Westeuropa, einschließlich Nordspanien, die Visuelle Poesie unter der Herrschaft der Westgoten aus dem römischen Erbe in Richtung christlich-katholischer Ikonografie entwickelte, brachte die maurische Kultur mit einem noch jungen Islam eigene visuelle Ausprägungen von Texten nach Spanien. Und es ist denkbar, dass importierte islamisch-arabische Dichtungstraditionen gewisse Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Poesía Visual hatten. Eine ähnliche Hypothese kann zudem für den Einfluss hebräischer visueller Dichtungsformen formuliert werden. Zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert vollzog sich in Südspanien (Al-Andalus) unter der Regierung der Omaijden im Kalifat von Córdoba eine vierhundertjährige, von den drei Weltreligionen geprägte convivencia der drei Kulturen Judentum, Christentum und Islam (vgl. Neuschäfer 2001, 5). Diese historisch wichtigen Zusammenhänge könnten zu der Entwicklung der Poesía Visual (vielleicht auch der Visuellen Poesie allgemein) einen Beitrag geleistet haben. In der Geschichte der europäischen Visuellen Poesie werden maurische oder hebräische Einflüsse nicht immer berücksichtigt. Im Ausstellungskatalog von Adler und Ernst finden maurische oder hebräische visuelle Textkonstruktionen nicht einmal Erwähnung (vgl. Adler/Ernst 1990, 195). In anderen Forschungen, wie beispielsweise bei Higgins oder Dencker, wird zumindest auf arabische und hebräische Bild-Text-Kombinationen hingewiesen. Higgins formuliert sogar die Hypothese, dass literarische Text-Bild-Auseinandersetzungen insbesondere aus hebräischen Kulturkreisen in Europa nicht hätten unbeachtet geblieben sein können (vgl. Dencker 1972, 31 ff.; Higgins 1987, 54). In den spanischsprachigen Untersuchungen zur Tradition der Poesía Visual werden arabische und hebräische Einflüsse nicht ausgeschlossen, in manchen werden arabische und hebräische Bild-Text-Kompositionen als Beispiele angeführt.31 Konkrete Belege für eine gegenseitige Beeinflussung fehlen jedoch bis heute.

Indes sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten in visuellen Textproduktionen aus jüdischer, christlicher und islamischer Tradition festzustellen. Wie sich anhand der Adjektive jüdisch, christlich und islamisch erahnen lässt, ist die gemeinsame Basis von Text-Bild-Kombinationen – für Produktion und Rezeption einerseits sowie Form und Inhalt andererseits – das Religiöse. Anders als im Christentum, das spätestens nach dem Bilderstreit im 9. Jahrhundert die Verehrung von Bildern erlaubt, sind Bilder im Judentum wie auch im Islam verboten. Die Kombination von Schrift und Bild im Judentum und im Islam ist daher weniger ikonografisch als typografisch aufgebaut. Hybridität von Schrift und Bild ist vor allem in der Kalligrafie zu beobachten, obwohl die visuellen Texte durchaus auch Figuren darstellen könnten.32

Im Judentum werden die heiligen Schriften kalligrafisch verziert, es soll die heilige und transzendente Natur der Schrift hervorgehoben werden (vgl. Muriel Durán 2000, 25). Bei den Cabalistic discs33 (Abbildung 14), wie Higgins sie nennt, handelt es sich um eine Ornamentik, die in der Bibel von Abraham ben Samuel Abulafia aus dem 13. Jahrhundert zu finden ist.

Abbildung 14.

Caballistics discs (1240 bis ca. 1291), Abraham ben Samuel Abulafia, in: Higgins 1987, 56.

Die Besonderheit dieses visuellen Textes liegt in seiner hochkomplexen Konstruktion. Die einzelnen Räder bilden unabhängige Verse. Werden die Räder gedreht, sodass Worte zufällig aneinandergeraten können, ergeben die aneinandergeratenen Worte einen Sinn. Auf diese Weise entstehen neue Verse. Es sind die verschiedensten Wortkombinationen und somit unterschiedliche Verskombinationen möglich. Inhaltlich wird auf das Wort Gottes angespielt, das, im ewigen Kreis durch die Räder visuell dargestellt, immer wieder neu gedeutet werden kann. Das Schriftbild ist an einigen Stellen mit pflanzenähnlichen Ornamenten ausgeschmückt. Die Schrift gilt als etwas Heiliges und Ewiges, als Zugang zum heiligen Wort und als Verewigung des Wortes Gottes (vgl. Muriel Durán 2000, 26 f.).

Eine ähnliche ästhetische Bedeutung wird der Schrift im Islam zugesprochen. Noch mehr als in hebräischen Texten wird dort das Schriftbild kalligrafisch verziert, wozu die arabische Schrift womöglich einlädt, und es wirkt dekorativ. Da die Verwendung von Bildern in Moscheen verboten ist, werden die Gotteshäuser mit Texten aus dem Koran in aufwendiger Kalligrafie geschmückt. In seinen Untersuchungen über das Kalligramm (Du Caligramme 1976) hat Jêrome Peignot in einer umfangreichen Anthologie viele Beispiele aus der persischen Kalligrafie zusammengetragen. Eines ist ein persisches Kalligramm aus der Zeit zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert, das auf Taliq und Thuluth34 verfasst ist und auch in den Aufzeichnungen von de Cózar auftaucht (Abbildung 15) (vgl. de Cózar 1991, 192).

Abbildung 15.

O.T. (o.J.), anonym. Persisches Kalligramm, in: de Cózar 1991, 500.

Es sind nur wenige Hintergründe zu Autor, Inhalt etc. bekannt und es liegt keine Übersetzung vor. Aufgrund der unabhängig voneinander lesbaren Darbietung von Bild und Text lässt sich das Bild auch ohne verfügbares Textwissen beschreiben. Klar zu erkennen sind ein Pferd und ein Reiter. Der Reiter stellt möglicherweise einen Krieger dar. Die Waffe, die er in seinen Händen hält (vielleicht ein Speer oder ein Bogen), sowie der Schmuck des Pferdes und der Hut des Reiters (eventuelle Symbole) könnten darauf hindeuten. Andererseits mag es sich auch um einen Jäger handeln, der auf seine Beute, womöglich einen Vogel, zielt. Um dies eindeutig konstatieren zu können, bedarf es vermutlich der Kenntnisse von Taliq und Thuluth. Die Kombination von Bild und Text erinnert an die Poetik der visuellen Gedichte aus der Schule Alkuins, da sie – wenngleich auf andere Weise – Figuren entstehen lässt, die auf die Texte, aus denen sie bestehen, alludieren.

Die Frage, inwiefern es eine Interdependenz oder sogar eine Intertextualität in der Poesía Visual der drei Kulturen in Spanien gegeben hat, bleibt weiterhin unerforscht.

2.2 Poesía Visual im Siglo de Oro

Das 14. Jahrhundert bringt mit Beginn der Renaissance für die visuelle Dichtung wie für das gesamte künstlerische Schaffen einen signifikanten Umbruch mit sich. Unter dem Einfluss des sich etablierenden Humanismus und der damit verbundenen Säkularisierung in Europa rückt der Mensch ins Zentrum der künstlerischen Tätigkeit. Es beginnt eine Blütezeit für Kunst und Literatur wie auch für die Wissenschaft im Allgemeinen. Insbesondere Pädagogik und Didaktik gewinnen an Ansehen, da Erziehung und Bildung zu den zentralen Disziplinen des Humanismus zählen.

Im Gegensatz zur mittelalterlichen visuell-poetischen Textproduktion, in der panegyrische Intentionen im Mittelpunkt standen, ruft die humanistische Begeisterung für die griechische Antike in Gelehrtenkreisen eine vielseitige Beschäftigung mit den griechischen Traditionen der visuellen Dichtung ins Leben (vgl. Adler/Ernst 1990, 47). Im Mittelalter orientierten sich die visuellen Gedichte in Form und Inhalt maßgeblich, wie in den vorangehenden Kapiteln beschrieben, an Optatianus Porfyrius’ carmina quadrata aus der römischen Antike. Obwohl das vorhandene Quellenmaterial im Hinblick auf die Visuelle Poesie des 16. und 17. Jahrhunderts noch nicht vollständig erforscht ist, lassen sich hier Tendenzen der Rezeption der antiken Technopägnien feststellen (vgl. ebd.; de Cózar 2008, 25).

Von der zweiten Hälfte des 15. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts wurde in Gelehrtenkreisen die Gattung der visuellen Dichtung in Europa neu entwickelt. Neuauflagen der Anthologia Planudea haben die Bekanntmachung der griechischen Technopägnien ermöglicht und zu unzähligen Nachahmungen dieser Gedichte geführt. Griechische Figuren aus den überlieferten Technopägnien, wie Flügel, Beil, Ei oder Altäre, wurden eifrig nachgeahmt. Auf Nordeuropa bezogen wurden in Deutschland mit Abstand die meisten Figurengedichte geschrieben und gesammelt, gefolgt von England, Frankreich und Italien (vgl. Muriel Durán 2000, 30).

In Spanien zeigen sich erst sehr viel später neue Tendenzen in der Produktion visuell-poetischer Texte aus dem Erbe des griechischen Figurengedichts. Es kann sogar von einer gewissen Abneigung gegen die Wiederentdeckung des alten Griechenlands ausgegangen werden. Zum einen könne diese Abneigung in der „escasa entidad del humanismo hispano“ (Muriel Durán 2000, 30) begründet liegen, die das Desinteresse an den griechischen Traditionen erkläre. Zum anderen können die immernoch aufblühenden literarischen Manierismen der Grund dafür sein, dass das Figurengedicht nicht wiederentdeckt wurde, da diese von dem in der spanischen Kultur des 16. Jahrhunderts dominierenden Katholizismus protegiert würden (vgl. ebd.). Trotz der im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern verspätet und mühselig einziehenden Renaissance vollzieht sich in Spanien zum Ende des 16. beziehungsweise zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Entwicklung im Bereich des Visuell-Poetischen. Zwei Faktoren spielen dabei eine wichtige Rolle: Einerseits entfernen sich in Spanien, wie auch in den anderen europäischen Ländern, die visuell-poetischen Texte allmählich vom stark religiösen mittelalterlichen Symbolismus, um sich Elementen aus dem Alltäglichen, Familiären und Natürlichen zu widmen. Ihre Produktionen verlassen außerdem die exklusiven Kreise der Gelehrten und in der Folge das Buch als Träger, immer häufiger treten sie im populären Umfeld auf (vgl. de Cózar 1991, 167). Die Visuelle Poesie wird profan. Andererseits entsteht eine Theorie der visuellen Dichtung. In Gelehrtenkreisen werden – unter dem Einfluss von Veröffentlichungen aus den europäischen Nachbarländern, insbesondere Frankeich, Italien, aber auch England und Deutschland, die sich ihrerseits an den Vorbildern der griechischen Antike orientieren – diverse theoretische Abhandlungen verfasst, die sich den verschiedensten Formen der Dichtkunst widmen und die neu formulierte Poetiken hervorbringen. In manchen Poetiken dieser Zeit werden auch figurative Dichtungsformen exemplarisch vorgestellt. Die Visuelle Poesie ist somit in den zu dieser Zeit entstehenden Theorien über die Dichtkunst als eigener Gattungstyp dokumentiert. Allerdings haben solche theoretischen Abhandlungen auch einen großen Einfluss auf die Formentwicklung der Visuellen Poesie. Denn die Formen, die dort aufgeführt sind, werden nachgeahmt, eingeübt und abgewandelt. So entwickelt sich das sogenannte laberinto, die spanische Bezeichnung für das Gittergedicht (carmen quadratum). Die Besonderheit liegt allerdings darin, dass neben der visuellen Gestaltung von Schrift- und Textelementen eine Rätselstruktur erarbeitet wird, die das Lesen des Textes erschwert. Der Rezipient muss (wie die Bezeichnung laberinto in Anlehnung an das Labyrinth deutlich werden lässt), um zum Ziel, zur Botschaft des Textes, zu gelangen, einen oftmals strategisch verwinkelten (Lese-)Weg gehen und Rätsel lösen. Insbesondere Letzteres unterscheidet das laberinto vom caligrama, das keine Rätselstruktur aufweist.

Ab dem 16. Jahrhundert zeigt sich, wie Higgins konstatiert, eine immense Produktion solcher visuell-poetischer Textarrangements.

However shortly after the beginning of the sixteenth century we find the start of the largest body of pattern poetry of all, which continues through the baroque and into the eighteenth century. (Higgins 1987, 10)

Zunächst zeichnet sich diese Produktion, wie oben dargelegt, durch eine religiöse Symbolik aus, die mit den Entstehungsorten, den Klöstern und Klosterschulen, aber auch mit dem an dieser Symbolik interessierten Rezipientenkreis, dem Klerus, zusammenhängt. Wenn Textproduktion und -rezeption visuell-poetischer Gattungstypen letztlich die klerikalen Kreise infolge der historischen Ereignisse verlassen, ändern sich folgerichtig Thematik wie auch Intention dieser Textarrangements. Die Themen reichen nun von banalen Dingen des Alltags bis hin zu emotionalen menschlichen Angelegenheiten wie Liebe und Tod.

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