Kitabı oku: «DAS BUCH ANDRAS II», sayfa 7

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»Frau Dorn? Gut, dass Sie endlich anrufen. Wir haben uns schon die größten Sorgen um Sie gemacht. Geht es Ihnen gut? Ist Ihnen etwas passiert? Hier im Sanatorium ist buchstäblich die Hölle los, das kann ich Ihnen sagen. Das ganze Haus ist voller Polizisten, die jeden Winkel nach Ihnen absuchen. Ihre spezielle Freundin, Oberkommissarin Berchtold, tobt in meinem Vorzimmer herum und ist förmlich am Ausrasten. Was ist denn überhaupt geschehen? Und wo stecken Sie jetzt?«

Ich wartete geduldig, bis Direktor Engels Redefluss für einen Moment ins Stocken geriet, bevor ich rasch einhakte und begann, seine zahlreichen Fragen der Reihe nach zu beantworten: »Mir ist nichts passiert, Herr Direktor. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin in der Wohnung von Michael Wolf, dem LKA-Beamten. Im Moment erschien es uns noch zu unsicher, ins Sanatorium zurückzukehren.« Im Anschluss erzählte ich ihm in groben Zügen, was in der Nacht in der Klinik vorgefallen war.

Nachdem der Direktor sich meine Darstellung der Geschehnisse ohne Zwischenfragen angehört hatte, war er an der Reihe, mir die Lage im Sanatorium zu schildern: »Nach den Berichten der diensthabenden Schwestern und Pfleger, die gefesselt und geknebelt zurückgelassen wurden, und der Situation, die wir im Sanatoriumgebäude vorfanden, konnten wir die Geschehnisse bereits in etwa so rekonstruieren, wie Sie mir gerade erzählt haben. Allerdings wurde in van Helsings Zimmer keine Leiche gefunden, sondern nur Blutspuren auf dem Boden, deren Herkunft uns bis jetzt ein Rätsel war. Diese Schurken müssen ihren toten Kollegen mitgenommen haben.«

»Zweifellos, damit dieser nicht identifiziert werden kann und die Polizei auf die Spur dieser Leute führt.«

»Damit haben Sie vermutlich recht. Im Übrigen war Ihre Entscheidung, dem Sanatorium vorerst fernzubleiben, goldrichtig. Die alarmierten Polizeikräfte stellen bei ihren Ermittlungen über den nächtlichen Überfall nämlich im Augenblick das ganze Anstaltsgelände auf den Kopf. Und die Tatsache, dass Sie spurlos verschwunden sind, hat die Ermittlungsbehörden, allen voran natürlich Frau Berchtold, in helle Aufregung versetzt. Die Oberkommissarin hat selbstverständlich längst ihre eigenen Theorien über den Hergang der Ereignisse, aber das können Sie sich wahrscheinlich lebhaft vorstellen.«

Ich nickte nur, ersparte mir jedoch jeden Kommentar, da es Wichtigeres zu besprechen gab als das zweifellos unsägliche und penetrante Verhalten meiner Lieblingspolizistin. »Wie geht es den Insassen der Station und den Schwestern und Pflegern, die Dienst hatten? Gab es bei der Auseinandersetzung mit den Eindringlingen Verletzte? Und hat van Helsing alles gut überstanden? Er hat mir das Leben gerettet und kämpfte an vorderster Front heldenhaft gegen diese Männer.« Ich konnte mir bei diesen Worten und den Erinnerungen, die sie heraufbeschworen, ein Grinsen nicht verkneifen. Van Helsing hatte sich wirklich wacker geschlagen, auch wenn er in seiner wahnhaften Vorstellungswelt wohl nicht gegen wirkliche Menschen, sondern gegen unmenschliche Kreaturen der Finsternis gekämpft hatte.

»Die Schwestern und Pfleger, die heute Nacht Dienst hatten, wurden von den Angreifern überwältigt und gefesselt. Die Eindringlinge haben die diensthabenden Pflegekräfte mit der Waffe bedroht und Ihre Zimmernummer von ihnen zu wissen verlangt. Allem Anschein nach hatten diese Männer keine genaueren Kenntnisse darüber, in welcher Station und in welchem Zimmer Sie untergebracht sind. Aber ansonsten wurde den Schwestern und Pflegern kein Leid zugefügt.«

Ich erinnerte mich an die standhafte Nachtschwester auf unserer Station, die sich trotz vorgehaltener Waffe geweigert hatte, Gehrmann und Klapp die gewünschte Information zu geben und damit ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Ich beschloss, dem Direktor dieses lobenswerte Verhalten zu schildern, sobald wir uns das nächste Mal sahen. Für den Moment war es jedoch am besten, wenn wir uns bei diesem Telefonat auf das Wesentliche konzentrierten.

»Bei den Insassen Ihrer Station«, fuhr der Sanatoriumleiter fort, »gibt es zum Glück nur leichtere Blessuren zu beklagen, die sich die Leidtragenden aber teilweise selbst zufügten. Anscheinend hatten es die Angreifer tatsächlich nur auf Sie abgesehen und trotz allem Hemmungen, massive Gewalt gegen Unbeteiligte anzuwenden. Van Helsing erlitt eine Platzwunde an der Stirn, wo ihn vermutlich ein Pistolengriff traf. Ansonsten geht es ihm aber gut. Er strahlt förmlich über seinen, wie er es ausdrückt, glorreichen Sieg über die verdammenswerte Blutsaugerbrut. Als die Eindringlinge schlagartig von den Insassen abließen und geradezu fluchtartig die Station verließen, um Sie zu verfolgen, schrieb van Helsing diesen Umstand wohl in erster Linie seinem eigenen heldenhaften und todesmutigen Handeln zu. Wahrscheinlich müssen wir uns jetzt die nächsten Jahre andauernd Geschichten über diese denkwürdige Schlacht gegen die Kreaturen der Finsternis anhören.« Der Direktor verstummte und kicherte leise.

Mir war dabei weniger nach Lachen zumute, denn ich hatte unwillkürlich wieder die Szene vor Augen, als van Helsing Gehrmann den Pfahl in die Brust gestoßen hatte. Er hatte mir dadurch vermutlich das Leben gerettet, und ich war ihm deswegen auch zu großem Dank verpflichtet. Dennoch fragte ich mich natürlich, ob dieser Vorfall die ohnehin schon vorhandene massive Beeinträchtigung von van Helsings Psyche unter Umständen sogar noch verstärkt hatte. Ich hoffte nicht, dass durch die Tatsache, dass er jetzt tatsächlich einen Menschen gepfählt und getötet hatte, in seinem Innern ein Damm gebrochen war wie bei einem Serienkiller, der nach dem ersten Mord nicht mehr aufhören kann und in der Folge immer wieder und in immer rascherer Folge töten muss. Doch Direktor Engel als van Helsings Therapeut schien über diesen Vorfall nicht besonders beunruhigt zu sein, und er war schließlich der Fachmann für derartige Krankheitsbilder. Wenn er ebenfalls Bedenken ähnlicher Art hegte, würde er seine Therapie mit van Helsing sicherlich entsprechend anpassen, sodass ich mir wohl nicht den Kopf darüber zerbrechen musste und einfach nur dankbar sein sollte, dass ich dank van Helsings Eingreifen noch am Leben war.

»Gut zu wissen, dass bei alldem dennoch niemandem etwas Ernsthaftes zugestoßen ist«, fasste ich meine Erleichterung in Worte, nachdem das Kichern des Direktors wieder verstummt war. Gehrmanns Schicksal zählte dabei für mich nicht, da er gewissermaßen zu den Bösen gehört hatte und sein Los somit nicht ganz unverdient war. Dann hielt ich es an der Zeit, das Thema zu wechseln und das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken: »Was meinen Sie, Herr Direktor? Wann kann ich wieder ins Sanatorium zurückkommen?«

Direktor Engel ließ einen Laut hören, der entfernt an das Brummen eines Bären erinnerte, während er ein paar Sekunden nachdachte. »Im Augenblick und voraussichtlich auch noch für die nächsten Stunden ist es hier alles andere als sicher für Sie«, meinte er schließlich. Dabei handelte es sich um die Antwort, die ich erwartet hatte und mir wohl auch selbst hätte geben können. »Solange all die Polizeibeamten hier jeden Stein umdrehen, um zu sehen, wer oder was sich darunter verbirgt, und solange sich so viele Fremde nahezu unkontrolliert auf dem Gelände und im Haus herumtreiben, solange ist auch Ihre Sicherheit hier nicht mehr gewährleistet. Bleiben Sie also vorerst bei Herrn Wolf. Ich habe ja seine Nummer und werde Sie umgehend informieren, sobald die Polizeikräfte abgezogen sind und sich die Lage endlich wieder normalisiert hat.«

»Gut, ich habe verstanden. Ich warte dann auf Ihren Anruf.«

»Ich muss ohnehin Schluss machen. Meine Sekretärin teilte mir soeben mit, dass Oberkommissarin Berchtold nach mir verlangt und schon ganz ungeduldig ist.«

»Eins noch, Herr Direktor«, sagte ich schnell, bevor er auflegen konnte, da mir im letzten Moment noch etwas Wichtiges eingefallen war. »Könnten Sie Herrn Augstein bitten, die genaue Lage eines Ortes herauszufinden, der Oberndorf heißt.« Zur Sicherheit buchstabierte ich den Namen. »In diesem Ort oder seiner unmittelbaren Nähe soll sich ein ehemaliges Kloster befinden, das vor nicht allzu langer Zeit verkauft wurde.«

Nachdem Michael das Auto in der Tiefgarage abgestellt hatte und noch bevor wir mit dem Aufzug nach oben zu seiner Wohnung gefahren waren, hatte er einen großen Autoatlas eines Automobilclubs vom Rücksitz des Wagens zur Hand genommen und den Namen Oberndorf im Ortsregister nachgeschlagen. Allerdings mussten wir enttäuscht feststellen, dass es allein in Deutschland mindestens fünfzig Orte mit diesem Namen gab, und daneben noch ein paar weitere im benachbarten Österreich. So leicht würde es also nicht werden, den richtigen Ort zu finden, zu dem Dr. Schwarzer unter Umständen bereits in diesem Moment mit seinem Chauffeur Oswald unterwegs war. Also beschlossen wir, den ehemaligen LKA-Beamten Karl Augstein zu bitten, uns die gewünschte Information zu beschaffen. Bei der Beschaffung derartiger Auskünfte handelte es sich schließlich um sein Fachgebiet. Er besaß nicht nur die notwendigen Verbindungen, sondern auch die Kapazitäten, in kürzester Zeit die richtige Antwort auf unsere Nachfrage zu finden.

Direktor Engel schwieg mehrere Sekunden, sodass ich schon dachte, die Verbindung wäre bereits unterbrochen worden. Doch ehe ich nachfragen konnte, ob er noch in der Leitung sei, hörte ich ihn atmen. Vermutlich dachte er über meine Bitte nach und versuchte, sie in einen sinnvollen Zusammenhang mit den bisherigen Vorfällen zu setzen, was ihm natürlich nicht gelingen konnte, da er keine Ahnung hatte, woher ich den Ortsnamen hatte und warum ich die Lage des Ortes benötigte.

»Wozu brauchen Sie Informationen über einen Ort namens Oberndorf, Frau Dorn?«, fragte der Direktor auch prompt nach, wie ich es insgeheim befürchtet hatte. Die unzähligen kleinen Rädchen in seinem scharfen Verstand hatten sich mit einem unhörbaren Klicken gedreht, die neuen Informationen verarbeitet und als Ergebnis die beunruhigende Mitteilung ausgespuckt, dass hinter meiner Bitte mehr als nur bloßes Interesse stecken musste. »Spielt dieser Ort eine Rolle bei den augenblicklichen Vorgängen? Vermuten Sie etwa, dass Dr. Schwarzer dort Ihren Bruder gefangen hält? Und wie sind Sie überhaupt auf diesen Ort gestoßen?«

Bereits am Tonfall der letzten Frage war deutlich herauszuhören, dass Direktor Engel bereits eine eigene Theorie hatte, wie ich an diese Angaben gekommen war. Ich konnte seine leicht missbilligende Miene direkt vor mir sehen. Allerdings galt für ihn zunächst die Unschuldsvermutung, und er verurteilte mich nicht, bevor meine Schuld nicht zweifelsfrei erwiesen war.

Da ich seine Einstellung zu einem Einbruch in Dr. Schwarzers Kanzlei kannte und er meiner Ansicht nach im Moment ohnehin genug andere Sorgen hatte, beschloss ich, unser Eindringen und den daraus resultierenden Diebstahl der Akte vorerst für mich zu behalten und ihm die ganze Wahrheit erst einmal vorzuenthalten. Es handelte sich gewissermaßen um eine Notlüge, um ihn nicht noch mehr zu belasten, war also in diesem Fall meiner Ansicht nach gerechtfertigt.

»Ich … ich träumte von dem Kloster«, sagte ich, was sogar der Wahrheit entsprach und nicht einmal eine Lüge war, und setzte ihn anschließend in zwei, drei Sätzen über den wesentlichen Inhalt meines letzten Traums in Kenntnis.

Er ging, wie ich gehofft hatte, nicht näher darauf ein und fragte auch nicht nach, wann und auf welche Weise der Name des Ortes in meinem Traum aufgetaucht war. Wahrscheinlich ahnte er längst, dass ich ihm nicht alles erzählt hatte, ließ es aber im Augenblick dabei bewenden, da wir wahrlich genug andere Sorgen hatten. Allerdings war mir klar, dass ich um ein klärendes Wort und eine Entschuldigung nicht herumkommen würde. Das hatte aber Zeit, bis sich die Lage wieder beruhigt hatte und ein geeigneter Moment dafür gekommen war.

»Ich werde Ihre Bitte natürlich an Karl weiterleiten, sobald es mir die Umstände erlauben. Aber jetzt muss ich wirklich Schluss machen. Passen Sie auf sich auf. Ich melde mich … He, was fällt Ihnen ein, einfach hier hereinzuplatzen. Können Sie nicht draußen warten, wie jeder andere halbwegs zivilisierte Mensch auch, bis ich Sie hereinbitten lasse?«

Die letzten Worte waren natürlich nicht an mich gerichtet, sondern – um das zu erraten, benötigte man weder viel Fantasie noch ein großes Maß an Scharfsinn – an die reizende Oberkommissarin Susanne Berchtold, die allem Anschein nach die Geduld, von der sie ohnehin nicht viel besaß, verloren hatte und einfach in das Büro des Direktors spaziert war. Ich vermutete, dass er mich absichtlich noch mithören ließ und das Mundstück des Telefonhörers nicht abdeckte, um mich über die Gegenwart und das Verhalten der Beamtin in Kenntnis zu setzen.

Die Polizisten sagte etwas, das ich aber nicht verstehen konnte, dann sprach wieder der Direktor in den Apparat: »Ich muss leider Schluss machen, Herr Staatsminister. Eine außerordentlich impertinente Kriminalbeamtin ist ohne Erlaubnis in mein Büro eingedrungen und erfordert meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich rufe Sie später noch einmal an, damit wir diese Angelegenheit in Ruhe erörtern können. Auf Wiederhören, Herr Minister.«

Dann wurde die Verbindung unterbrochen, und ich hörte nur noch ein enervierendes Tuten.

Ich musste grinsen, als ich mir das Gesicht vorstellte, das Oberkommissarin Berchtold vermutlich gemacht hatte, als der Direktor den Titel »Staatsminister« erwähnt hatte. Hoffentlich waren ihr der Schreck und die Angst vor Disziplinarmaßnahmen gehörig in die Glieder gefahren, sodass sie sich im Umgang mit Direktor Engel zurückhielt und am Riemen riss.

Ich schaltete das Telefon aus und legte es auf den Tisch zurück. Michael hatte auf einem bequemen Sessel im Wohnzimmer Platz genommen und meinen Anteil an dem Telefongespräch mitangehört. Nun zuckte er die Schultern und zog die Augenbrauen nach oben. Und was machen wir jetzt?, schien das wohl zu bedeuten.

»Jetzt heißt es wohl erst einmal, abzuwarten und Tee zu trinken«, beantwortete ich seine unausgesprochene Frage. Ich sah auf die Akte, die ich vor dem Anruf auf den Tisch gelegt hatte. Jetzt wären endlich die Zeit und die Gelegenheit da, mir den Inhalt des Hefters zu Gemüte zu führen. Doch ein Gefühl, das ich nicht in Worte fassen konnte, ließ mich vorerst davor zurückschrecken. Vielleicht war es die Angst, aus diesen Dokumenten Wahrheiten über mich zu erfahren, die ich eigentlich gar nicht wissen wollte. Oder ich befürchtete, dass der Inhalt des Hefters doch nicht das hielt, was ich mir von ihm versprach. Vielleicht wurde ich auch wieder nur in eine weitere Sackgasse geführt und erfuhr nichts wirklich Neues, sondern erhielt nur Informationen, die ich ohnehin schon besaß.

Gedankenverloren legte ich die rechte Handfläche auf den Aktendeckel, als könnte ich auf diese Weise erspüren, was mir ihr Inhalt offenbaren würde, während ich versuchte, allmählich zu einer Entscheidung zu gelangen. Doch dann nahm ich die Hand schnell wieder weg. Was auch immer mir die Akte über mich erzählen würde, würde mir nicht davonlaufen und konnte ruhig noch etwas warten. Denn in diesem Moment war ein anderes und überaus starkes Bedürfnis in mir erwacht.

»Kann ich vielleicht bei dir duschen?«, fragte ich Michael. Erneut wanderten seine Augenbrauen nach oben, so weit, dass sie beinahe unter seinen Haaren verschwanden. Ich wusste nicht, womit ich ihn in diesem Augenblick mehr verblüfft hatte. Mit meinem verständlichen Wunsch, sein Bad zu benutzen, oder damit, dass ich einfach so zum Du übergegangen war.

Aber ganz egal, was der Auslöser für seine Überraschung war, sein Gesichtsausdruck brachte mich erneut zum Lachen und machte mir auf eindrucksvolle Weise deutlich, dass es auf dieser Welt noch wesentlich mehr gab als durchgeknallte, mordgierige Satanisten und hinterhältige Attentäter in schwarzer Kampfmontur.

Kapitel 7

Ich hatte dann doch nicht geduscht, sondern mir nach Michaels freundlicher Einladung sogar ein ausgiebiges Vollbad gegönnt, ein Luxus, der mir im Sanatorium bislang verwehrt geblieben war. Erst als ich vollkommen durchgeweicht und schrumpelig war und mehr Ähnlichkeit mit einer Wasserleiche als mit einem lebenden Menschen hatte, erhob ich mich widerstrebend aus dem nun rasch abkühlenden Wasser und duschte mich ab.

Während ich mich im heißen Wasser geräkelt und zum ersten Mal richtig entspannt hatte, war die Sonne aufgegangen und die Stadt allmählich immer mehr zum Leben erwacht. Als ich nun mit feuchtem Haar, aber vollständig angekleidet aus dem Bad kam und ins Wohnzimmer ging, wo Michael bereits den Frühstückstisch gedeckt hatte, konnte ich den unmerklich ansteigenden Geräuschpegel im erwachenden Gebäude und auf den Straßen draußen hören.

Michael hatte nicht nur frischen Kaffee gemacht und den Tisch – für einen Mann sogar erstaunlich dekorativ – gedeckt, sondern auch die Tageszeitung aus dem Briefkasten und frische Brötchen vom Bäcker um die Ecke geholt.

Als ich an der gegenüberliegenden Seite seines Esstisches Platz nahm, schob er mir die Zeitung zu, die er allem Anschein nach bereits durchgelesen hatte. Außerdem hatte er die lange Zeit, in der ich das Badezimmer blockiert hatte, dazu genutzt, zu frühstücken, sodass er mich nun allein ließ, um selbst zu duschen.

Ich sah ihm noch einen Moment hinterher, als er im Flur verschwand, und warf dann einen Blick auf die Tageszeitung. Michael hatte sie an der Stelle aufgeschlagen, an der sich ein kurzer Bericht über die gestrige Beisetzung meiner Adoptiveltern befand. Allerdings war dem Artikel nichts wirklich Neues und nur wenig Interessantes zu entnehmen. Immerhin gab es ein kleines Foto, auf dem aber im Wesentlichen nur die beiden kräftigen Pfleger des Sanatoriums, die mich begleitet und beschützt hatten, zu sehen waren. Ich selbst wurde größtenteils durch Gabriels Körper verdeckt; lediglich mein linker Arm und der vordere Teil eines Fußes waren zu erkennen. Unter dem Bild stand: »Sandra D. (verdeckt im Bild) auf dem bittersten Weg ihres jungen Lebens zur Beisetzung ihrer Eltern«.

Na prima! Dieses Bild hätten sich die Verantwortlichen bei der Zeitung auch sparen können, da von mir – zum Glück – ohnehin kein klar erkennbares Detail zu sehen war. Und woher wollten diese Leute wissen, dass es sich um den bittersten Weg meines Lebens gehandelt hatte. Ich war natürlich nicht gern, sondern nur äußerst widerstrebend auf den Friedhof gegangen, aber aus einem vollkommen anderen Grund, als die Redakteure und Reporter der Zeitung annahmen. Aber wenigstens hatten die Zeitungsleute bei Redaktionsschluss noch keine Ahnung gehabt, dass ich gar nicht das leibliche Kind der Dorns war, sonst hätte die Bildunterschrift vermutlich ganz anders gelautet.

Ich sah mir das Bild noch einmal genauer an. Als mein Blick ein weiteres Mal auf den Pfleger Roman fiel, spürte ich einen Kloß im Hals und musste verkrampft schlucken. Er hatte in dem Moment, als der Fotograf die Aufnahme geschossen hatte, zufällig direkt in die Kamera geblickt. Trotz der Unschärfe, die die winzigen Bildpunkte erzeugten, sobald man kleine Details genauer betrachten wollte, glaubte ich, ein leichtes Lächeln auf seinem Gesicht zu erkennen. In der kurzen Zeit, die wir gestern zwangsläufig miteinander verbracht hatten, hatte ich ihn kein einziges Mal lächeln sehen, wie mir nun im Nachhinein auffiel. Und ausgerechnet auf dem letzten Foto, das vor seinem tragischen Tod gemacht worden war, schien er genau das getan zu haben.

Ich schluckte trocken. Bevor mir die Tränen kamen, richtete ich meine Augen auf einen anderen Bereich der Fotografie, den ich bislang noch gar nicht beachtet hatte, der nun aber jäh meine Aufmerksamkeit erregte und mich nicht länger über den tragischen Tod des Pflegers grübeln ließen.

Im Hintergrund der Aufnahme waren, wenn auch vollkommen unscharf, zwei weitere Personen zwischen den Grabsteinen des Friedhofs zu erkennen. Aufgrund ihrer charakteristischen äußeren Erscheinungen gelang es mir aber dennoch ohne Probleme, sie zu identifizieren. Es handelte sich für mich ohne jeden Zweifel um Dr. Schwarzer und Herrn von Stein, die dort gestanden und unsere Ankunft am Waldfriedhof aufmerksam beobachtet haben mussten. Mir waren sie in diesem Augenblick gar nicht aufgefallen. Wahrscheinlich war ich von den Pressevertretern oder anderen Dingen zu sehr abgelenkt gewesen. Und Herrn von Stein hatte ich während der ganzen Beisetzung nicht zu Gesicht bekommen, obwohl er selbst in einer größeren Menschenmenge nur schwer zu übersehen sein dürfte. War er etwa unmittelbar nach unserer Ankunft verschwunden und hatte die spätere Absperrung, den Unfall mit den Wildschweinen und meine Hetzjagd durch den Wald zum Gasthaus organisiert?

Ich schüttelte den Kopf. Nicht weil mir diese Schlussfolgerungen allzu abwegig erschienen. Aber derartig willkürliche Spekulationen waren müßig, da sie lediglich zu weiteren Mutmaßungen und Hypothesen führten, ohne letzten Endes eine greifbare Wahrheit zu bieten und tatsächlich in der Sache weiterzuhelfen.

Zögernd löste ich meinen Blick von den trotz oder gerade wegen der Unschärfe des Hintergrunds unheimlich wirkenden Erscheinungen der beiden Satanisten. Im Grunde meines Herzens hoffte ich, diesen beiden Männern nie wieder zu begegnen. Doch ich ahnte natürlich schon, dass sich das nicht vermeiden lassen würde. Denn wenn unsere Vermutungen zutrafen, hatten diese Leute meinen Bruder in ihrer Gewalt. Und um ihn zu befreien, würde ich ihnen wahrscheinlich zwangsläufig entgegentreten müssen.

Ich überflog den Rest der Zeitungsmeldungen. Über den nächtlichen Überfall im Sanatorium war natürlich nichts enthalten. Wahrscheinlich hatte sich die Zeitung längst in der Druckerei befunden, als die Männer ins Sanatorium eingedrungen waren. Lediglich über unseren Zusammenstoß mit der Wildschweinrotte fand ich einen knappen Artikel von nur wenigen Zeilen. Allerdings waren unter der Schlagzeile »Auto kollidiert mit Wildschweinen« nur ein paar allgemeine Angaben über den Zusammenstoß und die Zahl der menschlichen und tierischen Opfer zu lesen. Anscheinend war aber nicht offiziell bekannt gegeben worden, um wen es sich bei den Insassen des verunfallten Fahrzeugs gehandelt hatte. Aus diesem Grund war von den Reportern auch kein Zusammenhang zu der kurz zuvor stattgefundenen Beisetzung auf dem nahen Waldfriedhof hergestellt worden.

Als Michael sich, frisch geduscht und angenehm nach einem männlich herben Eau de Toilette duftend, wieder zu mir gesellte und an den Tisch setzte, legte ich die Zeitung zur Seite. Ich trank einen Schluck Kaffee und nahm mir ein Brötchen aus dem Korb.

»Interessante Lektüre?«, fragte er lächelnd.

Ich vollführte mit dem Kopf eine Bewegung, die weder Zustimmung noch Verneinung war, sondern ein Mittelding, eine Mischung aus Nicken und Kopfschütteln, während ich die Brötchenhälften auf meinem Teller mit Butter und Pflaumenmus bestrich. Ich biss in die eine Hälfte, kaute und sagte dann mit vollem Mund: »Teils, teils.«

»Das Foto ist auch toll. Du bist sehr gut getroffen. Besonders dein linker Arm.«

Ich lächelte und schüttelte den Kopf. Allerdings wurde ich rasch wieder ernst, als ich an die Gestalten der beiden Satanisten denken musste, die sich wie ein düsteres Menetekel in den Hintergrund des Bildes geschlichen hatten. »Hast du auch Dr. Schwarzer und Herrn von Stein auf dem Zeitungsfoto entdeckt?«

Er nickte. »Sie scheinen bereits sehnsüchtig auf euch, insbesondere auf dich gewartet zu haben.«

»Du warst wohl nicht auf dem Friedhof, sonst wärst du mir unter Umständen bereits dort aufgefallen.«

»Stimmt. Die Beerdigung habe ich lieber geschwänzt. Es waren entschieden zu viele Kollegen da. Die Gefahr, dass sich einer, der mich kennt, verplappert und mich mit meinem richtigen Namen anspricht, weil er keine Ahnung hat, dass ich in der Abteilung für verdeckte Ermittlungen tätig bin, war einfach zu groß. Das wollten wir nicht riskieren. Konnte ja niemand ahnen, dass meine Tarnung im Anschluss an die Beerdigung während des Leichenschmauses ohnehin auffliegt.«

»Erinnere mich bloß nicht daran. Außerdem hättest du mich gar nicht da rausholen können, wenn du schon auf dem Friedhof als Polizist enttarnt worden wärst.«

Er nickte mit grimmiger Miene, erwiderte jedoch nichts darauf.

Ich trank erneut Kaffee und nahm im Anschluss meine zweite Brötchenhälfte in Angriff. Anscheinend machte Michael die Tatsache, dass seine Tarnung aufgeflogen war, noch immer zu schaffen. Möglicherweise kreideten seine Vorgesetzten auf der Suche nach einem Sündenbock ihm die Enttarnung und das anschließende spurlose Verschwinden der Satanisten an. So etwas würde in seiner Personalakte bestimmt nicht gut aussehen, wenn das nächste Mal über Beförderungen gesprochen wurde.

Ich beschloss, das Gespräch in anderes Fahrwasser zu lenken und ihn damit von seinen düsteren Gedanken abzubringen. Deshalb schluckte ich den Bissen, den ich noch im Mund hatte, rasch hinunter und fragte: »Hat Direktor Engel angerufen, während ich im Bad war?«

Er zuckte ein wenig zusammen, als meine Frage ihn aus seiner Gedankenverlorenheit riss. Doch dann schüttelte er den Kopf und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Nein! Dazu dürfte es auch noch zu früh sein.«

»Wahrscheinlich ist im Sanatorium immer noch die Hölle los. Er wird alle Hände voll damit zu tun haben, das Chaos wieder in den Griff zu kriegen. Das Personal und die Insassen meiner Station dürften nach allem, was sie erlebt haben, immer noch ziemlich aus dem Häuschen sein. Außerdem soll es im ganzen Haus von Polizisten wimmeln. Wird nicht leicht sein, rasch wieder zur Tagesordnung überzugehen.«

Als ich mir die gegenwärtige Situation im Sanatorium in ihrer ganzen Tragweite vorzustellen versuchte, kam mir unweigerlich auch wieder Oberkommissarin Berchtold in den Sinn. Ich beneidete den Direktor wahrlich nicht, sich mit der ehrgeizigen, an Selbstüberschätzung leidenden Kriminalbeamtin abgeben zu müssen. Aber er hatte bestimmt bessere Mittel und Wege als ich, um mit ihr fertigzuwerden.

»Kennst du eigentlich Oberkommissarin Susanne Berchtold von der Kripo?«

Michael überlegte einen Moment, bevor er antwortete. »Persönlich hatte ich, soweit ich weiß, noch nie mit ihr zu tun. Aber ich habe natürlich schon von ihr gehört. Nach allem, was man sich so erzählt, soll sie keine sehr angenehme Zeitgenossin sein.«

Ich kommentierte seine Worte mit einem übertriebenen Nicken, ohne ihn durch eine akustische Äußerung zu unterbrechen.

»Sie scheint sehr von sich und ihren kriminalistischen und analytischen Fähigkeiten überzeugt zu sein. Kollegen beim LKA, die mit ihr zu tun hatten, ließen kein gutes Haar an ihr. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, und sei es auch der allergrößte Blödsinn, dann lässt sie sich davon auch nicht mehr abbringen, heißt es. Hinter vorgehaltener Hand wird sie deshalb auch gelegentlich mit einer Schnappschildkröte verglichen oder als solche tituliert. Nicht nur, weil die Berchtold ebenso wie dieses Tier nichts mehr loslässt, wenn sie erst einmal etwas zwischen ihren Kiefern hat. Im persönlichen Umgang soll sie zudem so kalt und empfindungslos sein, wie es Reptilien gemeinhin nachgesagt wird.«

Ich presste die Hand gegen meinen Mund, weil ich bei diesem in meinen Augen treffenden Vergleich unwillkürlich laut losprusten musste, den Mund aber noch voller Kaffee hatte, und stellte mit der anderen Hand rasch die Tasse ab. Es gelang mir nur mit Mühe, den Impuls zu unterdrücken, in schallendes Gelächter auszubrechen, und den Kaffee hinunterzuschlucken, bevor ich die ganze Ladung durch die Gegend prustete. Womöglich auch noch mitten in Michaels Gesicht, der sich zwar über mein Missgeschick köstlich amüsierte, die Sache mit einem Schwall lauwarmen Kaffees im Gesicht aber sicherlich nicht mehr so lustig gefunden hätte. Anstatt zu lachen, wurde ich von einem Hustenanfall durchgeschüttelt, weil ein Teil der Flüssigkeit aufgrund der Eile, mit der ich sie verschluckt hatte, in meiner Luftröhre gelandet war.

»Alles in Ordnung?« Das Grinsen verschwand von Michaels Gesicht und machte einem besorgten Ausdruck Platz. »Soll ich dir auf den Rücken klopfen.«

Ich winkte jedoch ab. »Geht schon wieder«, sagte ich mit rauer, erstickt klingender Stimme, und räusperte mich mehrmals laut. »Mach so etwas bloß nie wieder, verstanden? Keine Scherze, wenn ich den Mund voller Kaffee habe!«

Er nickte mit gespielt reumütiger Miene. »Versprochen! Aber woher kommt dein Interesse an der Berchtold? Leitet sie etwa die Ermittlungen aufgrund der Morde an deinen Eltern?«

»Adoptiveltern, um genau zu sein!«, korrigierte ich mit erhobenem Zeigefinger. Es lag mir viel daran, auf diesen entscheidenden Unterschied hinzuweisen.

»Richtig, Adoptiveltern. Entschuldige!«

Mit einer huldvollen Handbewegung nahm ich seine Entschuldigung an. »Ist eigentlich noch Kaffee da?«, fragte ich dann allerdings, bevor ich seine Frage beantwortete, weil meine Tasse leer war und meine Kehle sich noch immer rau und kratzig anfühlte.

»Natürlich.« Er stand auf und holte die Kaffeekanne aus der Küche. Nachdem er mir nachgeschenkt und die Kanne zurückgebracht hatte, trank ich rasch ein paar Schlucke der inzwischen nicht mehr brühend heißen, aber dennoch aromatischen Flüssigkeit.

Als er aus der Küche zurückkam und sich auf seinen Stuhl setzte, fühlte sich mein Hals schon wieder besser an und ich war bereit, seine Frage zu beantworten.

»Du hast übrigens recht, die Schnappschildkröte leitet die Ermittlungen. Und das Gerede über ihre Hartnäckigkeit und Verbohrtheit ist nicht übertrieben. Rate mal, wen sie verdächtigt, die Dorns ermordet zu haben?«

Er zog die Augenbrauen hoch, nachdem er gedanklich eins und eins zusammengezählt hatte und sich in seinem Verstand vermutlich eine vage Gewissheit herauszukristallisieren begann. »Wenn du schon so fragst, dann würde ich mal frech behaupten, dass Kriminaloberkommissarin Berchtold der festen Überzeugung ist, dass niemand anderes als du deine Adoptiveltern persönlich um die Ecke gebracht hast. Habe ich recht?«

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