Kitabı oku: «GRABESDUNKEL STEHT DER WALD», sayfa 5

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Cora wunderte sich, dass Sascha sich hier so gut zurechtfand. Sie hatte befürchtet, dass er die Stelle möglicherweise gar nicht mehr wiederfand, da sie sich tief im Wald und an einem der unzugänglichsten Stellen befand. Doch Sascha zeigte keine Unsicherheit und zögerte kein einziges Mal.

»Hier kannst du anhalten«, sagte er schließlich. »Von hier müssen wir zu Fuß gehen.«

Cora stoppte den Wagen und stellte den Motor aus. Sofort umfing sie eine so tiefe Stille, dass sie als Stadtmensch im ersten Augenblick erschrocken und verunsichert war, da sie eine derartige Geräuscharmut nicht kannte. Sie schluckte betreten und sah sich um. Doch die Bäume standen hier so dicht, dass man ohnehin nicht weit blicken konnte. Ihr Wagen war an dieser Stelle daher auch gut aufgehoben, da er erst entdeckt werden würde, wenn jemand in unmittelbarer Nähe wäre.

Sascha schnallte sich ab, öffnete die Tür und stieg aus. Die Geräusche, die er dabei erzeugte und die die beinahe schon andächtige Stille zerstörten, hörten sich an diesem Ort falsch und unnatürlich an, weil sie nicht hierher gehörten.

Cora folgte seinem Beispiel. Als sie die Tür zugeschlagen hatte und neben dem Wagen stand, fühlte sie sich, als befände sie sich im Herzen eines verwunschenen Zauberwaldes. Obwohl es gar nicht so kalt war und sie eine Jacke trug, fröstelte sie. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah sich furchtsam um, konnte aber wegen der vielen Bäume nichts sehen.

Der Wald war noch nie ihr Ding gewesen. Vermutlich, weil sie den überwiegenden Teil ihres Lebens in Großstädten verbracht und als Kind mit ihren Eltern nie Ausflüge in den Wald unternommen hatte. Aber auch am Meeresstrand, am Ufer eines Sees oder auf dem flachen Land fühlte sie sich entschieden wohler. Im Wald hingegen überkam sie unwillkürlich ein Gefühl der Beklemmung, als würde etwas Unsichtbares Druck auf ihren Brustkorb ausüben und ihr langsam die Luft aus der Lunge pressen und das Atmen erschweren, während ihr Herz schmerzhaft schnell pochte.

»Cora?«

Sie zuckte erschrocken zusammen und sah Sascha aus großen Augen an. Erst jetzt wurde sie sich wieder seiner Gegenwart gewahr und fand Trost in dem Gedanken, dass sie wenigstens nicht allein hier war, sondern einen Begleiter hatte.

»Alles in Ordnung?«

Sie nickte. »Natürlich. Es …« Sie verstummte und sah rasch hinter sich, als fürchtete sie, etwas könnte sich von hinten anschleichen, wenn sie nicht auf der Hut war. »Es ist nur so still hier. Als Stadtmensch ist man das einfach nicht gewohnt.«

Sascha nickte verständnisvoll. Er sah sich um und seufzte. »Ich bin in einem winzigen Dorf auf dem Land groß geworden und habe als Kind oft im Wald gespielt. Aber manchmal vergesse sogar ich, wie schön und eindrucksvoll es im Wald sein kann.«

Eindrucksvoll ließ sie sich ja noch eingehen. Aber schön? Cora sah sich um. Was sollte hier denn schön sein? Außer doofen Bäumen und Büschen und Fichtennadeln auf dem Boden gab es hier doch nichts. Das einzig Schöne weit und breit war ihr Porsche, aber der sah an diesem Ort absolut deplatziert aus, wie eine Requisite aus dem falschen Film.

Sie schüttelte den Kopf, denn für irgendwelche angeblichen Naturschönheiten hatten sie jetzt absolut keine Zeit. Und sie sollte sich besser zusammenreißen und von der ungewohnten Umgebung nicht beeinflussen lassen. Schließlich waren sie nicht zum Spaß hier, sondern hierhergekommen, um etwas zu erledigen. Und je eher sie das taten, desto früher konnten sie logischerweise auch wieder von hier verschwinden.

»Wo ist das Grab?« Es erschien ihr merkwürdig, es weiterhin als Grab zu bezeichnen, solange die Möglichkeit bestand, dass Markus gar nicht darin lag und tot war, sondern im Gegenteil lebendig genug, um Ladendiebstähle zu begehen und sich dabei erwischen zu lassen. Andererseits hätte es sein Grab werden sollen, deshalb sah sie auch nichts Falsches darin, es weiterhin so zu nennen.

Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, wie widersinnig es war, dass ein Mann, der bis vor Kurzem in einer Villa gelebt und mehrere teure Autos sein Eigen genannt hatte, in einem Laden Diebstähle begehen musste, um nicht zu verhungern. Wenn er allerdings tatsächlich das Gedächtnis verloren hatte, dann konnte er sich natürlich auch nicht mehr daran erinnern, dass er eigentlich vermögend genug war, um sich so ziemlich alles kaufen zu können.

»Wir müssen in diese Richtung«, sagte Sascha und zeigte nach rechts.

Cora folgte dem Fingerzeig mit den Augen und sah, dass in dieser Richtung mehr Büsche wuchsen und das Unterholz dichter wurde. Zweifellos hatte Sascha den Ort gerade deshalb ausgesucht. Dennoch fragte sie sich, ob sie für diese Umgebung überhaupt richtig gekleidet war. Aber daran konnte sie jetzt auch nichts mehr ändern. Wenigstens hatte sie keine hohen Absätze, sondern flache Schuhe an.

»Okay«, sagte Cora und straffte sich. Sie würde sich von diesem Wald nicht einschüchtern lassen, egal, wie sehr er es auch versuchte. Es war schließlich nur ein Ort wie jeder andere auch, nur mit dem einzigen Unterschied, dass hier wesentlich mehr Bäume wuchsen, und konnte ihr nichts tun. »Geh voraus. Ich folge dir.«

Sascha nickte mit verkniffener Miene, und Cora konnte seine Gedanken in seinem Gesicht ablesen. Zweifellos wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie vor ihm hergegangen wäre, sodass er ständig auf ihren Hintern hätte starren können. Aber schließlich waren sie nicht zu ihrem Vergnügen hier.

Endlich setzte sich Sascha in Bewegung und marschierte los. Unter seinen Sohlen knackten dürre Äste und knirschten die Fichtennadeln, die seit Jahren von den Bäumen gefallen waren und einen dichten Teppich bildeten.

Cora fiel auf, dass die einzigen Geräusche in diesem Teil des Waldes von ihnen stammten. Erneut, dieses Mal sogar noch intensiver, fühlte sie sich wie ein Eindringling, der an einen Ort gekommen war, an den er nicht gehörte und wo er nicht willkommen war.

Sie sah sich um und hatte das Gefühl, die Bäume wären näher gerückt, während sie nicht auf sie geachtet hatte. Doch das war natürlich blödsinnig. So wie all die anderen irrationalen Gedanken, seit sie aus dem Auto gestiegen war.

Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie auf diese Weise ihre Ängste loswerden, was ihr allerdings nicht vollständig gelingen wollte. Dann lief sie los, um Sascha zu folgen und nicht den Anschluss zu verlieren.

4

Cora schwitzte und fragte sich, wann sie das Grab endlich erreichten. Sie hatte das Gefühl, als würden sie schon ewig durch den Wald marschieren, über dichtes Unterholz steigen und sich zwischen dornigen Büschen hindurchzwängen. Doch als sie einen Blick auf ihre Armbanduhr warf, stellte sie fest, dass erst wenige Minuten vergangen waren, seit sie losgelaufen waren. Vermutlich hätte sie von hier aus sogar ihren Wagen sehen können, wenn es nicht so viele Bäume gegeben hätte und diese nicht so dicht beieinandergestanden hätten.

Sie hob die Hand und kratzte sich am Nacken. Ständig hatte sie das Gefühl, winzig kleine Tierchen würden auf ihr herumkrabbeln, und das trieb sie beinahe in den Wahnsinn. Kein Wunder, dass sie nicht gern im Wald war, wenn es hier so ungemütlich zuging.

Sie öffnete den Mund, um Sascha wie ein quengelndes Kind auf der Rückbank zu fragen, wann sie endlich da wären, als dieser so abrupt vor ihr stehenblieb, dass sie beinahe in ihn hineingelaufen wäre. Sie konnte gerade noch rechtzeitig stoppen, ging dann um ihn herum und folgte seinem fassungslosen Blick.

Sie standen vor einer Lichtung, die nicht mehr als acht Meter im Durchmesser maß und vom Sonnenlicht wie mit einem Spotlight ausgeleuchtet wurde, als wäre sie Teil eines Filmsets. Genau im Zentrum der Lichtung waren sowohl der Teppich aus Kiefernadeln als auch die Erde darunter aufgewühlt und zur Seite geschoben worden, als hätte sich dort etwas mit den eigenen Händen aus der Tiefe nach oben gegraben.

»Ach du Scheiße!«, sagte Sascha mit einiger Verzögerung, als hätte der Anblick eine Weile gebraucht, um nicht nur visualisiert, sondern in seinem Kopf auch realisiert und weiterverarbeitet zu werden. »Das gibt’s doch nicht.«

Cora nickte, denn das gab es sehr wohl, wie sie mit eigenen Augen sehen konnten. Schließlich hatte es von Anfang an nur zwei Möglichkeiten gegeben, was sie hier vorfinden würden. Entweder war das Grab leer und Markus’ Körper verschwunden, was bewies, dass er noch am Leben und in Regensburg aufgetaucht war und darüber hinaus tatsächlich das Gedächtnis verloren hatte. Oder das Grab war unberührt und Markus wirklich tot. Das wiederum hätte bedeutet, dass entweder der Mann aus Regensburg ein Betrüger war oder die Ermittlerin sie angelogen hatte, um sie hereinzulegen. Sie wusste nicht, welcher dieser beiden Alternativen sie den Vorzug gegeben hätte, doch sie konnte, wenn es denn sein musste, mit beiden leben, da jede ihre eigenen Vor- und Nachteile hatte.

Sie trat vorsichtig auf die Lichtung, als könnte es hier vergrabene Landminen geben, und ging dann neben der aufgewühlten Erde in die Hocke. Man konnte erkennen, dass hier ein menschlicher Körper begraben gewesen war. Die charakteristischen Umrisse waren noch immer zu einem Teil sichtbar. Doch dann musste derjenige erwacht sein und sich freigegraben haben, wobei er die Erde, die ihn bedeckt hatte, einfach mit bloßen Händen von sich herunter und zur Seite geschaufelt hatte. Dies konnte nicht lange nach dem Zeitpunkt geschehen sein, an dem Sascha den Körper, den er für tot gehalten hatte, hier begraben hatte, denn andernfalls wäre der Mann erstickt.

Der Mann?

Cora seufzte, denn es wurde Zeit, dass sie die Dinge beim Namen nannte und der Realität ins Auge sah.

Es war Markus gewesen, der Mann, mit dem sie seit vielen Jahren verheiratet war, der sich hier aus der Erde gewühlt hatte. Cora stellte sich sein Entsetzen vor, als er in einem Grab im Waldboden zu sich gekommen und von all der Erde bedeckt gewesen war, und erschauderte. Sie hatte zwar keine Probleme damit, ihren Mann umbringen zu lassen, doch so etwas wünschte sie nicht einmal ihrem ärgsten Feind, geschweige denn dem Mann, den sie geheiratet hatte. Sie fragte sich, ob Markus sofort realisiert hatte, wo er sich befand. Schließlich hatte er das Gedächtnis verloren und nicht gewusst, was geschehen war. Oder war erst der Schock, lebendig begraben worden zu sein, der Auslöser für die Amnesie gewesen? Egal, denn irgendwie war es ihm auf jeden Fall gelungen, sich freizuschaufeln, was bestimmt nicht möglich gewesen wäre, wenn Sascha ihn etwas tiefer begraben hätte.

Cora merkte, dass sie vor Wut mit den Zähnen knirschte, und zwang sich, damit aufzuhören.

»Ich dachte wirklich, er wäre tot«, meldete sich wie aufs Stichwort Sascha zu Wort.

»War er aber nicht!«, versetzte Cora giftig und richtete sich wieder auf. Sie wandte sich um und sah ihren Liebhaber, den sie im Moment allerdings gar nicht mehr so lieb hatte, sondern am liebsten erwürgen wollte, mit funkelnden Augen zornig an. »Und wenn du ihn tiefer begraben hättest, dann hätte er sich auch nicht befreien können.« Schon allein die Vorstellung war schrecklich, doch sie verdrängte ihr Entsetzen. Schließlich hätten sie dann ein riesengroßes Problem weniger. Und letztendlich kam es eigentlich nur darauf an, oder etwa nicht?

»Immer gibst du mir an allem die Schuld«, sagte Sascha mit weinerlicher Stimme und verzog beleidigt das Gesicht.

Cora riss die Augen auf und starrte ihn so verblüfft an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. »Wie bitte? Wem, meinst du denn, sollte ich sonst die Schuld geben?« Sie sah sich demonstrativ nach allen Seiten um. »Sonst sehe ich hier nämlich niemanden.«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht.«

»Eben. Ich nämlich auch nicht. Aber was soll’s? Ändern können wir daran eh nichts mehr.« Ihr Zorn verrauchte ein wenig, bis er nur noch ein Glutnest in den Tiefen ihres Bewusstseins war, das allerdings weiter vor sich hin schwelte.

Sascha warf einen Blick auf die aufgewühlte Stelle, an der er ihren Mann begraben hatte, und schauderte sichtbar. Rasch hob er den Blick und sah sie an. »Hör zu, Cora! Es tut mir leid, dass ich Mist gebaut hab.« Er kam näher und legte seine großen Hände auf ihre Schultern, sodass es nun sie war, die erschauderte. »Ich … ich werde es wiedergutmachen, das verspreche ich dir. Egal, was du auch verlangst, ich tu’s. Hauptsache, du vergibst mir, und zwischen uns ist wieder alles gut.«

Er senkte den Kopf und küsste sie auf die Stirn, während seine Hände langsam von ihren Schultern zu ihren Brüsten wanderten. Für einen Moment gab sich Cora seinen Zärtlichkeiten hin, schließlich hatte sie drei lange Monate komplett darauf verzichten müssen. Doch dann wurde ihr wieder ihre Umgebung bewusst. Dabei war es weniger der Umstand, dass sie neben der Grube standen, die zum Grab ihres Mannes hätte werden sollen, der sie irritierte, sondern eher der Wald, in dem sie standen. Inmitten all dieser Bäume und in dieser widernatürlichen Stille konnte sie sich einfach nicht entspannen. Außerdem musste sie Pläne schmieden, was mit Markus geschehen sollte.

Sie hatte schon längst beschlossen, dass ihr Mann früher oder später sterben musste, bevor er seine Erinnerungen zurückbekam. Früher wäre ihr natürlich entschieden lieber gewesen, allerdings durften sie auch nichts überstürzen, um die Polizei nicht misstrauisch werden zu lassen. Außerdem musste es wie ein Unfall aussehen, sodass sein Tod keinen Verdacht erregte.

Nach allem, was Sascha bei seinem ersten Versuch, Markus ins Jenseits zu befördern, verbockt hatte, hatte Cora Bedenken, ihn erneut einzusetzen. Doch was waren ihre Alternativen? Sie konnte es entweder selbst tun oder nach jemand anderem suchen, der die Drecksarbeit für sie erledigte. Doch beide Möglichkeiten bargen unkalkulierbare Risiken. Deshalb war es vermutlich am besten und einfachsten, wenn sie erneut auf Sascha zurückgriff. Schließlich hatte er soeben angeboten, alles für sie zu tun, solange sie ihm nur sein Versagen verzieh. Außerdem hatte sie mit den Videoaufnahmen, die ihn bei einem Mordversuch zeigten, noch immer ein Ass im Ärmel, das sie nötigenfalls ausspielen konnte, um ihn an die Kandare zu nehmen. Sie musste nur dafür sorgen, dass er beim nächsten Mal alles richtig und keine Fehler mehr machte.

Sascha drängte sie rücklings gegen einen der Baumstämme, die die Lichtung säumten. Er atmete schwer, während er mit einer Hand durch den Stoff hindurch ihre linke Brust knetete und mit der anderen ihre rechte Pobacke umfasste, die locker in seine Handfläche passte. Er ging leicht in die Knie und küsste sie.

Cora erwiderte den Kuss, allerdings nur halbherzig, da sie nicht hundertprozentig bei der Sache war. Sie überlegte noch immer, wie sie Markus durch einen Unfall töten konnten. Einerseits durfte sein Tod keinen Verdacht erregen, andererseits musste der Plan möglichst einfach und narrensicher sein, damit Sascha damit zurechtkam.

Sascha presste sich gegen sie, und Cora spürte, dass sich sein Glied versteift hatte. Er nestelte an ihrer Bluse, um sie aufzuknöpfen. Sah so aus, als wollte er mit ihr hier eine schnelle Nummer im Stehen schieben.

Wurde Zeit, dass sie der Sache einen Riegel vorschob. Normalerweise wäre sie nach der dreimonatigen Enthaltsamkeit einem Quickie nicht abgeneigt gewesen, doch hier und jetzt war nicht nur der falsche Zeitpunkt, sondern auch der absolut falsche Ort dafür. Und das lag nicht allein an der Grabgrube neben ihnen, die für ihren Mann bestimmt gewesen war.

Sie war sich die ganze Zeit über des Waldes um sie herum bewusst, als würden die Bäume ihr Tun missbilligen und sie belauern. Cora wusste zwar, dass es sich dabei um Hirngespinste und bloße Einbildung handelte, doch diese Einsicht half ihr auch nicht, ihr Unbehagen zu verdrängen.

Sascha musste ihren Widerwillen gespürt haben, denn trotz seiner eindrucksvollen Erscheinung war er alles andere als ein grober Klotz, sondern überraschend sensibel.

»Was ist los?«

»Ich kann nicht!«, sagte Cora, legte ihre Handflächen auf seinen muskulösen Brustkorb und drückte ihn von sich. »Nicht hier!«

Im ersten Moment leistete er Widerstand und bewegte sich keinen Millimeter von der Stelle. Doch dann nickte er und wich zurück. »Verstehe.« Er warf einen Blick auf die Grube im Mittelpunkt der sonnenbeschienenen Lichtung. »Tut mir leid.«

Cora ließ ihn in dem Glauben, es läge nur daran. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, als wäre ihr kalt, und löste ihren Rücken von der rauen Rinde des Baumstamms. »Tut mir auch leid. Aber es wird für uns bessere Gelegenheiten und Orte geben.«

Sascha nickte. »Und was hast du jetzt vor?«

Cora ahnte, was er damit meinte, stellte sich jedoch dumm. »Was meinst du damit?« Hinterher konnte sie wenigstens wahrheitsgemäß behaupten, die Idee stammte ursprünglich von ihm.

»Mit deinem Mann, meine ich.«

Cora zuckte mit den Schultern. Am liebsten wäre sie jetzt, nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass das Grab leer war, auf der Stelle von hier verschwunden, um so schnell wie möglich zurück in die Zivilisation zu kommen, doch vorher mussten sie klären, was nun geschehen sollte. Und dafür war dieser Ort wegen seiner Abgeschiedenheit wie kein zweiter geeignet. »Irgendeine Idee?«, fragte sie, als wäre er derjenige, der immer die besten Ideen hatte und Pläne schmiedete.

»Töten wir ihn eben einfach noch einmal. Nur mit dem Unterschied, dass ich es dieses Mal besser machen und mich anschließend mit allen möglichen Methoden davon überzeugen werde, dass er auch garantiert hinüber ist.« Der Plan war so einfach gestrickt wie sein Verstand, aber eben auch ebenso fehlerhaft.

Cora schüttelte den Kopf. »Das wird nicht funktionieren.«

»Warum nicht? Beim nächsten Mal gehe ich auf Nummer sicher, checke, dass er auch wirklich mausetot ist, und begrabe ihn so tief, dass er sich nicht einmal mit einem Bagger wieder freischaufeln könnte.«

Cora musste unwillkürlich lachen. »Darum geht es doch gar nicht.«

»Worum dann?«

»Was glaubst du denn, was die Behörden – allen voran die Tussi von der Vermisstenstelle – davon halten, wenn Markus innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Mal spurlos verschwindet?«

Er legte die Stirn in Falten, während er intensiv nachdachte. »Verstehe«, sagte er dann und nickte. »Sie würden natürlich misstrauisch werden.«

»Eben.« Cora seufzte besonders laut, als wären die Probleme, denen sie sich gegenübersahen, unüberwindlich.

»Heißt das, dass wir dann gar nichts unternehmen werden? Aber was wird dann aus uns beiden, wenn Markus wieder da ist? Und was, wenn er sich plötzlich wieder daran erinnert, was passiert ist?«

Cora zuckte mit den Schultern. »Ich war ja nicht da, als es passierte. Deshalb wird er mich nicht verdächtigen.« Sie sah Sascha fragend an und gab sich ahnungsloser, als sie war. »Was ist mit dir? Hat er dein Gesicht gesehen?«

Er schüttelte den Kopf und hob in einer abwehrenden Geste beide Hände. »Natürlich nicht! Ich hab es genauso gemacht, wie du sagtest, und mir die Kapuze dieses Pullis über den Kopf gezogen, damit er mein Gesicht nicht sieht.« Er zupfte dabei am Stoff des Kapuzenpullis, den er trug. »Außerdem hab ich ihn von hinten angegriffen und gewürgt, sodass er mich erst gar nicht zu Gesicht bekommen hat.«

»Gut gemacht«, lobte Cora ihn lächelnd. »Hoffen wir, dass das reicht. Dann kann uns nämlich nichts passieren, falls er tatsächlich seine Erinnerungen zurückbekommt.«

Sascha hatte bei ihrem Lob zu grinsen angefangen, doch das Grinsen zerfiel bei ihren nächsten beiden Sätzen. »Was soll das heißen: Hoffen wir, dass das reicht

»Na ja«, sagte sie zögerlich, seufzte und senkte den Blick, während sie ihre Schuhspitze in den Fichtennadelteppich bohrte. »Ich will dich ja nicht unnötig beunruhigen, Sascha. Aber wie wir gerade festgestellt haben …« Sie wies mit der Hand auf das aufgewühlte Grab, um seine Aufmerksamkeit darauf zu lenken. »… ist Markus gar nicht tot. Also hat er sich vielleicht die ganze Zeit nur tot gestellt, als du ihn hierher gebracht, das Grab ausgehoben und ihn schließlich vergraben hast. Währenddessen hat er dich also möglicherweise aufmerksam beobachtet und sich alles eingeprägt: deine Körpergröße, deine Statur, die Größe deiner Hände, wie du dich bewegst, einfach alles. Und sobald du dem Grab den Rücken gekehrt hattest, hat er sich wieder ausgebuddelt.«

»Aber du sagtest doch, dass er die Erinnerung verloren hat.«

»Ja. Zumindest erzählte mir das die Kommissarin von der Vermisstenstelle. Aber möglicherweise trat dieser Erinnerungsverlust bereits ein, als du ihn gewürgt und beinahe umgebracht hast. Der Schock, als er fast gestorben wäre, muss ihn seiner Erinnerungen beraubt haben, sodass er nicht mehr wusste, wer er war und wo er wohnte. Was danach passierte, weiß er aber möglicherweise noch ganz genau. Er wusste bislang nur nicht, wo er nach seinem Beinahe-Mörder Ausschau halten sollte.«

»Aber wenn er wieder nach Hause kommt und seine Erinnerungen zurückerhält, dann weiß er es wieder«, ergänzte Sascha tonlos.

Cora nickte mit todernster Miene. Viel besser hätte sie es auch nicht ausdrücken können.

»Dann können wir nicht tatenlos bleiben und einfach darauf warten, dass er sich wieder erinnert«, sagte Sascha.

»Was schlägst du dann vor? Schließlich ist es …« Cora zögerte kurz, als wollte sie so ihr Bedauern darüber ausdrücken. »… in erster Linie dein Problem.«

Sascha nickte. »Ja. Du hast recht. Aber du hilfst mir doch, oder?«

»Natürlich, keine Frage. Wir lösen dein Problem gemeinsam. Fragt sich nur, wie wir es anstellen sollen, Markus zu töten, ohne dass jemand misstrauisch wird und uns verdächtigt.« Sie tat so, als würde sie intensiv darüber nachdenken, und fragte sich, wann Sascha endlich selbst darauf kam. Noch deutlicher konnte sie nämlich kaum werden, ohne es direkt auszusprechen.

»Ich hab’s«, sagte Sascha plötzlich und grinste breit.

Na endlich!, dachte Cora.

»Wir könnten es doch einfach wie einen Unfall aussehen lassen.«

»Hervorragende Idee«, sagte Cora sofort und nickte. »Ja, das könnte tatsächlich klappen.«

»Echt jetzt?«

»Ja. Natürlich muss es vollkommen überzeugend wirken. Und du darfst dir dieses Mal keinen einzigen Fehler erlauben! Hast du verstanden?«

»Natürlich.« Sascha nickte eifrig. Er war jetzt Feuer und Flamme. Und Cora glaubte sogar, dass er ihr zutiefst dankbar war, weil sie ihm aus der Bredouille half. Was für ein Idiot er doch war? Ein gutaussehender Idiot mit einem tollen Körper zwar, aber nichtsdestotrotz ein Idiot. Und darüber hinaus ein nützlicher Idiot, denn in Wahrheit tat nicht sie ihm einen Gefallen, sondern er durfte sich an ihrer Stelle wieder einmal die Hände schmutzig machen und im Notfall als Sündenbock herhalten.

»Und wie stellen wir es an?«, fragte er. Er war zwar fast von selbst darauf gekommen, dass sie einen Unfall inszenieren mussten, doch wie es von da an weiterging, wusste er natürlich nicht.

»Zunächst müssen wir uns in Geduld üben.«

»Warum?« Der Gedanke, nach der dreimonatigen Funkstille noch länger warten zu müssen, um wieder mit Cora zusammen zu sein, schien ihm nicht besonders zu gefallen.

»Weil es zu auffällig wäre, wenn Markus allzu bald nach seinem Wiederauftauchen plötzlich einen überraschenden Unfalltod erleidet. Da würde jeder Polizist sofort misstrauisch werden und noch penibler als sonst ermitteln, selbst wenn der Unfall absolut überzeugend inszeniert sein sollte. Außerdem weiß ich momentan noch gar nicht, wie wir es anstellen sollen. Aber der Plan muss absolut wasserdicht sein, denn ein weiteres Versagen können wir uns nicht leisten.«

»Wie wäre es mit einem Autounfall?«

Cora schüttelte jedoch augenblicklich den Kopf. »Dafür kennen wir beide uns zu wenig mit Autos aus. Oder weißt du, wie man ein Fahrzeug manipulieren muss, damit der Fahrer einen tödlichen Unfall erleidet?«

Sascha verneinte stumm und presste betreten die Lippen aufeinander.

»Eben. Und wenn wir einfach nur die Bremsschläuche durchschneiden, wäre das zu offensichtlich. Aber wie schon gesagt, dürfen wir die Sache ohnehin nicht übers Knie brechen. Aus diesem Grund haben wir ausreichend Zeit, uns etwas zu überlegen. Ich schlage daher vor, dass wir fürs Erste wieder zurück nach München fahren. Hier …« Sie deutete auf die winzige Lichtung. »… können wir ohnehin nichts mehr tun.«

»Wie du meinst.« Sascha wandte sich ab, um erneut voranzugehen.

»Warte!«, sagte Cora, der soeben noch etwas eingefallen war.

»Was denn?«, fragte Sascha und drehte sich wieder um, um sie anzusehen.

»Was hast du eigentlich mit Markus’ Handy gemacht?« Um nicht zu verraten, dass sie auf der Videoaufnahme gesehen hatte, wie Sascha es aufgehoben und eingesteckt hatte, dachte sie sich eine Lüge aus. »Ich konnte es nach seinem Verschwinden nirgendwo im Haus finden.«

Sascha deutete, ohne zu zögern, auf die Grabgrube. »Ich habe es in seine Hosentasche gesteckt, bevor ich mit dem Buddeln angefangen habe, und es dann zusammen mit ihm begraben.«

Cora folgte der Richtung, in die er wies, mit den Augen und blickte nachdenklich auf den aufgewühlten Waldboden. Dann hatte Markus das Handy also bei sich gehabt, als er sich aus der Erde befreit hatte. Aber warum hatte er es dann nicht dazu benutzt, um festzustellen, wie er heißt und wer er ist? Dann fiel ihr ein, dass er vermutlich auch den PIN-Code vergessen hatte. Deshalb hatte er keinen Zugriff auf die Daten gehabt, die im Gerät gespeichert waren. Anschließend hatte er das nutzlose Handy vermutlich weggeworfen oder verloren.

»Können wir jetzt gehen?«

Saschas Frage riss Cora aus ihren Überlegungen. Sie wandte sich ihm zu und nickte. »Klar. Lass uns von hier verschwinden.«

Er drehte sich um und marschierte los.

Cora sah sich noch einmal um. Erneut fröstelte sie, als sie die Bäume ansah, die sie wie stumme Wächter umzingelten. Erneut fühlte sie sich von etwas Unsichtbarem und Unfassbarem belauert und beobachtet. Und die Stille, die nur von Saschas sich entfernenden Schritten unterbrochen wurde, zerrte zusätzlich an ihren Nerven und ließ sie frösteln.

Es schüttelte sie erschaudernd, bevor sie loslief und sich beeilte, zu Sascha aufzuschließen. Dennoch spürte sie weiterhin ein Kribbeln im Nacken, als würden unsichtbare Augen ihren Weg verfolgen. Sie würde mindestens drei Kreuze schlagen, wenn sie endlich wieder in ihrem Wagen saß und diesen verfluchten Wald hinter sich lassen konnte.

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