Kitabı oku: «INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Eins», sayfa 3
Und wie sollte er gegen den Dämon ankämpfen, verletzt und ohne Waffe? Ihn vernichten zu wollen, war von vornherein ausgeschlossen. Man konnte ihn allenfalls austreiben und in die Schwefelklüfte zurückschicken, aus denen er durch die Beschwörung hervorgekrochen und in unsere Welt gekommen war. Michael hatte während seiner Ausbildung zwar Grundlagen des Exorzismus gelernt, doch das genügte beileibe nicht, um einen Dämon auszutreiben. Hierfür war wenigstens ein gut ausgebildeter und erfahrener Exorzist erforderlich.
Während der Besessene eine Dämonenaustreibung in der Regel lebend überstand, gab es noch eine andere Möglichkeit, die weniger Rücksicht auf den Gastkörper nahm, den sich der Dämon ausgesucht hatte, aber rascher zum Erfolg führte: Man musste den Besessenen töten. Michael wurde klar, dass er den Mann hätte erschießen sollen, als er seine Pistole noch in der Hand gehalten hatte. Der Dämon hätte den sterbenden und damit nutzlosen Körper gezwungenermaßen verlassen müssen. Aber als Michael noch im Besitz seiner Waffe gewesen war, hatte er sich darauf verlassen, diese notfalls noch immer abfeuern zu können. Er hatte impulsiv gehandelt und gedacht, den Dämon mit dem geweihten Kreuz in seine Schranken weisen zu können. Ein folgenschwerer Irrtum, wie er auf schmerzhafte Art erfahren hatte. Und als Folge dieses Fehlers lag die Automatik in einer dunklen Ecke des Zimmers, unerreichbar für ihn. Und er hatte keine andere Waffe bei sich, da er in diesem Haus mit einem Haufen schwacher Hexen und geringer Gegenwehr gerechnet hatte.
Wahrscheinlich wäre er besser dran, wenn er das Schicksal des kürzlich verstorbenen Kai Weber teilen könnte, der unmittelbar hinter ihm lag, das Mordwerkzeug, das seinem Leben ein Ende gesetzt hatte, noch in der Brust.
In Gedanken sah er das makabre Bild des Leichnams erneut vor sich. Und wie beim Heranzoomen mit einer Filmkamera in einem Spielfilm wurde der Dolchgriff im Zentrum größer und größer, während gleichzeitig die Umgebung unscharf wurde und in den Hintergrund trat, bis die Waffe das gesamte Bild ausfüllte.
Eine vage, wenngleich verzweifelte Idee begann sich in Michaels Verstand zu formen.
Als der Dämon von Neuem näher herankam und sich zu ihm herunterbeugte, zuckte Michael erschrocken zusammen und kroch panisch ein Stück zurück. Dadurch kam er auf dem Toten und sein rechter Arm quer über dessen Brustkorb zu liegen.
Der Besessene griff nach Michaels Hals und umschloss ihn mit festem Griff. Mit einer Kraft, die man ihm aufgrund der Schmächtigkeit des Körpers beileibe nicht zugetraut hätte und die dem dämonischen Geist in seinem Inneren innewohnen musste, zog er Michael Gesicht näher an das eigene heran und blies ihm seinen schwefelsauren Atem ins Gesicht. »Es wird Zeit, dass du dich entscheidest, Sohn. Meine Zeit an diesem Ort ist knapp bemessen, und meine Geduld hat enge Grenzen. Ich warne dich daher ein allerletztes Mal: Wähle den richtigen Weg! Nämlich den Weg, der dir aufgrund deiner Abstammung vorherbestimmt war!«
Der Inquisitor schloss die Augen, als würde er sich widerstrebend und verzweifelt in ein längst besiegeltes Schicksal fügen. Er stöhnte und verzog das Gesicht. Nicht nur die Schmerzen im Brustraum und im linken Arm und der üble Mundgeruch seines Gegners machten ihm zu schaffen. Auch die Muskeln seines rechten Arms schmerzten, als er diesen in unnatürlicher Weise verdrehte, um blind nach dem Griff des Dolchs in Kais Brust zu tasten. Als sich seine Finger um das kühle Material schlossen, stieß er ein erleichtertes Seufzen aus. Er öffnete die Augen, um in die mittlerweile wie die heißeste Glut des Höllenfeuers glimmenden Pupillen seines Gegners zu blicken, die erwartungsvoll auf sein Gesicht gerichtet waren und nicht sahen, was Michaels rechte Hand derweil tat.
»Du willst meine Entscheidung hören, Vater?«
Der Besessene nickte, während die Vorboten eines siegessicheren Grinsens seine Mundwinkel nach oben kräuseln ließen.
»Hier hast du meine Antwort! Doch sie wird dir nicht gefallen, DÄMON …«
Michael hatte das Messer verstohlen aus der Brust des Toten gezogen und den Arm gedreht. Nun stieß er ihn mit all seiner Kraft nach vorn, noch während er sprach.
Dem Dämon schwante noch, dass absolut Unerwartetes geschah, denn seine Augen weiteten sich und ihr unirdisches Glühen flackerte wie eine defekte LED-Lampe. Doch mehr konnte die Höllenkreatur trotz all ihrer Reaktionsschnelligkeit, die sie schon einmal demonstriert hatte, nicht tun.
Die lange, dünne Klinge des Opfermessers wurde rechts in den Hals des Mannes getrieben und durchbohrte die heftig pochende Schlagader und die Kehle. Der Mund des Besessenen klappte mehrmals auf und zu wie bei einem Fisch auf dem Trockenen, doch kein einziger Laut kam heraus, während der Inquisitor gleichzeitig heftig am Griff des Dolches zerrte und den Hals von rechts nach links mit brutaler Gewalt aufschlitzte. Erst als das vollbracht war, kam ein kaum hörbares Röcheln aus der durchtrennten Luftröhre, begleitet von einem pestilenzartigen Atemhauch. Wie ein Sturzbach ergoss sich warmes Blut aus der klaffenden Wunde auf Michaels Brust, bevor der Besessene leblos zusammenbrach.
Der Inquisitor spürte, wie ein eisiger, nach Hölle und Verdammnis stinkender Windstoß nah an seinem Gesicht vorbeisauste, als der Dämon den toten Körper verließ wie eine Ratte das sinkende Schiff und in die Hölle zurückkehrte. Ein infernalisches Heulen begleitete das Ausfahren und verhallte rasch in der Ferne.
Michael schob den Leichnam zur Seite, sodass er nicht mehr schwer auf seiner schmerzenden Brust lastete, sondern mit einem dumpfen Laut neben ihm zu Boden fiel. Das blutverschmierte Opfermesser entglitt seinen Fingern und landete klirrend auf dem Parkett.
Schwer atmend ließ Michael den Kopf zurücksinken. Mit seiner zu gleichen Teilen aus purer Verzweiflung und der arroganten Nachlässigkeit des Dämons geborenen Aktion hatte er geschafft, was er anfangs für ausgeschlossen gehalten hatte: Er hatte den Dämon vertrieben. Dadurch hatte er sich nicht nur eine Verschnaufpause verschafft, sondern auch – wichtiger noch – den Plan der Höllenkreatur durchkreuzt. Aber was würden die Luziferianer tun, nachdem ihr dämonischer Meister verschwunden war? Michael glaubte nicht, dass sie ihn einfach ziehen lassen würden. Wahrscheinlich hatten sie nur noch nicht bemerkt, dass ihr Boss zur Hölle gefahren war.
Michael ahnte, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Und die musste er bestmöglich nutzen, bevor da draußen jemand ungeduldig wurde und auf die Idee kam, die Tür einzutreten und nach dem Rechten zu sehen.
Er tastete unbeholfen nach dem Mobiltelefon in seiner Jackentasche und hoffte, dass er es bei der Auseinandersetzung nicht verloren hatte. Zum Glück war es noch da und intakt geblieben. Er hielt sich das Display dicht vors Gesicht und aktivierte das Gerät. Erleichtert sah er, dass er wieder eine Verbindung mit dem Netz hatte. Unter Umständen hatte die Anwesenheit des Dämons den Empfang des Handys gestört. Michael tippte mit zitterndem Daumen die Nummer des Bereitschaftsdienstes der Inquisition ein und hatte nach dem zweiten Rufzeichen einen Kollegen in der Leitung. Mit knappen, atemlos geflüsterten Worten schilderte er seine verzweifelte Lage und bat um schnelle Hilfe. Er ließ nicht zu, dass sein Gesprächspartner Zeit mit Nachfragen verschwendete, sondern trennte die Verbindung sofort wieder und steckte das Mobiltelefon ein.
Bis auf seine eigenen leisen Worte hatte seit dem Verschwinden des Dämons im wahrsten Sinne des Wortes Totenstille geherrscht. Damit war es schlagartig vorbei. Von jenseits der Tür waren erste Geräusche zu hören, die ihm ins Bewusstsein riefen, dass ihm in diesem vorgeblichen Hexenhaus nicht nur Tote stumme Gesellschaft leisteten. Ein verstohlenes Huschen und Scharren ertönte. Leise Schritte näherten sich der Tür und verstummten unmittelbar davor, als verharrte dort jemand, legte sein Ohr an das dünne Holz und lauschte aufmerksam.
Michael schluckte schwer. Seine Kehle fühlte sich an wie ausgetrocknet und die Zunge in seinem Mund aufgebläht und rau wie Schmirgelpapier. Er wusste, dass ihm die Zeit davonlief. Die Luziferianer mussten – eventuell aufgrund der unnatürlichen Stille in diesem Raum – misstrauisch geworden sein und bemerkt haben, dass die Situation sich grundlegend verändert hatte. Oder sie spürten instinktiv die Abwesenheit des Dämons. Wie lange würden sie sich noch in Geduld üben, bevor jemand die Initiative ergriff? Michael hoffte, dass sie sich wenigstens so lange Zeit ließen, bis die alarmierten Kollegen eintrafen, doch dafür gab es keine Garantie. Vielleicht konnte er ja selbst für einen zusätzlichen Aufschub sorgen, wenn er seine Automatik wieder in Händen hielt.
Der Inquisitor hob den Kopf und spähte blinzelnd in die Richtung, in der die Glock verschwunden war. Er glaubte, in der dunklen Ecke des Raumes einen schwachen Schimmer wahrzunehmen, den die verbliebenen sechs Kerzenflammen auf dem mattschwarzen Stahl und dem schwarzen Kunststoffgriffstück der Waffe erzeugten. Es musste die Pistole sein, die dort lag. Wenn er an sie herankam, konnte er sich seine Feinde eventuell noch eine Zeit lang vom Leib halten, bevor ihm die Munition ausging. Unter Umständen lange genug, bis die Kollegen ihm zu Hilfe kamen und die Luziferianer gleichzeitig von hinten angriffen.
Er gab sich innerlich einen Ruck, denn je länger er zögerte, desto geringer waren seine Chancen, diesen Ort lebend zu verlassen. Er rollte sich auf den Bauch und stemmte sich langsam hoch, bis er schwer atmend und schweißüberströmt auf dem Boden kniete. Er unterdrückte das laute Stöhnen, das ihm unwillkürlich entschlüpfen wollte, da sein Brustkorb und der Unterarm bei jeder Bewegung heiße Wogen voller Schmerz durch seinen Körper jagten. Aber immerhin hatte er bei der Auseinandersetzung mit dem Dämon keine lebensbedrohlichen Verletzungen erlitten. Die Schmerzen musste er ertragen. Und wenn er die Zähne zusammenbiss, würde er auch die kurze Strecke bis zu seiner Pistole schaffen.
Unter Aufbietung aller Reserven, die sein Organismus zur Verfügung stellen konnte, kam Michael auf die Beine. Doch kaum stand er aufrecht, wurde ihm schwarz vor Augen. Er wankte bedrohlich von einer Seite zur anderen wie ein dünnes Schilfrohr im Wind. Im letzten Moment konnte er sich abfangen, bevor er umfiel und erneut zu Boden krachte. Der Lärm hätte sicherlich seine Gegner alarmiert und zu unverzüglichem Handeln veranlasst. Darüber hinaus bezweifelte der Inquisitor, dass er den soeben gemeisterten Kraftakt noch ein weiteres Mal schaffen würde. Nein, wenn er das nächste Mal am Boden lag, würde er aus eigener Kraft nicht mehr so schnell auf die Beine kommen! Langsam lichtete sich die Dunkelheit vor seinen Augen, und er kniff die Augen mehrmals zusammen, um seinen Blick zu fokussieren.
Während er mit der rechten Hand den verletzten Arm eng an den Körper gepresst hielt, setzte er vorsichtig einen Fuß vor den anderen und schlurfte durchs Zimmer. Es handelte sich um wenige Meter, die er zurücklegen musste. Unter normalen Umständen eine Sache von wenigen Sekunden. Aber in seinem angeschlagenen Zustand kam es ihm wie ein 50-Meter-Lauf vor und strengte ihn schätzungsweise genauso an.
Doch nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er es geschafft.
Im Flur war der Lärmpegel währenddessen enorm angestiegen, als sich wachsende Ungeduld und zunehmende Unruhe unter den Luziferianern weiter ausgebreitet hatten.
Michael befürchtete, das Gleichgewicht zu verlieren, wenn er sich zu seiner Waffe hinunterbeugte. Aus diesem Grund ließ er sich zunächst auf die Knie nieder, setzte sich in der dunklen Ecke auf den Boden und ließ sich mit einem erleichterten Seufzer gegen die Wand sinken. In dieser Position sparte er nicht nur Kraft, sondern war gleichzeitig gegen Angriffe von hinten geschützt.
Als Erstes holte er das Ersatzmagazin aus der Innentasche seiner Lederjacke und legte es zwischen seinen gespreizten Schenkeln auf den Boden, wo er es griffbereit hatte. Anschließend tastete er mit der unverletzten rechten Hand nach seiner Dienstwaffe und hob sie vom Boden hoch. Als sich der Griff der Automatik in vertrauter Weise in seine Handfläche schmiegte, fühlte er sich sofort wohler und zuversichtlicher.
Zehn Patronen befanden sich noch in der Pistole, siebzehn weitere steckten im Ersatzmagazin. Wenn der Lärm der Schritte im Treppenhaus Rückschlüsse auf die tatsächliche Zahl seiner Gegner zuließ, erschien ihm sein Munitionsvorrat nicht im Mindesten ausreichend. Aber immerhin konnte er seine Feinde mit gezielten Schüssen eine Weile auf Abstand halten und vielleicht dazu bringen, vorerst in Deckung und draußen im Flur zu bleiben. Er durfte bloß nicht in Panik geraten, wild drauflos ballern und kostbare Munition vergeuden.
Die ersten Schläge donnerten gegen das Holz der Tür, wurden mit jedem Mal kräftiger und lauter, bis sie wie Donnerschläge durch den Raum hallten und das Türblatt heftig erbeben ließen.
Michael hob die schussbereite Waffe und zielte auf die Tür, die dem wachsenden Druck allmählich nachgab. Eine der Angeln wurde knirschend aus dem Rahmen gerissen, bevor die Tür komplett aufgesprengt wurde, ins Zimmer fiel und krachend auf dem Parkett landete. Durch die verdrängte Luft wurde eine Staubwolke aufgewirbelt und sämtliche Kerzen schlagartig ausgeblasen.
Mit einem Mal wurde es stockfinster.
Damit hatte der Inquisitor nicht gerechnet. Von gezielten Schüssen konnte nicht mehr die Rede sein, denn er sah nichts mehr!
Er hörte jedoch das ohrenbetäubende Schreien und Heulen der Luziferianer, als sie sich durch die schmale Öffnung des Türrahmens zu schieben begannen. Der Inquisitor wagte es nicht, länger zu warten. Er zog den Abzug durch und feuerte Kugel um Kugel in die Richtung, aus welcher der infernalische Lärm seiner Gegner kam. Im regelmäßig aufblitzenden Mündungsfeuer sah er stroboskopartig, wie getroffene Gegner zusammenbrachen, während an ihrer Stelle andere nachdrängten. Und während all dessen betete er stumm, aber eindringlich, dass er möglichst viele Treffer erzielte und seine Kollegen eintrafen, bevor ihm die Patronen ausgingen.
2. Kapitel
In Gedanken zählte der Inquisitor die Schüsse, die er abfeuerte.
Das grelle Mündungsfeuer, das den stockfinsteren Raum jedes Mal wie der Blitz eines Fotoapparates mit Licht erfüllte, erlosch sogleich wieder, doch Michael dienten die lidschlagkurzen Momente blendender Helligkeit zur Orientierung, wohin er die nächste Kugel richten musste.
Zum Glück hatte es bislang noch keiner seiner Angreifer geschafft, in den Raum zu gelangen. In ihrem blinden Eifer und ihrer Wut behinderten sie sich gegenseitig, da jeder versuchte, sich als Erster durch die enge Türöffnung zu zwängen. Und falls es einem von ihnen dennoch gelang, sich vor die anderen zu schieben, wurde er umgehend von einem Schuss aus der donnernden Automatik des Inquisitors gefällt. Aber nicht alle Treffer waren tödlich, da Michael in der totalen Finsternis nach jedem Mündungsblitz nicht so gut zielen konnte, wie er es sich gewünscht hätte. Einige Luziferianer fielen lautlos zu Boden und rührten sich nicht mehr. Andere schrien gellend, sackten zusammen und krümmten sich vor Schmerzen. Die Gefallenen – ob tot oder noch am Leben – behinderten die Nachfolgenden zusätzlich in ihren Bemühungen, das Zimmer zu stürmen, und trugen zusätzlich dazu bei, dass Michael noch nicht von der schieren Masse der Luziferianer niedergewalzt worden war, sondern die Feinde wie auf dem Schießstand einzeln aufs Korn nehmen konnte.
Nachdem Michael die zehnte Kugel gezählt hatte, war das erste Magazin leer, und er musste nachladen. Er behielt den letzten Eindruck, den ihm der Blitz des Mündungsfeuers offenbart hatte, wie ein Nachbild im Gedächtnis, während er das leere Magazin aus dem Griff der Glock gleiten ließ und beiseite warf. Im Dunkeln tastete er blind nach dem vollen Magazin zwischen seinen Schenkeln. Er fand es prompt, da er sich die genaue Position eingeprägt hatte, und schob es in die Automatik, bis es mit einem Klicken, das im ohrenbetäubenden Lärm der Angreifer unterging, einrastete. Er hob die Waffe und betätigte den Abzug, worauf der Schlitten der Waffe nach vorn sauste und die erste Kugel aus dem Magazin in den heißen Lauf schob.
Das Nachladen hatte nur wenige Sekunden in Anspruch genommen. Die kurze Zeitspanne hatte Michael dazu benutzt, die in seinem Verstand gespeicherte Momentaufnahme seiner Gegner eingehender zu betrachten und zu analysieren. Wie auf einem makabren, mentalen Gruppenfoto waren die Luziferianer inmitten ihrer jeweiligen Bemühungen, sich in den Raum zu zwängen, zur Bewegungslosigkeit erstarrt. Die Reglosigkeit der Feinde wirkte gespenstisch, da es nicht zu dem Heulen und Gekreische passte, das weiterhin ertönte und zuvor nur vom Donnern der Pistole durchbrochen worden war.
Auf dem Bild in Michaels Gedächtnis lagen fünf oder sechs Gestalten in einem wirren Haufen ineinander verschlungener Gliedmaßen am Boden. Da es kein bewegtes Bild, sondern eine Momentaufnahme war, war nicht erkennbar, wer von den Gefallenen tot oder noch am Leben war. Doch Michael wusste, dass zwei der gefallenen Angreifer – ein Mann und eine Frau, bei denen es sich seiner Ansicht nach aufgrund ihrer äußeren Erscheinung um eine Hexe und einen Nekromanten handelte – noch lebten. Ein Gestaltwandler mit dem Körper einer Hyäne, den Michael nicht tödlich getroffen hatte, war ein Stück nach links gekrochen, dort zusammengebrochen und verendet. Die gestürzten Angreifer blockierten den Weg für die nachfolgenden.
Ein Magier mit schwarzem Spitzbart und Glatze wurde gegen den linken Türrahmen gepresst, während er die rechte Hand in Michaels Richtung streckte und sich gleichzeitig bemühte, einen Zauberspruch zu wirken. Sein schmerzverzerrtes Gesicht deutete allerdings darauf hin, dass er nicht die notwendige Konzentration aufbrachte. Ein Leopard mit glänzendem, gepunktetem Fell versuchte währenddessen, sich zwischen dem Magier und einem bleichen Zombie mit ausdruckslosem Gesichtsausdruck hindurchzuzwängen. Doch der linke Arm des Untoten, der am Handgelenk in einem blutleeren Stumpf endete und den dieser zur Seite streckte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, bildete eine Barriere, die der Gestaltwandler momentan nicht überwinden konnte. Direkt neben dem Zombie war am rechten Türrahmen eine weitere Kreatur zu erkennen, bei der es sich um einen Ghul handeln musste. Da der Körper eines Ghuls so nachgiebig und weich – und ebenso ekelerregend! – wie der einer Nacktschnecke war, genügte die Lücke, die für jeden anderen zu eng gewesen wäre, dem Leichenfresser, um sich allmählich hindurchzuzwängen. Im Flur hinter diesen vier Angreifern, welche die vorderste Front bildeten, waren weitere Gegner zu erahnen. Doch von den vordersten ging für den Inquisitor die größte Bedrohung aus, da sie als Erste ins Zimmer kommen und ihn auf ihre jeweils eigene Art und Weise attackieren würden, sollte es ihm nicht gelingen, sie vorher auszuschalten.
Beim Nachladen der Waffe hatte Michael erstaunt zur Kenntnis genommen, dass die Schmerzen in seinem Brustkorb und seinem Handgelenk, das er gebrochen geglaubt hatte, mittlerweile stark nachgelassen hatten. Zunächst ging er davon aus, dass er die Schmerzen nicht mehr so stark spürte, weil er sich auf die Auseinandersetzung mit den Luziferianern konzentrieren musste. Doch als er mit der linken Hand das Magazin vom Boden hob und in den Griff der Pistole schob, konnte er die Hand ohne größere Beeinträchtigung und Schmerzen bewegen. Darüber hinaus gelang es ihm, wieder tief durchzuatmen, ohne in seinem Brustkorb mehr als ein schmerzhaftes Ziehen zu verspüren. Auch seine Kräfte hatten sich regeneriert, während die Schwäche, die er nach dem Kampf mit dem Besessenen verspürt hatte, verflogen war. Michael war diese spontane Selbstheilung ein Rätsel. War er gar nicht so schwer verletzt worden, wie er zunächst geglaubt hatte? Allerdings konnte er sich nicht vorstellen, dass er sich derartig gewaltig getäuscht haben sollte, denn auf sein Körpergefühl hatte er sich bisher hundertprozentig verlassen können. Aber er hatte keine Zeit, ausführlich über dieses Mysterium nachzudenken, und verschob die Lösung des Rätsels oder zumindest weiteres erfolgloses Nachgrübeln vorerst auf später, da die kreischenden Gegner, die ihn mehrheitlich wohl am liebsten mit bloßen Händen zerreißen wollten, erneut seine ganze Aufmerksamkeit verlangten.
Durch das Nachladen hatte der Inquisitor kaum Zeit verloren. Er richtete die Mündung wieder in die Richtung, in der sich die Tür mit den Angreifern befand, vergegenwärtigte sich ein letztes Mal das gespeicherte Bild aus seiner Erinnerung und jagte die nächste Kugel an die Stelle, wo er den Ghul vermutete, da es diesem aller Voraussicht nach als Erstem gelingen würde, sich am Türrahmen vorbei ins Zimmer zu zwängen und über ihn herzufallen.
Im grellen Schein des Mündungsfeuers sah Michael seine Vermutung bestätigt, was den Standort des Leichenfressers anging. Die Kugel traf ihn in den Hals, den sie förmlich zerriss. Tödlich getroffen würde der Ghul zusammenbrechen und vergehen, um umgehend vom nächsten Gegner ersetzt zu werden. Doch das konnte Michael schon nicht mehr sehen, sondern nur erahnen, da der Mündungsblitz wieder erloschen war und der Finsternis Platz gemacht hatte.
Doch bevor das Licht komplett verschwunden war, hatte Michael entsetzt bemerkt, dass er sich hinsichtlich eines anderen Aspekts getäuscht hatte. Der Leopard hatte sich vom Arm des Untoten nicht länger aufhalten lassen und war unter diesem hindurchgetaucht. Im Nu hatte er mit drei, vier großen Sätzen die Distanz zu Michael überwunden und sprang ihn von der linken Seite an.
Der Gestaltwandler war so nah, dass dem Inquisitor keine Zeit blieb, die Waffe herumzureißen und auf den Gegner zu feuern. Und so machte er sich auf den mörderischen Aufprall gefasst, mit dem die Bestie ihn treffen würde. Er hatte bereits den überwältigenden tierhaften Gestank in der Nase und hörte das katzenartige Fauchen, als das Monster in der Finsternis auf ihn zusprang.
Jäh wurde es taghell im Zimmer, als ein weiß glühender Strahl gebündelten Feuers durch die Luft loderte wie ein Stoß aus der Düse eines Flammenwerfers. Die feurige Lohe schoss heran, erfasste den Leoparden mitten im Sprung und verwandelte ihn binnen eines Augenblicks in eine lebende Fackel. Der Gestaltwandler kreischte erbärmlich, als die Hitze in Sekundenschnelle sein Fell verschmorte und Haut und Fleisch bis zu den Knochen verbrannte. Sofort verstummte das gequälte Kreischen wieder.
Michael ließ sich blitzschnell nach rechts kippen und rollte zur Seite, sodass das lichterloh brennende, schwarz verkohlte Gerippe ihn verfehlte. Es landete in der Ecke des Zimmers, wo die Flammen weiterhin leise knisternd über die Knochen tanzten und sie verzehrten.
Der Feuerstrahl, der den Gestaltwandler getroffen hatte, war erloschen, doch im Schein des brennenden Skeletts konnte der Inquisitor nach dem Urheber des Feuers Ausschau halten.
Wie sich herausstellte, hatte er nicht nur das Vorankommen des Gestaltwandlers unterschätzt, sondern ignoriert, dass der Magier dadurch genug Bewegungsfreiheit und Konzentration zur Verfügung haben könnte, um seinen Zauberspruch zu wirken. Der vernichtende Flammenstrahl, den der Magier erschaffen hatte, hatte nicht dem Gestaltwandler, sondern dem Inquisitor gegolten. Michael hätte der Lohe nicht ausweichen können und nicht die geringste Chance gehabt, die enorme Hitze zu überleben, nachdem er sein geweihtes Kreuz nicht länger zur Abwehr magisch erzeugter Energien zur Verfügung hatte. Einzig der Angriff des Leoparden, der zu seinem eigenen Unglück zum richtigen Zeitpunkt zwischen Michael und die tödliche Feuersbrunst gesprungen war, hatte ihn gerettet.
Im flackernden Licht konnte Michael den Urheber des fehlgegangenen Zaubers erkennen, der mit vor Erstaunen aufgerissenen Augen auf das brennende Gerippe starrte, als könnte er nicht glauben, dass er dies verursacht hatte. Auch die anderen Angreifer schienen vom grausamen Schicksal ihres Kameraden aus der Fassung gebracht worden zu sein, da sie sekundenlang in der Bewegung erstarrt und verstummt waren. Doch dieser Zustand hielt nicht lange an. Viel zu rasch erholten sich die Luziferianer von dem Schock und warfen sich noch vehementer in die Lücken, die der verendete Ghul und der Gestaltwandler hinterlassen hatten.
Der Zombie war zwei Schritte in Michaels Richtung gestakst, als dieser ihm eine Kugel in die Stirn jagte. Das Projektil sprengte den Schädel und ließ die Fragmente in alle Richtungen fliegen. Den Magier verschonte Michael fürs Erste, da dieser so schnell keinen weiteren Zauber wirken konnte, nachdem der erste so stark gewesen war und wahrscheinlich all seine Kräfte erfordert hatte. Stattdessen tötete Michael in rascher Folge drei weitere Gestaltwandler – einer von ihnen ein riesiger Tiger mit glühenden, bernsteinfarbenen Augen –, eine Kreatur, die wie ein zu groß geratener Kobold aussah, zwei Magier und eine Hexe.
Doch trotz der Tatsache, dass Michael im Schein des langsam niederbrennenden Feuers exakter zielen konnte, feuerte er zwei Schüsse zu überhastet ab, sodass sie fehlgingen. Somit blieben Michael schließlich nur fünf Kugeln übrig, während die Zahl seiner Gegner, die sich im Flur drängten, um ein Vielfaches größer war. Wenn ihm nicht alsbald die alarmierten Kollegen zu Hilfe kamen, würden sie am Ende nur seinen Leichnam finden – oder das, was die Luziferianer von ihm übrig ließen –, da er ohne Munition der Übermacht der Luziferianer hilflos ausgeliefert war.
Während Michael ein reptilienartiges Wesen mit schuppiger Haut und gespaltener Zunge von der Zimmerdecke schoss, wo es sich mithilfe seiner haftenden Fußsohlen an ihn herangeschlichen hatte, überlegte er fieberhaft, wie er seine Situation verbessern oder mehr Zeit herausschlagen konnte. Ihm fiel nichts ein. Weder in diesem Raum noch in seiner unmittelbaren Umgebung befand sich etwas, das er bei seinem Kampf gegen die Angreifer nutzbringend einsetzen konnte. Und er selbst verfügte weder über mehr Munition noch über andere Waffen, da er die Situation von Anfang an falsch eingeschätzt hatte. Aber das stimmte nicht ganz! Eher war er durch gezielte Falschinformationen dazu gebracht worden, die Lage falsch zu bewerten und unzureichend ausgerüstet in dieses Haus zu kommen.
Die Detonation seines drittletzten Schusses war noch nicht verhallt und der Wolf, dessen Genick das silberne Projektil zerschmettert hatte, noch nicht zu Boden gesunken, da glaubte Michael, ein Geräusch wahrzunehmen, das wie ein entferntes Echo des Schusses klang. Er ging zunächst davon aus, dass ihm sein Gehör einen Streich spielte. Die Detonationen, die in dem Zimmer mit dem einzigen zugenagelten Fenster ohrenbetäubend laut dröhnten und von den nahen Wänden widerhallten, mussten seine Trommelfelle stärker in Mitleidenschaft gezogen haben, als er gedacht hatte, da er Geräusche oder die Echos von Lauten hörte, die es gar nicht gab.
Als mit irrwitziger Geschwindigkeit ein weiterer Gestaltwandler ins Zimmer schoss, der den Körper eines schwarzen Panthers angenommen hatte, konnte Michael gerade noch rechtzeitig die Glock herumreißen und abdrücken. Das Tier wurde vom eigenen Schwung noch ein Stück vorwärtsgetragen, obwohl es tödlich getroffen war, und brach unmittelbar vor Michael zusammen. Röchelnd verendete die Bestie und verwandelte sich mit schmatzenden Lauten in einen Menschen.
Noch bevor die ekelerregenden Geräusche der Rückverwandlung einsetzten, hörte Michael erneut das Echo eines Schusses, beträchtlich näher und lauter diesmal, dem unverzüglich ein zweites folgte.
Nun gab es für Michael keinen Grund mehr, an der Zuverlässigkeit seines Gehörs zu zweifeln. Mit seinen Ohren war alles in Ordnung. Die Laute waren kein Widerhall seiner eigenen Schüsse, sondern mussten von seinen Kollegen stammen, die sich wohl im Treppenhaus befanden und die Luziferianer von dort unter Beschuss nahmen. Diese waren eingekesselt und mussten an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen.
Die Stimmung seiner Gegner im Wohnungsflur veränderte sich so rasch und spürbar, dass selbst Michael dies bemerkte. Wo soeben noch blindwütiger Eifer, den Eindringling zu erwischen, und Raserei vorgeherrscht hatten, breitete sich nun kopflose Panik und Hektik aus. Die Aufmerksamkeit der Gestaltwandler, Magier, Hexen und all der anderen Luziferianer verlagerte sich von dem einsamen Inquisitor, der ihnen wie ein wehrhaftes, im Endeffekt aber sicheres Opfer erschienen sein musste, zu den zahlenmäßig stärkeren und – nach den Schussgeräuschen zu urteilen, die in immer schnellerer Folge und rasch lauter werdend ertönten – viel besser bewaffneten Kollegen im Treppenhaus.
Ein einzelner Zombie – eine Frau mit langen blonden Haaren, die ihr Leben bei einem schrecklichen Verkehrsunfall verloren haben musste – zeigte sich von der Wendung der Ereignisse völlig unbeeindruckt und stapfte durch den Türrahmen, der nicht länger von der anstürmenden Masse blockiert wurde. Mit gierig vorgereckten Armen marschierte sie auf Michael zu. Das weiße Kleid, in dem sie vor nicht langer Zeit beerdigt worden war, bevor ein gewissenloser Nekromant den Körper ausgegraben und mithilfe finsterer Beschwörungen zu einer neuen Existenz als Untote gezwungen hatte, war verdreckt und hing in Fetzen von ihren bleichen, blutleeren Gliedmaßen, sodass die Folgen des tödlichen Unfalls deutlich zu erkennen waren.
Michael stand auf, wozu er sich wieder kräftig genug fühlte, und überlegte, ob er die Untote auf andere Art und Weise erlösen und eine seiner beiden letzten Kugeln aufsparen konnte. Doch ihm fiel keine geeignete Möglichkeit ein. Darüber hinaus waren seine Kollegen bereits auf dem Weg zu ihm und hatten ihn alsbald erreicht, während die Gegner entweder im Kugelhagel der heranrückenden Inquisitoren starben oder versuchten, auf anderen Wegen aus diesem Gebäude zu fliehen.