Kitabı oku: «Vier Todesfälle und ein Tankstellenraub & Der tote Kapitän im Wald», sayfa 3

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4.

Umgebung von Oberhofberg, Autobahnraststätte

11. April 2013, 11:26 Uhr

Als er die Raststätte erreichte, fühlte er sich ausgepumpt wie nach einem Dauerlauf. Er war einfach nicht mehr in Form und sollte mehr für seine Kondition tun. Er setzte sich auf eine Bank, atmete tief durch, wischte sich die Schweißtropfen vom Gesicht und sah sich um. Es herrschte natürlich viel Betrieb, ein regelmäßiges Kommen und Gehen. Es waren zwar nicht alle Parkplätze belegt, soweit er das sehen konnte, schließlich waren weder Ferien noch Wochenende, aber doch die meisten.

Er fragte sich, wie er an diesem Ort einen einzelnen Wagen finden sollte, der unter Umständen schon länger als die anderen hier stand. Die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen war vermutlich unkomplizierter. Als er sich auf den Weg hierher gemacht hatte, hatte er noch vorgehabt, die Angestellten zu befragen, die sich heute schon länger an der Raststätte aufhielten. Aber wem fiel bei dieser Masse schon ein einzelnes Auto auf, vor allem, wenn er dabei auch noch seine Arbeit zu erledigen hatte.

Aber einen Versuch war es dennoch allemal wert, denn unter Umständen stieß er auf diese Weise etwas schneller auf die Identität der unbekannten Toten, ehe jemand sie irgendwann als vermisst meldete oder anhand des Fotos erkannte, das erst ab heute Abend in den Lokalnachrichten und morgen früh in den Zeitungen erscheinen würde. Und wenn sie nun gar niemand erkannte oder vermisste, würden sie ihre Identität vielleicht nie erfahren.

Schäringer steckte sein Taschentuch ein und stand auf. Er klopfte das Hinterteil seiner Hose ab und steuerte dann den Zugang zur Raststätte an. Er hatte Durst und wollte sich eine Flasche Mineralwasser kaufen. Bei der Gelegenheit könnte er gleich ein paar Fragen stellen. Als er zufällig nach oben sah, fiel ihm die Überwachungskamera über der Eingangstür auf. Er blieb abrupt stehen und runzelte die Stirn, während er nachdachte.

Jemand rempelte ihn von hinten an und sagte: »Passen Sie doch auf! Sie können hier nicht einfach stehen bleiben.«

»Entschuldigung.«

»Idiot!«, sagte der unfreundliche Mann, der dem Kriminalbeamten gerade einmal bis zum Brustbein reichte, als er ihn passierte, und schenkte ihm zum Abschied noch einen finsteren Blick. Schäringer beachtete ihn allerdings gar nicht. Er war in Gedanken versunken und fragte sich, warum er nicht schon eher daran gedacht hatte, dass es eine Überwachungsanlage geben und diese ihm bei seiner Suche helfen könnte. Vielleicht hatte ja der Ausfall der Anlage in der Tankstelle seinen Glauben an die moderne Technik erschüttert.

Er ging weiter und betrat die Raststätte. Links gab es ein modernes Schnellrestaurant. An den Kassen standen verhältnismäßig viele Leute an. Rechts befand sich ein Laden, in dem man Getränke, Zeitschriften, Zigaretten, Süßigkeiten und andere Reiseutensilien kaufen konnte. Die Schlange an der einzigen Kasse war nicht so lang. Schäringer ging zwischen den Regalen entlang, bis er das Angebot an Mineralwasser fand. Er hob angesichts der gesalzenen Preise für eine kleine Wasserflasche die Augenbrauen, allerdings konnte man in einer Autobahnraststätte auch keine Billigpreise erwarten. Außerdem hatte er riesigen Durst. Mit der Flasche in der Hand stellte er sich ans Ende der kurzen Schlange.

Als er an der Reihe war, bezahlte er das Wasser einschließlich Flaschenpfand. Als die Kassiererin ihm sein Wechselgeld gab, sagte er: »Ich hätte gern den Geschäftsführer gesprochen.«

Der Kopf der jungen Frau ruckte so abrupt nach oben, als hätte ihr eine unsichtbare Faust einen Kinnhaken verpasst, und sie sah ihn erschrocken an. Zweifellos befürchtete sie, sie könnte etwas falsch gemacht haben und er wollte sich nun über sie beschweren. »Den Geschäftsführer …?«, wiederholte sie.

»Genau«, sagte er und zeigte ihr seinen Dienstausweis. »Schäringer, Kriminalpolizei. Keine Angst, es hat nichts mit Ihnen zu tun.«

Sie atmete sichtlich erleichtert auf. »Ach so. Ich …« Sie verstummte und sah sich um, bis ihr Blick auf eine Kollegin fiel, die ganz in der Nähe Chipstüten einräumte. »Lena?«

Die Angesprochene wandte den Kopf und sah in ihre Richtung. »Ja. Was ist denn?«

»Kannst du bitte mal Herrn Schneider holen.«

Lena runzelte die Stirn, nickte dann aber. »Klar.« Sie stellte die Chipstüte, die sie noch in der Hand hatte, ins Regal und ging dann zu einer Tür im Hintergrund des Ladens, auf der Kein Zutritt stand.

»Einen Moment, bitte. Der Chef kommt gleich.«

Schäringer nickte lächelnd. »Vielen Dank.« Er trat zur Seite, damit die Kunden hinter ihm ihre Einkäufe bezahlen konnten, und ging ein paar Schritte näher zu der Tür, durch die Lena verschwunden war. Auf halber Strecke blieb er stehen, öffnete die Wasserflasche und nahm einen großen Schluck der erfrischenden Flüssigkeit. Genau das hatte er nach seiner anstrengenden Wanderung hierher gebraucht. Er sah durch die großen Scheiben nach draußen auf den Parkplatz und überlegte, wie er anhand der Bilder der Überwachungskameras – immer vorausgesetzt, es gab tatsächlich welche von allen Parkplätzen und sie wurden auch gespeichert – rasch herausfinden konnte, ob eines dieser Autos schon seit gestern Nacht hier stand. Bei dem Verkehr und dem ständigen Kommen und Gehen, das an der Raststätte herrschte, sah es zunächst nach einer unmöglichen Aufgabe aus. Allerdings war am gestrigen Abend und in der Nacht vermutlich viel weniger los gewesen.

»Sie wollten mich sprechen.«

Schäringer wandte den Kopf und richtete den Blick auf den Mann, der neben ihn getreten war, während er in Gedanken versunken gewesen war. Sein Gegenüber war sogar noch einen halben Kopf größer als er, so hager, dass der anthrazitfarbene Anzug zwei Nummern zu groß aussah, und hatte eine Habichtsnase, einen rasierten Kopf und so buschige Augenbrauen, dass sie wie zwei fette Raupen aussahen, die es sich auf seinem ansonsten haarlosen Gesicht gemütlich gemacht hatten.

»Wenn Sie Herr Schneider, der Geschäftsführer dieser Raststätte, sind?«

»Der bin ich in der Tat. Gestatten, Sebastian Schneider.« Sie gaben sich die Hände. Schneiders Händedruck war zupackend und fest.

»Schäringer, Kriminalpolizei«

Schneider musterte den Dienstausweis nur kurz. »Wie kann ich Ihnen helfen, Herr Schäringer?«

»Können wir uns in Ihrem Büro unterhalten?«

»Natürlich. Folgen Sie mir bitte.«

Sie verließen den Verkaufsraum durch die Tür, auf der Kein Zutritt stand, folgten einem engen Flur, von dem mehrere geschlossene Türen abgingen, hinter denen man vereinzelte Stimmen hören konnte, wandten sich vor dem Ende des Gangs, der nach draußen zur Rückseite der Raststätte führte, nach rechts und betraten das Büro des Geschäftsführers, das äußerst zweckmäßig eingerichtet war. Das Einzige, was hier nicht nach Arbeit aussah, war ein Kalender mit leicht bekleideten Damen an der Wand hinter dem Schreibtisch, auf dem sich Papiere, Schnellhefter und Aktenordner türmten. Das Kalenderblatt stammte allerdings noch vom März 2009. Entweder gefiel dem Geschäftsführer das abgebildete Modell besonders gut, oder er war seitdem nicht mehr dazu gekommen, weiterzublättern und in den folgenden Jahren neue, aktuellere Kalender aufzuhängen.

»Alles für die verdammte Steuererklärung«, sagte Schneider und wies auf die Papierstapel auf dem Schreibtisch. »Nehmen Sie bitte Platz.«

Schäringer setzte sich auf einen der beiden Besucherstühle, während sich Schneider hinter dem Schreibtisch niederließ.

»Also, was hat Sie denn nun hierher geführt? Ich hoffe, auf unserem Grund und Boden wurde kein Verbrechen verübt. Mir ist zumindest nichts darüber bekannt.«

»Mir auch nicht. Aber darum geht es auch gar nicht.«

»Worum dann? Man bekommt schließlich nicht jeden Tag Besuch von der Kriminalpolizei. Allerdings würde ich mir größere Sorgen machen, wenn Sie von der Steuerfahndung oder vom Finanzamt wären. Nicht, dass ich etwas zu verbergen hätte, aber diese Jungs machen mich wirklich nervös.« Er lachte leise, wurde aber rasch wieder ernst.

»Kann ich verstehen«, sagte Schäringer und ließ den Blick über das Durcheinander auf dem Schreibtisch gleiten, bei dem vermutlich nur noch der Verursacher einen Überblick hatte, bevor er zur Sache kam. »Vermutlich haben Sie schon von den vier Todesfällen von letzter Nacht in Oberhofberg gehört.«

Schneider nickte mit ernster Miene. »Natürlich, es stand ja heute Morgen schon in der Zeitung. Schrecklich! Ich hoffe, Sie schnappen die Täter bald. Wenn ich richtig informiert bin, waren es aber nur zwei Morde. Bei den anderen beiden Toten handelte es sich wohl um einen Unfall und einen Selbstmord. Haben Sie schon eine heiße Spur?«

»Wir stehen noch am Anfang unserer Ermittlungen«, sagte Schäringer ausweichend. »Ich bin aber nicht wegen der Morde hier, sondern wegen des vermutlichen Suizids an der Bahnstrecke. Die Stelle ist gar nicht so weit von hier entfernt.«

»Das stimmt. Allerdings passierte das auf der anderen Seite der Autobahn. Ich kann daher keinen Zusammenhang zwischen der Selbstmörderin und unserer Raststätte erkennen. Wieso sind Sie also hier?«

»Momentan kennen wir leider noch nicht einmal die Identität der Toten. Sie hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen und hatte auch keine Papiere bei sich. Dass es sich um einen Selbstmord handelte, ist bislang nur eine Vermutung. Um eine Fremdeinwirkung ausschließen zu können, müssen wir zunächst die Identität der Unbekannten herausfinden, um in ihrem Umfeld weitere Ermittlungen anstellen zu können. Und je eher wir dazu in der Lage sind, desto eher können wir den Fall zu den Akten legen und uns stattdessen auf die echten Mordfälle konzentrieren.«

Schneider nickte. »Das verstehe ich ja alles. Was ich allerdings noch immer nicht begreife, ist, warum Sie überhaupt hier sind. Weder vermisse ich eine meiner Angestellten, noch habe ich Kenntnis, dass einer unserer weiblichen Gäste letzte Nacht verloren gegangen ist. Was bringt Sie also auf die Idee, ausgerechnet hier nach der Identität der jungen Frau zu suchen?«

»Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie hier ihren Wagen abgestellt hat.«

Schneider nickte langsam, während er mit in sich gekehrtem Blick über diese Antwort nachdachte. »Jetzt verstehe ich, worauf Sie hinauswollen, Herr Schäringer. Aber wie kommen Sie darauf, dass die Frau ausgerechnet hier geparkt haben könnte? Wie ich schon sagte, liegt der Ort ihres Freitods auf der anderen Seite der sechsspurigen Autobahn. Um von hier dorthin zu kommen, muss man die nächstgelegene Überführung nehmen, und die ist 5 Kilometer von hier entfernt. Zu Fuß sind Sie da eine ganze Weile unterwegs, das kann ich Ihnen sagen. Wenn ich mich umbringen wollte, was ich allerdings nie tun würde, würde ich doch ganz in der Nähe parken, um nicht so lange laufen zu müssen.«

Schäringer zuckte mit den Schultern. »Es wurde allerdings kein Fahrzeug in der Nähe gefunden. Daher haben wir momentan nicht die geringste Ahnung, wie die junge Frau dorthin gelangte. Allerdings gibt es einen wesentlich kürzeren Weg zur anderen Seite, wenn man durch den Tunnel geht.«

Schneider sah sein Gegenüber verblüfft an und runzelte gleichzeitig die Stirn. »Durch den Tunnel? Aber das ist doch mordsgefährlich. Da fahren mindestens drei- bis viermal täglich die ICE in einem Wahnsinnstempo durch. Vermutlich reicht schon der Luftzug, um jeden im Tunnel unter die Räder zu zerren. Andererseits, wenn man ohnehin vorhat, sich umzubringen, ist einem das vielleicht egal. Aber warum hat sie sich dann nicht gleich auf dieser Seite des Tunnels vor den Zug geworfen?«

»Das erfahren wir vermutlich erst, wenn wir herausgefunden haben, wer sie ist. Aber dazu benötige ich die Aufnahmen Ihrer Überwachungsanlage. Wie viele Kameras gibt es denn insgesamt an der Raststätte?«

»Fünf. Zwei bei den Zapfsäulen, weil immer mal wieder einer meint, er müsste nicht bezahlen, und eine über der Kasse der Tankstelle, damit unseren Kassierern nicht dasselbe wie dem armen Kerl in Oberhofberg passiert. Allerdings ist hier Tag und Nacht zu viel los, das schreckt potenzielle Räuber ab. Eine weitere Kamera hängt über der Eingangstür zur Raststätte. Vielleicht haben Sie die beim Reinkommen gesehen. Die letzte Kamera ist hier auf dem Dach montiert und auf den Parkplatz gerichtet.«

»Haben Sie damit alle Stellplätze im Blick?«

»Fast alle, bis auf ein paar Lkw-Parkplätze am Rand.«

»Und werden die Aufnahmen auch aufgezeichnet?«

»Ja. Alles wird aufgenommen und für 24 Stunden gespeichert. Anschließend wird es automatisch gelöscht.«

»Können Sie mir diese Aufzeichnungen bitte geben, damit ich sie von unserer Kriminaltechnik auswerten lassen kann?«

»Sie haben nicht zufällig einen Gerichtsbeschluss oder so etwas bei sich?«, fragte Schneider mit zweifelndem Gesichtsausdruck.

»Ich ging davon aus, dass ich keinen benötige«, antwortete Schäringer. »Ich kann natürlich einen richterlichen Beschluss besorgen, wenn Sie so viel Wert darauf legen, Herr Schneider, allerdings kostet mich das wertvolle Zeit. Und wie Sie vielleicht aus dem Fernsehen wissen, sind nach einem Todesfall, gleichgültig ob Mord oder Suizid, die ersten Stunden für den Erfolg der polizeilichen Ermittlungen die entscheidendsten. Kann ich also bitte die Aufzeichnungen haben, um auf diesem Weg unter Umständen rasch die Identität der unbekannten Toten herauszufinden?«

Schneider seufzte. »Na gut. Sie bekommen die Aufnahmen. Sie werden in digitaler Form gespeichert. Ich lasse sie von unserem Computerfachmann auf eine Daten-DVD überspielen. Aber zuvor hätte ich doch noch eine Frage.«

»Nur zu.«

»Wie wollen Sie bei den unzähligen Fahrzeugbewegungen und dem ständigen Kommen und Gehen auf unserem großen Parkplatz den einen Wagen finden, der möglicherweise Ihrer Selbstmörderin gehört? Das kommt mir vor wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.«

»Der Vergleich kam mir auch schon in den Sinn. Aber keine Sorge, Herr Schneider, ich hab schon eine Idee. Allerdings habe auch ich noch eine letzte Frage an Sie. Wissen Sie zufällig, wie hoch die durchschnittliche Verweildauer Ihrer Gäste an der Raststätte ist?«

»Das kann ich Ihnen sogar ziemlich genau sagen. Unsere Gäste bleiben durchschnittlich 20 Minuten, bevor sie sich wieder ins Auto setzen und zurück auf die Autobahn fahren.«

»Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte Schäringer und nickte mit nachdenklicher Miene.

5.

Fürstenfeldbruck, Gerichtsmedizin

11. April 2013, 12:32 Uhr

Nachdem Schäringer seinen Wagen auf dem Parkplatz des Gebäudes abgestellt hatte, in dessen Kellern die Gerichtsmedizin untergebracht war, sah er auf die Uhr und schüttelte den Kopf. Schon Viertel nach elf. Und dabei hatte er heute noch so viel vor. Die Zeit lief ihm förmlich davon.

Er hatte schon den Taxifahrer, der ihn von der Raststätte zu seinem Wagen gebracht hatte, zur Eile angetrieben, indem er ihm seinen Dienstausweis gezeigt und gesagt hatte, er solle Gas geben. Der gute Mann hatte aber, anders als im Fernsehen, weder seinen Führerschein noch seine Taxikonzession aufs Spiel setzen wollen, und sich an alle Geschwindigkeitsbeschränkungen und Verkehrsregeln gehalten. Schäringer konnte ihm sein gesetzestreues Verhalten allerdings schlecht verübeln und hatte ihm nach der Fahrt zu seinem Auto dennoch ein angemessenes Trinkgeld gegeben.

Er stieg aus und eilte zum Eingang des Gebäudes. Wahrscheinlich würde er hier ohnehin nicht so lange brauchen, da die Leichen von letzter Nacht vermutlich noch gar nicht alle obduziert worden waren. Aber vielleicht konnte er dennoch schon ein paar erste Eindrücke und Erkenntnisse mitnehmen, die ihm bei seinen weiteren Ermittlungen halfen. Und dazu war es immer besser, wenn man persönlich vorbeikam. Am Telefon waren die Gerichtsmediziner, die er kannte, in der Regel kurz angebunden und abweisend, weil sie ständig zu viel um die Ohren hatten und nicht bereit waren, dauernd jedem Auskunft zu erteilen. Wenn er sie allerdings in den unterirdischen Fluren ihres Reiches persönlich aufsuchte und nicht lockerließ, kamen sie nicht umhin, ihm irgendetwas Verwertbares mitzuteilen, um ihn endlich wieder loszuwerden.

Er fuhr mit dem Aufzug in den Keller und marschierte durch den kühlen Flur, in dem es süßlich roch, in Richtung der Sektionsräume. Er sah sich suchend um. Die Tür zum ersten Sektionsraum stand offen. Einer der Sektionsassistenten spülte mit einem Wasserschlauch den Sektionstisch ab. Der Geruch, der aus dem Raum in den Flur wehte, ließ es Schäringer angeraten erscheinen, kurzzeitig die Luft anzuhalten. Die Tür zum nächsten Sektionsraum war geschlossen, und eine Stimme war dahinter zu hören. Doch im gleichen Moment, als Schäringer sie passierte, öffnete sie sich, und Dr. Dieter Mangold, einer der Gerichtsmediziner, die der Kriminalbeamte gut kannte, kam heraus.

»Ah, Doktor Mangold. Wie gut, dass ich Sie treffe«, sagte Schäringer, änderte die Richtung und ging auf den Mediziner zu, bevor dieser wieder im Sektionsraum verschwinden konnte. Er verzichtete allerdings darauf, dem anderen seine Hand entgegenzustrecken, da ihm das Händeschütteln an diesem Ort aus naheliegenden Gründen nicht angeraten erschien. Wer wusste schon, in welcher Körperöffnung die Hand des Leichenschnipplers gerade eben noch gesteckt hatte und ob er sich danach auch wirklich ganz gründlich die Hände gewaschen hatte.

»Ach, Sie sind das, Schäringer«, sagte Mangold und verzichtete seinerseits darauf, angesichts des überfallartigen Besuchs des Polizisten genervt die Augen zu verdrehen. Er war nur wenige Zentimeter kleiner als Schäringer, aber fast doppelt so breit. Es war allgemein bekannt, dass er ein Toupet trug, um die kahle, kreisrunde Stelle auf seinem Schädel zu kaschieren. Unwahr war allerdings das Gerücht, dass er es einer Leiche entnommen hatte, deren Haarfarbe zufällig genau seiner eigenen, ein sehr dunkles Schwarzbraun, entsprochen hatte. »Ermitteln Sie in den Mordfällen in Oberhofberg von letzter Nacht?«

»Ja. Wurden die Leichen etwa schon obduziert? Und können Sie mir in dem Fall schon jetzt etwas darüber sagen? Dann muss ich nämlich nicht warten, bis ich den offiziellen Obduktionsbericht auf meinem Schreibtisch liegen habe.«

»Sie haben Glück, Schäringer. Vor zwei Stunden hatte ich den erschossenen Tankstellenangestellten und gerade eben den ertrunkenen Autodieb unterm Messer. Und sobald mein Assistent die Einzelteile der Selbstmörderin zusammengepuzzelt hat, nehme ich mir die auch noch vor. Für das andere Mordopfer ist allerdings Kollege Stürmer zuständig. Wenn Sie zu diesem Fall Fragen haben, müssen Sie sich schon an ihn wenden. Ich mach jetzt erst einmal Mittagspause. Begleiten Sie mich doch einfach ein Stück.«

Die beiden Männer setzten sich in Bewegung und gingen in Richtung Aufzug.

»Was können Sie mir über Fabian Becker erzählen? Das ist der Kassierer, der erschossen wurde.«

»Ein glasklarer Fall. Der arme Tropf wurde von einem einzigen Projektil aus einem Abstand von weniger als einem Meter in die Regio frontalis …« Der Pathologe deutete mit dem Zeigefinger auf die Mitte seiner Stirn. »… getroffen und war auf der Stelle mausetot. Vermutlich wurde er sogar beim Essen erschossen, denn es befanden sich noch unverdaute Reste seiner letzten Mahlzeit – Weißbrot, belegt mit grober Salami – in seinem Magen. Ansonsten hat die Untersuchung keine Auffälligkeiten ergeben. Tut mir leid, dass ich Ihnen diesmal bei Ihren Ermittlungen nicht weiterhelfen kann. Aber vielleicht kann Ihnen die Ballistik etwas über die Kugel erzählen.«

»Und was hat die Untersuchung des ertrunkenen Autodiebs ergeben? Gab es da irgendwelche Auffälligkeiten?«

Sie hatten den Fahrstuhl erreicht. Mangold drückte den Rufknopf, dann warteten sie darauf, dass die Kabine kam und die Türen sich öffneten. Der Gerichtsmediziner runzelte die Stirn, als er den Kriminalbeamten ansah.

»Wieso interessieren Sie sich für den Autodieb? Das ist doch gar nicht Ihr Fall, oder?«

»Ich will nur sichergehen, dass es keine Verbindung zu unseren beiden Mordfällen gibt. Immerhin besteht bereits ein sehr enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang zwischen all diesen Vorfällen. Sogar der vermeintliche Selbstmord könnte dazu passen.«

Mangold schürzte die Lippen und nickte. »Klingt einleuchtend. Nun, zum dämlichen Autodieb, wie unsere Sektionsassistenten ihn getauft haben, kann ich Ihnen vorab schon mal Folgendes erzählen: Der Mann ist zweifellos ertrunken, war nicht angeschnallt und hatte eine frische Platzwunde auf der …« Er hob die Hand und deutete auf seine Stirn.

»… Regio frontalis«, ergänzte Schäringer.

»Korrekt! Vermutlich prallte er mit dem Kopf gegen das Lenkrad, als der Wagen ins Wasser fuhr und dabei abrupt abgebremst wurde. Er verlor das Bewusstsein und konnte sich deshalb nicht mehr aus dem versinkenden Auto befreien.«

»Keine Anzeichen von Fremdeinwirkung?«

»Doch«, sagte Dr. Mangold im selben Augenblick, als sich die Fahrstuhltüren vor ihnen öffneten. Sie gingen in die Kabine, und der Mediziner drückte die Taste fürs Erdgeschoss. »Die Haut um die Augen und die Augenbindehaut waren stark gerötet und angeschwollen. Der Autodieb muss unmittelbar vor seinem Tod Pfefferspray in die Augen bekommen haben. Dies führte nicht nur zu starkem Tränenfluss, sondern auch zu einer temporären Erblindung.«

»Also konnte er aufgrund des Pfeffersprays nichts mehr sehen und fuhr durch den Zaun und in den Weiher.«

»Korrekt!«

»Dann war es vermutlich gar kein Unfall, sondern unter Umständen ebenfalls ein Mord.«

Mangold wiegte den Kopf hin und her. »Dann schon eher fahrlässige Tötung, obwohl ich die abschließende rechtliche Bewertung gerne der Staatsanwaltschaft und dem Gericht überlasse. Aber wer auch immer ihm das Pfefferspray ins Gesicht sprühte, konnte meiner Meinung nach gar nicht mit hundertprozentiger Sicherheit vorausplanen, dass er anschließend in den Weiher fuhr, das Bewusstsein verlor und ertrank. Alles, was nach dem Pfefferspray geschah, erscheint mir eher wie eine Verkettung unglücklicher Umstände. Und vielleicht wollte sich die Person mit der Pfefferspraydose nur wehren. Meiner Erfahrung nach wird Pfefferspray nämlich selten als Angriffswaffe, sondern eher als Verteidigungsmittel benutzt.«

Als sich die Fahrstuhltüren im Erdgeschoss öffneten, verließ Schäringer die Kabine, während er über das Gehörte nachdachte.

»Wenn Sie noch Fragen haben, wissen Sie ja, wo Sie mich finden, Schäringer«, sagte Dr. Mangold. »Alles andere steht in meinem Bericht.«

»Vielen Dank, Dr. Mangold«, sagte Schäringer und wandte sich zum Fahrstuhl um. Doch die Türen hatten sich bereits zwischen ihm und dem Mediziner geschlossen.

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