Kitabı oku: «Schauerliteratur - 1. Band»

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Schauerliteratur

1. Band

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Texte: © Copyright by versch. Autoren

Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke

Herausgeber: © Copyrigh by Walter Brendel

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

gunter.50@gmx.net

Inhalt

Impressum

Die Marzipanliese

Die schwarze Katze

Die schwarze Spinne

Die Schwestern Rondoli

Die Marzipanliese

von Friedrich Halm

Zu Weßprim in Ungarn lebte in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts kurze Zeit nach dem Abschluss des Szathmárer Friedens ein Kaufmann, namens Paul Horváth, in Wohlstand und Fülle des Gedeihens. Er besaß vor den Toren der Stadt ein großes Haus mit tiefen Kellern und geräumigen Vorratskammern, die gleichwohl zur Aufbewahrung der Berge von Ballen, Fässern und Kisten, die sie aufnehmen sollten, kaum hinreichten; denn zunächst mit dem Umsatze von Tüchern beschäftigt, die er aus Steiermark und Kärnten bezog, betrieb Horváth nebenbei auch einen ausgebreiteten Handel mit Wein und Getreide. Das Bestreben, sein Geschäft in Schwung zu bringen, und das Bedürfnis, vorteilhafte Handelsverbindungen anzuknüpfen, hatte ihn in frühern Jahren genötigt, sich bald hier bald dort auf Märkten und Messen herumzutreiben und ihn nach Venedig, in das Deutsche Reich, bis nach Holland geführt, so dass die Erziehung seiner einzigen Tochter Creszenzia und die Verwaltung seines verwaisten Haushaltes monatelang der alten Margit, einer Base seiner verstorbenen Frau, überlassen blieb. Später sah er sich dieser Anstrengungen überhoben; sein Ruf wie sein Wohlstand waren fest begründet, und Käufer wie Verkäufer, die er sonst hatte suchen müssen, pochten nun an seine Tür; mit Ausnahme einiger Tage, die er jährlich auf dem Michaelismarkte zu Ofen zuzubringen pflegte, mochte er nun in seinen eigenen vier Pfählen in Bequemlichkeit sein Geschäft betreiben, seine Tochter vom Kinde zur blühenden Jungfrau heranwachsen sehen und in heiterer Behaglichkeit die dem Ungar angeborene Tugend der Gastfreundschaft so glänzend und freigebig üben, als Neigung und Klugheit ihm geboten; denn in jenen Tagen waren bei dem Mangel zureichender Verkehrsmittel und entsprechender Unterkunft die Handelsleute darauf angewiesen, in ihren Geschäftsfreunden auch Gastfreunde zu finden, und in dem Hause des reichen Horváth, unmittelbar an der Straße gelegen, die Ofen mit Grätz und Warasdin verbindet, fehlte es weder an häufigem Zuspruch noch an freundlichem Willkomm.

Eines Tages hatte Horváth einem seiner Gäste auf der Straße nach Stuhlweißenburg bis gegen Palota hin das Geleite gegeben, und fuhr nun in seinem leichten einspännigen Wagen, dies und jenes erwägend, wieder seinem Wohnorte zu. Er ließ eben vorsichtig und bedächtig, wie er war, sein Rößlein eine kleine Anhöhe im Schritt hinangehen und hüllte sich fester in seine Bunda – denn es war ein rauher Herbstabend und aus der Richtung von Vörös-Berény pfiff der Seewind scharf und schneidend vom Balaton herüber, als er an der Einmündung eines Seitenwegs in die Hauptstraße einen jungen Menschen gewahrte, dessen Haltung auf den ersten Blick ebenso entschieden tiefe Erschöpfung und Niedergeschlagenheit ausdrückte, als der Schnitt seiner abgenutzten und staubbedeckten Kleidung ihn als einen Nichtungar kundgab. Er saß hart am Wege auf einem halbversunkenen Grenzsteine; neben ihm lag ein Knotenstock, ein kleines Bündel und sein Käppchen, während seine langen fahlblonden Haare, vom Herbstwinde hin- und hergetrieben, die feinen, gefälligen Züge seines blassen, abgezehrten Antlitzes bald zeigten, bald verbargen und seine graublauen Augen wie in gedankenlosem Trotze trüb' vor sich hinstarrten. – »Da, heb' auf, Junge!« rief Horváth, indem er in die Tasche griff und ihm ein Geldstück zuwarf. Der Bursche fuhr bei dem Anrufe in die Höhe; seine erste Bewegung war auf Flucht gerichtet, die zweite ein hastiger Griff nach seinem Knotenstocke; als er aber das Geldstück gewahrte, schien er sich wieder zurechtzufinden; er ließ den Stock niedergleiten und sank wieder auf den Stein zurück. »Zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben!« sagte er und schleuderte die vor ihm liegende Münze mit einem Fußstoß in den Staub der Straße hinaus. – »Eszem adta!« rief Horváth, indem er die Zügel anhielt, und fügte dann zornig in deutscher Sprache hinzu: »Ist Er ein Millionär? Oder ist Ihm kaiserliche Münze zu schlecht, um sie aufzuheben? Will er Antwort geben, Landstreicher?« Der Jüngling wechselte die Farbe und schoss einen scheuen, stechenden Blick voll feindlichen Ingrimms nach dem Sprechenden; aber er schien Gründe zu haben, sich zurückzuhalten, denn er biss sich in die Lippen und versetzte nach einer Pause mit gepresster Stimme: »Ich will kein Almosen! Ich will ein Unterkommen, ich will Arbeit finden!« – »Pah, Arbeit,« rief Horváth, »mit den feinen, zarten Händen! Was für Arbeit will er damit verrichten?« Der Jüngling richtete sich empor und erwiderte mit verächtlichem Lächeln und dem sichtlichen Gefühle geistiger Überlegenheit, mit der Feder sei mehr Arbeit zu verrichten, als mit der Holzaxt; er sei des Rechnens und der Buchführung kundig; er spreche und schreibe zwar nicht Ungarisch, aber Deutsch, Welsch und Latein und verstehe sich auch noch auf andere nützliche Dinge. Horváth hörte die zuversichtlichen Worte mit beifälligem Kopfnicken an und warf nach kurzem Besinnen die Frage hin, wie er heiße, was er bisher getrieben und ob er Zeugnisse seines Wohlverhaltens habe? Der Fremde stockte eine Weile, aber bald gesammelt, berichtete er mit geläufiger Zunge, er heiße Franz Bauer, sei aus Wien gebürtig, habe dort bei einem Advokaten serviert, diesen aber verlassen, um sich in der Welt umzusehen; in Fünfkirchen sei er schwer erkrankt und durch Diebstahl seiner Zeugnisse und des besten Teils seiner Habe beraubt worden; gestern sei er über den Plattensee herübergekommen und sitze nun hier und wisse sich nicht Rat noch Hilfe. Horváths Beifallnicken hatte sich während dieses Berichts mehrmals in ein bedenkliches Kopfschütteln verwandelt, aber das gefällige Äußere des Fremden schien seinen einfachen Sinn bestochen zu haben. »Gut,« sagte er endlich, »ich will Ihm für heute Nacht Herberge geben und morgen, wenn sich zeigt, dass Er arbeiten kann und will, soll sich auch das Unterkommen finden! Sitz' Er auf!« Und damit rückte er in die Ecke des Wagensitzes, ihm Platz zu machen. Der junge Mann bedachte sich einen Augenblick und musterte misstrauisch scheu die offenen, ehrlichen Züge des Kaufmanns; dann warf er Bündel und Knotenstock in das Korbgeflecht am Hinterteil des Wagens und schwang sich an Horváths Seite, der nun sein Röslein die Anhöhe hinunter rasch auf Weßprim zutraben ließ.

Am nächsten Morgen, als Horváth dem jungen Manne zur Probe eine der vielen Rechnungen vorlegte, die zu seiner großen Verlegenheit durch den vor einigen Wochen erfolgten Tod seines Buchhalters in Unordnung geraten waren, zeigte sich bald, dass Franz Bauer den Verstorbenen nicht nur an Richtigkeit und Auffassung, Gewandtheit und Scharfsinn, sondern auch an Kenntnissen weit übertraf, so dass Horváth sich auf der Stelle der Dienste des jungen Mannes zum Abschluss der unvollendeten Rechnungen und zur Aufarbeitung der in Briefwechsel und Buchführung erwachsenen Rückstände versicherte. Die Lösung dieser Aufgaben konnte beiläufig sechs Wochen in Anspruch nehmen; allein der Eifer, den Franz in der Erfüllung der übernommenen Pflichten bewährte, und die Leichtigkeit, mit der er die verwickeltsten Geschäfte gleichsam spielend bewältigte, ohne dass seine Arbeiten dabei an Gehalt und Genauigkeit auch nur im mindesten verloren hätten, machten ihn seinem Dienstgeber bald ganz unentbehrlich.

Schon nach Verlauf eines Monats schlug Horváth dem neuen Hausgenossen vor, die Stelle seines Vorgängers mit allen damit verbundenen Ehren und Genüssen bleibend einzunehmen und legte ihm die Annahme seines Antrages so nahe, dass es dem jungen Manne ein Leichtes gewesen wäre, durch scheinbare Weigerung auch noch höheren Ansprüchen Geltung und Gewährung zu verschaffen. Allein Franz war zu klug, um für einen kargen Gewinn in der Gegenwart vielleicht für alle Zukunft an Gunst und Vertrauen verlieren zu wollen. Er nahm Horváths Antrag als unverdiente Huld und Ehre demütig-dankbar an und pries sich hochbeglückt, fortan dauernd einem Hause angehören zu dürfen, dessen Mitglieder ihm insgesamt mit so freundlichem Wohlwollen, so herzlicher Teilnahme entgegen kämen.

Der Schreiber Ferencz, wie er nun nach seiner Beförderung genannt wurde, war wirklich in kürzester Zeit der Liebling aller Hausgenossen geworden. Schon in den ersten Tagen nach seiner Ankunft hatte er allmählich den menschenscheuen, argwöhnisch-finstern Trotz, mit dem er zuerst aufgetreten war, gegen ein sanftes, leidendes Wesen, gegen eine stille, schüchterne Freundlichkeit und das rührende Bestreben vertauscht, jedermann in jedem Wunsche zuvorzukommen und allen Dienste zu leisten, ohne je welche für sich in Anspruch zu nehmen. Die Regentin des Hauses, die alte Margit, wusste er durch seine ungewöhnliche Frömmigkeit, durch die laute Anerkennung der Vortrefflichkeit ihrer Haushaltung, vor allem aber durch die dankbare Bereitwilligkeit einzunehmen, mit der er bei seinen häufig wiederkehrenden Augenleiden die unerschöpfliche Fülle ihrer Heilmittel über sich ergehen ließ; die Knechte des Hauses machte er sich teils durch kleine Geschenke, teils durch die Wärme geneigt, mit der er ihre Bitten um Urlaub oder Zulage bei ihrem Dienstherrn befürwortete; die Mägde aber bestach er durch freundliches Grüßen, bescheidenes Lobpreisen ihrer Reize und durch die schwermütig klagenden Töne, die er in schönen Mondnächten, am Brunnenrande hingelehnt, seiner Flöte zu entlocken wusste. Czenczi, die Tochter des Hauses, war es, der er sich von allen zuletzt, aber nicht minder erfolgreich, näherte.

Das erste Auftreten Ferencz' hatte einen abstoßenden Eindruck auf das siebzehnjährige, einfach schlichte Mädchen gemacht; es war ihr unheimlich in seiner Nähe, sie fürchtete sich vor dem starren Blicke seines hellblauen Auges, aber die Lobeserhebungen des Vaters, das gefällige Äußere, das feine Wesen des jungen Mannes verwischten bald diesen ersten Eindruck; die Berichte der Mägde und der Base Margit von der Niedergeschlagenheit, dem sichtlichen Kummer des armen Schreibers gewannen ihm allmählich in demselben Maße ihre Teilnahme, als die von allen Seiten gepriesene Fülle seiner Kenntnisse ihre beneidende Bewunderung erregte. Bei allem Reichtum Horváths war nämlich der Unterricht, den Czenczi in jenen Tagen in einer Landstadt Ungarns empfangen konnte, weit hinter den Wünschen des Vaters wie der Tochter zurückgeblieben; vor allem war ihre Kenntnis der deutschen Sprache äußerst mangelhaft, und diesen Umstand wusste Ferencz zu benutzen, um auch nach dieser Seite hin seine Stellung zu befestigen. Sein Anerbieten, ihr in seinen freien Stunden in dieser Sprache Unterricht zu erteilen, wurde von Horváth mit Beifall, von Czenczi mit Entzücken angenommen, ja diese letztere bestand darauf, ihrem Lehrer dafür die Elemente der ungarischen Sprache beizubringen. Der wechselseitige Unterricht begann und wurde von den jungen Leuten, die sich anfangs nur notdürftig verstanden, mit so ungewöhnlichem Erfolge fortgesetzt, dass Czenczi schon nach einigen Monaten der Base unter dem Siegel der Verschwiegenheit vertrauen konnte, dass die Braut des armen Ferencz ihn treulos verlassen und einen andern geheiratet habe; dass er darüber verzweifelnd in die weite Welt gegangen und erst jetzt wieder so weit sei, der Stimme der Vernunft Gehör zu geben und Trost anzunehmen; ein Bericht, der, mit seltsamer Unruhe und häufigem Erröten vorgetragen, eine weltkundigere Zuhörerin als die alte Margit über die Person der Trösterin und die Art und Weise der Tröstung wohl kaum in Zweifel gelassen hätte.

Indessen hatten die raschen Fortschritte des Schreibers Ferencz in der Gunst der Hausgenossen dem Glücklichen im stillen einen Feind erweckt, der allmählich hervortretend ihn aus der siegreich eingenommenen Stellung wieder hinauszudrängen oder ihm doch die Ausbeutung derselben bedeutend zu erschweren drohte. Dieser Feind war Antal, der Schaffner des Hauses. Sei es, dass Ferencz ihn zu geringer Aufmerksamkeit gewürdigt hatte, oder konnte Antal, aus der Marmarosch gebürtig und ein Ungar mit Leib und Seele, es nicht verschmerzen, dem verhassten »Schwaben« eine Stelle vertraut zu sehen, zu deren Übernahme er selbst früher sich unfähig bewiesen hatte, genug, er scheute keine Mühe, jedem Schritt des Schreibers nachzuspüren, und es gelang ihm auch mit dem Scharfblicke des Hasses Bemerkungen zu machen, die, vergiftet durch die Folgerungen des Argwohns und mit der Beredsamkeit der Mißgunst verbreitet, allerdings geeignet waren, seinem Gegner Verlegenheiten aller Art zu bereiten. Vor allem wusste Antal hervorzuheben, dass die Duplikate der Zeugnisse, die dem Schreiber zu Fünfkirchen gestohlen worden, von Wien nicht eintreffen wollten, wobei er nicht verfehlte, zugleich auf den seltsamen Umstand hinzuweisen, dass die heftigen Anfälle von Kopfgicht und Augenleiden, denen der Schreiber unterworfen war, und die ihn jedes Mal nötigten, sein Antlitz mit Binden und Schirmen aller Art zu umhüllen, ihn fast regelmäßig an den Tagen heimzusuchen pflegten, an denen Handelsfreunde des Herrn aus Steiermark oder Kärnten im Hause zu Gaste wären; ja, er behauptete, Beweise in Händen zu haben, dass Ferencz die Augenwässer, Salben und Kräutersäckchen der Base Margit, wie sehr er deren Heilkraft auch rühme, meist ungebraucht, wie er sie empfangen, beiseite werfe.

Aber auch noch von anderer Seite her bemühte sich Antal, den beneideten Günstling ins Gedränge zu bringen, indem er ganz unverhohlen sein Erstaunen, ja seine Entrüstung äußerte, dass ein so gewiegter, weltläufiger Mann wie Herr Horváth, seine einzige Tochter und Erbin mit einem von der Straße aufgelesenen, so ganz »unvorhergesehenen« Menschen, wie der Schreiber wäre, stundenlang in einer Sprachen verkehren lasse, die den übrigen Hausgenossen mehr oder weniger unverständlich sei; soviel wäre wenigstens gewiß, dass die Wangen Czenczis nach solchen Zusammenkünften mit dem schönsten Scharlachtuch in dem Warenlager ihres Vaters an Farbenpracht wetteifern könnten, während Ferencz, wenn er seine Schülerin verließe, nicht anders einhergehe, als sollte er nächstens Palatin oder gar König von Ungarn werden. Solche Äußerungen pflegte er mit häufigem Kopfschütteln und bedauerndem Achselzucken zu begleiten, oder sie mit einigen Sprichwörtern, als: »Der Bock tauge nicht zum Gärtner«, »Fette Bissen wären leicht verschlungen« und »Gelegenheit mache Diebe«, zu beschließen, und so laut und so unablässig wiederholte er aller Orten diese und andere Redensarten, dass sie endlich auch zu Horváths Ohren drangen. Dieser jedoch, durch Antals Benehmen über alles Maß hinaus verletzt und aufgebracht, stellte sich mit höchster Entschiedenheit auf die Seite des verdächtigten Ferencz und wies laut und öffentlich alle gegen ihn gerichteten Beschuldigungen als schändliche Verleumdungen von sich. Ferencz hatte seinem Dienstherrn in der Gegenwart zu schlagende Beweise seiner Uneigennützigkeit und Redlichkeit gegeben, als dass dieser an dessen Rechtlichkeit in der Vergangenheit hätte zweifeln können. Ebenso widersinnig erschien dem leichtsinnig gutmütigen, in das Wesen der Dinge selten tief eindringenden Manne die Annahme, seine Tochter können sich mit einem solchen hergelaufenen wildfremden Menschen in einen Liebeshandel einlassen.

Weit entfernt, durch Entlassung des Schreibers jede Möglichkeit der Fortdauer eines solchen Verhältnisses abzuschneiden, besorgte er vielmehr, eben dadurch einesteils den von Antal verbreiteten Gerüchten einen Anschein von Begründung zu geben, andernteils sich selbst ohne Not eines vortrefflichen, nicht leicht zu ersetzenden Arbeitsgehilfen zu berauben. Um Czenczis Ruf vor Verleumdung sicherzustellen, erschien es ihm genügend, den jungen Leuten die Fortsetzung des wechselseitigen Unterrichts zu untersagen, und so unterbrach er eines Tages die Lehrstunde, wies den Schreiber dahin zurück, wohin er gehöre, nämlich in die Schreibstube zu seinen Büchern, verbot seiner Tochter allen ferneren Verkehr mit dem flötenspielenden Betteljungen, legte dem mit Entlassung bedrohten, in tiefster Zerknirschung um Gnade flehenden Antal ewiges unverbrüchliches Stillschweigen auf, und alles war abgetan. Die jungen Leute, die erst ganz vernichtet schienen, fanden sich, ehe man es erwarten konnte, in den ihnen aufgelegten Beschränkungen zurecht, und gaben sich, wenn nicht heiter, doch gefasst und ruhig; Antal knurrte und murrte innerlich, ballte die Fäuste in der Tasche und fletschte die Zähne gegen die Wand, und Horváth, dem keine Verdächtigung weiter zu Ohr kam und der nichts Ungebührliches mehr bemerkte, ließ allgemach die Dinge, die er glücklich in das richtige Geleise gebracht zu haben glaubte, wieder ruhig nach wir vor ihren Gang nehmen.

So waren zwei Jahre verflossen; ein schöner Herbst lag über dem Lande, und ich wenig Tagen sollte der Michaelimarkt zu Ofen beginnen, den Horváth jährlich zu besuchen pflegte. Zwei Frachtwagen mit feinen Tüchern waren auch diesmal schon dahin abgegangen und der Kaufmann gedachte ehestens seiner Ware nachzufolgen. Es war Mittag; den Schreiber hatte Horváth Gelder einzukassieren ins Kloster nach Bakony-Bél gesandt, und er selbst kramte unter Papieren und Warenmustern, als Antal, der Schaffner, in die Schreibstube trat und die Anrede des Herrn erwartend, demütig an der Tür des Gemachs stehen blieb. Antal hatte vor einigen Wochen eine für seine Verhältnisse nicht unbedeutende Erbschaft gemacht und infolgedessen Herrn Horváth seine Dienste gekündigt, um in seiner Heimat selbst einen Kramladen zu eröffnen. Seine Dienstzeit war abgelaufen, das Wägelchen, das ihn heimwärts führen sollte, stand vor der Tür, und er war nun gekommen, Abschied von dem Manne zu nehmen, der ihm durch zehn Jahre ein mitunter ungebärdiger und auffahrende, aber bei alledem ein wohlwollender und freundlicher Herr gewesen. Horváth hatte die Feder weggelegt und war auf den nicht eben mehr jungen, aber von Kraft und Gesundheit strotzenden Burschen zugeschritten, der durch ein seltsames Zucken in seinen offenen Zügen und durch ein krampfhaftes Drehen des wohlgewichsten Schnurrbarts unverkennbar heftige innere Bewegung verriet. Als nun Horváth in gewohnter Gutmütigkeit die Hand auf seine breite Schulter legte, ihm für die guten Dienste, die er ihm geleistet, für Redlichkeit und Treue, die er ihm durch lange Jahre bewiesen, freundlich dankte und bedauerte, dass er trotz aller Abmahnungen, statt in seinem Hause bessere Tage abzuwarten, sich in so mißlicher Zeit auf seine eigenen Beine stellen und sein Glück im Handel versuchen wolle, da rollten große Tränen über Antals braune Wangen. »Herr,« stieß er schluchzend heraus, »ich weiß, es kann mein Unglück sein, dass ich gehe und gewiss werde ich's nirgends mehr so gut haben, als ich's bei Euch hatte, aber ich muss fort! Gott straf mich; weil ich zur Unzeit Ungebührliches ins Blaue hineinschwatzte, darf ich nun zur rechten Zeit das Notwendige nicht sagen, und zusehen kann ich auch nicht mehr, oder mir drückt es das Herz ab!« – »Was sieht Er denn,« rief Horváth, den die Erschütterung des Burschen anzustecken begann, »und warum muss er es verschweigen?« – »Ich muss! Ich muss!« versetzte Antal, indem er sich mit der mächtigen Hand vor die Stirn schlug, »ich habe im Zorn meine Seele dem Teufel verschworen, wenn noch ein Wort über meine Lippen käme, das einen hier im Haus beträfe; ich darf nur eins,« fuhr er fort, indem er die Hände faltete, »bitten, bitten darf ich Euch, macht die Augen auf und sehet den Weg, den Ihr geht! Schafft Rat, da es noch Zeit ist! Denkt nach, warum der hübsche Kis Sándor zu jung und der wackere Barna Láßló zu alt war, Euer Schwiegersohn zu werden! Denkt nach, nehmt Euer Herz in die Hand und Gott – segne Euch!« und damit küsste er schluchzend dem Herrn die Hände und den Saum des Kleides und fuhr zur Tür hinaus.

Horváth stand betroffen und von Staunen und ungewisser Angst wie gelähmt; als er, wieder zur Besinnung gekommen, Antal nacheilte, war dieser längst auf sein Wägelchen gesprungen, hatte mit Zunge und Peitschenknall das Gespann angetrieben und flog von Staubeswirbeln umhüllt in echt ungarischem rasenden Jagen der Heimat zu.

Spät am Abend desselben Tages, als die Dämmerung längst hereingebrochen war, kehrte der Schreiber Ferencz in einen Szür eingehüllt, einen schweren Geldsack unter dem Arm, von Bakony-Bél zurück. Die heller als gewöhnlich durch das Küchenfenster herleuchtende Flamme des Herdfeuers und ein ihm unbekannter Knecht, der ein paar sichtlich ermüdete Rosse pfeifend im Hofe herumführte, damit sie langsam sich abkühlten, ließen ihn bald gewahren, dass ein Gast im Hause wäre. Er stand eine Weile unschlüssig unter dem Torweg; als er aber später den Burschen, die Pferde in den Stall weisend, ein lustiges »Schnadahüpfl« anstimmen hörte, stampfte er unmutig mit dem Fuße und wandte sich dann hastig einem dunklen Gange zu, der vom Torwege zur Küche führte. Das Rasseln und Klirren eines mächtigen Schlüsselbundes und trippelndes Pantoffelklappern verkündete ihm bald die Bähe der Base Margit, die er eben suchte und die er demütig mit einem Handkuß begrüßend um die Gefälligkeit ersuchte, den Geldsack an seiner Statt dem Herrn zu überbringen und ihm zu sagen, seine Aufträge seien ausgerichtet; denn ihn habe wieder sein Kopfrheuma gepackt, er fröstle und wolle zu Bett! »Ei wo denkt Er hin, mein Sohn,« versetzte die Alte. »Er will nicht zum Abendessen kommen, und wir haben Besuch, den Herrn Steidler, den reichen Hammerherrn aus Mürzhofen, der nach Ofen zum Markte will! Und ich sollte dem Herrn den Geldsack bringen und mich ausschelten lassen, wenn ich ihm die Auskünfte nicht geben kann, die er verlangt? Zu Bette gehen! Zu Tische soll Er gehen und sich zusammennehmen, wie es einem jungen Burschen geziemt, das soll Er!« Auf diese und ähnliche Vorstellungen erwiderte Ferencz in kläglichem Tone, er leide heute mehr als je, er wolle lieber glühende Eisen anfassen, als nur den Kiefer bewegen, dabei träne sein Auge wie ein lecker Eimer und empfinde jeden Lichtstrahl wie einen Nadelstich! Die Alte aber meinte, er solle sich mit ihrem Wunderwasser waschen, den Kopf einbinden und den Lichtschirm nehmen, so werde es ihm nicht ans Leben gehen. Er solle an das Gerede der Leute denken, und wie ungern eben darum der Herr sein Wegbleiben vom Tische sähe, wenn Gäste da wären; zudem sei er mittags fortgewesen und der Czenczi würde es leid tun, wenn sie auch abends ihn nicht sehen sollte! Sei es nun, dass diese letzte Rücksicht den jungen Mann überredete, oder gab Herr Horváth den Ausschlag, der eben seinen Gast zu Tische geleitend, am oberen Treppenrande vorbeikam und in den Flur hinabrief, was es gäbe und ob der Schreiber noch nicht zurück wäre? Genug, er erwiderte auf den Anruf, er sei zurück und werde gleich Rapport erstatten, worauf er hastig in sein Stübchen sprang, um, wie er der Base Margit zuflüsterte, vorerst ihre ärztlichen Vorschriften zu befolgen.

Die Mahlzeit hatte bereits begonnen, als Ferencz ein Tuch um die Backen geschlungen und einen Schirm über die Augen gezogen, in die Stube trat, und sich dem Herrn des Hauses näherte, der das obere Ende eines Tisches in einer ernstern und nachdenklichern Stellung einnahm, als er sonst bei dem Empfange lieber Gäste zu zeigen pflegte. Horváth warf einen verdrießlichen Blick auf den Schreiber, nahm seinen Bericht mit stummem Kopfnicken entgegen, winkte ihm, sich an seinen Platz am untern Ende der Tafel zu begeben und wandte sich dann wieder zu seinem Gaste, währen Czenczi mit einem Blicke der Freude und des Bedauerns dem Verspäteten zunickte. Das Tischgespräch erging sich lange Zeit in Klagen über die misslichen Ergebnisse der Ernte und in Vermutungen über den Einfluss derselben auf die Warenpreise des bevorstehenden Marktes, um sich dann den Witterungsverhältnissen zuzulenken, die einen regnerischen Hochsommer mit einem anhaltend schönen hellen Herbste zu vergelten versprachen. Diese Wendung des Gesprächs gab dem Gaste Anlass, auf die grundlos schlechten Wege zurückzukommen, die er von Steinamanger bis über Sárvár hinaus gefunden, und die ihm wenigstens zwei Stunden Aufenthalt verursacht hätten! »Übrigens,« setzte der ganz verständige, nur etwas umständliche Mann hinzu, »übrigens hätten mich meine Schimmel doch noch vor dem Abenddunkel hierhergebracht, hätte ich nicht heute früh mit dem armen Sünder zu viel Zeit versäumt!« – »Mit welchem armen Sünder?« fragte Horváth, und Steidler, die allgemein sich kundgebende Neugier zu befriedigen, berichtete nun in seiner breiten Redeweise, wie ein Tischlergeselle zu Steinamanger vor zwei Jahren seinen Meister erschlagen, aber allen Verdacht abzulenken gewusst, sich später auf die Wanderschaft begeben und auch sein gutes Fortkommen gefunden hätte, vor drei Wochen aber, von der nie ruhenden unerträglichen Folter des Gewissens getrieben, plötzlich nach Steinamanger zurückgekehrt wäre, um sich selbst als den Mörder seines Dienstherrn dem Gerichte zu überliefern, worauf er denn am heutigen Tage bereuend und mit Gott versöhnt zur höchsten Erbauung der tieferschütterten Menge sein Verbrechen auf der Richtstatt mit dem Leben gebüßt hätte.

Steidlers Bericht war nicht ohne Wirkung auf seine Hörer geblieben, dafür bürgte die tiefe Stille, mit der er aufgenommen wurde und die ihm folgte. Horváth war es, der sie zuerst unterbrach. »Ja,« sagte er mit nachdrücklicher und bewegter Stimme, »Gott weiß jeden zu finden, und nichts,« fuhr er fort, indem er einen ernsten und forschenden Blick auf die jungen Leute warf, »nichts ist so fein gesponnen, es kommt zuletzt ans Licht der Sonnen!« Der Eindruck, den diese ziemlich scharf betonte Bemerkung machte, war ein sehr verschiedener: auf Czenczis Wangen rief sie dunkle Röte hervor, Ferencz dagegen, der stumm und gleichgültig wie zuvor mit vor ihm liegenden Brotkrumen spielte, schien sie gar nicht zu beachten, während Herr Steidler nachdenklich den Kopf schüttelte und sie mit diesen Worten erwiderte: »Ja, die Leute sagen so! Aber es kommt nicht alles ans Licht der Sonne! Ich selbst weiß von einem Fall zu erzählen, von einer schauerlichen Mordtat, die sich vor etwa dritthalb Jahren begeben, ohne dass seither auch nur eine Spur des Mörders entdeckt worden wäre!« – »Ei was,« versetzte Horváth ärgerlich, denn ihm war, als sähe er die Lippen des Schreibers spöttisch zusammenzucken, »es ist nicht aller Tage Abend! Und kann nicht eine Stunde entdecken, was dritthalb Jahre verschwiegen blieb? Wenn ihn auch die Menschen nicht erreichen, Gott weiß seinen Mann zu finden, dabei bleibe ich! Aber lasst uns doch die Geschichte hören, deren Ihr eben gedachtet! Noch ein Glas Somlyóer, werter Herr Steidler; dem Wein dürft Ihr trauen, er ist eigenes Baugut und vom besten Jahrgang, und nun gebt uns Eure Mordtat zum besten!« Horváth hatte während dieser Worte die Gläser gefüllt, und Steidler, der vergebens vorstellte, dass jener Vorfall an und für sich nicht besonders spannend und nur vielleicht für jene, welche die beteiligten Personen gekannt, merkwürdig wäre, fügte sich endlich dem Andringen seines freundlichen Wirtes und begann folgendermaßen seine Erzählung: »Ihr müßt wissen,« sagte Steidler, »dass mich meine Geschäfte mehr als einmal des Jahres nach Bruck führen, einem hübschen Städtchen, das einige Meilen von meiner Heimat am Zusammenfluss der Mürz und der Mur gelegen ist. Ich pflege dort beim Kreuzwirt Herberge zu nehmen und habe mich, seit Jahren ein Stammgast des Hauses, unter seinem Dache immer so wohl besorgt und aufgehoben gefühlt wie nur am eigenen Herd. Eines Tages, es mögen nicht ganz drei Jahre sein, gegen Abend ankommend, finde ich jedoch das Haus von oben bis unten erleuchtet, Gänge und Treppen von Menschen wimmelnd und vor dem Hause ein Gewirr ineinandergefahrener Wagen, dass ich nur mit Mühe an den Torweg gelangen konnte. Kreuzwirt, sagte ich absteigend, Euer Haus sieht heute nicht anders aus als die leibhaftige Arche Noah, da werde ich denn wohl rechtsum machen und im Brauhaus einsprechen müssen! Der aber krummbuckelt und entschuldigt sich, die Schützengilde feiere heute unter seinem Dach einen Ehrenschmaus, dem ein Tanz folgen sollte; die Stube, die ich gewöhnlich einnehme, diene als Bankettsaal, aber für mich hätte er immer Unterkunft; er würde mir, wenn ich es nicht übelnehmen wolle, eine hübsche Kammer im Hinterhause einräumen und an Aufmerksamkeit und schuldiger Rücksicht für meine Bequemlichkeit solle es nicht fehlen! Was war zu tun? Im Hause war ich einmal und im Handumdrehen sah ich mich eine Hintertreppe hinauf in die verheißene Kammer geschoben, die denn auch wirklich ganz bequem und so abgelegen war, dass ich darin ungestört von dem Gestampfe der Tanzenden und dem Geschwirre der Musik ganz ruhig und behaglich die Nacht zubrachte.

Es war hellichter Tag, als ich erwache, mich in die Kleider werfe und das Fenster öffne, um ein Viertelstündchen frische Luft zu schöpfen, wie dies im Sommer und Winter, bei Sonnenschein wie Schneegestöber mein Gebrauch ist. Das Fenster der Kammer ging in ein Gässchen, das ich, sooft ich auch durch Bruck gekommen, niemals bemerkt, noch weniger betreten hatte. Mir gerade gegenüber lag ein altertümliches, wettergeschwärztes Haus mit hohem Giebel und unter dem Spitzbogen der Haustür, zu der einige Stufen hinaufführten, sah ich zwei Personen in eifrigem Gespräch begriffen, deren Vertraulichkeit bei der großen Verschiedenheit ihres Alters und ihrer bürgerlichen Stellung meine Aufmerksamkeit erregte. Die eine der beiden Personen nämlich, ein junger Mann in zierlicher, blonder Stutzperücke, in einem anständigen braunen Tuchkleide und geflammten Seidenstrümpfen, gehörte unzweifelhaft zu den Honoratioren der Stadt, während das Frauenzimmer, das den Abschiednehmenden bis zur Haustür begleitet zu haben schien, in Tracht und Haltung nur wie eine gewöhnliche Bürgerfrau aussah. Sie war alt und überaus hässlich; die kleinen stechenden Augen und das spöttische Grinsen des zahnlosen Mundes gaben dem gelben runzlichten Gesichte einen widerlich hämischen Ausdruck, den das wirre graue Haar, das unter der schwarzen Drahtflügelhaube hervorhing, nicht zu mildern vermochte. Die kleine hagere Gestalt war mit einem etwas abgenützten Kleide von schwarzem Kamelott und einem mit verschossenem Samtband besetzten Halbmäntelchen von demselben Stoffe angetan, aus dessen Armschlitzen ihre dürren Hände mit den gichtgekrümmten Fingern wie Adlerklauen hervorsahen. Dazu trug sie baumwollene schlechte Strümpfe, grobe Schuhe, Zinnschnallen, ein grellgelbes Halstuch und eine feuerfarbene Schleife auf der Drahthaube; kurz und gut, nur der Besen fehlte, so war die Hexe fertig.«