Kitabı oku: «Der grüne Bogenschütze», sayfa 8
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Fay Clayton wohnte allein, aber sie führte deshalb doch kein einsames Leben. In ihrer kleinen Wohnung in Maida Vale lebte sie mehr oder weniger zurückgezogen, aber sie hatte viele Freunde und verkehrte in mehreren Lokalen, wo sie Erholung und Vergnügen fand. Es würde nicht der Wahrheit entsprechen, wenn man sagen wollte, daß sie ihren Mann vermißte. Trotzdem zeigte sie Julius gegenüber eine Anhänglichkeit, die sonst niemand teilte. Sie hatte noch nie Gelegenheit gehabt, an seiner Treue zu zweifeln, und während der letzten fünf Monate hatte sich ihre finanzielle Stellung bedeutend gebessert.
Als Julius noch mit der Falschspielerbande arbeitete und einer der vier tüchtigen Leute war, die andere betrogen, die sich zu sicher fühlten, führte sie ein wenig sicheres und ruhiges Leben. Wochenlang lebten sie von geliehenem Geld oder dem Versetzen von Schmuckstücken, und selbst wenn ihnen ein großer Fang gelungen war, dauerte das gute Leben meist nicht lange. Aber jetzt erhielt sie eine dauernde, große Geldunterstützung von ihm, womit sie früher gar nicht gerechnet hatte. Sie quälte ihren Mann nicht mit Fragen, woher er dieses Geld bekam. Daß Abel Bellamy ihm kein außerordentlich hohes Gehalt zahlte, wußte sie, denn sie kannte die Höhe seines Monatsgeldes.
Er hatte also irgendeinen anderen guten Nebenverdienst, der sicher sein mußte, denn Julius schreckte bekannterweise vor gefährlichen Dingen zurück. Er hatte ihr niemals erzählt, was er eigentlich zu tun hatte, und als sie über das viele Geld nachdachte, das er bekam, glaubte sie, daß er als Privatsekretär Bellamys vielleicht auch die Haushaltskasse verwaltete. Das hätte dann wenigstens zum Teil den Besitz des vielen Geldes erklärt. Er zahlte ihr nicht nur eine sehr anständige Summe für den Lebensunterhalt, sondern machte ihr auch unerwartete Geschenke in Form von Schmucksachen und Juwelen, die allem Anschein nach neu und ehrlich gekauft waren. Sie hatte sich also über nichts zu beklagen. Julius war in einer sicheren Stellung, und sie konnte ihre neuen Diamantringe in ihrem Lieblingsnachtklub sehen lassen, ohne im mindesten fürchten zu müssen, daß geheimnisvolle fremde Leute erschienen und sie aufforderten, mit ihnen einen kleinen Spaziergang zur Polizeistation zu machen.
Aber auch das hatte gerade keine großen Schrecken mehr für sie. Sie war mit ihrem fünfzehnten Jahr schon dreimal im Gefängnis gewesen, und der Schrecken vor der Gefangenschaft hatte seine Wirkung auf sie verloren, denn er besteht gewöhnlich nur in der Furcht vor dem Unbekannten. Das einzige Unangenehme der Haft bestand für sie darin, daß sie mit der Polizei in Berührung kam und ihr das Recht geben mußte, sie anzuhalten, mit ihr zu sprechen und Fragen an sie zu stellen, die manchmal sehr unangenehm zu beantworten waren.
Sie war gerade in ihrer kleinen Küche und bügelte eine Bluse, als an die Tür geklopft wurde. Ihr Mädchen (ein optimistischer Titel für die unordentliche Frau, die täglich kam, um die Wohnung zu reinigen), war ausgegangen, um einzukaufen. So ging Fay selbst zur Tür und öffnete. Sie hatte erwartet, einen Händler zu treffen, aber sie sah einen schlanken, etwas vornüber gebeugten, hohläugigen jungen Mann vor sich, der einen schlecht sitzenden, ärmlichen Anzug trug.
»Jerry!« rief sie und öffnete. »Komm schnell herein!«
Sie schloß die Tür hinter ihm, und er folgte ihr ins Wohnzimmer.
»Wann bist du denn herausgekommen?« fragte sie.
»Heute morgen,« antwortete er. »Hast du etwas zu trinken? Ich sterbe vor Durst. Wo ist Julius?«
Sie nahm eine Flasche und ein Syphon mit Sodawasser vom Buffet, setzte beides vor ihm hin, und er goß sich reichlich ein.
»Das schmeckt gut,« sagte er. Allmählich kam wieder etwas Farbe in sein blasses Gesicht. »Aber sage mir doch, wo ist Julius?«
»Er ist nicht hier im Hause, Jerry. Er hat eine Stellung auf dem Lande.«
Er nickte und schaute wieder nach der Flasche.
»Das war genug für dich!« sagte sie und stellte den Whisky wieder ins Buffet zurück.
»Was wirst du jetzt tun? Was hast du vor?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Unsere Gesellschaft ist ja auseinandergesprengt. Julius hat eine Stellung, wie ich höre. Hält er sich jetzt ordentlich?«
»Gewiß!« sagte Fay etwas beleidigt. »Jerry, du mußt dir jetzt auch ordentliche Arbeit suchen. Die Bande ist aufgelöst – Laß in Zukunft deine Finger davon.«
Sie waren Geschwister, obwohl niemand eine Verwandtschaft zwischen der hübschen Frau und dem hohläugigen, heruntergekommenen Menschen vermutet hätte, der eben aus dem Gefängnis kam.
»Ich habe Featherstone getroffen.«
»Hat er dich hierhergehen sehen?« fragte sie.
Er schüttelte den Kopf.
Nein, ich bin ihm im Westen begegnet. Er hielt mich an und fragte mich, wie es mir ginge und was ich unternehmen würde. Er ist wirklich kein schlechter Mensch.«
Sie verzog das Gesicht.
»Dir kommen manchmal etwas phantastische Illusionen in den Kopf, Jerry. Aber was willst du jetzt anfangen?«
»Ich habe dir doch eben gesagt, daß ich es nicht weiß.« Er schob seinen Stuhl zurück und schaute nachdenklich auf die Tischdecke. »Da ist eine Gesellschaft, die auf den großen Dampfern im Atlantischen Ozean arbeitet, die würde mich aufnehmen und möchte gern, daß ich mitmache. Ich muß sagen, daß ich so etwas noch nie gemacht habe und es würde auch ein kleines Kapital voraussetzen – so zweihundert für die Hin- und Rückreise, und dann muß man auch immer darauf gefaßt sein, daß man eine Reise macht, ohne irgendeinen Erfolg zu haben. Du könntest mir das Geld wohl nicht leihen?«
Sie biß sich auf die Unterlippe und dachte nach.
»Ich könnte es schon,« sagte sie langsam.
»Du kannst sicher sein, daß es ganz guten Verdienst abwirft. Es ist viel sicherer, als wenn man hier auf dem Lande etwas macht. Du hörst niemals, daß Leute, die auf Schiffen zusammenarbeiten, irgendwie gefaßt worden sind.« Er sah sich in dem Zimmer um. »Es ist doch eigentlich ganz schön, daß man wieder frei ist. Ich habe genug vom Gefängnisleben.«
»Wo hast du gesessen, Jerry?«
»Ich war in Pentonville, wo Creager früher im Amt war. Ich könnte dir ein paar Geschichten über ihn erzählen, daß dir die Haare zu Berge ständen, Fay. Kann ich hier bei dir wohnen?«
Sie zögerte einen Augenblick.
»Ja, du kannst in Julius' Zimmer wohnen.«
»Kommt er denn nicht hierher?« fragte er stirnrunzelnd.
»Das geht doch nicht. Ich höre jeden zweiten Tag von ihm, und ich kann mich wirklich nicht über ihn beklagen.«
Er schaute auf seine zerknitterten Kleider, und man sah, daß er sich ihrer schämte.
»Ich möchte mich neu einkleiden – hast du etwas Geld?«
»Das kann ich schon für dich besorgen, so kannst du nicht herumlaufen, Jerry. Ich hoffe nur, daß dich niemand hier hereinkommen sah. Die Leute, die hier wohnen, sind sehr korrekt, und ich möchte nicht haben, daß man dich hier sieht, bevor du nicht etwas repräsentabler aussiehst. Ich dachte, du würdest erst sechs Monate später herauskommen.«
Er lachte.
»Der Gefängnisarzt sorgte dafür, daß ich entlassen wurde. Meine Brust ist nicht in Ordnung, und ich bat um eine Spezialbehandlung. Deswegen haben sie mir einen Teil der Strafe erlassen. Im Gefängnis weiß man mit kranken Leuten nichts anzufangen. – Aber ich habe noch einige gute Kleider auf der Gepäckaufbewahrung bei der Charing Cross Station,« sagte er plötzlich. »Vielleicht bist du so gut und besorgst sie für mich. Ich brauche dann nicht mehr so viel, um mich wieder auszustatten.«
Sie nahm den Gepäckschein und fuhr am Nachmittag zur Eisenbahnstation, um seinen Koffer zu holen. Der Chauffeur brachte sie auf dem kürzesten Weg durch Fitzroy Square dorthin. Fay kannte die ganze Gegend genau, dort lag auch ein Restaurant, in dem sie früher viel verkehrt hatte. Es gab in dem Lokal viele kleine Einzelräume, wo sich Leute versammeln und sicher sein konnten, daß sie nicht beobachtet wurden. Man konnte dort Pläne besprechen, ohne belauscht zu werden, und es war ein bevorzugtes Lokal für Verbrecherbanden. Auch Fay hatte sich früher immer mit den anderen dort getroffen.
Als sie vorbeifuhr, sah sie am Eingang einen Mann stehen und erschrak, als sie ihn erkannte. Es war Julius. Als sie sich nach vorne lehnte und an die Scheibe klopfte, fuhr eben ein anderes Auto vor, aus dem eine Dame ausstieg. Sie sah, wie Julius seinen Hut zog und die beiden dann durch die enge Tür von El Moro's verschwanden.
Fay ließ ihren Wagen sofort halten und sprang heraus. Sie hatte Valerie Howett früher nur einmal gesehen und erkannte sie sofort wieder.
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Valerie sah sich erstaunt in dem reich ornamentierten Zimmer um, in das sie hineingeführt wurde. Ein unangenehmer Geruch von abgestandenen Zigarrenqualm lag in dem Raum. Die verblichene Vergoldung der Dekorationen, die schweren Sammetvorhänge und die überladene und unechte Eleganz berührten sie unangenehm und abstoßend.
Julius schickte den lächelnden Kellner fort und schloß die Tür. Er war feinfühlig genug, Valeries Widerwillen nachzuempfinden.
»Es tut mir sehr leid, daß ich Sie hierherführen mußte, Miß Howett, aber es ist der einzige Platz, wo wir ganz sicher nicht beobachtet werden.«
»Was ist denn dies für ein Lokal?« fragte sie neugierig.
»Es ist sehr bekannt,« sagte Julius diplomatisch. »Wollen Sie nicht Platz nehmen, Miß Howett? Ich kann Ihnen heute nicht so sehr viel Neues berichten,« fuhr er fort, als sie sich auf die Ecke eines Plüschsessels gesetzt hatte. »Mr. Bellamy macht es mir immer schwerer, etwas zu entdecken.«
»Haben Sie die Photographie für mich gebracht?«
Er schüttelte den Kopf.
»Als ich sie jetzt holen wollte, fand ich, daß die Schublade leer war. Bellamy muß entdeckt haben, daß ich seinen Schreibtisch durchsuchte, er hat mir sogar Andeutungen darüber gemacht. Ich habe sehr viel für Sie gewagt, Miß Howett.«
»Ich habe Sie ja auch dafür bezahlt,« antwortete sie kühl. »Ich bin mir nicht ganz klar darüber, Mr. Savini, ob Sie alles, was Sie für mich unternommen haben, mir zuliebe oder für das Geld getan haben, das ich Ihnen bezahle. Sie haben Ihre eigenen Pläne, dessen bin ich ganz sicher, und Sie arbeiten mindestens ebensoviel für sich wie für mich. Aber das ist schließlich nicht meine Sache. Ich muß die Photographie haben. Sie sagten, es wären auch noch andere Photographien da?«
»Ja, ein Bild seines Neffen,« sagte Julius. Miß Howett schaute ihn erstaunt an.
»Seines Neffen?« fragte sie ungläubig. »Ich wußte überhaupt nicht, daß er irgendwelche Verwandten hatte.«
»Ich nehme nur an, daß es sein Neffe war. Er wurde im Krieg getötet.«
Fay Clayton hatte ganz richtig vermutet, daß Julius eine hohe Nebeneinnahme hatte. Jede kleine Nachricht, die Valerie Howett über Bellamy und über seine Gewohnheiten erfuhr, hatte sie von dem aalglatten Savini. Die Börse der jungen Dame war auch die Goldmine, aus der Fays größere Einnahmen kamen.
»Auf der Rückseite der Damenphotographie war nichts zu sehen, woraus man schließen könnte, wer auf dem Bilde dargestellt war. Warum haben Sie denn die Photographie nicht genommen, als Sie damals die Gelegenheil dazu hatten?«
»Es tut mir auch leid, daß ich es unterließ,« sagte er bedauernd. »Aber wenn er herausgefunden hätte, daß sie nicht mehr da war, hatte er mich sofort hinausgeworfen. Ich zittere bei dem Gedanken, was dann passiert wäre.« Und Julius zitterte buchstäblich.
»Sie schrieben in Ihrer kurzen Mitteilung, daß der Grüne Bogenschütze wieder erschienen sei und die Hunde betäubt habe.«
»Er ging in Bellamys Zimmer,« sagte Julius und nickte zur Bekräftigung. »Ich kann Ihnen nur eine wichtige Mitteilung bringen, Miß Howett. Bellamy hat heute morgen an Smith geschrieben. Er sandte mich mit dem Brief sofort zur Post, damit ich ihn einschreiben lassen sollte. Nebenbei bemerkt, war das Schreiben versiegelt, und aus dem Gewicht schließe ich, daß es eine Geldsendung war. Smith bekommt mehr Geld als Creager. Ich schätze die Summe, die er monatlich erhält, auf etwa hundert Pfund. Ich weiß es, weil ich letzten Monat von der Bank hundert Pfund abheben mußte. Am selben Abend kam Mr. Bellamy zu mir und fragte mich um weiteres Geld, das er für Wilks brauchte, der etwas anschaffen sollte.«
»Wer ist denn eigentlich der neue Hausmeister?« fragte Valerie.
»Ich kenne ihn nicht. Er ist ein sehr angenehmer Mensch, aber ich sehe nicht viel von ihm.«
Valerie dachte eine Weile nach. Sie hatte einen erfolglosen Versuch gemacht, mit dem einen Helfershelfer Bellamys in Verbindung zu kommen, und dieser Versuch hätte beinahe ein böses Ende für sie gehabt. Es stand bei ihr fest, daß Coldharbour Smith ihr die Lösung des Geheimnisses geben konnte, das sie so sehnlichst zu enthüllen wünschte.
»Ich möchte mehr über diesen Mann wissen,« sagte sie. »Haben Sie nichts herausgefunden, das sich auf ihn bezieht?«
»Nein, gar nichts. Bellamys Privatpapiere und Akten sind in dem Geldschrank eingeschlossen, und es gehört ein Sachverständiger dazu, um ihn aufzubrechen. Mr. Bellamy verwahrt den einzigen Schlüssel stets persönlich, er trägt ihn immer mit sich herum und läßt ihn niemals liegen. Ich war schon in seinem Zimmer, bevor er morgens aufstand, aber ich habe niemals den Schlüssel entdecken können. Daraus schließe ich, daß er ihn mit ins Bett nimmt.«
»Teilen Sie mir sofort mit, wenn sich etwas Neues ereignen sollte. Hat er neue Hunde bekommen?« fragte sie mit einem Lächeln, als sie sich erhob. »Es ist ja nun auch für Sie leichter, mir Nachrichten zukommen zu lassen, da ich in Lady's Manor wohne. Sie brauchen nur ein kleines Briefchen über die Mauer zu werfen.«
Plötzlich hörten sie von draußen aufgeregte und böse Stimmen. Die Tür wurde heftig aufgerissen, und eine Frau erschien in der Öffnung. Ihr Gesicht war rot vor Zorn, ihre Augen schossen Blitze, und es dauerte einige Zeit, bis sie sich soweit beherrschte, daß sie sprechen konnte. Valerie war erstaunt und entsetzt.
»Ich möchte nur wissen, was Sie hier mit meinem Manne zu tun haben, Miß Howett?« fragte sie mit einer schrillen Stimme, die sich überschlug.
»Mit Ihrem Mann?« fragte Valerie und schaute von der Frau zu Julius, der ein bedrucktes Gesicht machte.
»Aber meine Liebe, es ist doch alles in Ordnung. Ich habe diese Dame hier getroffen, um geschäftlich mit ihr zu verhandeln,« wandte Julius ein.
»Was, geschäftlich zu verhandeln?« Fay hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah ihren Mann wütend an. »Das ist eine schöne Geschichte – du bist hierhergekommen, um über Geschäfte zu reden? Konntest du sie denn nicht in ihrem Hotel treffen? Weswegen schleichst du dich denn hier herum?«
Valerie hatte ihre Selbstbeherrschung wiedergewonnen.
»Ach, das ist Ihre Frau, Mr. Savini?« fragte sie.
»Was, sie fragt noch, ob ich seine Frau bin?« fuhr Fay los. »Ja, ich kann mit allem Recht sagen, daß ich es bin! Julius, du bist mir ein schöner Bursche! Er kann immer nicht kommen, um mich zu sehen, weil er so viel in Garre zu tun hat!« schrie sie aufgebracht. »Du gemeiner Lügner!«
»Nun höre doch zu, ich kann dir ja alles erklären! Ich war gerade auf dem Weg zu dir – ich schwöre es! Ich mußte doch mit Miß Howett erst eine geschäftliche Angelegenheit regeln.«
»Und dann kommt Miß Howett allein hierher, um dich in geschäftlichen Angelegenheiten zu sprechen?« fragte sie ironisch und kam aufs neue in Wut. »Geht sie denn ohne Begleitung in ein Lokal wie El Moro's? Natürlich ist sie allein gekommen!«
»Selbstverständlich ist sie nicht allein gekommen!« ertönte eine kräftige Männerstimme von der Tür her. »Miß Howett kam mit mir.«
Fay Clayton fuhr herum und wurde plötzlich ganz klein.
»Ach so,« sagte sie verlegen.
»Wir müssen doch immer zusammenstoßen, Fay,« sagte Captain Featherstone ironisch. Dann wandte er sich zu der erstaunten Valerie. »Ich wollte Sie eben fragen, wie lange Sie noch hier bleiben wollen, Miß Howett? Sie haben doch nicht vergessen, daß Sie um vier Uhr eine Verabredung haben?«
Valerie nahm ihren Pelz auf und folgte Jim die Treppe hinunter. Sie war bestürzt und ärgerlich, und es war echt weiblich von ihr, daß sich ihre Wut nicht gegen Julius oder seine Frau richtete, sondern gegen den Mann, der ihr wieder einmal zur rechten Zeit zu Hilfe kam.
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Jim Featherstone geleitete Valerie zu dem Automobil und setzte sich in ihren Wagen, ohne daß sie ihn dazu aufforderte.
»Es gibt Plätze, wohin Sie gehen dürfen, und andere, wohin Sie nicht gehen dürfen. Als Ihr nachsichtiger Beschützer kann ich es nicht dulden, daß Sie sich in einem Lokal wie El Moro's sehen lassen. Dieses Haus hat einen sehr bösen Ruf und wird von allerhand verbrecherischen Elementen besucht. Ich werde mir den guten Julius noch kaufen, wenn ich mit ihm unter vier Augen bin, daß er es überhaupt gewagt hat, Sie dorthin zu führen.«
»Es war mein Fehler, denn ich bat ihn, eine Stelle ausfindig zu machen, wo mich niemand kennt und wo wir sicher und allein sprechen können.«
»Dann würde ich Ihnen raten, in Zukunft auf den Turm der St. Pauls Kathedrale zu steigen oder in die Grabkirche der Westminster-Abtei zu gehen – das sind beides Plätze von tadellosem Ruf.« Aber dann fuhr er in anderm Ton fort: »Julius hat Ihnen natürlich Nachrichten über Bellamy und seinen Haushalt gebracht. Das habe ich schon lange vermutet. Ich warne Sie aber, Miß Howett, denn ich bin davon überzeugt, daß dieser Mann, obwohl er Ihnen bis zu einem gewissen Grade mehr oder weniger ehrlich dient, doch auch nicht zögern wird, Sie an Bellamy zu verraten. Er arbeitet auch für eigene Rechnung.«
»Ich weiß das,« sagte sie ruhig. »Vermutlich sind Sie mir wieder den ganzen Tag gefolgt?«
»Fast den ganzen Nachmittag,« gab er zu.
»Ich dachte, Sie seien verreist, Captain Featherstone, Sie fallen mir allmählich auf die Nerven.«
»Und Sie fallen mir schon seit Monaten auf die Nerven,« antwortete er gelassen. »Sie bilden sich doch nicht etwa ein, daß es ein Vergnügen ist, immer hinter Ihnen her durch ganz London zu jagen? Oder sind Sie etwa anderer Meinung?«
Plötzlich wurde sie vernünftig und bereute ihr Verhalten ihm gegenüber.
»Ich – es tut mir so leid,« sagte sie kleinlaut, »aber es ist merkwürdig, daß Sie immer meinen Widerspruch wecken, wenn Sie etwas sagen. Ich bin Ihnen ja so dankbar, daß Sie gerade im richtigen Moment gekommen sind. Es war wirklich mehr als nur unangenehm. Ist sie denn wirklich mit ihm verheiratet?«
Er nickte.
»Ich habe mich nie zuviel um diese gemischten Ehen gekümmert, aber aus dem kindischen Stolz, mit dem die gute Fay ihren Trauring trägt, schließe ich, daß eine regelrechte Heirat vorliegt. Nichts macht die gewohnheitsmäßigen Verbrecher so froh, als wenn sie trotz ihres verfehlten Lebens der Welt irgend etwas Rechtmäßiges zeigen können.«
»Ich dachte, Sie wären verreist,« wiederholte Valerie.
»Das haben Sie mir schon eben gesagt. Es tut mir sehr leid, daß es nicht der Fall ist. Wenn ich meinen Wünschen folgen könnte, so würde ich jetzt in den Tiroler Alpen die Berge hinaufklettern.«
Valerie wußte nicht, wie sehr Jim lügen konnte. Denn es gab keinen Platz in der weiten Welt, an dem er im Moment lieber gewesen wäre, als an ihrer Seite in dem ruhig dahingleitenden Rolls Royce-Wagen, der sie durch die Straßen von Westend trug.
Plötzlich entschlüpfte ihr ein Ausruf des Ärgers.
»Ach, ich vergaß ihn etwas zu fragen,« begann sie, »und das war doch eins der wichtigsten Dinge, die ich wissen mußte.«
»Vielleicht kann ich es Ihnen sagen,« meinte er, aber sie schüttelte abweisend den Kopf.
»Sie können mir nicht sagen, was ich brauche,« erwiderte sie lächelnd.
»Eines Tages werden Sie sich davon überzeugen, daß Sie sich auf meine Auskünfte mehr verlassen können als auf irgendwelche andere.«
Sie zögerte einen Augenblick, dann öffnete sie ihr Täschchen und zog daraus einen zusammengelegten Bogen hervor, den sie sorgfältig auf ihrem Schoß entfaltete.
»Das ist ein Plan der Burg,« sagte Jim sofort.
»Es ist ein alter Plan, ich habe ihn von einem Buchhändler in Guildford gekauft. Er zeigt die Burg nicht, wie sie heute ist, sondern wie sie vor zweihundert Jahren war. Sie sehen, es sind keine Wohnräume eingezeichnet und dieser Raum –« sie zeigte mit dem Finger auf eine Stelle – »der jetzt als Bibliothek benutzt wird, ist als Gerichtshalle bezeichnet.«
Er nickte.
»Es war der Raum, in dem die alten de Curcys ihre Gefangenen verhörten,« sagte er schnell. »Und was jetzt« – er deutete auf eine andere Stelle – »die Eingangshalle der Burg ist, war die Folterkammer, wo die Gefangenen gezwungen wurden, die Wahrheit zu sagen. Es gibt Augenblicke, in denen ich bedaure, daß heutzutage Folterkammern nicht mehr im Gebrauch sind, denn das Verbrechen, das in England heute am häufigsten begangen wird, ist vorsätzlicher Meineid. Wenn wir nur einige kleine, malerisch aussehende Folterinstrumente über den Zeugenstuhl hängen könnten –«
»Aber bitte bleiben Sie doch bei der Sache. Sind Sie sicher, daß dies jetzt die Bibliothek ist?«
»Natürlich, ich habe viel modernere Pläne als Sie, die ich von dem letzten Eigentümer der Besitzung erhielt.«
»Würden Sie mir die leihen?« fragte sie begierig.
»Warum?«
»Weil ich sie brauche.«
Es war zwar kein überzeugender Grund, aber zu ihren größten Erstaunen gab Captain Featherstone nach.
»Aber ich möchte Ihnen denn doch einen Rat geben, meine liebe Freundin,« sagte er. »Gehen Sie, wenn Sie es absolut wünschen, meinethalben nach Limehouse und durchforschen Sie dort die kleine Höhle, in der Coldharbour Smith seine Kneipe hat. Besuchen Sie so oft Sie wollen El Moro's, und ich will dafür sorgen, daß nichts passiert, was Ihnen oder Ihrem Ruf schaden könnte. Aber versuchen Sie um Himmels willen nicht, allein nach Garre Castle zu gehen und dort Ihre Nachforschungen anzustellen.«
Er sprach langsam und eindringlich und sie konnte sich nicht verhehlen, daß er es sehr ernst meinte.
»Auf gewöhnliche Weise werden Sie niemals dort hineinkommen. Ich möchte, daß Sie mir versprechen, nichts Außergewöhnliches zu unternehmen. Nicht wahr, Sie geben mir doch das Versprechen.«
Sie überlegte es sich eine Weile.
»Nein,« sagte sie dann offen, »das kann ich Ihnen ehrlicherweise nicht versprechen.«
»Aber was wollen Sie denn dort finden? Bilden Sie sich etwa ein, daß der alte Bellamy schriftlich aufgezeichnete Bekenntnisse in seiner Burg herumliegen läßt, damit irgendeiner, der dort gewaltsam eindringt, sie lesen kann? Vermuten Sie denn auch nur einen Augenblick, daß Sie eine brauchbare Entdeckung machen können, selbst wenn es Ihnen gelingen sollte, in die Burg hineinzukommen? Überlassen Sie diese Sache nur mir, Miß Howett. Ich bin tatsächlich in Sorge um Sie, das sage ich Ihnen ganz offen, weil ich zu viel von diesem verbrecherischen Bellamy weiß. Seine Hunde würden kurzen Prozeß mit Ihnen machen. Aber vor allem fürchte ich wegen des Grünen Bogenschützen.«
Sie wollte ihren Ohren nicht trauen.
»Sind Sie tatsächlich wegen des Grünen Bogenschützen beunruhigt? Captain Featherstone, Sie machen einen Scherz!«
»Nein, im Ernst, ich bin sehr besorgt deswegen,« wiederholte er nachdrücklich. »Valerie, Sie taumeln in eine schreckliche Gefahr hinein, die um so schlimmer ist, weil man nicht genau weiß, was sich ereignen wird. Ich möchte nicht in Ihr Geheimnis eindringen, ich dränge Sie auch nicht, mir zu sagen, warum Sie Mrs. Held suchen oder was diese Frau für Sie bedeutet und was Sie über die Begleitumstände ihres Verschwindens wissen. Vielleicht werden Sie mir später bei gegebener Zeit doch einmal Ihr Vertrauen schenken. Ihr Vater ist auch der Meinung.«
»Hat er Ihnen sonst keine näheren Aufschlüsse gegeben?«
Jim schüttelte den Kopf.
»Nein, er hat mir nichts gesagt, aber werden Sie mir jetzt das Versprechen geben, keinen Versuch zu machen, in die Burg einzudringen?«
»Das kann ich nicht. Ich bin aber davon überzeugt, daß Sie die Gefahr größer machen, als sie ist. Und vielleicht unterschätzen Sie doch die Wichtigkeit meiner Nachforschungen.«
»Das mag sein,« sagte er nach einer Pause. »Ich glaube aber, ich muß Sie jetzt verlassen. Lassen Sie bitte den Wagen halten.«
Er stieg in Whitehall aus. Nachdem er gegangen war und sie ruhig über alles nachdachte, erkannte sie erst, welch großen Dienst er ihr erwiesen hatte und welche Opfer er ihr dauernd brachte – aber er glaubte an den Grünen Bogenschützen! Sie mußte lächeln. Sie hatte die Existenz des Grünen Bogenschützen stets bezweifelt.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.