Kitabı oku: «Wagnisse in aller Welt», sayfa 2
Die Fahrt der Flößer
Schon hinter der Palackýbrücke, unter welcher der Mauteinnehmer zu uns gerudert kam, um die Zahl der aus je zwölf Balken zusammengesetzten dreizehn Tafeln zu kontrollieren, nahmen wir eine schmälere Formation an. Es hieß »einzeln abfallen«, denn das Schittkauer Wehr war in der Nähe, sein Durchlass ist eng. Während wir bisher mit zwei nebeneinander befestigten Holztafeln gefahren waren, musste jetzt die linke Floßhälfte losgelöst und hinten angebracht werden.
Führer und Gehilfen hatten hart zu arbeiten. Durch einen mächtigen Überlegbaum wurde der Vorderteil des Floßes mit der nächstfolgenden Tafel verbunden, damit der Bug von der Gewalt der Schleuse nicht zu tief gerissen werde. Die Durchschlagstämme, die das Balkendutzend zusammenhalten, wurden sehr genau angesehen, ob sie nicht schadhaft geworden seien. Hierauf kamen die Weidenbänder daran – sie knüpfen die dreizehn Tafeln zu einer Einheit: dem Floß. Man besprengte sie, um ihnen ihre Sprödigkeit zu nehmen, die Wucht des Schleusenwassers würde sie sonst zerfetzen.
Mit Energie und Schwung stachen wir die harpunenartigen Staken in den Moldaugrund und schritten, uns mit dem ganzen Körper gegen die eingebohrte Stange stemmend, rüstig vorwärts, wobei wir immer an derselben Stelle blieben, da sich das Floß mit gleicher Schnelligkeit in entgegengesetzter Richtung bewegte.
An den Rudern waren wir beschäftigt, genau in die Verlängerung der Schleuse zu kommen, was nicht leicht war, denn das Wehr liegt schief im Stromstrich, teilt sich gegen das linke Ufer zu in zwei Arme, und das Floß, das mit Mühe richtig in die erste Schleuse eingefahren ist, muss wenige Meter hinterher, noch ganz in der Gewalt des Gefälles, schon in die zweite dirigiert werden.
Krachend schlugen die Stämme an den Schleusenrand, aber unversehrt sauste unser Gebälk durch Strömung und Gischt. Den Schweiß von der Stirne trocknend, aufatmend, lenkten wir zum Altstädter Wehr ein.
Beim Frantischek erhielten wir Vorspann. Der Remorqueur1 schleppte uns bis zum Neumühl-Wehr unterhalb der Karlsbrücke. Bislang waren die einzelnen Tafeln nur lose aneinandergeknüpft, und man konnte daher unmittelbar nach Passieren einer Schleuse die Vorderseite schon gegen die Flussmitte steuern, ohne dass die vor oder innerhalb des Durchlasses befindlichen Teile aus ihrer Richtung geraten. Nachdem das Neumühl-Wehr durchfahren war, wurde dem Floß durch Anspannen der Bindwieden2 eine steife Formation gegeben, denn das neue Nadelwehr bei der Hetzinsel ist lang, und der Schwanz des Floßes muss die gleiche Richtung haben wie die ersten Tafeln.
In Holleschowitz stellen wir die Schregge, den um eine horizontale Achse drehbaren Riesenbalken am Bug, senkrecht ins Wasser, die Spitze bohrt sich tief in den Moldaugrund. Ächzend bleibt unser Fahrzeug stehen.
Nun springen, balancieren wir über die in breiter Front hier verankerten anderen Flöße ans Land, in das Wirtshaus »Baštecký«. Das ist mit Flößern dicht gefüllt. Gesprächsthema: In der Hetzinselschleuse seien zwei Prahmen auseinandergegangen, und die Bemannung, die selbst in Gefahr schwebte, müsse nun den ganzen Tag arbeiten, die Stämme wiederzufinden und zu binden. Die Schleuse ist schlecht, darüber sind sich alle einig. Auch gegen die Ansicht, dass die deshalb an die Statthalterei gerichtete Eingabe ohne Erfolg bleiben würde, erhebt sich kein Widerspruch. Aber über die Art der Abwehrmaßregeln entspinnt sich eine Debatte.
»Wir sollten einfach erklären, dass wir nicht durchfahren!«
Ein etwa vierzigjähriger Mann, der einzige von den Älteren, der keinen Schnurrbart trägt, der einzige, der das Haar nicht gescheitelt hat, sondern aufwärts gekämmt, ruft es laut durch die Stube.
»Dann fahren eben andere durch!« erwidert ihm ein Dicker vom Steuermanntisch und wendet sich beifallheischend zu seinen Nachbarn. Sie nicken, und mit sich zufrieden, tut der Dicke einen Schluck aus seinem Bierglas.
»Da müssen wir’s anders machen: passive Resistenz – solange die Schleuse nicht ausgebessert wird«, wirft da ein junger Bursch ein, den eine über die linke Gesichtshälfte, Kinn, Mundwinkel und Ohr verlaufende Schramme entstellt, »wir sollten die Flöße ausmessen. Und wenn eines länger ist als hundertdreißig Meter, sollten wir nicht darauf fahren – so wie es das Gesetz vorschreibt.«
»Das ist unmöglich«, behauptet einer vom Rat der Alten. »Man kann doch die Stämme nicht abschneiden, wenn sie um einen Meter länger sind!«
»So müsste eben eine Tafel weniger angekoppelt werden«, meint der Floßführer mit der Schramme.
»Na, dann legt man sie als Fracht auf die Prahmen, und du bist gerade dort, wo du warst. Im Übrigen würde sich das Ausmessen der Flöße nur gegen die Holzhändler richten, und die haben mit der Schleuse nichts zu tun.«
»Die Holzhändler haben nichts damit zu tun«, der Glattrasierte mit dem aufwärts gekämmten Haar lacht ironisch, »die Holzhändler haben nur so lange nichts damit zu tun, solange wir solche Scheißkerle sind wie bisher.«
Auch der mit der Schramme lässt nicht locker. »Wenn sich die Herren der Sache annehmen, würde schnell Abhilfe geschaffen!«
»Dreck!« sucht ihn der Dicke zu belehren. »Die Holzhändler haben sich gegen die ganze Kanalisierung eingesetzt, weil sie die Flößerei fast ruiniert hat. Und was hat’s ihnen genützt?«
»Na, sie haben sich doch schadlos gehalten!«
»Wieso hat die Kanalisierung den Floßtransport fast ruiniert?«
»Weil sie die Moldau verschandelt hat. Ist denn das noch ein Fluss? Gibt’s denn noch eine Strömung? Nur gestautes Wasser, nur Tümpel. Jede Weile muss man sich von Remorqueuren ans Gängelband nehmen lassen. Von Holleschowitz bis Troja, von der Selzer Dynamitfabrik bis Kletzan, von Žalow bis Libschitz, von Libschitz nach Miøowitz, von da nach Wranian, von hier nach Hoøin, dann nach Beøkowitz, bis nach Wegstädtl hängt man im Schlepptau. Nichts als Vorspann und blöde Schleusen. Gott sei Dank, dass der Staat kein Geld hat. Sonst hätten sie uns auch schon in Leitmeritz und Raudnitz solche Hürden errichtet. Lauter Wehrmeister, lauter Kontrolle …«
»Nicht einmal ein Mädel kann man mitnehmen«, brummt einer, der den Podskaler Lebemann spielt, seine Schmachtlocke ist scharf übers rechte Auge gekämmt.
»Na, du schmuggelst ja doch immer ein Mädel mit! Und wenn du es unter dem Floß vor dem Wehrmeister verstecken müsstest.« Selbstgefällig streicht der Don Juan von der Wasserkante seine Stirnlocke mit der Handfläche zurecht.
Ein zerrunzelt-brauner Veteran packt seine Erinnerungen aus: »Ja, ja, früher – da war’s eine Kunst, zu flößen. Wenn man sich nicht auskannte, schwups, saß man auf dem Trockenen. Im zweiundachtziger Jahr, wie ich noch jung war, im Juni zweiundachtzig, bin ich mit zwei anderen Burschen am alten Buchta vorübergefahren. Der Buchta, das war ein guter Steuermann. Jetzt ist er schon lang tot. Also, damals, wie ich an ihm vorbeigefahren bin, war er gerade auf einer Sandbank steckengeblieben und musste Wasser stauen, um die Prahme3 flottzukriegen. Als wir vorbeischwammen, hat er geschimpft, der alte Buchta: ›Verfluchte Lausbuben! Wir alten Esel bleiben stecken, und die fahren glatt vorbei! Der Teufel soll euch holen!‹, hat er gebrüllt, der alte Buchta.«
Hätte der Nestor der Steuerleute hinzugefügt, ein solches Auffahren auf Sand könne heute nicht mehr vorkommen, so ließe sich glauben, diese wenig sensationelle Geschichte vom alten Buchta sei zur Illustration der Tatsache erzählt worden, dass einstmals selbst der erfahrenste Steuermann böse Fahrtunterbrechungen erleiden konnte. Aber der Erzähler hat darauf verzichtet. Offen und stolz rühmt er sich des Buchtaschen Zitats – Wortlaut und Datum hat er sich gemerkt, jahrzehntelang, in denen er etwa zwölfhundert Floßfahrten unternommen. Der Fluch des alten Buchta ist ihm ein kostbares Vermächtnis.
Ein Angestellter der Schifffahrtsgesellschaft tritt in die Gaststube und meldet, der Remorqueur, der andere Flöße bis Troja gezogen, sei eben zurückgekehrt. Aufbruch. Bald schwimmen wir wieder talwärts.
Im Karolinentaler Hafen werden je vier Flöße zu einem Schleppzug, dem »Transport«, rangiert, die beiden vorderen mit zwei Seilen an den Schleppdampfer gebunden, alle vier miteinander verknüpft. Jetzt ist Zeit zur Rast. Nur ab und zu müssen wir an den Vorderrudern arbeiten, um bei scharfen Biegungen des Flusses nicht an das Ufer anzurennen.
Steuermann und Flößer setzen sich auf einen umgestülpten Eimer, stecken die Pfeifen in Brand. Den Feuerherd baut ein Gehilfe, Rasenstücke schlichtet er auf einen Holzstoß, begießt sie mit Wasser und klatscht mit einer Schaufel das Erdreich glatt, wobei Kotpatzen auf uns fliegen; wir quittieren mit Schimpfworten. Von einem Rundbalken wird ein Stück abgesägt, klein gehackt und angezündet. Herdfeuer flackert über den Wassern.
Den großen irdenen Kochtopf haben wir »gekauft« – wir gaben einem der überall heranrudernden Marketender ein ansehnliches Stück Buchenholz dafür. Jetzt brodelt Kaffee darin, dem ein hoher Prozentsatz Rum beigemengt wird. Rücken an Rücken trinken wir den »Schwarzgespritzten«. Um die Fahrt braucht man sich nicht zu kümmern. Unbewegt und lautlos fährt das Vierfloß durch gestautes Wasser, nur sein Bug wird von den leichten Wellen des vorandampfenden Remorqueurs umspült. Dadurch, dass dem Fluss die Strömung genommen ward, hat auch die Uferlandschaft ihr Leben verloren. Den Bäumen, deren Zweige wie geknickt vornüberhängen, den Sträuchern, welche die Ränder des zum Teich gewordenen Flusses garnieren, fehlt das eilende, plätschernde Wasser. Eintönige Gegend. Die Balken des Floßes schaukeln nicht, man spaziert auf ihnen wie auf Parkettboden.
Umso mächtiger der Kontrast, wenn’s durch die Schleusen geht. Etwa zweihundert Schritte vor dem Wehr wendet sich der Dampfer mit einem schrillen Pfiff, die vier Komponenten des Transports knüpfen sich voneinander und vom Remorqueur los und schnellen einzeln – Distanzen von je vierhundert Metern einhaltend – durch die Schleusen.
Aufjauchzen möchte man! Wellen überschwemmen die Balken, peitschen das lodernde Herdfeuer, in das helle Klatschen der Wogen mischt sich dumpfes Krachen der Randbalken, die gegen die Steinwände des flüssigen Hohlweges Sturm laufen und jeden Augenblick zu zerschellen drohen. Manche Tafeln sind durch das darüberschlagende Wasser verdeckt – es sieht aus, als seien die Binden entzweigegangen, das Floß in seine Bestandteile zerrissen.
Die Plattform der Prahme, die erste Tafel, ist vollständig unter den schäumenden Wassermassen vergraben, trotzdem der am zweiten Floßglied befestigte Mastbaum sie krampfhaft hochzerrt. In der Mitte der zweiten Floßtafel steht der Steuermann, an ihrem rechten und linken Rand wir Gehilfen.
Und wenn das Ende der Schleuse nahe ist, der Bug aus der Flut emportaucht, rennen wir, der Wogen nicht achtend, die hoch über unsere Wasserstiefel schlagen, zu den Rudern. Es gilt nach innen zu steuern, sonst würde das künstliche Gefälle unsere schwanke Prahme auf die Uferböschung schleudern.
Kaum sind wir durch, so glätten sich die Wässer, die Hölzer ordnen sich parallel, und an den Exzeß, dessen Spielball man eben war, erinnert nichts mehr. Wirf einen Blick zurück: Ein Floß saust kämpfend hinab …
Hinter jeder Schleuse sammelt sich der Transport von Neuem, ein anderer Schleppdampfer wird vorgespannt bis zum nächsten Wehr.
In Jedibab, einem von Gott und Menschen verlassenen Nest: Nachtquartier. Die Flöße kommen hier in der Dunkelheit an, und da sie die Kammerschleuse nicht mehr passieren können, wandert die Bemannung in das Dorf, zwanzig Minuten auf jämmerlichem Weg – besser geht es sich auf runden, schwimmenden Stämmen. In der Schenke essen wir hartes Brot und ein weiches Ei und trinken warmes Bier. Dann wird Stroh ins Wirtslokal geschafft, und man legt sich hin.
Scharfer Regen peitscht die Fensterscheiben. Das nimmt man schadenfroh zur Kenntnis, denn einer von uns hat erklärt, es falle ihm nicht ein, das teure Hotellogis zu bezahlen (in Jedibab beträgt der Preis für das Nachtlager acht Heller, in einigen anderen Stationen wird nichts berechnet), und ist auf dem Floß geblieben. Wir anderen malen uns aus, wie wir ihn am Morgen uzen wollen. Aber dazu kommt es nicht.
Als um Viertel zwei Uhr nachts aufgestanden und die Weiterreise angetreten wird, gießt der Himmel noch immer Wassermassen auf das Floß, das oben ebenso nass ist wie unten. Die Balken sind glatt, bei jedem Schritt rutscht man aus und fällt in das tote Wasser zwischen den Balken. Finstere Berge liegen wenige Schritte vor uns und verstellen den ganzen Strom – Wolken sind es.
Weiter geht die Fahrt, ununterbrochen, ununterbrochen, aber da sich die Distanz zwischen uns und dem schwarzen Gebirge durch Stunden nicht verringert und im Nebel die Ufer nicht erkennbar sind, scheint es, als ob die Prahme, von einer unsichtbaren Schregge festgehalten, sich nicht von der Stelle rühre.
Uns knurrt der Magen. Im Jedibaber »Restaurant« hatten wir morgens weder Kaffee noch Brot bekommen, und an ein Feuermachen ist in dem Gußregen keineswegs zu denken. Proviant besitzen wir nicht, und kein schwimmender Marketenderwagen lässt sich blicken. Wenn ein Gasthaus von ferne auftaucht, brüllt der alte Flößer Kolenský mit heiserer Stimme, der die Verzweiflung furchtbare Kraft verleiht, sein »Pivo« (Bier) über Wasser und Land. Immer heiserer, immer verzweifelter tönt es; hinter der Sprachgrenze, von Liboch und von Wegstädtl an, ruft er »Bier«, und es ist wie eines verwundeten Hirsches Todesschrei.
Leute an den Ufern hören ihn, mitleidsvoll eilen sie in das Gasthaus, der Wirt schenkt ein paar Gläser ein, steigt in den Kahn und rudert zu uns. Sosehr er sich aber auch beeilt – die Strömung ist schneller und unser Floß schon vorbei, ehe er herankommt. In der Mitte des Stromes wartet nun der Wirt, um seine Biere der Bemannung der nächsten Flöße – unseres schwimmt als erstes – anzubieten. Die Kollegen hinter uns können nicht in jedem Ort Bier trinken, und am Abend erzählen sie, wie die Wirte auf den Booten geflucht, als ihnen das mit so viel Eindringlichkeit bestellte und so mühselig servierte Bier am Hals blieb.
Was aber bedeuten alle Flüche aller Wirte gegen jeden einzelnen Fluch, den der durstige Kolenský jedes Mal ausstößt, da sein Bier den Nachfahrern angeboten wird!
Ein Anlegen des Floßes während der Fahrt – sei es wegen Sturmes, Regengusses oder Hagelschlages, sei es infolge Hungers oder selbst Durstes – gibt es nicht. Nur wenn der Flößer Feierabend machen muss, weil es ihm die Vorschrift befiehlt und weil er die Ufer nicht mehr erkennt, hält er an. Er weiß, dass ihm die Reise als solche gut bezahlt wird (so bekommt zum Beispiel der Steuermann für die zweieinhalb Tage währende Fahrt nach Mittelgrund neunundfünfzig Kronen), er weiß aber auch, dass er an den Tagen, an denen er sich nicht auf dem Holztransport befindet, dass er auch in den vier Wintermonaten von seinen Reisehonoraren zehren muss, die sich nun als elend genug erweisen. Also trachtet er, von seiner Fahrt so bald als möglich zurück zu sein – Akkordarbeit ist Mordarbeit –, um einen neuen Holztransport zu erhalten. Trotz verzweifelten Durstes fällt es dem alten Kolenský nicht ein, ein Anlegen des Floßes zu verlangen.
Erst um sieben Uhr abends nehmen wir, die wir um Viertel zwei Uhr nachts aufgebrochen waren, in Birnai, einem Dorf oberhalb Aussigs, unser Frühstück ein, einige Bierkäse.
Sechs Stunden später schwimmen wir wieder durch die Nacht. Sie ist dunkel, die Zacken der Uferberge sind dennoch sichtbar. Drohend und schwarz hebt sich der Workotsch aus dem nächtlichen Tal, rechts schaut der Schreckenstein unwillig über Land. Vom Niveau des Wassers, im fahlen Mond oder im Dämmer, büßt das Elbpanorama alle Idyllik ein, unheimlich ist es, durch eine Silhouettenlandschaft zu gleiten. Nach und nach tauchen friedlichere Hänge auf, allerdings nur im bizarren Rahmen von Nebelrissen. Da wir hinter Tetschen das Elbsandsteingebirge erblicken, ist die Morgensonne mit penetrantem Leuchten aufgegangen, bestrahlt die Fluten der Elbe und die lotrechten, zerklüfteten Felsgebilde an ihren Ufern.
1 Schleppschiff <<<
2 Weidenrute, Bindereis aus Weidenzweigen <<<
3 großer Lastkahn <<<
Auf der Reeperbahn von Rotterdam
Geschubst, gestoßen, gerempelt wird man zu nächtlicher Stunde auf dem Schiedamsche dijk, so wahr mir Gott helfe, viel mehr als zu Hamburg auf der Reeperbahn und in der zugehörigen Kleinen Freiheit. Das kommt zum Teil davon, dass sich die Schritte der festlandentwöhnten und auch sonst ziemlich befeuchteten Männer in Rotterdam auf bedeutend schmälerem Bürgersteig bewegen müssen.
Jedes Haus eine Schankstube, nein, jedes dieser engbrüstigen Hollandhäuser zwei oder gar drei Schankstuben und überdies ein Gasthof. Die Häfen der Ozeane geben ihre Namen zu Wirtshausschildern her: Coney Island-Bar, Trattoria di Trieste, Restaurant de Marseille, Taverne Le Havre, Proeflokal Amsterdam, London Boardinghouse, Teehaus Reval, Café Kjöbenhavn; »The Statue of Liberty« und Kristall-Bar locken international, und die Tanzlokale wahren ebenfalls eine echt niederländische Neutralität.
Innen die Aufschriften bloß holländisch und englisch: »Gentlemen are kindly requested to take off their hat while dancing.« (»Die Herren werden freundlich ersucht, ihren Hut während des Tanzes abzunehmen.«) Aber keiner der so kindly angesprochenen Gentlemen ist so kindly, Folge zu leisten, und Tanzmeister, Wirt, Kellner wagen es nicht, auf diesen Toilettefehler aufmerksam zu machen, die Gäste tanzen mit dem Hut, der Matrosenkappe, in der Uniformmütze auf dem Kopf, obschon keine Brise weht von der Maas oder wenigstens vom Salmhafen in die von Kau- und Rauchtabak gesättigte Luft des Danspaleis Eldorado. Den Charleston kann der Seefahrer nicht mitmachen: Mit hochgeschraubten Augen, vorgebeugt, als stünde er an der Reling, sieht er dem Wunder zu, das ihm eines ist, während ihm die Tropenbäume auf dem Pik von Teneriffa oder die blauen Affen von Guatemala nichts Wunderbares sind.
»Hotel Elim« (das scheint ein Kosenamen für Elohim oder sonst jemand aus dem Alten Testament zu sein) ist eine Unternehmung der Heilsarmee, eine »Toevlucht voor Mannen, Frouwen en Kinderen«, sechs Gulden kostet ein Zimmer wöchentlich mit Frühstück, fünfundsiebzig Cents ein Dinner. Ein regelrechtes Hotel – die Salvation army1 sollte dem Internationalen Hotelier-Verband angeschlossen sein. Ihr eigentliches »Nachtlager des Heils«, das Asyl im Nachbarhäuschen, enträt der Reklame und jeder Beleuchtung.
Geschäfte, ihr Dasein zwischen den Gastlokalen ist ein ziemlich gedrücktes, sind nachtsüber geöffnet, was bei Fischläden und Tabaktrafiken verständlich erscheint, aber unerfindlich bei einem Papiergeschäft: Rechnet der Verkäufer auf Menschen, die zu nachtschlafender Zeit das Bedürfnis verspüren, sich sofort Zauberspielkarten, einen Liebesbriefsteller oder die letzten Nummern der pornografischen Witzblätter »Pan« und »Die zwarte Kat« anzuschaffen?
Apropos: Weiber machen das Trottoir. Sie sprechen alle Sprachen oder sprechen wenigstens in allen Sprachen an, sie haben eine lange Vergangenheit, und so schwer vorstellbar es ist, sie müssen einmal jung gewesen sein und viele Strecken zurückgelegt haben, solche des Aufstiegs und solche des Abstiegs. Vorletzte Station: auf dem Schiedamschen dijk zu Rotterdam zu lungern. Sie könnten erzählen, wenn sie zu erzählen verstünden, sie könnten Namen ihrer Liebhaber nennen, wenn sie deren Namen je gekannt hätten, sie könnten sich an schöne Erlebnisse erinnern, wenn sie Erinnerungsfähigkeit und Erlebnisfähigkeit besäßen.
Des jungen Franzosen namens Arthur Rimbaud entsinnt sich wohl niemand, obwohl er in dieser Straße gewohnt hat, tagsüber Heuer2 suchend, nachts den Lärm, die Bewegung und den Geruch trinkend, mit dem die auf langen Seefahrten aufgestapelte Gier der Matrosen hier brandete, in den Schifferschenken und Hafenhuren vom Schiedamschen dijk.
Das war die holländische Landschaft, die dem jungen Franzosen Arthur Rimbaud besser zusagte als Himmel, Himmel, die ewig zartkonturierten Weideplätze mit den ewig silberhellen flüssigen Rainen und der ewig gleichförmigen Rotation der Windmühlen und dem ewig ruhigen Hintergrund im Blau des Delfter Porzellans, Himmel, Himmel.
Aber was half’s ihm, sich im Chaos davon zu erholen; er laborierte an der gleichen Krankheit, an der auch die Poeten der Idyllik leiden, Geldmangel, Hunger.
Arbeit fand er nicht, musste schließlich in der Rekrutierungskanzlei von Harderwijk Handgeld für die Kolonialtruppen nehmen und auf dem Deck des Paketbootes »Prins van Oranje«, das nach Bombay, Colombia, Batavia und Java segelte, Exerzierübungen machen, bis ihn das große Kotzen vor dem Militarismus ankam. Aus den Baracken von Salatiga, sechshundert Meter hoch, auf dem Hang des Merbaboc, weit im Innern von Java, desertierte ein Mantje namens Arthur Rimbaud; man fahndete nach ihm, um ihm kurzen Prozess zu machen, er irrte umher, und als der englische Kargodampfer ihn aufnahm und Anker lichtete, mag er glückselig diesen Kohlenkahn als trunkenes Schiff empfunden haben.
Kolonialsoldaten, denen die Flucht nicht glückte, schlendern durch den Nachtbetrieb und beabsichtigen, sich schadlos zu halten für Exerzierübungen auf dem Paketboot »Prins van Oranje« und den Bereitschaftsdienst in den Baracken von Salatiga, sechshundert Meter hoch auf dem Hang des Merbaboc weit im Innern von Java … Sie sind mager und geil, und auf den Ärmeln der Uniform tragen sie einen gelben Streifen.
Und uniform, trotz ihrer so verschiedenfachen Nomenklatur, sind die Wirtschaften. Bar auf Bar, Proeflokal auf Proeflokal, Tapperij auf Tapperij, Slijterij auf Slijterij, auch der Grossist verkauft »per maat en per glas«, und auf jedem Fenster ist angeschrieben, dass der Ausschank von Alkohol behördlicherseits »vergoennt« und »starke dranken« zu kaufen sind. Amstel Bieren, Heinekens Bieren und Pilsner Urquell werden angepriesen, die guten holländischen Schnäpse verstehen sich von selbst.
Die Buntheit von Sankt Pauli fehlt, das rhythmische Gerassel der Orchestrions,3 die grelle Stukkatur der Schaubuden, die Hippodrome, das Herrmannsche Panoptikum, die Tingeltangel. Noch etwas vermisst man: die gelbe Rasse. Es gibt freilich Mongolen genug in der Hafenstadt des Landes, von dessen sechsundvierzig Millionen Menschen reichlich vierzig Millionen in Sumatra, Borneo und Celebes, in den Molukken und in Westindien eingeboren sind. Indes, diese rechtlosen und ausgepressten Untertanen, die als Heizer und Schauermänner rechtlos und ausgepresst ins Mutterland kommen, dürfen unter den Weißen nicht wohnen; sie hausen in einem anderen Stadtteil Rotterdams auf dem anderen Ufer der Maas, in Katendrecht.
Dort schwärmen Chinesen, Neger, Inder und Malaien aus, dort ist kein »Vergunning« auf das Fenster der Kaschemmen gemalt, und hinter jedem Eintretenden schließt sich die Matte, auf dass der europäische Passant nicht sehe, was sich im Innern vollzieht, ob Kokain geschnupft wird, Opium gegessen, Haschisch geraucht, Lotterie gespielt oder hasardiert mit Dominosteinen und Würfeln und schmalen Spielkartenstreifen.
An den Speichern der Niederländisch-Amerikanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft haben Asiens Völker ihr Karree: Atjehstraat, Lombokstraat, Sumatraweg und Veerlen, und dieses Getto der Asiaten ist ein unheimlicher Fleck, besonders in den ersten Stunden des Abends, da aus Zwielicht, Dämmerung und Nebel jenseitige Gesichter emporschaukeln wie Materialisationsphänomene.
Niemals kommen sie aus den Kolonien herüber auf den Schiedamschen dijk. Was aber hat diese Radaustraße an der Mündung der Maas und des Rheins vor ihrer Kollegin an der Elbemündung voraus? Sie hat vor ihr voraus, dass das deutsche Element überwiegt. Auf der Reeperbahn zu Hamburg wird nicht so viel Deutsch gesprochen wie auf dem Schiedamschen dijk zu Rotterdam; Reparationskohle und Streikbrecherkohle schwimmt rheinabwärts bis Rotterdam, im Waalhafen ankert täglich eine Flotte von Rheinkähnen, gigantische Brückenkrane der DEMAG (ihre Ausleger reichen fünfzig Meter über Kaikante hinaus) löschen sie, schwimmende Elevator-Transporteure bunkern die Steinkohle in die Seeschiffe.
Verstummt am Abend das Klirren der Kranketten, das Stürzen der schwarzen Steine, das Surren der Antriebsmotoren, hört man in den Hafenstraßen deutsches Schifferplatt, und hundert Wirtshäuser locken mit heimischen Namen: »Düsseldorf«, »Köln«, »Mainz«, »Duisburg«, »Wesel« oder wenigstens mit der Versicherung: »Man sprigt Deutsch« – denn man sprigt Deutsch, wenn man’s auch nicht schreiben kann, »g« wird wie »ch« ausgesprochen –; der Krieg endete, deutsche Kohle geht über Rotterdam nach England, wo die Bergarbeiter hungernd streiken, und der deutsche Schiffer trinkt dafür auf dem Schiedamschen dijk steifen holländischen Grog.
1 Heilsarmee <<<
2 Lohn eines Seemannes <<<
3 Ein mechanisches Musikinstrument mit dem Zweck, möglichst ein ganzes Orchester zu imitieren. <<<
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