Kitabı oku: «Die Rückkehr der Zeitmaschine», sayfa 6
Neuntes Kapitel
Winternacht am Maimorgen
Der Zeitreisende tat einige tiefe Pfeifenzüge.
»Finden Sie nicht«, sagte er, »daß das eigentlich ein sehr ungenauer und falscher Ausdruck ist: ›das Bewußtsein verlieren‹? Meiner Ansicht nach kann man alles verlieren, nur nicht das Bewußtsein. Die Narkotisierten sind angeblich bewußtlos. Aber sie erleben alles mögliche, halten lange Reden und führen ganze Szenen auf. Dazu gehört doch Bewußtsein! Ferner gibt es nach der Versicherung fast aller maßgebenden Psychologen keinen traumlosen Schlaf: also verläßt uns auch im Schlaf niemals das Bewußtsein. Auch von Personen, die sich im höchsten Affekt: des Zornes, der Angst, der Liebesraserei befinden, sagt man, sie seien nicht bei Besinnung. Aber sie begehen in diesem Zustand sehr oft Handlungen von geradezu raffinierter Zweckmäßigkeit. Ebenso verhält es sich mit den Hypnotisierten: sie handeln höchst vernünftig, also müssen sie doch Bewußtsein haben. Ebenso mit den Betrunkenen: was diese reden und tun, hat oft geradezu metaphysischen Charakter. Andrerseits können wir auch im nüchternsten Zustand allerhöchstens zehn Vorstellungen auf einmal im Bewußtsein behalten: wenn die elfte auftaucht, ist die erste schon wieder untergegangen. Und doch ist sie da: sonst könnte sie nicht wiederkommen. Der Behälter, in dem sie ruht, ist eben das Bewußtsein.
Also das Bewußtsein ist immer da: im Rausch, in der Ohnmacht, in der Trance, im Scheintod, ja sogar nach dem Tode. Der Tod ist nichts als eine Narkose, aus der man nicht spricht, ein Schlaf, der im falschen Ruf steht, traumlos zu sein. Daraus folgt aber, daß das Bewußtsein auch schon vor der Geburt dagewesen sein muß, denn —«
»Das sind ja höchst anregende und neuartige Aspekte, die Sie hier eröffnen«, sagte ich, auf meinem Stuhle rückend, »aber noch mehr würde es mich derzeit interessieren, die Erklärung Ihres Zeitmaschinenunglücks zu erfahren. Warum wurden Sie aus dem Sattel geschleudert? Wieso wurde es plötzlich stockfinster?«
»Aber ich bin ja eben dabei«, sagte der Zeitreisende. »Lassen Sie mich nur der Reihe nach vorgehen. Zunächst mußte ich Ihnen doch erklären, wieso ich das Bewußtsein verlor und wieso ich es nicht verlieren konnte.«
»Und als Sie wieder zu sich kamen, was geschah da?«
»Wiederum ein falscher Ausdruck. Man ist immer bei sich.«
»Also was geschah, als das bei Ihnen eintrat, was man mit einem schlechten Wort als ›zu sich kommen‹ bezeichnet?«
»Das erste, was ich bemerkte, war eine schmerzhafte Beule an meinem Hinterkopf, die zusehends anschwoll. Langsam gewöhnte ich mein Auge an die Dunkelheit, und nun sah ich, daß ich neben meinem Hause auf dem Gartenboden lag, der steinhart und eiskalt war. Es war tiefe Nacht. Ein heulender Windstoß schüttelte die kahlen Bäume. Wütende Güsse dicker Hagelschloßen, vermischt mit Schnee, rauschten hernieder und peitschten mir ins Gesicht. Ich war bereits völlig durchnäßt. Ich erhob mich mühsam und tastete mich ins Zimmer. Natürlich hatte ich keine Streichhölzer mit, und außerdem erinnerte ich mich mit Verdruß, daß der Auerstrumpf bei der letzten Verwendung abgenützt und schadhaft gewesen war. Endlich fand ich Zünder und konnte Licht machen. Aber zu meiner angenehmen Überraschung war der Strumpf intakt und leuchtete wie neu. Ich begab mich zum Kamin, um Feuer zu machen. Aber die Scheite brannten bereits. Waren hier Heinzelmännchen am Werke?
Ich blickte um mich. Mein Studierzimmer war unverändert. Aber wie ich hierhergekommen war, war mir unerklärlich. Ich hatte doch nicht gestoppt! Oder war meine Maschine von selber stehengeblieben? Wo war sie denn überhaupt? Erst jetzt fiel mir ein, daß ich in meiner Verwirrung mich gar nicht um sie gekümmert hatte. Ich stieß das Fenster auf und blickte hinab; aber ich konnte sie nicht entdecken.
Ich stürzte vors Haus und suchte alles ab: sie war unauffindbar. In tiefster Niedergeschlagenheit kehrte ich in mein Zimmer zurück. Ein neuerlicher Wetterschauer ergriff die offenen Fensterflügel und schüttete die Scheiben klirrend ins Zimmer. Die Hagelkörner tanzten auf dem Teppich.
Ich schloß die Läden und verfiel in tiefes Sinnen. Was war geschehen? Das waren ja Dinge wie am Jüngsten Tag! War der Widerstand der Erdzeit eben doch nicht zu besiegen gewesen? Er konnte sich ja ganz gut erst einen Tag später ausgewirkt haben: statt am vierten am dritten Mai. Aber woher die Detonation und der Sturz? War eine Explosion vor sich gegangen infolge irgendeiner Reibung, der Reibung der beiden kämpfenden Zeiten? Aber das war ja Unsinn. Reibung ist doch nur unter Körpern, unter dreidimensionalen Größen möglich, und diese Vorgänge konnten sich nur in der einen Dimension der Zeit ereignet haben. Und selbst diesen unmöglichen Fall angenommen: so hätten sich doch zumindest Überreste meiner zerplatzten Maschine vorfinden müssen. Aber es war nicht ein Stückchen von ihr vorhanden, nicht ein einziges Rad, keine Spur ihrer Existenz. Sie war wie vom Erdboden weggewischt. Und draußen tobten Schneesturm und Eishagel am dritten Mai! Und dazu tiefe Nacht am Morgen! Denn diese Tageszeit mußte jetzt sein. Meine Maschine hat nämlich keine kleineren Zeiteinheiten als einen Tag. Das ist ja ohnehin schon sehr wenig: nicht einmal der dreieinhalbtausendste Teil eines Zeitmeters. Ich konnte also nur wieder kurz nach halb zehn Uhr morgens gelandet sein, denn soviel war es bei meiner Abfahrt von den Ägyptern.
Ich zündete mir eine Zigarre an, was bei mir immer das Zeichen übelster Laune ist, und grübelte weiter. Am Ende hatte ich alles nur geträumt: die sanfte meeräugige Gloria, den projizierten Mann von Savory, die purpurnen Drachenblüten und die verdrehten Ägypter? Vielleicht war das Ganze eine Grogphantasie, und ich war gar nicht weggewesen? Aber eine Reihe von Anzeichen bewiesen mir nur zu greifbar, daß alles positive Wirklichkeit war. Hier war mein Zimmer, aber ganz anders, als ich es verlassen hatte: der Auerbrenner statt der Morgensonne, rote Kaminglut statt des blauen Maihimmels und ein wilder Orkan statt der weichen Frühlingsluft. Ich fühlte, sah und hörte alle diese Veränderungen mit meinen wachen nüchternen Sinnen. Ich fühlte den eisigen Windzug durch die klappernden Fensterläden, ich hörte das Prasseln des Hagels und das Heulen des Sturmes, ich sah das Wasser und die Glassplitter auf meinem Teppich, und das Wichtigste und Betrüblichste von allem: was ich nicht sah, war meine Maschine. Wo war sie?
Ich hatte einigermaßen meine Ruhe wiedergewonnen und bemühte mich, an der Hand kalt logischer Erwägungen zu einem vernünftigen Resultat zu gelangen. So viel war klar: ich hatte den Widerstand der Erdzeit nicht überwunden, aus irgendeinem unbekannten Grunde, denn ich befand mich hier, in meinem Zimmer und nur einen einzigen Tag in der Vergangenheit. Aber das erklärte mir noch immer nicht das fatale Verschwinden meiner Maschine. War der Widerstand der Erdzeit unbesiegbar, so hätte sie einfach stehen bleiben müssen. Und woher kam die Finsternis? Die hatte doch mit dem Widerstand der Erdzeit nicht das geringste zu schaffen. Und das Unwetter?
Hier hatte ich einen Gedanken – wenn man ihn so nennen kann. Vielleicht war gerade meine gewaltsame Katastrophe die Ursache des plötzlichen Wetterumschlags. Was ist denn Wetter? Eine Zeiterscheinung. Wenn es gut ist, nennt man es eine ›schöne Zeit‹, beau temps, bel tempo. Und die unerklärliche Nacht war vielleicht eine Sonnenfinsternis. Ohne Sonne gibt es keine Zeit, also auch keine Zeitmaschine: daher war diese vorübergehend verschwunden. Natürlich war das alles ausgesuchter Blödsinn. Am dritten Mai war doch gar keine Sonnenfinsternis. Und ein von mir sozusagen nachgeliefertes Wetter war auch eine Undenkbarkeit. Aber in meinem niedergedonnerten Zustand wären Sie wahrscheinlich auf nicht viel Gescheiteres gekommen.
Ich schloß die Haustür und nahm mechanisch die Zeitung aus dem Postkasten. Es waren die ›Sunday Times‹. Merkwürdig: der dritte Mai war doch gar kein Sonntag. Geistesabwesend durchflog ich die einzelnen Spalten. Feuilleton: eine schreckliche Plauderei: ›Was wir uns zu Sankt Nikolaus wünschen‹. Diese Albernheiten hätte die Redaktion sich doch wirklich bis zum sechsten Dezember aufheben können. Oder waren sie noch vom letzten Nikolaustag liegengeblieben? Theater und Kunst: ›Die Erstaufführung von Pineros neuer Komödie ›Sinchens Geheimnis‹ findet nächste Woche im Haymarket-Theater statt.‹ Das war aber doch bereits ein Theaterskandal? ›Im Strand-Theater haben die Proben zu den Christmasspielen begonnen.‹ Was zum Teufel sollen Proben zu Weihnachtsspielen im Mai? Vom Kriegsschauplatz: ›Seit der Schlacht am Schaho herrscht zu Lande nach wie vor der Stellungskrieg, während Port Arthur belagert wird. Heute wurde der ›Hohe Berg‹, das Vorwerk an der Nordwestseite der Stadt, nach zehntägiger Bestürmung geräumt. Die Verteidigung leitete General Kondratenko. Danach ist, wenn es den Russen nicht noch rechtzeitig gelingt, Entsatz heranzuschieben, mit dem Fall der Festung in wenigen Monaten, ja vielleicht sogar schon in Wochen zu rechnen.‹ Aber zum Donnerwetter, der Russisch-Japanische Krieg war doch schon beendet! Von wann ist denn die Zeitung?
Zu dumm. Ich hatte eine alte Nummer erwischt: vom sechsten Dezember. Aber warum steckte sie noch im Postumschlag? Mein zerstreuter Blick fiel auf den Wetterbericht: ›Seit gestern herrscht in London eine Witterung, wie sie selbst im Dezember zu den Seltenheiten gehört: Schneegestöber, untermischt mit Hagel, und orkanartige Stürme.‹ Komisch: genau dasselbe Wetter wie jetzt…
Mit einem Male glaubte ich alles zu verstehen. Ich war gar nicht im dritten Mai, ich war wirklich im sechsten Dezember! In Gedanken versunken, hatte ich offenbar gar nicht beachtet, daß ich schon weitergeglitten war. Vielleicht auch hatte ich unversehens den Hebel berührt und das Tempo beschleunigt. Aber das erklärte noch immer nicht das plötzliche Stehenbleiben des Apparats und vor allem sein rätselhaftes Verschwinden. Denn die Zeitmaschine mußte doch da sein, sie war doch in der Zeit, in jeder Zeit, in tausend Jahren so gut wie vor tausend Jahren, morgen und übermorgen so gut wie gestern und vorgestern.
In diesem Augenblick wäre ich beinahe ohnmächtig geworden. Denn ich erkannte mit einem Schlage die ganze furchtbare Wahrheit.«
Zehntes Kapitel
Zweimal Burgunder
Der Zeitreisende entzündete seine Pfeife, die er vor Erregung hatte ausgehen lassen, und sagte dumpf: »Sie werden zugeben, daß es eine wahrhaft entsetzliche Situation war. Eine der trostlosesten und grauenvollsten, die sich denken lassen. Eine Lage, in der sich, seit die Welt besteht, noch niemals ein Mensch befunden hat und hoffentlich nie wieder einer befinden wird. Allen Gefahren, die mich auf meiner Fahrt bedroht hatten, war ich glücklich entronnen: dem Widerstand der Erdzeit, den Kathodenstrahlen des Radiodroms, dem Zeitschatten des Seleniten, dem Sturz von stockhoher Tiefe: aber dieses Hindernis war unüberwindlich.« Er verstummte und blickte düster vor sich hin.
»Warum meinen Sie?« fragte ich unsicher.
»Aber begreifen Sie denn noch immer nicht?« rief er. »Der Fall lag doch verteufelt klar. Ich war in eine Zeit hineingefahren, in der meine Maschine noch nicht erfunden war! Wie hatte ich, ein sogenannter wissenschaftlich denkender Kopf, diese primitive Tatsache übersehen können! In einer Zeit, wo sie noch nicht existierte, konnte ich freilich mit meiner Zeitmaschine nicht reisen! Sie werden lächeln, und ich hätte es wahrscheinlich auch getan, wenn die Sache für mich nicht gar so fatal gewesen wäre…«
Es entstand eine Pause. Der Zeitreisende schwieg und stieß Dampfwolken aus.
Ich sagte: »Ich begreife. Aber die Geschichte stimmt nicht. Wann haben Sie Ihre Maschine vollendet?«
»Auf den Tag genau kann ich es Ihnen nicht sagen. Aber es war Mitte Januar.«
»Nun gut! Dann hätte Ihre Maschine Mitte Januar versagen müssen, und Sie hätten dort stranden müssen, aber nicht am sechsten Dezember. Und Ihre Situation wäre dann gar nicht so verzweifelt gewesen. Denn Ihre Maschine mußte in dem Augenblick versagen, wo auch nur eine einzige Stange oder Schraube fehlte. Der Rest wäre erhalten geblieben. Sie hätten dann bloß die fast fertige Maschine vom, sagen wir, vierzehnten Januar durch diese fehlende Stange oder Schraube zu ergänzen und mit dem wieder funktionierenden Apparat in unsere Zeit zurückzufahren brauchen.«
»Ja«, sagte der Zeitreisende, »das sollte man meinen. Aber nach längerem Nachdenken kam ich darauf, daß es sich leider nicht so verhielt. Meine Maschine hatte den Widerstand der Erdzeit überwunden, sie hatte ihn nur zu gut überwunden! Denn sie hatte sich so mit Energie geladen, daß sie infolge des ihr innewohnenden Trägheitsgesetzes noch eine Zeitlang weiterlief. Dadurch erklärte sich auch die Nachtzeit. Eine Katastrophe richtet sich nicht nach meinem Zeitmesser und seiner Gradeinteilung. Irgendwann, in dem Millionenbruchteil eines Zeitmeters, war die Energie erschöpft, und die Bewegung hörte auf. Und dabei hatte ich noch Glück im Unglück gehabt: wäre ich, als die Katastrophe eintrat, nicht so langsam gefahren, sondern hätte eine höhere oder gar die höchste Geschwindigkeit gehabt, so wäre ich viel weiter geschleudert worden, vielleicht wirklich bis zu Mr. Carlyle oder ins Zeitalter der Königin Anna, und dann wäre meine Situation gänzlich aussichtslos gewesen, und wir hätten uns nie mehr wiedergesehen.«
»Den Unterschied sehe ich nicht ein«, sagte ich. »Wenn Ihre Maschine einmal fort war, so war es ziemlich gleichgültig, ob Sie sie zur Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges oder des Russisch-Japanischen Krieges verloren.«
»Ich werde Ihnen das später erklären. Ich dachte übrigens die längste Zeit genauso wie Sie, und deshalb hielt ich auch tatsächlich meine Lage für hoffnungslos. Bedenken Sie doch nur: für immer unverrückbar festgenagelt an den Abend des sechsten Dezember 1904!« Er schwieg verstört.
Ich wußte nicht recht, was ich sagen sollte. »Wenn es Sie noch immer so erregt«, stammelte ich, »so erzählen Sie es mir lieber ein andermal. Oder nehmen Sie wenigstens ein Glas Whisky-Soda.«
»Nein«, wehrte er ab, »nur Soda ohne Whisky. Das wird mich beruhigen.« Er trank gierig. »So, und jetzt können wir fortfahren.«
»Ich brütete noch lange vor mich hin, aber ich war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Auch machte nach den vielen aufwühlenden Eindrücken, die ich gehabt hatte, nunmehr die Erschöpfung ihre Rechte geltend. Ich begab mich zu Bett und verfiel in dumpfen, unruhigen Schlummer.
Als ich erwachte, hatte ich einige Mühe, den Zusammenhang wiederzufinden. Die geschlossenen Fensterläden, der prasselnde Kamin, die ›Sunday Times‹: alles war noch da. Auch der Auerstrumpf brannte noch: selbstverständlich, er war ja eine Art Ewiges Licht. Durch den Schlaf hatte ich mich wieder so weit gesammelt und erfrischt, daß ich nach Hilfsquellen auszuspähen begann. Zunächst galt es, ein Mittel zur Kommunikation zwischen mir und der Gegenwart ausfindig zu machen: – zwischen meiner und Ihrer Gegenwart meine ich. Und als dieses ergab sich mir nach längerem Nachdenken die drahtlose Telegraphie. Der elektrische Funke hat bekanntlich dieselbe Geschwindigkeit wie das Licht: dreihunderttausend Kilometer in der Sekunde. Er bewegt sich daher mehr als sechshunderttausendmal so schnell wie die Erde; zu einem Tag braucht er weniger als eine Sechshunderttausendstelsekunde. Mit diesem Vehikel konnte ich natürlich die Spannung von fünf Monaten, die zwischen mir und meiner Zeit lag, spielend leicht überbrücken; es war eine Sache von einer Viertausendstelsekunde. Ich sandte Ihnen also das erste Telegramm. Es war ein bißchen verworren. Aber ich konnte Ihnen doch auf diesem Wege nicht alles auseinandersetzen: so lange Telegramme gibt es ja gar nicht, und am Ende hätten Sie mich erst nicht verstanden. Immerhin: die nötigsten Anordnungen ließen sich in dieser Verständigungsform treffen. Ein Mißstand war allerdings nicht zu beseitigen: es mußte ein einseitiger Verkehr bleiben. Denn Sie konnten nicht an mich telegraphieren: die Bewegung der elektrischen Energie läßt sich nicht umkehren, sie ist immer nur einsinnig nach vorne gerichtet.
Das Ziel, auf das ich meine Anstrengungen zu konzentrieren hatte, war klar umrissen: ich mußte mit allen Mitteln versuchen, meine Maschine zu rekonstruieren. Aber wie das anfangen? Zunächst fehlten mir die komplizierten rechnerischen Unterlagen. Diese ließen sich vielleicht mit großem Aufwand an Fleiß wiederherstellen; aber einige wichtige Formeln, zu denen ich erst Ende Dezember gelangt war, waren mir unwiderruflich entfallen. Und vor allem brauchte ich Radium. Woher dieses nehmen?
Indes, eines Tages – aber das ist falsch ausgedrückt: für mich gab es ja nur einen Tag – stieß ich auf einen wertvollen Bundesgenossen, an den ich unbegreiflicherweise bisher gar nicht gedacht hatte. Es war die kleine Zeitmaschine. Sie war nicht nur ein unschätzbares Modell für den Bau der großen, sondern sie konnte auch selbständig in die Zeit reisen. Jetzt war auf einmal die Möglichkeit eines gegenseitigen Verkehrs und sogar eines Transports gegeben! Voll Eifer traf ich die Vorkehrungen, die Ihnen bekannt sind. Mittels dieses kleinen Fahrzeugs konnte ich hoffen, bei einiger Geduld und Zähigkeit alles Fehlende zu ersetzen. Meine Laune hatte sich bedeutend gebessert.«
»Aber warum schickten Sie mir dann so wütende Telegramme?« »Weil das Maschinchen niemals ankam!«
»Aber ich hatte es doch ganz genau adressiert!«
»Ich weiß«, sagte der Zeitreisende. »Eben weil Sie so genau adressiert hatten… Ich mache Ihnen selbstverständlich keinen Vorwurf. Es war nicht Ihre Schuld, sondern die meinige oder, sagen wir, die Schuld der Verhältnisse. Aber ich konnte es mir damals nicht erklären und war natürlich außer mir. Ich glaube, ich depeschierte etwas von einem Nilpferd?«
»Nein«, sagte ich, »es war ein Rhinozeros. Aber das tut nichts zur Sache.«
»Ich zerbrach mir den Kopf«, fuhr der Zeitreisende fort, »aber ich fand keine Lösung. Vielleicht, dachte ich zunächst, lag es daran, daß ich keine genaue Tageszeit angegeben hatte? Aber daran konnte es nicht liegen. Bei Ihrer bekannten Gefälligkeit und Zuverlässigkeit – bitte, das soll kein Kompliment sein – mußte ich annehmen, daß Sie sich meines Auftrags so rasch wie möglich entledigen würden. Dann mußte die Maschine so um elf Uhr vormittags eintreffen. Das war zwar nicht die richtige Zeit, aber gar kein Unglück. Denn dann mußte sie am Abend schon da sein. Böse wäre es nur gewesen, wenn Sie sich bis spät nachts Zeit gelassen hätten. Aber das war nicht anzunehmen, um so mehr, als ich Sie um schnelle Erledigung ausdrücklich ersucht hatte.«
»Ich entsandte die Maschine um zehn Uhr neununddreißig.«
»Na, sehen Sie!« nickte der Zeitreisende. »Dann fiel mir der Widerstand der Erdzeit ein. Den hatte doch die kleine Zeitmaschine ebensogut zu überwinden wie die große. Davon wußten Sie aber noch nichts, und so hatte sie offenbar bei der Rücksendung versagt. Übrigens hätte Ihnen mein Gegenmittel, auch wenn Sie es gekannt hätten, nichts geholfen. Denn Sie konnten die kleine Zeitmaschine wohl in die Zukunft schicken, aber nicht mitfahren. Nach einigem Nachdenken erkannte ich jedoch, daß auch diese Deutung nicht in Betracht kam. Denn ich selber hatte ja die Maschine in die Zukunft geschickt, und als sie bei Ihnen ankam, war sie schon mit einer Energie von fünf Monaten, also hundertfünfzigfacher Erdzeit, geladen.
Aber wenn auch nicht die Ursache, die Tatsache war klar genug: keine Zahlen, kein Material; und nun war das kostbare Modell auch weg! Damit schien mir jede Hoffnung auf Rückkehr in die Heimatzeit abgeschnitten. Ich gab meinen Fall auf.
Es ist ein sehr sonderbarer Zustand, wenn die Zeit sich nicht mehr bewegt. Keine Hoffnungen, aber auch keine Befürchtungen. Keine Spannung, aber auch keine Sorge. Natürlich auch keine Nahrungssorgen. Ich stand damals gerade vor den abschließenden theoretischen Vorarbeiten für den Bau meiner großen Maschine. In solchen Fällen, wenn mich etwas ganz okkupiert, pflege ich mich, um ungestört arbeiten zu können, in meinem Hause gewissermaßen zu verbarrikadieren, und so hatte ich auch diesmal wie bei einem Belagerungszustand für Vorräte an Holz, Tabak, Konserven, Bier, Zwieback und dergleichen ausgiebig vorgesorgt. Die Fensterläden öffnete ich angesichts der unerträglich feuchten und stürmischen Winternacht natürlich niemals. Das hätte auf die Dauer unangenehm werden können: aber zum Glück hatte ich mir einige Monate vorher einen vorzüglichen neuen Ventilator einbauen lassen, der meinen Lufthunger vollkommen befriedigte. Aber das fortwährende Leben bei künstlicher Beleuchtung ging mir sehr auf die Nerven. Ich bin wirklich ein ›Freund der Sonne‹, wie die beiden schrecklichen Nilmänner mich anzureden beliebten, und gar kein Nachtmensch; auf Soireen und Redouten werde ich seekrank; Sie haben mich oft deswegen verspottet.
Übrigens entdeckte ich auch einiges Tröstliche. So zum Beispiel auf dem untersten Regal eines Bücherschranks, neben Frazers ›Wörterbuch der angewandten Chemie‹, eine ganze Batterie Romanée, Pommard und Nuits. Es ist ein eigentümlich prickelnder Genuß, seinen eigenen Burgunder zweimal zu trinken. Außerdem waren auch die sechs Flaschen Canadian Club Whisky wieder da, der wie uralter Cognac schmeckt. Aber auch der wiedergeborene Hummersalat von Croß & Blackwell war nicht übel.
Im ganzen aber war meine Lage nichts weniger als scherzhaft. Denken Sie doch: ein Mensch ohne Zukunft! Ich kam mir vor wie ein moderner Peter Schlemihl: ein Mensch ohne Schatten. Denn wir Menschen werfen unseren Schatten voraus, nicht hinter uns. ›Die Menschen‹, sagt Emerson, ›sind wandelnde Prophezeiungen der Zukunft.‹ Vor mir aber war eine schwarze Wand Ich hatte mir zu viel Zeit angemaßt und war dafür jetzt dazu verurteilt, den Rest meines Lebens ohne Zeit zu verbringen. Denn auch die Vergangenheit gehörte mir nicht mehr. Es gibt keine Vergangenheit ohne Zukunft.
Wenn man solchen Gedanken konsequent nachgeht, kann man verrückt werden. Ich versuchte daher, mich abzulenken. Zunächst diente mir dazu der Burgunder. Ein geheimnisvolles Getränk feurig und bleiern, beflügelnd und beschwerend zugleich, ähnlich wie der Ihnen so verhaßte Carlyle. Lange Zeit befand ich mich in einem dauernden leichten Dusel, man sieht es mir vielleicht ein wenig an? Aber in meiner Lage wäre selbst General Booth zum Potator geworden.
Dann suchte ich Trost in Büchern. Aber nicht in Werken der exakten Fächer, die bisher meine Hauptlektüre gebildet hatten denn die Wissenschaft war mir verleidet. Deshalb betrat ich auch nie wieder mein Laboratorium. Die meiste Stärkung aber fand ich in einer alten Mystikerbibliothek, die ich noch von meinem Vater geerbt und früher nie beachtet hatte. Am schönsten von allen fand ich das Wort Meister Eckharts, das mir wie für mich geschrieben schien: ›Es ist alles ein Nun.‹ Und ich mußte an die Legende vom Mönch von Heisterbach denken, der in einem Tag ein Jahr tausend durchwandelte, denn vor Gott macht das keinen Unterschied: ›Ihm ist ein Tag wie tausend Jahre, und tausend Jahr sind ihm wie ein Tag.‹
Und verhält es sich etwa anders? Ist denn unser ganzes Dasein mehr als eine Viertelstunde Regenbogen, ein Lichtstreif zwischen zwei Unendlichkeiten? Gelangt die Seele, auch wenn sie hundert Jahre lebt, näher an die Ewigkeit als in einem Tag? Und könnt umgekehrt ein Weiser, der einen Tag lang wahrhaft gelebt hätte indem er geduldig und inbrünstig seiner Seele lauschte, vom Pulsschlag der Ewigkeit nicht alles vernehmen, was uns in unsere irdischen Lebensform überhaupt zu Ohren zu dringen vermag Und war dieses kristallene ›ewige Nun‹, in dem ich thronte, nicht im Grunde der erhabenste und eines Menschen würdigste Zustand? Aber zu groß, zu erhaben für einen schwachen Menschen.
Ich sagte laut vor mich hin: ›Die Zeit steht still.‹ Und ich horchte andächtig auf ihr Schweigen.
In diesem Augenblick durchfuhr mich ein panischer Schreck. Meine durch die dauernde Stille und die tiefe Sammlung geschärften Ohren hörten, wie ganz deutlich, wenn auch ungemein leise, eine Uhr schlug. Und zwar in meinem Hause! Es war wie eine gespenstische Replik. Die Zeit stand also doch nicht still? Die Schläge kamen von oben. Einen Augenblick war ich wie versteinert, dann stürzte ich in rasender Eile, drei Stufen auf einmal nehmend, in mein Laboratorium.