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1.3.4. Karls- und Dietrichdichtung

Wie beschrieben richtete sich das Interesse der älteren Forschung vor allem auf die textkritische Analyse einzelner ostnordischer Textzeugnisse der Karlsdichtung: Philologische Studien und texthistorische Arbeiten dominieren die romanistischen und skandinavistischen Publikationen vor dem Hintergrund der mächtigen altwestnordischen Vorlage Karlamagnús saga, die als wichtige Zeugin bei der Rekonstruktion der zum Teil verlorenen altfranzösischen chansons de gestechansons de geste fungiert und darum einen besonderen Stellenwert im Rahmen der romanisch-skandinavischen Literaturbeziehungen einnimmt.1

Während sich ältere Forschungen auf die Frage nach der hypothetischen gemeinsamen schwedischen Vorlage der Karl Magnus Krønike und des Karl Magnus sowie dem Alter der Texte konzentrierten,BørglumRoland2 dürfen zwei philologische Studien nicht unerwähnt bleiben, die auch für die aktuelle Forschung von unschätzbarem Wert sind. Zum einen ist es die 1959 erschienene Abhandlung David Kornhalls Den fornsvenska sagan om Karl Magnus. Handskrifter och texthistoria,3 die eine insgesamt sorgfältige und umfangreiche philologische Studie liefert. Ebenfalls eine umfassende philologische Analyse des dänischen Textes bietet Poul Lindegård Hjorths Filologiske Studier over Karl Magnusʼ Krønike,4 in derem ersten Teil das Verhältnis zur altwestnordischen Vorlage im Hinblick auf Abweichungen thematisiert wird. In ihrem zweiten Teil werden die altdänischen Zeugnisse der Karlsdichtung zueinander in Beziehung gesetzt, nämlich der Text aus der Børglumer Handschrift von 1480 sowie die beiden Drucke von 1509 und 1534, während sich ihr dritter Teil der Wortschatzstudie widmet. Diese Studie komplementiert die von Lindegård Hjorth herausgegebene kritische Edition der Karl Magnusʼ Krønike (1960).5 Das Augenmerk der älteren Forschung liegt jedoch – sicherlich auch ihrem Zeitgeist entspringend – hauptsächlich auf der Erforschung einzelner literarischer Textdenkmäler sowie auf deren textkritisch-philologischen Interpretationen und deren Sprachgeschichte.

Im Folgenden werden nun Arbeiten vorgestellt, die sich primär mit den altschwedischen und altdänischen Textzeugnissen samt ihren Überlieferungszusammenhängen befassen. Zu nennen sind hier in erster Linie die Arbeiten Susanne Kramarz-Beins, die sich in ihrer Forschung auf den Bereich der Literatur- und Kulturbeziehungen im Mittelalter auf die altnordische, vor allem altwestnordische und vereinzelt altostnordische Karls- und Dietrichdichtung und der literarischen Milieu-Studien konzentriert.6 Hier ist primär ihr Aufsatz „Zur altostnordischen Karls- und Dietrichdichtung“7 zu nennen, in dem eine Übersicht einerseits über die Textzeugnisse (Karl Magnus Krønike, Karl Magnus und Didriks Krönika) geboten, und andererseits die ostnordische Balladenüberlieferung wie ostnordische Bilddokumente aus dem Karls- und Dietrich-Stoffkreis thematisiert werden. Als Fazit betont Kramarz-Bein die Zusammengehörigkeit der Karls- und Dietrichdichtung nicht nur im altwestnordischen, sondern auch im altostnordischen Literaturkontext, obgleich beide Kulturräume auf „verschiedenen Einfluss-Schienen des Kulturtransfers“8 zu verorten sind. Dies wird an ähnlichen Übersetzungs- und Kompositionsprinzipien und einem ostnordischen Stilideal festgemacht. Weiterhin wird die Frage nach dem Aufzeichnungsinteresse mit memorialkulturellen und protonationalen ― hier vor allem in Bezug auf die Didriks Krönika ― Aspekten beantwortet. Diese Annahmen werden in einer Reihe weiterer Publikationen mit unterschiedlichen thematischen Fokussierungen betont, u.a. ist die Applikation der literaturwissenschaftlichen Netzwerktheorie am Beispiel der vernetzten literarischen Milieus in der höfischen Literatur ein Schwerpunkt von Kramarz-Beins aktueller Forschung.9

Einige für die vorliegende Studie relevante Positionen thematisiert Massimiliano Bampis Publikation „In Praise of the Copy. Karl Magnus in 15th-Century Sweden“.10 Obwohl „far from being an exhaustive investigation“,11 bietet der Aufsatz mögliche Interpretationsansätze vor dem Hintergrund des kodikologischen Kontextes Karl Magnusʼ, in den der jeweilige Text eingebettet ist. Geleitet von der Auffassung, „the reception of courtly literature in late-medieval Sweden led to a significant change in the conception of the world“,12 postuliert Bampi das hermeneutische Potenzial der Texte durch den intertextuellen Dialog in den einzelnen Handschriften.

Die in dieser Forschungsübersicht kurz vorgestellten Tendenzen der älteren und jüngeren Forschung lassen erfreulicherweise ein gestiegenes Interesse an den ostnordischen Werken des Spätmittelalters erkennen. Dennoch fehlt bis heute eine umfassende systematische und theoretisch fundierte Studie, welche die ostnordischen Rezeptionszeugnisse der altfranzösischen chansons de gestechansons de geste sowohl in ihrem intertextuellen und kodikologischen Kontext als auch vor dem Hintergrund gesellschaftsgeschichtlich relevanter Entwicklungen in Schweden und Dänemark des 15. Jahrhunderts einordnet und interpretiert, um auf diese Weise mehr Erkenntnisse bei der Frage nach dem möglichen Rezeptionsmilieu sowie nach den Rekontextualisierungspotenzialen dieser Texte zu gewinnen. Die vorliegende Studie leistet unter Heranziehung einiger literatur- und kulturwissenschaftlicher Ansätze einen Beitrag dazu, diese Forschungslücke zu schließen.

2. Theoretische Prämissen

Die altostnordischen Zeugen der Karlsdichtung, die in den SammelhandschriftenSammelhandschrift des 15. Jahrhunderts überliefert sind und Übersetzungen von teilweise verlorenen altfranzösischen chansons de gestechansons de geste darstellen, werden unter dem Aspekt der Transmission und Reakkulturation der übersetzten Texte in neue literarische, soziokulturelle und politische Kontexte betrachtet. Den theoretischen Rahmen dieser Abhandlung bildet daher eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen: Basis der Untersuchung ist der philologische Ansatz der New PhilologyNew Philology, welche die mouvance zum Spezifikum mittelalterlicher Texte erklärt. Die aus dem Feld der Translations Studies stammende PolysystemtheoriePolysystemtheorie komplementiert den Ansatz der New Philology im Hinblick auf die Abkehr von der älteren Praxis, Texte bzw. Übersetzungen einzig in Bezug auf Originale zu betrachten. Die Übersetzung stellt für die Polysystemtheoretiker den Vorgang der Translation eines Textes aus einem kulturellen System in ein anderes dar, mit dem Ziel der Funktionsbestimmung in diesem. Auch für die kulturanthropologisch ausgerichteten Kulturtransfer-Studien ist der Prozess der Vermittlung, des Transfers sowie die diskursiven Vorgänge im Aufnahmesystem zentral. Dass literarische Texte „niemals einfach von einer Sprache in die andere, sondern aus dem spezifischen Diskurs der einen in einen entsprechenden Diskurs der anderen Sprache“1 übersetzt werden, lässt die Frage nach der Ent- und Rekontextualisierung der übersetzten heldenepischen Texte im Schweden und Dänemark des 15. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Memory Studies bzw. dem Konzept des kulturellen Gedächtnisses aufkommen.2 Hier ist sicherlich von einer Gattungstransformation bzw. einer sich wandelnden Funktionalisierung der Texte auszugehen. Im Folgenden werden die oben angeführten theoretischen Ansätze näher erläutert und auf ihre Applizierbarkeit auf mediävistische Literatur- und Kulturräume überprüft.

2.1. New Philology

New PhilologyDer gegen die traditionelle Textkritik ausgerichtete Ansatz der New PhilologyNew PhilologyNew Philology1 oder Material Philology ist in der skandinavistischen Mediävistik mittlerweile etabliert und hat sich in der Forschung als fruchtbar erwiesen.New Philology2 Die Textkritik, deren Begründung traditionellerweise Karl Lachmann zugeschrieben wird, hat den Erhalt bzw. die Herstellung des dem Original am nächsten kommenden Textes, des sogenannten Archetyps, zum Ziel. Die Überlieferungsvarianten, d.h. alle erhaltenen Handschriften eines Textes, werden hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Herstellung des ‚Originals‘ gesammelt (recensio) und gewertet (examinatio). Diesen Originalzentrismus lehnt die New Philology entschieden ab und betrachtet die mouvance3 bzw. variance4 oder, wie Joachim Bumke dies formuliert, die gleichwertigen Parallelfassungen5 des Ausgangsobjekts als entscheidend für die mittelalterliche Schriftkultur als freie Reproduktionskultur. Die Besonderheit der mittelalterlichen Textualität besteht demnach darin, dass die Texte prinzipiell unfest, strukturell offen waren und so zu einer ganz spezifischen Kommunikation und Sinnvermittlung innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft beitrugen. Diese Eigentümlichkeit erfordert somit eine Dezentrierung des Textbegriffs und – in Übereinstimmung mit den Prinzipien der New Philology und in Anlehnung an den von RolandRoland Barthes diagnostizierten Tod des Autors – sogar „den Tod des Archetyps“.6 Auch Jan-Dirk Müller fordert eine Revision des Textbegriffs, denn philologisch betrachtet erweist sich der feste Autortext für die Mediävistik als „Fiktion, die nicht nur unmöglich reflektiert werden kann, sondern den Blick verstellt auf das Transitorische, […] den Blick auf seine ‚mouvance‘“.7 Die Idee eines festen Textes, einer ursprünglichen und darum besten Vorlage sei somit nicht geeignet, um die mediävistischen Texte und ihre Polyvalenz angemessen in ihrer synchronen wie diachronen Entwicklung zu untersuchen. Der Blickwinkel verlagere sich vom Prozess der Entstehung auf die Rezeption und die häufig mit dem Prädikat mangelhaft behaftete, weil fragmentarische Überlieferung. Verschiedene Fassungen eines Textes sind nach den Prinzipien der New Philology jedoch gleichberechtigt und stellen demnach Lesarten dar, die in einem bestimmten historischen Kontext entstanden sind. Eine ähnliche Position markiert der sog. New Historicism, wenn er eine strikte Trennung zwischen dem schriftlichen Dokument, der Handschrift, und dem Text, der sich aus allen Handschriften ergibt, vornimmt und so von einem dezentrierten, intertextuell vernetzten Text ausgeht.8

Weiterhin postuliert die New PhilologyNew Philology, literarische Werke existierten nicht „independently of their material embodiments“.9 Für das Verständnis und die Interpretation eines Textes, der in einer mittelalterlichen Handschrift immer ein Rezeptionszeugnis darstellt, ist auch seine Materialität und Medialität ausschlaggebend: Die Form und die Gestaltung der Codices, deren Material, Schrift, Illustrationen, Rubriken, Initialen sowie Paratexte sind Produkte einer Rezeptionsleistung und ermöglichen in der Spannung zwischen einem diachron-textgeschichtlichen und einem synchron-überlieferungsgeschichtlichen Bezugsfeld einen anderen Blick auf den Text. 10

Diese Perspektive eignet sich besonders gut im Hinblick auf die Texte der vorliegenden Untersuchung, stellen sie doch Abschriften von verlorenen Übersetzungen dar, welche wiederum auf die nicht erhaltenen altfranzösischen Vorlagen zurückgehen. Die Suche nach einem vermeintlichen Original, ob nun altfranzösisch oder altnorwegisch, oder einer hypothetischen altschwedischen oder altdänischen Zwischenstufe, ist so aussichtslos wie obsolet.

2.2. Translation Studies – Übersetzen im Mittelalter

Die Übersetzung als „Medium des Transfers und geistiger Ort der Begegnung über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg“1 gehört nicht erst seit dem Zeitalter der Globalisierung zu einem wichtigen Faktor der Interkulturalität. Beinahe jede Kultur übertrug Texte aus anderen Kulturen in das eigene soziale Umfeld, transformierte, adaptierte und tradierte sie weiter. Die Übersetzung literarischer Texte „als spezifischer Formen des individuellen und kollektiven Wahrnehmens von Welt“2 führte zur Herausbildung eines Forschungsgebietes, das in seiner Komplexität und Divergenz ein einheitliches systematisches Vorgehen unmöglich macht. So wird zu Recht betont, dass in Anbetracht der relativen „Unbestimmtheit des Übersetzungsbegriffs sowie der Vielfalt theoretischer Grundannahmen, Untersuchungmethoden und Zielsetzungen“3 die Übersetzungsforschung interdisziplinär sein muss.

Bei der Entwicklung der altnordischen Literatur waren Übersetzungen und Adaptionen ebenfalls „an integral and ongoing part […] from its earliest beginning“.riddarasögur4 An dieser Stelle ist es unabdingbar, Begriffe wie Übertragung und Übersetzung zu präzisieren, die für diese Arbeit zentral sind: Unter Übertragungen, unter die auch der Begriff Übersetzung fällt, versteht man Reproduktionsprozesse, bei denen von einer Vorlage ein Reprodukt hergestellt wird; hierbei werden sowohl die Inhalte als auch Formen der Vorlage in einem anderen Medium oder in einem anderen gesellschaftlichen und sprachlichen Kontext verfügbar gemacht.5 Von einer Übersetzung spricht man, wenn dabei ein Sprachwechsel stattfindet.6 Demnach ist eine Übersetzung ein Vorgang, durch den „die Äquivalenz zwischen zwei Sprachen“7 hergestellt wird. Aber auch der in dieser Definition verwendete Begriff Äquivalenz bedarf selbst einer Klärung, ist doch die Äquivalenzfrage auf dem Gebiet der Übersetzungswissenschaft eine nicht unumstrittene.8 Die linguistisch-normativ orientierte Äquivalenzforderung der Translationslinguistik in Bezug auf textsemantische und -pragmatische Aspekte wird von den übersetzungstheoretischen Entwicklungen der Descriptive Translation Studies als verengend kritisiert, wohingegen die zielkulturellen Faktoren an Bedeutung gewinnen. Die Entwicklung hin zu einem kulturwissenschaftlichen Übersetzungsverständnis kulminierte im sog. translational turn, der über die traditionellen Übersetzungskategorien, wie etwa Äquivalenz oder Originaltreue, hinausgreift.9 Die seit den 1980er Jahren einsetzenden cultural turns10 haben in der Übersetzungsforschung einen weiten, kulturanthropologisch orientierten Übersetzungsbegriff für sich beansprucht, der auf die Problemfelder der Auseinandersetzung zwischen den Kulturen verweist,11 obgleich sie auch keinen revolutionären Paradigmenwechsel bewirkten. Der die einzelnen turns umfassende cultural turn ist hier nicht als ein obligatorisches holistisches theoretisches System zu verstehen, sondern als ein interpretatorisches Angebot, sich durch Perspektivenverschiebungen literarischen Werken anzunähern.12 Das kulturanthropologisch ausgerichtete Konzept der Übersetzung wird so zum Medium des interkulturellen Dialogs, welches auf der Analyse der kulturellen Differenzen und Übertragungsmethoden basiert, und somit zum interaktiven Prozess der wechselseitigen Beeinflussung.Holger Danske13

2.3. Polysystemtheorie

PolysystemtheorieEin von den Translation Studies aufgegriffenes Modell zur Funktionsbestimmung der übersetzten Literatur bietet die seit den 1970er Jahren sich stets entwickelnde PolysystemtheoriePolysystemtheorie des israelischen Kulturwissenschaftlers Itamar Even-Zohar. Dieser semiotisch orientierte systemische Ansatz knüpft an den Russischen Formalismus und Tschechischen Strukturalismus an, vor allem an die Werke Jurij Tynjanovs, Roman Jakobsons und Boris Ejchenbaums, übernimmt dessen Konzepte wie System und literarische Evolution1 und entwickelt sie weiter. Der Ansatz Even-Zohars ist als funktionalistisch zu bezeichnen, da er alle semiotischen Phänomene als Teile eines oder mehrerer Systeme begreift und diese auf ihre Funktionen und ihre wechselseitigen Beziehungen hin analysiert. Funktionalismus, oft mit dem Vorwurf des auf Saussure zurückgehenden statischen, in sich geschlossenen Systems ohne Einbeziehung außersystemischer Determinanten konfrontiert,2 kann hier jedoch eine dynamische Komponente sowie eine Erweiterung durch Einbeziehung außersystemischer Elemente erfahren, welche schon bei Tynjanovs Konzept der literarischen Evolution zu erkennen ist. So unterscheidet Even-Zohar u.a. zwischen der Theorie der statischen und der dynamischen Systeme.3

2.3.1. Polysystem, Zentrum, Peripherie

Zentral in seiner Theoriebildung ist das Konzept des Polysystems, definiert als „a multiple system, a system of various systems which intersect with each other and partly overlap“.1 Unter Übersetzung versteht der Polysystemiker den Vorgang der Translation eines Textes von einem kulturellen System in ein anderes2 und in Bezug auf die übersetzten Texte ist das Ziel der PolysystemtheoriePolysystemtheorie die Funktionsbestimmung des übersetzten Textes innerhalb des Polysystems der Aufnahmekultur. Hierbei sind übersetzte Texte lediglich ein System in dem größeren literarischen Polysystem, das seinerseits als ein (Sub-)System der sie umfassenden Polysysteme, wie etwa Kultur, fungiert. Die Polysysteme sind nach Even-Zohar offene, dynamische und stratifikatorische Systeme, gekennzeichnet durch die Anordnung von Zentren und Peripherien, die sich in einer steten zentripetalen bzw. zentrifugalen Interaktion befinden. Sein Ansatz, die Analyse der internen Wechselbeziehungen und Strukturen innerhalb soziosemiotischer Systeme, geht auf Tynjanovs Konzept der literarischen Evolution zurück, erweitert um eine synchrone Perspektive.3 Die Verschiebung der Hierarchien geschieht durch ein Gelangen von nicht-kanonisierten Texten oder Textgattungen aus der Peripherie des Polysystems in dessen Zentrum.4

2.3.2. Übersetzungen

In den literaturwissenschaftlichen Kanonbildungsprozessen sind die Übersetzungen, historisch gesehen, am ehesten an der Peripherie anzusiedeln,1 während einheimische, autochthone Texte und Gattungen zentral sind. Even-Zohar betrachtet die Übersetzungen hingegen nicht nur als „integral system within any literary polysystem“, sondern als „most active system within it“.2 Übersetzungen können von der Peripherie des Polysystems aus wandern und aktiv an der Gestaltung dessen Zentrums sein:

Through the foreign works, features (both principles and elements) are introduced into the home literature which did not exist there before. These include possibly not only new models of reality to replace the old and established ones that are no longer effective, but a whole range of other features as well, such as a new (poetic) language, or compositional patterns and techniques.3

Even-Zohar kristallisiert drei Faktoren heraus, welche die Bewegung von übersetzten Texten ins Zentrum ermöglichen. Zum einen sei dies möglich, wenn es sich um junge Literatur handele oder diese sich im Prozess der Etablierung befinde: Hier komme der übersetzten Literatur eine zentrale Rolle bei der Vermittlung literarischer Modelle zu. Zum anderen gelangen Übersetzungen ins Zentrum, wenn Literatur schwach (weak) oder peripher (peripher) oder beides sei. Aufgrund der Unfähigkeit, selbst Innovationen zu produzieren, bedarf es Übersetzungen nicht nur „as a medium through which new ideas can be imported, but also as the form of writing most frequently imitated by ‚creative‘ writers in the native language“.4 Der dritte Fall tritt ein, wenn es zu einer Krise (crisis), einem Wendepunkt (turning point) oder einem literarischen Vakuum (literary vacuum) in der Literatur kommt.5 Die Annahme, dass übersetzte Literatur sich entweder am Zentrum oder an der Peripherie eines literarischen Polysystems befindet, schließt hingegen nicht aus, dass es in verschiedenen Systemen zu verschiedenen Positionierungen kommen kann: Übersetzte Literatur als System ist an sich stratifikatorisch; während also bestimmte Bereiche peripher bleiben, können andere eine zentrale Position einnehmen. Die Beziehungen zwischen der Position der übersetzten Literatur und dem literarischen Polysystem beschreibt Even-Zohar anhand zweier Annahmen. Erstens, die Wahl der zu übersetzenden Texte ist von den Bedingungen des sie aufnehmenden Polysystems abhängig: „Texts to be translated are chosen because of their compatibility with the new forms needed by a polysystem to achieve a complete, dynamic, homogeneous identity“.6 In einem vakuösen Polysystem, dem es an literarischen Techniken, Formen oder Genres fehlt, werden diese durch übersetzte Texte transportiert, da das Polysystem sonst „defective“,7 mangelhaft bleibt.

Zweitens unterscheidet Even-Zohar zwischen den Übersetzungsstrategien, determiniert von den sozioliterarischen Bedingungen der Aufnahmekultur: Soll übersetzte Literatur innovatorisch wirken, bleibt sie näher am Originaltext der Ausgangssprache. Sind die Innovationen aber zu radikal für die neue Kultur, besteht die Gefahr, dass übersetzte Texte nicht ins neue Polysystem integriert werden können. Ist der neue Text hingegen erfolgreich, übernimmt er die Funktion der primären, d.h. einheimischen, nicht übersetzten Literatur. Die zweite Übersetzungstendenz internalisiert bereits etablierte Normen der Aufnahmekultur und bestätigt die dominanten ästhetischen Normen zulasten der Innovationen.

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