Kitabı oku: «Breathe», sayfa 9

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Sie fühlt sich heiß in meinen Armen an. So vorsichtig es geht, lege ich Raven auf das Bett, gehe zurück nach unten und hole eine Schüssel aus der Küche. Im Badezimmer lasse ich die Schüssel voll Wasser laufen und werfe ein kleines Handtuch hinein. Für mehrere Sekunden starre ich auf das Frottee und beobachte, wie es sich langsam voll Wasser saugt und auf den Schüsselboden sinkt. Mit geschlossenen Augen versuche ich, meinen Wolf zurückzudrängen. Ich kann es nicht gebrauchen, dass er ausgerechnet jetzt die Oberhand gewinnt. Er will Raven schützen. Mehr als alles andere will er sie verteidigen und jede Gefahr von ihr fernhalten. Sogar mich. Aber der Wolf will sich nicht einfach so von mir in Ketten legen lassen. Es kratzt unter meiner Haut und verlangt, hervorgelassen zu werden. Der Wolf ist jetzt, wo ich ihn raus und in Ravens Nähe gelassen habe, noch beharrlicher. Er will sie für sich haben. Wieso ist er so fixiert auf Raven? Weder Sam noch Will schienen auf diese intensive Art für Raven zu empfinden.

Raven ist eine Wölfin. Ich kann es noch immer nicht glauben. Aber es passiert vor meinen Augen. Dabei hatte sich jeder Wolf, der die Kriege überlebt hat, längst damit abgefunden, dass es keine Frauen mehr geben wird. Viele sind im Kampf um die letzten Frauen gestorben, haben ihre Leben gegeben, um ihre Töchter und Gefährtinnen zu beschützen. Und jetzt ist da Raven. Ich verdränge die Vorstellung, was es für sie bedeuten wird, die einzige Frau zu sein, die noch in der Lage ist, Kinder zu bekommen. Bevor ich drüber nachdenke, muss sie erstmal die Wandlung überleben.

Ravens Angst in ihren Augen zu sehen, den Schmerz und die Verwirrung fast schon riechen zu können, hat mich wünschen lassen, ich hätte sie vor dem beschützen können, was jetzt auf sie zukommt. Aber das kann ich nicht. Und weil das hier meine Schuld ist, muss ich mein Bestes geben, um sie zu retten. Um ihr da durchzuhelfen. Ich muss einfach alles versuchen, um sie am Leben zu erhalten. Der Gedanke, sie zu verlieren, reißt ein Loch in meine Brust, das finsterer als meine Seele ist. All die Morde zuvor werden nichts gegen Ravens Tod sein, wenn ich ihn auch noch auf meine Seele laden muss. Ich bereue die Sekunde, in der ich sie gefunden und beschlossen habe, in Black Falls zu bleiben. Wäre ich sofort wieder gegangen … Ja, was dann? Wäre es vielleicht schon zu spät gewesen und das hier trotzdem geschehen, und sie wäre ganz allein gewesen. Und dann hätte ich vielleicht Raven zur Mörderin gemacht. Nach einer Wandlung kann so viel geschehen. Sie ist so voller Mitgefühl für Sam gewesen. Ich bezweifle, dass Raven es schaffen würde, damit umzugehen, den Tod eines anderen verschuldet zu haben.

Nein, ich hätte gar nicht erst nach Black Falls gehen sollen. Aber wie hätte ich das hier wissen sollen? Wie hätte ich es ahnen können?

Ich krümme mich, als die ersten Knochen in meinem Brustkorb beginnen, sich zu verformen, stemme mich mit aller Kraft gegen die Wandlung und schaffe es, den Wolf zu unterwerfen. Ich schiebe ihn zurück in die dunkle Ecke, in die ich ihn immer sperre, und erkläre ihm, dass er Raven nicht haben kann. Dass ich ihn nur rausgelassen habe, um ihr zu zeigen, was sie sonst nie geglaubt hätte. Wie hätte sie mir auch jemals glauben sollen? Es musste sein. Und jetzt muss ich alles versuchen, damit sie überlebt, weil ich an dem schuld bin, was ihr passiert. Ich kann nicht zulassen, dass sie stirbt, nur weil ich die Wandlung ausgelöst habe, die sie vielleicht niemals hätte durchmachen müssen. Vielleicht war das das einzig Gute, das Sherwood je getan hat: seine Tochter vor einem Leben als Wölfin zu schützen, indem er sie von unserer Art ferngehalten und so die Wandlung aufgehalten hat.

Das hier ist allein meine Schuld. Niemand hätte jemals von ihr erfahren müssen. Sie hätte ein Leben in Freiheit haben können, ohne den Schmerz der Wandlung.

Ich gehe in das kleine Schlafzimmer mit der schmutzigen geblümten Tapete und stelle die Schüssel auf dem Nachttisch neben dem Bett ab. Nichts in diesem Haus gehört Sam oder mir. Es ist nur irgendein Haus, das wir besetzt haben, weil es verlassen wurde. Clanmitglieder haben keinen eigenen Besitz. Wir leben als Rudel zusammen und teilen alles untereinander auf. Wenn wir das Rudel verlassen, dann verlassen wir es nur mit dem, was wir auf dem Leib tragen. Und wenn wir als Wolf gehen, tragen wir nur unser Fell. Bis zu dem Augenblick, in dem ein Jäger uns findet und uns Moonshine verabreicht. Dann tragen wir nicht einmal mehr unser Fell.

Auf Ravens Stirn stehen kleine Schweißperlen, ihre Haut ist grau und ihre Unterlippe zittert. Es geht ihr schlecht, aber bis sich ihr Körper zum ersten Mal in einen Wolf verwandelt hat, wird es ihr noch viel schlechter gehen. Ich nehme das Handtuch aus dem Wasser und wringe es aus, danach falte ich es etwas zusammen und lege es auf ihre Stirn. Während ich das tue, versuche ich, möglichst nur durch den Mund zu atmen. Ihr Duft nach Wolf und Frau wird immer stärker. Und je mehr er aus ihren Poren quillt, desto unruhiger wird das Tier in mir. Desto mehr Kraft werde ich brauchen, um es zurückzuhalten.

Nachdem ich Ravens Stirn abgetupft habe, lasse ich das Handtuch auf ihrer heißen Brust liegen und gehe nach unten in das Wohnzimmer, um die Flasche Bourbon zu holen. Ich werde jeden Schluck brauchen, um meinen Wolf zu betäuben und in den Schlaf zu schicken. Ich trinke hastig mehrere Schlucke, bevor ich wieder nach oben gehe und mich neben das Bett setze. Solange Raven schläft, schläft auch ihre Wölfin und die Verwandlung schreitet nicht weiter voran. Je langsamer sie voranschreitet, desto besser sind ihre Überlebenschancen.

Ich nehme das Handtuch von ihrer Stirn, tauche es erneut ins Wasser und tupfe ihren Hals und ihre Unterarme damit ab. Ich kann den Puls unter ihrer Haut direkt neben ihrer Kehle rasen sehen. Ihre Atmung geht schnell und flach und ihre Muskeln beginnen unkontrolliert zu zittern.

Sie liegt schwach und bebend vor mir. Ihre Haare sind verschwitzt und kleben ihr in Nacken und Stirn, ihre Lippen haben eine bläuliche Färbung angenommen. Und obwohl sie gerade um ihr Leben kämpft, ist sie wunderschön. Nicht nur der Wolf will sie. Ich will sie auch. Aber das darf ich nicht zulassen. Ich muss Sam beschützen. Das bedeutet, sobald Raven ihre Wandlung überlebt hat, muss ich sie von mir und Sam wegbringen. Solange sie in unserer Nähe ist, ist sie eine Gefahr für uns. Jeder Wolf auf diesem Kontinent wird hinter ihr her sein. Das hat Sherwood gewusst. Andererseits wollte ich, dass sie mich jagen, mir folgen und Will die Chance hat, Sam zu verstecken. Mit Raven an meiner Seite werden sie mich jagen. Nicht nur Sherwood, einfach alle. Aber genau das will ich jetzt nicht mehr. Die Vorstellung, sie in Gefahr zu bringen, fühlt sich auf einmal nicht mehr so gut an. Ich streiche über ihr warmes Gesicht. Ich habe genug Schuld auf mich geladen, ich werde Raven nicht an ein ganzes Rudel Wölfe ausliefern. Sollte sie die Wandlung überleben, werde ich sie gehen lassen.

Ravens Lider öffnen sich flatternd. Sie versucht ihren Arm zu heben, lässt ihn aber wieder sinken. »Was ist passiert?«, murmelt sie leise und versucht sich zu orientieren. Ihr Blick gleitet durch den Raum und bleibt auf mir hängen. Sie stöhnt. »Du schon wieder«, stößt sie genervt aus.

Ich grinse sie an. »Ich schon wieder. Du bist ohnmächtig geworden, also habe ich dich ins Bett gelegt.«

»Was?« Raven versucht sich aufzurichten. Weil sie es allein nicht schafft, beuge ich mich über sie, greife ihr unter die Arme und schiebe zwei Kissen hinter ihren Rücken. Ihre Haut ist heiß wie glühende Kohlen. »Du riechst gut.«

Lachend setze ich mich zurück auf den Stuhl. »Danke, freut mich.«

Raven schüttelt den Kopf. »Das wollte ich nicht sagen.«

»Dann hab ich es nicht gehört.«

Raven hustet, dann fällt ihr Blick auf den Bourbon und ihre Augen weiten sich. »Du warst ein Wolf!«

Ich nicke. »Und du wirst bald einer sein.«

Sie lacht düster auf und greift nach dem feuchten Handtuch, als ich es ihr auf die Stirn drücken will. Sie reißt es mir aus der Hand und starrt mich wütend an. »Komm mir nicht zu nahe.«

»Wir müssen deinen Körper runterkühlen«, erkläre ich sanft. »Je länger wir die Wandlung aufhalten, desto größer sind deine Chancen, sie zu überleben.«

»Wieso sollte ich das überleben wollen? Wieso sollte ich das wollen?«, fragt sie mit sarkastischem Unterton. Obwohl die Rebellin in ihr in jedem Wort durchklingt, ist ihre Stimme schwach und heiser. Das geht mir nahe und versetzt mir einen schweren Stich ins Herz, denn jede Faser in mir bewundert diese starke Frau. Und jetzt liegt sie in diesem Bett und ihre Stärke scheint ausgelöscht. Ihre Finger zupfen an dem Handtuch herum. Sie sieht mich nicht an, als wolle sie es unbedingt vermeiden.

Ich kann es ihr nicht verübeln, denn im Moment stehe ich für den schlimmsten Albtraum in ihrem Leben. Aber wenn ich will, dass sie aufhört, sich gegen das zu wehren, was auf sie zukommt, dann muss ich versuchen, ihr zu zeigen, dass es nicht nur schlecht ist, ein Wolf zu sein, dabei glaube ich selbst nicht daran, dass dieses Leben Vorteile hat. Ich hasse den Schmerz der Wandlung, das Leben im Grim Wolves MC und die Gewalt. Aber der Gedanke, dass diese wundervolle Frau sterben muss, weil ich Zweifel habe, gibt mir die Kraft, meinen Hass auf dieses Leben zu verdrängen. Denn Raven sterben zu lassen, kommt nicht infrage. Ich kann es einfach nicht, selbst dann nicht, wenn ihr Tod bedeuten würde, sie von diesem Schicksal, das ich so verabscheue, zu befreien.

Damit ihre Chancen zu überleben größer werden, muss sie sich der Wandlung unterwerfen. Sie muss sie willkommen heißen, egal wie schlimm es sich anfühlt. Und es wird nur wenig besser werden, wenn sie die erste Wandlung überlebt hat. Jede Wandlung ist mit Schmerzen verbunden, und doch sind wir gezwungen, sie wenigsten einmal im Monat zuzulassen, weil wir sonst den Verstand verlieren. Der Wolf lässt sich nicht für immer einsperren. Außer man zwingt ihn mit Moonshine dazu. Aber auch dann, verliert man den Verstand irgendwann, weswegen Sherwood es für jeden Abtrünnigen zur Pflicht gemacht hat, sich einmal im Monat auf der Farm zu melden, damit alles ich gemeinsam und unter Kontrolle wandeln können. Deswegen reicht eine Dosis Moonshine genau für einen Monat.

Ich konzentriere mich auf die guten Sachen im Leben eines Werwolfs. Ich muss alles versuchen, um es ihr einfacher zu machen und ihr zu helfen, das, was jetzt kommt, zu akzeptieren. Jede Blockade, jede Abwehr könnte ihren Tod bedeuten.

»Ein Wolf zu sein, bedeutet eine Freiheit, die du als Mensch niemals erleben wirst. Du wirst schneller und stärker sein. Die Welt mit den Augen eines Raubtiers sehen. Deine Instinkte werden ursprünglicher sein. Es wird sich anfühlen, als wärst du Teil von etwas, das keine Grenzen besitzt, das mit der Natur verbunden ist, wie nur Tiere es sein können. Alles um dich herum wird sich anfühlen, als wärst du mit dem Wolf und der Natur eins.«

»Gib es auf, du musst nicht versuchen, es mir schmackhaft zu machen. Ich hasse es jetzt schon, das wird sich auch durch deinen Werbeslogan nicht ändern.« Jedes Wort stößt sie mit Mühe hervor. Trotzdem schafft sie es irgendwie, bitter zu lachen. »Werwölfe! Das muss ein Albtraum sein. Erst die Entführung, dann das hier. Wahrscheinlich liege ich irgendwo im Koma und mein Verstand gaukelt mir diesen Müll vor.« Raven beugt sich nach vorne, als eine schmerzhafte Welle ihren Körper trifft. Solche Wellen werden sie ähnlich wie Geburtswehen in den nächsten Stunden oder Tagen in immer kürzeren Abständen treffen. Sie verzieht gepeinigt das Gesicht und würgt gegen den Druck an, der ihren Oberkörper zusammenschnürt.

»Fühlt sich das an, als ob du träumst?«, frage ich sie harsch. Sie muss akzeptieren, was hier passiert. Verdrängen macht es nur schlimmer. »Ich will dich nicht anlügen, die Wandlung wird nie schmerzlos sein, aber nur die erste fühlt sich an, als würdest du die neun Kreise der Hölle durchschreiten müssen.« Ich versuche mich an einem Lächeln, als Raven aufblickt und mich gequält mustert. »Es tut mir leid, wenn ich geahnt hätte, dass du eine Wölfin bist, hätte ich mich von dir ferngehalten.« Ich nehme ihr das Handtuch ab, tauche es in die Schüssel und gebe es ihr zurück. Raven drückt es gegen ihren Nacken und gegen ihre Wangen und seufzt leise.

»Hätte das etwas geändert?«, will sie leise wissen.

»Du hättest dich nicht verwandelt. Wölfe sind Rudeltiere. Wäre deine Wölfin nicht auf meinen Wolf getroffen, dann hätte sie einfach weiter in der Dunkelheit gewartet. Aber eigentlich passiert das nie, dass jemand von uns außerhalb des Clans aufwächst. Geborene sind selten geworden. Außerhalb des Rudels aufzuwachsen, um die Wandlung zu umgehen, würde bedeuten, schon mit 12, spätestens 14 Jahren die Familie verlassen zu müssen. Früher wurden viele von uns nach der Geburt zur Adoption freigegeben, um die Wandlung zu verhindern. Aber wenn es dann zufällig zu Wandlungen kam, weil eins dieser Kinder auf einen von uns gestoßen ist, dann hatte das schlimme Folgen. Auch für die Geheimhaltung unserer Existenz, weswegen es heute verboten ist, unsere Nachkommen wegzugeben.« Was eigentlich, sowieso egal war, denn es gibt keine Nachkommen mehr, die wir hätten außerhalb des Rudels aufwachsen lassen können. Diese Regel ist sinnlos geworden, seit es keine Kinder mehr gibt. Aber das erzähle ich Raven nicht. Noch ist es zu früh, um ihr zu sagen, was sie für die Wölfe bedeutet und wie groß die Gefahr ist, in der sie schwebt.

»Wann hätte ich mich normalerweise verwandelt? Und das nur, weil ich in ein Rudel hineingeboren worden wäre? Vielleicht hat meine Mutter deswegen mit mir in Black Falls gelebt, damit ich das hier nicht durchmachen muss?«

»Über deine Mutter weiß ich nichts, nur, dass sie Sherwoods Exfrau ist. Sie war keine von uns, aber normalerweise ist es unmöglich, dass Menschenfrauen Wölfe gebären. Zumindest dachten wir das immer«, werfe ich ein. »Du wärst nicht viel jünger als jetzt gewesen bei deiner ersten Wandlung. Die meisten sind 15, höchstens 18. Nur die Gebissenen, sie verwandeln sich egal in welchem Alter sie gebissen wurden. Das macht das Gift an unseren Zähnen und Klauen. Die Wandlung eines Gebissenen ist viel gewaltiger, weil sie so schnell vor sich geht. Deswegen überleben nicht viele Menschen diese Wandlung.« Irgendwie bilde ich mir ein, wenn ich auf sie einrede und ihr alles erkläre, was mir so einfällt, lenkt sie das vom Schmerz ab. Aber eigentlich spricht da nur mein Schuldgefühl aus mir. Den Schmerz der Wandlung könnte keine Rede der Welt auslöschen. Kein Medikament. Und auch kein Alkohol. Es gibt nichts, das ihr im Moment helfen kann.

Raven schreit auf, beugt sich vornüber und wiegt ihren schmerzgeplagten Körper. »Du hättest mich erschießen sollen«, stößt sie hustend hervor und sieht mich mit Tränen in den Augen an. »Oder du hättest einfach verschwinden sollen, statt tagelang in der Bar herumzusitzen, als du bemerkt hast, dass meine Mutter nicht zurückkommt.«

»Das wünschst du dir nicht, glaub mir das.« Ich atme tief ein und sehe sie unglücklich an. »Also, dass ich gegangen wäre. Ich war mehrere Tage in deiner Nähe. Wenn die Wandlung schon ausgelöst war und ich verschwunden wäre, hättest du die halbe Stadt umgebracht. Die andere Hälfte hättest du gebissen und …«

Raven schnaubt abfällig. »Und die Werwolfapokalypse ausgelöst?«

Ich nicke. »Ja. Deswegen ist es verboten, was dein Vater getan hat. Dich zu verstecken. Du wärst verwirrt gewesen, hättest nicht gewusst, was mit dir geschieht und du hättest nicht den Abstand gehabt, den du gebraucht hättest, um deine Wölfin unter Kontrolle zu bekommen. Eine Wandlung in der Nähe von Menschen ist zu gefährlich. Für uns und für sie.« Ich setze ein Grinsen auf, in einem weiteren Versuch, Raven aufzumuntern. »Das letzte Mal, das war etwa im 18 Jahrhundert in Europa, waren die Werwolfjäger und die Inquisition hinter uns her. Sie haben ganze Clans ausgerottet.«

»Weil die Wölfe ganze Städte ausgerottet haben, verständlich«, knurrt Raven und wirft sich in die nächste Schmerzwelle. Sie drückt ihre Finger in die Matratze und ich beobachte, wie ihre Knochen sich verlängern und wieder normalisieren. Ihr Körper wird mit jeder Welle versuchen, seine Wolfsform zu erzwingen. Jedes Mal ein Stück mehr. Sie wirft sich zurück auf die Matratze, bäumt ihren Oberkörper auf und windet sich so sehr, dass ich befürchte, sie könnte die Kontrolle verlieren. Ich springe auf, packe ihre Schultern und drücke sie in die Laken.

»Fuck«, knurrt sie mit der Stimme eines Wolfs so kräftig, dass sich meine Haare am gesamten Körper aufstellen. Ich halte sie weiter fest, bis sie sich wieder beruhigt hat. »Ich kann nicht fassen, dass das alles wegen dir passiert. Wenn ich das hier überlebe, werde ich dich töten«, droht sie mir und ich muss an meine Mutter denken. Als sie Sam geboren hat, habe ich sie im Schlafzimmer die gleichen Worte zu meinem Vater sagen hören.

»Ich werde es dir nicht verübeln, wenn du es tust«, erkläre ich ihr ehrlich und lasse sie los. Ich setze mich wieder neben sie auf den Stuhl und reiche ihr ein Glas Whiskey. »Trink«, fordere ich sie auf. Diesmal nimmt sie das Glas, ohne darüber nachzudenken und leert es auf einen Zug. Sobald ich ihr das Glas abgenommen habe, schließt sie erschöpft die Augen und schläft ein. Gegen den Schmerz hilft der Alkohol nicht, aber er bändigt die Wölfin in ihrem Inneren. Und das hilft zumindest dabei, die Wandlung zu verlangsamen, damit der Körper zwischen den Wellen neue Kräfte sammeln kann.

»Verdammt, ich wollte das hier nicht«, knurre ich in die plötzliche Stille.


Ich presse die Augen fest zu, weil ich nicht will, dass ich aufwache. Denn aufzuwachen würde bedeuten, diese vollkommen verrückte Realität zurück in meinen Verstand zu lassen. Aber so sehr ich auch kämpfe, die Bilder drängen sich zurück in meinen Kopf. Ich sehe die sturmblauen, leuchtenden Augen eines Wolfs, spüre seinen heißen Atem auf meiner Nase und erinnere mich an jedes Wort, das Ice gesagt hat, über das, was er ist und was ich bin. Oder vielleicht bald sein werde. Und ich bin mir nicht sicher, ob zu sterben nicht die bessere Option ist. Aber ich habe noch niemals aufgegeben. Dann ist auch jetzt nicht die Zeit dafür. Ich werde nicht zulassen, dass ich den Verstand verliere. Und ich werde nicht zulassen, dass der Schmerz mich beherrscht.

Aber die Wut werde ich zulassen. Auf Ice, auf meinen Vater und meine Mutter. Hat auch sie mich all die Jahre belogen? Mein ganzes Leben war eine Lüge. Ich schlucke gegen die Übelkeit an, die mich erfasst und kämpfe weiter gegen das Erwachen. Auch wenn sie mich beschützen wollten, ich kann keine Dankbarkeit empfinden, dafür, dass sie versucht haben, mich vor dem hier zu bewahren. Ich bilde mir ein, wenn ich davon gewusst hätte, wäre ich nicht so unvorbereitet gewesen. Aber wenn die Wandlung durch die Nähe von Wölfen ausgelöst wird, erklärt das, warum mein Vater nicht mehr nach uns gesehen hat. Aber das würde auch bedeuten, meine Mutter war keine Wölfin. Wusste sie, was er ist?

Die Wut zuzulassen nutzt nichts, weil jeder Knochen in meinem Körper wehtut und jede Zelle so heiß ist wie Lava. Mein Körper besteht ausschließlich aus Krämpfen und dem Gefühl, viel zu schwach zu sein, um auch nur einen Finger zu bewegen. Aber ich kann Ice riechen. Sein würziger Duft nach Wald und Erde scheint mich zu umgeben. Ganz als wäre er in meiner Nähe. Und obwohl es mich ärgert, beruhigt mich die Vorstellung. Es fühlt sich an, als würde seine Nähe sich wie eine schützende Decke über meine gepeinigte Seele legen.

»Raven, bist du wach?«, höre ich ihn flüstern. Wie kann es sein, dass seine Stimme wie Samt über mich streicht? Ich möchte in sie eintauchen, so wundervoll vertraut und warm fühlt sie sich an. »Du verbrennst, wir müssen deine Temperatur senken. Aber es wäre besser, wenn du dafür wach bist, denn ich will dich nicht mehr erschrecken, als nötig ist.«

Ich versuche mich an einem zustimmenden Brummen, aber alles, was ich hervorbringe, ist ein leises Stöhnen, also öffne ich die Lider und sehe direkt in Ices helle Augen. Er schaut mich mit einem besorgten Lächeln an.

»Da bist du ja.«

»Ganze Zeit schon«, flüstere ich heiser. Meine Kehle ist so trocken, dass sie reibt, als ich schlucke.

»Ich werde dich in die Badewanne legen. Du darfst also nicht erschrecken, das Wasser ist eiskalt. Aber nur so bekommen wir deine Temperatur runter. Denn wir können es absolut nicht gebrauchen, dass dein Blut in deinen Venen von der Hitze gerinnt«, erklärt er und sieht mich abwartend an, als warte er auf meine Erlaubnis.

»Okay«, stoße ich hervor und bin mir nicht mal sicher, ob seine Worte überhaupt bis in meinen Verstand vordringen und mir bewusst ist, was sie bedeuten.

Ice schiebt seine Arme unter meinen Körper und hebt mich hoch. Ich bin zu schwach, um darüber nachzudenken, was er tut. Ich lasse es einfach geschehen. Ich schaffe es nicht einmal, es zu hassen, dass er mich berührt und gegen seinen Oberkörper drückt. Meine Sinne erwachen erst restlos, als eisiges Wasser meine Fußsohlen umschließt. Ich atme heftig ein und reiße die Augen auf.

»Tut mir leid. Wir machen das hier nach und nach. Einen Zentimeter nach dem anderen, damit du dich langsam daran gewöhnen kannst«, sagt Ice und nimmt den Blick keine Sekunde von meinem Gesicht. Wäre er nicht an dem hier schuld, würde seine Sorge mich berühren. Aber er ist schuld, also weckt seine Schuld nur meinen Zorn. Oder besser gesagt sollte sie, aber ich fühle mich zu schwach, um zu hassen und wütend zu sein. Das Einzige, was ich wirklich will in diesem Moment, ist in Ruhe zu sterben. Die Vorstellung, die Augen zu schließen und nichts mehr zu fühlen und zu hören, ist auf einmal so verführerisch. Das sollte sie nicht. Ich muss kämpfen, ruft eine leise Stimme aus einem tiefen Winkel. Und diese Stimme hat recht.

»Weiter?«, fragt er mich und wartet, bis ich ein gequältes Ja hervorstoße. Nach und nach lässt Ice mich in das Wasser sinken, bis ich bis zum Hals bedeckt in der Wanne liege und die Kälte sich in meine Knochen frisst. Wie tausend Nadeln durchsticht sie meine Haut, raubt mir den Atem und lässt meine Muskeln sich immer enger zusammenziehen. Gequält balle ich die Hände zu Fäusten und kämpfe gegen das Zittern meines Körpers an, aber mir fehlt die Kraft. Also gebe ich nach, lasse zu, dass meine Zähne aufeinanderschlagen und die Kälte mich in ihrer schmerzhaften Klaue hält. Ich sehe zu Ice auf und bitte ihn stumm, mich abzulenken.

»Ursprünglich gab es in den USA sieben Clanfamilien, die sich zu fünf Rudeln zusammengeschlossen hatten. Aber die Kriege haben nur noch ein Rudel übrig gelassen«, beginnt er zu erklären. Er legt seine Hand auf meine und kniet sich neben die Wanne. »Dein Vater ist der Alpha des einzig verbliebenen Rudels.«

»Warum Kriege?«, bringe ich zwischen vibrierenden Lippen hervor.

»Wir sind eben Wölfe und Wölfe bevorzugen es, in ihrem Gebiet allein zu leben. Die Kriege haben uns sehr geschadet. Sie haben viele Jahrhunderte angedauert. Schon in Europa haben die Familien sich gehasst. Eine Folge der Kriege war nicht nur, dass nur noch wenige von uns überlebt haben. Irgendwann gab es kaum noch Frauen. Was das Problem noch verschlimmert hat, denn nur geborene Wölfinnen können Kinder bekommen, dachten wir zumindest. Deine Mutter kann keine Wölfin gewesen sein, sonst hättest du dich schon vor Jahren gewandelt«, sagt er mit nachdenklichem Blick auf mich. »Also gab es noch mehr Krieg um die letzten Frauen.«

»Mein Vater hat mich also deswegen versteckt«, werfe ich bibbernd ein und verstehe mehr und mehr, warum ich allein aufwachsen musste und er mich nur selten besucht hat. Es war wichtig, dass niemand wusste, dass es mich gibt. Er hat mich beschützen wollen. Es fühlt sich komisch erleichternd an zu wissen, dass mein Vater in mir doch mehr gesehen hat als einen lästigen Klotz am Bein. Ich war ihm wichtig genug, um mich zu verstecken, damit ich sicher bin. »Und Menschenfrauen bekommen keine Wölfe«, wiederhole ich, was Ice mir schon erklärt hat. »Und wenn doch?«

»Dann haben wir noch nicht davon gehört«, entgegnet er.

»Aber man kann nie wissen«, flüstere ich. Meine Mutter hatte die gleichen dunklen Haare wie ich. Als es ihr noch nicht so schlecht ging, haben wir beide Mac and Cheese geliebt, Nirvana und die Natur. Ich dachte immer, die Liebe zur Natur habe ich von ihr. Der Gedanke, sie könnte vielleicht nicht meine Mutter sein, macht mir irgendwie Angst. Nein, natürlich ist sie meine Mutter. Wir haben beide einen winzigen Leberfleck an der gleichen Stelle oberhalb des Bauchnabels. Sie war vielleicht keine gute Mutter, aber sie war meine Mutter. Und als ich noch jünger war, da war sie die beste Mutter, die ich mir haben wünschen können. Obwohl wir nur wenig hatten, hat sie alles getan, damit wir beide glücklich sind und uns an nichts fehlt. Erst im Laufe der Zeit hat sie sich immer mehr verändert. Ich glaube, die Angst vor meinem Vater hat sie dazu getrieben. Vielleicht wusste sie ja doch, was er ist.

»Manchmal findet die Natur einen Weg«, bestimme ich trotzig, weil die Vorstellung, überhaupt nicht zu wissen, wer ich bin, nur noch beängstigender ist.

Die Schmerzwelle kündigt sich langsam an. Sie beginnt kaum merklich, steigt an und erreicht ihren Gipfel trotzdem schneller, als mir lieb ist. Ich beuge mich in der Wanne nach vorne und schreie auf. Ich fühle, wie meine Knochen sich verschieben, wie sie sich dehnen und unter meiner Haut bewegen. Mein Magen wird zusammengepresst, bis ich das Gefühl habe, zu ersticken und mich übergeben zu müssen.

Ice legt seine Hand in meinen Rücken und beugt sich über mich. Seine Berührung schickt eine tröstende Welle durch mich hindurch, weswegen ich versucht bin, mich in diese Berührung zu schmiegen. Aber ich tue es nicht, weil in meiner Brust noch immer ein Funken brennt, der sich dagegen sträubt, die Zuneigung zuzulassen, die der dunkle Teil in mir gerne empfinden möchte. Ich schreie und kämpfe gegen den Schmerz und den Druck auf meinen Brustkorb an und entwinde mich dem wohligen Gefühl, das Ices Hand auf meinem Rücken auslöst.

»Lass den Schmerz zu. Du musst ihn über dich hinwegrollen lassen und ihn behandeln, als wäre er dein Freund«, sagt Ice und streichelt weiter über meinen Rücken.

Ich stoße ein dumpfes Lachen aus. »Ein Freund? Nichts hiervon könnte jemals mein Freund sein.« Die Welle lässt nach und ich lehne mich erleichtert zurück. Ich hole tief Luft und schließe entspannt die Augen. Für ein paar Sekunden sperre ich sogar die Kälte, die mich umgibt, aus und genieße die Pause. Aber das funktioniert nicht lange, denn die Kälte lässt sich nicht einfach ausblenden. Sie nagt an meiner Haut, lässt meinen Körper vibrieren und verursacht eine ganz andere Art Schmerz als die Krämpfe.

»Ich denke, das muss reichen«, meint Ice.

Ich öffne die Augen und sehe ihn fragend an. Er legt seine Hand auf meinen Unterarm und streichelt meine Haut, als wolle er kontrollieren, wie warm ich mich noch anfühle. Es ist nur eine flüchtige Berührung, aber alles in mir richtet sich nach ihr aus, als wäre sie die Sonne. Mir entrinnt ein wohliges Seufzen. Und ich weiß genau, dieses Seufzen kommt nicht von mir, es kommt von der Wölfin, deren Gefühle sich in meinem Kopf zu Bildern zu formen scheinen. Bilder, in denen ich mich dabei beobachte, wie ich mein Gesicht an das von Ice drücke. Wie ich meinen Körper an seinen schmiege und mich dabei vollkommen wohl und beschützt fühle. Ich entreiße ihm meinen Arm, um die Flut der Eindrücke in meinem Kopf zu unterbrechen. Die Bilder lösen sich auf, aber die Verwirrung und die Sehnsucht nach dieser Nähe zu Ice bleiben.

»Du solltest jetzt wirklich dort rauskommen«, sagt Ice mit besorgtem Blick.

Ich nicke, weil ich weiß, dass er recht hat, und lasse zu, dass er seine Arme unter meinen Achseln hindurchschiebt und mir aufhilft. Er lässt mich in der Wanne stehen, tritt einen Schritt zurück und verzieht missmutig das Gesicht. »Deine Klamotten sind nass«, stellt er fest, als wäre es nicht vollkommen klar, dass sie nass sind, nachdem ich mit ihnen baden war.

Ich umarme meinen zitternden Oberkörper und brauche alle Kraft, die ich aufwenden kann, um mich aufrecht zu halten. »In meiner Tasche im Pick-up.«

Ice mustert mich nachdenklich, schüttelt dann aber den Kopf. »Nein, so lange lasse ich dich hier nicht allein.« Er beugt sich über die Wanne und zieht den Stöpsel, danach wickelt er mich in ein Handtuch, trocknet meine Haare und jede freie Stelle meiner Haut. Da ich nur langärmelige Shirts trage, gibt es nicht viel freie Haut, die er abtrocknen könnte. Er rubbelt über meine Arme und regt die Durchblutung wieder an. Das Handtuch landet auf dem Boden vor der Wanne, kurz bevor er den Saum meines Shirts packt. »Runter damit. Ich verspreche, ich werde nicht hinsehen«, sagt er und sieht stattdessen direkt in meine Augen.

Da ich in der Wanne stehe, bin ich fast genauso groß wie er. Die plötzlich so intime Nähe schickt eine ganz andere Art Wärme durch meine Zellen. Ich weiche seinem Blick aus und lasse zu, dass er das Shirt über meinen Oberkörper nach oben schiebt. Seine Fingerknöchel streichen über meine Rippen und an der Unterseite meiner Arme entlang und lösen einen Schauer in mir aus, der die Wölfin in mir aufheulen lässt.

Ich höre sie in meinen Gedanken heulen. Zum ersten Mal spüre ich wirklich, wie sie sich regt. Ich spüre, dass ich da in meinem Kopf nicht allein bin. Diese zweite Präsenz in mir erkenne ich noch immer als meine dunkle Seite. Aber ich erkenne sie jetzt auch als ein eigenständiges Wesen mit eigenen Gefühlen und Wünschen. Gefühle und Wünsche, die ich nicht empfinden will, die sie mir aber aufzudrängen scheint.

Zornig schiebe ich sie zurück und errichte eine Mauer, um die Wölfin wegzusperren. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, aber offensichtlich gibt es zwei Wesen in mir. Das eine davon schreit verlangend nach Ice und empfindet eine unbändige Sehnsucht nach diesem Mann. Und das andere bin ich, der menschliche Teil, der nicht rein instinktiv empfindet. Mir sagt mein Verstand, dass es nicht richtig ist, sich nach jemandem zu sehnen, der einen entführt hat und töten wollte. Und doch erinnert sich dieser Teil auch an das, was er empfunden hatte, als Ice zum ersten Mal am Abend die Bar betreten hatte. Da wollte selbst mein Verstand ihn. Wie hätte er auch nicht wollen, Ice sieht fantastisch und sexy aus. Aber was von alldem bin wirklich ich? Ich schaffe es kaum noch, meine Gefühle auseinanderzuhalten. Alles vermischt sich und verschwimmt.

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