Kitabı oku: «Nebelmaschine», sayfa 3
Ich erinnere mich, dass mir seine Aufregung zu viel war in dem Moment, es fiel mir schwer, etwas dazu zu sagen, so benommen war ich von seiner Begeisterung. Erst im Rückblick verstehe ich die Freude des Anfangs: Hier deutete sich tatsächlich neuer Boden an, es entstand etwas auf Brachland, und zwar etwas, das bis heute Folgen haben würde. Doch meiner Ansicht nach konnte nicht einmal er damals ahnen, wie weitreichend ihre Entscheidung sein würde.
Ich legte auf, blieb am Bett sitzen, das Telefon auf der Bettdecke, und stellte, während ich gähnend über alles, was Niko mir aufgezählt hatte, nachdachte, fest, dass mich eine Information am meisten überraschte, obwohl er diese wie nebenbei hatte fallen lassen: dass nämlich Laura das Stück geschrieben und ihnen auf Drängen eines Regisseurs zur Inszenierung überlassen hatte.
Ich sehe mich aufstehen und ins Bad gehen. Jetzt glaubte ich mir den allumfassenden Spott, mit dem sie mich und andere beäugt hatte, erklären zu können, denn mir war bis dahin in meinem Leben als Bühnentechnikerin keine einzige Theaterautorin begegnet, die nicht überheblich war. Ich sehe mich zähneputzend vor dem Spiegel über Laura als Autorin nachdenken, mit gemischten Gefühlen, die mir heute naiv vorkommen. Ich erinnere die Spiegelung der schmutzigen Bettwäsche vor meinen Augen. Zwei Eindrücke, die sich zu einem vereinen: die auf blauen Bodenfliesen zerstreute Wäsche und das Wissen um eine Laura, die Stücke schreibt. Ich konnte nicht ahnen, dass sie im Grunde keine echte Autorin war, ganz wie ihr Stück, retrospektiv gesehen, kein echtes Stück war (falls es so etwas wie echte Autorschaft überhaupt gibt, und echte Stücke).
Rückblickend kann ich jedenfalls sagen: Ich hatte nicht einmal den mindesten Verdacht, dass mir Niko in dem Telefonat irgendetwas hätte verschweigen wollen.
Seine Stimme lag mir noch im Ohr, als Iris anrief und mir ebenfalls die Neuigkeiten mitteilte. Mittlerweile war ich fertig angezogen. Sie redete zuerst von sich, von einer alten Liebschaft, dann von einem neuen Flirt, von ihrer Anfälligkeit für solche und solche Kerle, »immer das Gleiche«, lachte sie, »immer, immer, immer das Gleiche mit mir und den Männern«, ich wunderte mich, dass mir jemand, den ich kaum kannte, so viel von sich erzählte. Danach berichtete endlich auch sie vom Stück, und zwar im gleichen Tonfall wie davor von der Liebschaft. Von nun an, so meinte sie, werde das Theater von Unnötigem befreit bleiben: Dieses Stück würde mit wenigen Requisiten, nein, nicht mit wenigen, so holte sie aus, sondern fast ohne produziert werden. Das hatte mir bereits Niko erzählt, und es kam mir (obwohl ich es den beiden gegenüber nicht erwähnte) weniger als eine freie Entscheidung vor, sondern vielmehr als die notwendige Konsequenz aus dem Mangel an Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung standen.
Iris lud mich, wie auch Niko es getan hatte, für denselben Nachmittag noch ins Lager ein. Es sei wichtig. Und zwar erstens wichtig, weil sie mir den Flirt zeigen wollte, der da sein würde, weil zweitens eine Pressekonferenz geplant war und weil drittens die erste offene Probe zum neuen Stück abgehalten werden sollte.
»Jetzt kannst du deine Solidarität zeigen«, sagte sie (was ich nicht kommentierte).
Sie berichtete mir auch, und das überraschte mich dann doch, dass sie von nun an ihren gesamten Jahresurlaub in Anspruch nehmen würde, um die nächsten Wochen am neuen Stück arbeiten zu können. Ich fehlte ihr, fügte sie danach hinzu, und zwar wieder in dem Tonfall, den sie mir gegenüber seit unserem Kennenlernen angeschlagen hatte. An jeden Satz hängte sie auch diesmal ein meine Süße an, oder meine Liebe, und wenn sie unkonzentriert war, wurde daraus ein draga moja, ljubica moja, weil sie vergessen hatte, dass ich sie nicht verstand. Ich frage mich, ob sie mich wirklich mochte oder ob sie mit allen so redete, weil sie auch das als charakteristisch für die Art von Schauspielerinnen empfand, zu denen sie gezählt werden wollte.
Ich zögerte lange, ob ich in die Halle fahren sollte. Schuld daran war nicht Iris, sondern das Wetter. Es zog Nebel auf, er durchfeuchtete die Erde, und ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie er den durchlässigen Boden des alten Lagers verwandeln würde.
Ich sehe mich durch meine Wohnung gehen, zunächst in die Küche, von der Küche zum Bett zurück, von dort wieder zurück in die Küche, an den Tisch, den ersten Kaffee trinkend, dann den zweiten. Ich weiß noch, dass ich lange auf den Topf Sauerkrautsuppe starrte, den ich spätabends aus dem Tiefkühler gestellt hatte, damit er über Nacht auftaute. Es schwammen Eisbrocken darin. Nur schwer entschloss ich mich nach dem dritten Kaffee, zu ihnen zu fahren, durch eine Landschaft, die mich deprimierte. Ich hatte aber abgewogen: Alleine zu Hause zu bleiben, noch dazu nach solchen Meldungen, erschien mir letztendlich nicht besser. Ich wollte wissen, was das für ein Stück sein sollte, das Niko und Iris so sehr in Begeisterung versetzt hatte. Ich muss auch zugeben: Neue Dramen, noch dazu von Frauen verfasste – davon gab es nicht viele an meinem Theater, daran hatte auch Magda, seit hundertfünfzig Jahren die erste Frau an der Spitze unseres Hauses, nichts geändert.
FORTSETZUNG DES DRAMAS (LAUT MANUSKRIPT)
Tisch 1, LINA RENDE hat abgepumpt und die volle Flasche sowie die Pumpmaschine verräumt, sie greift zum Laptop.
HANSI: Da war ein Artikel im »Kritischen Wirtschaftsforum«.
LINA: Ich weiß.
GUSTAV: Die haben uns beim Namen genannt.
LINA: Ich weiß.
HANSI: Vorwürfe wegen der Wending-Sache und der Regio Bank.
LINA: Ich weiß es!
GUSTAV: Wie haben die unseren Bericht in die Hände gekriegt?
LINA: Keine Ahnung. Wir haben es nur an Interne verschickt.
HANSI: Könnte es jemand von uns gewesen sein?
(Alle drei hören kurz auf zu tippen und sehen sich im Raum um.)
Tisch 20
PETRA (hebt das Telefon ab): Russland? Raten wir nicht zu, nein, schon länger nicht mehr, nur in Einzelfällen, der Rubelverfall ist nicht zuträglich fürs Geschäft, außerdem die Russlandsanktionen, man weiß nie, weißt eh.
Tisch 1
LINA: Schreiben die denn die Wahrheit, die Pressefuzzis?
HANSI: Armselige Revoltenversuche. Wirtschaftsjournalisten sind Verlierer, die in keiner echten Firma untergekommen sind. Da werden sie dann aus Frustration zu Schreibtischrebellen.
LINA: Ich war auch Wirtschaftsjournalistin, bevor ich hier angefangen habe.
GUSTAV: Wirklich?
HANSI: Bei einem linken Blatt?
LINA (zuckt mit den Schultern)
GUSTAV: Warum schreibt man so was? Die wissen doch gar nicht, ob es schlecht ausgehen wird.
HANSI: Investment ist Risiko – man weiß nie, was kommt.
GUSTAV: Geht doch oft gut aus.
Tisch 20
PETRA (ins Telefon): Die ganze Expertise holst du dir besser bei denen im dreizehnten Stock, die kennen sich mit dem Osten aus, manchmal geben die immer noch Pro aus: selbst wenn die Verluste beim Rubel gerade groß sind, kannst dich sicher erinnern, Postbank: 493 Millionen Euro verloren, die First Group rechnet mit 1,6 Milliarden Euro Verlust, fast so hoch wie die Kreditbank mit den Nettoverlusten, als sie die Ost-Beteiligungen auf Null abgeschrieben haben. (lacht)
Tisch 1
LINA: Wir schreiben aus Freude, aus Rache, als Warnung für die Zukunft.
HANSI: Aha?
LINA: Das war unser Motto bei der Zeitung.
GUSTAV: Und warum bist du zu uns gewechselt?
LINA: Das Kind.
HANSI: Wo war’s besser, in der Rebellenredaktion oder hier?
LINA (zuckt mit den Schultern)
Tisch 20
PETRA (ins Telefon): Wie gesagt, sie geben manchmal doch wieder ein Pro aus, die Gewinne waren in der Vergangenheit groß, da zahlt sich das Risiko vielleicht aus … zwölfter Stock, ja, Ostrovsky zum Beispiel, oder Schramm, oder die Liska in letzter Zeit, die sind da stark mit den Einschätzungen. (legt auf, tippt weiter, schaut Papiere durch)
Tisch 1
LINA: Ich finde es hier sehr anstrengend. Man kann sich kaum entscheiden, ob man den Chef mehr hasst oder die Kollegen oder die Arbeit.
HANSI: Die Kollegen.
LINA: Ein trauriger Job jedenfalls
GUSTAV: Den Chef, wenn du mich fragst. Und die Chefin vom Chef.
HANSI: Warum traurig?
GUSTAV: Na, ich finde ihn schon auch traurig. Mir hat noch keiner erklären können, wie man hier richtig Karriere macht: Ich bin der Risk Evaluation Consultant und du der Risk Information Consultant, wir verdienen ganz das Gleiche. Die da drüben sind alle drei Risk Regulation Consultants, verdienen weniger als ich, haben aber viele Boni. Vor einem Monat war ich noch Risk Coaching Consultant, halbes Gehalt.
HANSI (ins Telefon, das geläutet hat): Der Mindestkurs? Ich glaube 1,20 Franken pro Euro … nein, das hat da nichts … schreib das nicht rein … Absolut nicht, keine Wertminderung dadurch möglich … (legt auf). Immerhin verdienen wir mehr als die in den unteren Stockwerken.
GUSTAV: Aber die haben wenigstens deutsche Bezeichnungen, Beratung für Veränderungsprozesse im Bankwesen, für digitalen Kapitalvertrieb, für Wertpapier und Handel. Was ich daheim an Erklärungsaufwand habe, wenn mich meine Frau fragt, was ich eigentlich mache.
LINA: Ich vermisse das Leben. Schau dir die Fenster an, schau dir unsere Entfernung von diesen Fenstern an, schau dir das langweilige Licht an, schau dir die Tische an und welche Entfernung die Tische voneinander haben, wie regelmäßig sie angeordnet sind, und wir werden dann auch regelmäßig mit ihnen angeordnet.
GUSTAV: Musst aber schon dazusagen: Wir verdienen zwar mehr als die in den unteren Stockwerken. Aber andererseits: Petra ist vom Risk Regulation Consultant zum Financial Jurisdiction Consultant aufgestiegen, und in drei Wochen wird sie dann zum Risk Management Consultant befördert. Sitzt dann auch immer noch im selben Stock wie wir, aber dreifaches Gehalt.
LINA: Ich vermisse echte Gegenstände. Alles, was wir hier haben, sind Telefon, Laptop, Maus, Tablet, Bürotisch, Bürosessel, alle identisch, vom selben Produkthersteller, da kriegt man den Eindruck, als hätte man uns und die Gegenstände einfach unendlich oft kopiert.
HANSI: Vierfaches Gehalt, habe ich gehört.
LINA: Alles austauschbar und nichts gehört uns: Die Laptops sind Firmenlaptops, die man nicht nach Hause mitnehmen darf, die Telefone sind Firmentelefone, die man nicht nach Hause mitnehmen will, und die Tablets sind Firmentablets, die keiner braucht.
GUSTAV: Ich finde den Ausblick sehr schön, schau, wie nah wir dem Himmel sind.
HANSI (ins Telefon, das geläutet hat): Aha? Wer behauptet das? Das ist ein Widerspruch: Die Schweiz hat hohe Sparüberschüsse, immer ein attraktiver Emissionsmarkt für uns, ja, das Risiko ist immer gut abgefedert. (legt auf) Den Tisch und den Laptop finde ich auch sehr schön.
GUSTAV: Und zum Beispiel: Papierkorb haben wir nur einen einzigen, der ist ein Unikat, hergestellt von einem japanischen Künstler, nix Kopie, in jedem Stock steht ein anderer, original handgefertigter Papierkorb.
LINA: Wir haben zwanzig mal drei Papierkörbe auf den Desktops der Laptops, noch einmal zwanzig mal drei auf den Desktops der Tablets, dann noch einmal zwanzig mal drei auf den Telefonen. Und das nur auf unserem Stock.
HANSI (hebt am Telefon ab, das geläutet hat): Der Berger? Hat keine Eigentümerfunktion, nein, nein. Den kannst du angeben als pro, er ist pro, er war 2014 Manager of the Year, kannst ja hinzufügen. (legt auf) Ich mag unser Büro.
GUSTAV: Ich auch. Richtig clean.
HANSI: Ein Büro ohne Grenze. Das Nirwana des räumlichen Selbstmanagements.
GUSTAV: Ich bin ja dankbar, dass sie uns nicht in so Mini-Zellen stecken. Das hier ist im Vergleich zu meinem letzten Büro die totale Selbstbefreiung.
LINA: Oder die totale Selbstauflösung.
HANSI (ins Telefon, das geläutet hat): Ja? Die Liste der anderen in der Landesholding, außer Berger? Schick ich dir gleich. (legt auf, zu LINA): Lina, Lina, hast Hormone heute, eindeutig. Wenn du nicht hier arbeiten willst, kannst ja zurück zum früheren Job.
LINA: Sagt sich so leicht. Mit dem Kind.
GUSTAV: Und der Vater?
HANSI (ruft an, spricht ins Telefon): Hab noch vergessen zu sagen: Die Empfehlung vom Berger ist in der Wending-Sache und für die Regio Real Bank unverfänglich, weil er eben keine Eigentümerfunktion hat, er sitzt nur im Vorstand der Landesholding, nicht der Bank. Kannst es mit reinnehmen, ist stabilisierend.
LINA (ihr Telefon läutet, es ist PETRA von Tisch 20, die anruft. Bevor LINA abhebt, zu GUSTAV): Wir leben getrennt.
Tisch 20 und Tisch 1, PETRA NEUHAUS telefoniert mit LINA RENDE, anfangs ist noch leises Gemurmel und Tippen zu hören, während das Telefonat andauert, wird es immer stiller im Großraumbüro, alle hören den beiden Frauen zu, die über mehrere Tische hinweg miteinander telefonieren, ohne sich zu sehen. Als gegen Ende des Telefonats Stille eintritt, läuten mehrere Telefone, aber niemand hebt mehr ab.
LINA: Ja?
PETRA: Wegen der Wending-Sache, dem Rieger-Bericht, der Regio Bank.
LINA: Ja?
PETRA. Bist du da dran gesessen?
LINA: Woran?
PETRA: Am Abschlussbericht, der rausgegangen ist.
LINA: Nicht ich allein. Der Wolfi und die Mira, und der Oberwarter haben mit …
PETRA: Aber du kennst dich aus?
LINA: Ja.
PETRA: Hast du den Artikel im »Kritischen Wirtschaftsforum« gestern gelesen?
LINA: Ja.
PETRA: Denkst du dir was?
LINA: Nein.
PETRA: Ich habe ein Clearing mit denen vom Wending um 18:00, die wollten das. Aber weil ich nicht am Bericht gesessen bin, brauche ich ein kurzes Update von einem von euch. Hast du kurz Zeit?
LINA: Ja.
PETRA: Mir ist unklar, wieso die Finanzaufsicht zitiert wird.
LINA: Ging nicht anders.
PETRA: Daran hängen sie sich auf.
LINA: Wer?
PETRA: Die Zeitungen.
LINA: Eine Zeitung.
PETRA: Heute sind noch drei ähnliche Artikel erschienen. In mehreren großen Journalen.
LINA (schweigt)
PETRA: Die Finanzaufsicht hat bei der Regio Bank doch jahrelang nie interveniert.
LINA: Das steht ja im Bericht.
PETRA: Warum schreibt ihr das bitte extra rein, dass sie nicht interveniert hat? Ist doch unnötig.
LINA: Als Argument. Um zu betonen, dass alles stabil ist.
PETRA: Warum? Das ist, als ob man sagt: Keine Angst, wir haben alles desinfiziert. Sinnlos, da denkt jeder: Aha, wenn etwas desinfiziert werden musste, war es davor ja wohl kontaminiert.
LINA (schweigt)
PETRA: Kapiert ihr nicht, dass gerade ein Untersuchungsausschuss läuft? Egal, jedenfalls: Wir haben immer nur solide Rankings ausgegeben?
LINA: Ja.
PETRA: Und bei der Regio, genauso wie bei der Regio International, da haben die vom Ministerium, von der Finanzmarktaufsicht und von der Nationalbank immer positiv –
LINA: Alles picobello. Positiv. Steht so im Bericht. Die Regio Real wurde bislang nie kritisiert, auch keine Sanktionen.
PETRA: Aber die Regio-International-Geschäfte, also, weil das schon alle wissen, dass die nicht ordnungsgemäß verbucht wurden. Das steht im Bericht?
LINA: Nicht so.
PETRA: Sondern?
LINA: Geäußerte Zweifel an der Zuverlässigkeit des Vorstands stehen drin und dass es aber absolut keine Gründe dafür gibt.
PETRA: Nichts weiter?
LINA: Nichts weiter.
PETRA: Warum gibt’s dann heute drei weitere Zeitungsartikel über genau die Frage, warum und wie nicht verbucht wurde und dass schon ein Abberufungsverfahren läuft? Das habt ihr nicht geschrieben?
LINA: Nein. Es gibt ein Abberufungsverfahren? Gegen wen?
PETRA: Hast du dir mal die Kurse angeschaut? Wenn ihr so was wie die Finanzmarktaufsicht hineinnehmt in den Bericht, das ist –
LINA: Wir haben es nur negiert. Der Bericht war für Interne, für die Anleger, für die –
PETRA: Negieren ist Lancieren. Man schreibt nichts rein in so einem Fall. Und ich möchte von euch bis um 17:30 wissen, wie der Bericht an die Medien gelangt ist.
LINA: Ich –
PETRA: Oder weißt du was, du kannst gleich selbst um sechs mitkommen und alles erklären. Das gesamte Management kommt. (legt auf)
Auch LINA legt auf und schaut sich um.
HANSI (an ihrem Tisch): Schau, und ich denk mir, mein Leben ist langweilig, immer nur zwischen Joggen und Großraumbüro. Die ist ja ordentlich sauer auf dich.
LINA: Ich will keine Probleme, mit niemandem und nichts.
HANSI: Lina, Lina, das heißt erst mal Retourgang für dich.
GUSTAV: Musst aufpassen bei Abschlussberichten.
HANSI: Gegen wen läuft ein Abberufungsverfahren? Wending? Rieger?
LINA: Ich weiß es nicht.
GUSTAV (beugt sich zu ihr vor, zärtlich): Es tut mir leid.
LINA: Was?
GUSTAV (noch zärtlicher): Dass ihr getrennt lebt. (hebt am läutenden Telefon ab) Die Kosten bei der Schmoll-Investition? Das sind Kosten im Osten … Dafür ist der zwölfte Stock zuständig. Doswidanja! (legt auf, tippt weiter)
III.
Die Veränderung war sogleich spürbar, als ich in die Halle kam. Man hatte die Bühne vergrößert (sie war allerdings immer noch klein). Auf dem nun in frischem Schwarz lackierten, um einige Quadratmeter verbreiterten Holzpodest standen drei ebenfalls schwarz angemalte Holzstühle, ähnliche waren im Zuschauerraum aufgestellt. Das Halleninnere war gleichmäßiger angeordnet, die rot gefleckten weißen Schutzanzüge sorgfältig in einer Ecke gestapelt. Auffällig blieb der Berg aus Plastikknochen, den man in die Nähe des Eingangstores verschoben hatte. Das sichere Alte hatte sich nicht sofort abstreifen und entsorgen lassen, ein vor Jahrzehnten geschriebenes und damals als provokativ aufgefasstes Stück über Schlachthöfe. Aber das einst Radikale war harmlos geworden angesichts der gegenwärtigen Krise.
Der dritte Tag also: Ich sehe mich die mitgebrachten Getränke in den Kühlschrank stellen und dann meinen Platz auf einem Barhocker einnehmen, als wäre dies bereits eine alte Gewohnheit. Nach der Fahrt über die neblige Landstraße war ich froh, im Warmen zu sitzen und unter Leuten zu sein. Pizzen in Kartons wurden herumgereicht, ich hatte keinerlei Appetit. Es dauerte nicht lange, bis Niko bei mir stand, um seine Flasche an meine zu stoßen, wieder ganz der jeden stützende, alle Stimmungen und Menschen aufnehmende Gastgeber, stolz auf den Umbau der Bühne, als hätte er selbst die Bäume gefällt, die es dafür gebraucht hatte. Er hatte nicht viel Zeit zu plaudern (das Verantwortungsgefühl). Ich saß an der Bar, schaute, grüßte, dachte mir: Hoffentlich erwartet jemand wie Laura nicht, dass man zu ihr geht und gratuliert. Es waren aber alle beschäftigt.
Edwin bekam ich anfangs überhaupt nicht zu sehen, er war hinter seinem Pult in Deckung gegangen. Ich bemerkte seine Anwesenheit nur daran, dass es im Zuschauerbereich nach einiger Zeit dunkel wurde, und es gefiel mir, zu wissen, dass er es war, der alles in dem Raum sichtbar oder unsichtbar machen konnte. Ich fühlte wie immer bei Lichtwechsel eine innere Spannung, ganz der Kapitän beim Erklingen des Schiffhorns.
Die Halle war bereits gut gefüllt und füllte sich noch weiter, einige Leute betraten sie mit Zigaretten in der Hand, als wären sie unter freiem Himmel. Im Dunkel, in dem die Halle mittlerweile lag, sah man sie zwar nicht gut, dafür das glühende Rot ihrer Zigaretten. Jedes Mal, wenn das Hallentor aufging, kamen mehr Menschen herein, und man konnte hören, dass vor dem Lager weitere versammelt waren. Der kalte Luftzug von draußen war unangenehm, und ich dachte unwillig an den Heimweg, der vor mir lag.
Auf der Bühne standen Niko, Laura und Iris, daneben noch zwei andere, die ich nicht kannte. Sie hatten sich nebeneinander aufgestellt, mit nah an ihren Mündern befestigen Mikrofonen, die Gesichter hell angestrahlt, Hals, Schultern und Brust stark abgedunkelt.
Obwohl Niko mit seiner Ankündigung begann, wurde es im Raum nicht und nicht still. Er sagte: Diesmal keine Proben, kein Spektakel, sondern ein Manifest. Er sprach hastig, ohne Einleitung, ohne viele Beiwörter, runzelte die Stirn, kratzte sich am Kopf, als spielte er einen Nervösen. Ich hatte ihn bislang nie öffentlich reden gehört und war erstaunt, dass er es gar nicht konnte. Im persönlichen Gespräch war er souverän, entspannt und überzeugend, ohne zu übertreiben. Auf der Bühne aber wirkte alles, was er sagte, jedes Wort und jede Geste, als wären sie zu viel, als ob er sich jemandem aufdrängte und nicht von ihm ablassen wollte.
Ich war erleichtert, als Iris übernahm, denn die war auf der Bühne ebenfalls nicht sie selbst, und das nur zu ihrem Besten (den Effekt kannte ich bereits). Ihre rundlichen Wangen schimmerten unter dem Lichtkegel goldbraun, als trüge sie eine Maske, sie hatte sich Glitzerpuder aufs Gesicht gemalt, dazu die Zähne – groß, weiß, wie Perlmutt. Ihre Puppenhaftigkeit war verflogen, sie wirkte schön und gealtert, selbst das Senken ihrer Lider blieb kontrolliert und ernsthaft, ein blendender Racheengel, eine sich in Wut, in Empörung steigernde Person. Edwin verstärkte ihr Mikrofon, dimmte zusätzlich die Scheinwerfer, die auf die anderen gerichtet waren, während er die auf Iris gerichteten weiter aufdrehte. Mir fiel dieser Wechsel sofort auf, einige im Publikum aber fragten sich gewiss in dem Moment, weshalb sie den Blick nicht von dieser jungen wütenden Frau auf der Bühne wenden konnten. Es war nicht bloß der zielgerichtet auf sie fallende Strahl, es war auch sie selbst, die diesen stärker einzufangen schien als die anderen. Von allen Leuten auf der Bühne nahm man sie nicht nur als Erste wahr, sondern: Was sie sagte, blieb haften. Das »Theater auf Lager«, so erklärte sie, jetzt ganz Aktivistin, habe sich aus einer Krise heraus gegründet, über die endlich Zeugenschaft abzulegen sei. Obwohl das Publikum vereinzelt klatschte, blieb sie ungerührt, streng: Zeugenschaft vor Gericht, sagte sie, Zeugenschaft als Prozess, der endlich gemacht werden müsse, Zeugenschaft als Befehl zur Hoffnung, als künstlerische Haftanweisung. Ich erinnere mich, bei diesem Auftritt ständig an Magda gedacht zu haben, genauer: daran, wie schade ich es fand, dass sie nicht gekommen war.
Die Menschen drängten sich bereits im Eingangsbereich, es wurde eng. Man ließ das Tor eine Zeit lang offen stehen, damit auch die Leute draußen gut hören konnten. Der nasse Nebel schummelte sich herein, während Iris, energisch, überzeugt, dennoch ruhig von der Bühne her, die warm und weich wirkte, erklärte, dass das Ensemble das herkömmliche Programm hiermit absage, um sich in Zukunft der Entwicklung eines neuen Dramas, nämlich jenem von Laura Skok widmen zu können.
Hier dann das Deuten auf Laura, die neben ihr stand, die wieder mit spöttischem Blick, wieder gleichgültig wirkend oder allzu gelassen, kurz angebunden ihre ersten Überlegungen zum Stück darlegte. Ich sah sie im Profil, sah die langen Haare über der mir zugewandten Schulter, ihre Hand, die diese Haare hinters Ohr strich, schon war sie fertig. Viel hatte sie nicht verraten.
Danach wieder Iris, mit einer Stimme, als stürze sie sich in die letzte Schlacht: Es gebe kein Geld für diese neue Produktion, daher könne das, was von nun an im Lager gezeigt werde, nur als menschliche, nicht jedoch als technische Leistungsschau verstanden werden. Der Kampf um die Fördermittel sei verloren, weshalb der Kampf ums Theater beginne.
Solche vehement vorgetragenen Sätze irritierten mich aus dem Mund der jungen Frau, die ein vorberechnetes Leben als Kindergärtnerin akzeptiert hatte, welches sie, wie ich in den ersten beiden Tagen angenommen hatte, mit Theaterpädagogik, Männergeschichten und ihrem allabendlichen Schwips aufzuwerten versuchte. Die fröhliche Freundlichkeit, die Leichtigkeit, die Iris im Alltag auf alles um sich herum übertrug, passte nicht zu diesem knalligen Auftritt. Dieselbe Iris, die Kusshände warf beim Schminken, die mir davon erzählt hatte, dass sie immer fixiert war auf einen häufig wechselnden dragi moj, rief jetzt, ganz Tatkraft, Vorstoß, Aktion und Haltung, plötzlich ihre Warnungen aus: Man habe die Menschen in diesem Land genug getäuscht, das sei vorbei. Auf dieser Bühne werde es solche Täuschungen nicht geben, nein, hier nicht mehr, denn in diesem Theater, in diesem Lager werde man in Zukunft nur den strengen Spiegel einer Realität vorfinden, der dieselbe ebenso karg zurückwarf, wie sie war.
Für diesen Satz erhielt sie langen Applaus.
Niko war längst mit erleichtertem Gesichtsausdruck von der Bühne verschwunden. Später wurden Textauszüge des neuen Dramas präsentiert. Man diskutierte, mal ging es um inhaltliche Fragen zum Stück, mal um Arbeitsbedingungen in der freien Szene. Mit der Zeit drehte sich alles um die Krise und um die Frage, wie man sie auf der Bühne darstellen könnte. Ich erinnere mich, dass Laura, Autorität und Autorin, mittlerweile auf einem Stuhl in der ersten Reihe im Publikum sitzend, aktiv mitdebattierte, da es nicht mehr um das Stück selbst ging (zu dem sie sich nicht äußern wollte), sondern um Faktisches: »Benennen wir es: Plünderbanken, Bankenbosse, Kreditmärchen!«
Jetzt, in der immer heftiger werdenden Diskussion, stellte sich heraus, was das Herz ihres Stückes war: ein Laptop, auf dem sie Hunderte mit Dateien gefüllte Ordner abgespeichert hatte, die sie als Verstärkung von Konsistenz, als Realitätspartikel, als Garant für Information bei allen Szenenübergängen als Projektionen auf eine Leinwand zu werfen plante.
Im Laufe dieser Debatte kam, von Iris mit Wangenküssen begrüßt, ein riesiger Mann auf die Bühne, groß, breit, rosafarbene Wangen, zottiger Bart wie das Fell eines Tiers, die Bewegungen langsam und schwer. Insgesamt wirkte er patzig und bärig, dabei kräftig. Iris bezeichnete ihn als Regisseur, den man für die Produktion bestellt habe. Obwohl ich den Begriff des Bestellens gerade in Bezug auf diesen Regisseur nur in Anführungszeichen wiedergeben mag, so belasse ich es dabei, denn Iris benutzte das Wort mit solcher Freude, dass ich noch heute kein anderes als passender empfinde.
Ich kannte ihn, er war ein Phänomen. Man nannte ihn Baugruber, auch in der Presse wurde er als solcher geführt (immer ohne Vornamen). Er hatte mich jedes Mal, wenn wir uns bei Veranstaltungen getroffen hatten, begrüßt, auch wenn sich nie ein Gespräch mit ihm ergeben hatte, er schien einfach grundsätzlich davon auszugehen, dass man von ihm wusste. Ganz unrecht hatte er nicht damit, obwohl sein Bekanntheitsgrad in den letzten Jahren gesunken war. Lange Zeit hatte er in einem Dorf sein Bauerntheater geleitet, ein schräger Ausdruck, aber er war es, der ihn geprägt hatte, genauso wie er selbst für sich die Bezeichnungen Drei-Groschen-Goethe und Bauern-Balzac in Umlauf gebracht hatte, bevor er als Moderator für ein miserables Radio in die Stadt gezogen war. Sein unter »Heimatvereinigung« laufender Theaterverein war das Feindbild für Liebhaber von Kirchtagen oder Faschingsumzügen. Schuld daran waren seine als Straßenfeste konzipierten Theatertreffen, antifolkloristische Exzesse, zu denen die intellektuelle Elite aus dem ganzen Land anreiste. Diese experimentelle Volksbühne war eine der ersten gewesen, der man im Zuge der groß angelegten Reform alle Förderungen gekürzt hatte, natürlich ohne Angabe von Gründen.
Ich beobachtete ihn und erfuhr: Er war es, der Niko im Anschluss an die Kürzungen zur Gründung des »Theaters auf Lager« angetrieben hatte, er war es, der Laura an die Gruppe vermittelt und vorgeschlagen hatte, ihr Stück zu adaptieren, und er war es, den Iris am Telefon als ihren Flirt bezeichnet hatte.
Ich sehe also vor mir einen Baugruber, wie ich ihn in den folgenden Wochen oft sehen sollte: ein zotteliger Ausbund an Drolligkeit, der sich in der Diskussion genau so verhielt, wie man mir erzählt hatte, dass er sich immer bei Proben verhielt: Er teilte kurz angebunden Textpassagen oder Anweisungen aus, ließ sie ausführen, ging nicht auf Lob ein, dafür immer auf Kritik, die er zunächst wiederholte, bevor er ihr etwas entgegenschmetterte. Fragen kommentierte er trocken und boshaft, was gar nicht zu seinem patzig-lieblichen Aussehen passte. Und wenn er mit etwas unzufrieden war, blieb nichts Bäriges mehr an ihm, zumindest nichts Kuschelbäriges, dann verwandelte er sich zur Bestie, wurde laut, forderte ein, spreizte seine Finger, als schlüge er Krallen in ein wehrloses Opfer, nur um diese kurz darauf wieder einzuziehen und das erlegte Tier mit weichen Tatzen zu tätscheln.
Dieser Eindruck von Baugruber ist überlagert von einer anderen Erinnerung. Laura hatte nämlich ihren Laptop ausgepackt und sich damit zu Niko gestellt, der wiederum Edwin herbeiwinkte. Zu dritt begannen sie die Dateien durchzusehen.
»Kann man das projizieren?«
»Alles?«
»Wie viele Apparate brauchen wir dafür?«
Sie standen zwischen mir und der Bühne. Ich sehe mich hinter ihnen sitzen, die von Baugruber dominierte Bühne im Blick, wo geprobt wurde, und zugleich den Desktop, auf dem Laura einen Ordner öffnete.
»Das ist wirklich viel.«
Ich sehe mich ihnen also zusehen, ohne dass sie es merken, sehe ihre Hinterköpfe und den nervösen Pfeil auf dem Desktop, sehe den ersten Ordner mit Fotodateien, der aufploppt.
»Mit nur einem Beamer?«
Ich sehe das erste Foto, das mir in der Erinnerung wie das Hundertste vorkommt, denn ich habe viele ähnliche später gesehen:
Das Foto also, das einen Mann zeigt, oder vielmehr seinen Nacken und Hinterkopf, graues, kurz geschnittenes Haar, kleine Gestalt, beide Hände in den Taschen seines Jacketts, Blick zum Fenster eines Büros hinaus, neben ihm ein anderer Mann, weißes Haar, Schattenbart, die Hand erhoben, den Zeigefinger ausgestreckt, mit dem strengen Blick eines Menschen, der zu Hause ist in der Welt. In den Nacken dieses Mannes sehe ich Laura eine Bildunterschrift tippen: »Wending und Rieger im Büro von Hans Groschner, siehe Protokoll Nr. 34«, und heute ist mir, als wäre mit dieser (oder einer ähnlichen) Bildunterschrift alles Wichtige schon vorweggenommen –
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.