Kitabı oku: «Pyria», sayfa 2
Spielzeugschiffe
Die Dinge hatten sich geändert. Mit Gwyns Grinsen war auch das übliche Gruppengefüge verschwunden. Leén war es, als hätten sie sich alle mit dem Feuerspucker nach der unheimlichen Nacht in Om’falo verändert. Besonders Mico schien seine Abneigung gegen alles hintenanzustellen, um das Loch zu füllen, das der einst so fröhliche Feuerspucker hinterließ. Leén war selbst kaum an der Aktion beteiligt gewesen und trotzdem hatte die Nacht sie geprägt wie keine zweite. Ihre Angst vor Machairi war zurückgekehrt, gepaart mit einem gewissen Maß von Abscheu. Sie konnte nicht begreifen, wie irgendjemand Gwyn so etwas antun konnte. Es war klar, dass der Zhaki schlechte Entscheidungen getroffen und einige Fehler gemacht hatte, aber es hatte ihr das Herz gebrochen, ihn so verzweifelt zu sehen. Sie konnte nicht verstehen, wie der Schatten die Kälte aufgebracht hatte, ausgerechnet Gwyn zu verstoßen. Dass der Gaukler es zu verstehen schien, machte es nicht besser. Von seiner stets guten Laune, seinem unvergleichlichen Grinsen, war nichts mehr übrig. Es war nicht schwer zu sehen, dass er mit sich selbst zu kämpfen hatte, und sie wünschte sich, ihm helfen zu können. Leider war er unwillig, ihre Hilfe anzunehmen, und sie war sich nicht sicher, ob es irgendjemand konnte … abgesehen von Machairi natürlich, der ihm problemlos hätte verzeihen können.
Der Schatten hatte den Gaukler behandelt, als wäre er gar nicht da, nachdem er ihn an Mico übergeben hatte. Seit sie auf dem Schiff waren, hatte sich auch Machairi in eine Kajüte zurückgezogen und sie bekamen ihn nur selten zu Gesicht. Bisher hatte Leén nicht gewagt, zu ihm zu gehen und zu fragen, was er tat und wie es nun weitergehen sollte. Dabei interessierte es sie brennend, was für ein Plan all diesen Ärger wert sein sollte.
Nachdem Gwyn das Essen erfolgreich in sich hineingezwungen hatte, war sie davon ausgegangen, dass es sinnvoll war, ihn vorerst wieder in Ruhe zu lassen. Offensichtlich wollte er nicht mit ihr reden und sie wollte ihm ihre Aufmerksamkeit nicht aufzwingen, obwohl sie ihn am liebsten in den Arm genommen hätte, bis es ihm besser ging.
Vica saß in ihrer Koje und kümmerte sich um Spítha. Der kleine Drache rang, seit er von einem Armbrustbolzen getroffen worden war, mit dem Tod. Vica hatte ihn mit einem Greifvogel gefunden und zurückgebracht und nur Ilas Heilkünsten war es zu verdanken, dass der helle kleine Drache noch lebte. Die harte Schuppenhaut war glanzlos und der Verband um die Wunde war von Drachenblut getränkt. Reglos lag das kleine Geschöpf auf der Seite und nur an dem eindeutig gequälten Schnauben, das seine Nüstern zittern ließ, konnte man erkennen, dass das Tier noch lebte. In seiner alten Größe wäre ein Armbrustbolzen wohl nicht weiter tragisch gewesen, aber nun, da der Drache kaum so groß war wie eine Hauskatze, gab es wenig Hoffnung. Das bedeutete allerdings nicht, dass die blinde Naturistin bereit war, ihn aufzugeben. Das Mädchen und ihr wieselähnlicher Gefährte Puki verbrachten den größten Teil ihrer Zeit damit, sich um den sterbenden Drachen zu kümmern und Leén half ab und an mit den geringen Kräften, die sie entwickelt hatte, ihn im Gleichgewicht zu halten. Das Bemerkenswerte daran war, dass Vica ihre Hilfe sogar annahm – wenn auch widerwillig und mit bissigen Kommentaren. Wahrlich eine weitere unerwartete Veränderung, die sie seit Om’falo beobachten konnte.
»Wird es besser?«, fragte sie hoffnungsvoll mit einem Blick auf den kleinen Drachen und kam vor der Koje zum Stehen.
»Sieht es aus, als würde es besser?«, fauchte Vica, aber Leén hatte sich an ihren bissigen Tonfall gewöhnt. Manchmal glaubte sie, dass die Blinde vielleicht gar nicht in der Lage war, anders zu antworten. Vielleicht hatte Vica gar nicht immer ein Problem, sondern zu viel Angst, mit Freundlichkeit Menschen zu nah an sich heranzulassen. Es war eine gewagte Theorie, schließlich konnte sie dem sonderbaren Mädchen nicht hinter die Stirn schauen, aber es war immerhin eine Theorie, die dazu führte, dass Leén sich im Umgang mit ihr entspannen konnte.
»Nein«, gab sie zu. »Ich hatte es trotzdem gehofft.« Unglücklich sah sie auf die leidende Kreatur hinab. Wenn sie doch nur mehr hätte helfen können. Die Dinge wären so viel einfacher gewesen, wenn sie in der Lage wäre, ihre Magie voll auszuschöpfen. Leider hatten die wenigen Tage Übung mit der alten Ila nicht ausgereicht, um ihr auch nur eine grobe Ahnung davon zu geben, wozu sie fähig war, und sie würde wohl allein mehr darüber herausfinden müssen. Ila hatte ihr noch ein paar Ratschläge mit auf den Weg gegeben und Leén versuchte, allein zu üben. Inzwischen konnte sie das Licht sicher rufen und sogar in Formen bringen, aber ihr fehlte eine Lehrerin. Nach den Vorfällen in der Stadt waren sie gezwungen gewesen, schnellstmöglich zu gehen, weil die Patrouillen schon wenige Stunden später anfingen, die Häuser nach der verschwundenen Prinzessin zu durchkämmen. Auf dem Weg zum Hafen hatten sie alle ein weiteres Mal festgestellt, wie unschlagbar Machairi in einer Stadt war. Das hatte nicht dazu geführt, dass sie es richtig fand, wie er mit Gwyn verfuhr, aber es hatte ihr auch mehr als deutlich aufgezeigt, dass sie ihn brauchten, um zu überleben. Also waren sie wieder gemeinsam auf einem Boot gelandet.
»Wenn sich dieser bescheuerte Schlossknacker nur nicht so anstellen würde«, fauchte sie. Offenbar schien es ihr zu helfen, auf alle anderen zu schimpfen, denn das tat sie schon seit sie in See gestochen waren. Es stimmte, Mico war tatsächlich nicht übermäßig hilfsbereit gewesen. Da er Mico war, hatte das Leén nicht weiter überrascht, vor allem, da der gleiche Drache den Magier selbst fast ins Jenseits befördert hätte. Er hatte nur einen Blick auf die Wunde geworfen und verkündet, dass nichts mehr zu retten war. Damit schien die Angelegenheit für ihn erledigt. Es wäre wohl töricht gewesen zu hoffen, dass seine erstaunliche Größe, die er für Gwyn bewiesen hatte, sich hier fortgesetzt hätte.
Da ihre Kommentare hier weder hilfreich noch erwünscht waren, entschied das Götterkind, lieber zu schweigen. Sie fuhr sich mit den Fingern über ihren Zopf und starrte die hölzernen Wände an, bis sie das Gefühl hatte, dass sie ihr entgegenkamen. Auch Vica ging dazu über zu schweigen und als Leén glaubte, Tränen in den blinden Augen schwimmen zu sehen, nahm sie an, dass die Naturistin in ihrem Kopf mit dem Drachen kommunizierte. Dabei wollte sie nicht stören und so verließ sie die Kajüte.
Rastlos wanderte sie über das Schiff. Schon seit sie abgelegt hatten, konnte Leén nicht recht zur Ruhe kommen. Alles schien ihr plötzlich so viel bedrohlicher und es gab noch immer zu viele Dinge, die sie nicht verstand, die sie Ila gerne noch in endloseren weiteren Stunden Unterrichts gefragt hätte. Nun war sie auf sich selbst gestellt und fühlte sich ebenso unwissend wie vor ihrer Reise nach Om’falo. Sie wusste natürlich, dass das nicht stimmte. Nicht im Entferntesten. Sie hatte viele Dinge herausgefunden, die sie lieber niemals gewusst hätte, und die Fragen, die nun durch ihren Kopf geisterten, waren ganz andere als in der Wüste. Nur das Thema war das gleiche geblieben. Was hatten ihre Eltern ihr alles verheimlicht? Was konnte sie anfangen mit diesen Fähigkeiten, die so begehrt zu sein schienen? Konnte sie wirklich Gutes damit tun? Wie sollte sie lernen, damit umzugehen und was gab es noch alles zu wissen über ihren Vater, der einst ein Gott gewesen war, und ihre Mutter, die wie ein Medium zu den Göttern gewesen war? Das alles war so abstrus und unglaublich, dass sie sich manchmal an einem anderen Mysterium festzuhalten versuchte: Machairi. Sie verstand diesen Mann nicht. Nicht seine Art, nicht seine Handlungen und nicht seine Vergangenheit. Nichts, was sie über ihn wusste, ergab ein stimmiges Bild.
Wie schon so oft landete Leén wieder auf dem Hauptdeck und wanderte gedankenverloren die Reling entlang, schaute in die weite Ferne des glitzernden Wassers, das sich in alle Richtungen um sie herum erstreckte, und hing ihren Gedanken nach. Es gab so viele Dinge, über die sie nachdenken wollte und musste, und leider führten ihre Überlegungen viel zu oft ins Nichts. Sie konnte nun einmal nichts daran ändern, dass sie nicht mehr Informationen hatte als die wenigen, die Ila ihr gegeben hatte und die sie selbst gesammelt hatte.
Seufzend blieb Leén am Heck des Schiffes stehen und starrte auf den Horizont, hinter dem sie Hareth zurückgelassen hatten. Vorher waren sie lange Zeit entlang der Küste gesegelt und sie hatte befürchtet, entdeckt zu werden, aber nichts war geschehen. Sie waren nicht einmal kontrolliert worden. Offenbar war die Crew, die sie samt Schiff angeheuert hatten, um sie sicher ans Ziel zu bringen, bekannt in diesen Gewässern und niemand ahnte, was für gefährliche Menschen sich an Bord befanden.
»Vermisst du es bereits? Dein Zuhause?«, fragte eine Stimme von hinten und Leén fuhr herum.
Kurz musterte sie ihr Gegenüber, bevor sie den Kopf senkte. »Nicht direkt«, murmelte sie, wiederholt unentschlossen, wie sie sprechen und sich verhalten sollte, auch wenn sie das bei ihrer letzten kurzen Unterhaltung geklärt hatten. Eine Hose war einfach nicht sinnvoll, um zu knicksen, aber eine Verneigung wäre ihr auch seltsam vorgekommen und eine Anrede wäre ihr auch fremd gewesen. Zum Glück schien das nicht notwendig, denn die junge Dame bestand nicht darauf.
Koryphelia Laurena Desdori Irenja Paranomo, Prinzessin von Cecilia, Tochter des Königs Thredian Détestes Echtros Paranomo von Cecilia, war ganz und gar unerwartet anders. Leén hatte ein verzogenes, arrogantes, verwöhntes Königsbalg erwartet. Viel gesprochen hatten sie bisher nicht, aber im Grunde wirkte das Mädchen, nun, nett. Sie war ein bisschen jünger als der Rest der Gruppe. Während Leén glaubte, dass sie mit ihren nicht ganz zwanzig Jahren eher eine der Jüngsten war, hatte Koryphelia den Altersschnitt gesenkt. Leén war sich nicht sicher, ob sie älter als fünfzehn war. Sie war nicht mit unendlicher Schönheit gesegnet, aber man sah ihr an, dass man sich stets nur das Beste für ihr Aussehen geleistet hatte. So war ihre Haut rein und gleichmäßig und so hell, dass sie in der Sonne augenblicklich verbrennen musste, und ihre blonden Haare glänzten wie fein gesponnenes Gold. Ihre Erziehung und ihren Status sah man ihr vor allem an der kerzengeraden Haltung an, von der sie nur selten abwich. Leén wollte gar nicht wissen, wie ermüdend kleinlich das Mädchen erzogen worden sein musste. »Es ist ein wirklich schönes Land«, sprach die Prinzessin und trat neben Leén, um ebenfalls auf die Wellen hinauszublicken.
Die Harethi schmunzelte und musterte die Prinzessin von der Seite. »Ja, das ist es«, stimmte sie dann zu und fragte sich erneut, warum sie sie aus dem Schloss geholt hatten. Inzwischen hatte sie zumindest verstanden, dass das Mädchen hatte gehen wollen, die Frage war nur, warum Machairi ihr geholfen hatte. »Warum … warum wolltet Ihr fort?«, fragte sie deshalb vorsichtig in der Hoffnung, sich nicht in der Anrede zu vergreifen. Die Formalitäten der fremden Sprache fielen ihr noch immer schwer, aber sie glaubte, dass sie richtig lag.
»Das wollte ich gar nicht. In erster Linie möchte ich nicht mit einem Mann verheiratet werden, den ich noch nie gesehen habe. Ganz sicher nicht, wenn ich damit nur das erste von 42 Puzzleteilen eines Harems werden würde.« Seufzend sah das Mädchen weiter auf den Horizont und hatte Leéns vollstes Verständnis. Obwohl sie aus Hareth stammte, hatte sie einen Harem nie als wünschenswert angesehen, auch nicht den des zukünftigen Sultans. Ihre Eltern hatten einander sehr geliebt und sie wollte lieber eine ähnliche Beziehung auf Augenhöhe führen als Teil einer Gruppe zu werden. »Mir war immer klar, dass ich nicht im eigenen Interesse heiraten würde«, fügte die Prinzessin hinzu und es war bemerkenswert, wie erwachsen das Mädchen schien. »Doch wenn es politische Gründe sein müssen, sollen es wenigstens positive sein.«
»Prinzessin, warum hat er Euch geholfen?«, fragte Leén weiter und vergrub die Finger im Geflecht ihres Zopfes. Sie verstand, warum das Mädchen fortgewollt hatte, aber sie war noch immer keinen Schritt näher am Gesamtbild. War eine Hochzeit nicht ein Friedensangebot? Wie viel positiver sollten die Gründe denn werden? Andererseits wusste die Prinzessin sicherlich besser, was ihr Vater erreichen wollte, und das war ein Thema, an das Leén sich nicht heranwagte.
Koryphelia löste den Blick von der klaren Linie des Horizonts und sah Leén aus tiefblauen Augen an. »Bitte nenn mich … Phela oder denk dir irgendeinen Namen für mich aus. Schlimmer als der echte kann es nicht werden.« Sie lächelte. »Und ich nehme an, dass er dir diese Frage sehr viel besser beantworten kann.«
Überrascht nickte Leén und drehte das Ende des Zopfes um ihren Zeigefinger, während sie nachdachte. Machairi würde nicht mehr verraten, als sie wissen musste, außer sie erwischte ihn in wirklich guter Laune, aber das schien im Grunde ausgeschlossen. Außerdem hatte sie nicht das Bedürfnis, ihm zu nahe zu kommen. Seine kalte Wut auf Gwyn hatte ihr in Erinnerung gerufen, was für ein Mensch er war – falls er denn wirklich ein Mensch war –, und sie schämte sich für die Abende und die Nacht, die sie in seinem Zimmer verbracht hatte, und für die Verlegenheit, in die er sie gebracht hatte. Für einen Moment hatte sie tatsächlich gedacht, Ila könnte recht haben mit ihrer Beobachtung, aber jetzt war der Gedanke so absurd, dass sie sich dafür hätte ohrfeigen können, das jemals in Betracht gezogen zu haben.
Als sie keine Antwort bekam, schien die Prinzessin sich gezwungen zu sehen, weiterzureden. »Ich habe meine Zofe in den Bienenstock geschickt mit einem Brief und der Bitte, mir zu helfen. Im Gegenzug habe ich eine Gegenleistung seiner Wahl, zum Beispiel Informationen aus dem Schloss, angeboten. Nachdem sie ohne Antwort zurückkam, ging ich davon aus, dass mein Angebot abgelehnt worden war.«
Das war tatsächlich mehr als interessant. Es erklärte, warum Machairi so genau gewusst hatte, dass der König nach Hareth reiste. Es erklärte auch, weshalb das Mädchen so willig mitgekommen war und gar nicht an Flucht zu denken schien, obwohl sie aus ihrem Zimmer entführt worden war. Was Machairi davon hatte, wurde daraus leider nicht klar. Es war kaum vorstellbar, dass irgendetwas in Kefa vorgehen konnte, von dem Machairi nichts wusste. Wofür brauchte er die Prinzessin also so dringend, dass er für sie vom eigentlichen Ziel abwich? Ursprünglich war die Gruppe schließlich aufgebrochen – so zumindest die Information, die Machairi suggeriert hatte – um ein sehr altes Orakel zu finden. Es sollte in der Lage sein, jede Frage zu beantworten, und seit einiger Zeit folgte die ganze Welt einer Prophezeiung nach Cecilia, um dort nach dem verschollenen Orakel zu suchen. Seit Machairi aber zu Mico gesagt hatte »Ihr hört, was ihr hören wollt«, versuchte sie, sich an den genauen Wortlaut zu erinnern, den er in den Katakomben unter Kefa verwendet hatte. Leider gelang es ihr nicht, genauso wenig wie an jede andere Unterhaltung mit Machairi. Nur der Sinn seiner Worte hatte sich in ihrem Kopf eingeprägt, nicht aber die genaue Ausdrucksweise und in den wenigen Fällen, in denen sie sich daran erinnerte, wurde sie nicht schlau daraus. Es machte ihr Angst. »Wir werden es ja sehen«, sagte sie schließlich, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob sie wirklich sehen wollte.
So standen die beiden Mädchen schweigend beieinander und blickten auf das glitzernde Meer und die unendliche Weite des Horizonts hinaus. Ein Schiff war dort erschienen und zeichnete sich nun hübsch vom blauen Wasser ab. Sie hatten es lange Zeit nicht sehen können, aber nun war es nah genug, dass sie sogar Segel und Masten erkennen konnten und eine Weile später wurde das Rot und Gold der harethschen Flagge sichtbar, die vollkommen überproportioniert am Hauptmast wehte. Fasziniert betrachtete Leén das Schlachtschiff in der Ferne und fragte sich, ob es wohl Kurs nach Cecilia gesetzt hatte. Aber allein? Sie kniff die Augen zusammen und suchte nach weiteren Schiffen. Tatsächlich machte sie in noch viel weiterer Ferne einen zweiten kleinen Punkt aus, der ein Schiff sein konnte, aber es war definitiv keine ganze Flotte, sondern lediglich ein einzelnes Schiff. Was sie wohl vorhatten?
Die Erkenntnis traf sie viel zu spät und als sie sich panisch zu Phela drehen wollte, bemerkte sie, dass sie allein am Heck stand. Hastig drehte sie sich um. Sie musste jemanden alarmieren, Bescheid sagen. Sie mussten sich verstecken! Aber wie versteckte man sich auf dem offenen Meer? Kaum einen Augenblick später erblickte sie Machairi. Wie üblich komplett in Schwarz bis auf einen einzelnen weißen Handschuh, der ihn als Schatten Kefas auswies, kam er mit Koryphelia auf das Achterdeck und sah ruhig wie immer auf das fremde Schiff, das hinter ihnen größer wurde. Sie fragte sich, ob er es erwartet hatte oder ob er sich nur niemals überraschen ließ. Tatsächlich nahm sie eher Ersteres an. Nicht nur, weil er so unerträglich vorausschauend war, sondern auch weil sie dieses fast selbst erwartet hatte. Nachdem sie durch das Feuer eindeutig aufgefallen waren, war es unumgänglich, dass irgendwann irgendwer die Puzzleteile zusammensetzten würde. Dass die Entführer per Schiff verschwinden würden, hätte sogar sie sich denken können und da es hier um die Sicherheit der Prinzessin ging, war es sicherlich ein unausweichlicher Schritt gewesen, die Arbeiter im Hafen am Fluss bei Om’falo zu fragen, ob eine verdächtige Truppe vorbeigekommen war. Leider hatten ihre Verfolger die Fährte schneller aufgenommen, als sie gehofft hatten. Leén hatte keine Ahnung von Schiffen, aber sie konnte sich gut vorstellen, dass, auch wenn ihr kleines Handelsschiff recht schmal und wendig war, ein Sultan und ein König gemeinsam ein schnelleres Schiff bereitstehen hatten.
Ganz davon abgesehen wirkte es nicht, als würde der Kapitän des Handelsschiffes alle Möglichkeiten ausschöpfen. Das dreieckige Hauptsegel des kleinen Kahns blähte sich gemütlich allein im Wind und es war geradezu entspannt an Bord zugegangen. Warum hatten sie sich nicht mehr beeilt? Nicht einmal jetzt schien Machairi es besonders eilig zu haben. War es einfach zwecklos, eine Flucht zu versuchen, oder hatte er es gar beabsichtigt, gefunden zu werden? Vorstellbar war es allemal, auch wenn Leén kein guter Grund für einen solchen Wahnsinn einfiel. Denn auch wenn Machairi eine Neigung hatte, das Wahnsinnige zu tun, glaubte sie doch, dass er stets einen guten Grund hatte. Ein kontrollierter Wahnsinn, wenn man so wollte.
Nachdenklich musterte die Harethi den Schatten von der Seite, seine schwarzen Haare, die klaren Gesichtszüge und die endlos schwarzen Augen, die auf das feindliche Schiff gerichtet waren. Wie konnte er nach all diesen Wochen ein noch größeres Rätsel sein als vor ihrer Abreise? Von all ihren Fragen über ihn hatte sich keine eindeutig beantwortet, aber es war eine ganze Reihe neuer hinzugekommen. Was hätte sie darum gegeben, den legendären Schatten zu verstehen. Sie wollte auf Gedeih und Verderb nicht wissen, was ihm alles durch den Kopf ging, aber die Dinge, in die er sie mit hineinzog, zu verstehen, wäre doch sehr nett gewesen.
»Hast du etwas zu sagen?« Die klare Melodik seiner Stimme riss sie aus ihren Gedanken und sie fuhr zusammen. Er hatte den Blick nicht von dem Schiff genommen, das hinter ihnen immer größer wurde. Trotzdem fühlte sie sich nicht anders, als wenn er sie mit seinem unerträglich durchdringenden Blick bedachte. Es lag an dem leicht bedrohlichen Unterton und vielleicht auch daran, dass sie noch immer nicht vergessen konnte, wie er mit Gwyn umging.
Hastig wandte sie den Blick ab und biss sich auf die Lippe. Was sollte er denn denken, wenn sie jetzt nichts sagte und sie damit eingestand, dass sie ihn hauptsächlich anstarrte, weil er so undurchschaubar war? Sie wollte nicht zugeben, dass sie die seltsame Mischung aus Furcht und Bewunderung, die sie in Kefa überall vernommen hatte, selbst noch immer – vielleicht jetzt erst recht – verspürte. »Warum … beeilen wir uns nicht?«, fragte sie schließlich zögerlich, ohne ihn nochmal anzusehen. Irgendwo befürchtete sie, dass niemand mehr sicher war, wenn er Gwyn fortschickte. Andererseits wusste sie, dass er sie noch brauchte und solange sie ihren Zweck nicht erfüllt hatte und keine große Dummheit veranstaltete, musste sie wohl vorerst nicht befürchten, über Bord geworfen oder von einem der sagenumwobenen Messer aufgespießt zu werden. Trotzdem war die Furcht in ihrem Magen sehr real und sie fragte sich, ob er das wusste.
»Sie haben das schnellere Schiff.« Noch immer blickte er auf das Schiff und klang fast amüsiert, als fände nur er eine ganz besondere Komik in dieser Situation.
»Und was machen wir, sobald sie uns eingeholt haben?«, wagte sie zu fragen und schielte nun doch wieder in seine Richtung. Es war so unfair, dass er neben seiner Unnahbarkeit und scheinbaren Unfehlbarkeit auch noch gut aussehen musste. Auch wenn Leén inzwischen ahnte, dass er lediglich sehr gut darin war, seine Schwächen zu verbergen, machte seine seltsame Perfektion ihn noch etwas unheimlicher. Die annähernde Freundschaft zwischen ihnen schien mit dem Rauch über Om’falo wieder verpufft … der Rauch, der von zerstörten Häusern und zahllosen verbrannten Körpern aufgestiegen war, die Gwyns Feuer gefressen hatte. Auch das war beängstigend. Wann war die Welt nichts als beängstigend geworden?
Obwohl sie ihn noch immer nur sehr vorsichtig ansah, konnte sie das Schmunzeln beobachten, dass kurz über seine Mundwinkel zuckte. Ein gefährliches Zeichen. »Hareths Prinzen Hilfe anbieten«, antwortete er und Leén legte die Stirn in Falten. Das war eine seltsame Antwort. Lügen kamen selten von Machairis Lippen. Verbogene Formulierungen, die die falschen Schlüsse nahelegten, waren dagegen scheinbar vertretener, als sie gedacht hätte.
Die Prinzessin, die sich zuletzt im Hintergrund gehalten hatte, machte nun einen Schritt vor und sah zwischen Leén und Machairi durch auf ihre Verfolger. »Warum glaubst du, dass der Prinz persönlich auf dem Schiff ist? Er war doch nicht einmal in Om’falo.« Eine Spur von Abfälligkeit und vielleicht sogar Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit, obwohl sie sich eindeutig um einen neutralen Tonfall bemühte. Leén fiel außerdem auf, dass auch die Prinzessin sich nicht mehr um Höflichkeiten bemühte.
»Er wird seine Braut nicht tatenlos einer Handvoll Dieben überlassen.« Er sagte das mit solch einer Sicherheit, dass Leén vermutete, dass er schon wieder mehr wusste als alle anderen. Wieder konnte sie den Gedanken nachvollziehen und zur Abwechslung wäre er ihr vielleicht sogar selbst gekommen. Die zukünftige Braut zurückzubringen war mit Sicherheit eine Aufgabe von zu großer Wichtigkeit, um sie ganz in die Hände einiger Bediensteter zu übergeben.
Phela antwortete nicht weiter. Sie würde wirklich einen neuen Spitznamen für das Mädchen brauchen. Phela war in der Tat nicht viel besser als Koryphelia. Vielleicht Kory? Falsche Überlegungen, Leén. Die Prinzessin sah mit einem Mal etwas verloren aus, als Machairi endlich den Blick vom Schiff des Prinzen nahm und wortlos das Achterdeck verließ. Vielleicht würde er mit dem Kapitän reden, um ihn auf royale Besucher einzustellen, während die Prinzessin dem Mann entgegensah, dem sie schon entkommen zu sein geglaubt hatte.
Beinahe reglos standen die beiden Mädchen am Heck und sahen zu, wie die dreieckigen roten Segel hinter ihnen immer größer wurden. Leén kannte Geschichten über Hareths Prinzen, aber keine davon war eine wirklich zuverlässige Quelle. Obwohl man munkelte, dass er geradezu unziemlich viel Zeit mit dem einfachen Volk verbrachte, erschienen die meisten Erzählungen unrealistisch und aus der Luft gegriffen. Der Sultan selbst zeigte sich schon selten genug in der Öffentlichkeit, aber den Prinzen, der die Stellung im militärischen Zentrum Hareths hielt, bekam man eigentlich fast niemals auf Feierlichkeiten oder bei sonstigem Vergnügen zu Gesicht. Stattdessen kümmerte er sich ehrlich um die Belange der Bürger und widmete sich tatsächlich seiner Position an der Spitze des Militärs, die er durchaus als reinen Ehrentitel hätte handhaben können, wie es viele seiner Vorgänger getan hatten. Das einfache Volk hatte eine hohe Meinung vom zukünftigen Sultan und viele würden nicht nachvollziehen können, weshalb die Prinzessin von Cecilia lieber die Flucht mit einer Horde Dieben ergriffen hatte, als ihn zu heiraten. Leén dagegen konnte gut nachvollziehen, dass eine Heirat aus rein politischen Gründen nicht erstrebenswert klang, ganz besonders in eine fremde Kultur. Die Verwirrungen kultureller Unterschiede waren ihr selbst nur zu gut bekannt.
Leise schlug das Meer gegen den Rumpf ihres Schiffes und der Wind umspielte das Boot in leichten Brisen. Friedlich schien die Sonne auf sie hinab und nichts schien von der Bedrohung zeugen zu wollen, die inzwischen so nah war, dass man erste Menschen an Bord erkennen konnte. Es war so beängstigend ruhig; verräterisch und tückisch schien die Stille zu sein. Ein dunkles Donnergrollen wäre fast angenehmer gewesen. Hätten sie nicht Machairi an Bord gehabt, hätte sie geglaubt, dass sie nun endgültig verloren waren, dass man sie kielholen würde, bevor sie auch nur einen weiteren Sonnenuntergang erlebten. Leider galt es auch im Hinterkopf zu behalten, dass Machairis Vorstellung von einem wünschenswerten Ergebnis nicht unbedingt mit einem guten Ergebnis gleichzusetzen war. Sie erschauderte und trat ein paar Schritte zurück. War es nicht besser unter Deck zu gehen und die ganze Angelegenheit dort auszustehen? Wenn sie versenkt wurden, würde sie von dort nicht rechtzeitig entkommen, aber dann war ihr Leben vermutlich sowieso vorbei. Unschlüssig trat sie auf die Treppe zum Achterdeck zu, wurde aber von einem rothaarigen Mädchen rabiat zur Seite gestoßen, das stürmisch hinaufgestampft kam.
»Hör auf dich zu beschweren und freu dich mal! Endlich passiert hier mal was Interessantes!«, fauchte die Faust über die Schulter und sprang auf die Reling, um das Verfolgerschiff zu betrachten. Ihre Locken wehten leicht im Wind und gaben den Blick auf ein freudiges Grinsen frei. Sie hatte wohl zu Mico gesprochen und schien sich überhaupt keine Sorgen zu machen, über Bord zu fallen.
Der große Cecilian hatte die Arme vor der Brust verschränkt und stand auf dem Hauptdeck, altbekannte Abfälligkeit im Gesicht, die doch in den letzten Tagen immer wieder in den Hintergrund gerückt war. Langsamer stapfte er die Treppe hinauf. »Du kannst nicht einfach in meine Kajüte rennen!« Ärgerlich kam er auf dem Deck zum Stehen und sah grimmig dem Schiff entgegen.
»Es ist auch meine Kajüte, du Ochse.« Nun mehr amüsiert als patzig sprang die Faust zurück aufs Achterdeck. Der zweite Schatten Kefas an Bord des Schiffes hatte mit Mico den einzigen verfügbaren Kajütenpartner zugewiesen bekommen. Nachdem Gwyn in der Besenkammer schlief, die Prinzessin eine Kajüte für sich bekommen hatte, Leén sich eine Kajüte mit Vica teilte und Machairi wieder mal einen Raum ohne Bett – den Kartenraum – bezogen hatte, war ihnen auch nichts anderes übriggeblieben. Für mehr Kajüten hatte das Schiff keinen Platz. Die Crew war schon in die Lagerräume ausgewichen und es war kein Geheimnis, dass die Seeleute mehr als skeptisch waren, eine so dubiose Truppe an Bord zu haben.
»Deshalb kannst du trotzdem anklopfen!« Der Anblick des fremden Schiffes schien nicht dazu zu führen, dass sie aufhören wollten zu streiten.
»Du könntest abschließen.« Vollkommen unbeeindruckt baute sich Gina vor Mico auf und sah ihm gerade ins Gesicht, auch wenn sie dafür hochschauen musste. Sie war dafür bekannt, dass sie streitsüchtig war, und auch dafür, dass sie es liebend gern – und üblicherweise sehr erfolgreich – mit ausgewachsenen Männern aufnahm.
»Es war abgeschlossen.«
»Du bist ein magischer Schlossknacker, ich bin mir sicher, dass du das besser kannst.« Sie hob bei dem Wort magisch beide Hände direkt vor Micos Gesicht und bewegte die Finger einzeln auf und ab.
»Bei allen Göttern. Ich wollte mich umziehen, nicht den Eingang zu einer Schatzkammer verschließen.« Der Magier schlug die Hände der Faust zur Seite und kassierte dafür beinahe einen heftigen Schlag. Das Mädchen hielt nur gerade noch inne, als Machairi neben ihnen auftauchte und sie so eisig strafend ansah, dass selbst die Faust klein beigab.
Leén hatte nicht gehört, wie er die Treppe hinaufgekommen war, und die veränderte Stimmung hatte sie bei all der ohnehin herrschenden Anspannung nicht bewusst wahrgenommen. Immerhin legten die beiden Cecilian nun ihren lächerlichen Streit bei und machten einen Schritt voneinander fort. Sie harmonierten wahrlich nicht miteinander. Mico mit seiner Überheblichkeit und seinem Griesgram und die streitsüchtige, stolze Faust waren definitiv eine unkluge Mischung. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich gegenseitig die Köpfe einschlugen. Allerdings hatte sie das gleiche auch immer über Vica und Mico gedacht und bisher hatten sie die Reise überstanden, ohne sich gegenseitig nennenswerten Schaden zuzufügen. Der Einfluss des Schattens war mal wieder bemerkenswert, selbst auf die Faust, die sich schon aus Prinzip von nichts und niemandem etwas sagen ließ. Sie alle kamen nicht um das Gefühl, das Leén schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen gespürt hatte: Das unangenehme Verlangen, ihn auf keinen Fall zu verärgern und lieber den eigenen Stolz hintenanzustellen. Obwohl es eine sehr eindeutige Beobachtung war und es nahezu erniedrigend werden konnte, wenn man wie Gwyn lieber auf Knien um Vergebung bitten wollte, als sich einer weiteren Auseinandersetzung zu stellen, war es der Harethi bisher nicht gelungen, genau zu sagen, woher dieser Effekt rührte.