Kitabı oku: «Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht», sayfa 15

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b) Erlaubnisfreiheit wegen Niederlassungsfreiheit?

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Möglicherweise verstößt aber die Erlaubnispflicht nach § 34a Abs. 1 GewO gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV und muss wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zurücktreten (s.a. Fall 3).

Hinweis:

Weil mit der Genehmigungspflicht die tatbestandsmäßige Voraussetzung einer Untersagung in Frage steht, empfiehlt sich die Diskussion auch an dieser Stelle und nicht erst im Rahmen der Ermessensausübung.

aa) Unmittelbare Anwendung

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Die Grundsätze der Unionstreue und der einheitlichen Wirksamkeit des Unionsrechts (Art. 4 Abs. 3 EUV) gebieten seinen Anwendungsvorrang vor kollidierendem nationalen Recht[36]. Die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV ist eine unmittelbar anwendbare Norm, die von allen mitgliedstaatlichen Instanzen zu beachten ist. Indes scheidet ein unmittelbarer Durchgriff auf die Grundfreiheiten regelmäßig aus, wenn der Sachverhalt abschließend durch das unionale Sekundärrecht geregelt wird[37]. Die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit des Bewachungsgewerbes wird aber von der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen nicht abschließend geregelt, weshalb sie laut Bearbeitungshinweis auch nicht zu prüfen ist. Die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG nimmt in Art. 2 Abs. 2 lit. k das Bewachungsgewerbe von vornherein aus ihrem Anwendungsbereich aus.

Die Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit setzt einen grenzüberschreitenden Bezug voraus. Dieser liegt vor, wenn ein Selbstständiger aus einem anderen Mitgliedstaat in Deutschland eine (Zweig-)Niederlassung begründet oder begründen will. Auch diese Voraussetzung ist hier gegeben.

Exkurs:

Die Richtlinie 2005/36/EG bewirkt gerade keine Vollharmonisierung für den Zugang zu reglementierten Berufen, sondern stellt allein Anforderungen an die wechselseitige Anerkennung von im Herkunftsstaat erworbenen Befähigungsnachweisen[38]. Sollte der Richtlinie hingegen eine abschließende Regelung über die Zulässigkeit eines Genehmigungserfordernisses entnommen werden, so würde dies erst bei der Frage der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit zum Tragen kommen. Die sog. Sperrwirkung des Sekundärrechts ist im Übrigen nicht nur begrenzt durch den konkreten Regelungsinhalt der Richtlinie, sondern kann den Rechtsanwender auch nicht davon entbinden, die Sekundärrechtsnormen im Lichte des Primärrechts auszulegen[39].

bb) Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit

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Die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV schützt natürliche und juristische Personen. Nach Art. 54 Abs. 1 AEUV bemisst sich die Anerkennung juristischer Personen nach dem mitgliedstaatlichen Recht. Sie müssen, um Träger der Niederlassungsfreiheit zu sein, ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben. Dies trifft auf die MS Ltd. zu, die sowohl ihren satzungsmäßigen Sitz als auch ihre Hauptverwaltung in Irland hat. Als Erwerbszwecke verfolgendes Unternehmen iSv Art. 54 Abs. 2 AEUV ist für die MS Ltd. der persönliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet.

In sachlicher Hinsicht schützt die Niederlassungsfreiheit die Niederlassung einer natürlichen oder juristischen Person zum Zwecke der Aufnahme und Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit und die Gründung und Leitung von Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat. Die selbstständige Erwerbstätigkeit ist jede entgeltliche Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt. Derartige Tätigkeiten werden von der MS Ltd. erbracht. In Abgrenzung von der Dienstleistungsfreiheit müssen diese Tätigkeiten mittels einer Niederlassung erfolgen. Der primären Niederlassung als dem Wechsel der Ansässigkeit stellt Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften gleich (sog. sekundäre Niederlassung). Ihre rechtsförmliche Verselbstständigung ist nicht geboten[40]. Allerdings muss es sich um eine feste Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit handeln[41]. Die feste Einrichtung besteht hier in den angemieteten Geschäftsräumen, und nach einer wertenden Gesamtbetrachtung[42] ist davon auszugehen, dass die gewerbliche Tätigkeit mittels der Niederlassung dauerhaft ausgeübt wird.

Die Eröffnung des Schutzbereichs könnte nur noch dann versperrt sein, wenn die Bereichsausnahme nach Art. 51 AEUV greift. Auf selbstständige Tätigkeiten, die dauerhaft oder teilweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, finden Art. 49 ff AEUV keine Anwendung. Tätigkeiten Privater sind nur dann mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden, wenn sie die Möglichkeit verschaffen, gegenüber dem Bürger von Sonderrechten und Zwangsbefugnissen Gebrauch zu machen[43]. Diese Option besitzt das private Sicherheitsgewerbe gerade nicht, wenn nicht ausnahmsweise eine Beleihung vorliegt, wie § 34a Abs. 5 GewO – deklaratorisch – zum Ausdruck bringt[44]. Deshalb greift Art. 51 AEUV nicht.

cc) Eingriff in die Niederlassungsfreiheit

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Art. 49 Abs. 1 AEUV verbietet Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch die Mitgliedstaaten[45]. Verboten sind demgemäß nicht nur unmittelbar und mittelbar diskriminierende Regelungen, die an die Herkunft des Unternehmens anknüpfen[46]. Nach der sog. Dassonville-Formel ist Eingriff jede staatliche Maßnahme, die unmittelbar oder mittelbar, mit tatsächlicher oder potentieller Wirkung den Gebrauch der Grundfreiheiten beeinträchtigt[47]. Das Beschränkungsverbot fordert, dass sich auch mitgliedstaatliche Maßnahmen, die sich unterschiedslos gegen Inländer und Ausländer richten, als Eingriff in die Grundfreiheiten rechtfertigen müssen. Dies sind Maßnahmen, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindern oder weniger attraktiv machen[48]. Hierzu gehören vornehmlich Regelungen, welche die Freiheit der Standortwahl – also den ungehinderten Zuzug oder Wegzug – beeinträchtigen. Eine Norm wie § 34a GewO, welche die Niederlassung eines Gewerbetreibenden aus einem anderen Mitgliedstaat von der vorherigen Erteilung einer Erlaubnis abhängig macht, ist eine Beschränkung iSd Art. 49 AEUV[49].

Exkurs:

Der EuGH hat durch die sog. Keck-Formel den Eingriffstatbestand für die Warenverkehrsfreiheit reduziert. Danach fallen mitgliedstaatliche Regelungen über bestimmte Verkaufsmodalitäten, sofern sie alle Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen treffen und den Absatz der inländischen und ausländischen Erzeugnisse rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren, nicht unter das Verbot des Art. 34 AEUV[50] (Fall 2). Nicht vollends geklärt ist, ob und inwieweit sich diese Rechtsprechung auf die anderen Grundfreiheiten übertragen lässt. Für eine Übertragung der Keck-Formel spricht, dass sich in der Rechtsprechung des EuGH mittlerweile eine Konvergenz zu einer gemeinsamen Dogmatik der Grundfreiheiten feststellen lässt[51]. Ihr Zweck besteht darin, den überaus weiten Anwendungsbereich einzugrenzen, wenn nicht der Marktzugang, sondern nur Modalitäten im Markt betroffen sind[52], was wie bei der Warenverkehrsfreiheit ebenso bei den anderen Grundfreiheiten möglich erscheint[53]. Die neueste Rechtsprechung des EuGH enthält allerdings kaum noch Hinweise auf die Keck-Formel, was darauf zurückzuführen ist, dass sie sich selbst im Bereich der Warenverkehrsfreiheit als wenig praktikabel erwiesen hat. Zur Beschränkung der Weite der Dassonville-Formel wird sie zunehmend von dem Kriterium des Markzugangs und der Relevanzregel abgelöst[54]. Jedenfalls stellt ein Genehmigungserfordernis als konstitutives Hindernis für die Aufnahme einer Tätigkeit aber keine bloße „Aufenthaltsmodalität“ dar, sondern beschränkt den Marktzugang als solchen.

dd) Rechtfertigung der Beschränkung

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Die für die Niederlassungsfreiheit anwendbare ausdrückliche Schranke des Art. 52 AEUV umfasst bereits nach ihrem Wortlaut nur Regelungen, die nach der Staatsangehörigkeit bzw. dem Sitz differenzieren. Deshalb lassen sich unterschiedslos geltende Maßnahmen wie das Genehmigungserfordernis nach § 34a Abs. 1 GewO nicht nach dieser Vorschrift rechtfertigen[55]. Auch für die Niederlassungsfreiheit ist allerdings die ungeschriebene Schranke der „zwingenden Erfordernisse“ im Sinne der Cassis-Formel anerkannt[56], in deren Rahmen der EuGH den Mitgliedstaaten im Übrigen im Wege des a fortiori-Schlusses auch bei unterschiedslos geltenden Maßnahmen u.a. die Berufung auf die in Art. 52 AEUV genannten Belange gestattet[57].

Für die Rechtfertigung ist zwischen einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen und einem Genehmigungserfordernis als solchem zu unterscheiden. Hier wendet sich die MS Ltd. nicht gegen bestimmte Genehmigungsvoraussetzungen oder deren Anwendung auf sie, sondern die Erlaubnisbedürftigkeit als solche. Erlaubnisvorbehalte lassen sich als verhältnismäßige Schranke rechtfertigen, da sich ein Selbstständiger mit der (Zweig-)Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat integriert und insoweit keine Besserstellung gegenüber den Inländern beanspruchen kann[58]. Dies gilt auch für das Erlaubnisverfahren für das Sicherheitsgewerbe, das dem Schutz der Allgemeinheit vor unqualifizierten Gewerbetreibenden dient[59].

Nach alledem liegt in der Genehmigungsbedürftigkeit des Bewachungsgewerbes kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit.

Folglich ist auch der Tatbestand des § 15 Abs. 2 S. 1 GewO verwirklicht.

Exkurs:

Für normative Erlaubnisvoraussetzungen wird man dies durchaus differenziert sehen müssen. Für das Sicherheitsgewerbe kann sich insbesondere das Gebot, die Tätigkeit nur in Form einer juristischen Person auszuüben, als unverhältnismäßige Beschränkung darstellen, weil sie die Gründung von Zweigstellen in einem anderen Mitgliedstaat erschwert[60]. Auch das Gebot, sowohl ein bestimmtes Gesellschaftskapital zu besitzen als auch eine Sicherheit im Aufnahmestaat zu hinterlegen ohne die Möglichkeit einer Anrechnung, ist nach Ansicht des EuGH nicht durch zwingende Erfordernisse gedeckt[61]. Gewerbezulassungsschranken wie Qualifikationsanforderungen für die Ausübung bestimmter Berufe lassen sich aber durch den Schutz der Bevölkerung vor unqualifizierten Gewerbetreibenden rechtfertigen[62]. Die Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen hat aber insoweit auch für das Sicherheitsgewerbe Erleichterungen gebracht, als sie die Berücksichtigung des in einem anderen Mitgliedstaat erlangten Sachkundenachweises des Gewerbetreibenden[63] iSd § 34a Abs. 1 S. 3 Nr. 3 GewO oder eines Unterrichtungsnachweises für das Bewachungspersonal iSd § 34a Abs. 1a S. 1 Nr. 2 GewO gebietet[64]. Der deutsche Gesetzgeber hat die richtlinienrechtlichen Gebote nunmehr übergreifend in § 13c GewO geregelt.

c) Ermessen

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Die Untersagung der Gewerbefortsetzung steht nach § 15 Abs. 2 S. 1 GewO im Ermessen der Behörde. Für die Ermessensausübung sind die Kriterien des § 40 VwVfG maßgeblich. Hier kommt ein Fall des Ermessensfehlgebrauchs in Betracht, sofern die Stadtverwaltung die verfassungsrechtlichen Grenzen der Ermessenseinräumung verkannt hat[65]. Die Fortsetzungsuntersagung könnte sich im Hinblick auf die Gewerbefreiheit der MS Ltd. als unverhältnismäßig erweisen, wenn sie allein auf die formelle Illegalität des Bewachungsbetriebs gerichtet ist, der Betrieb sich aber als materiell genehmigungsfähig erweist[66]. Indes ist die formelle Gewerberechtswidrigkeit ausreichend für eine Untersagung nach § 15 Abs. 2 S. 1 GewO, wenn der Betriebsinhaber kategorisch eine Antragstellung ablehnt[67]. So stehen die Dinge nach den klaren Äußerungen der MS Ltd. hier. Auf die materielle Genehmigungsfähigkeit des Bewachungsbetriebs kommt es deshalb im Ergebnis nicht an. Da die Genehmigungspflicht als solche mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, gebietet auch das Unionsrecht kein Absehen vom Erlass der Verfügung.

4. Besonderes öffentliches Vollzugsinteresse

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Die Rechtmäßigkeit der Fortsetzungsuntersagung begründet allein noch nicht ein das Aussetzungsinteresse der MS Ltd. überwiegendes Vollzugsinteresse der S. Nach § 80 Abs. 1 VwGO stellt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage die vom Gesetzgeber vorgesehene Regel dar, der Sofortvollzug die Ausnahme. Im Fall von § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO beruht der ausnahmsweise Sofortvollzug im Unterschied zu § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 3 VwGO zudem nicht auf gesetzgeberischer, sondern nur auf behördlicher Anordnung. Daher ist er in besonderem Maße rechtfertigungsbedürftig. Dazu genügt nicht bereits die Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsaktes[68], weil ansonsten jeder rechtmäßige Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt und das gesetzliche Regel-Ausnahme-Verhältnis verkehrt werden könnte. Es muss daher zusätzlich ein besonders öffentliches Interesse bestehen, das über das Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes hinausgeht[69]. Das Erlaubnisverfahren dient dem Schutz der Allgemeinheit vor unqualifiziertem Sicherheitspersonal. Infolge der Weigerung der MS Ltd., eine Erlaubnis zu beantragen, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Fehlverhalten auch während des Hauptsacheverfahrens fortsetzen wird, so dass eine akute Gefahr für die Allgemeinheit gegeben ist. Diese erfordert eine sofortige Einstellung der Tätigkeiten und rechtfertigt damit nicht nur die Fortsetzungsuntersagung, sondern darüber hinaus die Anordnung des Sofortvollzugs[70].

5. Ergebnis

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Bei summarischer Prüfung der Rechtslage ist die Fortsetzungsuntersagung rechtmäßig und es besteht ein besonders öffentliches Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Damit überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse der S das Aussetzungsinteresse der MS Ltd.

C. Gesamtergebnis zum 1. Teil

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Ein Antrag der MS Ltd. auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wäre zwar zulässig, aber unbegründet.

2. Teil: Rechtmäßigkeit des an B gerichteten Bescheids
A. Ermächtigungsgrundlage

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Bei der Untersagung handelt es sich um einen (formellen) Verwaltungsakt iSv § 35 VwVfG, der wegen § 1 GewO bzw wegen Art. 12 Abs. 1 GG einer Rechtsgrundlage bedarf. Als Grundlage für den an B gerichteten Bescheid kommt einerseits § 35 Abs. 7a S. 1 GewO in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann „die Untersagung“ auch gegenüber der mit der Leitung des Betriebs beauftragten Person ausgesprochen werden. Damit ist die Untersagung nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO gemeint, also die Untersagung der selbstständigen Ausübung des Bewachungsgewerbes durch B[71]. Aus § 35 Abs. 7a S. 3 iVm § 35 Abs. 1 S. 2 letzte Alt. GewO folgt die Befugnis, B auch die selbstständige Ausübung anderer oder aller Gewerbe iSv § 35 GewO zu untersagen. Schließlich liefert § 35 Abs. 7a S. 3 iVm § 35 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GewO nicht nur die Möglichkeit, B die Betriebsleitung im bislang ausgeübten Bewachungsgewerbe zu untersagen, sondern die gewerbliche Leitungsposition generell zu unterbinden[72].

Hinweis:

Grundsätzlich handelt es sich um unterschiedliche materielle Verwaltungsakte, die aber von der Behörde regelmäßig in einem formellen Bescheid miteinander verbunden werden. Von den Bearbeiter/innen ist verlangt, die jeweilige Eingriffsgrundlage zu identifizieren, was Genauigkeit und ein wenig Knobelei erfordert.

Voraussetzung ist aber, dass § 35 Abs. 7a GewO anwendbar ist. Die Anwendbarkeit des § 35 Abs. 7a GewO könnte ausgeschlossen sein, wenn ein Fall des § 35 Abs. 8 GewO vorliegt. Nach § 35 Abs. 8 S. 1 GewO sind § 35 Abs. 1–7a GewO nicht anwendbar, soweit für einzelne Gewerbe besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften bestehen, die auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen, oder eine für das Gewerbe erteilte Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zurückgenommen oder widerrufen werden kann. Die zweite Variante scheidet aus. Zwar kann eine Erlaubnis für das Bewachungsgewerbe nach §§ 48, 49 VwVfG aufgehoben werden, wenn der Gewerbetreibende iSv § 34a Abs. 1 S. 3 Nr. 1 GewO unzuverlässig (geworden) ist; allerdings besitzt die MS Ltd. keine Erlaubnis, die aufgehoben werden könnte.

Fraglich ist, ob die Anwendbarkeit von § 35 GewO wegen der möglichen – und rechtmäßig erfolgten (siehe Teil I) – Fortsetzungsuntersagung nach § 15 Abs. 2 S. 1 GewO ausgeschlossen ist. Dies wäre dann zu bejahen, wenn § 15 Abs. 2 S. 1 GewO auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellte. § 15 Abs. 2 S. 1 GewO soll hingegen allein das Fehlen einer erforderlichen Erlaubnis sanktionieren. § 35 GewO kann deshalb neben § 15 Abs. 2 S. 1 GewO zur Anwendung kommen[73]. Da gegen die MS Ltd. nach § 35 Abs. 1 GewO eingeschritten werden kann, gilt dies auch für ein Vorgehen gegenüber dem Betriebsleiter. Deshalb deckt § 35 Abs. 7a GewO auch ihm gegenüber eine erweiterte Untersagung für noch nicht ausgeübte erlaubnispflichtige Tätigkeiten[74].

Hinweise:

Gegen das nach dem Wortlaut von § 35 Abs. 8 GewO recht eindeutige Ergebnis werden sich vermutlich einige Bearbeiter/innen intuitiv sperren, weil in verkürzender und unzutreffender Wahrnehmung § 35 GewO allein als Eingriffsgrundlage für das erlaubnisfreie Gewerbe identifiziert wird. Gleichwohl wird nur ganz vereinzelt eine Sperrwirkung des § 15 Abs. 2 S. 1 GewO für die Anwendung von § 35 Abs. 1 GewO vertreten[75]. Diese Auffassung verkennt Sinn und Zweck der jeweiligen Regelungen: Während § 15 Abs. 2 S. 1 GewO nur die Untersagung des konkreten Betriebs zB durch Sperrung und Versiegelung der Räume ermöglicht, ist § 35 Abs. 1 GewO personenbezogen grundsätzlich auf die Ausübung des jeweiligen Gewerbes gerichtet, dessen Ausübung im gesamten Geltungsbereich der GewO gesperrt ist[76]. Hinzu kommt, dass nur die Einleitung eines Untersagungsverfahrens gegen die MS Ltd. als Gewerbetreibender die Voraussetzung dafür schafft, auch gegen Stellvertreter bzw. mit der Leitung des Betriebs beauftragte Personen nach § 35 Abs. 7a GewO vorzugehen – dazu sogleich unter C.I (Rn 147).

B. Formelle Rechtmäßigkeit
I. Zuständigkeit

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Für eine auf § 35 Abs. 7a GewO gestützte Untersagung ergibt sich die sachliche Zuständigkeit der Stadtverwaltung von S aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZuVO RP Gewerberecht. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 35 Abs. 7 S. 1 GewO als Bezirk des Sitzes der Zweigniederlassung.

II. Verfahren

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B ist nach § 28 Abs. 1 VwVfG angehört worden. Allerdings soll bei einer Untersagung nach § 35 Abs. 1 GewO zusätzlich die IHK gemäß § 35 Abs. 4 GewO angehört werden. Wie aus § 35 Abs. 4 S. 3 GewO folgt, ist von einer Anhörungspflicht auszugehen, wenn – wie hier – für eine Gefahr im Verzuge keine Anhaltspunkte bestehen. § 35 Abs. 4 GewO kommt bei einer Untersagung gegenüber dem Betriebsleiter nach § 35 Abs. 7a S. 3 GewO ebenfalls zur Anwendung. Nach dem beredten Schweigen des Sachverhalts ist eine Anhörung offensichtlich unterblieben.

Ein Verstoß gegen das Beteiligungsgebot ist indessen nach § 45 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens heilbar. Die Stadtverwaltung könnte insbesondere im Widerspruchsverfahren die Anhörung der IHK nachholen.

Exkurs:

Geht es um die Nachholung der Anhörung des Verwaltungsaktadressaten selbst, so lässt es die Judikatur für die Heilung eines Anhörungsfehlers genügen, dass der Betroffene im Widerspruchsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme hat[77]. Nach richtiger Ansicht muss der Betroffene aber darauf hingewiesen werden, dass das Widerspruchsverfahren der Heilung des Mangels dient[78]. Umstritten ist, ob die Nachholung der Anhörung bei Ermessensentscheidungen der Widerspruchsbehörde anvertraut werden kann oder ob dies durch die Ausgangsbehörde geschehen muss[79].