Kitabı oku: «Kulllmann kann's nicht lassen», sayfa 2

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2. Kapitel

Dunkelgraue Wolken setzten dem neuen Tag ihren Stempel auf. Dazu stürmischer Wind und Regen – alles, worauf Anke verzichten könnte. Zuhause bleiben ging nicht, sie hatte einen Termin bei der Hebamme in der Praxis ihres Gynäkologen. Den Weg dorthin legte sie zu Fuß zurück, was unter diesen Bedingungen kein Vergnügen war.

Sie musste nicht lange warten, bis sie aufgerufen wurde. Susi war eine kleine, rundliche Frau mit einem heiteren Gesichtsausdruck, immer fröhlich und zum Lachen aufgelegt. Ihre dunklen Locken wippten bei jeder Bewegung. Allerdings wirkte die Hebamme an diesem Morgen übernächtigt. Dunkle Ringe hatten sich um ihre Augen gebildet und von ihrer sonst so unbeschwerten Heiterkeit war nicht viel zu merken.

»Was ist los, Susi?«

»Nichts!« Sie schüttelte ihren Kopf, dass die Locken munter hin und her flogen.

»Entschuldige, es geht mich nichts an«, lenkte Anke gleich ein.

Diese Reaktion erstaunte Susi. Eine Weile schaute sie Anke an und sagte dann: »Du merkst aber auch alles.«

»Was soll das heißen?«

»Dass bisher keine meiner Freundinnen so aufmerksam gewesen wäre, wie du gerade jetzt. Dabei kennen wir uns erst seit wenigen Sitzungen.«

»Das macht wohl mein Beruf aus.«

»Ich habe wirklich ein Problem, an dem ich mehr nage, als ich anfangs gedacht hätte.«

Anke horchte auf.

»Meine Freundinnen Rita, Annette und ich hatten Samstagnacht ganz toll gefeiert. Wir waren auf einer Party von Bekannten eingeladen; die Stimmung war toll und wir hatten reichlich getrunken. Weil ich den klarsten Kopf von uns dreien hatte, habe ich uns nach Hause gefahren, was wohl nicht gerade das Intelligenteste war, was wir tun konnten.«

»Stimmt! Aber deswegen bist du bestimmt nicht so bedrückt.«

»Nein! Jetzt bekomme ich Drohanrufe.«

»Oh«, stutzte Anke. »Was hat der Anrufer oder die Anruferin gesagt?«

»Es war ein Mann und er hat gesagt: Ich weiß, dass du es warst! Dafür wirst du bezahlen!«

»Was meinte er damit?«

»Das ist es ja gerade. Ich weiß es nicht. Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Bei den ersten Anrufen habe ich noch gelacht und einfach aufgelegt, aber der Anrufer hat sich immer wieder gemeldet, bis ich ihn ernst genommen habe. So oft, wie der angerufen hat, kam es mir nicht mehr wie ein dummer Schuljungenstreich vor.«

»Hast du heute schon von ihm gehört?«

»Nein! Vielleicht bin ich zu früh aus dem Haus gegangen.«

»Gab es Streit auf der Party?«

»Nein, nicht im Geringsten.« Susi schüttelte energisch den Kopf.

»Wo war die Party?«

»In Saarbrücken, im Nauwieser Viertel. Dort wohnen einige Bekannte von uns in einer Wohngemeinschaft, was sich für große Partys geradezu anbietet.«

Anke hatte zwar noch nie die Gelegenheit bekommen, auf solchen Partys mitzufeiern, stellte sich das aber ganz toll vor.

»In der Nacht seid ihr dann den ganzen Weg bis Riegelsberg nach Hause gefahren?«

Susi nickte schuldbewusst.

In diesem Augenblick kam der Gynäkologe herein, begrüßte die beiden Damen und überreichte Susi die Lokalzeitung. Verwundert schaute Susi ihren Chef an, doch kaum hatte sie einen Blick auf den größten Artikel geworfen, da wusste sie, warum er das tat. Anke entdeckte ebenfalls den Bericht und gemeinsam lasen sie ihn durch. Es ging um den Unfall, der sich auf der Neuhauser Straße zwischen Saarbrücken und Rußhütte ereignet hatte. Darin wurde sogar das Unfallopfer namentlich erwähnt. Allerdings ließ der Bericht mehr Fragen offen, als er beantwortete.

Anke fiel ein, dass Susi ebenfalls in Walpershofen wohnte. Wie hatte Claudia Fanroth den Ort beschrieben? Ein kleines Dorf! Dort kannte jeder jeden.

»Kennst du Sybille Lohmann?«

Susi antwortete: »Klar! Sie hatte mal als Schreibkraft im amtsärztlichen Dienst beim Gesundheitsamt Saarbrücken gearbeitet, genauso wie meine beiden Freundinnen Rita und Annette. Das ist aber schon eine Weile her.«

»Darum zeigt dir dein Chef diesen Artikel?«

Susi nickte.

»Das hört sich aber nicht so an, als würdest du Sybille nur als Arbeitskollegin deiner Freundinnen kennen. Wie gut kanntest du sie wirklich?«

Susi taxierte Anke eine Weile und fragte dann: »Warum fragst du mich das alles?«

»Ich überlege, welches Motiv der mysteriöse Anrufer haben könnte. Welchen Weg seid ihr nach Hause gefahren?«

»Das ist ja gerade das Unheimliche«, gestand Susi. »Wir sind über Rußhütte nach Riegelsberg gefahren. Den Weg haben wir genommen, weil wir hofften, dort auf keine Polizeikontrolle zu treffen. Aber von einem Unfall haben wir nichts gesehen.«

»Ganz sicher? Vielleicht kannst du deinem Gedächtnis ein wenig nachhelfen«, drängte Anke.

»Nein. Da war absolut nichts. Ein brennendes Auto im Graben, so etwas merkt man sich doch.«

»Da du gefahren bist, bist du die Einzige, die alles gesehen hat. Ist dir ein Fahrzeug auf deiner Spur entgegengekommen?«

Susi wollte gerade etwas antworten, als sie innehielt.

Doch dann schüttelte sie den Kopf: »Nein, ich bin einmal nur stark geblendet worden. So stark, dass es Rita und Annette auf dem Rücksitz ebenfalls aufgefallen war. Aber sonst nichts. Da hatte einer mit Sicherheit nur versehentlich das Fernlicht eingeschaltet.«

Enttäuscht ließ Anke sich in den Stuhl zurücksinken.

*

Als Anke im ersten Stock auf ihr Büro zueilte, kam ihr ein junger Mann mit dicker Hornbrillenfassung und starken Brillengläsern entgegen. Durch die dicken Gläser wirkten seine Augen vergrößert wie unter einer Lupe, so dass die Schielstellung noch mehr hervorgehoben wurde. Sein Gesicht war teigig und übersät mit Pickeln, sein dünnes, aschblondes Haar klebte in fettigen Strähnen an seinem Kopf. Seine Statur war unförmig und seine Kleidung altmodisch und ungepflegt. Er strömte unangenehmen Körpergeruch aus. Erstaunt schaute Anke ihm nach, wie er im Korridor verschwand. Plötzlich hörte sie Eriks Stimme ganz dicht an ihrem Ohr: »Das ist Emil Tauber. Er hatte den Unfall entdeckt und sofort die Polizei benachrichtigt. Er musste heute Morgen seine Aussage zu Protokoll geben.«

»Ist er verdächtig?«, fragte Anke.

»Das ist bei diesem Mann schwer zu beurteilen. Er benimmt sich merkwürdig, so als fiele es ihm schwer, über den Unfall zu sprechen. Dabei ist nicht erkennbar, ob er sich immer so verhält, weil er Komplexe und dazu noch eine feuchte Aussprache hat, oder ob mehr dahintersteckt. Deshalb werden wir ihn überprüfen.« Mit einem taxierenden Blick auf Anke fügte er an: »Wie war deine Sitzung?«

Sein Interesse an ihrem Kind rührte Anke. Ihre Sorge wegen der Schwangerschaft im Abseits zu landen, hatte sich nicht bewahrheitet.

Sie berichtete, was sie von ihrer Hebamme über die Heimfahrt Samstagnacht und über die Drohanrufe erfahren hatte.

Daraufhin blätterte der Kollege in seinen Berichten und las laut vor: »Das Unfallfahrzeug wird auf Spuren untersucht, die auf ein Fremdverschulden am Unfall hinweisen. Das wird allerdings schwierig, weil das Auto Feuer gefangen hatte.«

»Wann hat Emil Tauber den Unfall gemeldet?«, fragte Anke.

»Um halb eins.«

Anke nickte und spürte immer deutlicher, dass die Theorie, die sich schon in ihrem Kopf anbahnen wollte, nicht mehr standhalten konnte. Eigentlich war sie froh darüber, weil sie Susi vertraute.

»Was denkst du?«, hakte Erik nach.

»Ich hatte die fixe Idee, dass Susi mit ihren Freundinnen das Fahrzeug von Sybille Lohmann von der Straße abgedrängt hatte. Aber eine Party in den Ausmaßen, wie Susi mir berichtet hatte, ist um halb eins nicht zu Ende.«

»Das muss aber nicht bedeuten, dass die drei bis zum Schluss auf dem Fest waren. Frag doch einfach mal nach, um wie viel Uhr die drei losgefahren sind.«

Plötzlich wurde die Tür ohne anzuklopfen geöffnet und Claudia trat ein.

»Wir haben endlich den Sohn der Toten ausfindig gemacht. Er befindet sich im Verhörraum«, sprudelte sie los. »Erik, kommst du bitte mit. Wir beiden sollen das Verhör durchführen!«

»Warum Verhör?«, staunte der. »Ist der Sohn verdächtig?«

»Das kann man wohl sagen. Er wollte sich einer Befragung entziehen. Daraufhin haben wir ihn mitgenommen.« Claudia wirkte ungeduldig.

Erik folgte ihr. Anke blieb allein in ihrem Büro zurück.

Sie blätterte in den Akten, als ihr Telefon klingelte. Es war Susi, ihre Hebamme. Sie klang verzweifelt, als sie sagte: »Ich habe wieder einen Drohanruf bekommen.«

»Was hat er gesagt?«

»Er sagte, dass ich diesmal mit meinem Leben bezahle.« Sie begann zu schluchzen.

»Was bezahlen?«, hakte Anke nach.

»Genaueres hat er nicht gesagt. Ich habe große Angst. Was soll ich machen?«

»Ich muss meinen Chef fragen, ob wir eine Fangschaltung an dein Telefon anschließen dürfen.« Sie konnte Forseti in dieser Hinsicht allerdings schlecht einschätzen. »Wie viel Uhr war es denn, als du mit deinen beiden Freundinnen die Party verlassen hast?«

Susi überlegte eine Weile und gestand zögernd: »Das weiß ich nicht mehr so genau. Wenn ich besoffen bin, habe ich es nicht mehr so genau mit der Uhrzeit.«

»Ungefähr?«

»Ein Uhr würde ich sagen. Ich weiß, dass es relativ früh war. Da wir schon früh angefangen hatten, waren wir umso früher fertig.«

Das war alles andere als zufrieden stellend. Mit solchen vagen Angaben den Chef von einer Fangschaltung zu überzeugen, war sicherlich ein hartes Stück Arbeit. Zielstrebig ging sie zum Büro ihres Vorgesetzten, aber es war leer. Sie fand ihn auf der gegenüberliegenden Seite des Verhörzimmers, von wo aus man alles durch den Einwegspiegel beobachten konnte.

Erik und Claudia saßen einem jungen Mann gegenüber, der äußerst gepflegt und beherrscht wirkte. Anke war über diese Erscheinung überrascht. Sie hatte etwas ganz anderes erwartet. Der junge Mann machte nicht den Eindruck, als handelte er unüberlegt oder hitzköpfig. Mit vorbildlicher Haltung saß er da und wirkte äußerst ruhig, so als könnten die vielen Fragen, die auf ihn einstürmten, ihn nicht im Geringsten berühren. Das Einzige, was auffällig war, waren seine roten Augen. Er hatte geweint.

»Ist er verdächtig?«, fragte Anke.

»Er hat bis jetzt noch nichts ausgesagt, was von einem Verdacht ablenken könnte«, lautete Forsetis Antwort.

Anke wartete, bis Erik und Claudia eine Pause einlegten und das Verhörzimmer verließen. Erst dann trug sie vor, was sie auf dem Herzen hatte: »Ich bitte um eine Fangschaltung bei Susi Holzer. Sie wird mit Drohanrufen belästigt und hat Angst.«

Der Hauptkommissar schaute Anke ungläubig an, bis er endlich reagierte: »Sind wir hier, um verängstigte Mädchen in Sicherheit zu wiegen?«

»Nein, wir sind hier, um neben der Aufklärung von Tötungsdelikten auch potenzielle Tötungsdelikte zu verhindern«, reagierte sie schlagfertig.

Forseti zog seine rechte Augenbraue hoch, ein Zeichen seiner Überraschung, steckte seine rechte Hand in die Hosentasche und ging einige Male auf und ab, bis er endlich erwiderte: »Was rechtfertigt Ihre Behauptung eines potenziellen Tötungsdelikts?«

Sie schilderte ihm das Gespräch mit Susi Holzer und fügte ihre Vermutung hinzu, dass Susi an der Unfallstelle vorbeigekommen sein könnte, ohne sich dessen bewusst zu sein.

»Das Auto hat gebrannt«, stellte Forseti den Sachverhalt dar. »Wie kann Susi Holzer an der Unfallstelle vorbeigefahren sein, ohne sich dessen bewusst zu sein?«

Anke überlegte kurz, weil sie die Ironie seiner Frage nicht überhört hatte. Die Situation war brenzlig, weil Susi ihr anvertraut hatte, dass sie betrunken Auto gefahren war. Aber im Nachhinein konnte ihr das nicht mehr zum Nachteil gereichen, überlegte sie und antwortete wahrheitsgetreu.

Erik und Claudia traten hinzu. Claudia runzelte die Stirn und fragte: »Gehen wir jetzt jedem Hirngespinst nach?«

»Ich überlege auch, welchen Zusammenhang Sie da sehen wollen«, stimmte der Vorgesetzte Claudia indirekt zu.

Dabei schauten alle Anke so erwartungsvoll an, dass sie schon wieder zu schwitzen begann. Sie fühlte sich hilflos, weil der Faden, den sie in ihrem Geiste gesponnen hatte, in der Tat zweifelhaft war. Aber es war besser als nichts, oder das, was die lieben Kollegen, die sie gerade anstarrten, vorzubringen hatten. Also nahm sie sich zusammen und schoss zurück: »Sehen Sie ihn nicht?«

Forseti verzog ärgerlich das Gesicht, reagierte aber beherrscht: »Wir werden keinen groß angelegten Lauschangriff starten ohne stichhaltige Beweise. Zunächst warten wir das Ende unseres Verhörs mit Sven Koch ab, bevor ich die weiteren Schritte überdenke.«

Anke war enttäuscht, allerdings mehr über ihre eigene Unbeherrschtheit als über die Reaktion des Vorgesetzten.

Claudia bewegte sich langsam auf die Tür zum Verhörraum zu. Doch als sie bemerkte, dass Erik ihr nicht folgte, blieb sie stehen und schaute ihn erwartungsvoll an. Er verstand die Geste sofort und beeilte sich. Anke und Forseti blieben auf der anderen Seite des Raums, um das weitere Gespräch beobachten zu können. Der erste Eindruck, den Anke von dem jungen Mann bekommen hatte, blieb. Er wirkte überzeugend mit seinen Antworten, war nicht aus der Ruhe zu bringen und ließ keinen Zweifel daran, dass er darunter litt, seine Mutter verloren zu haben.

Claudia fragte in scharfem Tonfall: »Stimmt es, dass Sie sich am Samstagabend, kurz vor dem Tod Ihrer Mutter, noch heftig mit ihr gestritten haben?«

»Ja, das stimmt.«

Diese Antwort verblüffte nun alle.

»Über was haben Sie sich gestritten?«

»Meine Mutter wollte verreisen, ich war dagegen.«

»Wohin wollte Ihre Mutter verreisen?«

»Sie sagte es mir nicht.«

»Sagten Sie nicht, Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter sei immer gut gewesen?«, hakte nun Erik nach.

»Was hat das damit zu tun?«, hielt Sven Koch dagegen. »Sie hat die Lebensversicherung ihres verstorbenen Mannes ausgezahlt bekommen und wollte damit ein neues Leben anfangen. Ich war darüber nicht glücklich, weil ich auf keinen Fall wegziehen wollte. Das setzt aber nicht voraus, dass ich sie deshalb umbringe.«

»In dem Fall sind Sie allerdings der Alleinerbe, wenn ich das richtig verstehe?«, schaltete Erik sofort.

»Na, herzlichen Glückwunsch«, bemerkte Sven abfällig.

»Ganz genau! Je nachdem, wie hoch die Versicherungssumme ist, kann man Sie doch beglückwünschen«, trieb Erik den Spott weiter.

»Ach so, darauf läuft das hinaus«, schimpfte Sven Koch. »Ich hatte bis Samstagabend nicht gewusst, dass sie eine Summe der Lebensversicherung erwartete. Wie sollte ich in der Kürze der Zeit ein Verbrechen planen und ausführen?«

»Stimmt! Sie hatten nicht viel Zeit, da musste es eben schnell gehen.«

»Und welche Bedeutung hat in Ihrer Theorie der so genannte Alleinerbe?«, hakte Sven nach.

»Das wollen wir von Ihnen wissen. Warum diese Eile und Brutalität, wenn Sie am Ende doch alles erben?«, erklärte Erik in einem Tonfall, der Sven Koch zum Schweigen brachte. Jetzt erst merkte der junge Mann, in welcher Situation er sich befand.

»Ich verlange meinen Anwalt«, sagte er plötzlich.

»Das steht Ihnen zu.« Erik gab sich geschlagen.

Claudia wollte nicht so schnell aufgeben, jetzt wo sie ihn am Haken zappeln sah: »Warum wollen Sie einen Anwalt, wenn Sie angeblich nichts zu befürchten haben?«

Sven Koch schwieg.

Erik erhob sich und verließ den Raum. Verzweifelt schaute er Anke an, die nur mit den Schultern zucken konnte. Forseti hingegen wirkte enttäuscht und brachte das sogleich zum Ausdruck: »Mussten Sie den Verdächtigen so hart anfassen.«

»Ich schlage vor, dass wir uns in Walpershofen umhören, wie das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn wirklich war«, mischte Anke sich ein, um Erik aus der Patsche zu helfen.

»Wir werden nicht umhinkönnen nachzuprüfen, ob es diese Lebensversicherung wirklich gegeben hat«, richtete Forseti sich an Anke.

»Sollte das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn wirklich so gut sein, wie Sven Koch es beschreibt, hat er sie nicht aus Geldgier umgebracht«, beharrte Anke.

»Sie sind hier nicht als Profiler beschäftigt«, konterte Forseti böse. »Machen Sie also die Arbeit, von der Sie etwas verstehen!«

*

Claudia Fanroth verließ zusammen mit Sven Koch den Verhörraum. Als der junge Mann heraustrat und Anke sah, bemerkte er: »Schick«,wobei sein Blick gezielt auf ihren Bauch fiel.

Anke erschrak über diese Frechheit so heftig, dass sie nichts zu entgegnen wusste.

»Wird es ein Junge oder Mädchen?«, fragte der Mann doch tatsächlich weiter.

»Es ist wohl besser, Sie gehen jetzt.« Erik stellte sich zwischen ihn und Anke, damit er gar keine andere Wahl hatte, als zu verschwinden. Anke war erleichtert über die spontane Hilfe, denn sie hatte sich von diesem Schnösel überrannt gefühlt. Mit nur einem einzigen Wort war es ihm gelungen, sie aus der Fassung zu bringen.

Aber Forseti ließ ihr keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Sofort bestimmte er, dass Claudia Fanroth und Erik Tenes gemeinsam die Nachbarschaftsbefragungen durchführten. Anke durfte sich mit dem Heraussuchen der Versicherungsgesellschaft, bei der die angebliche Lebensversicherung abgeschlossen worden war, beschäftigen. Weiterhin beauftragte er sie, Akten über die Vergangenheit von Sybille Lohmann herauszusuchen, damit die Ermittler sich ein besseres Bild vom Opfer machen konnten.

Enttäuscht begab sie sich zuerst zu Fred Feuerstein, dem Aktenführer, und trug ihm ihre Bitte vor. Gemeinsam machten sie sich an die Arbeit. Fred Feuerstein, dessen richtiger Name Manfred Feuer lautete, war schon lange beim Landeskriminalamt beschäftigt und im Laufe der Jahre ein guter Freund von Norbert Kullmann geworden. Anke arbeitete gerade deshalb gern mit ihm zusammen, weil sie von ihm viele interessante Anekdoten aus seiner gemeinsamen Dienstzeit mit ihrem ehemaligen Chef zu hören bekam. Sie hatte leider nur wenige Jahre mit Kullmann zusammengearbeitet, aber diese kurze Zeit war entscheidend für sie geworden. Kullmann hatte ihr nicht nur in beruflichen Dingen weiterhelfen können, er war für sie viel mehr gewesen als ein Vorgesetzter. Während Fred Feuerstein lustig plauderte, wuchs in Anke der Entschluss, Kullmann sobald wie möglich zu besuchen. Er hatte ihr angeboten, immer für sie da zu sein, und nun wollte sie sein Angebot annehmen.

3. Kapitel

Erik musste den Umweg über die Lebacher Straße nach Walpershofen fahren. Die Neuhauser Straße über Rußhütte war für die Arbeit des Spurensicherungsteams immer noch gesperrt. Erik hatte Claudia während der Spezialausbildung als verdeckter Ermittler beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden kennengelernt. Damals war er noch verheiratet gewesen und Vater einer Tochter. Jedes Mal, wenn er Claudia ansah, sich an ihre gemeinsame Zeit erinnerte, spürte er diesen quälenden Verlustschmerz. Immer noch gab er sich allein die Schuld am Tod seiner Frau, weil er nicht wie versprochen zur Stelle gewesen war, um sie zum Arzt zu fahren. Stattdessen hatte er mit Kollegen so viel getrunken, dass ihm alles egal war, sogar seine Familie. Kathrin, seine Tochter, wäre inzwischen 14 Jahre alt, und sein zweites Kind, ein Junge, zwei. Die Gewissheit, einem Menschen, seinem Sohn, die Möglichkeit zu leben genommen – ihm niemals die geringste Chance gegeben zu haben - quälte ihn. Dabei hatte er sich auf das zweite Kind genauso gefreut wie zuvor auf das Erste. Würde es ihm jemals gelingen, mit dieser Schuld fertig zu werden?

Als er Claudia Fanroth kennengelernt hatte, befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Selbstherrlichkeit. Er war vom Glück verwöhnt: erfolgreich als Kriminalbeamter, die Frauen bewunderten ihn, seine Familie erfüllte ihn mit Stolz – all das war für ihn ganz selbstverständlich gewesen. Er hatte geglaubt, dass ihm alles in die Hände fiel, ohne viel dafür zu tun. Seinem Hochmut verdankte er es, dass er sich auf eine Affäre mit ihr eingelassen hatte. Heute bereute er, sich so gewissenlos verhalten zu haben. Er hatte seine Frau belogen, betrogen und im entscheidenden Moment im Stich gelassen.

»Was ist mit dir?«, fragte Claudia. »Ich habe dich lebenslustiger und draufgängerischer in Erinnerung.«

»Das war einmal«, entgegnete Erik knapp. Er hatte keine Lust, Claudia seine wahren Gefühle zu offenbaren. Ihre Beziehung war nur von kurzer Dauer gewesen und hatte sich ausschließlich auf die körperlichen Gelüste konzentriert. Warum also sollte er sich ihr anvertrauen. Im Grunde genommen kannte er sie gar nicht.

»Entschuldige, wenn ich dir zu nahegetreten bin.«

Erik schwieg daraufhin. Rasch fügte sie an: »Wir haben uns doch mal gut verstanden. Warum kann das heute nicht mehr so sein?«

»Ich habe doch gar nichts gesagt.«

»Eben. Ich möchte, dass du etwas zu mir sagst.«

»Der Zeitpunkt zum Reden ist denkbar schlecht. Wir müssen die Nachbarn des Opfers befragen, das geht nun mal vor«, entgegnete Erik schroff.

Sybille Lohmanns Haus stand weit von der Herchenbacher Straße zurückgesetzt, so dass es von Fremden leicht übersehen werden konnte. Eine lange Einfahrt führte darauf zu, die mit Bäumen und Sträuchern gesäumt war. Laub verteilte sich über dem Zufahrtsweg, was dem Haus eine Atmosphäre von Trostlosigkeit und Vernachlässigung verlieh. Der Wind wirbelte einige Blätter auf und wehte neue aus den Bäumen hinzu. Sie klingelten am Haus rechts daneben. Eine ältere Dame öffnete die Tür. Sie stellten ihre Frage nach dem Verhältnis zwischen Mutter Sybille und Sohn Sven, woraufhin die Alte sofort losplapperte: »Also diese beiden waren schon seltsam. Der Junge hatte niemals gleichaltrige Freunde oder Freundinnen. Die meiste Zeit hat er bei seiner Mutter verbracht.«

»Was ist daran so seltsam?«, fragte Erik.

»Sven hatte keine Freundin, zumindest keine, von der ich weiß. Aber wenn Sybille Besuch von drei jungen Damen bekam, dann benahm er sich immer, als sei er der Hahn im Korb. Dabei waren die Besucherinnen zu Sybille gekommen und nicht zu ihm. Das gab häufig Streit.«

»Wer waren die drei Frauen?« Claudia zückte sogleich ihren Notizzettel.

»Die eine habe ich sofort erkannt, das war Susi Holzer, die Hebamme aus unserem Dorf. Susi hatte sich nebenbei als Babysitterin ein bisschen Geld verdient. Sie liebt Kinder über alles.«

»Ist Susi Holzer in ihrer Funktion als Hebamme oder Babysitterin zu Sybille Lohmann gekommen?«

»Da war plötzlich ein Baby, keiner wusste Genaueres darüber«, grübelte die Alte. »Etwas ist dort passiert. Ich weiß leider nicht mehr genau was. Was ich aber beobachten konnte ist, dass Susi und Sybille heftigen Streit bekommen hatten. In letzter Zeit habe ich Susi nicht mehr gesehen. Nur noch die beiden anderen, Annette Fellinger und Rita Rech. Sie besuchten Sybille gelegentlich, aber diese Besuche wurden auch immer seltener.«

»Wie lange ist das nun her?«, fragte Erik hocherfreut über die Wendung seiner Ermittlungen.

»Das war im Frühling.« Die Alte war sich ganz sicher.

Erik und Claudia bedankten sich und begaben sich zum Haus auf der anderen Seite. Auf dem Weg dorthin meinte Claudia verächtlich: »Weißt du jetzt, was ich meine, wenn ich sage, dass ich es in einem Dorf wie diesem nicht mehr aushalte?«

Erik nickte und fragte zurück. »Wie alt warst du, als du hier weggegangen bist?«

»Ich hatte gerade das Abitur gemacht und mich sofort in Wiesbaden an der Fachhochschule für Verwaltung angemeldet. Damals war ich zwanzig.«

»Hätte es nicht gereicht, von Walpershofen nach Saarbrücken zu ziehen? Musste es gleich ein anderes Bundesland sein?«

»Ich hatte meine Gründe.«

Erik spürte, dass nun er es war, der zu weit gegangen war. Sofort entschuldigte er sich und steuerte das Haus der Nachbarn zur anderen Seite an. Eine junge, dunkelhaarige Frau öffnete ihnen. Sie trug hautenge Leggins, die ihre schlanken Beine betonte, dazu ein Top, das kurz über dem Bauchnabel endete und Piercing-Schmuck freilegte. Nachdem Erik den Grund seines Besuches erklärt hatte, ließ die Frau unverhohlen ihren Blick an ihm herunter- und wieder heraufwandern, bevor sie die beiden bat einzutreten. Dabei machte es den Eindruck, dass sie Claudia am liebsten vor der Tür zurückgelassen hätte. Erik spürte die Blicke, erwiderte sie ebenso eindeutig und fragte: »Können Sie uns etwas über das Verhältnis zwischen Sybille Lohmann und ihrem Sohn Sven Koch sagen?«

»Oh ja«, meinte sie, bat die Polizeibeamten an einem großen Tisch in einem lichtdurchfluteten Raum Platz zu nehmen. Sie berichtete, während sie mit gekonntem Hüftschwung auf und ab ging: »Sven ist ein kleiner Schwerenöter. Zwar ist er gerade mal süße fünfundzwanzig Jahre alt, was ihn aber nicht daran hindert, mit Frauen wie mir zu flirten.«

Claudia verdrehte die Augen, weil sie ahnte, worauf das Gespräch hinauslaufen sollte.

»Was natürlich nicht heißen soll, dass ich zu alt für ihn bin«, säuselte sie weiter. Mit einem geschickten Satz schwang sie sich neben Erik, der diese hübsche junge Frau keine Sekunde aus den Augen ließ. »Ich stehe auf reifere Männer mit Erfahrung.«

»Gab es Streit zwischen Sven und seiner Mutter?«, fragte Erik gepresst.

»Nein! Sven liebte seine Mutter, was bei uns im Dorf natürlich immer auf Belustigung stieß.« Die junge Frau lächelte. Sie wandte ihren Blick von Erik ab und fixierte Claudia eine Weile, bis sie fragte: »Kann es sein, dass wir uns kennen?«

»Wir stellen hier die Fragen.«, blockte diese unfreundlich ab.

»Ihre Kollegin geht zum Lachen wohl auf die Toilette«, richtete sich die hübsche Frau an Erik, der über diesen Vergleich lächeln musste.

Das war zu viel für Claudia. Hastig sprang sie auf und rief: »Ich denke, es reicht.«

»Ich möchte noch wissen, ob Sie etwas über einen Streit zwischen Susi Holzer und Sybille Lohmann wissen«, drängte Erik.

»Ich weiß nur, dass Susi ein echter Kindernarr ist, die ihr Leben mit Babysitten oder als Hebamme verbringt, es aber bis heute nicht zu einem eigenen Kind gebracht hat.«

»Das ist aber kein Grund zum Streiten«, zweifelte Erik.

»Nein, das nicht. Zu einem Kind braucht man aber einen Mann. Haben Sie Kurt Lohmann, Sybilles verschiedenen Gatten gekannt?«, hakte die junge Frau nach.

Erik schüttelte den Kopf, schaute Claudia an, ob sie den Mann kannte. Aber die stand schon an der Haustür.

»Kurt sah verdammt gut aus und konnte keiner Frau widerstehen«, erklärte sie.

»Ihnen auch nicht?« Diese Frage konnte Erik sich nicht verkneifen, weil er spürte, wie ihm die Fantasie Streiche spielte.

»Erik, wo soll dieses Gespräch hinführen. Wir müssen noch arbeiten, falls du es vergessen hast«, unterbrach Claudia das Knistern zwischen den beiden.

»Hatte Susi Holzer ein Verhältnis mit Kurt Lohmann und Sybille hat davon erfahren?«, beeilte Erik sich, endlich etwas Brauchbares von der Zeugin zu erfahren.

»Finden Sie es heraus«, flötete sie ihm stattdessen ins Ohr.

Hastig eilte Erik hinter Claudia her und war in dem Moment tatsächlich froh, seine Kollegin dabei zu haben.

»Kennst du diese Frau?«, fragte er auf der Straße.

Der Wind blies kalt, die Wolken hingen bleischwer am Himmel und kündigten den nächsten Regenschauer an. Erik strich seine vom Wind zerzausten Haare aus dem Gesicht.

»Nein! Zumindest kann ich mich nicht an sie erinnern. Immerhin liegt es jetzt fünfzehn Jahre zurück, seit ich von dort weggegangen bin. Wer weiß, vielleicht war sie damals noch gar nicht auf der Welt.«

»Jetzt übertreibst du aber.«

»Wenn du etwas mit ihr angefangen hättest, hätte ich dich auf alle Fälle wegen Verführung Minderjähriger angezeigt.«

»Sonst hast du wohl keine Probleme.« Erik wurde ungehalten. »Ich frage dich das, weil sie sich an dich erinnert hat. Es hätte ja sein können …«

Am nächsten Haus öffnete ihnen ein alter, knochiger Mann mit einem unfreundlichen Gesichtsausdruck und einer knurrigen Stimme, die herauspresste: »Was wollen Sie?«

Erik erklärte den Grund seines Besuches, worauf der alte Herr murrte: »Dieses Weib hat bisher nur Scherereien gebracht. Es ist ein Wunder, dass es sie nicht schon viel früher erwischt hat.«

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Claudia.

»Sybille hat es mit der Treue nie so genau genommen. Wer weiß, vielleicht hat einer ihrer vielen Liebhaber sich an ihr gerächt. Heute den, morgen den. Was ist das für ein Leben? Sie weiß noch nicht einmal, von wem ihr Sohn ist. Da soll der Bursche mal besser werden als seine Mutter.«

»Was macht Sven? Hat er auch ständig neue Liebschaften?«, fragte Erik.

»Er läuft hinter Frauen her, die so alt sind, dass sie seine Mutter sein könnten. Das ist doch nicht normal«, schimpfte der Alte.

»Warum ärgert Sie das?« Die Übellaunigkeit des Alten übertrug sich auf Erik. »Sie wird er wohl kaum belästig haben.«

»Mich nicht, aber dafür meine Enkelin. Dabei hat sie kein Interesse an ihm, weil sie nicht auf Grünschnäbel steht. Sie ist ein ordentliches Mädchen und wird sich ihr Leben nicht mit einem Hallodri wie Sven verderben lassen.«

»Wer ist ihre Enkelin?«

»Meine Enkelin heißt Annette Fellinger.«

Diese Antwort ließ Erik und Claudia aufhorchen. War der Name nicht gerade erst vor wenigen Minuten gefallen?

»Wie gut kennen sich Ihre Enkelin und Sybille Lohmann?«

»Soweit ich weiß, haben sie mal zusammengearbeitet. Dabei hat Sybille bestimmt erkannt, dass Annette beliebt war. Sie hatte sich diese Eigenschaft zunutze gemacht, indem sie sich Annette einfach anschloss, um von ihrer Beliebtheit zu profitieren. War ihr bestens gelungen. Sybilles Leben war so schillernd, dass ich bei der Erwähnung ihres Namens an Josefine Mutzenbacher denken muss.«

»Das sind harte Worte«, tadelte Erik.

»Sehen Sie es, wie Sie wollen.«

Mit einem heftigen Knall warf er die schwere Holztür zu.

»Ich glaube, heute ist nicht unser Tag«, stellte Erik frustriert fest.

Eiskalter Regen tropfte herunter. Missmutig schaute Erik zum Himmel, was seine Stimmung nicht besserte. Die Wolken wurden immer dunkler, der Wind immer heftiger und der Regen immer stärker.

Im Laufschritt eilten sie zum nächsten Haus.

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