Kitabı oku: «Kullmann stolpert über eine Leiche», sayfa 2

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Trixi war erleichtert. Damit bewies er ihr einerseits, dass er ihre Situation trotz der fehlenden Spuren ernst nahm. Andererseits legte er es nicht darauf an, so schnell wie möglich zu verschwinden. Hoffnung keimte in ihr auf.

Sie sagte ihm, wo der Computer stand. Während er vor ihr herging, ließ sie ihren Blick über seine Statur wandern. Seine enganliegende Uniform betonte seine breiten Schultern und seine sportliche Figur. Er hielt sich gerade, seine Bewegungen waren zackig, fast militärisch.

Wie konnte sie ihn dazu bringen zu bleiben?

Sie fuhr den Rechner hoch und checkte den Posteingang durch. Nichts.

»Ein seltsamer Verehrer«, meinte Hollmann. »Solange er nichts hinterlässt, womit sich seine Aktivitäten nachweisen lassen, können wir nichts tun. Ein eigener Straftatbestand zum Schutz gegen Stalking besteht in Deutschland noch nicht. Zwar erfüllen viele Handlungen von Stalkern Kriterien wie Hausfriedensbruch, Körperverletzung oder sexuelle Nötigung, ein eigenständiger Tatbestand ist hingegen nicht Gegenstand des deutschen Strafrechts.«

»Was heißt das?«

»Es wird uns nicht gelingen, die Staatsanwaltschaft von strafbaren Handlungen zu überzeugen, wenn wir keine Fakten liefern.«

»Also sind Sie hier fertig?«

»Ich werde Ihre Anzeige auf jeden Fall weiterleiten.«

»Wie wär’s mit Personenschutz?«

»Wie bitte?«

Erstaunt drehte Hollmann sich zu ihr um.

»Sie beschützen mich, bis der Stalker gefasst ist.«

»Ideen haben Sie! Vermutlich sind Sie übernächtigt. Da ist es nicht auszuschließen, dass die Fantasie mit Ihnen durchgeht. Schlafen Sie sich mal aus, dann sieht die Welt wieder anders aus.«

Vorbei die Vorstellung von einem aufregenden Stelldichein mit ihrem Beschützer.

Wortlos ließ sie ihn gehen.

Als sie wieder allein war, ließ sich Trixi resigniert aufs Sofa fallen. Die Stille wirkte beunruhigend auf sie. Was war nur aus ihrem Leben geworden? Als ihre Eltern noch lebten, war sie von dem Wunsch getrieben, alles zu tun, wonach ihr der Sinn stand. Nun hatte sie die idealen Voraussetzungen, jetzt liefen ihr die Männer davon oder spielten Poltergeist mit ihr. Zuerst Bruno Dold und jetzt Roland Berkes. Lastete ein Fluch auf ihr? Über diesen entmutigenden Gedanken schlief sie nach einer Weile ein. Sie wälzte sich hin und her, Träume vermischten sich mit schrecklichen Fantasien.

Plötzlich schreckte sie durch Klappern und Quietschen auf. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Der Lärm kam nicht von der Tür, sondern vom Wohnzimmerfenster. Sie löschte die kleine Stehlampe, die neben dem Sofa stand und schaute zum Fenster. Tatsächlich sah sie dort die Silhouette eines Mannes. Wie konnte das sein?

Sie ließ den Fensterschutz mit Schwung heruntersausen. Diese Prozedur wiederholte sie an jedem anderen Fenster. Hatte sie schlecht geträumt? Wie sollte ein Mann bis zu dieser Höhe gelangen. Das musste ein Hirngespinst gewesen sein.

Müde legte sie sich ins Bett, lag aber den Rest der Nacht wach.

*

Täglich freute sich Trixi mehr auf die Mittagspausen. In der angrenzenden Kammer konnte sie bei einer Tasse Kaffee mit ihrer Freundin Käthe plaudern und die Welt um sich herum vergessen. Sie genoss es, mit Käthe zu lachen und Pläne zu schmieden, von denen beide wussten, dass sie sie niemals umsetzen würden. In dieser Zeit herrschte angenehme Stille im Salon, die sie sich nicht gerne nehmen ließen.

Und ausgerechnet zur Mittagszeit klopfte an diesem Tag ein Kunde an die Tür. Trixi erhob sich nur unter Protest und schwor sich, es demjenigen zu sagen. Doch der junge Mann, den sie zu sehen bekam kaum, dass sie die Tür geöffnet hatte, ließ sie ihren Ärger vergessen.

»Was darf es sein?«, fragte sie honigsüß.

Er lachte mit perfekten, weißen Zähnen und antwortete: »Meine Haare sind zu lang. Können Sie etwas dagegen tun.«

»Klar«, antwortete Trixi. Sie bot ihm einen Stuhl an und begann mit flinken Händen zu schneiden. Der junge Mann ließ sie dabei nicht aus den Augen.

»Haben Sie kein Vertrauen?«, fragte Trixi deshalb neckend.

»Oh doch«, versicherte er. »Ich schaue Sie einfach nur gern an.«

Diese Antwort brachte sie ein wenig aus dem Konzept, aber sie riss sich zusammen.

»Das ging aber schnell«, bemerkte er hinterher.

Leider, dachte Trixi und machte die Rechnung fertig.

»Ich werde mir Ihren Salon merken.«

»Wie soll ich das verstehen? Positiv oder negativ?«

»Positiv natürlich.«

»Dann möchte ich gern Ihren Namen notieren«, reagierte Trixi prompt. »Ich lege eine Kundenkarteikarte für Sie an.«

»Ob das eine gute Idee ist? Mein Name klingt nicht gut.«

»Meiner auch nicht. Ich heiße Trixi, hört sich albern an.«

»Nein, das klingt schön. Ich heiße Fritz.«

»Ist doch ein interessanter Name. Da kann sich alles Mögliche dahinter verbergen.«

»Sie haben viel Fantasie, wenn Ihnen dazu etwas einfällt.«

»Wie heißen Sie noch?«

»Lörsch«, gab er an und ging grüßend davon.

Käthe kam aus dem Kämmerchen und lachte: »Mann oh Mann, du kennst wirklich alle Tricks. Welche Kundenkartei soll das denn sein?«

*

Der Tag verflog. Die Menschen unterbrachen ihre Einkäufe im Salon, wärmten sich unter den Trockenhauben auf, bevor sie sich wieder hinaus in die Kälte und die Hektik begaben. Trixi sah in diesen Tagen zum ersten Mal einen Vorteil darin, an Weihnachten allein zu sein. Sie musste sich nicht in das Gewühl der Einkaufshäuser stürzen, denn sie hatte niemanden zu beschenken.

Nach Feierabend sperrte sie den Salon ab und merkte erst jetzt, dass Roland Berkes an diesem Tag nicht gekommen war. Aber leider sollte ihre gute Laune ein schnelles Ende finden. Neben ihrer Haustür hing ein großer Nikolaus, eine Dekoration, wie sie sie an vielen Häusern in der Stadt gesehen hatte. Normalerweise gefiel ihr dieses weihnachtliche Beiwerk. Allerdings nicht, wenn es ohne ihre Zustimmung angebracht wurde. Es gab keinen Zweifel, wem sie das zu verdanken hatte.

Es war ein schöner Nikolaus, der von einer Lichterkette angeleuchtet wurde. Eine Weile überlegte Trixi, was sie tun sollte. Die Figur machte sich gut an ihrem Haus, was ihre Wut über die Unverfrorenheit dämpfte. Gegen jede Vernunft beschloss sie, alles so zu lassen wie es war, und ging hinein. Als das Telefon klingelte, hob sie nicht ab. Sie ahnte, was Roland Berkes wissen wollte. Da sie nicht die geringste Lust verspürte, ihm das Gefühl zu geben, er hätte ihr einen Gefallen getan, ließ sie es einfach klingeln.

So begann der nächste Arbeitstag mit Roland Berkes als erstem Besucher.

»Ich habe mehrmals versucht, dich anzurufen. Ich dachte schon, es sei etwas passiert.«

»Was soll schon passieren?« Trixi versuchte, ihn mit Unfreundlichkeit abzuwimmeln, was ihr jedoch nicht gelingen wollte.

»Wie gefällt dir der Weihnachtsschmuck an deiner Tür?«, fragte er mit einem strahlenden Lachen, als sei er der Weihnachtsmann höchstpersönlich.

Trixi überlegte sich die Antwort gut. Ein Lob könnte ihn ermuntern weiterzumachen – das Allerletzte, was sie wollte. Deshalb war ihr Ton schärfer als beabsichtigt. »Hast du nichts Besseres zu tun, als fremde Häuser zu schmücken?«

Wie ein begossener Pudel stand Roland vor Trixi, schaute sie eine Weile an, bis er sich umdrehte und wortlos verschwand.

So betroffen hatte sie ihn noch nicht gesehen. Wie ein begossener Pudel wirkte er plötzlich auf sie. Aber Zeit, darüber nachzudenken, blieb ihr nicht, denn die Arbeit wartete. Fast alle Stühle im Salon waren besetzt.

Bei ihrer Rückkehr am Abend war der Nikolaus verschwunden. Ihre Reaktion war wohl doch zu heftig ausgefallen. Obwohl Trixi Rolands Liebeswerben nicht nur verabscheute, sondern sogar fürchtete, war sie enttäuscht. Obwohl … welche Gedanken hegte sie da? Die Dekoration war eine Grenzverletzung von einem Mann, den sie nicht mochte und der das nicht einsehen wollte. Also musste sie sich selbst am Riemen reißen und diese Tatsache als Triumpf betrachten.

Vielleicht hatte sie endlich erreicht, was sie wollte: Roland Berkes gab auf.

Doch leider war der Wunsch der Vater des Gedankens. Nur wenige Tage später ging der Spuk weiter. Trixi kam von der Arbeit nach Hause, müde, erschöpft, keine Spur von Weihnachtsstimmung. Kaum hatte sie das Haus betreten, spürte sie, dass dort etwas anders war. Gänsehaut kroch in ihr hoch, sie bekam Angst. Leise schlich sie durch den schmalen Flur bis zur Wohnzimmertür. Alles war still. Erst als sie im Zimmer stand, erkannte sie, was anders war: Tannenduft stieg ihr in die Nase. Neugierig geworden schaltete sie das Licht ein. Anstelle der Deckenlampe leuchtete im Erker ein Tannenbaum in den schönsten Farben auf. Gleichzeitig ertönte das Lied: Ich find dich scheiße von Tic Tac Toe.

Trixi wich erschrocken zurück.

Bestürzt beäugte sie die vielen, kleinen Figuren, in den Zweigen. Nichts daran war anstößig, nichts, was nicht an einen Weihnachtsbaum gehörte. Auch kein Hinweis, kein Brief, keine Botschaft.

Sie nahm die CD aus der Musikanlage und warf sie weg. Dabei fiel ihr nur eine Erklärung ein: Roland Berkes war ein Psychopath – eine gespaltene Persönlichkeit. Die eine Hälfte wusste nicht, was die andere tat. Während seine gute Seite den Baum schmückte, legte die schlechte Seite dieses scheußliche Lied auf.

Eine Weile betrachtete sie den Tannenbaum, der mit einer Präzision geschmückt worden war, die große Geduld erforderte. Ihm war nichts zu viel gewesen.

Was tun?

Wenn sie alles so ließ, kam auch das einem Einverständnis gleich. Das Gespräch mit dem Polizisten fiel ihr wieder ein. Das war so ergebnislos verlaufen, als gäbe es keinen Grund, ihre Situation als gefährlich einzustufen. Und wenn sie ehrlich zu selbst war, riskierte sie ihre Glaubwürdigkeit endgültig, wenn sie den Baum einfach stehen ließ? Aber sollte sie jetzt, nach einem arbeitsreichen Tag einen großen, mit bunten Kugeln, elektrischen Lichtern und glitzernden Sternen überhäuften Baum entsorgen? Und wo und wie? Dazu hatte sie nicht die geringste Lust. Weihnachten war nicht mehr weit. Auch wenn die Herkunft des Baumes zweifelhaft war; seine Wirkung verfehlte er nicht.

sollte er stehen bleiben.

In der Nacht regnete es. Die Temperaturen sanken bis unter null Grad, der Regen fror zu Glatteis. An Schlafen war nicht zu denken. Die Selbstzweifel, dass sie gerade einen entscheidenden Fehler machte, hielten Trixi wach. Sie fühlte sich mit dieser Situation überfordert. War es das Alleinsein, das ihre Motivation lähmte? Oder waren es die Gesten, die Roland Berkes zeigte, die sie verwirrten. Unter Belästigung verstand sie unangenehme Dinge. Doch der Tannenbaum stellte diese Theorie total auf den Kopf.

*

Mit dem Fahrrad konnte Trixi an diesem Morgen nicht zur Arbeit fahren. Es war spiegelglatt. Also machte sie sich zu Fuß auf den Weg. Die sonst stark befahrene Kaiserstraße war fast leer. Nur ein Auto näherte sich und hielt direkt neben ihr. Verunsichert schaute sie sich um. Es war der Lieferwagen von Roland Berkes.

Sie stöhnte innerlich.

»Steig ein. Ich fahre dich zur Arbeit.« Er öffnete die Beifahrertür, als erwartete er keinen Widerspruch von Trixi.

Trixi schüttelte den Kopf und schlitterte weiter.

»Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich dich vom Eis kratzen muss.«

Stur rutschte sie weiter.

Roland folgte ihr im Schritttempo.

Trotz aller Vorsicht rutschte sie aus und landete unsanft auf dem Boden. Roland hielt an, stieg aus und half ihr aufzustehen.

»Wirst du jetzt einsteigen? Oder willst du dir alle Knochen brechen?«

Gegen ihren Willen musste Trixi einsehen, dass er recht hatte.

Während der Fahrt sprachen beide kein Wort. Einerseits verwunderlich, andererseits gut so. Am Salon angekommen, stieg Trixi aus und warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Heute habe ich keine Lieferung für euch. Leider muss ich sofort weiter.«

Sie konnte sein Verhalten nicht einordnen. Bisher hatte er jedes Mal nachgefragt, wie seine Einfälle bei ihr angekommen waren. Nur dieses Mal nicht. Wäre es nicht sinnlos, sich diese Arbeit zu machen, ohne eine Reaktion darauf zu erwarten?

2. Kapitel

Feierabend! Trixi wusste gerade nicht, ob sie sich freuen sollte. Zumindest die Straßen waren nicht mehr glatt. Saukalt war es aber immer noch. Trixi beschloss, aus der Not eine Tugend zu machen. Sie stellte sich auf dem Heimweg vor, wie sie sich einen lauschigen Abend vor dem geschmückten Tannenbaum machte. Über seine zweifelhafte Herkunft wollte sie einfach nicht nachdenken. Einfach nur ungestört die weihnachtliche Atmosphäre genießen. Die Vorstellung klang verlockend.

Sie betrat das Haus, schaltete sie die Beleuchtung ein und ließ sich aufs Sofa plumpsen. Das klappte ja schon prima. Der Baum war eine Wucht. Niemals wäre ihr selbst ein derartiges Kunstwerk gelungen. Sie versank in ihren Betrachtungen dieser glitzernden Lichter.

Es klopfte an der Tür.

Erstaunt darüber, warum ihr Besucher nicht klingelte, erhob sie sich und ging das kurze Stück durch den Flur auf die Tür zu. Kurz davor blieb sie stehen. Es wäre sicher nicht klug zu öffnen. Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück, schob sich am Tannenbaum vorbei ans Erkerfenster, das genau auf die Haustür zeigte.

Kein Mensch war zu sehen. Aber etwas lag auf dem Boden. In der Dunkelheit konnte Trixi nicht erkennen, was es war.

Scheiße! Da war sie wieder – ihre Angst. Sie hatte doch abschalten wollen, Abstand gewinnen und sich durch nichts mehr erschüttern lassen. Doch mit diesem kleinen Paket vor ihrer Tür waren alle ihre Vorsätze zunichte gemacht. Allein die Vorstellung, jetzt nach draußen zu gehen und das Paket anzunehmen ließ sie zittern.

Morgen früh, wenn sie das Haus verließ, konnte sie sich darum kümmern.

Aber den Entschluss umzusetzen kostete sie mehr Nerven, als sie geahnt hatte. Unentwegt ging sie von Zimmer zu Zimmer, fühlte sich in ihren eigenen vier Wänden nicht mehr wohl. Wie lange sollte das so weitergehen? Jeglicher Anfall von Normalität wurde durch eine neue Attacke zerstört. Oder war Normalität für sie nur eine Ausflucht, nicht wieder zur Polizei gehen zu müssen. Die Abfuhr dieses Bullen in dem Büro – und der Korb von Polizeihauptmeister Hollmann – hatten sie an sich selbst zweifeln lassen. Doch das war falsch. Sie spürte, dass sie nicht weiter tatenlos abwarten konnte, sie musste etwas tun. Ihr Blick fiel auf den Computer. Dabei kamen ihr wieder die Worte des Polizeihauptmeisters in den Sinn: »So wie Sie die Sachlage schildern, besteht die Möglichkeit, dass er auch diese Technologie nutzt, um mit Ihnen in Kontakt zu treten. Oftmals geschieht das durch beleidigende E-Mails.«

Also schaute sie nach. Immer noch nichts.

Es war wie verhext. Entweder besaß Roland Berkes gar keinen Computer oder aber er wusste genau, dass eine E-Mail ihn verraten könnte. Hollmann hatte auch gesagt: »Solange er nichts hinterlässt, womit sich seine Aktivitäten nachweisen lassen, können wir nichts tun … Es wird uns nicht gelingen, die Staatsanwaltschaft von strafbaren Handlungen zu überzeugen, wenn wir keine Fakten liefern.« Roland wollte keine Fakten liefern – er verfolgte sein Ziel mit aller Vorsicht und machte Trixi damit wehrlos.

Das brachte sie auf eine neue Idee. Bevor sie den Rechner wieder ausschaltete, startete sie eine Recherche bei Google über Stalking. Es gab erstaunlich viele Treffer. Sie las fasziniert einiges über dieses unerwünschte Nachstellen und die psychischen und physischen Auswirkungen. Darin fand sie auch bestätigt, was Hollmann ihr gesagt hatte. In Deutschland war es schwierig, mit dem Problem Stalking bei Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht Gehör zu finden, weil es erst allmählich ins Bewusstsein drang.

Eine Weile starrte sie auf die vielen Informationen auf ihrem Bildschirm, bis die Buchstaben vor ihren Augen flimmerten. Besser wäre ein Buch. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Kurzerhand klickte sie den Internetkatalog der Stadtbibliothek an, der ihr unvermittelt anzeigte, dass einige Titel verfügbar waren. Aufgeregt suchte sie die Spalte mit den Öffnungszeiten. Erleichtert las sie, dass die Bibliothek von Dienstag bis Samstag durchgehend geöffnet hatte. Also würde sie gleich morgen in der Mittagspause dorthin gehen, sich Fachlektüre über das Phänomen Stalker heraussuchen und im Lese-Café, das eigens dafür eingerichtet worden war, darin schmökern.

Dieser Entschluss gab ihr das beruhigende Gefühl, nicht tatenlos zuzusehen. So gelang es ihr, mit der Tatsache, dass jemand etwas vor ihre Haustür gelegt hatte, besser fertig zu werden.

*

Am nächsten Morgen stolperte sie über einen Käfig. Ihr Herzschlag setzte aus, ihr wurde ganz schlecht. Vor ihr stand ein Katzenkäfig, in dem ein kleines Kätzchen lag – erfroren!

Nach mehrmaligem Würgen machte sie sich auf den Weg zur Arbeit. Den Katzenkäfig stellte sie zur Seite, weil sie das arme Geschöpf jetzt nicht anfassen konnte. Sie schob ihr Fahrrad an den Autowracks vorbei, als sie eine Stimme hörte: »Mörderin! Mörderin! Du bist schuld an ihrem Tod.«

Diese körperlose Stimme, die vom Autofriedhof herüberklang, ging ihr durch Mark und Bein. Diese hässlichen Worte klangen in ihren Ohren, bis sie am Friseursalon ankam. Sie war zu spät dran. Käthe bedachte sie mit einem besorgten Blick und fragte: »Ist wieder etwas passiert?«

Trixi schämte sich maßlos, dass sie das arme Kätzchen hatte erfrieren lassen. Deshalb wollte sie den Vorfall lieber für sich behalten.

»Du hast doch was.«

»Ich werde von dir immer nur belehrt, wie ich es besser machen könnte. Darauf kann ich verzichten.«

»Entschuldige, dass ich es gut mit dir meine.«

»Mit diesem Kerl ist einfach nicht zu reden, er ist ein Psychopath. Er tut Dinge, die mir Angst machen.«

»Ich glaube nicht, dass er gefährlich ist. Du hast zu viel Fantasie. Zurzeit schadet sie dir. Denn so viel, wie du in der kurzen Zeit erlebt haben willst, schafft einer allein gar nicht anzustellen.«

»Egal«, murrte Trixi. »Ich möchte heute kurz weggehen. In der Mittagspause. Ist das okay für dich?«

Käthe nickte, fragte aber nicht nach dem Grund.

Trixi bemühte sich, auf die Gespräche der Kundinnen einzugehen, um sich abzulenken. Es war ein Samstag, also viel zu tun. Zum Glück ließ der Betrieb in der Mittagszeit etwas nach. So konnte Trixi ruhigen Gewissens gehen. Sie eilte zur Bushaltestelle. Als sie in den Bus einstieg, glaubte sie, einen weißen Lieferwagen der Firma Internationaler Paketdienst zu sehen. Lauerte ihr Roland Berkes auf?

An der Bushaltestelle vor der Stadtbibliothek stieg sie aus. Sie schaute sich um. Von Roland keine Spur. Sie hatte sich wohl getäuscht. Sie näherte sich dem Gebäude aus grauem Stahl, Beton und Glas mit raschen Schritten, trat ein und passierte den schmalen Durchgang, der ins Reich der Bücher führte. Auf einem Zettel hatte sie sich den Standort der verfügbaren Titel zum Thema Stalking notiert. Sie fand das Regal auch sofort, nahm sich 3 Bücher heraus und ließ sich im Lese-Café im Erdgeschoss an einem freien Tisch nieder.

Sie schaute aus dem Fenster. Die Aussicht reichte bis zum großen Gustav-Regler-Platz, über dem das Bürgeramt wie eine gläserne Brücke schwebte. Seinen Ursprung hatte das futuristische Gebäude auf der kurzen Seite der Bibliothek und mündete in das neugotische Bauwerk des Rathauses von Saarbrücken.

Sie blätterte im ersten Buch und begann fasziniert zu lesen: »Am 1.1.2002 ist das so genannte Gewaltschutzgesetz in Kraft getreten. Danach erlässt das zuständige Gericht gem. § 1 Abs. 2 GewSchG auf Antrag des Opfers eine Eilschutzanordnung, wenn das Opfer glaubhaft macht, dass eine Person einer anderen mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit widerrechtlich gedroht hat oder eine Person widerrechtlich oder vorsätzlich in die Wohnung einer anderen Person oder deren befriedetes Besitztum eindringt oder eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt.

Das Opfer sollte eine möglichst detaillierte Aufstellung der Belästigungen mit Orts- und Zeitangaben fertigen und die Angaben an Eides statt versichern. Es muss also nicht erst etwas passieren, bevor die Gerichte tätig werden. Es reicht schon die ernsthafte Drohung.«

Das war ja interessant. Wie oft hatte Trixi die Polizei schon informiert? Außer ausführlichen Erklärungen hatte Hollmann nichts getan und einfach behauptet, in ihrem Falle gäbe es nichts zu tun. Hier stand, dass eine ernsthafte Drohung ausreiche. Aber nein, ihr musste wohl doch erst etwas passieren. Gebannt las sie die Ausführungen. Doch leider schlug die Aufregung schnell in Ärger um, als sie auf das Kapitel stieß, dass prominenten Opfern, wie Oskar Lafontaine oder Monika Seles besondere Aufmerksamkeit zuteilwurde. In diesen beiden Fällen wurden Stalking-Forschungsgruppen hinzugerufen, um die Motivation der Täter besser nachvollziehen zu können.

Trixi sah aus dem Fenster und traute ihren Augen nicht: Dort stand Roland Berkes. Ihre Blicke trafen sich. Wartete er etwa auf sie?

Hastig konzentrierte sie sich auf ihr Buch, aber das wollte ihr nicht mehr gelingen. Wieder schaute sie hinaus.

Er war weg.

Sie stand auf und stellte sich direkt ans Fenster, um den großen Platz besser überblicken zu können. So sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte ihn nicht mehr entdecken.

War er wirklich verschwunden oder versteckte er sich vor ihr?

Sie kehrte an ihren Platz zurück.

Ein Zettel lag auf dem aufgeschlagenen Buch.

»Glaub bloß nicht, dass du ein Opfer bist. Du bist an allem selbst schuld.«

Erschrocken wich sie zurück. Also war Roland Berkes noch hier. Hastig eilte sie zum Ausgang, aber vergebens. Sie konnte ihn nirgends sehen. Es begann zu regnen und sie hatte keine Lust, ohne Schirm hinauszulaufen. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Also kehrte sie zurück. Enttäuscht beschloss Trixi wenigstens den Zettel als Beweismittel zu nutzen.

Das Buch lag noch an derselben Stelle. Aber der Zettel war weg.

»Haben Sie Probleme?«, fragte ein Mann.

»Ja«, antwortete Trixi hastig. »Jemand hat mir eine Drohung ins Buch gelegt.«

»Sind Sie sicher? Geben Sie mir den Zettel und wir werden uns darum kümmern.«

»Der Zettel ist weg«, gestand Trixi zerknirscht.

Der Mitarbeiter der Stadtbibliothek schaute die junge Frau mit einem seltsamen Blick an. Dass er ihr nicht glaubte, erkannte sie sofort. Also konnte sie sich auch den Gang zur Polizei sparen.

Sie ließ sich eines der Bücher einpacken, passierte die Abhol- und Rückgabekontrolle und verließ das Bibliotheksgebäude.

Die Temperaturen waren angestiegen, der Regen wurde stärker. Mit dem Schirm kämpfte sich Trixi nach einem anstrengenden Arbeitstag mühsam nach Hause. Schon von weitem konnte sie die Umrisse ihres Hauses sehen. Es hatte mal eine Zeit gegeben, da war sie froh, Eigentümerin eines solchen Domizils zu sein. Heute hatte sie nur noch Angst davor.

Vom Abstellplatz der Autowracks hörte sie das Plätschern des Regens auf die verrosteten Bleche. Alles schien in Ordnung zu sein. Vor der Haustür warf sie einen Blick zur Seite, wo sie den Katzenkäfig abgestellt hatte. Er war weg.

Sollte sie erleichtert sein? Nun brauchte sie den Tierkadaver nicht zu entsorgen.

Mit gemischten Gefühlen betrat sie das Haus. Der Duft der Tanne stieg ihr sofort in die Nase und ließ sie den Frust vergessen. Im Wohnzimmer richtete sie sich gemütlich ein, schaltete die Weihnachtsbeleuchtung ein und genoss die Stille. Nach einer Weile schlief sie auf dem Sofa ein.

Ein heftiges Pochen an der Haustür weckte sie auf.

Erschrocken eilte sie zum Fenster. Wieder stand ein Kasten vor der Tür. Sie war entsetzt. Wenn das wieder ein junges Kätzchen war, das in dieser Kälte auf keinen Fall im Freien bleiben durfte, musste sie es ins Haus holen. Hastig rannte sie durch den Flur auf die Haustür zu, öffnete sie mit Schwung, trat eilig hinaus. Sie sah, wie ihr etwas entgegenkam, konnte aber nicht mehr reagieren. Ein heftiger Schmerz traf sie unvermittelt am Kopf, dann wurde alles schwarz um sie herum.

Als sie wieder zu sich kam, zitterte sie vor Kälte. Sie setzte sich auf und versuchte sich zu orientieren. Sie war vor ihrer Haustür und hatte fürchterliche Kopfschmerzen. Ihr Blick fiel auf einen dunklen Fleck. Von Ekel geschüttelt sprang sie auf, aber ihr wurde schwindelig, sodass sie sich wieder setzen musste. Nun sah sie die große Blutlache. Daneben stand der Katzenkäfig mit dem toten Kätzchen. Ein Zettel hing daran.

Zitternd näherte sie sich dem Papier und las: »Schau dir die Sauerei gut an! Das nächste Mal liegst du in deinem eigenen Blut.«

Mit einem Aufschrei prallte Trixi zurück, knallte die Tür zu und raste ins Badezimmer. Dort riss sie sich sämtliche Kleider vom Leib, stopfte sie in die Waschmaschine, duschte und versuchte sich zu beruhigen. Sie beschloss, nochmals zur Polizei zu gehen. Die neuen Ereignisse und die Spuren vor ihrer Haustür mussten doch überzeugen.

Als sie das Haus verließ, war alles verschwunden. Die tote Katze, das Blut, der Zettel – alles. War das ein Grund erleichtert zu sein? Es hatte den Vorteil, dass sie die Sauerei nicht selbst beseitigen musste. Andererseits konnte sie der Polizei nun nicht zeigen, was ihr widerfahren war.

Aber ihr Entschluss stand fest.

Sie lief über die Brücke auf den Grumbachtalweg zu, der in die Kaiserstraße mündete. Von dort war es nicht mehr weit bis zur Polizei.

»Sie schon wieder«, begrüßte Hollmann die verstörte Frau. »Sie sehen mitgenommen aus.«

Stirnrunzelnd hörte er sich ihre Geschichte an, bevor er sagte: »Es ist Samstagabend, eine Zeit, in der überall in der Stadt etwas los ist.«

»Was hat das mit mir zu tun?«

»Wenn ich einem blinden Alarm folge und woanders etwas passiert, hat das schon mit Ihnen zu tun. Ich hoffe, Sie fantasieren nicht.«

»Sie erinnern sich bestimmt noch an den Artikel über die Frau, die von ihrem Verfolger getötet wurde.«

»Ich leide noch nicht an Alzheimer. Ich erinnere mich aber auch daran, dass es Zeugen gab, die den aufdringlichen Besucher bestätigen konnten. In Ihrem Fall sehe ich das nicht und habe auch nichts in der Hand, was ihre Aussage bekräftigt. Haben Sie die tote Katze noch? Ist der Blutfleck vor Ihrer Haustür noch zu sehen?«

»Ich kann nur sagen, dass die Spuren beseitigt worden sind, während ich unter der Dusche war«, gestand Trixi und plötzlich wurde ihr klar, was hier geschah.

»Haben Sie den Zettel noch?«

Niedergeschlagen schüttelte sie den Kopf.

»Verstehen Sie jetzt, warum ich nichts unternehmen kann?« Hollmann schaute Trixi eindringlich an. »Habe ich Ihnen nicht ausführlich erklärt, wie schwierig es ist, die Staatsanwaltschaft von einem Stalking-Fall zu überzeugen?«

Unter seinem Blick fühlte Trixi sich wie ertappt, weil ihr genau in dem Augenblick der geschmückte Tannenbaum einfiel. Womöglich wäre das ein Beweis gewesen. Aber durch ihre Inkonsequenz hatte sie die Chance verspielt, diesen noch vorzubringen, obwohl Hollmann auf etwas Entscheidendes wartete. Jetzt würde sie sich damit nur noch lächerlich machen, weil sie zugeben müsste, dass sie diese Aktivität ihres hartnäckigen Verfolgers einfach akzeptiert hatte.

»Soll ich mich in Ihr Haus setzen und warten, bis der imaginäre Bösewicht sich etwas Neues einfallen lässt?« Mit diesen Worten unterbrach der Polizeibeamte Trixis Gedanken. Da saß sie vor dem Mann, der sie vor ihrem Verfolger beschützen könnte, wenn es ihr nur gelingen würde, ihn zu überzeugen.

Sie spürte, dass sie dieser Situation nicht gewachsen war. Ihre Fehler erkannte sie erst, wenn es zu spät war. Aber das nützte nichts. Mit dem Nikolaus hatte es angefangen. Ihn einfach zu dulden war ihr erster entscheidender Fehler, denn diese Puppe wäre auch ein unwiederbringlicher Beweis gewesen. Dann der Tannenbaum. Auch da hatte sie sich einfach von Gefühlen hinreißen lassen, hatte sich prinzipienlos verhalten, was ihrer Situation nur schaden konnte. Die Quittung dafür kassierte sie jetzt.

Die schmerzliche Einsicht zermürbte sie. Wie gerne hätte sie Hollmann gebeten ihr künftig beizustehen. Aber das konnte sie vergessen – so wie er sie anschaute. Stumm erwiderte sie seinen Blick, in der Hoffnung, dass er es sein würde, der das Schweigen brach.

Aber den Gefallen tat er ihr nicht.

»Ich habe Angst, wieder allein durch die Dunkelheit in mein Haus zurückzugehen«, gab sie zerknirscht zu.

»Kann es sein, dass Sie sich in psychischem Stress befinden?«

Trixi schaute den Beamten erschrocken an. Sein kantiges Gesicht drückte Misstrauen aus; seine grünen Augen wirkten wachsam. Diese Frage fehlte noch.

»Ich glaube, dass der Stress, in dem ich mich befinde, für die Situation ganz normal ist«, murrte sie. Dabei bemühte sie sich, mit fester Stimme zu sprechen. Er durfte auf keinen Fall merken, wie sehr er sie damit getroffen hatte.

Hollmann runzelte die Stirn, rieb sich über die Schläfen, bevor er fragte: »Können Sie nicht bei einer Freundin schlafen? Oder eine Freundin bei Ihnen?«

Eine Weile überlegte Trixi, bis ihr Käthe einfiel.

»Rufen Sie sie am besten gleich von hier aus an. Ich fahre Sie dann«, schlug Hollmann vor und reichte Trixi den Telefonhörer.

Nach einem kurzen Gespräch einigten sich die beiden Frauen, dass Käthe bei Trixi schlafen würde. Hollmann hielt sein Versprechen und übernahm den Fahrdienst.

*

Die Anwesenheit der Freundin ließ Trixi ihre Sorgen tatsächlich vergessen. Sie führte Käthe durch sämtliche Zimmer des Erdgeschosses, sperrte sogar die Tür zum Treppenhaus auf, um ihr die obere Etage zu zeigen. Zum Abschluss präsentierte sie ihrer Freundin voller Stolz ihr kleines Pflanzenparadies. Mit staunenden Blicken schlenderte Käthe zwischen dem großen Tisch, den Stühlen, den Sideboards und den Holzschemeln hindurch. Vor den ausgefallenen Sorten blieb sie stehen und ließ sich von Trixi die Namen und besonderen Eigenschaften erklären. Als Käthe eine der exotischen Pflanzen anfassen wollte, hielt Trixi ihre Hand fest.

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