Kitabı oku: «Drei Frauenschicksale», sayfa 3

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Aber am allerunrichtigsten ist das Motiv, das sie für Sonjas erotischen Konflikt angibt. Denn dieser bewegte sich durchaus nicht – wie Anne-Charlotte Leffler es schildert – zwischen dem Ehrgeiz und der Liebe. Ebensowenig zwischen der verschiedenen Art des Mannes und des Weibes zu lieben, oder zwischen der verschiedenen Art dieses Weibes und dieses Mannes Liebe zu geben oder zu fordern. Die Art des Konfliktes wird am besten durch die einzige Mitteilung charakterisiert, die jetzt Geltung hat, die des Mannes, um den der Konflikt sich drehte. Seine Anschauung der Frage gebe ich im folgenden – mit seiner Zustimmung – wieder.

Für ihn war Sonja nicht das in sich selbst konzentrierte Genie. Sie hatte im Gegenteil das Schicksal vieler nichtgenialer Frauen, ein Schicksal, dessen Ursachen in jedem besonderen Fall verschieden und in den geheimnisvollen Tiefen der Natur verborgen sein mögen, aber das von außen gesehen einfach alltäglich ist.

Der betreffende Mann, ein berühmter Gelehrter und Politiker – der, ohne mit Sonjas Mann verwandt zu sein, denselben Namen trug wie er – hatte von Sympathie und Freundschaft, aber nicht von Liebe bewogen, zu wiederholten Malen Sonja gebeten, seine Gattin zu werden. Er hatte weder sie noch sich selbst über die Art seines Gefühls getäuscht, war auch nicht durch ihre Ablehnung verletzt gewesen, da ereinsah, daß eine entwickelte weibliche Persönlichkeit, eine so große und reiche wie die Sonja Kovalevskas sich nicht damit begnügt, bruchstückweise zu erhalten, wenn sie ganz gibt. Auch verkannte er das Gefühl, das er nicht teilte, durchaus nicht, sondern sprach von Sonjas Hingebung als von der größten, die ihm in seinem Leben zuteilgeworden war. Ebensowenig mißdeutete er die Art der Leiden, die seine Offenherzigkeit ihr verursachte. Im Gegenteil wuchs seine tiefe Bewunderung, Achtung und Sympathie immer mehr, je mehr er die Bedeutung des Grundes erkannte, mit dem Sonja ihre Ablehnung motivierte. Überzeugt, in einer gegenseitigen Liebe Glück geben und finden zu können, hätte sie den Forderungen einer solchen alles geopfert, auch ihre Professur in Stockholm, wenn es verlangt worden wäre. Aber er verlangte dies niemals, sondern meinte im Gegenteil, daß sie diese Stellung beibehalten könnte. Sonja erkannte die Schwierigkeit dieses Falles und wollte ihres Kindes und ihre eigene Zukunft nicht in einer Ehe aufs Spiel setzen, für die sie vielleicht ihre Anstellung im Stich lassen mußte, ohne die Gewißheit, nicht eines Tages bitter zu bereuen, daß sie diese Möglichkeit der Unabhängigkeit für sich und die Tochter verloren hatte, die der Mutter so warm am Herzen lag, daß die Gefühle und die Erziehung dieser Tochter stets in der Motivierung von Sonjas Ablehnungen wiederkehrten. Aber da Sonja nach jedem neuen Zusammentreffen die Trennung immer schwerer fand, begann sie sich schließlich – die obenerwähnten Skrupeln beiseiteschiebend – in den Gedanken einer möglichen Veränderung ihres Lebens hineinzuversetzen. Und zwar stellte sie sich vor, daß sie eine Ehe eingehen, und ihr Leben zwischen ihrer halbjährigen Arbeit in Stockholm und halbjährigen Ferien mit ihrem Mann im Ausland teilen würde.

Der Tod trat dazwischen und hinderte sie, ein Kompromiß zwischen den absoluten Forderungen des Idealismus und den Lebensverhältnissen zu schließen, ein Kompromiß, das bei ihrer Natur sicherlich verhängnisvoll geworden wäre.

Der Tod gab ihr auch, was das Leben ihr nicht geben konnte: den ersten Platz in der Erinnerung und dem Dasein des Überlebenden.

Drittes Kapitel

Das Obengesagte zeigt, wie der Konflikt eigentlich beschaffen war. Als Sonja Kovalevska alles erreicht hatte, wovon sie bisher geträumt – und wovon gewöhnliche Frauen nicht einmal träumen können – da trat die große Krise in ihrem Leben ein, in der sie sich unter dem Einfluß eines großen Gefühls imstande wähnte, alles, was sie nur besaß für das hinzuwerfen, was gewöhnliche Frauen so leicht erreichen können, aber was das Schicksal einer Sonja Kovalevska versagte.

Eine Deutung dieser Krise in ihrem Leben zu versuchen oder über sie nachzugrübeln sind die Frauen niemals müde geworden.

So sieht eine Frau in ihr ein Opfer der Zeit, in dem Sinne, daß sie das Frauengenie mit dem männlichen Gehirn, aber dem tief weiblichen Naturgrund war, folglich ein neuer Frauentypus, der während seiner Entwicklung die weibliche Macht, zu gefallen, verloren hatte und darum trotz der Sehnsucht seines Frauenherzens nach Liebe diese nie erringen konnte. Eine andere Frau meint, daß Sonja allzu anspruchsvoll und eifersüchtig fordernd war, um Liebe gewinnen zu können. Und eine dritte glaubt, daß Sonja, um die Forderungen des Ehrgeizes zu befriedigen, die des Herzens zum Schweigen brachte, daß sie ihren Ruhm mit ihrem Glück erkaufte. Man sehe Laura Marholm: »Das Buch der Frauen«; Arvide Barine, »La rançon de la gloire«; Anne-Charlotte Leffler: »Sonja Kovalevska« und Hedwig Dohm: »Die Feministen«.

Das Ganze war, wie ich schon gezeigt habe, viel einfacher, aber darum nicht leichter verständlich.

Die vielen Frauen, welche glauben, daß, wenn es ihnen nur einmal gelänge, das Rätsel in Sonja Kovalevskas Leben zu verstehen, sie damit auch ähnliche Rätsel in ihrem eigenen Leben verstehen würden, sind im Irrtum.

Denn jeder neue Mensch ist eine neue Welt, wenn auch eine noch so kleine, und jede Welt gehorcht ihren eigenen Gesetzen.

Und Sonja Kovalevska war eine große Welt, mit geheimnisvollen Tiefen, in die niemand, nicht einmal sie selbst, eindrang, und mit schwindelnden Höhen, die nur wenige ersteigen konnten.

Ich war mehrere Jahre hindurch wenigstens einige Male in der Woche mit Sonja Kovalevska zusammen. Aber die wirkliche Sonja Kovalevska habe ich doch nur einmal gesehen.

Das war an einem Abend in der Stockholmer Oper, als Beethovens Neunte Symphonie aufgeführt wurde. Sonja Kovalevska war – ganz ausnahmsweise – in der Wahl ihrer Toilette glücklich gewesen, sie trug ein schwarzes Kleid aus Seide und Spitzen, das, ohne die kleine dünne Gestalt zu drücken, ihr einen einheitlichen Stil gab. Neben ihr saß ihr russischer Landsmann, ein genialer, sonnig lächelnder Riese mit strahlenden Augen. Rings um sie strömte die alle Himmel aufschließende Musik, die Glückseligkeit in Tönen – –

Ein lichter Friede, eine edle Ruhe, eine sanfte Innigkeit verklärte Sonja Kovalevskas sonst so nervöses Antlitz, verfeinerte die unregelmäßigen Züge, hauchte über die unreine Haut eine gleichmäßige warme Blässe. Sie war verklärt, beinahe schön.

Denn sie liebte. Und die Musik wiegte sie in selige Träume. Ihr beredtes Antlitz sagte all dies.

Ich sah dann diesen Ausdruck in ihrem Gesicht nie mehr wieder – erst im Tode.

Die Musik verstummte, und sie wandte sich ihrem Nachbar mit einem Blick zu – – –. Wenn ein Weib mit einem Blicke einem Manne sagt:

»Du bist mein Gott, mein Herr, mein Leben ...« dann ist sie entweder die stolzeste Königin des Lebens oder seine elendeste Bettlerin.

Sonja Kovalevska hatte die Jugend schon hinter sich, als ihr Herz aus seinem ruhigen Schlummer erwachte und gestillt sein wollte; als ihre halb erstickte Frauennatur angstvoll nach voller Entwicklung und Befriedigung rief, darnach, einmal mit allen Pulsen zu leben, einmal die sprengende Fülle, die Erweiterung des ganzen Wesens, das Himmel und Erde umarmende Unendlichkeitsgefühl zu empfinden, das Glück ist.

Für den geistigen Pöbel sind die erotischen Forderungen einer nicht mehr jungen Frau das vor allem anderen Komische.

Für den geistigen Adelsmenschen sind sie das vor allem anderen Tragische.

Es gibt einige wenige Werke in der Weltliteratur, in denen diese Tragik Ausdruck gefunden hat. Und einige Blätter gibt es, in denen Sonja Kovalevskas scheues bebendes Gefühl so offenbart ist, wie große Dichter divinatorisch das Leben von ihnen selbst unbekannten Menschen offenbaren. Diese Blätter kommen in Brownings »In a balcony« vor. Der Dichter läßt da eine regierende Königin sprechen, eine Königin, der immer nur gehuldigt wurde, die niemals geliebt worden ist; die ihr immer lauter; schluchzendes Herz damit beschwichtigt hat, daß es jetzt zu spät sei: die Liebe sei für Jungfrauen, und sie ist nicht mehr jung; sie ist überdies Königin und darf nicht an Liebe denken ... Aber dann glaubt sie sich plötzlich geliebt, und das Lächeln der Liebe hat ihre Welt umgestaltet! Sie sagt sich, daß sie freilich schon viele Jahre für das Glück verloren hat – aber viele sind ja noch übrig? ... Sie weiß, daß ihr Haar zu ergrauen begonnen hat, daß ihre Wange bleich ist – aber kann die Liebe nicht eine neue Jugend schenken? ... Es ist wahr, sie ist nicht schön – aber Frauen können ja die Seele eines Mannes lieben ... Sollte ein Mann nicht die Seele einer Frau lieben können?

Und sie hofft: sie jubelt, jetzt endlich Weib, ein gewöhnliches Weib zu sein. Denn für das Weib gibt es kein anderes Leben als die Liebe. Alles, was ihr dem Leben zu gleichen scheint, sind nur Schatten, von ihrer Liebe geworfen.

Mit Worten, die Flammen sind, schildert die Dichtung diese Sehnsucht, die tief in der Seele jeder echten Frau lebt, die Sehnsucht, ehe sie stirbt, die Stimme der großen Liebe gehört zu haben, wenn sie auch sterben muß, um sie zu hören ...

Sonja hörte wie die arme Königin die Liebe in ihrem Herzen flüstern. Aber für beide war es nur im Traum, und beide erwachten zu der Gewißheit: nur als Zuschauer vor dem Fest des Lebens zu stehen.

Sonja konnte nicht resignieren. Sie mußte, sie wollte ihren Platz drinnen am Tisch des Lebens haben. Und sie blieb anstatt dessen die Bettlerin, es wurde ihr – ein Almosen geboten. Warum fällt es einem so schwer, dieses alltägliche Frauenlos zu fassen? Ist es, weil es eine Sonja Kovalevska traf?

Aber man wird ja nicht deshalb geliebt, weil man Königin über ein Reich der Erde oder des Geistes ist; nicht, weil man königlich mit Geld und Gut oder mit Genie und Herz verschwendet. Warum man geliebtoder nicht geliebt wird, das beruht auf mystischen Gesetzen, die noch niemand entdeckt hat. Nur eines ist gewiß, je entwickelter eine Frau ist, desto schwerer findet sie den Mann, den sie mit ihrem ganzen Wesen lieben kann, den Mann, der für jede feinste Fiber ihres Wesens das Glück bedeutet. Und es gibt vielleicht eine Möglichkeit unter Millionen, daß dann auch gerade dieser Mann sie in der gleichen Weise liebt.

Und gehört sie dazu wie Sonja Kovalevska zu den Frauen, an deren Wiege die Grazien nicht ihre Gaben niederlegten, dann wird das Schicksal einer solchen Frau tragisch.

Manche meinten, sie hätte sich mit dem Almosen begnügen sollen.

Aber eine ganze und stolze Frau kann viel für den Mann tun, den sie liebt. Nur eines kann und soll sie nicht: seine Frau werden, wenn er ihr offen sagt, daß er für sie nicht die Gefühle der Liebe hat. Und da sie nicht den Hunger der Sinne, sondern den Durst der Seele stillen wollte, war nichts natürlicher, als daß Sonja die Bewerbung, die keine Liebe beseelte, ablehnte.

Dieselbe Schriftstellerin meint, Sonja Kovalevskas eifersüchtige Ansprüche hätten es verhindert, daß die Liebe eines Mannes erwachte.

Im Zusammenhang damit steht der von einigen Seiten gehörte Kommentar zu Ibsen, daß dieser Sonja Kovalevska in Rita Almers (Klein Eyolf) geschildert haben sollte.

Dieser Kommentar ist ebenso unhaltbar wie die meisten Ibsenkommentare. Die Eifersucht ist der einzige Gleichheitspunkt zwischen diesen beiden sonst unendlich verschiedenen Frauentypen. Und sie ist bei beiden ein gleich natürliches Resultat der Verhältnisse. Denn jede Frau, die die erotische Genialität hat, die folglich selbst mit ihrem ganzen Wesen lieben kann, fühlt – mit einem in diesem Falle ganz unfehlbaren Instinkt – ob sie in gleicher Weise geliebt wird. Wird sie das nicht, dann können alle und alles der Gegenstand ihrer Eifersucht werden, weil alles und alle von dem Geliebten nicht zugleich mit ihr, sondern anstatt ihrer geliebt werden, weil alles und alle den Raum in der Seele des Geliebten ausfüllen können, aus dem sie sich selbst verbannt fühlt. Eine solche Frau weiß, daß sie von den Gnaden aller anderen Frauen lebt, denn diejenige von ihnen, die den Mann erobern will, hat auch immer die Möglichkeit des Erfolgs. Nur wenn eine liebende Frau bis in die tiefsten Tiefen ihres Wesens von dem Bewußtsein der Gegenseitigkeit der Liebe durchsonnt ist, kann und muß dieses Bewußtsein alle Eifersucht ausschließen, so wie das Mittagslicht die Schatten ausschließt.

Die Einheitsleidenschaft, der Unendlichkeitssinn, mit einem Wort: der morgenländische Wesensgrund bestimmte Sonja Kovalevskas Schicksal. Ihr Geist hatte in den kühnsten Ahnungen der Wissenschaft, im Weltenraum und im Sonnensystem, im Denken und im religiösen Gefühl, in der Dichtung, in der Arbeit, und im Weltleben, in der Vaterlandsliebe und in der Freundschaft unaufhörlich das Grenzenlose gesucht, es aber niemals gefunden. Am allerwenigsten fand sie es im Ruhm, den sie in den Jugendjahren so glühend ersehnte, aber jetzt als eiskalten Begleiter auf allen ihren Wegen fand. Für sie wie für eine andere geistvolle Frau wurde der Ruhm schließlich nur »un peu de bruit autour de son coeur«; für sie wie für die einfachste Frau wurde schließlich das Leben des Herzens DAS Leben.

Denn nachdem sie so ohne Rast und Ruh durch alle anderen Räume gepilgert war, kam sie schließlich an die Grenzen von Eros' Reich.

Doch da erst begegnete ihrer Unendlichkeitssehnsucht eine hohe Mauer, über die selbst ihre starken Flügel sie nicht tragen konnten, eine Mauer, die sie mit den von Angst und Sehnsucht geweiteten Augen der gejagten Hindin anstarrt; an die sie mit zarten, schwachen Kinderhändchen pocht, an der sie ihre Denkerstirn blutig stößt. Doch die Mauer weicht nicht – das Schicksal gibt nicht nach ...

Und da stand sie noch, als der große Allerbarmer ihre Unendlichkeitssehnsucht zur Ruhe wiegte.

Auf Sonja Kovalevskas Arbeitstisch stand in den letzten Jahren immer ein kleines Sträußchen Edelweiß, das sie in einem Sommer in der Schweiz bekommen hatte, als sie den Mann, den sie liebte, aus einer schweren Krankheit dem Leben rettete und mit dem ganzen Reichtum, der ganzen Liebenswürdigkeit ihres Genies seine lange Krankheitszeit erhellte. Das kleine blasse, trockene Sträußchen war für Sonja selbst die Erinnerung an einen reichen Augenblick, einen Hoffnungsstrahl.

Mir erschien es immer wie ein qualvolles Symbol der Armut und Farblosigkeit von Sonjas erotischer Lebensgeschichte. Und jedesmal, wenn ich das verstaubte, kleine Sträußchen sah, erklangen in mir J. P. Jacobsens Worte:

»Es hätten Rosen sein sollen.«

Viertes Kapitel

Im Vorangegangenen habe ich oft das Slavische in Sonja Kovalevskas Temperament betont. Will man eine Bestätigung suchen, so muß man ihre zwei nachgelassenen Bücher, »Die Schwestern Rajewski« und »Eine Nihilistin« aufschlagen, und sie im Zusammenhang mit den Frauentypen sehen, die die drei größten Dichter ihres Landes geschildert haben.

Turgenjew bewahrte das ganze Leben hindurch die Empfänglichkeit des Dichters und des Jünglings, für jede Offenbarung echter Weiblichkeit, die für ihn das Wunderbare war, das nicht gefaßt, nur angebetet werden konnte.

Es gibt fast keine Art weiblicher Eigentümlichkeit oder weiblichen Einflusses, von dem Anspruchlosesten bis zu dem Beherrschendsten, den Turgenjew nicht mit einigen Zügen in seiner Dichtung unsterblich gemacht hätte; aber diese wechselvolle Mannigfaltigkeit von Frauengestalten wird in seiner Darstellung durch ein Einheitsband zusammengehalten. Die Frau, mag sie nun gut oder böse sein, ist für ihn mehr ein Teil der Natur, mit ihrer geheimnisvollen und grenzenlosen Macht ausgerüstet, während der Mann mehr als ein Teil der Gesellschaft, ein gelungenes oder mißlungenes Produkt der Kultur vor ihm steht. Turgenjews Stil, wenn er eine schöne Frau schildert, und wenn er eine Landschaft beschreibt, zeigt dieselbe unmittelbare Empfänglichkeit und dasselbe sich stets erneuende Glück durch diese beiden in seiner Empfindung gleichartigen Offenbarungen. Nie tritt in einer seiner Erzählungen eine Frau auf, ohne daß die Stimmung sich in gewissem Maße ändert, so wie die Luft in einem Zimmer, wenn man das Fenster geöffnet hat und die süßen oder berauschenden oder würzigen Düfte aus Wiesen und Feldern in den Raum eindringen. Selbst die Frauen, die Turgenjew mit jener verhängnisvollen dämonischen Zauberkraft schildert, die sie zum Verhängnis der Männer macht, haben in diesem Naturverwandten ihren eigentlichen Reiz. Turgenjew weiß, daß das, was sie verderbenbringend macht, darin besteht, daß ihr Wesen in den Männern die Illusion unverdorbener Natur, ungezähmter Kraft, mutiger Lebenslust hervorruft. Ob nun eine solche Frau mit der sorglosen Grausamkeit eines jungen Raubtieres das Spiel spielt, das für andere den Tod bedeutet, wie in »Frühlingsfluten«, oder ob sie jenem Weltleben, das sie zu verachten glaubt, aber von dem sie doch nicht die Kraft hat, sich loszureißen, durch die Leidenschaft einen Inhalt zu geben sucht wie in »Rauch«; oder ob sie selbst ganz kühl und unberührt durch ruhigen, liebenswürdigen Reiz, maßvolles, wohlberechnetes Interesse alle Männer beherrscht, aber sich selbst, ihre Ruhe und ihre Freiheit viel zu sehr liebt, um sich irgend jemandem hinzugeben wie in »Väter und Söhne« – nie läßt Turgenjew diese Frauen durch das Schwache, Häßliche oder Niedrige einen Einfluß üben, sondern durch das Starke oder Schöne oder Ruhevolle ihrer Erscheinung, das der Gesundheit, den Natureindrücken Verwandte. Diese Art verführerischer Frauen kommen in Turgenjews Dichtungen oft vor. Aber er hat nicht eine einzige Dichtung zur Verherrlichung einer solchen, im tiefsten Innern unweiblichen Frau geschrieben. Die Frau, die er liebt, die gleich den Sternen seine Andacht erweckt, gleich dem Frühling seine Begeisterung, die für ihn die Inkarnation aller Gesundheit, aller Stärke, aller Holdseligkeit, alles Glückes des Daseins ist, sie ist der absolute Gegensatz der eben geschilderten Frauentypen, deren charakteristischer Zug darin besteht, daß sie sich selbst genug sind und dadurch eine gefährliche Ruhe besitzen; die einen scheinbaren Reichtum zu geben haben, aber dabei nur für sich selbst da sind, ohne Fähigkeit der wirklichen Hingebung an etwas, was es auch sein mag; stets von der Sehnsucht gequält, zu leben, aber stets vor den Wirklichkeiten des Lebens zurückscheuend, weil diese immer in irgend einer Form ein Opfer des Selbsts verlangen. Der andere Typus hingegen, dem man bei Turgenjew so oft begegnet, daß man sich unwillkürlich fragt, ob Rußland wirklich ein so glückliches Land ist, viele solcher Frauen zu besitzen oder ob Turgenjew nur einer begegnet ist und dann jeder echt weiblichen Gestalt ihre Züge lieh – hat etwas von der Frau des Mittelalters an sich; zuweilen etwas von der heiligen Elisabeth, zuweilen von Heloise, zuweilen etwas von beiden vereint. Sie sind nicht immer geistreich oder talentvoll, nicht einmal immer schön, diese Frauen, und doch hat der Dichter es verstanden, sie so zu schildern, daß ihre Gestalten sich klar und unauslöschlich von dem Goldgrund der hingebungsvollen Sympathie des Dichters abheben. Diese untereinander verschiedenen Frauen – man erinnere sich z. B. an Marianne in »Die neue Generation«, an Helene in der Dichtung des gleichen Namens, an Vera im »Faust«, Elisabeth in »Ein adeliges Nest«, Tatjana in »Rauch«, Gemma in »Frühlingsfluten« – haben alle ein gemeinsames Merkmal, das sich durch Tatjanas kurze Zusammenfassung der Grundsätze, in denen sie erzogen worden, ausdrücken läßt: »Wahrheit und Freiheit«. Es gibt keinen Trug bei diesen Wesen, sie sind durchsichtig ehrlich, einheitlich, voll Feuer, und voll Unschuld; im besten Sinne des Wortes einfältig, ohne einen Blick zurückzuwerfen, wenn sie ihre Hand auf den Pflug gelegt; sie können zermalmt aber nicht zersplittert werden, getötet, aber nie im Innersten ihres Wesens vernichtet.

Diese Frauen zeigen die vollkommene Hingebung ihres Wesens, ihre Befreitheit von aller Weltlichkeit – der Koketterie wie der Prüderie – oft darin, daß sie es sind, die ihre Liebe zuerst gestehen, die sich in jener stolzen und keuschen Weise geben, wie nur das Weib sich gibt, das weiß, daß es fürs Leben ist.

Diese Art Frauentypus bewunderte auch Sonja Kovalevska vor allem, und von ihm hat sie in »Eine Nihilistin« ein Bild gegeben, das dem Leben entnommen ist und an die Seite von Turgenjews schönsten Frauengestalten gestellt werden kann. Und Vera Vorontzoff findet auch später dasselbe Schicksal wie mehrere Heldinnen Turgenjews: von dem Manne enttäuscht zu werden, dem sie ihr Leben gegeben. »Denn in Rußland«, sagt Turgenjew, »gibt es keine Männer, die solcher Frauen wert sind.« Diese Frauen bewahren ihrer innersten Persönlichkeit eine solche Treue, daß sie mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes wirken, daß man sich ebensowenig denken kann, daß sie einen Verrat an ihrem Pathos begehen könnten – mag dieses nun die Liebe oder die Pflicht oder die Revolution oder eine andere große Idee sein – als man sich denken kann, daß sie leben könnten, ohne zu atmen.

Ich habe bei anderen Westeuropäern denselben Eindruck gefunden, wie den, den ich selbst empfangen: daß eine wirklich bedeutende Russin überhaupt der bedeutendste Frauentypus ist, den unsere Zeit besitzt. Ich rechne dann »unsere Zeit« schon von der Aufklärungsepoche an, die mit der Freundin Katharinas II., der Fürstin Dashkoff, eine Frau von jener Art hervorgebracht hat, an die ich denke und deren Memoiren ein unschätzbarer Beitrag zum Studium des Seelenlebens der russischen Frau sind. Ins Deutsche übersetzt von Malvida von Meysenbug. Man findet bei ihr schon jene wunderbare Mischung von starker, sprudelnder, naiver Naturkraft und einer verfeinerten Kultur mit tiefgehenden Interessen; grenzenlos opferwilliger Hingebung und fest abgegrenzter, selbständiger Persönlichkeit; schrankenloser Weite in allen Gesichtspunkten und gesammelter Willensstärke für ihre Ziele. Ich könnte noch andere russische Frauen anführen, die mit ihrer Zärtlichkeit und ihrer Tüchtigkeit als Hausfrauen und Familienmütter leidenschaftliches soziales Interesse verbinden, und mit einer sehr starken sinnlichen Zauberkraft eine Seelenvollheit von großer Tiefe, eine Geistigkeit mit gewaltigen Flügelschlägen.

Sonja Kovalevska hatte – wie ich schon dargelegt habe – ein großes Stück dieser Natur. Aber dennoch gleicht keine von Turgenjews Frauen, sondern eine von Tolstois ihr am meisten, namentlich so wie sie sich selbst in den Schwestern Rajewski schildert.

Tolstoi sieht die Frau als der realistische Beobachter, nicht als der idealisierende Dichter. Seine Frauen sind oft weniger individuell, immer weniger vollkommen als die Turgenjews. Die persönlichste und interessanteste ist eben Natascha (in »Krieg und Frieden«), und in ihr ist etwas vom Geniekind, das an die junge Sonja erinnert.

Aber in ihrer mannigfaltig zusammengesetzten Natur tritt noch mehr etwas Dostojewskys Frauen Wesensverwandtes hervor.

Dostojewsky war der von Sonja selbst am meisten bewunderte der drei großen Dichter, und das Größte in ihrer Natur vibrierte mit diesem Dichter der Gekränkten und Gedemütigten, der Verunglückten, der durch Armut und Ungerechtigkeit Leidenden und durch das Leiden in Versuchung Geführten.

Die durch Jahrhunderte geübte Fähigkeit der russischen Natur, sich zu demütigen, zu leiden, zu resignieren, aber zugleich auch die damit zusammenhängende Gefahr zu verkommen, versklavt zu werden, Stolz und Vorsätze und Pflichten preiszugeben, hat sowohl bei Turgenjew wie bei Tolstoi viele ergreifende Ausdrucksformen gefunden, aber keine so tiefergreifenden wie bei Dostojewsky. Für ihn ist die Frau überhaupt die Leidende, die unter den Gesellschaftsverhältnissen, namentlich der Armut Leidende, die aber doch im Leiden die Fähigkeit bewahrt hat, zu trösten, das Dasein zu versüßen, sich hinzugeben.

Und wenn Dostojewsky eine Frau grausam werden läßt, wie z. B. die junge Näherin in »Arme Leute« oder Natalia in »Beleidigte und Erniedrigte« – dann weiß sie es nicht; sie hat selbst so viel gelitten, daß sie gefühllos geworden ist; aber man merkt, daß der Verfasser sie nicht verkennt; sie hätte für den Mann, der sie liebt, das Glück werden können, wenn die Verhältnisse nicht gegen sie beide gewesen wären. Die Frauen in Dostojewskys Büchern sind nicht, wie so oft bei Turgenjew, Trägerinnen der Gesundheit, der Ruhe und Schönheit des Lebens. Sie sind die Unglücksgenossinnen des Mannes und zeigen Spuren der harten Hand des Lebens. Aber auch Dostojewsky glaubt an die innerste Unzerstörbarkeit des Weibes, an ihr engeres Bündnis mit den Kräften der Wiederaufrichtung, und er zeigt, daß kein Dasein ganz unerträglich ist, wenn eine selbstlose, hingebende Frau es teilt.

Nicht nur weil Sonja in Dostojewsky den tiefsten Psychologen bewunderte, sondern auch weil sie – während ihres wechselnden Lebens und in ihrem eigenen Schicksal – oft Gelegenheit hatte, die Richtigkeit der Psychologie des Leidens, des Verbrechens und der Wiederaufrichtung, in der Dostojewsky einzig ist, zu erkennen, stellte Sonja ihn am höchsten.

Durch einen anderen russischen Frauentypus – keinen erdichteten, sondern einen wirklichen – kann Sonja Kovalevska zum Teil beleuchtet werden: durch Maria Bashkirtseff. Diese starb im Herbst 1884, und ihr Tagebuch erschien gerade in Sonjas erstem Jahr in Stockholm. Ich erinnere mich noch, wie Sonja betonte, daß Maria Bashkirtseffs Originalität überschätzt werde, weil Westeuropa nicht begreife, wie sehr diese Originalität mit ihrer Rasse zusammenhänge. Das ist zweifellos richtig. Aber ebenso gewiß ist es, daß sowohl die eine wie die andere der beiden Russinnen, die gleichzeitig Europas Interesse so stark beschäftigten, nicht nur die Eigenart der russischen Frau, sondern die des weiblichen Genies hatten. Dies zeigt sich in der Leidenschaft, womit Beider Seele sich auf einen Brennstoff nach dem anderen stürzte, ihn verzehrte und einen neuen suchte; in dem Mut, sich beständig neue Ziele zu setzen, und in der Kraft, sie unbeugsam zu verfolgen; in der Unersättlichkeit ihres Lebenshungers, in der Grenzenlosigkeit ihrer Sehnsucht!

Laura Marholm, die mit ihrer genialen Einseitigkeit sowohl in Anne-Charlotte Leffler wie in Maria Bashkirtseff, in Sonja Kovalevska wie in Ernst Ahlgren nur das Geschlechtswesen sah Die drei ersten werden im »Buch der Frauen« behandelt, die letztgenannte in einem Essay in einer Zeitschrift, der meines Wissens nicht in Buchform erschienen ist., hat dadurch keine von ihnen ganz verstanden. Wie bedeutungsvoll Laura Marholms Reaktion gegen den einseitigen Intellektualismus der Frauenrechtlerinnen auch war, ihre eigene erotische Einseitigkeit wurde ebenso irreführend. Denn allerdings erlangte die Erotik im letzten Teile von Sonja Kovalevskas, Anne-Charlotte Lefflers, Ernst Ahlgrens Leben entscheidende Bedeutung – und hätte sie vermutlich auch im Leben Maria Bashkirtseffs erlangt. Aber bei keiner von ihnen hätte die Liebe je den Schaffensdrang, die Wahrheitsleidenschaft, den Wissensdurst, die Verstandesschärfe – oder mit anderen Worten gerade jene Eigenschaften, die man männlich zu nennen pflegt – verdrängen können! Anne-Charlotte Lefflers Glück war es, daß sie von einem Manne ganz als Weib geliebt wurde, der zugleich auch diese ihre intellektuellen Wesenszüge liebte. Sonjas Unglück war, daß sie einen Mann liebte, der an ihr nur diese intellektuellen Vorzüge schätzte; Ernst Ahlgrens Tragik war, daß sie einen Mann liebte, der weder das Weib liebte, noch ihre intellektuellen Vorzüge schätzte.

So wenig Laura Marholm Maria Bashkirtseffs Tragödie richtig damit charakterisiert hat, daß sie die typische Tragödie des jungen Mädchens gewesen sei, ebensowenig hat sie die Sonja Kovalevskas richtig damit charakterisiert, daß sie wie das Weibchen klagend durch die Wälder irrte, nach dem Gatten rufend. Sonja konnte diesen, wenn sie nur selbst wollte, finden – wenn dies ihre Forderung gewesen wäre!

Ich habe gezeigt, daß dies nicht der Fall war. Und – wie ich hier Anne-Charlotte Lefflers Irrtum berichtige, daß Sonjas erotischer Konflikt der Konflikt zwischen dem Genie und der Liebe gewesen sei – will ich auch Laura Marholms Darstellung berichtigen. Und nicht nur die Sonja Kovalevskas, sondern die Anne-Charlotte Lefflers und Ernst Ahlgrens. Persönlich kannte Laura Marholm nur die letztere, und zwar während Ernst Ahlgrens letzten erregten Jahren; ich habe allen dreien persönlich nahgestanden, die meisten hier mitgeteilten Briefe waren an mich gerichtet, und ich halte mich für zuverlässiger als Laura Marholm, die geniale Dichtungen über das Thema Sonja Kovalevska, Anne-Charlotte Leffler usw. geschrieben hat.

Mit ihrem ganz außerordentlichen psychologischen Klarblick äußerte Sonja mitten während ihres erotischen Konfliktes, sie wisse wohl, daß die Intensität ihres Gefühles im Verhältnis zu der Schwierigkeit des Sieges stehe, den sie erringen wolle, und daß sie sich, wenn dieser einmal gewonnen war, vielleicht enttäuscht fühlen würde: auf keinen Fall hätte sie sich je auf die Länge durch die Liebe allein glücklich gefühlt. Sie mußte die Wissenschaft, die Schriftstellerei, die Gesellschaftsinteressen haben – mit einem Worte alles. Sie konnte freilich sagen – und im Augenblick auch meinen – daß sie gerne all ihr Genie für die Schönheit oder das Glück dieser oder jener Freundin hingäbe. Aber das bedeutet nicht, daß sie in Wirklichkeit ihr Genie hingegeben hätte: das bedeutet nur, daß sie – alles haben wollte!

In dieser Beziehung ist sie eine echte Slavin und eine echte Schwester Marie Bashkirtseffs. Keine Worte können auch Sonja Kovalevsky besser charakterisieren als die, mit denen Marie Bashkirtseff dem Tiefsten ihres Wesens den höchsten Ausdruck gab:

»Es will mir scheinen, als ob niemand alles ebensosehr lieben würde wie ich: Kunst, Musik, Malerei, Bücher, Verkehr, Kleider, Luxus, Lärm, Ruhe, Lachen, Schmerz, Melancholie, Scherz, Liebe, Kälte, Sonne; alle Jahreszeiten, alle Atmosphären, Rußlands stumme Ebenen und die Berge um Neapel; den Winterschnee, den Herbstregen, den Frühling und seine Tollheiten, die ruhigen Tage des Sommers und die schönen Nächte mit den leuchtenden Sternen ... alles bete ich an und bewundere ich. Alles sind für mich interessante oder sublime Offenbarungen; ich wollte alles sehen, alles besitzen, alles umarmen, mit allem verschmelzen, und in zwei oder in dreißig Jahren sterben, wenn es notwendig ist; mit Jubel sterben, um dieses letzte Unbekannte zu erproben, dieses Ende von allem und diesen Anbeginn des Göttlichen.«

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