Kitabı oku: «Flucht aus dem wilden Syrien»
Emin Liebscher
Flucht aus dem wilden Syrien
Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Impressum:
© 2013 Verlag Kern
Autor: Emin Liebscher
© Inhaltliche Rechte beim Autor
Herstellung: Verlag Kern, Bayreuth
Umschlagdesign und Satz: www.winkler-layout.de
Titelfoto: Fotolia, © Graphies.thèque
Lektorat: Manfred Enderle
ISBN 9783944224-732
ISBN E-Book: 9783944224-923
1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH
Dieses Buch widme ich meiner geliebten Tochter Lara. Sie ist meine beiden Augensterne.
Ich möchte meinem Freund Marco Stega für die Motivation, die mich immer wieder nach vorne getrieben hat, danken. Vielen Dank Marco, ohne Dich wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Auch mein besonderer Dank geht an Manfred Liebscher für seine Unterstützung. Mein Dank gilt all meinen Familienangehörigen, Freunden und anderen üüber den Erdball verstreuten Bekannten, insbesondere meinem Sohn Can. Ich danke meinem toten Bruder Munis. Sein Name diente als Vorlage für einen Charakter, damit er nicht in Vergessenheit geraten wird.
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Damaskus 1990
Reise in den Libanon
Ankunft im Lager
Damaskus 1990
Als ich das erste Mal Arrak, Raki trank, war ich gerade mal 18 Jahre alt. Dies geschah in einer Gegend von Damaskus, Ruken Al Din, jener Gegend, die seit Jahrzehnten überwiegend von Kurden bewohnt wird.
Ich folgte der Einladung eines Bekannten, um einige oppositionelle Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und dem kulturellen Milieu kennenlernen zu können. Wir waren eine Gruppe von Männern unterschiedlichen Alters und ich war wohl der jüngste von ihnen. Ich hatte vor Kurzem mein Abitur in der Fachrichtung Naturwissenschaften mit einer durchschnittlichen Note bestanden und dann die Reise ins Innere Syriens angetreten, um das Land zu erforschen. Aus der Perspektive eines jungen Mannes meines Alters, gierig nach Neuem und mit dem Ziel, ein Studium der französischen Literatur an der literarischen Fakultät in Mezzeh in Damaskus zu beginnen.
Meine Vorliebe für die französische Sprache begann schon früh, während der ersten Jahre meiner Schülerzeit und ab dem siebten Schuljahr, als das erste Jahr am Gymnasium anfing, hatte ich das Glück Französisch zu lernen. (Damals konnte man in Syrien ab dem Gymnasium entweder Englisch oder Französisch als Fremdsprache wählen oder gewählt bekommen.). Mittlerweile werden Fremdsprachen schon in der Grundschule unterrichtet und dadurch bekommt man den Eindruck, dass sich zumindest auf dem Bildungsweg etwas getan hat.
Mit dem gewählt bekommen meine ich, dass das Schulkomitee (bestehend aus dem Schuldirektor, der Schulaufsicht und einem Bezirksmitglied der regierenden Baath-Partei und mit der Anwesenheit von jemandem aus dem politischen Geheimdienstapparat) nach Lust und Laune entscheidet, welcher Schüler, welche Fremdsprache erlernen soll. Es ist nicht so wie in demokratischen Ländern, wie bei uns in Deutschland oder in anderen Ländern in Europa, dass man die Schüler nach deren Talent und ihrer Leistung fördert oder sogar nach Absprache mit den Eltern und den Schülern selbst.
Die Freude war so groß, dass ich oft nach Mezzeh fuhr, um die Universität von außen einerseits zu beobachten und anderseits, um einen Bekannten zu treffen, um möglichst viele Informationen zu sammeln bzw. alles zu erfahren. Die Immatrikulationszeit für das Studium war auf eineinhalb Monate befristet. Ich ging mit meinem Bruder, der damals in Damaskus arbeitete, zur Uni um mich zu immatrikulieren. Als ich Wochen später erfuhr, dass ich gar nicht zugelassen wurde, war meine Freude dahin, waren meine Träume zerstört. Ich war wütend, ich schlug um mich, schrie und zerbrach Gegenstände, die in dem Zimmer waren. Gegen Abend kamen mein Bruder Munis und seine Mitbewohner von der Arbeit zurück und fanden das Zimmer zertrümmert.
Er merkte, dass mit mir was nicht stimmte und vermutete, dass es mit dem Studium zusammenhing.
Seit Monaten hatte ich ihn immer wieder mit meinem Französisch genervt, mit Sätzen wie „Oui Monsieur, je veux apprendre le français, je parle bien français“ und ich hatte mich schon immer daran erinnert, wie mein Französischlehrer im neunten Schuljahr aus einem französischen Roman (Les Misérables von Victor Hugo), wenn ich mich recht erinnere, den Satz „Vite, mon chien, suis ce lui et tue le“ sprach. (Folge ihm, mein Hund und töte ihn).
Munis war ein lieber, junger Mann, hatte schon mit vierzehn Jahren heiraten müssen und er verließ die Schule, um meinem Vater beim Erwirtschaften des Einkommens zu helfen. Wir waren eine kurdische Familie mit zehn Geschwistern und wir waren arm. Es ist wohl in allen armen Familien üblich (zumindest in armen Ländern wie Syrien), dass das älteste der Kinder sehr früh die Verantwortung übernehmen muss, um mit dem Vater für die Familie zu sorgen. Seitdem war Munis häufig in Damaskus arbeiten.
Er kam zu mir und versuchte mich aufzumuntern, mich zu beruhigen und mir wieder Mut zuzusprechen. Er fragte: „Was ist los?“
Ich konnte nicht richtig antworten und blieb still.
Dann sagte er: „Du bist nicht angenommen worden, oder?“
Ich schwieg weiter.
Dann hörte ich, wie er sagte: „Lass uns morgen hinfahren und fragen, warum du abgelehnt worden bist.“
Ich sagte, das würde nichts bringen.
„Vielleicht hast du nicht die ausreichenden Noten dafür bekommen!“, entgegnete er.
„Hör mal, ich hab 27 von 30 Punkten in dem Fach erreicht.“
„Hast du dich informiert was für einen Numerus clausus du brauchst?“, fragte er.
„Ja, mindestens 25.“
„Hmm …“ Er grübelte eine Weile, dann sagte er: „Wir werden es bald wissen.“
Die Nacht war sehr lang und schmerzlich, ich konnte nicht schlafen. Mir gingen tausend Gedanken durch den Kopf. Morgens gegen drei Uhr stand ich auf und ging hinaus. Ich ging um den Block herum und fing an zu laufen, konnte aber nicht mal eine Viertelstunde am Stück laufen. Ich war sportlich eine Niete und hatte keine Kondition. Es war das erste Mal, dass ich über Sport nachdachte, vorher hatte ich nichts dafür getan. Ich kam verschwitzt und erschöpft zurück und legte mich ins Bett. Das Bett war eigentlich kein Bett, verdiente es nicht mal „Bett“ genannt zu werden. Es war eine dünne Schaumstoff-Matratze ohne Kern und eine Decke. Morgens taten mir alle Knochen weh.
Khalil (einer der drei Mitbewohner meines Bruders) sprach mich an, ob ich in der Nacht Selbstgespräche geführt hätte.
„Nein, das mache ich nicht.“
„Doch, letzte Nacht hast du im Schlaf geredet.“
„Was hab ich denn gesagt?“
„Irgendwas, ich hab es auch nicht verstanden, aber du hast lange geredet.“
Frühstücken konnte ich nicht, deshalb trank ich nur eine Tasse Kaffee und fuhr mit Munis mit dem Bus zur Uni. Der Portier am Tor fragte auf Arabisch “Le ween”, (wohin)?
Munis: “Marhaba, (Hallo), vielleicht können Sie uns weiterhelfen.“
“Shu fi”, “Was gibt’s denn?“, fragte er widerwillig.
„Mein Bruder hat eine Ablehnung bekommen und wir wollten wissen, warum?“ “Hezzuh”.
„Seine Chance“, entgegnete er mit einer Grimasse auf dem Gesicht.
Munis merkte, dass es mit dem Portier nichts brachte und wandte sich zu mir und wieder zurück zum Portier.
„Wo können wir nachfragen?“
„Bei mir“, antwortete er wieder belustigt.
„Mein Bruder hat die besten Noten und ist trotzdem abgelehnt worden“, er atmete tief durch. „Können Sie mir sagen, warum?“
Der Portier wandte sich kurz zu einer Frau, die rechts von ihm am offenen Fenster eines Eingangshäuschens saß, das direkt neben dem Tor war. Nachdem er sich wieder uns zuwandte, sagte er: “Hat hewitek“, „Gib mir deinen Ausweis.“
Ich griff in meine Tasche, holte meinen Ausweis hervor und gab ihn Munis, er überreichte ihn dem Portier.
Der Portier nahm den Ausweis, drehte ihn hin und her, schaute auf das Foto, das mittlerweile zerknittert war und verglich es mit meiner Person. Dann schaute er zu der Frau, und sagte mit belustigter Stimme: „Ausweis, nicht Kuhpapier.“
Die Frau lachte schallend und kicherte. Als ich das hörte, schoss mir das Blut ins Hirn, ich wurde wütend und fühlte mich erniedrigt. Ich ahnte die Gründe für meine Ablehnung. Ich schaute dem Portier in die Augen und sagte mit Verachtung: „Kannst du überhaupt lesen?“
„Hab Respekt, sonst …“, drohte der Portier.
„Sonst was?“, entgegnete ich laut.
Munis erhöhte seine Stimme, um meine zu übertönen und gab mir zu verstehen, dass meine Art zu nichts führt und er sagte zum Portier: „Das ist sein Ausweis, er hat keinen anderen, viele von uns haben keinen syrischen Ausweis, wir sind Ausländer aus der Provinz Al Hassaka, wir sind nämlich Kurden.“
Ohne nachzudenken, erwiderte der Portier: „Dann müssen Sie beim Al Mukhabarat, Geheimdienst in ihrem Bezirk, wo sie herkommen, nachfragen.“
„Welche von …“, Aber Munis ließ mich den Satz nicht zu Ende sagen, er griff mir an die Schulter und sagte:
„Das Problem wird hier nicht gelöst werden, lass uns bitte gehen.“
Ich wollte den Portier fragen, welchen Geheimdienst er meinte. In Syrien gibt‘s viele Geheimdienste. Es gibt den politischen Geheimdienst, den militärischen Geheimdienst, den zivilen Geheimdienst, den Außengeheimdienst und den Inneren Geheimdienst. Es gibt in Syrien siebzehn Geheimdienstapparate, die die Regierung zum Eigenschutz und auf sich zugeschnitten geschaffen hat.
An der Viktoria-Brücke mitten in Damaskus verabschiedeten wir uns. Munis fuhr weiter in Richtung Westen nach Al Zabadani, von da aus nach Serghaya an die Grenze zum Libanon, wo er seine Baustelle hatte. Er war ein guter Maurer und Verputzer und arbeitete hauptsächlich selbständig und privat mit anderen Mitarbeitern zusammen. Er arbeitete selbständig und privat deswegen, weil er keine Stelle bei diesem Staat bekommen konnte, aufgrund seines Status, nämlich eines staatenlosen Kurden, ein Ausländer der Provinz Al Hassaka.
Ich blieb in Damaskus und spazierte ziellos durch die Gegend. Unterwegs an einem Kiosk auf der Straße kaufte ich noch die Zeitung Al Hayat. Auf einmal befand ich mich vor dem Al-Hijaz Café, das nicht weit von der Viktoria-Brücke liegt. Ich ging hinein und bestellte mir eine Tasse Kaffee und ein Glas Wasser und bat den Kellner, mir einen Kugelschreiber zu geben, um das Kreuzworträtsel zu lösen. Das Kaffeehaus war voll, überwiegend mit Männern mittleren Alters, die Karten und Shesh besh spielten und an der Wasserpfeife inhalierten und rauchten. Der Rauch der Zigaretten und Wasserpfeifen bildete nebelartige Zustände; er schwebte bis zur Decke hinauf. Ich war nervös und unkonzentriert, ich konnte das Kreuzworträtsel nicht bis zu Ende lösen. Ich ließ es sein und blätterte die Zeitung durch.
Jemand tippte mir auf die Schulter, ich drehte mich um und sah Messoud mit einem breiten Grinsen vor mir.
“Merhaba, hallo, was machst du denn in Damaskus?“, fragte er.
Ich machte ihn nach, schob meinen Mundwinkel herunter und sagte: „Eigentlich wegen des Studiums.“
„Seit wann bist du da und wie geht’s der Familie?“
Wir wurden vom Kellner unterbrochen: „Wünschen Sie etwas zu trinken?“, fragte er Messoud?
„Ach ja, was trinkst du Messoud?“, fragte ich.
Es gibt gewisse Sitten und Gebräuche, die im Orient beachtet werden. So war es üblich, wer zuerst am Tisch gesessen hat, bestellt für denjenigen, der dazu kommt mit. Messoud bestellte einen Kaffee und eine Wasserpfeife zum Rauchen.
„Ich wusste nicht, dass du rauchst“, sagte ich.
„Eigentlich rauche ich gar nicht. Nur ab und zu Wasserpfeife“, antwortete er.
„Schön, dich wiederzusehen und herzlichen Glückwunsch. Also, du hast das Abi geschafft?“, fügte er hinzu.
„Ja, danke.“
„Und, und, ich meine was willst du denn studieren?“, fragte er.
„Eigentlich Französisch.“
„Ja schön, erzähl weiter.“
„Es gibt nicht viel zu erzählen.“
„Ach komm schon, Französisch, Französische Literatur und so, wird das Fach nicht auf der Uni in Mezzeh gelehrt? Hast du dich schon angemeldet? Mal zur Fakultät gefahren? Irgendein Mädchen kennengelernt?“, sagte er.
„Ja, doch.“
„Und, ist sie hübsch?“, sagte er aufmunternd, „Nein, ich meine, wann fängst du denn an? Im Sommersemester oder Wintersemester?“
„Weder noch?“, entgegnete ich mit heiserer Stimme.
„Was?“
„Ja, du hast richtig gehört, weder im Sommernoch im Wintersemester.“
„Wie das denn?“
Ich erzählte Messoud die Geschichte, dass es mit der Immatrikulation nicht geklappt hat und wie ich und Munis dort gewesen waren. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte.
„Hey, Kopf hoch, es wird schon, es gibt immer Mittel und Wege. Dein Cousin wird das regeln“, sagte er mit selbstbewusster Stimme.
„Wie denn?“
„Ich kenne jemanden, der wird es schon regeln können.“
„Wer?“
„Lass das meine Sorge sein. Du bist heute Abend mein Gast und zuhause reden wir weiter, erzähl mir über Bané Shkefté, das Dorf, was die Leute machen, ich bin seit über einem Jahr nicht mehr dort gewesen. Hast du meinen Vater gesehen, wie geht’s ihm?“ fragte er.
Bané Shkefté (arabisch: Kaf al Asuad) ist unser Dorf gewesen, die nächstgelegene Stadt ist Derik (arabisch: Al Malikiya). Mittlerweile lebe ich mit meiner Familie in Derik.
Die Städte und Dörfer sind arabisiert worden und zwar schon bevor ich geboren wurde. Eine Maßnahme der syrischen Regierung, die umgesetzt wurde, um angeblich die Gefahr der Kurden einzudämmen.
„Es tut mir leid, deinen Vater habe ich nicht gesehen. Aber allen geht’s gut, glaube ich.“ Ich versuchte ihn nochmals zu fragen, wen er meinte, diesen Jemand, der uns bei der Sache helfen könnte.
„Die Wände haben Ohren“, sagte er leise, sodass es keiner hören konnte. „Lass uns in Ruhe zuhause darüber reden.“ Er wechselte das Thema und übereichte mir die Wasserpfeife.
„Nimm einen Zug. Du musst nur kräftig an dem Ding ziehen“, er deutete auf Melthem Al Argile.
Ich zog kräftig daran und wollte auspusten, was ich einatmete, aber es war zu spät, ich musste stark husten, meine Augen tränten, ich dachte ich ersticke. Die Männer um uns herum schauten belustigt zu uns rüber, murmelten untereinander und grinsten. Messoud lachte schallend.
„Du Idiot, warum hast du mich nicht gewarnt“, sagte ich. Warum rauchst du diesen Mist? Nie wieder werde ich diese Scheiße rauchen.“ Es war mein erstes Mal.
„Nimm einen Schluck Wasser, du musst beim ersten Mal nicht so kräftig dran ziehen“, sagte er während er noch kicherte.
„Das hast du aber vorher nicht gesagt, du Idiot“, erwiderte ich.
„Man muss sich daran gewöhnen, Wasserpfeife ist ein Muss wenn man in ein Café geht“, fügte er hinzu.
Wer in Syrien gelebt hat, insbesondere in großen Städten, wie Damaskus oder Aleppo, muss höllisch aufpassen, mit dem was er sagt. Vor allem wenn es um Politik geht.
Vor meiner Geburt bis heute wird Syrien von der Baath-Partei regiert. Und als Hafiz Al Assad durch einen Militärputsch (1970) an die Macht kam, ließ er seine Weggefährten inhaftieren und in Einzelhaft stecken. Er schuf eine neue Verfassung, die er auf sich zuschnitt, wo er als Präsident alles bestimmen durfte, und er verschaffte seiner Partei (Baath-Partei) große Macht. Er verankerte die Rechte seiner Partei in der Verfassung.
Artikel 8 der syrischen Verfassung, seitdem Hafiz Al Assad an die Macht kam und bis heute, lautet: Baath-Partei: ist der Führer des Staates und der Gesellschaft. Er ließ weiterhin den Ausnahmezustand gelten.
Neben dem Militär schuf er noch zusätzlich viele Geheimdienstabteilungen mit uneingeschränkten Befugnissen, d. h. Geheimdienste werden nicht bestraft und dürfen nicht angeklagt werden, egal was sie tun. Sie dürfen Leute verhaften, foltern, ohne Gerichtsverhandlungen in die Gefängnisse stecken, nach Lust und Laune. Und das alles wird unter dem Vorwand nationale Sicherheit toleriert.
Laut Human Rights Watch werden 41 Arten von Folter in Syrien, um Geständnisse zu erpressen, praktiziert, trotz Syriens Mitgliedschaft in den internationalen Menschenrechtsorganisationen und UNO-Gremien. Es gibt in Syrien mehrere tausend politische Gefangene, tausende von ihnen sind seit Jahrzehnten ohne Anklage inhaftiert.
Die Menschen werden überall ständig kontrolliert, in Restaurants und Cafés werden Geheimagenten eingesetzt, um die Menschen zu belauschen, was sie über das Regime denken. Geheimagenten arbeiten als Taxifahrer, um zuzuhören, was die Fahrgäste erzählen, es werden sogar die Gespräche absichtlich in Richtung Politik gelenkt, um Informationen zu erhalten. Daher gilt in Syrien der Spruch: „Die Wände haben Ohren, pass auf, was du sagst.“
Wir (ich und Messoud) verließen das Al Hijaz Café gegen 17:30 Uhr und gingen in den Al-Hamidiyeh Basar, um in der kleinen Gasse neben der Umawiin-Moschee ein paar frische Lahm Ajin, Lamacun, zu essen.
Der Al-Hamidiyeh-Basar ist ständig voll mit Menschen, egal zu welcher Tageszeit; junge, alte, Frauen und Kinder, vor allem aber Touristen unterschiedlicher Kulturen. Um den einen Kilometer langen Basar zu durchqueren, braucht man mindestens eine halbe Stunde. Man muss sich mal querstellen, mal stoppen, mal einen Schritt zurückgehen, um an den Menschen vorbeigehen zu können, ohne ständig an den Schultern angestoßen zu werden.
An den Namen des Restaurants kann ich mich nicht mehr erinnern, es ist auch lange her, aber in der Tat waren es die besten Lahm Ajin, Lamacun, die ich je in Damaskus gegessen habe.
„Oh das schmeckt wirklich gut“, sagte ich zu Messoud.
„Siehst du, frag deinen Onkel, wenn du irgendetwas in Damaskus brauchst. Er weiß alles“, sagte er grinsend. Lahm Ajin oder wie bei den Türken hier in Europa Lahmacun genannt wird, wird in Syrien ganz anders zubereitet, viel kleiner und mit anderer Gewürzmischung.
Ich überredete Messoud, bevor wir zu ihm fuhren, einen kurzen Besuch bei Munis zu machen, um ihm Bescheid zu geben, dass ich bei Messoud übernachten werde.
Wir gingen zum Bushof zurück, der unter der Viktoria-Brücke liegt. Microbusse sind Busse, die wesentlich kleiner sind als normale Buslinien, an die wir hier in Europa gewöhnt sind, aber trotzdem werden mehr Menschen damit befördert. 26 Sitzplätze plus mindestens noch 26 Stehplätze, hinzu kommen noch 3 bis 4 Personen, die sich irgendwie an die Tür klemmen, so bleibt die Tür während der Fahrt offen und geht nicht zu.
Wir nahmen in der Mitte Platz und bezahlten 5 Syrische Lira jeweils 2,50 in Richtung Qudssaya und Al Zabadani. Die Fahrt dauerte etwa eine Stunde und der Bus hielt jede paar Minuten an, um Fahrgäste aufzunehmen, oder welche raus zu lassen. Jeder Mensch an der Straße, der auf sich aufmerksam machte, zum Beispiel durch ein Handzeichen oder sonst irgendwie, konnte den Microbus anhalten. Hauptsache 2,50 bezahlen.
Auf der Hauptstraße in Dummer hielt der Microbus an und wir stiegen aus. Wir überquerten die Hauptstraße auf die andere Seite und gingen den Berg hoch etwa eineinhalb Kilometer weit. Außer Atem kamen wir an. Normalerweise stand die Tür bei der Hitze immer auf, wenn jemand sich drinnen befand, aber die Tür war zu und wir ahnten, dass die Jungs noch nicht von der Arbeit zurück sind. Wir klopften einige Male an die Tür, keine Reaktion. Ich schrieb auf ein kleines Stück Papier:
„Lieber Bruder, sei bitte nicht besorgt. Ich übernachte heute bei Messoud und wir sehen uns bald. Piroz“. Ich schob den Zettel unter die Tür und wir liefen die Straße hinunter und nahmen an der Hauptstraße den Microbus, in Richtung Damaskus City.
Unterwegs redete Messoud ununterbrochen von seinen Erlebnissen und Abenteuern in Damaskus. Seine Erlebnisgeschichten von den libanesischen Prostituierten fand er besonders lustig und er lachte immer dabei. Wie er eine Prostituierte hinters Licht geführt hatte, indem er sich als Geheimdienstmitarbeiter ausgegeben hatte, nur um nicht bezahlen zu müssen.
Offizielle Prostitution ist in Syrien verboten, aber trotzdem gibt es sie. Die Hotels und Nachtclubs sind voller Frauen aus dem Libanon, Ägypten und aus vielen anderen osteuropäischen Ländern. Die Geheimdienste wissen natürlich davon und tolerieren dies. Es gibt nichts in Syrien, was die Geheimdienste nicht wissen.
Wir sind in Damaskus gegen 22:00 Uhr angekommen, der Abend war schon angebrochen, der Wind wehte angenehm, erfrischend und kühl, von der Hitze war nichts mehr zu spüren und das Abendleben in Damaskus ist verdammt schön und verführerisch.
„Hast du keine Lust dich abzukühlen“, fragte Messoud mich plötzlich.
„Es ist schon kühl geworden“, sagte ich. „Schau mal, es ist jetzt sehr angenehm, wow, das wunderschöne Wetter“, sagte ich weiter und dachte, vielleicht möchte er mich auf ein kaltes Getränk oder ein Eis einladen.
„Nein, du hast mich nicht verstanden. Ich meine, hast du keine Lust auf eine Frau, wie z. B. eine Libanesin. Die sind so geil, du wirst deine Sorgen für immer vergessen.“
„Nein danke, ich bin wirklich nicht in der Stimmung, außerdem habe ich noch nie mit einer Frau … du weißt ja, was ich meine“, sagte ich zögernd, „geschlafen.“
Er fing zu grinsen an und sagte, „es ist ganz einfach, du lässt sie alles machen, sie weiß was zu tun ist.“
Es ist nicht unüblich, dass man in Syrien in so jungen Jahren noch Jungfrau ist, wenn man sich gegen die Heirat stellt.
„Na komm, es ist höchste Zeit, dass du den Geschmack einer Frau zu spüren bekommst“, sagte er und nahm mich an den Schultern, „wir gehen zum Al Merje Platz“. Der Al Merje Platz ist voll mit Restaurants, Imbissen und Hotels, ich glaube, die Hälfte der Hotels und Restaurants, die sich in Damaskus befinden, sind hier in Al Merje.
Unterwegs standen wir vor einem kleinen Imbissladen, bestellten uns zwei Schauerma Sandwiches, zwei Ayrans und aßen zu Abend. Es war eine kleine Mahlzeit zur Stärkung vor dem Akt. Für den großen Hunger hatte Messoud schon seine Frau angerufen und ihr Bescheid gegeben, dass er einen Gast mitbringen würde. Während wir noch vor dem Imbissladen in unsere Sandwiches bissen, näherte sich ein junger Mann, schlank, mit schwarzen Haaren; er trug Sandalen. Er murmelte leise etwas zu Messoud, ich schaute zu ihm rüber und erkannte sofort, dass er ein Zuhälter war. Man erkennt diese Typen sofort. Sie sehen alle gleich aus, sie sitzen meistens auf den Treppen vor den Hotels, vor dem Eingang und beobachten jeden Passanten, der vorbeigeht. Sie merken schnell, wenn ein Fremder deren Territorium betritt. Sie fangen mit dem Fremden zu sprechen an und schwören, die besten, geilsten und hübschesten Prostituierten zu haben. Sie versprechen ihnen alles, was die Kunden gerne hören wollen. Ich habe nicht viel mitbekommen, nur das Nicken Messouds mit dem Kopf, und das Wort Mashi, was so viel bedeutet wie o. k., verstanden.
Er trank seinen Ayran aus und nahm sich noch eine Serviette, wischte damit seinen Mund ab, rieb die Hände zusammen, schaute grinsend zu mir und sagte „Los, gehen wir.“
„Du meinst doch nicht im Ernst, es ist zu spät, lass uns nach Hause fahren, bitte“, sagte ich.
„Schau mich an. Schau mir in die Augen, Ich glaube, mein Cousin macht in die Hose“, zwinkerte er mich an.
„Hör auf damit“, sagte ich.
„Na komm jetzt, du wirst es nicht bereuen, ich verspreche es dir.“
„Messoud! Lass es bitte, ich habe ehrlich keine Lust. Außerdem ich habe auch kein Geld für so was.“
„Mach dir wegen dem Geld keine Sorgen, ich leihe es dir. 150 oder 300 syrische Lira, wenn du eine halbe Stunde willst. Ich buche auf jeden Fall für eine halbe Stunde.“
Er öffnete sein Portemonnaie und zog 300,00 Syrische Lira heraus und überreichte sie mir und sagte: „Einmal ist keinmal“, und lief vor mir hin.
Natürlich verstand ich, was er mit „Einmal ist keinmal“ gemeint hatte. Also nahm ich auch eine halbe Stunde die Dienste der guten Dame in Anspruch. Unbeabsichtigt blieb ich stehen und fing an, über mich zu grübeln. Ein seltsames Gefühl der Reue und Scham zugleich ging über mich her. Was mache ich hier? Wo bin ich hier? Ich hatte keine Angst vor dem Versagen bei dem Beischlaf mit einer Frau und hatte auch keine Bedenken wegen Sünde im islamischen Sinne. Nein, nur ein schlechtes Gewissen?! Ich tat mir leid.
Er war ein paar Schritte vor mir gegangen und hatte sich gedreht. „Hey kommst du jetzt! Du brauchst keine Angst zu haben, wer bekommt schon so eine Gelegenheit“, rief er.
Ich hatte ihn zuerst nicht gehört und als ich zu ihm rüber schaute, war er mir ein paar Schritte entgegengekommen und sagte, yella, khelesna, lass uns gehen.
Wir gingen ins Hotel Al Kheyam. Messoud vor mir und ich hinter ihm her. An der Rezeption saß ein Mann mittleren Alters, vollschlank, mit grauen Haaren, neben ihm stand auch unser Zuhälter. Der Zuhälter beugte sich zu dem Ohr des grauhaarigen Mannes und flüsterte ihm etwas Unverständliches ins Ohr. Der grauhaarige Mann nickte ohne seinen Blick von seiner Zeitung zu nehmen. Wir gingen die Treppe hoch in die zweite Etage und auf der Couch im Salon nahmen wir Platz.
Der Zuhälter verschwand für ein paar Minuten in ein Nebenzimmer, er kam mit breitem Lächeln zurück und sagte, “Thewani” was so viel bedeutet wie, sie kommen sofort und fragte uns, ob wir etwas trinken möchten, „Tee oder Kaffee?“
Wir bestellten zwei Tassen Kaffee und sahen, wie die Frauen hintereinander aus dem Nebenzimmer auf uns zukamen. Sechs Frauen, zwischen 18 und 35 Jahren alt, so in etwa schätzten wir. Sie näherten sich uns und gaben uns die Hand.
Eine nach der anderen, sie sagten dabei ihre Namen. Natürlich nicht ihre echten Namen. Nadia, Feyroz, Meha, Heyat, Leyla und Bidor saßen neben uns. Auf jeder Seite 3, sodass wir aufeinander saßen, da die Couch nur ein Drei-Sitzer war. Messoud beobachtete jede gründlich von oben bis unten und insbesondere die Oberweiten, sie waren alle fast nackt, nur mit Unterwäsche (Dessous). Welche Unterwäsche? Nein, das Teil verdiente nicht diesen Namen. Weil diese Dinge nichts verbergen konnten, zumindest nicht das, was eigentlich ihre Aufgabe war. An den entscheidenden Körperstellen war mit dem Stoff erheblich gegeizt worden. Nur Bidor trug zusätzlich noch einen Schlafrob drüber, der aber auch durchsichtig war, sodass alles zu sehen war. Ich schämte mich anfangs und sobald das Gespräch begann, fühlte ich mich nach und nach wie zu Hause.
Der Mann brachte unseren Kaffee und deutete auf die Mädchen hin und fragte: „Na, habe ich zu viel versprochen? Sie sind die besten.“
Messoud schaute zu mir und fragte: „Welche willst du?“ Ich sagte: „Du zuerst.“
Er fragte die Mädels noch mal nach deren Namen und sagte dann: „Die, die will ich heute“, er deutete auf die Feyroz.
Ich musste lachen, alle schauten mit fragenden Augen zu mir.
„Oh entschuldige bitte, ich habe nichts damit gemeint“, und dann sagte ich zu Messoud: „Was meinst du mit heute, bist du etwa ein Dauergast oder was?!“
Als ich das gesagt habe, fingen alle an zu lachen, und Nadia sagte mit Blick auf Messoud gerichtet: „Ich glaube, wir haben auch die Ehre gehabt oder …?“
„Jetzt kommen wir zum Geschäft“, sagte der Zuhälter und befahl den Frauen uns alleine zu lassen. Die Frauen standen auf und gingen mit modelartigem Gang weg. Einige warfen uns über ihre Schultern noch Blicke hinterher.
„Also, wieviel?“, fragte Messoud.
„200,00 Lira, oder 350,00 Lira für halbe Stunde“, sagte der Zuhälter.
Messoud hob seine Augenbraue und sagte: „Hör mal, mein Lieber, das ist nicht das erste Mal, dass ich hierher komme, ich weiß nämlich, wie viel ich immer bezahle, außerdem, da ich so oft hier bin, sollten wir langsam über einen Rabatt reden.“ Der Mann protestierte energisch und tat so, als ob er beleidigt wurde.
Die Taktik ist, dass man dann aufsteht und so tut, als ob man gehen möchte, so erklärte mir Messoud auf Kurdisch, was wir dann auch taten. Wir sind aufgestanden und dabei sagte Messoud zu dem Mann, „So kommen wir nicht ins Geschäft.“ Du bist teuer, mein Lieber, und ich kenne viele, die billiger sind und dahin gehen wir jetzt.“ Nur blöderweise, der Mann hat uns verstanden, er war auch ein Kurde, der in Damaskus lebte. Er sagte zu unserem Erstaunen, „Seid ihr Kurden? Setzt euch, woher kommt ihr denn? Aus welcher Stadt?“ Das war peinlich, ja in der Tat peinlich.
Wir schauten uns schockiert an und setzten uns wieder hin und blieben still.
„Also wir sprechen die gleiche Sprache, nochmal woher kommt ihr?“, sagte der Zuhälter.
„Aus Al Jazeera. Wir sind aus Al Jazeera“, erwiderte Messoud. Das Gebiet Al Jazeera erstreckt sich von Provinz Al Hassaka bis zur türkischen Grenze nördlich, und zur irakischen Grenze östlich, und ist überwiegend von Kurden bewohnt.
„O. k., o. k., 150,00 einmal oder 300,00 für eine halbe Stunde, das ist mein letztes Angebot. Entscheidet euch, ihr habt genug von meiner Zeit verschwendet“, sagte der Zuhälter.
„Einverstanden“, erwiderte Messoud, „und wir sind Kunden, der Kunde ist König mein Lieber“, fügte er hinzu.
„Was nun, halbe Stunde?“, fragte er.
„Einmal ist keinmal“, erwiderte Messoud und grinste zu mir hoch.
„Also begebt euch jeder in ein separates Zimmer. Ach ja, welche willst du?“, er deutete auf mich.
„Ich? Ich will … die Langhaarige, ja schwarze Haare, wie heißt sie noch mal?“
„Bidor“, sagte der Zuhälter und ich sprach ihm nach „ja Bidor, ich meine Bidor.“ Und ich verschwand in ein kleines Einzelbettzimmer, das außer einem Bett nur einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen hatte.
Nach ein paar Minuten hörte ich das Klackern ihrer Schuhabsätze auf den Fliesen. Es wurde lauter und lauter und sie näherte sich meinem Zimmer, ich hatte vor lauter Aufregung schon Schweiß auf der Stirn. Ich spürte, dass mein Blutdruck langsam anstieg und mein Herz schneller schlug. Sie klopfte an die Tür. „Herein“, sagte ich und hörte meine Stimme kaum. Sie öffnete die Tür und ich sah sie hereinkommen. Sie trug einen langen, engen, weißen Rob voll mit Glitzer, was ihre Figur betonte und sie fiel mir größer auf, als sie war, wahrscheinlich wegen ihrer hohen Absätze. Ihre Haare erreichten ihre Hüften, frisch frisiert, glänzend und schwarz wie die Nacht, sie drehte sich um und schloss die Tür. Dabei schlug sie die Haare zur Seite und als sie zu mir hinauf sah, war das Gesicht mit Haaren zum Teil verdeckt, sie befreite ihr Gesicht und lächelte mich an. Ich konnte meine Aufregung nicht verbergen und ich wusste, dass sie das merkte, sie kam auf mich zu und näherte sich mir, ich konnte keinen Schritt zurückgehen, da das Bett hinter mir war, ich spürte meine Aufregung mehr und mehr. Sie erreichte mich, hielt mein Gesicht mit beiden Händen fest und gab mir einen Kuss auf die Wange. Gleichzeitig flüsterte sie in mein Ohr und fragte: „Wie heißt du, mein Süßer?“ Ich spürte ihren Duft, oder war das ihr Geruch!? Jedenfalls sehr angenehm, eine Mischung aus Rosen und Pferdeblumen, es hat mir sehr gefallen. Ich hatte ein paar Sekunden Entspannung gespürt und meine Atmung fing an sich zu normalisieren. „Piroz, mein Name ist Piroz“, antwortete ich auf ihre Frage.