Kitabı oku: «100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2», sayfa 9
Beim Rundblick nach dem schönsten Standplatz stellen wir im diffusen Licht überrascht fest, dass wir die einzigen Gäste sind. In abgelegenen Gegenden ist das hier zwar keine unbedingte Besonderheit, doch teilt uns die Eigentümerin kurz darauf mit, dass der Platz geschlossen sei. Das Ehepaar, der Hausherr ein gebürtiger Deutscher, nicht mehr der jüngste und ziemlich krank, hatte sich deswegen entschlossen, den Platz zum Verkauf anzubieten. Wir dürfen aber dennoch bleiben, kostenlos, obwohl Strom und Wasser zur Verfügung stehen. Etwas entfernt vom Ufer richten wir uns auf einer kleinen Anhöhe ein, denn von hier aus wirkt der See im schwachen Abendlicht richtig romantisch, und als das Feuer knistert, die Steaks auf dem Rost liegen, und wir uns ein kaltes Bier in dieser Abgeschiedenheit gönnen, kommt schon eine gewisse Wildwestromantik auf. Ganz echt ist die Situation natürlich nicht, denn statt im Sattel, sind wir mit einem komfortablen Wohnmobil unterwegs, und die Steaks stammen schließlich auch aus dem Supermarkt. Doch dann wischt der „Loon“ mit seiner markerschütternden Melodie diese kleinen Unkorrektheiten von einem Moment auf den anderen beiseite. Sein Ruf ist ursprünglich und durchdringend, aber sanft, klagend und wehmütig mahnend. Er verkörpert Wildnis und Sehnsucht, und lässt so manche Gänsehaut entstehen. Ihm hier zu lauschen ist wunderschön. Seine Rufe, die einsame Stille und Weite, der sich auf die Nacht vorbereitende See, die hereinbrechende Dunkelheit und das flackernde Feuer mischen eine perfekte Atmosphäre zusammen. Es ist wieder einer jener magischen und vollendeten Momente, wie so viele in diesem Land auf unseren Reisen. Man muss einfach nur da sein, mehr braucht es nicht.
Und dabei gehen mir auch einige Passagen des Buches „Grass beyond the Mountains“ – „Nothing too good for a Cowboy und A Rancher takes a Wife“ komplettierten diese Lebensgeschichte – durch den Kopf, das ich kürzlich gelesen habe, und in dem Richmond P.Hobson jr. die Geschichte von Cowboys erzählt, die hier ganz in der Nähe, bei Anahim Lake, begann. Es war seine eigene, die des Mannes, der 1907 in Washington D.C. geboren wurde, nach Militärdienst und Universität sein Geld auf den Ölfeldern in Texas, und später in New York mit Immobilienverkäufen verdiente, beim Börsencrash 1929 die für den Kauf einer Ranch gedachten Ersparnisse aber restlos verlor. 1932, als er seine Miete nicht mehr zahlen konnte, flog er von New York nach Wyoming und arbeitete zwei Jahre lang auf Ranches. Und in diesem Bundesstaat traf er im Winter 1934 auch auf „Panhandle“ Pan Phillips, der unter Cowboys und Pferdeleuten nicht nur in Wyomings Pfannenstil berühmt war. Und eines Nachts, als der Ex-Villenverkäufer zur Ranch zurückkehrte, überraschte er diesen Mann, als er über Landkarten und Zeitungen versunken grübelte. Wortlos tippte jener zur Erklärung auf einen fast weißen Ausschnitt, der nur eine schwarze, gebogene Linie aufwies. „Blackwater River“, erklärte Pan und fügte hinzu „eine Goldmine, in British Columbia“. Gold? Welche Art von Gold wollte sein Gegenüber wissen. Nuggets, Hard Rock oder nur vergrabene Goldstücke? Die Antwort war aber eine ganz andere: „Diese Karten zeigen alles, was in diesem südlichen Bereich der Provinz, die so groß ist, wie Wyoming und Montana zusammen, bekannt ist, und es gibt Berichte, dass es dort Grasland gibt, soweit das Auge reicht. Und dieses Gras ist meine Goldmine, unbekanntes, ‚freies‘ Grasland, das auf hungrige Rinder wartet!“ Und Pan fuhr fort: „Ich habe im Winter mit jemandem gesprochen, der bis ins Chilcotin gekommen war. Und auch das ist Grasland, ein big frontier cattle country, aber was hinter den Itcha-Gebirgen, hohe, unberührte Berge, die noch niemand überquerte und deren Terrain völlig unbekannt ist, liegt, das weiß dort auch niemand. Und auf den Karten, die ich von British Columbias Gouvernement angefordert habe, ist so gut wie noch nichts eingezeichnet, nur ein Stück von diesem Fluss.“ Rich Hobson schaute auf und fragte „Und wann brechen wir auf, um dieses Land zu erkunden?“ Das Vorhaben ließ nicht lange auf sich warten, und auf ihren ersten Meilen stoppte das Duo auf der TL Ranch, wo sie beide schon gearbeitet hatten. Dort erzählten sie dem 60-jährigen George Pennoyer – einer der renommiertesten Cattle Rancher Wyomings – von ihrem Plan und diskutierten die notwendigen Vorbereitungen. Später in der Nacht, als sie wieder in den Sattel stiegen, war der breitschultrige Farmer mit den Worten zu vernehmen: „Boys, wenn es wirklich dieses Grasland gibt, dann bin ich Euer Partner, und wir gründen eine wirkliche ‚Frontier Cattle Company‘. Good luck and good riding …“
Am 15. Oktober 1934 rollten die beiden „Cowhands“ in einem alten Ford über die kanadische Grenze und erreichten auch bald, auf der Höhe des heutigen Ortes Clinton, die Grenze des Graslandes, auf dem sich einige der größten Ranches von Kanada und der Vereinigten Staaten befanden. Fünfzig Meilen nordwestlich, und auf der Ostseite des Fraser Rivers, waren das die Dog Creek und Alkali Lake Ranches, und gegenüber die famose Gang Ranch, Nordamerikas größte. Mit mehr als vier Millionen Acker war sie mindestens dreimal größer als, die berühmte King Ranch der Kleberg-Familie in Texas. Danach fuhren die beiden Cowboys durch das Gebiet der 100 Mile House Ranch, die dem Engländer Lord Martin Cecil gehörte und kauften in Williams Lake alles an Ausrüstung und Lebensmitteln ein, was sie für die Erkundung des unbekannten Landes brauchten. Vom Schinken bis zum Salz, und von der Bandsäge bis zu Hufnägeln kam alles am 20. Oktober auf das alte Auto, das sie nach Tatla Lake, an der Grenze zur absoluten Wildnis und in ein Land brachte, wo „halbwilde Gesetzlose wilde Pferde jagen und sich von Elchfleisch ernähren“, so ein Fuhrwerker, der mit seinem Gespann das Auto bei Alexis Creek aus dem Schlamm ziehen musste. Und dort, nordwestlich vom See, waren die Berge der Itchas und Algaks zu sehen, die sich in der Ferne auftürmten, und die sie bezwingen mussten, um das unbekannte Land, ihr Ziel dahinter, zu erreichen.
Auf der Höhe von Anahim Lake war die Kunst des Autos zu Ende. Noch wichtiger als Pferdekauf war jedoch, ein Dach über den Kopf zu bekommen, denn es war bereits bitter kalt. So wurden Bäume gefällt und aus 50 Stämmen in zwei Tagen eine Hütte errichtet, um deren Feuer am zweiten Abend mehr als ein Dutzend „Anahimer“ saßen. Zu denen, die von der Ankunft der Neuen an den Quellwassern des Dean Rivers gehört hatten und gekommen waren, gehörte auch David Dorseys damals 45-jähriger Großvater Lester Dorsey, dessen Hütte wir 2002 am Tanya Lake mit seinem Enkel David aufgesucht hatten. Den Winter verbrachten die beiden Männer jedoch auf Cyrus Lord Bryants Farm, der zwölf Jahre früher mit seiner Frau und vier Kindern einen von sechs Pferden gezogenen Wagen über 1.000 Meilen von Süden Washington in das Innere von British Columbia gesteuert, und unter größten Entbehrungen eine neue Existenz aufgebaut hatte. Im letzten Jahr war er umgezogen, um in ein neues Heim, bei dessen Bau seine Töchter und Sohn Alfred die Axt genauso professionell schwangen, wie sie im Sattel ritten und mit dem Gewehr umgehen konnten. Die schweren, harten und entbehrungsreichen Jahre hatten sich inzwischen aber ausgezahlt, denn die weißköpfige Cattle-Herde zählte etwa einhundert, die der Pferde mehr als fünfzig Köpfe. Der einzige Nachteil schien hier nur zu sein, dass das Holzbohlenhaus mehr als 360 Kilometer von den nächsten Geschäften und der Eisenbahnlinie entfernt war. Und hier fassten „Rich“ und „Pan“ ebenso mit zu, wie bei den Nachbarn, denn das war hier nicht nur so üblich, sondern auch eine Möglichkeit zur Konversation und um Land und Leute kenn zu lernen.
Als die Zeit für den Erkundungstreck über die Berge gekommen war, und die gekauften Pferde gesattelt und bepackt werden mussten, waren nicht nur der später berühmte und eigenwillige Nimpo, Stuyve, Old Scabby White, und der für sechs Dollar von Cyrus Lord erstandene Old Joe dabei, sondern auch Lester Dorsey. Dieser echte Busch-Cowboy, der fast aller zwei Jahre eine neue Ranch baute, hatte er ein besseres Tal als das vorherige gefunden, war unter den Helfern besonders wertvoll. Und zu denen, die sich nun auf den unbekannten Weg machten, um das Gras hinter den Bergen zu suchen, wo ihr Traum, eine Cattle Ranch zu besitzen, 1937 auch in Erfüllung ging, zählte auch der erst 18-jährige Tommy Holte, der soeben erst einen 450-Meilen-Trip zu Pferd nach Williams Lake hinter sich gebracht hatte.
Der Weg über die unbekannten Gebirgszüge der Itchas, und durch das unberührte Land dahinter, wo das vermutete Grasland im Norden von British Columbia zu finden sein sollte, war aber nicht nur ein schwieriger, sondern eine Tortur für Mensch und Pferd. Aber die engen Pässe, dichten Wälder und Sümpfe, Gefahren, Qualen und Schindereien waren der Vorgeschmack auf das, was der spätere Viehtrieb mit sich bringen würde. Aber ihr Traum wurde erfüllt, denn dort, wo sich heute das Interior Plateau und der Blackwater River ausbreiten, wurden sie fündig und gründeten die „Frontier Cattle Company“, die sich über vier Millionen Acker ausbreiten sollte. Im Frühjahr 1937 kauften sie eine Herford-Zuchtherde und trieben die Tiere über die verschneiten Berge zu den Itcha Prairies, wo diese den Sommer verbrachte, um im Herbst zur selbst gebauten Home Ranch – später, und zusammen mit der „Batnuni“, eines der beiden Headquarters der Frontier Cattle Company – weiter zu ziehen. Und dort begann der weite Treck für die Überwinterung, durch Schnee, Kälte und das dunkle Land der Wölfe, in das Batnuni Lake-Country, das die nordöstlichste Ecke der angedachten Cattle Ranch sein würde, während als westliche Nordgrenze der Tetachuck Lake galt, an dem heute die Nature Trails Wilderness Lodge, fern jeglicher Zivilisation, einlädt. Jenes letzte Stück des Trecks war für Rich, Pan und Tom der entscheidende Abschnitt, denn nur, wenn Richtung Batnuni Lake der Treck erfolgreich verläuft, waren auch die New Yorker Investoren bereit, den großen Traum dieser drei „Cowhands“ zu verwirklichen.
Im Mai 1937 traten 75 starkknochige, weißköpfige Kühe, Kälber, ein Bulle und eine schwarz-weiße Milchkuh, die jeweils 13 Dollar gekostet hatten, diese mörderische Tour über Hunderte von Meilen durch wildes Land an, bei der sie auch hohe Gebirgszüge meistern, und sich schwimmend durch Flüsse kämpfen mussten, deren Eisschollen als zusätzliche Gefahr galten. Wölfe und Grizzlys, erfrieren und verhungern kamen als Begleiter auf diesem Treck hinzu, der fast mit einem Desaster geendet hätte, und der im Norden von British Columbia als „Starvation Drive“ in die Geschichte einging. Am 11.Dezember, bei 42 Grad minus, war die Herde noch 28 Meilen vom Ziel entfernt, und am späten Abend des 14.Dezembers trafen 30 Rinder, Pferde und Männer erschöpft, halb verhungert und eisig durchgefroren in der Ebene der Batnuni Ranch ein, wo Heu für die Tiere bereit lag, und dünner Rauch himmelwärts aus einer Blockhütte zog und Wärme verkündete.
Viele Jahre später lebte Richmond P.Hobson, der in den 1940er Jahren die Partnerschaft mit Pan Phillips beendete, auf seiner River Ranch fünfzig Meilen südlich von Vanderhoof am Yellowhead Highway, wo er 1966 verstarb, nachdem er als Rancher zwei weitere Bücher über sein Leben und das seiner Frau Gloria geschrieben hatte. Als ihn Yannick Bisson in der nordamerikanischen CBS TV Serie „Nothing Too Good For A Cowboy“ verkörperte, und diesen Mann und seine Mitstreiter in die Herzen von Millionen Zuschauern spielte, wurde das harte Leben dieser Pioniere wieder lebendig. Und wer heute auf der Blackwater-Spruce Ranch, 70 Kilometer nordwestlich von Quesnel Urlaub macht, wo Angus-Hereford Cattle gezüchtet und Pferdetrecks angeboten werden, der ist nicht nur in der Nähe des Blackwater Flusses, sondern kreuzt bei Viehtrieben auch Trails, die damals Pan und Rich erschlossen haben. Yvonne und Dale Dunn bieten außerdem auch einen 21 Tageritt über den Alexander Mackenzie Heritage Trail zum Rodeo nach Anahim Lake und wieder zurück zur Ranch an, der Westernfeeling und Vergangenheit verbindet.
Und an einem Abend wie heute musste ich zwangsläufig an jene denken, von deren Härte, Qualen, Hunger, Erschöpfung, Entbehrungen oder Rastlosigkeit ich gelesen habe, als sie dieses Land erschlossen und mit übermenschlicher Kraft und Willen Großes und Unvorstellbares leisteten, oder an die Geschichten um Pot-Belly Black, die noch am Abend jener Ankunft Zwillinge gebar, oder an die, die Pferde wie Nimpo, Stuyvie, The Pildriver, Big George, Old Joe und all die anderen Helfer schrieben, die direkt oder indirekt bei dieser Tortur dabei waren. All das ist noch keine hundert Jahre her. Das damals unbekannte Land beginnt heute fast neben der Straße, und der Puntzi Lake, der südöstlich der Itcha Bergzüge liegt, ist so weit von ihnen auch nicht entfernt. Und der Loon, dessen wehmütiger Gesang über den See gleitet und in der hereinbrechenden Dunkelheit verhallt, hätte niemals zu meinen Gedanken besser gepasst als in diesem Moment.
Nach einer Weile der Stille sagte einer von uns ganz leise, und mehr zu sich selbst: „Vierzig Jahre jünger, das hier könnte es sein.“ Ja, wir würden auswandern, und warum kein Campingplatz, wenn alles stimmt? Und dann ertappe ich mich, wie meine Gedanken „Jack und Faye’s Place“ schon ein wenig umgestalten: Die alte Lodge, direkt am klaren See, wird durch ein modernes „Log-Building“ ersetzt, in dem auch ein gutes, uriges Restaurant Platz hat. Auch die derzeitigen Sanitärräume müssten umziehen, denn rechts und links des Hauptgebäudes wären voll eingerichtete „Cabins“, Blockhütten für Selbstversorger, eine bessere Alternative. Der Campingplatz für die Wohnmobile, alle mit „Full-Hook-Up-Anschluss“, wird auf die Hälfte reduziert, der Rest nur mit zentralen Anschlüsse ausgestattet und denen billiger angeboten, die keine eigenen Anschlüsse benötigen. Die Zufahrt müsste bis zum Abzweig asphaltiert, und der Platz auffälliger ausgeschildert werden. Und was fehlt dann noch? Zwei ordentliche Hunde, ein Pick-Up und ein Motorboot, später vielleicht noch ein paar Pferde, auf denen die Gäste die Umgebung erkunden könnten. Ja, hier könnte es mir schon gefallen. Aber …
Und genau deswegen sind wir am nächsten Morgen auch wieder auf dem Boden der Realität und früh auf den Beinen. Der nächtliche Regenschauer hat die Luft würzig erfrischt, es tut gut, tief einzuatmen. Die üblichen Handgriffe vor der Abreise, Wasser nachfüllen, Müll wegbringen, Anschlüsse lösen, Kabel und Schläuche verstauen, sind inzwischen Routine, wie die übliche Tasse Kaffee und das Croissant. Noch ein kurzer Blick ins Reisetagebuch, dann kann der Zündschlüssel umgedreht werden, und unser hubstarker Motor beginnt wieder sein vertrautes Lied zu summen. Die Richtung, mit einigen Stopps und Abzweigungen unterwegs, heißt Williams Lake. Wie das aber ganz genau wird, werden wir vor Ort entscheiden, denn eigentlich wollen wir später am Tag Forststraßen nutzen, und ob das machbar ist, lässt sich nicht aus der Karte ablesen.
Nach dreißig Kilometern, am Berg hinter Redstone, passieren wir im hügeligen Gelände und direkt am Highway, wieder dem Indianerfriedhof, dem wir einige Minuten widmen. Für europäische Augen ist diese letzte Ruhestätte eher ein etwas wirres Durcheinander. Strukturen sind nicht zu erkennen, aber jedes Grab ist von einem viereckigen Zaun mehr oder weniger schief umrahmt. Auffallend, und mitten auf einem Hügel, ist eine frische, sehr große und mit vielen Blumen geschmückte Grabstätte. Ihr Holzzaun ist weiß gestrichen, und viel höher als all die anderen. Kein Name, kein Datum, kein Spruch. War es ein Kind, oder ein Häuptling?
Am „Bull Canyon Campground“ nützen wir den Picknickplatz für das zweite Frühstück. Das ist zwar noch etwas früh, doch in dieser Gegend bieten sich noch einige Abzweige an, und die verlangen einen genaueren Blick in die lokalen Karten. Während Sabine Eier, Speck, Paprika und Tomaten brät, beschäftige ich mich daher mit Wegen und Straßen, die zum Farewell Canyon und dem Sheep Range Park führen. Eine weitere Piste zieht zur Gang Ranch, dann über Dock Creek, Alkali Lake und Spring House weiter nach Williams Lake. Den Abzweig in Dock Creek nach Clinton streiche ich sofort, der liegt zu weit im Süden, und der Rest ist am Abend Makulatur, weil ein schwerer Regenguss hinter alle Schotterpisten ein dickes Fragezeichen setzt, und vom Farewell Canyon die direkte Rückkehr zum Highway verlangt. Der schlechteste Abschnitt auf unseren Wunschpisten beträgt zwar weniger als 30 Kilometer, aber in dieser Gegend ist man sechzig, siebzig vom Highway entfernt und auf sich allein gestellt. Ein solches Risiko kann man nicht eingehen, sodass Vernunft und Verzicht keine Alternative haben.
Farewell Canyon, Wells Gray und weiter nach Norden
Nach dem Frühstück gehen wir nochmals ein Stück am Ufer entlang, doch die Bärin mit ihrem Jungen, die wir auf der Herfahrt beobachten konnten, ist heute hier nicht unterwegs, und der nächste Kurzstopp, in Alexis Creek, dient eigentlich nur dem Post Office, um ein paar Urlaubsgrüße auf den Weg zu bringen. Weil wir aber einmal hier sind, werfen wir auch noch einen Blick in den benachbarten „General Store“, denn in so abgelegenen Gegenden sind diese Läden oft sehr interessant. Dieser hier ist erstaunlich akkurat aufgeräumt und gut sortiert. So überraschend das ist, so simpel ist auch die Erklärung: Der Besitzer ist gebürtiger Südkoreaner und seit vierzehn Jahren im Land, und auf seine Ordnung angesprochen lächelte der eher dünn-zerbrechliche Mensch höflich und meint, „das habe ich zu Hause so gelernt“. Sabine kauft bei der Gelegenheit Brot, Butter und Obst, und ich werde am Bücherständer mit drei Gebrauchten fündig, deren Titel Historisches und Geschichten von Cowboys, Trappern, Goldsuchern, Wild-West-Ladies und ähnlich verwegenen Typen vermuten lassen, wohl aber auch viel „Seemannsgarn“. Beim Bezahlen sind wir immer noch die einzigen Kunden, sodass ich auch noch das Thema Süd- und Nordkorea anspreche, aber auch da hält sich der „lächelnde Dünne“ vornehm zurück. Wir stellen lediglich gemeinsam fest, dass Politiker nur an sich denken, und es sinnlos ist, darüber Zeit zu verlieren. „Aber falls mir die Bücher gefallen, dann komme ich wieder und kaufe den Rest“, und mit diesem lockeren Spruch war die Situation wieder gerettet. Er reicht mir die Hand, kommt hinter seiner Holztheke herum, öffnet die Tür und verbeugt sich, natürlich wieder lächelnd.
Der Store in Hanceville – wir hofften, dass der Mann eine Bierlizenz hat – ist wieder ein üblicher, mit allem Notwendigen und Krimskrams. Butter, Brot, Schinken, Sirup, Fässer voller Gurken, Reis, Mehl oder Zucker; Gummistiefel, Jacken, Hemden, Hosen, Regenkleidung, Hüten; Äxten, Sägen, Nägel, Schraubenschlüssel, Stacheldraht, Hufeisen, Regendecken, Angelrouten und Traktorenersatzteile sind Auszüge vom Angebot, das selbstverständlich in großen Gebinden abgepackt ist, falls man ein solches dafür benötigt. Nur die Lizenz fürs Bier, die hat er leider nicht, womit der Gerstensaft durch Mineralwasser ersetzt wird. So ganz „verlassen“, wie das hier alles klingt, ist diese Gegend dennoch nicht, denn über die White Water Road lassen sich die Taseko Lakes, und damit auch das sehr schöne Nemaiah Tal ansteuern.
Dort zieht zunächst der 3.061 Meter hohe „Tatlow“ alle Blicke auf sich, und die Seen sind in erster Linie ein Anglerparadies, doch ist auch der eine oder andere Schnappschuss möglich, denn das Gebiet ist von Elchen, Hirschen, Bergziegen, Wildschafen, Grizzlys und Pumas besiedelt, und auch Wildpferden kann man unterwegs begegnen. Der holprige Weg lohnt sich aber auch für etwas verwöhntere Touristen, denn mit der 28.000 Acker großen „Elkin Creek Guest Ranch“ bietet sich ein zusätzliches lohnendes Ziel, wenn man bei Lee’s Corner abbiegt, um identischen Cowboy Livestyle zu erleben. Nachdem der Chilcotin River überquert ist, hält man sich an der Gabel bei der Chilco Ranch rechts, fährt durch die Stone Indian Reserve weiter, und hat danach noch etwa 75 Kilometer in südlicher Richtung vor sich. Nach der Taseko River Brücke, und dem rechts liegenden Big Lake, zieht der Schotter aus dem Flusstal zum Kamm, wo der Blick auf das Elkin Valley, und kurz danach auf die rechterhand liegende Ranch fällt, die, tief im Nemaiah Valley, in einem der unberührtesten Bergtäler des Chilcotin liegt. Hier, umgeben von spektakulärer Natur, sind all diejenigen am richtigen Platz, die noch von „Wild West“ träumen, denn viele Dinge werden hier noch so gehandhabt, wie es bei den zeitigen Siedlern im Chilcotin üblich war. So wird auch die Rinderherde traditionell, und je nach Saison, von Weide zu Weide getrieben und überwintert auf der Ranch, während den Gästen alles geboten wird, was gestern oder heute modern war oder ist: Viehtrieb, Reiten, Packtouren, Wandern, Mountainbiken, Angeln, Kanufahrten auf der Herausforderung Elkin Creek, gemütliches Paddeln, Segeln und Windsurfern auf dem Vedan Lake, oder ganz einfach auch nur in klarer Bergluft relaxen. Die gemütlichen Räume der Lodge, mit Western Lounge und Veranda, oder das abendliche Lagerfeuer runden die Annehmlichkeiten ab, ehe die komfortablen Blockhütten zur Übernachtung einladen. Wem die rund einhundert Kilometer der Schotterstraße zu umständlich sind, der mietet ein Kleinflugzeug und landet auf dem hauseigenen Airstrip, oder er besteigt das von der Lodge organisierte Wasserflugzeug direkt in Vancouver. Anfang August ist das „Nemaiah Valley Rodeo“ ein zusätzliches Erlebnis, und generell auch ein Abstecher an die Küste kein Problem, denn die „MV Explorer“, die dort unterwegs ist, gehört zum Gesamtkonzept des Touristikangebotes. Das Schiff folgt der Inside Passage von Port Hardy bis Prince Ruppert und bietet viel Zeit, um unterwegs die Küsten mit ihren Buchten zu erkunden. Kleine Boote und Kajaks stehen dafür ebenso zur Verfügung, wie die Vermittlung von Helikopterflügen.
Auf dieser Reise stand das schöne Tal jedoch noch nicht auf unserem Programm, aber neun Jahre später sind wir die Piste gefahren und auch auf der „Elkin“ eingekehrt, heute jedoch geht es vom „dünnen Südkoreaner“ auf der „20“ sofort weiter Richtung Osten, wo nach einem kleinen See und 43 Kilometer Risk Creek auftaucht, und der Asphalt hinunter ins Tal schwingt. Links wirbt gleich ein Laden mit seinem Restaurant „Crispy Light“, doch knusprig sah es dort nicht aus, sondern eher „gekräuselt“, wie es die zweite Möglichkeit der Übersetzung anbietet. Immerhin bestätigt uns die hinter der Theke des „General Stores“ stehende Chinesin, dass die schräg gegenüber vom Highway abzweigende Straße die ist, nach der wir suchen, und die uns zum „Farewell Canyon“ mitnehmen soll, ehe sie als „Chilcotin South Forest Road“ zur Gang Range weiterzieht. Trotz vieler Schlaglöcher, jeder Menge Staub und etlicher „Kettle Guards“- quer in die Fahrbahn eingearbeitete Gitterkonstruktionen aus dicken Eisenstäben – fährt sich die Straße doch recht passabel und zieht auf Privatgrund vorbei an sanften Hügeln und kleinen Seen. Die Staubfahne hinter uns ist enorm, aber so, wie der Himmel ausschaut, könnte der, von den Farmern, lang ersehnte Regen bald kommen. In unsere Pläne würde er allerdings weniger passen.
Nach etwa 15 Kilometern und einer scharfen Kurve bietet sich vom dortigen Parkplatz der erste freie Blick auf die Schlucht und den Einstieg in den „Junction Sheep Range Provincial Park“. Der Tourist darf den kostenlosen 20-Kilomter-Rundkurs im 5.000-Hektar großen Privatbesitz nur vom 1.4. bis 1.11 betreten und darf, weder zu Fuß noch mit seinem Fahrzeug, den Hauptweg nicht verlassen. Weil aber auf diesem ausgefahrenen Rundkurs mit einem Wohnmobil gar nichts geht und die Hauptweiden dieser 500 bis 600 Wildschafe zu weit weg sind, müssen wir diese Vierbeiner aus unserem Programm streichen. Wir fahren sofort hinunter in den Canyon und der einspurigen Holzbrücke, unter der der wilde Chilkotin rumort. Die wechselnden Blicke auf Berge, Schlucht und Prärie sind spektakulär. Mit ihren trockenen Waschbrettrillen, die die Regenwolken von vorhin nicht erreichten, erinnert mich die kurvige Abfahrt ein klein wenig an Namibia. Dort wurde man allerdings ganz anders durchgeschüttelt, und gegen die so gefährlichen „Sand-Patches“ sind die hiesigen Schlaglöcher ebenfalls harmlos.
Die Gegend und der Canyon sind vom Wasser geformt, und ihre Hügel hinterlassen den Eindruck, als wären sie mit hellgrünem Samt überzogen und an den Seiten akkurat gefaltet. Das Randgebiet zwischen Grasland und Canyon erinnert eher an die Große Caroo Südafrikas, mit spärlichem hellgelben harten, langen Gras und halbhohen, ginsterartigen Büschen bewachsen, und dazwischen viel Sand und Steine. Die erodierten, braunen Hänge der Flussufer sind von wundersamen Gebilden geprägt, die Wind und Wasser entstehen ließen, während unter der Brücke ein Fluss rauscht und wirbelt, der bei Kajak-, Kanu- und Rafting Enthusiasten den Herzschlag enorm beschleunigt. Momentan schütten jedoch die über uns hinweg ziehenden Wolken über dieser beeindruckenden Landschaft alles aus, was sie geladen haben. Wir nützen den kleinen Platz, der sich vor der Brücke anbietet und nach rückwärts von einem großen Hügel geschützt wird, zum Parken und überlegen, hier vielleicht auch zu übernachten. Und während wir das noch tun hält ein Farmer mit seinem Pick-Up an und fragt, ob alles in Ordnung ist, oder ob wir Hilfe brauchen. Er freut sich natürlich über den Regen, meint aber, dass morgen wieder die Sonne scheint, und wir hier ohne Bedenken die Nacht verbringen könnten. Dieser Meinung schließen wir uns später ganz einfach an, denn der Canyon ist es wert, hier länger zu verweilen und ein wenig zu wandern. Als der Mann den Gang wieder einlegt, und uns schöne Tage wünscht, grinst er noch einmal zurück und ruft: „Und sagt’s niemandem, dass es hier sehr schön ist, denn sonst kommen zu viele Touristen …“
Am nächsten Morgen begrüßen wir die aufgehende Sonne schon mit einer Tasse Kaffee in der Hand vor dem Wohnmobil, doch verlieren wir für diese morgendliche Zeremonie auch heute nicht viel Zeit, sondern stehen Minuten später auf den Holzbohlen der schmalen Brücke und schauen dem Spiel der weiß schäumenden Strudel zu. Stellt man sich vor, dass dieser Chilcotin River während der Kanusaison wesentlich mehr Wasser führt als derzeit, so kann man gut verstehen, warum das hier unter uns der Beginn einer sehr spektakulären Wildwasserstrecke ist. Zu buchen sind diese Touren aber in Williams Lake, wo sie auch mit einer Autofahrt nach hier beginnen. Hinter der Brücke, wo Felsen den Blick kurz einschränken, zieht die Straße bergauf, doch präsentiert sich kurz später der große Bogen, den der Fluss im Canyon beschreibt, in voller Schönheit. Die hohen, harten Gräser, Salbeisträucher, Ginster, Disteln und Ähnliches kreieren hier eine Art Halbwüste, und die an den Flusswänden von der Erosion geformten graubraunen und vegetationslosen bizarren Gebilde und Rillenstrukturen, die ausschauen wie Orgelpfeifen, Türmchen und kleine Burgen passen hervorragend in ihre Umgebung. Nach dort unten sind wir jetzt auf dem Weg und treffen bei einer uralten Hütte auf fünf Indianer, in deren Mitte eine etwas ältere Frau über offenem Feuer ein Essen zubereitet. Wir sagen Hallo, wechseln ein paar Höflichkeitsfloskeln und wollen eigentlich gleich weiter, doch das Quintett ist äußerst freundlich, sodass sich sehr schnell ein längeres Gespräch entwickelt. „Die Spring-Salmons sind schon durch“, meint einer, und deutet uns mit beiden Händen an, wie groß sie waren. Nun warten sie auf den nächsten Schub, um sich weiter einzudecken, doch kann das noch zwei bis drei Tage dauern. Und nach dem Lachs kommt natürlich auch die übliche Frage „where are you from?“, und wir müssen ein wenig von Deutschland, Europa und unserer Reise erzählen. Dabei gewinnen wir auch den Eindruck, dass unsere Gesprächspartner sehr offene, angenehme, aber wohl auch sehr arme Mitmenschen sind. Ein Bier oder eine Cola kann ich ihnen nicht anbieten, denn zum Auto ist es ziemlich weit, und eine andere passende Kleinigkeit für fünf Leute hätten wir dort auch nicht. Fünf einfache T-Shirts, bedruckt mit „Germany“, das wäre jetzt das Richtige, aber auch die sind auf dieser Reise nicht in unserem Gepäck. Ein „Kanadakoffer“ wird eben nicht wie einer für Afrika gepackt, der viele Dinge enthält, mit denen man sich bei all denen bedankt die dafür sorgen, dass der Urlaub ein angenehmer ist, und die jedes Kleidungsstück und Anderes gern annehmen. Als „Ersatz“ denken wir daher an fünf Dollar, möchten diese Indianer aber weder beleidigen, noch den Eindruck erwecken, es sei ein Almosen, sondern lediglich ihre ausgesprochene Freundlichkeit gern mit einer kleinen Geste honorieren. Also doch den „Umweg“ übers Bier? Dass ich gern mit ihnen eins auf meine Rechnung trinken würde weil sie so freundlich zu Fremden wären, und sich vielleicht an uns erinnern würden, falls wir einmal wiederkommen sollten? Aber es gibt ja hier keinen Laden, und sie könnten es ja auch selbst kaufen und auf unser Wohl trinken, und wir würden zu Hause das Gleiche tun? Es hat funktioniert, und über den kleinen Schein haben sie sich sicherlich mehr als gefreut, denn jeder von ihnen drückte uns die Hand, bedankte sich und wünschte eine gute Reise. Selbst als wir später in einiger Entfernung erneut an ihnen vorbeigingen, winkten sie uns nochmals zu. Möglich, dass noch kein Fremder vor uns ihnen ein paar Minuten seiner Zeit geschenkt hatte.
Weiter unten am Fluss treffen wir auf einen alten Mann, dessen kläffender, schwarzbrauner Mischling eine Kombination aus schiefer Hütte und geflicktem Zelt, mit viel Gerümpel ringsum, bewacht. Eine Handvoll großer Bäume bietet dem Durcheinander etwas Schutz vor Sonne, Regen und Wind, und der parkende Pickup sieht aus wie der Alte selbst, zerbeult, reparatur- und wäschebedürftig. Wortkarg ist der Einsiedler ebenfalls. Es sei sein Camp, und er käme schon seit vielen Jahren jeden Sommer hierher. „Nicht wegen der Lachse, nein, nein, die sind nicht der Grund. Ich möchte hier nur allein sein“. Für uns war das gleichzeitig auch das Stichwort zum Abmarsch. Wir wünschen ihm eine gute Zeit, gehen hinunter zum Fluss und pflücken auf dem Rückweg zum Wohnmobil noch einige Gräser dieses Canyons, um sie zu Hause zu pressen. Sie werden das Indianergebet optisch aufbessern, wenn es gerahmt ist.
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