Kitabı oku: «Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie», sayfa 17
Nathan und Johannes Chrysostomus (1951)
Dante, Par. XII, 136–137
Die beiden Kreise von je zwölf leuchtenden Seelen im Reigentanz des Sonnenhimmels sind in letzter Zeit mehrfach behandelt worden. Die Auswahl, die DanteDante getroffen hat, ist nicht leicht zu erklären, besonders wenn man die ganze Gruppe als christliche Weisheitslehrer verstehen will. Neben Philosophen und Theologen finden sich Gestalten des Alten TestamentsAltes Testament (SalomoSalomon bes. und Nathan), der Jurist GrazianGrazian (Jurist), der Historiker OrosiusOrosius (Historiker) (?), der Grammatiker DonatusDonatus (Grammatiker) und zwei Franziskaner, die zu den ersten Gefährten des Heiligen gehörten, aber doch nicht eigentlich als Weisheitslehrer anzusehen sind. Auch IsidorusIsidor v. Sevilla und Hraban erwartet man nicht in einem so eng begrenzten Kreis von christlichen Weisen, in dem mancher fehlt, den man dort vermutet hätte. Zwar ist AugustinAugustinus sozusagen vertreten durch den avvocato de’ tempi christiani, zwar ist dieser vielleicht doch nicht Orosius, sondern AmbrosiusAmbrosius, hl. – aber auch dann vermißt man etwa HieronymusHieronymus und Gregor den GroßenGregor d. Große. Auch die Verteilung auf die beiden Gruppen – deren erste im 10. Gesang von Thomas von AquinoThomas v. Aquin, deren zweite im 12. von BonaventuraBonaventura eingeführt wird – bereitet Schwierigkeiten. Das größte Problem aber ist einerseits das Erscheinen Sigers von BrabantSiger v. Brabant im Reigen des Thomas und andererseits das Erscheinen Joachims von FlorisJoachim v. Floris im Reigen Bonaventuras. Thomas war zu seinen Lebzeiten ein scharfer Gegner Sigers, ebenso wie BonaventuraBonaventura die Lehren und Prophezeiungen des Abtes Joachim bekämpfte. DanteDante aber läßt beide, Thomas und BonaventuraBonaventura, ihre beiden einstigen Gegner, Siger und Joachim, als Glieder ihres jeweiligen Kreises vorstellen und rühmen. Dies Problem ist von Etienne GilsonGilson, E. in seinem Buche Dante et la philosophie (Paris 1939) ausführlich behandelt und (obwohl mir manches allzu scharf formuliert scheint) im wesentlichen gelöst worden.
Aber die kleineren Probleme bleiben. E. R. CurtiusCurtius, E. R. (Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 374–75), der eine Gegenüberstellung und Gleichstellung von Vertretern zweier Kategorien annimmt – einerseits Theologen und Philosophen, anderseits «Gelehrte», Vertreter der artes – kann auch auf diese Weise längst nicht alle unterbringen. Besonders ist ihm die Auszeichnung Nathans unverständlich. «Vom literaturhistorischen Standpunkt aus», so schreibt er, «ist … die Nennung eines Nathan unter den seligen Zwölfen kein geringerer Anstoß als die Sigers oder Joachims. Vielleicht ein größerer, denn man sieht keine Handhabe zum Verständnis.»
Um eine solche Handhabe zu finden, gehen wir von zwei Bemerkungen GilsonGilson, E.s aus. Die erste (l. c. p. 254–55) bezieht sich auf die Wahl SalomosSalomon bes.: es sei, im Hinblick auf die einschlägige Bibelstelle II Paralip. I, 7–10, anzunehmen, daß Salomos Weisheit hier nicht so sehr als Weisheit überhaupt, sondern als die besondere Weisheit eines Königs gerühmt werde. Car enfin Salomon n’est pour lui (DanteDante) qu’un symbole: le symbole de la vérité qu’il veut nous inculquer. Et cette vérité ne serait-elle pas simplement celle-ci: de même que j’ai demandé aux moines de s’attacher à la sagesse de la foi, je demande aux rois de se contenter, en fait de sagesse, de la prudence royale dont ils ont besoin pour gouverner leurs peuples. Die zweite Bemerkung Gilsons (ibid. p. 265) ist nur eine allgemeinere Fassung der ersten und bezieht sich auf den symbolischen Gebrauch, den DanteDante von historischen Personen macht: Chacun d’eux est une réalité historique choisie pour sa fonction représentative.
Auch mir scheint, daß DanteDante geschichtliche Personen, die bei ihm als Symbole an prominenter Stelle auftreten, wegen eines bestimmten repräsentativen Zuges auswählt. Doch ist es für uns sehr oft schwierig, den repräsentativen Zug, um den es sich handelt, zu erkennen. DanteDante standen für die Kenntnis der Personen Quellen zur Verfügung, die wir nicht mehr benutzen, und er beurteilte die Quellen anders als wir; er fand in der Überlieferung charakteristische Züge, die wir, nach unserer Kenntnis und Auffassung von den betreffenden Personen, zunächst überhaupt nicht bemerken und jedenfalls nicht als repräsentativ empfinden. Wir sehen in Saul nicht superbiasuperbia, oder in David humilitashumilitas, oder gar in der Dirne Rahab aus dem Josuabuche ein Symbol der Kirche (vgl. Modern Language Notes LXIV 267; Speculum XXI 476 und 482). Wir müssen zu den alten DanteDante-Kommentatoren greifen; und wenn auch diese uns nicht helfen, was sehr oft der Fall ist, da sie weder DantesDante weite Kenntnis der Tradition besaßen noch seine besonderen sittlich-politischen Anschauungen teilten, so bleibt uns, wenigstens für biblische Personen, eine Quelle, die fast nie versagt: die Bibelerklärung der Spätantike und des DanteDante vorausgehenden Mittelalters.
Für die Zwölfergruppen leisten die Dantekommentatoren des 14. Jahrhunderts wenig; sie bringen bei jeder einzelnen Person an, was sie von ihr wissen, kümmern sich aber nur wenig um die Anordnung des Ganzen oder die Ursache der Einordnung des einzelnen. Doch bei Nathan ist mehreren das Problem seiner Anwesenheit in solchem Kreise aufgefallen. Lana, der Anonimo FiorentinoAnonimo Fiorentino (Dantekommentator) und ButiButi, F. da schreiben mit geringen Varianten: Questi fu quello Profeta che mandò Dio a David quando commise lo peccato della moglie d’Uria si come appare in secondo Regum (i. e. II Sam., 11 und 12). Or l’autore lo mette tra questi dottori perchè palesò lo suo peccato a David come questi altri hanno fatto palese li vizi e le virtù nelle loro opere che hanno scritto. Der Ottimo, der schon im Proemio zum 12. Gesang, bei der Charakteristik des heiligen DominicusDominicus, Hl., eine Darstellung der Eigenschaften des guten Predigers gegeben hat, erzählt zu Nathan ebenfalls die Urias-Bethsabe-Geschichte und fügt hinzu: Induce l’autore questo Natan qui, però che ebbe in sè tutte quelle cose che appartengono a buon predicatore. Dies letztere Motiv findet sich, noch energischer, bei Benvenuto von ImolaBenvenuto da Imola: Nathan praedicator et reprehensor ut convenit pastori.
Alle erzählen also die Uriasgeschichte, und alle bringen, mehr oder weniger betont, das Motiv des Predigers und Sittenrichters. Sollte Nathan hier die Weisheit des geistlichen Predigers in seiner moralischen Mission darstellen, wie SalomoSalomon bes. die Weisheit des Königs in seiner irdisch-politischen Aufgabe? Aber warum hat DanteDante gerade Nathan dazu ausgesucht? Gab es vielleicht in Nathans Geschichte etwas, was ihn DanteDante besonders für diese Rolle empfahl – und was seine Kommentatoren nicht bemerkten, weil sie nicht so erfüllt waren von DantesDante speziellen Vorstellungen von der Weltordnung wie DanteDante selbst? Wir müssen auf die Quellen zurückgreifen. Zwar bieten die mir bekannten mittelalterlichen Kommentare zu den Samuel- und Königsbüchern über Nathan wenig. Aber eine ihrer wichtigsten Autoritäten, der ungeheuer einflußreiche Gregor der GroßeGregor d. Große, erwähnt Nathan mehrfach als Beispiel, und zwar als Beispiel des vollendeten Sittenpredigers. In der Regula pastoralis, pars III, caput II (Patrologia Latina LXXVII 53) rühmt er ausführlich Nathans Mut und Geschicklichkeit als Muster für die Art, wie man die Großen dieser Erde zum Bewußtsein ihrer Sünden bringen könne; eine entscheidende Stelle lautet: Hinc est enim quod Nathan propheta arguere regem venerat, ut quasi de causa pauperis contra divitem judicium quaerebat; ut prius rex sententiam diceret, et reatum suum postmodum audiret, quatenus nequaquam justitiam contradiceret, quam ipse in se protulisset …
Hier ist also ein neues Motiv herausgearbeitet: Mut und Takt des geistlichen Sittenrichters gegenüber den Königen und Großen dieser Erde, wobei ihnen selbst überlassen wird, was ihres Amtes ist: irdische Gerechtigkeit zu üben. Das ist in DantesDante Sinne eine gute Verteilung der Funktionen, und es läßt schon ahnen, warum ihm Nathan für den Platz im Sonnenhimmel besonders geeignet erschien. Aber es ist noch nicht alles. Gregor erwähnt Nathan noch an einer anderen Stelle, in den Moralia, im 7. Buch. Es handelt sich dort (Patr. Lat. LXXV, 795ss.) um die moralische Erklärung von Hiob VI 24 (Docete me, et ego tacebo; et si quid forte ignoravi, instruite me). In diesem Rahmen lautet ein Motiv: Sanctorum exterius oppressorum sublimitas, et in arguendis potestatibus libertas. Dabei erscheint Nathans Auftreten vor David in der Uriasgeschichte wiederum unter den Beispielen. Diesmal aber handelt es sich nicht um die psychologische Geschicklichkeit, sondern allein um die fruchtlose Freiheit der Heiligen gegenüber den irdischen Gewalten, um ihre geistig-geistliche Würde, die auctoritas spiritus: In horum (i. e. sanctorum) profecto oculis quidquid temporaliter eminet altum non est. Nam velut in magno vertice montis sibi praesentis vitae plana despiciunt, seque ipsos per spiritalem celsitudinem transcendentes, subjecta sibimet intus vident quaeque per carnalem gloriam foris tument. Unde et nullis contra veritatem potestatibus parcunt, sed quos attolli per elationem conspiciunt, per spiritus auctoritatem premunt. Im folgenden Paragraphen aber wird das Gegenmotiv der humilitashumilitas herausgearbeitet; der erhabene Mut der heiligen Sittenrichter, die die Großen dieser Erde furchtlos anklagen, ist nicht superbiasuperbia, sondern charitas und humilitas, denn superbia erzeugt Haß und Laster, humilitas Liebe und Tugend. Und wieder erscheint Nathan, diesmal aber nicht nur in der Uriasgeschichte, sondern, damit kontrastierend, in seiner Rolle bei der Königswahl SalomosSalomon bes. vor Davids Tode, im ersten Kapitel von I Reges: Quomodo Nathan contra David regem per verba increpationis tumuit, qui cum increpanda culpa deesset, in terram se in conspectu eius pronus stravit, sicut scriptum est: Nuntiaverunt regi dicentes: Adest Nathan propheta. Cumque introisset ante conspectum regis, adoravit eum pronus in terra.
Vermutlich hatte Gregor keinerlei politische Gedanken, als er diese Zeilen schrieb; aber fast notwendig drängte sich DanteDante angesichts einer solchen Kontrastierung eine politische Deutung auf: für ihn symbolisierte der Gegensatz in Nathans Auftreten das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Autorität, zwischen imperiumimperium und sacerdotiumsacerdotium. Nathan, der geistliche Sittenrichter, der sich nicht scheut, seine geistliche Autorität schonungslos zu gebrauchen, um David seine Sünde vorzuhalten, der sich aber im Politischen der königlichen Autorität unterwirft – die Kombination seiner Haltung in der Uriasgeschichte mit dem Fußfall vor dem sterbenden König – darin liegt, so glaube ich, die Begründung für das Erscheinen dieses weisen Nathan unter den Seligen im Reigen Bonaventuras.
Die Vermutung wird gestützt durch die Zusammenstellung Nathans mit Johannes ChrysostomusJohannes Chrysostomus. Dieser große Lehrer und Redner hatte ein dramatisches Lebensende. Als Bischof von Konstantinopel, in einer kirchenpolitisch und praktisch schwierigen Stellung, wurde er von den Intrigen anderer Bischöfe und Geistlicher verfolgt; seine Feinde gewannen schließlich die Unterstützung des Hofes, an dem die Kaiserin EudoxiaEudoxia (Kaiserin) ihren Gatten ArcadiusArcadius (Kaiser) beherrschte; Eudoxias Gunst aber hatte Johannes durch allzu vehemente Kritik ihrer Sünden verscherzt. So wurde er gegen den Willen der ihm leidenschaftlich ergebenen Bevölkerung verbannt und abgesetzt, dann zurückgeholt, doch bald aufs neue verbannt (404); er starb in der Verbannung auf dem Wege zu einem neuen Aufenthaltsort an den Strapazen des Marsches (407). Mehr als dreißig Jahre nach seinem Tode, nach vielen Verfolgungen seiner Anhänger und langen Kämpfen innerhalb der Kirche, wurden seine Gebeine im Triumph nach Konstantinopel zurückgebracht, und Eudoxias Sohn, der Kaiser Theodosius II.,Theodosius II. bat kniend den Toten um Verzeihung für das, was seine Eltern aus Unwissenheit an ihm gefehlt hatten. Das Nähere über die politischen, kirchenpolitischen und persönlichen Konflikte, in die er verwickelt wurde, findet man in den Handbüchern, und ausführlicher etwa in dem zweibändigen Werk von Chr. BaurBaur, Ch., Johannes ChrysostomusJohannes Chrysostomus und seine Zeit, München 1930.
Die Quelle für seine Lebensgeschichte war zu DantesDante Zeit die Historia tripartitaHistoria tripartita, eine auf CassiodorsCassiodor Veranlassung und unter seiner Mitwirkung hergestellte lateinische Kompilation aus drei griechischen Historikern (vgl. ManitiusManitius, Gesch. d. lat. Lit. d. Mittelalters, I 50, oder BardenhewerBardenhewer, O., Gesch. d. altkirchl. Lit., V 276). Den Text der Historia tripartita, die «das wichtigste kirchengeschichtliche Lehrbuch des Mittelalters» wurde, findet man bei Cassiodors Werken, am bequemsten im 69. Bande der Lateinischen Patrologie. Die meisten Dantekommentatoren zitieren sie kurz für die Erwähnung des Chrysostomus an unserer Stelle, wobei sie besonders die Rücksichtslosigkeit und Unvorsichtigkeit (rigidus, incautus) seiner Predigten hervorheben. Darin wäre er freilich ein Gegenbeispiel zu dem psychologischen Takt Nathans, den Gregor in der Regula pastoralis zu rühmen weiß. Aber ich zweifle, ob DanteDante gerade das aus der Historia tripartita herauslas. Vorsicht, Takt und Geschicklichkeit in der Verfolgung des Guten gehören nicht zu den Tugenden, die DanteDante besonders hoch schätzte. Er konnte im 6. Kapitel des 10. Buches (l. c. col. 1169) den Satz lesen: Huius ergo virtutis Ioannes fuit, ut etiam valde terribiles humiliari cogeret et timere. Aber Mut und Autorität des Johannes richtete sich in diesem Falle gegen einen rebellierenden General, und er handelte im Auftrag des Kaisers. DanteDante fand auch die Szene im 15. Kapitel (ibid. 1178), wo Johannes, schon in äußerst bedrängter Lage, die Kaiserin predigend mit folgenden Worten angreift: Rursus Herodias vesanit, rursusque turbatur; denuo saltat, denuo caput Ioannis in mensorio concupiscit accipere. Der griechische Geschichtsschreiber SocratesSocrates (Historiker), den die Tripartita an dieser Stelle anschreibt, kritisiert die Unvorsichtigkeit solchen Benehmens; aber bei DanteDante mögen die dramatischen Worte eher Bewunderung erregt haben, um so mehr, als er auch Zeugnisse genug dafür fand, daß Johannes sich niemals politischer Machtmittel gegen den Hof bediente, obwohl sie ihm zur Verfügung standen. Als die Synode der ihm feindlichen Bischöfe ihn verurteilt hatte, der Kaiser seine Verbannung anordnete und das Volk ihn mit Gewalt schützen wollte, da lieferte er sich selbst heimlich aus: … semetipsum, populo ignorante, contradit. Cogitabat enim, ne ulla propter ipsum seditio nasceretur (13. Kapitel, ibid. 1176). Das scheint mir eine für DantesDante Beurteilung des Johannes entscheidende Stelle.
Mein hiesiger Kollege, der Historiker Gerard B. LadnerLadner, G. B., mit dem ich den Gegenstand besprach und dem ich für verschiedene Anregungen zu danken habe, hält es für möglich, daß auch das Auftreten Anselms von CanterburyAnselm v. Canterbury an dieser Stelle (DanteDante nennt ihn gleich nach Nathan und Johannes) im selben Sinne zu verstehen sei. Anselms Haltung gegenüber König William Rufus’William Rufus (König) Eingriffen in die geistliche Gewalt und seine freiwillige Verbannung legen in der Tat solche Vermutungen nahe. Um dies zu sichern, wäre es erforderlich, DantesDante Quellen für Anselms Geschichte zu ermitteln und festzustellen, wie sie sein Auftreten beurteilen. Das muß ich Zuständigeren überlassen.
Die Dinge haben sich bei Johannes tragisch entwickelt, er wurde Märtyrer; hierin unterscheidet er sich von Nathan. Doch gemeinsam ist beiden die auctoritas spiritus gegenüber den Königen dieser Welt, vereint mit Unterwerfung unter die den Königen zustehende politische Autorität. Dies, so meine ich, rechtfertigt ihr Erscheinen im Reigen des BonaventuraBonaventura, und wenn es sich um Weisheit handelt, so ist es diejenige, die dem geistlichen Sittenrichter zukommt.
Passio als Leidenschaft (1941)
In seinem Vortrag über «Passion» und «Gefühl» (Arch. Rom., XXII, 320ff.) hat E. LerchLerch, E. versucht, die vielfältig geschichtete Bedeutungsentwicklung von passiopassio im Ganzen darzustellen. Das Bild, das er entwirft, ist das folgende.
Im Altertum und lange darüber hinaus hat passiopassio (πάϑοςπάϑος) seinem Ursprung gemäß eine rein «passive» Bedeutung, während die moderne Vorstellung passion-Leidenschaft wesentlich aktiv ist. Die Ursache der älteren Vorstellung ist zunächst in einer Art Verführung durch die Sprache zu suchen, da ja eben πάϑος und passio «Leiden» bedeuten; sodann in der stoischenStoa und christlichen Auffassung der Leidenschaften als Krankheiten der Seele; schließlich und vor allem in dem ursprünglichen Fehlen der Kategorie des Gefühls als eines gleichberechtigten Gebiets des inneren Lebens neben dem Denken und Wollen, so daß man in der Antike und weiterhin bis ins 18. Jahrhundert die Gefühle und Empfindungen, die tatsächlich Leidenszustände sind, mit den Leidenschaften zusammenwarf und beides als πάϑη, passiones bezeichnete. Erst als unter dem Einfluß ShaftesburysShaftesbury, A., RousseausRousseau, J. J., MendelssohnsMendelssohn, M. und anderer die Kategorie des Gefühls autonom wurde und sich also sentiment, Gefühl, Empfindung usw. von passion bzw. Leidenschaft loslöste, konnten diese letzteren Worte, ungeachtet ihrer etymologischen Bindung, zur vollen Entfaltung des Inhalts der Aktivität gelangen.
In diesen Darlegungen, die ausgezeichnet dokumentiert und in vieler Hinsicht lehrreich sind, ist das Wesentliche der Lage klar gesehen. Den psychologischen Inhalten, die in der Antike durch die Worte πάϑοςπάϑος bzw. passiopassio ausdrückbar waren, liegt stets die Vorstellung des «Erleidens» zugrunde, und sie entsprechen weit eher dem, was wir mit «Gefühl» oder «Empfindung», als dem, was wir mit «Leidenschaft» bezeichnen. Leidenschaften sind für uns heiß, stürmisch, und damit zugleich auch aktiv – gerade das war in den Bedeutungsfeldern von πάϑος und passio ursprünglich nicht enthalten. LerchLerch, E.sLerch, E. Ausführungen lassen uns aber im Stich, wenn wir fragen, wie das Heiße, Stürmische, Aktive, kurz der moderne Inhalt «Leidenschaft» in das Bedeutungsfeld von passio hineingelangt ist – das kann doch unmöglich durch bloßes Freiwerden dafür, durch bloße Subtraktion des Inhalts «Gefühl» geschehen sein. Sondern es muß in der Geschichte von passio etwas vorliegen, was das Wort für diesen Inhalt aufnahmebereit machte. LerchLerch, E. scheint zwar als selbstverständlich zu unterstellen, daß πάϑοςπάϑος-passio stets unter anderem auch «Leidenschaft» bedeutet habe – aber, wenn er dies Wort in dem modern geläufigen Sinne meint, so widerspricht solcher Unterstellung seine eigene, klare und unbezweifelbare Feststellung, daß das charakteristische Merkmal von πάϑος-passio, das «Leidentliche», Passive sei. Was wir heute unter Leidenschaft verstehen, hat sich erst später, stufenweise und allmählich in passiopassio herausgebildet. Πάϑος bedeutet ein Befallen- oder Behaftetsein, ein Empfangen oder Erleiden, und auf dieser Grundlage umfaßt es etwa folgende Bezirke oder Teile von ihnen: sinnliche Qualität, Veränderung, Entwicklungsphase, periodisch wiederkehrender Zustand (und zwar dies alles, zumal in der aristotelischenAristoteles Terminologie, sowohl bei Personen wie bei Tieren, Pflanzen, Gestirnen usw., auch bei der Materie überhaupt); ferner Wahrnehmung, Erfahrung, Erlebnis, Empfindung, Gefühl; schließlich, in der Umgangssprache, Schmerz, Krankheit, Leiden, Unglück.1 Zu den Worten, die als Gegensatz zu πάϑοςπάϑος verwendet werden, gehören πρᾶξιςπρᾶξις, ποίησιςποίησις, ἔργονἔργον. «Leidenschaft» bedeutet es nur, insofern diese (gerade wie ein Gefühl oder eine Krankheit) als ein bloßes den Träger Befallendes aufgefaßt werden kann. Was die Aktivität und die Heftigkeit betrifft, so stehen andere griechische Worte, etwa ἐπιϑυμίαἐπιϑυμία und μανίαμανία, lateinisch cupiditascupiditas bzw. furorfuror, dem modernen Bezirk «Leidenschaft» weit näher. Aber auch sie erfüllen ihn nicht. Dazu fehlt ihnen die Möglichkeit des Erhabenen: die moderne Leidenschaft ist mehr als Begierde, Sucht oder Wahnsinn. In ihr ist jederzeit als Möglichkeit, oft als vorwiegender Inhalt das edle schöpferische Feuer mitgegeben, das sich in Kampf oder Hingabe verschwendet, und neben dem sich die maßvolle Vernunft zuweilen verächtlich ausnimmt. Soviel ich sehe, ist in der Antike ein eigenes Wort für diesen Inhalt «Leidenschaft» nicht entwickelt warden, obgleich natürlich der Inhalt selbst wohlbekannt war, in den MysterienkultenMysterienkult, bei den Tragikern und vor allem bei Plato, der ja im Phaidros (265 B) das, was die Liebenden befällt, das ἐρωτιϰὸν πάϑος, als eine der vier Arten des göttlichen Wahnsinns, der ϑεία μανία bezeichnet.2
Man kann allgemein sagen, daß in der Antike die Bedeutungsfelder zwar anders aufgeteilt, die Inhalte des inneren Lebens aber sämtlich vorhanden und sehr genau entwickelt sind; dies gilt auch für «Gefühl». Auch dafür kommt ja nicht nur πάϑοςπάϑος in Frage, sondern vor allem das sehr vieldeutige ϑυμόςϑυμός (ϰατὰ φρένα ϰαὶ ϰατὰ ϑυμόν), ferner ἐνϑύμιονἐνϑύμιον, dann αἴσϑησιςαἴσϑησις für Wahrnehmung, δαιμόνιονδαιμόνιον für inneres Gefühl, und das Begriffspaar ἡδονὴἡδονὴ ϰαὶ λύπηλύπη in den theoretischen Auseinandersetzungen über Gefühle. Es ist hier nicht der Ort, auf diese Frage näher einzugehen; ich will nur betonen, daß es unvorsichtig wäre, aus dem Fehlen eines genau konkordanten Wortes für «Gefühl» einen Schluß auf die Ausbildung der Inhalte zu ziehen. Gibt es ja doch auch im Lateinischen kein entsprechendes Wort für «Gedanke». Cogitatiocogitatio, seit CiceroCicero belegt, deckt unser Bedeutungsfeld «Gedanke» ebensowenig wie sensussensus das Feld «Gefühl». Ja, man kann ein von sentire abgeleitetes Wort, sententiasententia, zuweilen für «Gedanke» verwenden, und «Platos Gedanken über das Schöne» läßt sich gut wiedergeben durch quid Plato de pulchro senserit.
Ich kehre zu passiopassio zurück und versuche festzustellen, wie in diesem Wort der moderne Inhalt «Leidenschaft» Gestalt gewonnen hat. Ursprünglich hieß πάϑοςπάϑος, wie wir schon sagten, im gewöhnlichen Sprachgebrauch Krankheit, Schmerz, Leiden, und in der durch AristotelesAristoteles geprägten psychologischen Terminologie alles, was passiv aufgenommen, empfangen, erlitten wird: Sinneseindruck und Wahrnehmung, Empfindung und Erfahrung, stärkeres oder schwächeres Gefühl. Außer der Passivität trägt es bei Aristoteles auch noch den Charakter der ethischen Neutralität; niemand kann wegen seiner πάϑη an sich gelobt oder getadelt werden. Diese Verwendung des Wortes – bei der es Leiden überhaupt bedeuten, aber auch für Hitze und Kälte, Schmerz und Freude, Liebe und Haß usw. gebraucht werden kann –, hat sich trotz vieler andersartiger Überlagerungen in dem spätlateinisch korrespondierenden Wort passio sehr lange gehalten, als «Krankheit» bis zur RenaissanceRenaissance, als «Leiden Christi» bis heute, und als «Gefühl» bzw. «Empfindung» in der psychologischen Tradition des AristotelismusAristotelismus, dessen Terminologie erstaunlich zäh sich bewahrt hat; man findet passiopassio als rein passives und oft auch ethisch neutrales Gefühl nicht nur in der ScholastikScholastik, sondern noch viel später, bis ins 18. Jahrhundert; vgl. dazu die Sammlung von Zitaten bei LerchLerch, E., S. 332–334. Das Charakteristische dieser ältesten uns erreichbaren Schicht ist, wie gesagt, Passivität und ethische Neutralität.
Allein schon in der Dialektik des AristotelismusAristotelismus lag eine gewisse Möglichkeit zur Aktivierung des Begriffs πάϑοςπάϑος. Das Leidend-Befallene befindet sich nämlich gegenüber dem Aktiv-Wirkenden im Zustand der Potenz, der δύναμιςδύναμις; es ist bereit, die Wirkung zu empfangen; durch die Wirkung des Wirkenden wird es bewegt oder verändert; es bewegt sich also, und auch diese Bewegung wird als πάϑος bezeichnet; ein seelisches πάϑος wird also leicht zu einer ϰίνησις τῆς ψυχῆς, lat. motus animi. Diese Gedanken, die ich hier nur sehr vereinfacht wiedergebe, sind im Mittelalter, zumal vom ThomismusThomismus, weitergesponnen worden,3 doch blieben sie wohl ohne Einfluß auf den allgemeinen Sprachgebrauch; um so folgenreicher wurde die stoische Weiterbildung derselben. Für die StoaStoa werden die passiones zur Unruhe, zum richtungslosen Bewegt- und Umgetriebenwerden, das die Ruhe des Weisen zerstört. Das Wort passiopassio erhält eine scharf peiorative Bedeutung; jedes innere Berührt- und Bewegtwerden von dem Treiben der Welt ist nach Möglichkeit zu vermeiden; der Welt, zumindest innerlich, nicht zu begegnen, sich nicht von ihr beunruhigen zu lassen, impassibilisimpassibilis zu sein, ist Pflicht des Weisen. Auf diese Art tritt der ursprüngliche Gegensatz zu actioactio in den Hintergrund, und passio wird zum Gegensatz von ratioratio; den bewegten passiones steht die Ruhe der Vernunft entgegen; Bewegung aber schließt eine Art von Tätigkeit mit ein. Hier zum ersten Male läßt sich bei der deutschen Wiedergabe das Wort «Leidenschaft» verwenden; teils wegen der Bewegung, teils wegen der von der StoaStoa stets unterstellten Heftigkeit; hier entstehen die Bilder von den Stürmen und Wirbeln der Leidenschaften, und für passio wird vielfach das klar peiorative perturbatioperturbatio verwendet. Dies ist die zweite Schicht der Bedeutungsentwicklung von πάϑοςπάϑος-passiopassio; sie ist charakterisiert durch Heftigkeit, Annäherung an die Aktivität, und peiorative Wertung. Sie ist praktisch noch wirksamer gewesen als die erste, die aristotelische, da sie noch heute in den populären Moralvorstellungen der verschiedensten Menschengruppen weiterlebt; sie tritt in fast allen späteren ethischen Lehrsystemen in irgendeiner Weise in Erscheinung; auch Verwendungen von passio, in denen beide Auffassungen, die aristotelische wie die stoischeStoa, in mannigfaltigen Mischungen gleichzeitig wirksam sind, findet man häufig, zumal in der späteren ScholastikScholastik und in der RenaissanceRenaissance.
Die stoische Bedeutung von passio war um so wirksamer, als sie gleich anfangs Einfluß auf die spätantiken christlichen Autoren gewann. AmbrosiusAmbrosius, hl. schreibt: Caro nostra diversis agitatur et freti modo fluctuat passionibus (De Noe et Arca, 15, 51; PL 14, p. 385); AugustinAugustinus braucht ein ähnliches Bild (passionum turbelis et tempestatibus agitari. De civ. 8, 17), er definiert passiopassio als motus animi contra rationem und sagt, das Wort werde im Lateinischen, zumal in dem kirchlichen Sprachgebrauch, non nisi ad vituperationem verstanden.4 Das ist unverkennbar stoischStoa. Bei den christlichen Autoren werden die passiones gleichbedeutend mit den concupiscentiae carnis, vielfach geradezu mit den Sünden.5 Andererseits distanziert sich Augustin energisch von der Passionslehre der StoikerStoa (De civ. 9, 4ff.) er erkennt bonae passiones an, ebenso wie Ambrosius (omnis enim affectus qui est praeter deformis delectationis illecebras passio quidem est, sed bona passio, sagt dieser a. a. O. 24, 88, p. 402), was eher peripatetisch klingt. Es kreuzen und mischen sich damals schon beide Strömungen, wie dies ja aus Augustins Ausführungen hervorgeht; immerhin stand die stoische Moral in dieser Epoche der christlichen näher.
Und doch unterschieden sie sich schon damals grundsätzlich. Denn nicht die Ruhe des Weisen, sondern die Unterwerfung unter das Unrecht setzten die christlichen Autoren den passiones entgegen – nicht sich der Welt zu entziehen, um Leiden und Leidenschaft zu vermeiden, sondern die Welt leidend zu überwinden ist ihre Absicht. StoischeStoa und christliche Weltflucht sind tief verschieden. Nicht den Nullpunkt der Leidenschaftslosigkeit außerhalb der Welt, sondern das Gegenleiden, das leidenschaftliche Leiden in der Welt und damit auch gegen die Welt ist das Ziel christlicher Weltfeindschaft; und gegen das Fleisch, gegen die bösen passiones dieser Welt, setzen sie weder die stoische ApathieApathie, noch auch die «guten Gefühle» (bonae passiones, s. o.), um etwa durch vernünftigen Ausgleich die aristotelischeAristoteles Mitte zu gewinnen – sondern etwas ganz Neues, bis dahin Unerhörtes: die gloriosa passio aus glühender Gottesliebe.6 Nicht der impassibilisimpassibilis ist vollkommen, sondern perfectus in omnibus ist, so sagt AmbrosiusAmbrosius, hl., Expos. in Ev. sec. Lucam X, 177, PL 15 (1848), quem caro iam revocare non posset a gloria passionis;7 und die scilitanischen Märtyrer (Acta Bolland. VIII, 6) rufen, als man sie zum Tode führt: Deo gratias, qui nos pro suo nomine ad gloriosam passionem perducere dignatus est.
Wer hier sich an den Unterschied der Bedeutungen «Leiden» und «Leidenschaft» hält, dem ist die Dialektik beider Inhalte im christlichen Verstande nicht deutlich – ist doch die Liebe Gottes, die ihn bewog, das Leiden der Menschen auf sich zu nehmen, selbst ein motus animi ohne Maß und Grenze.8 In der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends wird das Thema vom Leiden Christi zwar selten aufgenommen, aber um so häufiger seit der christlichen Wiedergeburt des 12. Jahrhunderts, seit der menschgewordene Christus den rex gloriae wieder zu überstrahlen beginnt. An einer einst berühmten, von vielen Zeitgenossen zitierten Stelle (Serm. in Cant. LXI, PL 183, 1074) spricht Bernhard von ClairvauxBernhard v. Clairvaux vom Märtyrer: Enimvero non sentiet sua, dum illius (Christi) vulnera intuebitur. Stat martyr tripudians et triumphans, toto licet lacero corpore; et rimante latera ferro, non modo fortiter, sed et alacriter sacrum e carne sua circumspicit ebullire cruorem. Ubi ergo tunc anima martyris? Nempe in tuto, nempe in petra (es handelt sich um einen Kommentar zu Cant. 2, 17 columba mea in foraminibus petrae), nempe in visceribus Jesu, vulneribus nimirum patentibus ad introeundum. … Non hoc facit stupor, sed amor ….9 Die offenen Wunden Christi sind es, in die sich der Märtyrer birgt und die das Liebesfeuer in ihm entzünden, so daß er über die Qualen des eigenen Körpers ekstatisch triumphiert; sie sind ihm Zeugen für Christi Liebe. Amavit, inquam, amavit: habes enim dilectionis pignus Spiritum, habes et testem fidelem Jesum, et hunc crucifixum. (Epist. CVII, 8; PL 182, 246.) Die zisterziensische MystikMystik, die auf die ähnlichen Bewegungen der späteren Jahrhunderte den größten Einfluß hatte, entfaltet sich in dem Rahmen des Kommentars zum Hohen Lied; aus einer uns nur noch schwer zugänglichen, überwiegend allegorischen, teilweise auch typologisch-figuralen Form der Ausdeutung entspringt eine uns kaum noch faßbare Fülle und Süße schöpferischer Liebeskraft. Facile proinde plus diligunt qui se amplius dilectos intelligunt, sagt Bernhard in dem Buche De diligendo Deo (III, 7; PL 182, 978); cui autem minus donatum est, minus diligit. Judaeus sane, sive paganus, nequaquam talibus aculeis incitatur qualis Ecclesia experitur, quae ait Vulnerata caritate ego sum, et rursum: Fulcite me floribus, stipate me malis, quia amore langueo (Cant. 2, 5) … Cernit Unicum Patris, crucem sibi bajulantem; cernit caesum et consputum dominum majestatis; cernit auctorem vitae et gloriae confixum clavis, percussum lancea, opprobriis saturatum, tandem illam dilectam animam suam ponere pro amicis. Cernit haec, et suam magis ipsius animam gladius amoris transverberat, et dicit: Fulcite me floribus, statipe me malis, quia amore langueo. Haec sunt quippe mala punica, quae in hortum introducta dilecti sponsa carpit ex ligno vitae, a coelesti pane proprium mutuata saporem, colorem a sanguine Christi. Videt deinde mortem mortuam … Advertit terram quae spinas et tribulos sub antiquo maledicto produxerat, ad novae benedictionis gratiam innovatam refloruisse. Et in his omnibus, illius recordata versiculi: Et refloruit caro mea, et ex voluntate mea confitebor ei (Ps. 27, 7) passionis malis, quae de arbore tulerat crucis, cupit vigere, et de floribus resurrectionis, quorum praesertim fragrantia sponsum ad se crebrius revisendam invitet. … So wie Christus trunken war vom Wein der Liebe, ebrius vino charitatis, als er sich opferte (Sermo de diversis XXIX, PL 183, 620), so wird es die Seele, die sich in seine passio und resurrectioresurrectio versenkt. Suavissimum mihi cervical, sagt ein Fortsetzer Bernhards,10 bone Jesu, spinea illa capitis tui corona; dulcis lectulus illud crucis tuae lignum. In hoc nascor et nutrior, creor et recreor, et super passionis tuae altaria memoriae mihi nidum libenter recolloco. – Der Hauptausgangspunkt der zisterziensischen PassionsmystikMystik ist jedoch der Vers Cant. I, 12: Fasciculus myrrhae dilectus meus mihi, inter ubera mea commorabitur. Mit Rücksicht einerseits auf den Myrrhentrank vor der Kreuzigung (Marc. 15, 23), andererseits auf die Erzählung von Joseph von Arimathia und Nicodemus, die Jesu Leichnam vom Kreuz nahmen und in leinene Tücher mit Myrrhen und Aloe wickelten, wird der fasciculus myrrhae als Figur des gekreuzigten Leibes bzw. der Passion angesehen, welche, wie die Myrrhe, bitter und heilsam ist; sie soll dauernd zwischen den Brüsten, also am Herzen der Geliebten ruhen, das heißt die Kirche bzw. die Seele soll ohne Unterlaß über die Passion meditieren.11 Entsprechend wird die Traube des Zypernweines im nächsten Vers (botrus Cypri dilectus meus mihi …) wegen ihrer herzerfreuenden Süße als die Auferstehung gedeutet. Bernhards Kommentar zu diesen Versen – er enthält eine Variante, da er nur den Myrrhentrank als Passion, die Einbalsamierung schon als Unzerstörbarkeit des Leibes deutet – muß damals tiefen Eindruck gemacht haben; ich habe die Hauptstelle daraus bei BonaventuraBonaventura und bei SusoSuso, H. zitiert gefunden: Et ego, fratres, ab ineunte mea conversione, pro acervo meritorum, quae mihi deesse sciebam, hunc mihi fasciculum colligare et inter ubera mea collocare curavi, collectum ex omnibus anxietatibus et amaritudinibus Domini mei. … Ubi sane inter tot odoriferae myrrhae huius ramusculos minime praetermittendam putavi etiam illam myrrham qua in cruce potatus est; sed neque illam qua unctus est in sepultura. Quarum in prima applicuit sibi meorum amaritudinem peccatorum; in secundo futuram incorruptionem mei corporis dedicavit. Memoriam abundantiae suavitatis horum eructabo, quoad vixero; in aeternum non obliviscar miserationes istas, quia in ipsis vivificatus sum. (In Cant. XLIII, PL 183, 994.)