Kitabı oku: «Die Beichte eines Kindermädchens»

Yazı tipi:

Erich Hübener

Die Beichte eines Kindermädchens

Olga von der Wolga: Kriminalkomödie

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Olga

Rosenbauer

Meixner - Junior

Fischer

Impressum neobooks

Olga

Die Beichte eines Kindermädchens

Sie stand eines Tages bei der Familie Fischer vor der Tür und sagte: „Guten Tag, ich habe gehört, dass sie ein Kindermädchen suchen.“

Frau Fischer sah die junge Frau, - oder war es noch ein junges Mädchen, - erstaunt von oben bis unten an. Sie war hübsch, aber nicht sehr vorteilhaft gekleidet. Unter ihrer Strickmütze quollen blonde Haare hervor, die zu einem langen sauberen Zopf geflochten waren. Sie trug eine Windjacke, einen dreiviertellangen Rock und handgestrickte Socken, die in derben Straßenschuhen steckten.

„Bin ich hier richtig?“, fragte sie.

Frau Fischer registrierte den ausländischen Akzent in ihrer Sprache. Osteuropäisch, dachte sie, polnisch oder russisch. Aber man soll ja keine Vorurteile gegen Ausländer haben. Manche sollen ganz fleißig sein und billiger als deutsche Arbeitskräfte sind sie auch.

„Kommen Sie doch erst einmal herein“, sagte sie.

Die junge Frau streifte die Schuhe auf der Fußmatte ab.

„Oder soll ich sie ausziehen?“, fragte sie.

„Nein, nein“, antwortete Frau Fischer, „das sollen die Männer machen, wenn sie vom Hof hereinkommen. Aber die tun es meistens nicht.“

Frau Fischer ging voran in Richtung Küche. Gut erzogen scheint sie ja zu sein, dachte sie und bot ihrem Gast einen Stuhl an. Sie selbst setzte sich auf die Eckbank. Das Mädchen setzte sich auf den Rand des Stuhls und legte die Hände in den Schoß.

„Möchten Sie einen Kaffee oder lieber einen Tee?“

„Lieber einen Tee“, sagte sie etwas schüchtern.

Während Frau Fischer mit dem Wasserkocher den Tee zubereitete fragte sie halb über die Schulter: „Wie heißen Sie eigentlich?“

„Olga“, sagte ihr Gast, „genügt Ihnen das? Mein Nachname ist so unaussprechlich, dass ich ihn meistens weglasse. Sie können auch gleich `Olga´ und `Du´ zu mir sagen.“

„Ja, ist mir recht. Wo kommen Sie, ich meine, wo kommst du denn her?“

„Aus Russland. Ich bin an der Wolga, in der Nähe von Engels aufgewachsen. Unsere Oma war Deutsche.“

„Und deshalb sprichst du so gut Deutsch.“

„Ja, unsere Oma hat zu uns Kindern gesagt: `Ich bin Deutsche und ich spreche Deutsch, wenn ihr mich nicht versteht, dann ist es euer Problem´. Und so haben wir Deutsch gelernt. Wir liebten unsere Oma und wollten sie natürlich verstehen. Denn sie war eine sehr liebe Frau.“

„Und warum bist du jetzt hier?“

„Nach dem Tod unserer Oma wollte ich das Land kennen lernen, von dem sie uns so viel erzählt hatte. Sie hat nur Gutes über Deutschland und die Deutschen gesagt. Die Russen mochte sie nicht.“

„Und was ist mit deinen Eltern?“

Frau Fischer hatte inzwischen Tee eingegossen und ein paar selbstgebackene Plätzchen auf den Tisch gestellt. Olga probierte einen der Kekse und sagte dann: „Oh, die sind genau so lecker wie bei meiner Oma. Sie hat gerne gebacken, aber leider gab es bei uns nicht immer die richtigen Zutaten.“

„Und was ist mit deinen Eltern?“, hakte Frau Fischer nach.

„Meine Mutter ist auch noch in Deutschland geboren, aber schon als kleines Kind mit ihren Eltern ausgewandert. Später hat sie dann einen russischen Mann geheiratet. Meine Eltern haben nur Russisch gesprochen. Und in der Schule haben wir auch nur Russisch gelernt.“

„Hast du denn schon einmal in einem Haushalt gearbeitet?“

„Nur zu Hause. Aber ich kann kochen und putzen. Und ich habe immer gerne mit den Kindern in der Nachbarschaft gespielt. Ich liebe Kinder.“

„Das ist uns auch wichtig. Unsere Kinder sind noch klein. Saskia ist fünf und Max gerade drei. Vormittags sind sie im Kindergarten. Da müsstest du sie abholen und eine Kleinigkeit zu Essen für sie machen. Gegen 18 Uhr essen wir dann alle gemeinsam. Wir würden immer einen Speiseplan machen, denn für das Kochen wärest du meistens zuständig, weil ich tagsüber im Büro unseres Betriebes arbeite. Du könntest bei uns wohnen. Oben hättest du dein eigenes Zimmer. Aber über Geld musst du mit meinem Mann sprechen. Dafür ist er zuständig.“

Olga hatte aufmerksam zugehört und nickte zustimmend.

„Wann könntest du denn anfangen?“

„Wenn Sie wollen sofort. Ich müsste nur noch meinen kleinen Koffer vom Bahnhof abholen“.

„Gut“, sagte Frau Fischer abschließend, „da kann Joseph nachher mit dir hinfahren. Joseph ist unser Lagerarbeiter. Er ist sehr nett, du wirst sehen. Und um ein Uhr musst du dann die Kinder vom Kindergarten abholen. Joseph wird dir den Weg zeigen. Ich rufe ihn gleich. Ach, noch eins, montags hättest du deinen freien Tag. Da kümmere ich mich selbst um alles. Da muss mein Mann sehen, wie er allein klarkommt.“

"Harmonie"

Kriminalhauptkommissar i.R. Walter war ziemlich planlos unterwegs. Jetzt, als Pensionär, hatte er viel Zeit, jeden Tag frei und niemanden, um den er sich hätte kümmern müssen. Er war mit seinem Wagen am Rhein unterwegs, von Köln aus rheinaufwärts. Ganz gemütlich zuckelte er auf Nebenstraßen Richtung Süden. Plötzlich stutzte er. Was hatte da auf dem Wegweiser gestanden? Er bremste und setzte zurück. Und da stand es groß und deutlich, schwarz auf gelb: Harmonie 2 Km. Den Ort sehe ich mir mal an, dachte er, bog von der Kreisstraße ab und erreichte kurz darauf den Ort Harmonie – oder war es doch eher schon eine Stadt?

Er ließ seinen Wagen langsam durch den Ort rollen und parkte schließlich auf dem Marktplatz, gleich neben der Kirche. Der Platz sah aus als sei hier schon jahrhundertelang Wochenmarkt abgehalten worden. In einem großen Kreis standen die alten Häuser eng aneinandergeschmiegt rund um die Kirche. In den unteren Stockwerken der Häuser gab es kleine Geschäfte: eine Bäckerei, einen Frisör, eine Apotheke, die Poststelle, eine Bankfiliale, eine Arztpraxis und in einem größeren Gebäude die Gastwirtschaft „Zur Traube“. „Zimmer frei“ stand auf dem Plakatständer neben der Eingangstür. Das passt gut, dachte Walter, vielleicht bleibe ich ein paar Tage und sehe mich hier ein bisschen um.

Es war kurz nach Mittag. Walter setzte sich an einen der Tische vor der Gastwirtschaft. Nach kurzer Zeit kam ein junges Mädchen heraus und fragte ihn nach seinen Wünschen. Er bestellte ein Bier. Als sie es brachte, fragte Walter, auf das Schild deutend: „Ist heute auch noch ein Zimmer frei?“

„Ja, sicher“, sagte sie mit einem deutlichen Ausrufezeichen, „aber da müssen Sie auf unsere Chefin warten, denn die ist für die Zimmer zuständig. Sie kommt so gegen sechs Uhr.“

Während er das Bier trank, betrachtete Walter die Menschen um sich herum. So sehen also die Bewohner des Ortes mit dem schönen Namen Harmonie aus, dachte er. Nach einiger Zeit stellte er fest, dass sie auch nicht anders aussahen, als in anderen vergleichbaren Orten. Als er das Bier bezahlte, fragte er das junge Mädchen, was man an einem so schönen Nachmittag hier noch unternehmen könnte.

„Sie können ja wandern“, sagte sie, „vielleicht oben zur Teufelskanzel.“

Walter bedankte sich und ging in die Richtung, in die das Mädchen gezeigt hatte. Am Stadtrand fand er eine Informationstafel, auf der alle Wanderwege eingezeichnet waren, auch der „Teufelskanzel-Rundweg“, den man nach Eintragung der Wanderfreunde in etwa zwei Stunden umrundet haben könnte. Und er wäre durch stilisierte Teufelsköpfe gekennzeichnet.

Der Weg führte zunächst durch Mais- und Rapsfelder. Oberhalb der anschließenden Wiesen begann der Wald, Laub- und Nadelbäume, gemischt, dazwischen Unterholz, so wie sich nach neuesten Erkenntnissen ein natürlicher Wald selbst entwickeln sollte. Es ging stetig bergauf. Er ließ es langsam angehen, pflückte ein paar Blaubeeren, betrachte Pilze am Wegesrand, lauschte dem Gesang der Vögel und hatte schon bald die „Teufelskanzel“ erreicht. Es war die obere Kante eines alten Steinbruchs. Wahrscheinlich hatten hier vor Jahren die Menschen der umliegenden Orte die natürlichen Steinbrocken für die Fundamente ihrer Häuser genutzt. Das musste aber schon längere Zeit zurück liegen. Inzwischen wuchsen im Steilhang schon wieder Büsche und kleine Bäume. Ein provisorisches Geländer sollte wohl Wanderer vor dem Absturz bewahren. Aber diese Funktion erfüllte es schon lange nicht mehr. Die Stangen und Pfosten waren morsch und brüchig und gerade in der Mitte, der gefährlichsten Stelle, war es schon durchgebrochen. Walter trat ein paar Schritte vor und blickte vorsichtig hinunter. Es ging etwa zehn bis zwölf Meter in die Tiefe. Unten war ein freier Platz, etwa von der Größe eines Hauses. In der Mitte befand sich eine aus Natursteinen aufgeschichtete runde Feuerstelle. Wahrscheinlich feiern dort Jugendliche im Schein lodernder Flammen wilde Partys, überlegte er. Etwas oberhalb stand eine Bank die ihm sehr gelegen kam. Eine Pause konnte er jetzt gut gebrauchen. Er setzte sich und genoss die Aussicht. Warum dieser Platz hier oben „Teufelskanzel“ hieß, erschloss sich ihm allerdings nicht. Ich frag nachher mal das Mädchen vom Gasthof, beschloss er.

Hätte Walter zu diesem Zeitpunkt geahnt welch wesentliche Rolle dieser ausgediente Steinbruch mit seiner Abbruchkante in den nächsten Tagen in seinem Leben spielen sollte, er hätte wahrscheinlich nicht so versonnen ins Tal blicken können. Noch lag der Ort im Tal in der Abendsonne friedlich zu seinen Füßen. Er beendete seine Pause und machte sich auf den Rückweg. Da es ja ein Rundweg war, ging es jetzt kontinuierlich bergab. Während er noch über die Teufelskanzel nachdachte, die so gar nicht zu dem Ortsnamen Harmonie passen wollte, kam ihm eine Person entgegen. Offensichtlich ein Mann, wie Walter trotz der Entfernung deutlich erkennen konnte. Aber es war nicht der Förster und auch kein Jäger. Dazu fehlte ihm die übliche Ausstattung, Gewehr, Hut und Hund. Es schien aber auch kein Wanderer zu sein, denn einen Rucksack hatte er auch nicht bei sich. Eher ein Spaziergänger, so wie er selbst, dachte er. Gibt es hier Urlauber oder Feriengäste? Welcher Mensch der arbeitenden Bevölkerung kann es sich leisten, am Nachmittag eines Wochentages hier oben spazieren zu gehen? Als sie sich begegneten, trafen sich ihre Blicke für Bruchteile von Sekunden. Aber es reichte Walter, um sich ein umfassendes Bild des Fremden zu machen. Er mochte etwa 50 bis 55 Jahre alt sein, groß und kräftig gebaut, ein raues, etwas verwildertes Gesicht, Dreitagebart, Jeans, Anorak, Straßenschuhe. Als sie sich begegneten, grüßte Walter ihn, aber der andere nickte nur.

Walter war um halbsechs wieder an der Wirtschaft, wie er durch einen Blick auf die Kirchturmuhr feststellen konnte. Er setzte sich wieder an einen der Tische im Biergarten. Dasselbe junge Mädchen erschien und fragte: „Darf´s was sein, vielleicht wieder ein Bier?“

„Ja gern“, antwortete Walter.

Als sie das Bier brachte, sagte Walter: „Ich hätte da noch eine Frage. Ich bin ja Ihrer Empfehlung gefolgt und den Teufelskanzel-Rundweg gewandert. Warum heißt diese Felskante da oben eigentlich Teufelskanzel?“

„Ach, da gibt es viele Geschichten. Eine alte Frau soll mal erzählt haben, dass ihr der Teufel dort eine Predigt gehalten habe, weil sie am Sonntag nicht in der Messe war, sondern stattdessen da oben Holz gesammelt hat. Andere sagen, dass man in der Walpurgisnacht dort oben den Teufel persönlich predigen hören kann. Das wird halt so erzählt. In Wirklichkeit weiß wahrscheinlich niemand, wo der Name herkommt. Aber es ist manchmal schon ganz schön gruselig, wenn wir da oben an der Feuerstelle Partys feiern und der Schein der lodernden Flammen eigenartige Schatten auf die Felswand wirft.“

Das klingt ja wie aus einem klassischen Schauspiel, dachte Walter und er sagte: „Danke, das reicht mir schon.“

Sie putzte die Tische mit einem feuchten Tuch ab und wischte sie mit einem anderen Tuch trocken.

„Das ist ganz schön gefährlich da oben“, nahm Walter das Gespräch wieder auf, „ist da noch nie etwas passiert?“

„Nein“, sagte sie, „wenn wir da oben feiern, dann gehen wir ja sowieso nur bis zu der Feuerstelle.“

Vom Kirchturm schlug es sechs Uhr. Walter ging in den Schankraum und setzte sich so, dass er alles überblicken konnte, in die hintere Ecke, mit dem Rücken zur Wand. Zuerst erschien die Wirtin, groß und stämmig, wie man sich eine echte Wirtin vorstellt. Offensichtlich hatte das Mädchen sie schon informiert, denn sie hatte bereits den Anmeldeblock in der Hand.

„Wie lange wollen Sie denn bleiben?“, fragte sie geradeheraus.

„Ach, ich weiß es noch nicht. Vielleicht ein paar Tage.“

Sie setzte sich zu ihm an den Tisch.

„Wie heißen Sie denn?“

„Walter – so wie der Fritz.“

„Welcher Fritz?“

„Na, der Fritz Walter, der frühere Fußballbundestrainer.“

„Und, heißen Sie auch Fritz?“

„Nein, ich heiße Stephan. Brauchen Sie meinen Ausweis?“

„Ja, irgendwann schon.“

„Ich bringe ihn nachher gleich vorbei.“

„Ich gebe Ihnen Zimmer Nummer sieben. Es ist ein Eckzimmer. Da sieht man den halben Ort.“

„Ja, danke. Kann ich bei Ihnen auch etwas essen?“

„Natürlich, aber da ist mein Mann zuständig. Ich schicke ihn vorbei.“

Der Wirt erschien. Ebenso groß und kräftig gebaut, mit Halbglatze und dunkelweißer Schürze.

„Was soll ich denn für Sie brutzeln?“, fragte er salopp.

„Was ist denn Ihre Spezialität?“

„Alle Schnitzelarten, mit Pommes und Salat.“

„Also gut, einmal Jägersschnitzel mit Pommes und Salat und dazu ein Bier.“

„Kommt sofort, der Herr“, schnurrte er und verschwand hinter der Theke.

Um diese Zeit war es noch ruhig in der „ Traube“. Lediglich zwei Männer saßen an der Theke und tranken ein Bier zum Feierabend.

Während Walter auf das Essen wartete, kam ein weiterer Mann herein. Er setzte sich auch an die Theke, allerdings in einem gewissen Abstand und würdigte die anderen keines Blickes. Er bestellte ein Bier und einen Schnaps, kippte beides hinunter und bestellte sofort noch mal das gleiche. Bevor Walter mit dem Essen fertig war, hatte der neue Gast drei Bier und drei Schnäpse getrunken.

Die anderen beiden steckten die Köpfe zusammen. Plötzlich brüllte der dritte: „Ihr braucht gar nicht zu flüstern. Ich weiß genau, was ihr da zu reden habt. Aber ihr bekommt die Hütte nicht. Meine Mutter wollte es nicht und von mir kriegt ihr sie auch nicht. Nur über meine Leiche!“

„Das kannst du haben“, antwortete einer der anderen. Und eh´ Walter sich versah, war eine heftige Schlägerei ausgebrochen. Der dritte Gast stürzte sich auf einen der anderen und stieß ihn mit dem Barhocker um. Dessen Freund wollte ihm zu Hilfe kommen, stürzte dabei aber selbst und riss die beiden Biergläser von der Theke. Das Geräusch des splitternden Glases alarmierte den Wirt. Er kam aus der Küche gerannt, packte den Störenfried von hinten an der Jacke und bugsierte ihn zum Ausgang.

„Lass dich heute nicht noch einmal hier blicken“ schrie er und stieß ihn ziemlich unsanft zur Tür hinaus. „Und vergiss morgen nicht deine Rechnung zu bezahlen“, rief er ihm noch nach. Nachdem der Wirt die Scherben beseitigt hatte, kam er zu Walter an den Tisch, entschuldigte sich für den Zwischenfall und sagte: „Es gibt überall so Rüpel, die immer gleich raufen müssen, auch bei uns in Harmonie.“

Die anderen zwei hatten sich immer noch nicht beruhigt. Offensichtlich waren sie noch mit dem Inhalt des Streites beschäftigt und gestikulierten dabei wild mit Händen und Füßen. Walter hatte alles aus der Distanz beobachtet und überlegte, ob er den Wirt wohl nach dem Grund des Streites fragen sollte. Aber er unterließ es, schließlich war er hier ja im Urlaub.

Olgas Tod

Olga lag auf dem Fußboden. Die geöffneten Augen waren hervorgetreten. Sie hatte gekämpft, hatte schreien wollen, aber der Knebel in ihrem Mund hatte es verhindert. Die Schlinge um ihren Hals hatte sich zugezogen, sie war erstickt. Sie atmet noch, dachte er als er sie losband, sie ist nur bewusstlos, sie lebt noch. Aber Olga war tot. Das Spiel war zu Ende, es gab kein Zurück. Als er merkte, dass es vorbei war, schloss er ihr ganz vorsichtig die Augen. Lange saß er neben ihr und dachte nach, was zu tun sei. Hier im Haus konnte er sie nicht verstecken, ein paar Tage vielleicht, aber irgendwann musste er doch eine endgültige Lösung finden. Sie im Garten zu vergraben erschien ihm auch keine gute Idee. Man würde sie ja vermissen, man würde nach ihr suchen. Womöglich würden Suchhunde eine Spur finden, die zu ihm führt. Er musste sie loswerden. Keine Leiche, kein Beweis. Am besten wäre es, wenn man sie irgendwo finden würde, draußen, im Wald. Er durfte nur keine Spuren hinterlassen. Dann sollte die Polizei ruhig suchen. Von seinem Versteck wusste niemand hier im Ort. Und solange man die Tote nicht mit ihm in Verbindung bringen konnte würde ihn auch niemand verraten.

Sein Auto stand hinter dem Haus. Der Kleinwagen war sicher nicht für den Transport einer Leiche geeignet, aber es musste sein. Als er sie in den Kofferraum legen wollte stieß er mit ihrem Kopf gegen den Kofferraumdeckel. Es durchzuckte ihn als ob er sich den Schmerz selbst zugefügt hätte. Als er noch über einen geeigneten Lagerplatz nachdachte fiel ihm die Feuerstelle unterhalb der Teufelskanzel ein. Das ist eine gute Idee dachte er. Man wird vermuten, dass sie dort hinuntergestürzt sein könnte.

Die Nacht neigte sich bereits ihrem Ende zu. Die Dämmerung kroch schon durch die Bäume. Er parkte seinen Wagen in einer kleinen Ausbuchtung weit vor der Feuerstelle und trug Olga das letzte Stück auf der Schulter. Sie war leicht wie eine Feder. Er bettete sie auf der Feuerstelle. Dann fiel ihm ein, dass sie es nicht gemocht hatte, wenn ihr die Sonne ins Gesicht schien. Darum drehte er sie vorsichtig um. Aber noch bevor er sich gebührend von ihr verabschieden konnte, hörte er ein Geräusch. Es kam vom oberen Weg. Er eilte zurück zu seinem Wagen und sah dort oben einen Mann. Gott sei Dank war es war nicht der Förster, denn dessen Hund hätte ihn bestimmt aufgespürt. Trotzdem war er sich nicht sicher, ob der Mann ihn von dort oben nicht doch gesehen hatte. Also schlenderte er mit gespielter Ruhe den Weg zurück, bückte sich nach einem Pilz und wartete, bis die Person da oben weitergegangen war. Dann ging er zu seinem Auto und ließ es den Weg hinab rollen. Erst kurz hinter dem Forsthaus schaltete er das Licht ein und ließ den Motor an.

Pilze

Es ist schon recht kühl für einen der ersten Herbsttage, dachte Hans Herwig und zog den Reißverschluss seiner Regenjacke nach oben. Aber Pilze gab es wenigstens reichlich. Das war seine Zeit. Schon seit Jahren kam er mit seiner Familie in den Herbstferien nach Harmonie. „Was für ein eigenartiger Name“ hatte seine Frau bei ihrem ersten Besuch gesagt. Aber der Ortsname war ihm egal. Er fuhr wegen der Pilze immer wieder hierher. So auch in diesem Jahr.

Es dämmerte erst, als er seinen Wagen am Forsthaus auf dem Parkplatz abstellte. Er nahm den oberen der beiden Wege, der zur Teufelskanzel führte. Er kannte sich hier ja inzwischen gut aus. Er wusste, dass es oben im Buchenwald Pfifferlinge gab und weiter hinten, in den Moospolstern unter den halbhohen Fichten, hatte er immer wieder prächtige Steinpilze gefunden.

Er war noch auf dem Weg, als er einen Eichelhäher krächzen hörte. Aber der Warnruf galt nicht ihm. Dafür war es zu weit entfernt. Es musste noch eine andere Person unterwegs sein, vermutlich weiter unten auf dem Weg zur Feuerstelle. Er blieb stehen und schaute nach unten. Und da sah er jemanden, kaum mehr als einen Schatten. Es war ein Mann in einem Mantel und einem Hut auf dem Kopf. Aha, dachte er, die Konkurrenz. Aber man kam sich ja nicht in die Quere. Er ging bergauf und der andere bergab.

Es schien ein gutes Pilzjahr zu sein. Pfifferlinge konnte er schon reichlich ernten. Steinpilze gab es erst nur vereinzelt Darum durchstreifte er den Wald bergauf Richtung Teufelskanzel. Es war doch anstrengend gewesen und darum war er froh, auf der alten Holzbank eine Pause machen zu können. Es musste kurz vor Sonnenaufgang sein. Der Nebel lag noch über dem Tal, aber hier oben war es schon taghell. Er saß gerne hier, nicht nur wegen der schönen Aussicht, sondern auch wegen der nahen Steilkante. Wenn er hinuntersah, stellte sich bei ihm immer ein eigenartig kribbelndes Gefühl in der Magengegend ein. Auch heute wollte er es wieder verspüren. Er trat an den Rand des kleinen Plateaus, blickte hinunter und erstarrte. Denn was er dort sah erschreckte ihn so sehr, dass er fast hinunter gestürzt wäre. Untern auf der Feuerstelle lag eine Person, eine Frau, wie er auf den ersten Blick erkennen konnte. Sie trug ein weißes T-Shirt, einen roten Minirock, keine Schuhe und lange blonde Haare. Sie lag nicht so da, als ob sie schlief, dazu wäre es an diesem Morgen auch zu kalt gewesen. Dann wurde es ihm schlagartig klar: Da unten lag eine Tote. Er trat unwillkürlich ein paar Schritte zurück und überlegte, was zu tun sei. Natürlich müsste er als erstes die Polizei benachrichtigen. Aber nicht von hier aus, besser erst aus der Pension . Nicht, dass man ihn noch mit der Toten in Verbindung brachte. Aber halt, schnell noch ein Foto mit dem Handy. Dann lief er zu seinem Auto und fuhr zurück. Erst vor seiner Haustür, noch vom Auto aus rief er den zuständigen Polizeibeamten an und informierte ihn über den gruseligen Fund. Seiner Familie sagte er nichts davon, denn er wollte sie nicht beunruhigen.

Kommissar Walter wurde am nächsten Morgen ziemlich unsanft aus dem Schlaf gerissen. Jemand klopfte sehr energisch an seine Zimmertür. Er setzte sich im Bett auf, schaltete die Nachttischlampe ein und stellte fest, dass es gerade erst kurz nach sechs Uhr war. „Was ist los?“, rief er.

„Ich bin´s“, meldete sich eine Männerstimme, „der Wirt. Hier ist ein Anruf für Sie.“

Walter verstand die Welt nicht mehr. Niemand konnte wissen, dass er sich hier aufhielt.

„Warten Sie, ich komme“, rief er noch vom Bett aus. Barfuß öffnete er die Tür.

„Entschuldigen Sie, Herr Walter, aber es muss sehr dringend sein“, sagte der Wirt und reichte ihm das Telefon. Walter meldete sich mit seinem Namen. Am anderen Ende sagte eine männliche Stimme: „Spreche ich mit Kriminalhauptkommissar Walter?“

„Ja“, antwortete er, „aber a.D. wenn´s recht ist.“

Der Anrufer reagierte nicht darauf sondern antwortete mit einem Redeschwall: „Entschuldigen Sie bitte die frühe Störung. Hier ist Hauptwachtmeister Schuster von der örtlichen Polizei. Ich habe ein Problem. Bei mir ist eben ein Leichenfund gemeldet worden, im Wald oben an der Feuerstelle. Ich habe aber noch nie etwas mit einem Gewaltverbrechen zu tun gehabt. Und ich dachte, sie könnten mir mit Ihrer Erfahrung helfen, weil ich …“

Walter hörte kaum noch zu und dachte kurz nach. Eigentlich wollte er mit Verbrechen und deren Ermittlungen nichts mehr zu tun haben. Aber der Kollege schien wirklich verzweifelt zu sein. Na gut, dachte er, ich kann mir die Sache ja mal ansehen. Vielleicht kann ich ihm ja ein bisschen unter die Arme greifen.

„Holen Sie mich in 15 Minuten ab“, knurrte er und hatte es im selben Augenblick auch schon wieder bereut. Eine Viertelstunde später fuhr der Kollege mit Blaulicht und Martinshorn vor.

Als Walter die Beifahrertür geöffnet hatte sagte er als erstes: „Stellen Sie bitte sofort diesen Krach ab.“ Augenblicklich erstarb das Geheul und das Blaulicht erlosch. Walter stieg ein. Sie gaben sich flüchtig die Hand. „Guten Morgen“, sagte Walter. „Ja, ja“, antwortete der Kollege fahrig. Er fuhr los und schon nach wenigen Metern schimpfte er: „So eine Scheiße!“ Walter wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er sah sich den jungen Kollegen von der Seite an. Er mochte etwa 40 Jahre alt sein, war gut gebaut und trug eine Polizeiuniform.

„Spusi und Pathologe unterwegs?“, fragte Walter.

„Ja, natürlich“, antwortete Schuster, „aber es wird sicher etwas dauern, bis die hier sind.“

Sie bogen am Forsthaus links ab und erreichten nach etwa 3oo Metern den Platz unterhalb der Teufelskanzel. Auf der Feuerstelle lag bäuchlings ein lebloser Frauenkörper. Das lange blonde Haar auf ihrem Rücken sah aus wie ein goldener Wasserfall. Walter schauderte. Er hatte in seiner Dienstzeit schlimmere Bilder an Tatorten gesehen. Es sah fast friedlich aus, aber es hatte etwas Diabolisches. Es erinnerte an Hexenverbrennungen aus dem Mittelalter. Aber doch nicht heute und hier. Er ging in einem großen Bogen um den Fundort herum, um keine Spuren zu verwischen. Dabei fiel ihm eine Platzwunde am Kopf der Toten auf.

„Kann sie hier herunter gestürzt sein?“, fragte Walter und zeigte mit der Hand nach oben zur Teufelskanzel.

„Ja, das kann durchaus sein“, antwortete Schuster, „dabei könnte sie sich auch die Kopfverletzung zugezogen haben.“

„Oder jemand hat sie umgebracht und sie dann hierher gelegt, damit man genau das denken soll“, entgegnete Walter.

„Kennen Sie die Tote eigentlich?“

„Natürlich, die kennt hier im Ort jeder. Das ist Olga. Sie ist, oder besser gesagt, sie war das Kindermädchen bei Fischers, der Spedition im Industriegebiet.“

„Warum brauchten die ein Kindermädchen?“

„Na, wegen Saskia und Max, den zwei kleinen Kindern. Elvira, ich meine Frau Fischer, arbeitet nämlich in der Firma mit. Sie erledigt im Büro den ganzen Schreibkram. Und da ist es ihr irgendwann einfach zu viel geworden mit Haus und Büro und zwei Kindern. Und leisten können sie es sich ja. Der Betrieb läuft gut, fahren viel ins Ausland, sogar bis nach Russland.“

„Wie lange war Olga denn schon bei Fischers?“

„Schon ein paar Jahre.“

Langsam kroch die kühle Herbstluft die Hosenbeine hinauf. „Ich war gestern schon einmal hier. Allerdings da oben“, sagte Walter und zeigte zur Teufelskanzel hinauf. Schuster reagierte gar nicht. Er blickte wie versteinert auf die Tote. Endlich kam die Spurensicherung. Es waren drei Männer in weißer Schutzkleidung mit allerlei Koffern und Gerätschaften. Sie nickten nur zum Gruß und machten sich an die Arbeit.

„Sie haben hier nichts angefasst?“, fragte der Chef der Truppe.

„Natürlich nicht“, sagten beide fast gleichzeitig.

„Und Sie sind da auch noch nicht bis zur Feuerstelle hinaufgestiegen?“

„Nein“, sagte Walter, fast schon ein bisschen beleidigt, „ ich bin lediglich einmal im großen Bogen drum herumgegangen.“

Sie waren ein eingespieltes Team. Jeder wusste, was er zu machen hatte. Einer stellte mehrere kleine Tafeln mit deutlich sichtbaren Zahlen auf und fotografierte alles. Ein anderer hob am Boden Stöckchen und Steine auf und verstaute sie in beschrifteten Plastiktüten. Der Dritte suchte den Boden und den Weg nach Fußspuren ab. Walter war der Anblick so vertraut wie Essen und Schlafen. Kollege Schuster sah dem Treiben aufmerksam zu.

Dann kam der Pathologe, oder besser gesagt die Pathologin, eine etwa 60 Jahre alte, große und schlanke Frau. Sie stellte ihren Koffer ab und zog als erstes die obligatorischen Einweghandschuhe an. Sie grüßte Schuster mit einem Nicken und blickte dann zu Walter hinüber. „Ist schon okay“, sagte Schuster, ihrer Frage zuvorkommend, "das ist Hauptkommissar Walter a.D. Er ist zufällig gerade hier in Harmonie und ich habe ihn gebeten, mich ein bisschen zu unterstützen. Ist es Ihnen recht?“

Sie antwortete nicht. Sie wandte nur ihren Blick von Walter ab und suchte den Chef der Spusi.

„Kann ich?“, rief sie, als sie ihn erblickte.

„Ja“, rief er zurück, „wir sind hier soweit fertig.“

Frau Doktor ging mit ihrem Koffer zu der Toten und betrachtete sie einen Moment von allen Seiten. Dann sagte sie zu Schuster: „Kommen Sie, Schuster, helfen Sie mir sie umzudrehen.“

Als die Tote auf dem Rücken lag, sah Walter erst, wie hübsch sie war, selbst jetzt noch. Sie trug ein enganliegendes weißes T-Shirt, keinen BH, wie er eindeutig erkennen konnte, einen roten Minirock, der etwas nach oben gerutscht war, sodass man den weißen Slip sehen konnte. Schuhe trug sie keine, Strümpfe auch nicht. Ihre Augen waren geschlossen. Sie lag da, als ob sie schlafen würde. Niemand sagte etwas. Nach einer Weile fing Frau Doktor von sich aus an zu reden und sagte zu Schuster, ohne Walter auch nur eines Blickes zu würdigen: „Sie können davon ausgehen, dass der Fundort nicht der Tatort ist. Die Platzwunde am Kopf kann sie sich durchaus hier an einem der Steine zugezogen haben, allerdings erst post mortem – also, als sie schon tot war, denn die Wunde hätte sonst mehr geblutet. Die Frau ist erdrosselt worden, vielleicht mit einem Seil oder einem Gürtel. Sehen Sie hier“, sagte sie und zeigte auf die Streifen am Hals der Toten. „Und sie hat leichte Fesselmale an Hand- und Fußgelenken. Alles weitere nach der Obduktion.“

Wie oft hatte Walter diesen Satz schon in ähnlichen Situationen gehört. Schuster fragte: „Wie lange ist sie denn schon tot?“

„Nach Ausbildung der Leichenflecke und der Leichenstarre etwa vier bis fünf Stunden, aber, wie gesagt …“ Schuster nickte bestätigend und Walter schloss sich ihm an. Der Leichenwagen kam und transportierte die Tote ab.

„Zu mir in die Rechtsmedizin“, sagte die Pathologin.

„Ist doch klar, Frau Doktor“, bestätigte der Fahrer die Anweisung.

Irgendwann standen nur noch Walter und Schuster am Fundort. Alles sah wieder vollkommen friedlich aus. So, als ob nichts geschehen wäre. Als Walter mit dem neuen Kollegen im Dienstwagen auf dem Heimweg war, fragte er: „Wer hat die Tote eigentlich gefunden?“

„Ein Tourist, ein Gast vom Metzger Thomsen. Der hat da hinten eine alte Scheune ausgebaut und vermietet jetzt die Räume an Feriengäste. Der Mann wollte Pilze sammeln. Da hat er sie gesehen. Aber er hatte sein Handy nicht dabei. Deshalb ist er erst zu sich nach Hause gefahren und hat mich von dort aus angerufen. Er wollte unter keinen Umständen noch mal da hin. Ich glaube, der stand richtig unter Schock, so fertig war der. Ist ja auch kein Wunder, will Pilze sammeln und findet eine Leiche. So etwas kann einen schon mitnehmen, oder?“

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