Kitabı oku: «Три товарища / Drei Kameraden», sayfa 3

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5

Köster war in seinem ältesten Anzug zum Finanzamt gefahren. Er wollte versuchen, unsere Steuern herunterzukriegen. Lenz und ich waren allein in der Werkstatt.

»Los, Gottfried«, sagte ich, »‘ran an den dicken Cadillac.«

Am Abend vorher war unser Inserat erschienen. Wir konnten also heute mit Kunden rechnen – wenn überhaupt jemand kam. Es galt, den Wagen vorzubereiten. Gottfried hob Lenz die Hände zum Himmel. »Nun komm, gesegneter Kunde! Komm, lieblicher Brieftaschenbesitzer!

Ein paar Stunden arbeiteten wir ruhig, ohne viel zu reden. Dann hörte ich Jupp von der Benzinpumpe her das Lied: »Horch, was kommt von draußen‚ rein…« pfeifen. Ich kletterte aus der Grube und schaute durchs Fenster. Ein kleiner, untersetzter Mann strich um den Cadillac herum. Er sah bürgerlich und solide aus.

»Schau mal, Gottfried«, flüsterte ich.

»Sieh dir das Gesicht an. Der ist schon mißtrauisch, bevor jemand da ist. Los, ran! Ich bleibe hier als Reserve. Komme nach, wenn du es nicht schaffst. Denk an meine Tricks!«

»Gut.«

Ich ging‚ raus. Der Mann sah mir aus klugen schwarzen Augen entgegen. Ich stellte mich vor.

»Lohkamp.«

»Blumenthal.«

Das war Gottfrieds erster Trick: sich vorzustellen. Er behauptete, es gäbe gleich eine intimere Atmosphäre. Sein zweiter Trick war, sehr reserviert zu beginnen und den Kunden auszuhorchen, um dann da einzuhaken, wo es richtig war.

»Sie kommen wegen des Cadillacs, Herr Blumenthal?« fragte ich. Blumenthal nickte. »Da drüben ist er«, sagte ich und zeigte hinüber.

»Das sehe ich«, erwiderte Blumenthal. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu.

Wir gingen über den Hof. Ich öffnete eine Tür des Wagens und ließ den Motor an. Dann schwieg ich, um Blumenthal Zeit zur Besichtigung zu lassen. Aber Blumenthal besichtigte nicht. Er kritisierte auch nicht. Er schwieg. Ich begann langsam und systematisch, den Cadillac zu beschreiben, wie eine Mutter ihr Kind, und versuchte dabei herauszukriegen, ob der Mann irgend etwas verstand. War er Fachmann, dann mußte ich mehr auf Motor und Chassis gehen – verstand er nichts, auf Komfort. Doch er verriet auch jetzt nichts. Er ließ mich reden, bis ich mir vorkam wie ein Luftballon.

»Wozu wollen Sie den Wagen haben? Für die Stadt oder für die Reise?« fragte ich schließlich, um vielleicht da einen Punkt zu finden.

»Für alles mögliche«, erklärte Blumenthal.

»Aha! Und wollen Sie ihn selbst fahren oder mit Chauffeur?«

»Je nachdem.«

Antworten gab der Mann wie ein Papagei. Um ihn aufzumuntern, versuchte ich, ihn irgend etwas probieren zu lassen. Gewöhnlich wurden Kunden zugänglicher dadurch. Ich fürchtete, daß er mir sonst einschlief.

»Das Verdeck geht für ein so großes Kabriolett besonders leicht«, sagte ich. Blumenthal probierte nicht.

Vielleicht wollte er gar nicht zu uns, vielleicht hatte er sich nur geirrt und wollte etwas ganz anderes kaufen, eine Maschine oder einen Radioapparat.

»Machen wir eine Probefahrt, Herr Blumenthal«, schlug ich schließlich vor.

»Probefahrten zeigen nichts. Was am Wagen fehlt, merkt man immer erst hinterher.«

Der Mann wollte nicht, das war klar. Aber da sah er mir voll in die Augen und sagte leise und scharf und sehr rasch:

»Was kostet der Wagen?«

»Siebentausend Mark«, sagte ich, wie aus der Pistole geschossen.

»Viel zu teuer!«

In diesem Augenblick kam ein eleganter Stutzer durch das Hoftor. Er zog eine Zeitung aus der Tasche, verglich die Hausnummer noch einmal und schritt auf mich zu.

»Ist hier der Cadillac zu verkaufen?« Ich nickte. »Könnte ich ihn mal sehen?«

»Das ist er hier«, sagte ich, »aber vielleicht warten Sie einen Moment, ich habe noch zu tun.«

Ich ging dann rasch zu Blumenthal zurück.

»Wenn Sie den Wagen einmal gefahren haben, werden Sie anders über den Preis denken«, sagte ich. »Sie können ihn gern so lange probieren, wie Sie wollen. Vielleicht kann ich Sie auch abends zu einer Probefahrt abholen, wenn Ihnen das besser paßt.«

Ich sah, daß vorläufig nichts weiter zu machen war. Dieser Mann war nicht zu bereden. Auf einmal rauchte er. Sogar Corona-Coronas – er mußte Geld wie Heu haben.

Aber es war mir schon egal. Ich nahm die Zigarre. Er gab mir freundlich die Hand und ging. Dann ging ich zurück in die Werkstatt.

»Na«, begrüßte mich der Stutzer Gottfried Lenz, »wie hab‘ ich das gemacht? Sah, wie du da herumwürgtest, und wollte mal etwas nachhelfen. Ein Glück, daß Otto sich hier fürs Finanzamt umgezogen hat! Sah seinen guten Anzug da hängen – sauste im Galopp‚ rein, durchs Fenster‚ raus und wieder hierher als seriöser Käufer! Gut gemacht, was?«

»Idiotisch gemacht«, erwiderte ich, »der Mann ist schlauer als wir beide zusammen! Sieh dir die Zigarre an! Eine Mark fünfzig das Stück. Du hast mir einen Milliardär verjagt.«

Gottfried nahm mir die Zigarre aus der Hand, beroch sie und zündete sie sich an.

»Ich habe dir einen Schwindler verjagt. Milliardäre rauchen nicht solche Zigarren. Die rauchen welche zu einem Groschen das Stück.«

»Unsinn«, antwortete ich, »Schwindler nennen sich nicht Blumenthal. Die nennen sich Graf Blumenau oder so.«

»Der Mann kommt wieder«, meinte Lenz, hoffnungsvoll wie immer, und blies mir den Rauch meiner Zigarre ins Gesicht.

»Der nicht«, sagte ich überzeugt.

»Sie sind angerufen worden«, sagte Frida, das Dienstmädchen Frau Zalewskis, als ich mittags auf einen Sprung nach Hause kam. Ich drehte mich um.

»Wann?«

»Vor‚ ner halben Stunde. War‚ ne Dame.«

»Was hat sie denn gesagt?«

»Sie will abends noch mal anrufen.«

»Hat die Dame nicht ihren Namen genannt?«

»Nee«, sagte Frida.

»Was hatte sie denn für eine Stimme? Ein bißchen dunkel und tief und so, als wäre sie etwas heiser?«

»Weiß ich nicht«, erklärte Frida phlegmatisch, als hätte ich ihr nie eine Mark in die Hand gedrückt.

Abends um sechs Uhr war ich pünktlich zu Hause. Als ich die Tür aufmachte,sah ich ein ungewohntes Bild. Auf dem Korridor stand Frau Bender, die Säuglingsschwester, umgeben von sämtlichen Damen der Pension.

»Kommen Sie mal her«, sagte Frau Zalewski.

Die Ursache der Versammlung war ein Baby, das vielleicht ein halbes Jahr alt war. Frau Bender hatte ihn aus ihrem Heim in einem Kinderwagen mitgebracht.

»Ist es nicht ein reizendes Wesen?« fragte Frau Zalewski mit schwimmenden Blick.

»Das kann man erst so in zwanzig, dreißig Jahren richtig beurteilen«, erwiderte ich.

Ich sah hin. Es war ein Baby wie alle. Ich konnte nichts Besonderes daran entdecken.

»Der arme Wurm«, sagte ich, »der hat noch keine Ahnung, was ihm bevorsteht. Möchte wissen, für was für einen Krieg der gerade zurechtkommt.«

»Rohling«, erwiderte Frau Zalewski. »Haben Sie denn kein Gefühl?«

»Viel zuviel«, erklärte ich, »sonst käme ich ja nicht auf solche Gedanken.«

Damit zog ich ab in mein Zimmer.

Zehn Minuten später klingelte das Telefon. Ich hörte meinen Namen und ging hinaus. Die ganze Gesellschaft war noch da! Es war Patrice Hollmann, die sich für die Blumen bedankte. Das Baby fing plötzlich an zu weinen.

»Entschuldigen Sie«, sagte ich in das Telefon, »ich kann Sie nicht verstehen, hier ist ein Säugling; aber es ist nicht meiner.«

Es war mir ein Rätsel, daß ich es fertigbrachte, mich trotzdem zum nächsten Abend zu verabreden.

Abends waren wir bei Gottfried verabredet. Ich aß in einer kleinen Kneipe und ging dann hin. Unterwegs kaufte ich mir im elegantesten Herrenmodengeschäft zur Feier des Tages eine prachtvolle neue Krawatte. Ich war immer noch überrascht, wie glatt alles gegangen war, und ich gelobte mir, morgen seriös zu sein wie der Generaldirektor eines Beerdigungsinstitutes. Gottfrieds Bude war eine Sehenswürdigkeit. Sie hing voll von Reiseandenken, die er aus Südamerika mitgebracht hatte. Außer Lenz und Köster waren Braumüller und Grau noch da. Theo Braumüller hockte mit sonnenverbranntem, kupfernem Schädel auf der Sofalehne und musterte begeistert Gottfrieds fotografische Sammlung. Er war Rennfahrer für eine Autofabrik und seit langem mit Köster befreundet. Am Sechsten fuhr er das Rennen mit, zu dem Otto Karl gemeldet hatte. Ferdinand Grau saß massig, ziemlich betrunken am Tisch. Als er mich sah, zog er mich mit seiner breiten Pratze zu sich heran.

»Robby«, sagte er mit schwerer Stimme, »was willst du hier unter den Verlorenen? Du hast hier nichts zu suchen. Geh wieder weg. Rette dich. Du kannst es noch!«

Ich blickte zu Lenz hinüber. Er zwinkerte mir zu.

»Ferdinand ist hoch in Form. Er versäuft seit zwei Tagen eine liebe Tote. Hat ein Porträt verkauft und gleich Geld bekommen.«

Ferdinand Grau war Maler. Dabei wäre er aber längst verhungert, wenn er nicht eine Spezialität gehabt hätte. Er malte nach Fotografien fabelhaft Porträts von Verstorbenen für Angehörige. Davon lebte er – sogar ganz gut. Seine Landschaften, die ausgezeichnet waren, kaufte kein Mensch.

Ich kletterte über das Sofa zu Köster hinüber. Mir war plötzlich etwas eingefallen.

»Otto, du mußt mir mal einen Gefallen tun. Ich brauche morgen abend den Cadillac.«

Braumüller unterbrach das intensive Studium einer wenig bekleideten kreolischen Tänzerin.

»Kannst du denn schon Kurven fahren?« erkundigte er sich. »Ich dachte bis jetzt, du könntest nur geradeaus fahren, wenn ein anderer für dich steuert.«

»Sei du ruhig, Theo«, erwiderte ich, »aus dir werden wir beim Rennen am Sechsten schon Hackfleisch machen.«

Braumüller gluckste vor Lachen.

»Also wie ist das, Otto?« fragte ich gespannt.

»Der Wagen ist nicht versichert, Robby«, sagte Köster.

»Ich werde wie eine Schnecke schleichen und wie ein Omnibus hupen. Nur ein paar Kilometer in der Stadt.«

Otto schloß die Augen bis auf einen kleinen Spalt und lächelte.

»Gut, Robby; meinetwegen.«

»Brauchst du den Wagen vielleicht zu deiner neuen Krawatte?« fragte Lenz, der herangekommen war.

»Halt den Schnabel«, sagte ich und schob ihn beiseite. Aber er ließ nicht locker. »Zeig mal her, Baby!«

Er befühlte die Seide. »Herrlich. Unser Kind als Gigolo. Mir scheint, du willst auf Brautschau!«

»Du kannst mich heute nicht beleidigen, du Verwandlungskünstler«, erwiderte ich.

Grau saß schwer und massig da, plötzlich in sich selbst und seine Trunkenheit versunken. Sein Leben war kaputt, und er wußte, daß er es nicht mehr zusammenbringen konnte. Er hauste in seinem großen Atelier und hatte ein Verhältnis mit seiner Haushälterin. Die Frau war fest und derb. Grau dagegen, trotz seines mächtigen Körpers, empfindsam und haltlos. Er kam nicht los von ihr, und es war ihm wohl auch schon egal. Er war zweiundvierzig Jahre alt. Obschon ich wußte, daß es die Betrunkenheit war, fühlte ich doch einen leisen, merkwürdigen Schauer, als ich ihn so sah. Er kam nicht oft und trank fast immer allein in seinem Atelier. Das bringt einen rasch‚ runter. Lenz zog das Grammophon auf. Er hatte einen Haufen Negerplatten und spielte ein paar – vom Mississippi, von Baumwollpflückern und von den schwülen Nächten an den blauen tropischen Flüssen.

6

Patrice Hollmann wohnte in einem großen gelben Häuserblock. Vor dem Eingang stand eine Laterne. Ich parkte den Cadillac direkt darunter. Er sah in dem bewegten Licht aus wie ein mächtiger Elefant. Ich hatte meine Garderobe noch weiter vervollständigt. Zu der Krawatte hatte ich noch einen neuen Hut und ein Paar Handschuhe gekauft – außerdem trug ich einen Ulster4 von Lenz, ein herrliches graues Stück aus feinster Shetlandwolle. So ausgerüstet, wollte ich meinen ersten säuferischen Eindruck nachdrücklich in die Flucht schlagen. Ich hupte. Patrice Hollmann öffnete die Tür und kam rasch die Treppe herunter. Sie trug eine kurze braune Pelzjacke und einen engen braunen Rock.

»Hallo!« Sie streckte mir die Hand entgegen. »Ich freue mich so, herauszukommen. Ich war den ganzen Tag zu Hause.«

Ich hatte gern, wie sie die Hand gab – mit einem Druck, der kräftiger war, als man vermutete. Ich haßte Leute, die einem schlaff die Hand hinhielten wie einen toten Fisch.

»Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt«, erwiderte ich. »Ich hätte Sie dann schon mittags abgeholt.«

»Haben Sie denn soviel Zeit?«

»Das nicht. Aber ich hätte mich schon frei gemacht.«

Sie holte tief Atem. »Wunderbare Luft! Es riecht nach Frühling.«

»Wenn Sie Lust haben, können wir in der Luft herumfahren, soviel Sie wollen«, sagte ich, »nach draußen, vor die Stadt, durch den Wald – ich habe einen Wagen mitgebracht.«

Damit zeigte ich auf den Cadillac, als wäre er ein alter Ford.

»Der Cadillac?« Überrascht sah sie mich an. »Gehört der Ihnen?«

»Heute abend, ja. Sonst gehört er unserer Werkstatt.«

Ich öffnete die Tür. »Wollen wir zuerst in die ›Traube‹ fahren und essen? Was meinen Sie dazu?«

»Essen schon, aber wozu gerade in der ›Traube‹?«

»Dann müssen Sie schon etwas vorschlagen«, sagte ich. »Die Lokale, die ich nämlich sonst noch kenne, sind etwas handfest. Ich glaube, das ist nichts für Sie.«

»Gut.« Ich warf entschlossen mein ganzes Programm um. »Dann gehen wir zu Alfons.«

»Alfons klingt schon sehr gut«, erwiderte sie.«

»Alfons ist ein Bierwirt«, sagte ich, »ein guter Freund von Lenz.«

Sie lachte. »Lenz hat wohl überall Freunde?«

Ich nickte. »Er findet sie auch leicht.«

Wir fuhren los.

Alfons war ein schwerer, ruhiger Mann. Kleine Augen. Arme wie ein Gorilla. Er warf jeden, der ihm in seiner Kneipe nicht paßte, selbst‚ raus. Für sehr schwierige Gäste hatte er einen Hammer unter der Theke bereit. Das Lokal lag praktisch; dicht beim Krankenhaus. Alfons sparte so die Transportkosten.

»Bier?« fragte er.

»Korn und was zu essen«, sagte ich.

»Und die Dame?« fragte Alfons.

»Die Dame will auch einen Korn«, sagte Patrice Hollmann.

»Heftig, heftig«, meinte Alfons. »Es gibt Schweinerippchen mit Sauerkraut.Also zwei Portionen?« Sie nickte. »Schön! Werde mal selbst aussuchen.«

Er ging in die Küche. »Ich nehme meine Zweifel wegen des Lokals zurück«, sagte ich. »Sie haben Alfons im Sturm erobert.«

Alfons kam zurück. Der Korn kam. Drei Gläser. Eins für Alfons mit.

»Na, denn Prost«, sagte er. »Auf daß unsere Kinder reiche Eltern kriegen.«

Wir kippten die Gläser.

»Schmeckt Ihnen der Korn?« fragte ich.

Sie schüttelte sich. »Etwas kräftig. Aber ich kann mich doch vor Alfons nicht blamieren.«

Patrice Hollmann aß bedeutend mehr, als ich ihr zugetraut hatte. Ich fand es großartig. Sie trank auch ohne Ziererei noch einen zweiten Korn mit Alfons. Der zwinkerte mir heimlich zu, er fände die Sache richtig. Und Alfons war ein Kenner. Nicht gerade in bezug auf Schönheit und Kultur – wohl aber in bezug auf Kern und Gehalt.

»Wenn Sie Glück haben, lernen Sie Alfons in seiner menschlichen Schwäche kennen« Ich zeigte auf einen Tisch neben der Theke. »Da…«

»Was? Das Grammophon?«

»Nicht das Grammophon. Chorgesang! Alfons hat eine Schwäche für Chorgesang. Alles, was da an Platten liegt, sind Chöre. Da sehen Sie, er kommt.«

»Geschmeckt?« fragte Alfons.

»Wie bei Muttern«, erwiderte ich.

»Die Dame auch?«

»Die besten Schweinerippchen meines Lebens«, erklärte die Dame.

Alfons nickte befriedigt. »Spiele euch jetzt mal meine neue Platte vor. Werdet staunen.«

Er ging zum Grammophon. Es sang »Schweigen im Walde«. Es war ein verflucht lautes Schweigen. Vom ersten Takt an wurde alles im Lokal still. Alfons Gesicht veränderte sich unter der Macht der Musik. Es wurde träumerisch – so träumerisch, wie eben ein Gorilla werden kann. Die Platte lief aus. Alfons kam heran.

»Wunderbar«, sagte ich.

»Besonders der erste Tenor«, ergänzte Patrice Hollmann.

»Richtig«, meinte Alfons und wurde zum erstenmal lebhafter, »Sie verstehen was davon! Der erste Tenor ist ganz große Klasse.«

Wir verabschiedeten uns von ihm.

»Grüßt Gottfried«, sagte er.

Wir standen auf der Straße. Patrice Hollmann schauerte ein wenig.

»Ist Ihnen kalt?« fragte ich.

Sie zog die Schultern hoch und steckte die Hände in die Ärmel ihrer Pelzjacke.

»Nur einen Augenblick. Es war drinnen ziemlich warm.«

»Sie sind zu leicht angezogen«, sagte ich. »Es ist abends noch kalt.« Sie schüttelte den Kopf.

»Ich trage nicht gern schwere Sachen. Und ich möchte, daß es endlich einmal warm wird. Ich mag keine Kälte. Wenigstens nicht in der Stadt.«

»Im Cadillac ist es warm«, sagte ich. »Zur Vorsicht habe ich auch eine Decke mitgebracht.«

Ich half ihr in den Wagen und legte ihr die Decke über die Knie. Sie zog sie höher hinauf.

»Herrlich! So ist es wunderbar. Kälte macht traurig.«

»Nicht nur Kälte.« Ich setzte mich ans Steuer. »Wollen wir jetzt etwas spazierenfahren?«

Sie nickte. »Gern.«

»Wohin?«

»Einfach so langsam durch die Straßen.«

»Gut.«

Wir fuhren langsam durch die Stadt. Das Mädchen saß schweigend neben mir; Helligkeit und Schatten glitten durch das Fenster über ihr Gesicht. Ich sah manchmal zu ihr hinüber; sie erinnerte mich jetzt wieder an den Abend, wo ich sie zum erstenmal gesehen hatte..

Wir kamen in die ruhigen Straßen der Vororte. Der Wind wurde stärker. Ich hielt den Wagen an. Patrice Hollmann machte eine Bewegung, als erwache sie.

»Schön ist das«, sagte sie nach einer Weile.

»Wenn ich einen Wagen hätte, würde ich jeden Abend so langsam herumfahren. Man ist wach und träumt zur selben Zeit.«

Ich zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und riß das Päckchen auf.

»Es sind amerikanische Zigaretten. Mögen Sie die?«

»Ja. Lieber als andere sogar.«

Ich gab ihr Feuer. Ich hatte plötzlich den verrückten Gedanken, als gehörten wir seit langem zusammen.

»Wollen Sie jetzt etwas fahren?« fragte ich.

»Ich möchte schon; aber ich kann es nicht.«

»Wirklich nicht? Kommen Sie.«

Ich stieg aus, um sie ans Steuer zu lassen. Sie wurde aufgeregt.

»Aber ich kann wirklich nicht fahren.«

»Doch«, erwiderte ich. »Sie können es. Sie wissen es nur noch nicht.«

Ich zeigte ihr, wie man schaltet und kuppelt. Sie hielt das Steuerrad fest und sah angespannt über die Straße.

»Mein Gott, wir fahren ja viel zu schnell!«

Ich blickte auf den Tachometer. »Sie fahren jetzt genau fünfundzwanzig Kilometer. Das sind in Wirklichkeit zwanzig.«

»Mir kommt‘s vor wie achtzig.«

Nach ein paar Minuten war die erste Angst überwunden. Wir fuhren eine breite, gerade Straße hinunter. Ich bekam Übergewicht, weil wir plötzlich Lehrer und Schüler geworden waren, und das nutzte ich aus.

»Achtung«, sagte ich, »drüben steht ein Polizist!«

»Soll ich anhalten?«

»Dazu ist es jetzt zu spät.«

»Und was passiert, wenn er mich erwischt? Ich habe doch keinen Führerschein.«

»Dann kommen wir beide ins Gefängnis.«

»Um Gottes willen!« Sie suchte erschreckt mit dem Fuß die Bremse.

»Gas!« rief ich. »Gas! Wir müssen stolz und schnell vorbei. Das beste Mittel gegen das Gesetz ist Frechheit.«

Der Polizist beachtete uns gar nicht. Das Mädchen atmete auf. Ich zog langsam die Bremse.

»So, hier haben wir eine prachtvolle, leere Seitenstraße. Hier wollen wir nun mal richtig üben. Zunächst das Anfahren und das Halten.«

Patrice Hollmann würgte ein paarmal den Motor ab. Sie knöpfte ihre Pelzjacke auf.

»Mir wird warm dabei! Aber ich muß es lernen!«

Sie saß aufmerksam am Steuer und beobachtete, was ich ihr vormachte. Nach einer halben Stunde wechselten wir die Plätze und ich fuhr zurück. Wir waren vertrauter miteinander geworden, als wenn wir uns gegenseitig unsere ganze Lebensgeschichte erzählt hätten.

In der Nähe der Nikolaistraße hielt ich den Wagen wieder an. Wir standen gerade unter einer roten Kinoreklame.

»So«, sagte ich, »jetzt haben wir uns ein Glas zu trinken verdient. Wo wollen wir das tun?«

Patrice Hollmann überlegte einen Augenblick.

»Gehen wir doch wieder in die hübsche Bar mit Segelschiffen«, schlug sie vor.

In der Bar saß jetzt todsicher der letzte Romantiker. Ich sah schon sein Gesicht.

»Ich glaube aber, es ist um diese Zeit sehr voll da«.

Als wir ankamen, stieg ich rasch aus.

»Ich schaue schnell mal nach. Bin gleich wieder da.«

Es war kein Bekannter da, außer Valentin.

»Sag mal«, fragte ich, »war Gottfried schon hier?«

Valentin nickte. »Mit Otto. Sind vor‚ ner halben Stunde weggegangen.«

»Schade«, sagte ich aufatmend. »Hätte sie gern getroffen.«

Ich ging zum Wagen zurück. »Wir können es riskieren«, erklärte ich. »Zufällig ist es nicht so schlimm heute.«

Zur Vorsicht jedoch parkte ich den Cadillac um die nächste Ecke im tiefsten Schatten. Aber wir saßen noch keine zehn Minuten, als Lenz an der Theke erschien. Valentin machte ihn auf mich aufmerksam. Gottfrieds Gesicht, als er uns erblickte, wäre eine hervorragende Studie für einen Filmschauspieler gewesen.

»Hast du Fräulein Bomblatt schon nach Hause gebracht?« fragte ich, um ihn gleich zu neutralisieren.

»Ja«, erwiderte er, ohne mit einem Wimperzucken zu verraten, daß er bis vor einer Sekunde von Fräulein Bomblatt nichts gewußt hatte. »Sie läßt dich grüßen, und du möchtest sie morgen früh gleich anrufen.«

Das war ganz gut wiedergehauen. Ich nickte. »Werde ich machen. Hoffe doch, daß sie den Wagen kaufen wird.«

Wir tranken ein paar Glas. Ich nur Sidecars, mit viel Zitrone. Gottfried war glänzend aufgelegt.

»Ich war eben bei dir«, sagte er. »Wollte dich abholen. Hinterher war ich auf dem Rummelplatz. Da ist ein großartiges neues Karussell. Wollen wir mal hin?«

Er sah Patrice Hollmann an. »Sofort!« erwiderte sie.

»Ich liebe Karussells über alles!«

»Dann wollen wir gleich aufbrechen«, sagte ich. Ich war froh, daß wir‚ rauskamen. Im Freien war die Sache einfacher.

Nach dem Lunapark brachte ich das Mädchen nach Hause. Es war anders als das letztemal. Sie stand in der Tür und sah herrlich aus. Ich wäre gern mit ihr gegangen.

»Gute Nacht«, sagte ich, »schlafen Sie gut.«

»Gute Nacht.«

Dann fuhr ich mit dem Cadillac los. Ich fühlte mich merkwürdig. Es war nicht wie sonst, wenn man mal abends auf ein Mädchen verrückt war. Es war viel mehr Zärtlichkeit dabei. Zärtlichkeit und der Wunsch, sich einmal ganz loslassen zu können. Fallen zu lassen, irgendwohin…

Ich fuhr zu Lenz ins International. Es war fast leer. In einer Ecke saß Fritzi mit ihrem Freund, dem Kellner Alois. Sie stritten miteinander. Gottfried saß mit Mimi und Wally auf dem Sofa neben der Theke. Ich setzte mich neben Gottfried.

»Ist ganz richtig, was du machst.«

Ich war erleichtert, daß er es so einfach nahm.

»Weißt du«, sagte ich dann, »ich habe keine Ahnung, was sie ist und so. Auch nicht, wie sie zu dem Binding steht. Hat er dir damals eigentlich was gesagt?«

Er sah mich an. »Kümmert dich das was?«

»Nein.«

»Wollt‘ ich auch meinen. Der Mantel steht dir übrigens gut.« Ich errötete.

»Brauchst nicht rot zu werden. Hast ganz recht.«

Ich schwieg eine Weile.

»Wieso, Gottfried?« fragte ich schließlich. Er sah mich an. »Weil alles andere Dreck ist, Robby. Weil es heute nichts gibt, was lohnt. Na, nun komm, setz dich an den Kasten da und spiel ein paar von den alten Soldatenliedern.«

Ich spielte »Drei Lilien« und den »Argonnerwald«.

4.Зимнее мужское пальто

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Yaş sınırı:
16+
Litres'teki yayın tarihi:
30 kasım 2018
Yazıldığı tarih:
2018
Hacim:
240 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
978-5-17-108503-2
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