Kitabı oku: «Das Geheimnis der Fischerin vom Bodensee»

Yazı tipi:

Erich Schütz

Das Geheimnis der Fischerin vom Bodensee

Kriminalroman


Zum Buch

Fischerkrieg »Bodenseefisch« steht auf den Speisekarten der Restaurants rund um den See. Doch Insider wissen, zwei Drittel aller Felchen sind aus anderen Ländern importiert. Die Wogen um den Felchen-Bestand, dem Lieblingsfisch der Touristen am Bodensee, schlagen hoch. „Kein Netzgehege zur Fischzucht im Bodensee“, skandieren die Berufsfischer. „Aquakultur deckt die Nachfrage für unsere Felchen“, setzt Martin Ellegast dagegen. Er hat die Genehmigung ein erstes Zuchtgehege für Felchen im Bodensee zu betreiben. Seine Frau, Gerdi Ellegast, bekannt als die Fischerin vom Bodensee, stellt sich mit ihrer Tochter gegen ihn, was in ihrer Ehe für ordentlich Zündstoff sorgt. Bald gibt es die ersten Verdächtigungen, mit welchen illegalen Mitteln Ellegast wohl seine Fischzucht betreibt. Gleichzeitig finden sich plötzlich auch Quallen im Bodensee. Doch was haben sie hier verloren?

Erich Schütz volontierte beim Südkurier in Konstanz, studierte in Berlin und arbeitete danach beim SWR in Stuttgart, doch der Bodensee lockte ihn zurück. „Das Wasser und die Landschaft“, verrät er, „aber vor allem der kulinarische Genuss in den Landgasthöfen.“ Folgerichtig wurde aus dem ehemaligen Polit-Journalisten ein Food-Journalist, Herausgeber des Restaurants-Guide der „Südland Köche“ und Buchautor für spannende Bodensee-Geschichten.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Bildes von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ichthyologie;_ou,_Histoire_naturelle_des_poissons_(Plate_105)_(7064450681).jpg

ISBN 978-3-8392-6706-6

Vorbemerkung

Das ist kein Sachbuch, das ist ein Roman! Es gibt im Bodensee noch keine Felchengehege und auch noch keine genmanipulierten Fische – noch nicht …

1.

»Bodenseefisch« schreibt Max mit weißer Kreide groß und fett auf die schwarze Tafel des Seerestaurants. Eigentlich ist der 25-jährige, schlaksige und langhaarige Max Musiker. Er schlägt das Schlagzeug in einer, leider unbedeutenden, Jazzband. Als Musiker kann er sich kaum über Wasser halten. Also kellnert er in irgendwelchen Restaurants.

Es ist Juni, die Touristensaison startet, da zahlt selbst Peter Ochsner, der Inhaber des größten Restaurants in Überlingen, direkt an der Promenade zum See, überdurchschnittlich hohe Sätze. An Sonnentagen, wenn die Terrasse voll besetzt ist, hat Max verdammt viel zu tun, da würde er mit 15 Prozent des Umsatzes fürstlich entlohnt sein, aber wenn es wochenlang regnet? Also feilschte er zusätzlich um einen Grundlohn, und Ochsner stimmte ihm angesichts der Personalnot im Gastgewerbe notgedrungen zu.

Jetzt schreibt Max, wie von Peter Ochsner angeordnet, unter das mit dicker Kreide geschriebene Wort »Bodenseefisch«, mit etwas dünnerer Kreide untereinander die Fischarten: Felchen, Kretzer, Zander und Waller. Wenn ihn dabei Gerdi, die einst als »Die Fischerin vom Bodensee« berühmt wurde, sehen würde, gäbe es mächtig Ärger. Denn das Angebot des Restaurants liest sich für die Gäste, als wären alle Fische, die sein Chef anbietet, aus dem Bodensee. Das sollen sie auch glauben, das ist volle Absicht!

Aber tatsächlich wissen er und Gerdi, dass die Felchen definitiv nicht aus dem Bodensee stammen. Denn Gerdi kennt jeden Berufsfischer rund um ihren See persönlich, und sie weiß ganz genau, wer seinen Fang wohin liefert. Ochsner steht nicht auf der Liste. Jeder Seeanwohner weiß: Ein Drittel der Felchen, die am Bodensee verkauft werden, mögen aus dem Bodensee sein, aber zwei Drittel kommen garantiert sonst woher, nur nicht aus dem See, der vor den Nasen der Gäste unschuldig in der Sonne glitzert.

Max’ Chef, Peter Ochsner, bezieht seine Fische von Martin Ellegast. Er ist – oder war – so genau weiß es selbst Gerdi zurzeit nicht, Gerdis Mann. Martin Ellegast war, als Gerdi ihren Martin geheiratet hat, ebenfalls Fischer. Wobei er in Wirklichkeit nur der Erbe einer großen Fischerei war und schon immer mehr Betriebswirt als Fischwirt ist. Vorausschauend klug hat er sich als Kaufmann am Bodensee längst zum größten Fischhändler gemausert mit internationalen Handelsbeziehungen.

Während Gerdi ihrem Handwerk als Bodenseefischerin, mit dem von ihrem Großvater ererbten Berufsfischerpatent, mit Stolz treu bleibt, hat Martin Ellegast die elterliche Fischerei nicht nur zu einem fischverarbeitenden Betrieb mit 50 Mitarbeitern ausgebaut, sondern betreibt auch Fischzuchtanlagen im östlichen und nördlichen Europa. In seinem Fischbetrieb am Bodensee wird tatsächlich kaum noch echter Bodenseefisch verarbeitet.

Ellegast lässt sich Fische aus aller Herren Länder, beziehungsweise Seen und Meere, an den Bodensee liefern und verarbeitet sie zu Convenience Food für große Handelsketten. Natürlich hat er immer auch Felchen in seinem breiten Sortiment! Aber eben sicher nie aus dem Bodensee, denn die gibt es immer seltener und wären ihm auch viel zu teuer. Dagegen sind polnische oder russische Felchen, erst recht aus der eigenen Zucht, wesentlich billiger!

»Max, des isch doch g’loge, des wosch du doch au«, provoziert ihn Hanspeter, der dummerweise gerade in dem Augenblick an der Überlinger Promenade entlang geht, als Max die schwarze Tafel mit den frischen Fischangeboten vor dem Seerestaurant so positioniert, dass sie den über die Promenade schlendernden Touristen ins Auge springt.

»Mein Chef sagt, du sollst richtig lesen«, gibt Max Hanspeter mürrisch contra, »wir bieten Bodenseefisch! Und auch Felchen und Kretzer, dass die aber aus dem Bodensee sind, behauptet kein Mensch«, macht Max sich zum Verteidiger seines Brötchengebers, »oder wo liest du das?«

»Du kasch die Tourischte verseckle, aber was sagt deine Gerdi dazu?«, provoziert ihn Hanspeter, der in Max’ Band Posaune spielt. Natürlich weiß Hanspeter, der von seinen Freunden wegen seines runden Schädels mit seinen auffallend großen Glubschaugen und dicken Lippen nur Karpfen genannt wird, von der speziellen Beziehung der beiden.

Gerdi Ellegast ist zwar fast doppelt so alt wie Max, aber immer noch äußerst attraktiv. Schließlich galt sie vor 20 Jahren, als sie Martin Ellegast geheiratet hatte, als die Miss Bodensee. Mit blonden Zöpfen, blauen Augen und rot geschminkten Lippen wurde sie als »Die Fischerin vom Bodensee« als die Botschafterin der Bodensee-Berufsfischer deutschlandweit bekannt.

Bis heute hat sie ihre beeindruckend schlanke Figur behalten. Die wenigen Falten, die sich in ihr mädchenhaftes Gesicht geschlichen haben, machen sie nur noch interessanter. Selbst die angegrauten Strähnen in ihrem Blond, der nun halblangen Haare mit modernem Pagenschnitt, harmonieren wie absichtlich eingefärbt.

Max war ein kleiner Steppke, als Gerdi als »Die Fischerin vom Bodensee« bekannt wurde. Er wohnte mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern in deren bescheidenem Seehaus, neben dem Fischerhaus Gerdis, unterhalb der berühmten Wallfahrtskirche Birnau. Er war der Jüngste und blieb in dem Haus seiner Eltern, auch als seine Brüder längst studieren waren. Gerdi war für ihn wie seine große Schwester. Ihr Großvater hatte sich seiner Enkeltochter angenommen, nachdem Gerdis Mutter allzu früh gestorben und der Papa verschollen war.

Max half als kleiner Knirps seiner Nachbarin, wenn sie auf den See hinausfuhr, um ihre Netze einzuholen. Als Gerdi nach ihrer Hochzeit zu den vornehmen Ellegasts nach Meersburg zog, blieb er natürlich bei seinen Eltern zurück und verlor Gerdi aus den Augen.

Doch seit sie vor ein paar Wochen wieder in das Fischerhaus ihres Großvaters eingezogen ist, sind die alten Sympathien wieder aufgeflammt. Seither ist Max wieder öfters bei der Nachbarin zu sehen, und so blühen die Spekulationen der Tratschmäuler.

»Wo habt ihr die Felchen denn her?«, bohrt Hanspeter provozierend weiter, »und auch Zander gibt es doch fast keinen mehr im See.«

»Vielleicht, weil der Ellegast sie alle gefangen hat«, weicht Max aus, lacht über seinen eigenen Witz und lässt seinen Musikerkollegen einfach stehen. Ihm ist es nicht danach, das leidige Thema Felchen lauthals vor den Gästen zu diskutieren. Peter Ochsner hat nun mal eine andere Meinung als er und als Gerdi erst recht.

Seit Monaten redet Gerdi über nichts anderes mehr als über die Pläne ihres Mannes, oder eben Ex, mehrere Felchenzuchtgehege im Bodensee zu installieren. »Ich bin Fischerin und ich will Wildfische in unserem See fangen!«, ist ihr Credo, »und die Gäste am See wollen auch nur ein Felchen, das frei und wild durch den See schwimmt und keines aus der Gefangenschaft aus einem Gehege.« Ein Fischzuchtgehege zerstört für sie das von Gott gegebene natürliche Gleichgewicht im See.

Doch nicht nur ihr Mann, Martin Ellegast, hält an den Gehegeplänen fest, auch einige Großgastronomen wie Peter Ochsner. Für sie ist klar: »Die Gäste kommen an den See gefahren und wollen Bodenseefisch essen! Also müssen wir ihn servieren. Scheißegal, auch wenn das Felchen1 aus einer Aquakultur stammt!«

Ochsner hat Ellegast von Anfang an zugesagt, Bodenseefelchen aus seinem Gehege zu kaufen und seinen Gästen zu servieren. »Wo ist das Problem?«, schiebt er alle Einwände beiseite, »dabei ändert sich weder für uns noch für unsere Gäste rein gar nichts«, argumentiert er. »Wir bleiben ehrlich und servieren Bodenseefelchen, das wollen doch alle, dann ist alles wieder gut! Wichtig ist nur, wir bekommen genügend Felchen geliefert, die wirklich aus unserem See stammen!«

Ehrliche Gastronomen haben schon den ganzen Juni über nur noch selten Felchen auf ihrer Speisekarte stehen. Es ist wie verhext, aber auch Gerdi zieht jeden Morgen ihre Netze aus dem See und könnte weinen. Saiblinge und Kretzer, sogar auch den seltenen Zander oder einen großen Wels bringt sie mit nach Hause, aber leider keine Felchen. Dabei haben sich die Gäste gerade auf diesen verfluchten Fisch fokussiert. Doch die Fangquoten von Felchen bleiben mau und liegen seit Jahren weit unter der Menge der Nachfrage.

Vor allem Blaufelchen, die kräftig und gesund den ganzen See durchschwimmen, gelten als eine Besonderheit, wie sie nur in wenigen Gewässern der Welt zu finden sind. Sie bieten für die Bodenseefischer ein Alleinstellungsmerkmal! In den 1990er-Jahren haben Fischzüchter versucht, das Blaufelchen in bayerischen Seen anzusiedeln, es hat einfach nicht funktioniert. Dies beweist für die Bodenseefischer erst recht die hohe Wertigkeit ihrer wilden Blaufelchen.

»Ob Blau,- Sand- oder sonst was für -felchen, das ist mir doch scheißegal!«, sagt Peter Ochsner dagegen, »meine Gäste verlangen nach Bodenseefelchen, also bringst du sie mir gefälligst, egal woher und ob blau oder grau«, gab Ochsner Ellegast schon vor Jahren einen Freischein. »Auf meiner Speisekarte steht auch täglich Reichenauer Salat. Für die Menge, die ich verkaufe, müsste die Salatinsel eine Fläche haben größer als der ganze Bodensee.«

Der stete Mangel an Bodenseefelchen heizt die Diskussion um die Felchengehege jährlich erneut an. Alljährlich, wie die Herbsttürme, fegen neue Gutachten und Argumente für und wider die Gehege um den See. Immer wieder neue Nachrichten wirken wie kräftige Böen aus den verschiedensten Himmelsrichtungen. Einem Wirbelsturm gleich sorgt nun der öffentlich gemachte Streit zwischen den Mitgliedern der Familie Ellegast für neue Spekulationen.

Als bekannt wurde, dass Gerdi Ellegast sich den Gehegeplänen ihres Mannes widersetzt, versammelten sich die Berufsfischer mit ihrem Widerstand gegen die Gehege hinter ihr. Jetzt ist die zuerst nur umweltpolitische Diskussion zum Thema »Tierwohl« plötzlich ein tierischer Stoff mit familiären Spitzen und Zutaten für jeden Tratsch und Klatsch.

Überlingen ist eine Kleinstadt. Viele Seeanwohner erinnern sich noch an das Werben des jungen Ellegast aus Meersburg um die schöne Gerdi Gassel in dem Fischerhaus am Rande ihrer beschaulichen Kur­stadt, hinter dem Ortsteil Nussdorf. Danach gab es eine große und bombastische Hochzeit auf der Weißen Flotte.

»Dass diese Ehe überhaupt 20 Jahre lang gut ging«, ist jetzt plötzlich das Thema der bösen Lästermäuler. »Der fleißige und erfolgreiche Ellegast und die arrogante Gassel aus dem kleinen Fischerhäuschen«, urteilen sie. »Kinder kitten Ehen«, wissen andere. Aber schon macht sich das nächste Gerücht breit: Auch Töchterchen Lena ist ausgezogen und wohnt nicht mehr bei Papa Ellegast.

Der eheliche Streit wegen des Felchengeheges ist längst zum offiziellen Politikum geworden. Das Thema »Bodenseefischer kontra Ellegast« spitzt sich zum Klatschthema »Ellegast gegen Ellegast« zu.

Ausgang offen.

1 Felchen, der; -s, (ein Fisch) – schreibt Konrad Duden. Aber für

ihn kommt der Seefisch auch aus dem Meer. Meine Lektorin,

Claudia Senghaas, und ich, haben uns bewusst für die Bodensee-

Umgangssprache entschieden. Demnach heißt es das Felchen und ist ein

Seefisch aus dem Bodensee! – Bei Butter geben wir uns geschlagen und

lassen die Fischerin vom Bodensee ihrem Mann die Butter reichen.

2.

Eine schwere Kette verhindert, dass Max die Metallklappe des großen Müllcontainers aufschieben kann. Es ist stockdunkel um ihn. Er nimmt sein Handy, lässt es kurz aufblitzen, dann schmunzelt er. Ein einfaches Marderschloss hält die Kette um den Öffnungsriegel verschlossen. Max schaut sich um, er sieht kaum etwas, so dunkel ist diese Nacht, kein Mond, keine Sterne, nur dunkle Wolken rieseln leichten Sprühregen über Meersburg ab, zusätzlich wabern Nebelschwaden über die Seeregion. Typisches Seewetter, noch am Morgen heller Sonnenschein, am Abend schon trübe Regenwolken und ein empfindlicher Temperatursturz.

Max hantiert an den Müllcontainern Ellegasts im hintersten Winkel des Parkplatzes. Die Hallen der Fischverarbeitungsfirma Ellegast liegen 50 Meter vor ihm. Er sieht sie kaum im Dunkeln, hört aber die Motoren der Kühlanlagen. Der Parkplatz ist verweist. Kein Mensch in Sicht. In Ruhe fingert Max einen Schlüsselbund aus seiner Tasche und macht sich ans Werk. Ein Marderschloss zu knacken, ist für ihn kein Hexenwerk. Als Halbwüchsige haben sie öfter die Marderschlösser an den Motorbooten im Überlinger Osthafen geknackt, um mit ihnen nachts über den See zu preschen.

In Ruhe sucht er einen passenden Schlüssel aus, er will in den Müllcontainer Ellegasts sehen, vielleicht findet er dort die Verpackungen der Felchen, die der Fischhändler heute Morgen in das Seerestaurant geliefert hat. Max will wissen, woher diese Felchen tatsächlich stammen. Aus dem Bodensee jedenfalls nicht. Felchen werden für die Bodensee-Gasthäuser aus Italien, Polen oder gar aus Sibirien eingekauft, seit Neuestem auch aus Lettland und jetzt auch noch aus Weißrussland. Was zählt, ist allein der Preis. Mitbieten können allerdings nur Zuchtanlagen in Seen, die in den nördlichen Breiten liegen. Das Felchen braucht frisches und kühles Wasser. Bisher schien der im Herzen der Alpen gelegene Bodensee seine ideale Heimat.

Plötzlich schreckt ihn ein klirrendes Geräusch auf, als wäre eine große Glasscheibe zu Bruch gegangen. Gleichzeitig erhellen grelle Scheinwerfer das Firmengelände und den Parkplatz. Verdammt, er hat noch nicht den passenden Schlüssel gefunden. Unsicher schielt er hinter den Müllcontainern hervor. Er sieht drei Gestalten hintereinander, ganz eng im Schatten der Flutlichter schnell an der Hauswand der Fischfabrik entlangwischen. Sie bewegen sich hastig in Richtung der hinteren Zufahrt des Firmengeländes, wo kein Licht hinstrahlt und er seinen alten Renault abgestellt hat.

Gleichzeitig klirrt erneut Glas, noch lauter, und Max sieht, wie plötzlich Flammen aus geborstenen Fenstern des Gebäudes im Erdgeschoss schlagen. Unsicher schaut er sich um. Zeit zu verschwinden, denkt er und huscht im weiten Bogen um das Firmengelände, sich ebenfalls möglichst im Dunkeln haltend, den drei schwarzen Gestalten in den Hinterhof hinterher.

Haben die drei das Feuer in der Fischverarbeitungsfirma gelegt? Angestrengt starrt Max in das Dunkel. Wo sind sie hin? Hinter sich sieht er das Feuer immer höhere Flammen schlagen. Soll er zurückgehen? Muss er Erste Hilfe leisten? Aber wie soll er Ellegast anschließend erklären, was er auf dem Firmengelände gesucht hat? Menschen waren offensichtlich nicht in der Fischverarbeitungshalle, beruhigt er sich, schließlich hat er kein Licht gesehen. Aber er rätselt, woher die drei Gestalten plötzlich kamen und wohin sie jetzt verschwunden sind?

Max entschließt sich abzuhauen, nichts wie weg. Er rennt, ebenso wie die drei Gestalten, im Schatten der grellen Strahler Richtung Hinterausgang des Firmengeländes. Eine Schranke versperrt die Ausfahrt zu dem angrenzenden Wald. Auf dem Waldweg, der direkt zu Ellegasts Firma führt, hat er sein Auto stehen gelassen.

Plötzlich sieht er die drei wieder. Auch sie rennen den gleichen Waldweg hinunter in die Richtung, wo Max’ Auto steht. Max überlegt nicht lange und setzt den dreien nach.

Die zuerst kleinen Flammen entwickeln sich zu einem mächtigen Brand. Max schaut noch einmal zurück und wundert sich, wie die drei solch ein Feuerwerk entstehen lassen konnten. Doch, wo sind sie geblieben? – Egal, er muss jetzt weg.

Kaum an seinem Auto angekommen, setzt er sich hinein und startet den Motor. Bevor die Feuerwehr und die Polizei kommen, muss ich über alle Berge sein, denkt er. Ohne die Schweinwerfer seines Autos aufzudrehen, wendet er auf dem schmalen Feldweg im Dunkeln seinen Wagen und will zur Straße fahren. Im Wald ist es noch dunkler als auf dem Firmengelände, er ahnt mehr den Weg, als dass er ihn tatsächlich sehen kann. Stockdunkel, Nieselregen und Nebel, er muss also sehr langsam fahren.

Plötzlich spürt er einen kräftigen Schlag gegen das Heck seines alten Kasten-Renaults Rapid. Himmel, gerade ist ihm in Überlingen ein alter Herr ins Heck des Autos gekracht, jetzt schon wieder.

Ohne lange zu überlegen, steigt er aus und geht aufgebracht zu dem Hintermann, da brüllt ihm dieser mit heruntergelassener Scheibe aus seinem alten roten Golf heraus schon entgegen: »Verschwinde, du Sekel, was fährst du ohne Licht durch den stockfinsteren Wald?«

»Und du Sekel! Habt ihr das Feuer gelegt?«, schießt Max erbost seine Verdächtigung zurück. Als Antwort ertönt das erste Martinshorn in der Ferne.

»Verschwinde jetzt, wir waren es nicht, und wenn die Bullen uns erwischen, bist du genauso dran, vielleicht hast du das Feuer ja gelegt!«, blafft die unbekannte Stimme aus der dunklen Karre hinter Max’ Auto.

»Ich glaub, du spinnst«, ist Max schnell auf Hundert und geht mit Wut im Bauch auf die Fahrertür zu. »Du fährst mir in den Arsch und drohst mir noch dazu mit der Polizei?« Energisch versucht er, die Fahrertür aufzureißen. Weitere Martinshörner ertönen, sie kommen schnell näher. Schon zucken die Blaulichtblitze durch die Baumstämme bis in den Wald. Max rüttelt an dem Türgriff des Autos, aber der Fahrer hat schnell den Verriegelungsknopf gedrückt.

»Glaub uns, wir bezahlen dir deine Beule, aber jetzt lasst uns hier verschwinden«, hört Max plötzlich eine junge Frauenstimme aus dem Inneren des Wagens. Er bückt sich hinunter, kann aber in dem dunklen Auto nicht viel erkennen. »Warum sollten wir ein Haus anzünden, nur weil darin tote Fische verarbeitet werden, das ist doch Quatsch.«

»Fahr jetzt, bevor die Bullen die Straße da vorne sperren, dann sitzen wir alle fest«, mischt sich der Fahrer des Golfs energisch ein.

»Bitte!«, wird die Frauenstimme aus dem Off energischer, »fahr jetzt weg da vorne!« Gleichzeitig erhellen Scheinwerfer die Waldszenerie. Ein großer Löschwagen der Feuerwehr ist in den Waldweg eingebogen und hält direkt auf die beiden Autos, die mitten auf dem Weg stehen, zu. Das Martinshorn übertönt jedes weitere Wort, der Feuerwehrwagen gibt zusätzlich zu seinem Blaulicht mit Fernlicht Zeichen, den Weg frei zu machen.

»Scheiße!«, brüllt Max, läuft nach vorne zu seinem Auto und springt hinein. So schnell und so weit er kann fährt er auf dem unbefestigten Waldweg auf die rechte Seite. Der Fahrer des Löschfahrzeugs hält unbeirrt auf ihn zu. Max fährt noch weiter rechts ran, schlägt noch stärker ein, er muss fast in den Graben fahren, um Platz zu schaffen, sonst schrammt ihn der Feuerwehrwagen. Der kennt nichts, wird Max bewusst und spürt, wie sein Auto bereits in den Graben abrutscht.

Der Löschwagen schießt, ohne abzubremsen, mit hohem Tempo und ohne Rücksicht an ihm vorbei. Offensichtlich will er das Feuer in den Fabrikhallen der Fischfabrik von der Rückseite her bekämpfen.

Kaum ist der große Feuerwehrwagen durch, gibt Max sofort wieder Gas, er will schnellstmöglich aus dem Graben zurück auf die sichere Fahrbahn, doch die Räder drehen durch. Komm schon, denkt er, nimmt etwas Gas weg und lässt die Kupplung schmieren. Ganz langsam, sagt er zu seiner alten Karre und wohl auch zu sich, nur nicht durchdrehen. Er gibt fast kein Gas mehr, damit die Räder Halt finden. Plötzlich wird es hell neben ihm, da sieht er die Karre der drei dunklen Gestalten, die ihm eben noch in sein Heck gefahren sind, auf fast gleicher Höhe neben sich.

Doch so schnell gibt er sich nicht geschlagen, er will die drei nicht so einfach entkommen lassen. Also drückt er geistesgegenwärtig das Gaspedal ganz durch. Die 58 PS seines 20 Jahre alten Kastenwagens heulen auf, und der Renault macht tatsächlich einen Satz genau vor die Schnauze des Wagens der drei Gestalten. So stimmt die Rangfolge wieder, denkt Max und will sich die drei jetzt nochmals ernsthaft vorknöpfen, da aber biegt der nächste Einsatzwagen mit Blaulicht schon in den Feldweg ein.

Max hat zwar nun, wie auch die drei Gestalten in dem Auto hinter ihm, ordentlich sein Abblendlicht eingeschaltet. Trotzdem muss er aber jetzt hier weg. Er kann gar nicht anders, bleibt in seinem Wagen sitzen, legt den ersten Gang ein und fährt erneut auf dem feuchtschmierigen Waldweg rechts ran, damit der entgegenkommende Wagen an ihm vorbeifahren kann.

Der Wagen mit Blaulicht entpuppt sich schnell als ein Polizeiauto. Max hofft, dass er an ihm vorbeifährt, dem Feuerwehrwagen hinterher. Langsam rollen die beiden Autos aufeinander zu. Aus dem Auto vor ihm streckt der Polizist am Steuer, nachdem er seine Scheibe heruntergelassen hat, seinen linken Arm mit Lichtkelle heraus und deutet Max unmissverständlich an stehen zu bleiben.

Max schaut kurz in den Rückspiegel, der Wagen hinter ihm bleibt ebenfalls stehen. Der Polizeiwagen ist jetzt auf seiner Höhe, auch er kurbelt seine Scheibe herunter und grüßt freundlich zu dem Polizisten hinüber.

»Guten Abend, wo kommen Sie her?«, hält der sich nicht lange mit Höflichkeiten auf.

»Ich war spazieren«, hört sich Max sagen und könnte sich gleichzeitig für die unmotivierte, doofe Antwort ohrfeigen.

»Fahren Sie bitte ganz rechts ran, sodass noch weitere Löschfahrzeuge vorbeikommen können«, weist ihn der Polizist scharf an, »und dann warten Sie auf uns!«

»Aber warum denn?«, will Max wissen.

»Tun Sie, was ich Ihnen sage«, knurrt der Polizist unfreundlich, »und machen Sie keinen Unsinn, Sie kämen heute Nacht nicht weit.«

Der Polizist setzt seinen Streifenwagen nach hinten, aber auf Max’ Straßenseite, sodass seine Motorhaube genau vor dessen Motorhaube steht, als befürchtete er, Max könnte doch noch weiterfahren.

Aber der steigt aus, schaut schnell zu dem Wagen hinter ihm: KN -AK 475, die Autonummer will er sich merken.

Dessen Fahrer setzt brav seinen Blinker links und gibt einfach Gas. Frech fährt der Sekel an Max vorbei. Dieser versucht, noch schnell einen Blick in die Fahrgastzelle zu erhaschen. Doch außer zwei bärtigen, dunkelhaarigen Männern im Fond und einem Blondschopf auf der Rückbank, der ihm jetzt auch noch keck zuwinkt, kann er kein Gesicht deutlich erkennen.

»Sind das Bekannte von Ihnen?«, fragt der Polizist, der schon neben ihm steht.

Max überlegt kurz, ob er seinen Verdacht äußern soll, winkt dann aber ab: »Was wollen Sie von mir?«

»Ihre Papiere!«

Martin Ellegast blickt grimmig, er sagt kein Wort. In seinem erzürnten Gesicht spiegeln sich die Flammen, die noch immer aus seinem fischverarbeitenden Betrieb züngeln. Fünf Wehren aus allen umliegenden Gemeinden hat die Feuerwehr Meersburg zusammengerufen. Fast 100 Männer und Frauen sind im Einsatz.

»Es ist das verdammte Öl«, sagt der Feuerwehrkommandant zu Ellegast, »es müssen Hunderte von Litern sein, die solche Flammen schlagen und die starke Hitze entwickeln.«

»Das ist nur Altöl aus der Fritteuse«, gibt sich Ellegast nach außen cool, »aber wer hat den Brand gelegt? Das ist die Frage.«

»Warum?«, staunt der Feuerwehrkommandant. »Wer hat denn von Brandstiftung gesprochen? Wie es aussieht, hat sich das Feuer in einer der Fritteusen entwickelt, da ist der Brandherd.«

»Was wissen denn Sie«, winkt Ellegast verärgert ab. Trotz der tiefen Nachtzeit steht Ellegast gut gekleidet, in Anzug und Krawatte, neben dem uniformierten Feuerwehrkommandanten. Seine Elvistolle hängt im lässig in sein schmales Gesicht. Seine Stirn liegt leicht in Falten. Seine Augen sind hellwach. »Wir brauchen einen Brandexperten, der die genaue Brandursache ermittelt. Haben Sie solch einen Fachmann? Sonst besorge ich ihn!«

»Die Kripo muss gleich hier sein«, weicht der Feuerwehrmann den versteckten Vorwürfen aus, »machen Sie sich keine Sorgen, bei der Schadenshöhe wird die Polizei Fachleute der Landesdirektion hinzuziehen.«

»Pah!«, blafft Ellegast. »Halten Sie den Ball flach, der Schaden ist überschaubar. Ich will nur die Täter.«

Max begutachtet am nächsten Morgen den Schaden an seinem alten Renault. Die Heckklappe des Kastenwagens lässt sich noch problemlos öffnen und schließen. Aber vielleicht sollte er doch den großen Stand-Tom-Tom und die beiden Bass Drums herausnehmen, nur wegen seinem Schlagzeug hatte er sich den alten Kastenwagen gekauft, doch als Lagerhalle sollte er nicht dienen. »Hopp«, sagt er zu sich selbst und klemmt das Becken unter seinen rechten Arm, mit der Linken packt er die beiden Hänge-Tom-Toms und will sie in sein Haus tragen.

Wie er um sein Auto geht, sieht er hinter einem der Scheibenwischer einen weißen Zettel klemmen. Aber zuerst muss er seine Hände freibekommen, also geht er weiter und stellt den ersten Teil des Schlagzeuges im Flur seines Häuschens ab. Dort haben die Hänge-Tom-Toms einen festen Platz. Da stellt er sie hin und beginnt gedankenverloren, darauf zu trommeln. Schnell findet er einen Rhythmus und spielt den Anfang der ersten Akkorde von »Freak of Natures Rescue Me«.

»Bahnt sich da was an?«, lächelt Gerdi Ellegast, sie steht plötzlich, ganz unvermittelt, vor Max und winkt mit dem kleinen weißen Zettel, den Max gerade hinter seinem Scheibenwischer bemerkt hat. Sie scheint schon auf dem See gewesen zu sein. In Wattstiefeln und in ihrer grünen wasserdichten Fischerhose, deren Latz ihr fast bis unter die Achseln reicht, liest sie ihm mit verführerisch gespielter Stimme vor: »Danke, dass du dichtgehalten hast! Wir bezahlen den Schaden – versprochen, irgendwann.«

»Weißt du, was heute Nacht passiert ist?«, platzt es aus Max heraus, »die haben die Fischhallen deines Mannes abgefackelt!«

»Keine verdammenswerte Tat, aber das wird ihn nicht aufhalten«, ändert sich schnell die Stimmung in Gerdis Gesicht vom Liebesboten zur Kampfamazone. »Ich habe es im Seefunk gehört, aber von Brandstiftung war keine Rede.«

»Ich habe es aber selbst gesehen, ich war dort, woher glaubst du, dass der Zettel ist? Die bedanken sich, dass ich sie nicht bei der Polizei verpfiffen habe.«

»Wer sind sie? Und warum hast du es nicht getan?«

»Das frag ich mich jetzt auch, ich weiß es selbst nicht.«

»Das kannst du gleich nachholen«, zeigt Gerdi Ellegast zum Fenster hinaus.

Max folgt ihrem Blick und sieht zwei uniformierte Polizeibeamte aus einem Streifenwagen steigen. Die beiden gehen zu seinem Renault, bei dem die Ladefläche noch offensteht. Interessiert gehen sie um den Wagen, Max schaut ihnen gespannt zu.

»Ich bin dann mal weg«, sagt Gerdi schnell, wirft ihm mit einem Handkuss den kleinen weißen Zettel zu und verschwindet durch den Hinterausgang.

Max lässt den Zettel schnell in der Hosentasche seiner eng geschnittenen Levis verschwinden und geht zur Vordertür, dabei läuft er einem der Polizisten geradewegs in die Arme.

»Musiker müsste man sein, da kann man morgens wenigstens ausschlafen«, begrüßt ihn der erste Polizist.

»Und bis nach Mitternacht den Bühnenclown geben«, antwortet Max, »und das meist für ein mageres Trinkgeld.«

»Und gestern?«, beendet der zweite Polizist das Geplänkel. »Was haben Sie da mitten in der Nacht im Wald bei Meersburg bei der Fischfabrik Ellegast gemacht?«

»Ich bin noch bei Dämmerung in den Wald gefahren, ich kenne da einen Platz, an dem Morcheln wachsen. Es war den ganzen Juni über heiß, dann gestern der Regen, da wollte ich mal nachsehen«, hatte sich Max schon am Morgen eine bessere Ausrede als die in der Nacht zuvor zurechtgelegt, um gerüstet zu sein, falls die Bullen kommen sollten.

»Auf dem Gelände von Ellegast waren Sie nicht?«

Verdammt, hatten ihn irgendwelche Videokameras aufgezeichnet? Oder blufft der Polizist? »Nein!«, entscheidet sich Max zur dreisten Lüge.