Kitabı oku: «Die Geschichte der Zukunft», sayfa 2

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In der Kunst dominieren konservative Stile wie Biedermeier oder der Historismus. Das war – in unterschiedlicher Intensität – in jedem der bisherigen Kondratieffabschwünge so, ob bei Fürst Metternich, dem Reichskanzler Bismarck, der Machtergreifung der Nazis oder der konservativen Wende zu Beginn der 80er Jahre. In Zeiten knapper Gewinne und sinkender Reallöhne vergeht den meisten die Lust, Neues auszuprobieren. Zu dumm: Ausgerechnet in diesen Zeiten sind gerade unkonventionelle Pioniere gefragt, die innovative Produktion, Handel und Verhaltensweisen umsetzen; die sich über »das war schon immer so« und »das haben wir noch nie so gemacht« hinwegsetzen. Doch solche seltenen Menschen sind in der Regel nicht status-, sondern so sachorientiert, dass sie sich nicht lange mit Formalkram aufhalten – was es ihnen in konservativen formalen Strukturen so schwer macht, den neuen Wohlstand voranzubringen.

Arbeitslosigkeit: Je besser die Geschäfte der Unternehmer in einem langen Kondratieffaufschwung florieren, umso besser ist die Verhandlungsposition der Arbeiter – und umso erfolgreicher ist ihr Streik, wie etwa in den Gründerjahren um 1870 ( S. 63) oder in den 1960er/​frühen 70er Jahren ( S. 134). Die Unternehmer geben nach, denn sie brauchen jeden, den sie kriegen können, und sie können die höheren Löhne ja auch gut bezahlen: Ein neues grundlegendes Innovationsnetz hilft ihnen, etwas viel besser und vor allem mit weniger Aufwand herzustellen. Sie weiten ihre Produktion aus, weil der Markt ihre immer günstigeren und qualitativ besseren Waren aufsaugt. Doch wenn im langen Abschwung die Produktivität stagniert und die Kosten nicht mehr sinken, während die erzielten Preise am Markt wie immer leicht sinken und die Gewinne dahinschmelzen, dann produzieren die Unternehmer weniger – sie wollen schließlich nicht draufzahlen.

Wer weniger produziert, benötigt dafür weniger Arbeit und entlässt einen Teil seiner Beschäftigten; der Rest macht unter schlechteren Bedingungen und geringeren Löhnen als vorher weiter. Auch wenn sie sich dagegen wehren: Im langen Abschwung müssen sich die einfachen Menschen nach langen Streiks und Arbeitskämpfen geschlagen geben und für weniger Lohn arbeiten, wie etwa in den 20er Jahren ( S. 96). Es ist immer derselbe Mechanismus: Im ersten Kondratieffabschwung nach 1815 setzten Handwerker wieder die (vorher zur Zeit der Napoleonischen Kriege längst abgeschafften) Zünfte durch, um vom Wettbewerb der anderen (Arbeitslosen) verschont zu sein ( S. 50). Die Unternehmer geben den Druck der überlegenen britischen Konkurrenz an die Arbeiter weiter, indem sie wenig zahlen. Heute verschlechtert sich die Position der Beschäftigten durch Zeitarbeit, Flexibilisierung und Outsourcen. Sie werden je nach Bedarf tageweise dazugeholt und zum Beispiel nach Stunden anstatt wie bisher nach Tagessätzen (schlechter) bezahlt. Die Reallöhne werden so lange stagnieren oder sinken, bis wir durch unser Verhalten die gesamtwirtschaftliche Informationsproduktivität erhöht haben.

Unternehmer: Stellen Sie sich vor, Sie sind Unternehmer – Ihre Produktion ist technisch ausgereift und optimal durchorganisiert. In den letzten beiden Jahrzehnten haben Sie durch technische Verbesserungen ständig billiger und besser produzieren können und deswegen Ihren Ausstoß ausgeweitet. Was jetzt noch verbessert wird, ist im Wesentlichen nur noch die Verlängerung des Bestehenden. Investitionen amortisieren sich deshalb nicht mehr so schnell, weswegen Sie weniger investieren oder Neuanschaffungen hinauszögern. Der Marktpreis, den Sie für Ihre Waren erzielen, ist aber fest oder sinkt sogar etwas, weil sich die Unternehmer immer gegenseitig hauchdünn unterbieten, um sich Kunden abzuwerben. Weniger Einnahmen – obwohl es ab jetzt an besseren Herstellungsverfahren fehlt, welche die Kosten senken – stellen Sie vor ein Problem: Sie müssen Gewinn erwirtschaften. Denn wenn Sie keinen Gewinn machen, zahlen Sie drauf, zehren Ihr Betriebsvermögen oder sogar Ihr privates Kapital auf. Doch der Markt drückt Ihren Gewinn gegen null, die Situation wird immer verzweifelter. Was können Sie tun, um Ihre Firma zu erhalten?

Während im langen Aufschwung zahlreiche neue kleine Firmen gegründet werden, sind die langen Kondratieffabschwünge immer eine Zeit der Branchenkonzentration und Unternehmenszusammenschlüsse. Die vielen Kleinen werden geschluckt, gehen in Konkurs und überlassen ihre Kunden dem Konkurrenten. Oder sie fusionieren zu mächtigeren Einheiten – in der Hoffnung auf Synergien. Pure Größe soll Fixkosten wie Verwaltung einsparen. Die möglichen Folgen sind Konzerne und Branchenkartelle, die ihre Preise absprechen und sie so dem Käufer diktieren – wie in den 20er Jahren ( S. 70). Die Unternehmenskonzentration geht heute quer durch alle Branchen, von den Bierbrauern bis zu den Banken: »wettbewerbsfähiger werden«, »Kostendruck nimmt zu«, »Geschäftsvolumina bündeln«– so lauten die Wortfetzen, die man auf Pressekonferenzen zu hören bekommt. Doch weltweit kommen die Fusionen ins Trudeln. Managementprobleme, Streit über Führungsstil, unterschiedliche Unternehmenskulturen fressen mehr Ressourcen auf, als Synergieeffekte bringen. Denn eine Fusion bedeutet auch immer, dass Mitarbeiter früher unabhängiger Firmen ein neues Informationsnetzwerk knüpfen müssen – das erzeugt Reibungsverluste, die teurer sein können als das, was durch höhere Massenproduktion und niedrigere Fixkosten eingespart wird.

Und selbst wenn das neue Gebilde produktiver fertigt als die zwei kleineren Firmen zuvor: Eine Fusion verschiebt nur die Probleme sinkender Gewinne, die in einem langen Abschwung auftreten. Die Firmen konkurrieren immer mehr um Absatzmärkte statt um Produktionsfaktoren. Wenn die Fixkosten an Maschinen, Fabrikhallen und Verwaltung groß sind, werden Unternehmer die Flucht nach vorne in die Massenproduktion auf Halde antreten, damit der Preis pro Stück geringer wird, sie ihre Waren günstiger verkaufen und daher mehr absetzen können. Doch auch diese Rechnung geht im Kondratieffabschwung nicht auf: 1929 produzierten die Unternehmer Schuhe auf Halde, 1974 Autos. Das Ergebnis ist heute vielleicht nicht mehr bekannt, denn wieder weichen die Firmen auf den Kampf um Marktanteile aus und liefern sich Rabattschlachten mit Schleuderpreisen, anstatt produktiver zu werden oder Neues zu probieren.

Worum sich die Standortdebatte drehen sollte

Der Markt ist aber kein statisches Nullsummenspiel, in dem der, der mehr bekommt, dem anderen etwas wegnimmt; unser Wohlstand ist kein festgelegter Kuchen, auf dessen Verteilung wir uns nun mehr oder weniger gütlich einigen müssen. Wir haben bei höherer Qualität langfristig mehr zu verteilen, wenn wir diesen virtuellen Kuchen vergrößern – in erster Linie, indem wir produktiver werden. Dem werden jetzt viele widersprechen: Die Öffentlichkeit registriert eine Produktivitätssteigerung lediglich als Rationalisierung. So hält sich dort hartnäckig das Gerücht, wir hätten deshalb so hohe Arbeitslosigkeit, weil wir so produktiv geworden sind. Es nährt sich durch Bücher und Vortragsabende über das »Ende der Arbeit«, ob uns nun die Arbeit ausgehe oder dass der unbezahlten Bürgerarbeit die Zukunft gehöre usw.

Was stimmt nun: Haben wir so viele Arbeitslose, weil wir zu produktiv geworden sind, oder ist es umgekehrt so, dass wir gesamtgesellschaftlich nicht ausreichend produktiver geworden sind? Stellen Sie sich dazu das Leben vor sechs Generationen vor. Zu Beginn der Industriellen Revolution arbeiteten über 80 Prozent unserer Vorfahren in der Landwirtschaft. Wenn das so wäre, dass steigende Produktivität Arbeitslosigkeit erzeugt, dann müssten heute fast 80 Prozent derer, die da auf der Strasse herumlaufen, ohne Erwerbsarbeit sein. Das ist, wie wir wissen, nicht der Fall. Seit dem Jahr 1800 ist der Anteil derer, die in der Landwirtschaft tätig sind, stetig gesunken. Sie wurde so produktiv, dass immer mehr Menschen in die Industrie abwandern konnten. Ihr Anteil an allen Erwerbstätigen stieg bis zur besten Ludwig-Erhard-Zeit um 1960 auf die Hälfte an – seitdem sinkt er stark. Die Industrie wurde so effizient, dass immer mehr Menschen Dienstleistungen übernehmen konnten. Das Gegenteil ist also richtig: Die Wirtschaft wächst bei sogar zunehmender Beschäftigung, nur weil wir ausreichend produktiver werden. Und neue Arbeitsplätze entstehen nur dort, wo sie am produktivsten sind.

Die wichtigste Frage für Politik und Unternehmensführung ist daher: Was können wir tun, um den Kuchen zu vergrößern? Wo sind die Kostengrenzen, die limitierenden Faktoren, die das Wachstum jetzt behindern? Wie machen wir sie produktiver? Der künftig erfolgreichste Weg, Kosten langfristig zu senken, ist nicht mehr, eine bessere Maschine zu kaufen oder Leute zu entlassen, sondern dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter produktiver mit Information umgehen ( Management-Kapitel, S. 248).

Denn Informationsgesellschaft ist weit mehr als eine Fortsetzung der alten Industriegesellschaft mit Computern. In den Generationen unserer Eltern und Großeltern standen die meisten Menschen noch in der Fabrik und haben geschraubt, gefräst, montiert, haben mit ihren Händen die reale materielle Welt bearbeitet; nur ganz wenige haben geplant, organisiert, vermarktet. Dieses Verhältnis hat sich umgedreht: In einer Welt, die ihre Wissensmenge alle drei Jahre verdoppelt, geht es nicht mehr in erster Linie um ein Mehr an Information, sondern darum, sie effizient zu verwalten, um schnell an jene Infos zu kommen, die man braucht, um ein aktuelles Problem zu lösen. Nur dort, wo Menschen Informationen sammeln, recherchieren, aufbereiten, präsentieren, vermitteln, nur noch dort entstehen neue Arbeitsplätze: der quartäre Arbeitsmarktsektor nach Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistung.

Wettbewerb findet nicht mehr vor allem über den Preis, sondern über Qualität und Zeitvorsprung statt, also über den Umgang mit Information statt. Produktlebenszyklen haben sich dramatisch verkürzt. Geld verdient häufig nur noch, wer als Erster auf den Markt kommt. Während es im Industriezeitalter darum ging, mit Rohstoffen und Energie effizient umzugehen und die Produktivität von Maschinen zu steigern, hängen Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung erstmals vom effizienten Umgang mit Information ab: von Informationsflüssen zwischen Menschen und im Menschen, von Fortschritten im Menschlichen13: Firmen, in denen derjenige als starker Mitarbeiter gilt, der sich auf Kosten anderer profiliert, werden am Markt nicht bestehen. Wo Informationsströme gestört sind – wo Platzhirsche regieren, Meinungsverschiedenheiten zu Machtkämpfen ausarten, wo Mobbing das Klima bestimmt – stagniert die Produktivität. Keine noch so verbesserte »Hardware« wird diesen Verlust künftig noch ausgleichen können.

Das ist der Grund, warum die Standortdebatte so lahm und langweilig geführt wird: Die Akteure spüren selber, dass sie an den Ursachen vorbeireden. Denn wodurch unterscheiden sich die Regionen der Welt in Zukunft noch voneinander? Kapital kann man überall auf der Welt aufnehmen, eine Maschine weltweit einkaufen, das Wissen der Menschheit ist weltweit über das Internet zu beziehen, jeder kann seine Produkte weltweit vermarkten. Der einzige Standortfaktor, durch den sich die Regionen der Welt künftig noch voneinander unterscheiden, ist die Fähigkeit der Menschen vor Ort, mit Information umzugehen.14 Und das ist nicht nur eine intellektuelle, sondern eine soziale Fähigkeit; hier geht es um die Frage, wie gehe ich mit mir selbst und anderen um. In den Kulturen wird sie beantwortet durch die vorherrschende religiöse Ethik und das letzte Ziel, das sie dem Leben setzt. Huntington hatte also Recht mit seinem Buch, dass es zu einem »Clash of Civilizations«15 kommen werde, aber dieser Kampf der Kulturen wird nicht gegeneinander, sondern vor allem im wirtschaftlichen Wettbewerb darum ausgetragen, wie produktiv die Mitglieder einer Gesellschaft mit Informationen umgehen (→ Kapitel über die Weltmächte von morgen, S. 389). Sie werden sich darin übertreffen müssen, wer am kooperativsten ist. Die Art, wie Menschen miteinander umgehen, wie sie sich organisieren, das wird zum Kernproblem wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in der Informationsgesellschaft.

Wir stehen daher als ganze Gesellschaft vor der immer drängender werdenden Aufgabe, Innenwelt-Probleme zu verringern. Doch bei dem Wort »Seele« reißt der Gesprächsfaden sofort ab: Zu viele unseriöse Seminarveranstalter bieten fragwürdige Methoden an, zu Selbstwertgefühl, Motivation und Gelassenheit zu kommen und mit Stress oder belastenden Gefühlen umzugehen – meist drehen sich diese Techniken sowieso nur um die eigene Person. Es fehlen Kriterien, »gesunde« von »ungesunden« Praktiken und Verhaltensweisen zu unterscheiden, und Personen, die damit umgehen können.

Techniken und Therapien allein können jedoch weder Sinn noch Liebe »produzieren«. Sie stoßen an ihre Grenzen. Da rücken ausgerechnet die veränderten ökonomischen Anforderungen religiöse Fragen wieder in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Debatten: Wie sollen wir uns in der Firma verhalten? Was ist seelische Gesundheit? Wie finde ich wieder zu meiner Ausgeglichenheit zurück (früher nannte man das »Frieden«)? Die Themen, die jetzt aufbrechen, gehören zum Erfahrungsschatz der christlichen Kirchen. Sie wurden arg gebeutelt von sozioökonomischen Paradigmen wie Materialismus und Individualismus während der vergangenen Kondratieffzyklen. Jetzt stehen die Kirchen vor einer optionsreichen Reorganisation, die sich an den Erfolgsmustern des nächsten Strukturzyklus orientiert: Die Wirtschaft benötigt nicht mehr das gehorsame und austauschbare Schäfchen der Fabrikmaschine, nicht mehr den egoistischen Selbstverwirklicher der automobilen Gesellschaft (der sich seine Glaubenswelt individuell zusammenbastelt), sondern den verantwortlichen und kooperativen Informationsarbeiter ( Kirchenkapitel, S. 438), der ein neues gruppenübergreifendes Zusammenleben verwirklicht. Das sorgt auch innerhalb der Kirchen für Zündstoff – zwischen einer früher häufigen unkooperativen Gruppenethik und einer kooperativen Spiritualität, die der Theorie der Universalethik (Liebe deinen Nächsten wie dich selbst) entspricht.

Angeschoben wird diese Entwicklung von den ökonomischen Notwendigkeiten. Wir leben in der Informationsgesellschaft nicht nur von der Arbeit anderer, sondern auch von ihren Ideen. Wir stehen jeden Tag vor so vielen Problemen, dass wir davon abhängig sind, dass andere darüber nachgedacht und sie gelöst haben. Knapp sind jetzt nicht mehr Arbeit, Maschinen oder Rohstoffe, sondern kooperative, umfassend gesunde Wissensarbeiter, ihre Fähigkeiten und Ideen, um Probleme zu angemessenen Kosten zu lösen. Vorausschauende Investoren werden daher in den Knappheitsfaktor Mensch investieren ( S. Börsenkapitel, S. 346). Denn wir haben zuwenig Kinder und wir bilden sie nicht gut genug für den anbrechenden Strukturzyklus aus ( Bildungskapitel, S. 362). Unsere Beziehungen in der Arbeitswelt, im Gesundheitswesen und in unseren Schulen sind nicht produktiv genug, die Familienqualität ist im Durchschnitt nicht ausreichend. Wir verschwenden zu viele Ressourcen für Destruktives16 (→ Produktivitätsreserven, S. 277). Die öffentlichen Auseinandersetzungen schlagen im Kern noch immer die Schlachten der alten Industriegesellschaft, anstatt ein Gesundheitswesen aufzubauen, in dem die Akteure das Geld der Krankenkassen mit Gesunderhaltung statt mit Krankheitsreparatur verdienen und so die produktive Lebensarbeitszeit verlängern (→ Gesundheitskapitel S. 299).

Noch scheuen sich die Politiker, diese Themen anzugehen. Das liegt nicht an ihnen, sondern an den Leuten, die sie wählen. Denn die meisten Menschen wollen keine echten Änderungen und keine Politiker, die ihnen reinen Wein einschenken. Deutschland braucht aber in der unruhigen Zeit während des Wechsels zweier Kondratieff-Strukturzyklen keine Stimmungs-Surfer, sondern Politiker mit festen Positionen; Denker, Redner und Motivierer in einer Person, ausgestattet mit einem weiten Blick, der über die eigene Lebensspanne mit ihrem Nutzenkalkül hinausreicht. Denn diese Welt wird sich noch drehen, wenn wir längst von ihrer Bühne abgetreten sind. Aber die Verantwortung dafür, dass das nächste Paradigma in der Gesellschaft umgesetzt wird und die Ressourcen zur Verfügung stehen, die neuen Bedürfnisse zu erschließen – die Verantwortung tragen wir heute. Auch wenn wir im Abschwung unter Konsumverzicht und erschwerten Bedingungen werden investieren müssen. Je mehr wir uns vor der Lösung der Probleme drücken und sie in die Zukunft schieben, um so schlimmer werden sie die Gesellschaft einholen.

Wie die langen Wellen in den vergangenen 200 Jahren alle Lebensbereiche – Wirtschaft, Kunst, Politik, Kriege und Technik – durchdrungen haben, das umfasst ein Drittel dieses Buches. Dennoch sollten Sie das nächste Kapitel nicht wie ein Geschichtsbuch lesen. Denn es beschreibt nur vordergründig die Vergangenheit: Zusammen mit der Gegenwart wird sie in der Zukunft präsent sein. Nach dem Höhepunkt der Industriegesellschaft wird die Wirtschaft entweder umkehren zu den Prinzipien des Lebens – oder sie wird stagnieren.17 Diese Zeilen zielen daher auf die heutige Wirtschaftsdebatte. Die früheren langen Auf- und Abschwünge erklären unsere Situation. Nach einigen harten Jahren Arbeit eröffnet sich die Vision von einer prosperierenden Gesellschaft. Und dafür lohnt es sich, zu kämpfen.

Kapitel 1

Die Zukunft beginnt in der Vergangenheit

Was die Geschichte über ähnliche Situationen wie heute erzählt

1. Kondratieffaufschwung

Wachstumsgrenzen überwinden

Eine Gesellschaft kommt an ihre Grenzen. Wenn es eng genug wird, setzt sie alle Ressourcen dafür ein, diese Grenzen zu sprengen. Deswegen lassen sich in den Engpässen von heute die Märkte und Strukturen der Zukunft erkennen. In der Vergangenheit ist es so gewesen: Nicht die Dampfmaschine löst den ersten Kondratieff aus, sondern das, was knapp wird – der Engpass an mechanischer Energie. Die englischen Unternehmer kommen nicht mehr hinterher, ihre Bergwerke zu entwässern oder Webstühle mit Wasser- oder Tierkraft anzutreiben. Die Nachfrage der Flotte, die sich fast ein Monopol im Welthandel erkämpft hat, die Nachfrage der Armee und des Exportes sind weit größer, als die Wirtschaft Waren produzieren kann.

Bergwerke unter Wasser

Es ist daher kein Zufall, dass die englischen Unternehmer James Watt beknien, doch bitte eine Maschine zu bauen, die Hitze in Dampf und Dampf in mechanische Bewegungskraft umsetzt. John Roebuck‘s Eisenhüttenwerk bekommt zuwenig Kohle, weil die Grube wegen des Grundwassers nicht genug liefern kann – Watts Maschine soll es herauspumpen und das Bergwerk produktiver machen. Für Matthew Boultons Metallbetrieb reicht die Wasserkraft nicht aus, um einen Blasebalg anzutreiben, der Luft in den Hochofen bläst, um höhere Schmelztemperaturen zu erreichen – Boulton sucht einen besseren Antrieb. Jahrelang tüftelt James Watt herum, bis er 1769 sein erstes Patent anmeldet. Zwischen den ersten Plänen, den Rückschlägen und der praktischen Anwendung vergehen zwölf Jahre.1

»Entdeckungen und Erfindungen finden in einer Richtung und in einer Intensität statt, die den Anforderungen der praktischen Wirklichkeit entsprechen«2, schreibt der russische Ökonom Nikolai Kondratieff in seinem ersten Aufsatz über lange Wellen. Zahlreiche Erfindungen seien deshalb an verschiedenen Orten gleichzeitig und unabhängig voneinander gemacht worden. Es reicht dann aber nicht, dass sie technisch machbar sind. Eine Basisinnovation bringt die Wirtschaft erst dann in Schwung, wenn sie wirtschaftlich geworden ist, weil die gesellschaftlichen Voraussetzungen stimmen wie in England Ende des 18. Jahrhunderts: Weil Schafsweiden lukrativer sind, vertreiben Gutsherren die Landbevölkerung von ihrem Ackerland – die sucht nun in den Städten Arbeit; Banken haben genug Geld, um die Dampfmaschinen der Unternehmer zu finanzieren, schließlich haben die gekaperten spanischen, dann französischen Schiffe, der Sklavenhandel und anderer Profit aus dem Welthandel inzwischen viel Kapital angehäuft. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts haben hohe Investitionen in Binnenkanäle den Transportaufwand pro Tonne Kohle schon etwa halbiert, zwischen Liverpool und Manchester oder Birmingham sogar um 80 Prozent verbilligt3. Binnenzölle wie in Deutschland und Frankreich sind längst abgeschafft. Während die deutschen Adeligen noch vom Rittertum träumen und auf die gewerbetreibenden »Pfeffersäcke« hinunterschauen, werden aus Britischen Lords Geschäftsleute.

Noch 1750, bevor die Industrialisierung beginnt, ist Großbritannien irgendein Felsbrocken in der Nordsee gewesen, der etwa 1,9 Prozent der Weltindustrieproduktion herstellt – das passt im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Am Ende des ersten Kondratieffs um 1830 produziert es aber fast zehn Prozent der weltweiten Gütermenge.4 Das liegt nicht daran, dass die Löhne in England niedriger wären oder die Bank of England die Zinsen gesenkt hat oder aber der Staat so viel Geld ausgibt; auch treiben nicht etwa alle Branchen in gleicher Weise die Wirtschaft. Sondern es sind vor allem zwei Branchen, die ihre Produkte weit besser herstellen und billiger verkaufen können und Großbritannien damit wettbewerbsfähiger machen als jedes andere Land: Während die Wirtschaft im Boom nach 1790 mit etwa 2,5 Prozent im Jahr wächst – vor allem als Zulieferer für das neue technologische System und für den Konsum der zusätzlich beschäftigten Arbeiter –, wachsen die Eisen- und die Textilindustrien mit durchschnittlich 7 Prozent. Das hat nichts mit Geld zu tun, dafür aber eine ganze Menge mit Technik und den realen Vorgängen in der Fabrikhalle.

Schon vor der Dampfmaschine treibt Wasserkraft in großem Umfang die ersten Spinnmaschinen und mechanischen Webstühle an, die ständig verbessert werden. Das erhöht die Produktivität um ein Vielfaches, reicht aber nicht. Die Nachfrage wächst schneller, als die Wirtschaft mehr produzieren kann. Es dauert bis 1785, bis die ersten Dampfmaschinen Spinnräder zum Rotieren bringen. Ein historischer Quantensprung auf ein neues Wohlstandsniveau: In den 1820ern produziert ein Textilarbeiter, der mehrere Webmaschinen bedient, 20-mal so viel wie der Heimarbeiter, hat die dampfgetriebene Spinnmaschine die 200-fache Kapazität eines Spinnrades5. Auf einen längeren Zeitraum betrachtet – zwischen 1750 und 1830 – vervielfacht sich die Produktivität allein in dieser Branche um den Faktor 300 bis 400.6

Ein Jahr nach dem Spinnrad bewegt Dampfkraft auch den mechanischen Webstuhl. Andere Dampfmaschinen treiben Gebläse an, die Luftsauerstoff in Hochöfen pressen und mit den höheren Temperaturen aus dem Erz mehr Eisen als bisher herausschmelzen. Bergwerke können weit tiefer getrieben werden, wenn das einströmende Wasser nun per Dampfmaschine hochgepumpt wird. Eisen wird billig genug, um auf Hunderte neue Arten im Privathaushalt, in der Fabrik oder im öffentlichen Leben verwendet zu werden: Pferdebahnen mit Eisenschienen, die erste Eisenbrücke 1779 über den Fluss Severn, 1787 das erste mit Eisenplatten gebaute Schiff, Eisenträger für den Hausbau, Möbel, Maschinen, Waffen. Der Eisenausstoß verfünffacht sich zwischen 1788 und 1815, und die Preise sinken – und das sogar während der immensen Nachfrage während der heißesten Phase der Napoleonischen Kriege um 1810 – von 22 Pfund für eine Tonne Roheisen 1801 auf 13 Pfund 1815.

Ebenso kometenhaft ist der Aufstieg der Baumwolle. 1770 macht sie erst 2,6 Prozent der britischen Industrieerzeugung aus7. Vor dem Krieg ist sie noch immer ein völlig neuer Industriezweig. Mit den wasser- und schließlich dampfgetriebenen Spinnmaschinen und Webstühlen halbieren sich die Herstellungskosten für Baumwollgarn zwischen 1780 und 1790, bis 1795 ein weiteres Mal. Der Import von Rohbaumwolle verdoppelt sich alle paar Jahre, von 16 Millionen Pfund im Jahr 1783/​87 über 29 Millionen Pfund 1787/​92 und 56 Millionen Pfund im Jahr 1800. 1801 stellen Baumwollprodukte schon 17 Prozent der britischen Industrieerzeugung und sind bei Kriegsende zum größten Exportartikel Großbritanniens geworden.

Obwohl die große Nachfrage im Krieg insgesamt zu steigenden Preisen führt, sind die Produktivitätsfortschritte in der Textilindustrie so groß, dass die Preise für Baumwollgarn – wie beim Eisen – selbst während des Krieges weiter drastisch fallen. Ihre Produktion beansprucht immer mehr Maschinen, Dampfkraft, Kohle und Arbeit, benötigt neue Häfen, Binnenkanäle, Landstraßen. Nicht die Napoleonischen Kriege haben diesen Boom ausgelöst, aber der Druck des Krieges hat – wie später bei jedem weiteren Kondratieff – das Tempo beschleunigt, das Potenzial des neuen Strukturzyklus noch schneller zu erschließen.

Randalierende Arbeitslose, die Maschinen in den Fabriken zerstören, sind im ersten Kondratieff eine Anfangserscheinung, denn die Nachfrage nach Arbeitskräften explodiert bald: Der erste Kondratieff benötigt Menschen, die Kohle aus dem Untergrund (in England damals relativ nah unter der Oberfläche) ans Tageslicht befördern; er braucht Menschen, die Wasserkanäle ausgraben oder in den Fabriken dampfgetriebene Webstühle mit Baumwolle bestücken, und er braucht immer mehr Mechaniker, die Maschinen warten, dazu Seeleute für den Export.

Für diesen steilen Aufschwung sind gesellschaftliche Voraussetzungen nötig gewesen. Aber jetzt, wo der neue Strukturzyklus in Fahrt gekommen ist, mischt er die Gesellschaft auf. Anstatt auch bei der Arbeit auf dem Feld oder am Markt sich zu entspannen, zu tratschen, zu singen oder zu beten, werden Schlafen und Vergnügen nun von der Arbeit getrennt. Erholung richtet sich nach der Uhr. Die Arbeitsorganisation ist nicht mehr vom Wetter, der eigenen Kraft und Laune abhängig, sondern von Regeln, vorgegebener Disziplin und dem Zeitplan des Unternehmens. Schnell, regelmäßig, präzise und unermüdlich ist der Arbeitstakt der Maschine. Klagen über die betrunkene, faule und undisziplinierte Unterschicht, die sich nur zu störrisch dem neuen Rhythmus anpasst, sind zu dieser Zeit ein Allgemeinplatz. Schulen werden zu dem Ort, wo Pünktlichkeit gelernt wird, dazu ein durch Strafen erzwungener Gehorsam und Disziplin (kein Wunder, dass die Verhaltensmuster der Arbeitswelt ein Bild von Gott erzeugen, der durch Strafe Gehorsam erzwingt). Lokale Monopole und die letzten Binnen-Handelsschranken werden beiseite gefegt.

Die »Industrielle Revolution« ist zwar zunächst ein langsamer Prozess, sie betrifft nur bestimmte Branchen und ereignet sich in wenigen Regionen, die per Kanal und Schiff gut erreichbar sind. Je länger, umso massiver verteilt sich aber dann die höhere Produktivität, also der zusätzlich geschaffene Wohlstand – wenn auch ungleich – auf alle: Viel mehr Handwerker können sich bessere Werkzeuge kaufen, Maschinen werden erschwinglicher, der Stadtschreiber kauft sich einen zweiten Anzug. Sogar Arbeiter leisten sich Tee mit Zucker, obwohl diese beiden Waren hoch besteuert sind. In einigen Häusern der unteren Schicht liegt plötzlich ein Teppich oder steht vielleicht sogar ein Klavier. Eine ganze Volkswirtschaft lernt jeden Tag hinzu, wie sie Eisenerz besser verhüttet, Transportkanäle baut oder Wolle noch feiner weiterverarbeitet. Das betrifft zunehmend auch die Nachbarn.

Wer als Wirtschaftsmacht einen Kondratieffzyklus anführt, der entwickelt sich nicht separat von der Welt, sondern ist auf andere Länder angewiesen: als Exportland für seine Basistechnologie und als Zulieferer von Ressourcen. Die Briten holen damals Erz aus Schweden und Lebensmittel vom Kontinent, die Deutschen sind nach 1890 und in beiden Weltkriegen auf Lebensmittelimporte ebenso angewiesen wie auf Exportmöglichkeiten der chemischen und der Maschinenbauindustrie; die USA werden im fünften Kondratieff zum größten Schuldner der Welt, um ihre Investitionen, aber vor allem auch, um ihren Konsum zu finanzieren, und auch Japan wäre in den 1970/​80er Jahren nie so erfolgreich geworden, wenn es seine Entwicklungskosten nicht ständig von kaufenden Europäern finanziert bekommen hätte. England wird damals reich, weil es seine Produktionskapazität besser auslasten kann: Der britische Export von Baumwolle nach Indien steigt von einer Million Yards 1813 auf 51 Millionen im Jahr 1830. Die Marktmacht ist so groß, dass Länder wie Indien, China und andere spätere Dritte-Welt-Länder de-industrialisieren – um 1750 sind sie pro Kopf dagegen noch etwa so industrialisiert gewesen wie Europa.8

Anders die Europäer: Auch wenn sie zunächst keine oder zu wenige Dampfmaschinen haben, profitieren sie vom ersten Kondratieffaufschwung. England muss Lebensmittel importieren, um seine Arbeiter zu ernähren – das treibt den Getreidepreis auf dem Weltmarkt hoch. Wie stark der erste Kondratieff keine englische Angelegenheit, sondern eng mit den benachbarten Volkswirtschaften vernetzt ist, zeigt die Kontinentalsperre, als es Napoleon 1808/​10 fast gelingt, die Briten auszuhungern. In den Docks lagern ungeheure Vorräte an Handelsgütern. Sie drängen schließlich auf den iberischen Markt, wo die Engländer ihre Industrieprodukte gegen Lebensmittel eintauschen – ein Grund, warum Napoleon 1809 in Spanien einmarschiert.

Wird die britische Wirtschaft unter der Kontinentalsperre zusammenbrechen? Oder generieren die Produktivitätsgewinne des ersten Kondratieffs ein solches Maß an zusätzlichen Ressourcen, das alle Verluste mehr als ausgleicht? Das Kräftemessen gewinnt der Kondratieffaufschwung: Die britische Roheisenproduktion steigt von 60.000 Tonnen im Jahr (1780) auf bereits 244.000 Tonnen im Jahr 1806 und weiter bis auf 325.000 Tonnen im Jahr 1811. Zwei Drittel von dem, was zwischen 1760 und 1830 in Europa mehr produziert wird, stammt aus Großbritannien.

Die Engländer werden dabei höher besteuert, als es sich die Bürokraten des 18. Jahrhunderts hätten vorstellen können; die Staatsschulden verdreifachen sich während des Krieges. Aber durch den dampfvermehrten Wohlstand kann das kleinere England mit viel weniger Einwohnern den Krieg materiell überlegener führen (und 1813 die verbündeten Preußen, Österreicher und Russen mit 125.000 Gewehren und 218 Geschützen unterstützen) als das gesamte Napoleonische Reich, das den Krieg hauptsächlich dadurch bezahlt, dass es die besetzten Länder ausplündert. Dort stagniert der technische Fortschritt noch: Dass die französische Verwaltung die feudalen Grundherren durch eigenständige Bauern ersetzt, bedeutet ja noch keine landwirtschaftliche Revolution mit höheren Ernten. Die schlechten Verkehrsverbindungen auf dem europäischen Kontinent zwingen den Bauern noch immer, hauptsächlich für den lokalen Markt zu produzieren. Die Wirtschaft wartet auf die Revolution der freien Unternehmer, die 1789 in Frankreich beginnt und in Europa ein paar Jahrzehnte dauert.

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22 aralık 2023
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