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§ 5.

DAS CASTELL.

a. Anlage und Zweck.

Wenn auch ausser Zweifel ist, dass die erste Anlage des Castells durch die vierzehnte Legion erfolgte, und zwar vielleicht schon unter Augustus, so ist damit nicht behauptet, dass es nicht in etwas späterer Zeit einen Umbau oder Neubau erfahren habe. Es ist sogar wahrscheinlich, „dass die erste Anlage sich gegenüber den stürmischen Angriffen der Deutschen im batavischen Freiheitskriege nicht ausreichend erwies und eine neue, wohl auch solidere Befestigung unter den nachfolgenden Kaisern, besonders zur Zeit der Revision und Renovirung des Pfahlgrabens unter Domitian vorgenommen wurde. Dieselbe könnte dann auch wieder von der Stifterin, der Legio XIIII Gem., jetzt Martia Victrix, ausgeführt worden sein, denn von ihr haben sich aus der genannten Zeit in dem Bereiche des Castells mehrere Ziegel erhalten; doch müssen auch andere Legionen dabei thätig gewesen sein; abgesehen von der Legio XXII, deren Ziegel sich auf ihren mehr als zweihundertjährigen Aufenthalt am Rheine vertheilen — es sind von ihr sechzehn im Castell gefunden worden — waren vor zwanzig Jahren nach Rossel (Ann. V, I. p. 55.) ebenfalls im Bereich des Castells gefunden: fünf Ziegel mit dem Stempel Legio XIIII, neun mit Leg. XIIII Gem., drei mit Leg. Gem. Mart. Vict., unbestimmte vier; von der Leg. VIII ein Stempel und von der Leg. I Adj. zwei Stempel; dazu traten in den folgenden Jahren noch ein Stempel mit der Bezeichnung Leg. XIIII Gem. und ein zweiter mit Leg. XIIII Gem. Mart., (Per. Bl. 1860, No. 13. p. 363. Der Stein ist sehr ausgetreten.) bei welchem die Buchstaben Vict. fehlten; ein dritter zeigte den Stempel der Leg. I Adj. („Auf dem Heidenberg gefunden“. Mitth. 1865, No. 4. p. 15.) Danach ist die vierzehnte Legion für ihren zweiten Aufenthalt dahier mit mindestens vier, vielleicht sechs Ziegeln vertreten, was zwar hinter den vierzehn bis sechzehn Ziegeln der ersten Anwesenheit zurückbleibt, aber doch eine der Kürze der Zeit etwa entsprechende Thätigkeit bekundet.

Von den Auxiliartruppen haben sich besonders viele Ziegel der dritten Cohorte der Delmater im Castell gefunden, (Zwanzig nach Rossel in den Ann. V, I. p. 56.) einer der Vindelicier.

Auch der Zweck des Lagers erweiterte sich, wenn es in dieser Gestalt nicht schon von Anfang an ins Auge gefasst war; aus einer Station zum Schutze der Bäder, wie wir oben annahmen, wurde es seit der Errichtung des Pfahlgrabens auf dem Taunus, die wahrscheinlich unter Domitian (Marquardt, Röm. Staatsverwaltung I, p. 124. Tac. Germ. 29.) erfolgte, eine wichtige Zwischenstation zwischen dem Hauptorte am Mittelrhein, wo das Hauptstandquartier der Legionen war und von wo aus die Grenzstationen besetzt wurden, und eben diesen Grenzstationen an dem Grenzwall, mit beiden durch Strassenzüge verbunden, und gewährte so auch den zahlreichen, an dem Abhänge des Gebirges liegenden römischen Niederlassungen, die wir weiter unten vorführen werden, die nöthige Sicherheit. So begreift sich die Wichtigkeit der ganzen Anlage, welche, in der Solidität, die wir an den Römern allenthalben zu sehen gewohnt sind, errichtet, nur den wiederholten zerstörenden Angriffen der Germanen und in der Folge dem Zahne der Zeit erlag, ohne indess nicht hinreichende Spuren ihres Daseins unter der Erde und den ehrwürdigen Rest eines mit ihr in enger Verbindung stehenden Bauwerks über der Erde bis auf den heutigen Tag hinterlassen zu haben.

b. Ausgrabung.

Von dem Castelle selbst waren bis in unser Jahrhundert hinein alle äusseren Spuren vollständig verwischt und so sehr alle Kenntniss seiner Lage verschwunden, dass Ebhardt (p. 25.) meint, die Heidenmauer sei seine östliche Einschliessungsmauer gewesen. Auch jetzt bezeichnet kein Merkzeichen auf der ganzen Fläche, die schon zum Theil mit den Häusern der auch dahin vorgerückten Stadt bedeckt ist und bald in ihre Mitte die grossartige Anlage eines Krankenhauses aufnehmen wird, die Stätte, wo fast drei Jahrhunderte lang das rege Leben eines römischen Lagers herrschte. Innere und äussere Gründe veranlassten im Jahre 1838 den nassauischen Verein für Alterthumskunde zu Wiesbaden, unter der Leitung seines verdienstvollen Secretärs, des Archivars Habel, hier eine umfassende Ausgrabung zu veranstalten, welche zu den erfreulichsten Resultaten führte. Das Ergebniss derselben ist in der Schrift des Herrn Obermedicinalrath Dr. Reuter „das Römercastell bei Wiesbaden“ in den Annalen des Vereins V, 2 niedergelegt; (Eine Beschreibung des Römercastells hat Habel begonnen, aber nicht vollendet, Annal. III, 2. p. 131 — 55; ergibt daselbst auch eine Geschichte der Ausgrabung. Erst 1821 und 1832 entdeckte man das Mauerwerk.) ausserdem enthält das Museum ein Gypsmodell von 5' Länge und 4' 5“ Breite, welches die Haupttheile des Castells in anschaulicher Weise vor Augen stellt. In der nachfolgenden Beschreibung schliessen wir uns an diese sorgfältigen Arbeiten an und verweisen für das Einzelne auf dieselben, namentlich in Bezug auf die Fundstücke.

c. Beschreibung.

Das Castell lag, wie oben bemerkt, am Ende einer aus dem Gebirge nach Süden vorspringenden Bergzunge, die nach drei Seiten, nach Osten, Süden und Westen ziemlich steil abfällt, nach Norden bald ansteigend sich in die waldige Höhe des Taunus verliert; es beherrschte die Seitenthäler und bot einen freien Blick über das vor ihm liegende Thal und die nach dem Rheine hin auslaufenden Hügel nach der Rheinebene mit der Stadt Mainz. Der Form nach war es ein nicht ganz genaues Rechteck mit abgerundeten Ecken und bedeckte eine Fläche von etwa 13 ½ Morgen; die südwestliche Längenseite mass 504', die nordöstliche 502', die nordwestliche Seite 459' 8“, die südöstliche 457' 3“. Die vier Thore waren mit je zwei nach innen vorspringenden Thürmen ausgestattet, an jeder der abgerundeten Ecken befand sich gleichfalls je ein Thurm, ebenso an jeder Seite in nicht ganz gleichen Entfernungen von einander je vier, sämmtlich nach innen vorspringend, also im Ganzen achtundzwanzig Thürme. Die Ringmauer war 6' breit, mit nicht eben tiefer Fundamentirung (2' — 4‘), deren unterste Steinlage zum Theil schräg auf die Kante gestellt war. Bedeckt war die Mauer wahrscheinlich mit halbcylindrischen Decksteinen von 3' Breite, so dass also hinter den bedeckten Zinnen ein Umgang von ebenfalls 3' Breite verblieb. Vor der Umfassungsmauer waren wenigstens auf drei Seiten (die nordöstliche Seite schützte die jähe Böschung des tief abfallenden Berges genug) drei parallel laufende Spitzgräben gezogen von je 8' Breite und 5' Tiefe, deren erster 6' von der Ringmauer entfernt ist; sie bildeten also zusammen ein Hinderniss von 24' Breite. Die Wege innerhalb des Lagers waren fast alle 17' breit und durchschnitten sich in rechten Winkeln; sie waren theils gepflastert, theils mit Kies und Sand fest gestampft. Die südöstliche Hälfte des Lagers war ohne steinerne Gebäude; sie enthielt die aus Holz gebauten Quartiere der Soldaten, dagegen fanden sich daselbst ein Kalkofen, wahrscheinlich aus fränkischer Zeit, ein tiefer Brunnenschacht, ein Feuerherd und mehrere Gräber, zum Theil mit Gerippen und Schmuckgegenständen aus späterer Zeit, ein Beweis, dass nach Aufhören der Römerherrschaft diese Stätte auch als Begräbnissplatz diente. Der wichtigste Fund, der in diesem Theile des Castells gemacht wurde, war das Militärdiplom vom Jahre 116, welches aber erst zwanzig Jahre nach der Ausgrabung, im Jahre 1858, beim Abtragen von Gartenerde zufallig zum Vorschein kam; es ist in den Annalen V, 1 von Rossel abgedruckt und ausführlich behandelt. Die obere nordwestliche Hälfte des Castells enthielt mehrere massive steinerne Gebäude von verschiedener Grösse und Eintheilung im Inneren; in der Mitte hart an der via principalis das Praetorium (97' und 99' lang, 84' und 83' breit, 2' 10“ dicke Mauern) mit mehreren Räumlichkeiten, darunter einem Bade; der Haupteingang von der via principalis aus führte zunächst in einen Hofraum von 65' Länge und 60' Breite, der auf drei Seiten mit einem Säulengang von 70' und 79' und 70' Länge und 8' 9“ Breite umgeben war; es fanden sich noch fünfzehn Säulenfundamente vor, neun fehlten an verschiedenen Stellen. Zu beiden Seiten des Prätoriums lagen andere Gebäude, links mehrere kleinere, rechts das umfangreichste des ganzen Castells (121' und 104', resp. 102') mit vielen Räumlichkeiten, auch einem Hypocaustum im Inneren.

Eine Vorstellung von der äusseren Erscheinung des Castells, den Thürmen und Zinnen u. s. w. mag man entnehmen aus der von Becker in den Annalen IX zu p. 148 aus der Revue riumism. VII 1862 mitgetheilten Bleimedaille.

d. Besatzung.

Die Stärke der Besatzung muss aus dem Umfang des Lagers berechnet werden, womit man die Einteilung der römischen Truppen zusammenzuhalten hat. In der Kaiserzeit bestand die Legion aus 5000 — 6000 Mann, die in zehn Cohorten abgetheilt waren; eine Cohorte zählte also ca. 550 Mann. (Marquardt, Römische Staatsverwaltung II. p. 441.) Die Auxiliarcohorten zu Fuss waren entweder cohortes quingenariae zu 500, oder miliariae zu 1000 Mann, und zwar bestanden sie entweder ausschliesslich aus 'Fussvolk, cohortes quingenartae und miliariae peditatae, oder es gehörte dazu eine bestimmte Anzahl Reiter, cohortes quingenariae equitatae mit 120 Reitern und 360 — 380 Mann zu Fuss, oder cohortes miliariae equitatae mit 240 Reitern und 760 Fusssoldaten. (ib. p. 455.) Die alae equitum waren ebenfalls entweder quingenariae zu 480 Mann, oder miliariae zu 960 Mann. (ib. p. 456.) Jede Legion erhielt eine kleine Anzahl Reiter, nämlich 120 Mann (4 Türmen), nach Bedürfniss wohl auch mehr, sowie eine Abtheilung Auxiliartruppen, die in der Regel ebenso stark war als die Legion (ib. p, 442. 443.) die Zahl der Auxiliarcohorten, welche einer Legion beigegeben waren, richtete sich also nach der Stärke und dem Charakter der Cohorten, von 3 an bis 9. Im Jahre 116 hatte die achte und zweiundzwanzigste Legion je eine Ala Reiter und acht bis neun Cohorten Fussvolk. (Rossel, Annal. V, 1. p. 64.)

Das Hauptstandlager der mittelrheinischen Legionen war Mainz; von dort aus wurden einzelne Abtheilungen der Legionen und Auxiliarcohorten als Besatzungen in die rechtsrheinischen Castelle und an den Grenzwall abgegeben, die sich in gewissen Zeiträumen ablösten. Wenn nun nach H. v. Cohausens Berechnung (Ann. V, 2. p. 66. Mommsen, C. J. L. III, p. 870.) unser Castell zur Aufnahme von 1000 — 1100 Mann hinreichenden Raum darbot und eben diese Zahl vollständig ausreichte, um das Lager im Falle eines Angriffes zu vertheidigen, wobei noch das Bedürfniss für Reserve, Thorwachen, Sorge für die Verwundeten, Ordonnanzen u. s. w. ausreichend gedeckt war, so kann man annehmen, dass entweder zwei Legionscohorten, (mm 1100 Mann) oder eine Legions- und eine Auxiliarcohorte (= 1150 Mann), denen nach Bedürfniss etwas Reiterei (1 — 2 Türmen) beigegeben war, oder eine Cohors miliaria equitata oder peditata die jedesmalige Besatzung des Castells gebildet habe.

Von den oben genannten Cohorten war die vierte der Thraker und dritte der Delmater eine equitata; (S. die Inschrift in den Ann. IV, 3. No. 58. Mommsen, C. J. L. III, No. 1577.) in Betreff der anderen fehlt die nähere Angabe; die ala I Flavia Gemina scheint eine miliaria gewesen zu sein. (Brambach, I. Rh. No. 1468.)

e. Beschäftigung der Soldaten.

Für das Verständniss mancher der unten vorkommenden Erscheinungen ist es wichtig, einiges über das Lagerleben und die Beschäftigung der Soldaten hier zuzufügen. Der Soldat diente vom siebzehnten bis zum zweiundvierzigsten Jahre und blieb während dieser ganzen Zeit unverheirathet. Für die finanziellen Verhältnisse der Soldaten war gesorgt durch Anlage einer Sparcasse für jede Cohorte, in welcher von den Donativen die Hälfte deponiit und für jeden Mann eine Summe gesammelt wurde; es gab ferner eine Begräbnisscasse und Vereinigungen, scholae, zu gegenseitiger Unterstützung; so hatten die zwanzig speculatores (Sie wurden als Couriere u. s. w. benutzt. Marquardt I. c. II. p. 530, I. p. 419.) der Legio I und II Adjutrix eine schola in Pannonien gehabt. Besonders wichtig war dem Soldaten die Aussicht auf Versorgung im Alter. Hatte er seine Dienstzeit beendet, so erhielt er seine honesta missio und seine Versorgung entweder in Geld (bei den Legionssoldaten 3000 Denare) oder in einer Ackeranweisung, die Nichtbürger auch das Bürgerrecht für sich und ihre Kinder, worüber dem betreffenden Soldaten ein Diplom auf broncenem Diptychon als Copie der öffentlichen Urkunde ausgestellt wurde. (Marquardt II. p. 546. Rossel, Ann. V, I. lieber andere Belohnungen s. Marquardt, p. 554.)

Der Dienst nahm zwar den Soldaten vollkommen in Anspruch, da das Einexerciren der Recruten, die monatlich dreimal angestellten Marschübungen mit vollem Gepäck, die Manöver und mancherlei Uebungen anderer Art unausgesetzt betrieben wurden und namentlich in den Grenzgebieten ein beschwerlicher Wachtdienst nothwendig war. Allein bei der langen Dienstzeit hielt man es für zweckmässig, die einförmigen, sich stets wiederholenden Uebungen durch andere Arbeiten zu unterbrechen; schon Augustus gestattete die Beschäftigung der Soldaten, aber nur mit öffentlichen Bauten, zu denen vor allem die Befestigungsbauten an den Grenzen des Reiches, wie unseres Pfahlgrabens um das Jahr 100, die Militärstrassen, die das ganze Reich durchzogen, und die Errichtung und Erhaltung der Waffenplätze, militärischen Gebäude und Wohnhäuser gehörten. (S. oben § 5, a.). Aber auch zu anderen als militärischen Dienstleistungen wurden sie herangezogen: sie bauten Tempel und öffentliche Gebäude, gruben Canäle, legten Wasserleitungen und Bergwerke an, trockneten Sümpfe aus u. s. w. (Marquardt, p. 547 u. flgd.). Daher waren den Legionen auch Techniker zugetheilt, Bautechniker, Wasserbaumeister, Brunnenmeister, Röhrenmeister, Schmiede, Steinhauer, Kalkbrenner u. s. w. (Marquardt, p. 535.) Noch sei erwähnt, dass es in allen Garnisonen Bäder und eigne Aufseher der Bäder (a balneis oder balnearius) (Marquardt, p. 534 A m.) bei den Truppen gab, ebenso medici legionum und cohortium. (ib. p. 537.) Auch in Mattiacum haben die Soldaten der Legionen und Auxiliartruppen zahlreiche Spuren mannigfaltiger Thätigkeit, wie Anlage von Bädern, Wasserleitungen, Befestigungen hinterlassen, wie im Folgenden sich zeigen wird. (S. § 8. 11. 13.)

Doch wir kehren zur Beschreibung des römischen Wiesbaden zurück und betrachten zunächst die beiden mit dem Castell in enger Verbindung stehenden Anlagen, das Vivarium und die Heidenmauer.

§ 6.

DAS VIVARIUM.

An verschiedenen Stellen der im Nordost von dem Castell gelegenen Gegend trat zu verschiedenen Zeiten eine Mauer hervor, bisweilen ersetzt durch einen Graben. Schon Schenck (p. 118.) vermuthet, dass diese Mauern und Gräben einen römischen Thiergarten, ein sog. Vivarium, eingeschlossen haben, dergleichen die Römer anzulegen liebten. Reuter (Ann. V, 2. p. 56.) hat die Spuren sorgfaltig verfolgt und glaubt sie von der nordöstlichen Ecke des Castells an in einem Umkreise von etwa dreiviertel Stunden bis zur südöstlichen Ecke nachweisen zu können; dieser Thierpark habe hier nicht zum Vergnügen gedient, sondern zum Schutze des für die Besatzung des Castells, vielleicht auch für die bürgerliche Niederlassung nöthigen Schlachtviehes, namentlich gegen die Ueberfälle der Germanen; auch Wild sei in dem Park gewesen, woher der Name einer jetzigen Strasse von Wiesbaden, des Hirschgrabens, vielleicht seine Erklärung finde. Ob diese Ansicht in allen Theilen begründet ist, müssen noch genauere Untersuchungen zeigen. Jedenfalls ist die Annahme einer Viehtrift für die Bedürfnisse der Soldaten eine den bis jetzt bekannten Thatsachen ganz entsprechende, (Tac. Ann. XIII. c. 54. erwähnt agros vacuos et militum usui sepositos, wohin (cap. 55) pecora et armenta militum aliquando transmitterentur.) und es handelt sich hauptsächlich darum, den Umfang und Zusammenhang mit dem Castell nachzuweisen. Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass andere gründliche Kenner des römischen Wiesbaden das Vorhandensein dieses so grossen Vivariums bezweifeln.

§ 7.

DIE HEIDENMAUER.

Die Heidenmauer, von der bis jetzt ein noch ganz ansehnlicher Rest vorhanden ist, begann in einiger Entfernung von der Südecke des Castells, indem den Zwischenraum zwischen beiden ein Graben einnahm, (v. Cohausen, Ann. XII. p. 317.) und zog in gerader Richtung nach Südosten bis in die Tiefe des Thaies; sie endigte in einem Thurme zwischen der jetzigen evangelischen Kirche und der Wilhelmsstrasse, dem später sog. Stümpert; auch in der Mitte befanden sich einige Thürme, von denen einer noch zum Theil erhalten ist. (Zu Hellmunds Zeit (1730) waren noch vier Thürme erhalten, wovon der eine in der Metzgergasse das Narrenhaus hiess und zum Gefängniss diente (p. 124).) Während der obere Theil der Mauer noch erhalten ist, lassen sich in dem Thale die Spuren der Fundamente noch in den Kellerräumen einzelner Häuser ganz wohl bemerken. Die Breite beträgt ca. 8', die Höhe ca. 18', die Länge wohl 500 M. Die Technik weist nach dem Urtheile der Sachverständigen durchaus auf römischen Ursprung hin. Sie war eine sog. Gussmauer und ruhete in der Niederung wegen des sumpfigen Bodens auf einem Pfahlwerk; „sämmtliche, aus Eichenholz bestehenden Pfähle steckten aufrecht, jedoch nicht senkrecht in dem Boden; ihre Köpfe, bis auf 4“ convergirend, stiessen direct an die Mauer; die Länge betrug 4 — 5'; sie waren spitz zugehauen mit scharfen Beilhieben; zwischen diesen meist 4 — 6“ starken, meist sehr gut conservirten Stämmchen waren jedoch auch stärkere, bis zu 1' Durchmesser haltende, theils gespaltene, theils ganze Stämmchen unregelmässig vertheilt.“ „Dieses Pfahlwerk, dem hier und dort auch horizontal eingefügte Stammstücke und 4“ starke eichene Dielen zur Stütze dienten, war übrigens ganz unregelmässig construirt, die Pfähle bald seitwärts, bald rückwärts, bald vorwärts geneigt; ihre oberen und unteren Abstände differirten daher von 4“ bis 2'.“ (Aehnliches Pfahlwerk fand sich auch auf dem Mauritiusplatz, auf dem Kranzplatz und dem Schützenhofgebiet.) Weiter aufwärts ruhete die Mauer auf dem gewachsenen Boden; die Dicke war nicht sich gleichbleibend, unten dicker als oben (7' 10“ zu 6'). Die äusseren Bekleidestücke, rechtwinkelig behauene Steine, aber auch Säulenfragmente, Grabsteine, Gesimse und sonstige Baustücke, sind ziemlich wagrecht geschichtet. Das Innere ist in Schichten getheilt, deren Höhe der der Bekleidsteine entspricht; die kleinen Steine und der Schutt desselben ruhen auf steifem Mörtelbett und sind von ebensolchem bedeckt. An der Aussenseite erkennt man noch die Löcher für die Rüsthebel, welche durch die ganze Mauergehen, immer 1,30 M. übereinander, je einen Meter von einander entfernt. (Rossel in den Mittheilungen von 1867. No. 5 u. 6. p. 14. 12. Kekulé in den Ann. X. p. 362. Ueber eine ähnliche Gussmauer im Römerbad Dorow I. p. 57. v. Cohausen in den Ann. XIV. p. 412. Auch Schenck, p. 103, erwähnt einen Stein mit Inschrift in der Mauer, s. u.)

Der Umstand, dass man Architekturstücke und dergleichen zum Aufbau der Mauer benutzte, beweist, dass man zur Zeit der Errichtung sich um die ursprüngliche Bestimmung des Materials nicht eben sehr kümmerte, sondern verwendete, was man fand und brauchen konnte; auch der Umstand ist eigenthümlich, dass die Mauer keinen Raum einschliesst. Man hat desshalb, da anderweitige Aufklärung uns nicht hinterlassen ist, die Vermuthung aufgestellt, sie sei nur der Anfang einer umfassenden, aber nicht vollendeten Befestigung der Stadt Mattiacum und verdanke ihren Ursprung den fortgesetzten Angriffen der Deutschen, die eine stärkere Befestigung nöthig zu machen schienen. Wir finden uns also an das Ende der Römerherrschaft versetzt, eine Zeit, in welcher die Deutschen den Grenzwall vielfach durchbrachen und Plünderungszüge in das römische Gebiet unternahmen. In diesen drohenden Zeiten wurden die bisher sicheren Bewohner der Grenzländer allenthalben aus ihrer Ruhe aufgescheucht, allenthalben begann man die alten Mauern herzustellen, neue anzulegen; hielt es doch Aurelian für geboten, auch die Hauptstadt Rom durch eine neue starke Mauer vor plötzlichen Ueberfällen zu sichern, und zog Probus an der Grenze der agri decumates eine grosse Mauer. (Bernhardt, Geschichte Roms, p. 229.) Damals mochte man auch in Mattiacum hoffen, auf diese Weise sich schützen zu können, wahrscheinlich nachdem man schon eine Zerstörung erfahren hatte man begann eine der Römer würdige Befestigung und zwar zunächst auf der Seite der Stadt, welche am meisten gefährdet war, da der Süden durch die hier zusammenströmenden Bäche und das sumpfige Terrain, der Norden durch das Lager gedeckt war; freilich gab man den nordöstlichen Theil der Stadt, den heutigen Kranzplatz mit seinen Bädern preis, vielleicht weil die ersten Ueberfälle der Deutschen (235. 255) diesen Stadttheil zu sehr zerstört hatten oder weil man sich auf einen kleineren Raum der leichteren Abwehr halber beschränken wollte; desshalb trug man auch kein Bedenken, die Trümmer dieser Zerstörung zum Bau der Mauer zu benutzen, denn es war Eile nothwendig.

Aber ehe man die ganze Anlage vollendet hatte, sah man sich genöthigt, das rechte Rheinufer aufzugeben und keine späteren Versuche der Wiedereroberung haben zum dauernden Besitze und zur Vollendung des begonnenen Werkes geführt, das denn doch auch so den feindlichen Angriff auf die Bäder im späteren Schützenhofe für einige Jahre wenigstens erschwert hatte.

Die Mauer blieb unvollendet und das Volk bewahrte in dem Namen der Heidenmauer die Erinnerung an die gewaltigen Heiden, die solch ein Werk geschaffen hatten, sowie der „Heidenberg“ das Andenken an das Castell weiter pflanzte. Auf die angeführte Weise erklärt sich der sonst räthselhafte Bau und gibt zugleich einen Anhaltspunkt für die Zeitbestimmung. Wir werden wohl nicht irren, wenn wir die Erbauung nach 255 und vor 282 setzen; von den Kaisern, denen man den Befehl dazu am liebsten zutrauen möchte, bieten sich nach den eben erwähnten Thatsachen Aurelian (270 — 275) (Vgl. unten § 14. v. Cohausen in den Ann. XIV setzt die Errichtung etwas früher, unter Postumus; derselbe hatte allerdings einige Befestigungen in dem Lande der Deutschen angelegt, aber sie waren darauf wieder von diesen zerstört und von Lollian wiederhergestellt worden. Treb. Pollio, Lollian 5, 4. Eine Mauer wie unsere wird nicht so schnell zerstört und wiederhergestellt.) und Probus (276—282) vonselbst dar. Vielleicht treffen wir daher das Richtige, wenn wir etwa das Jahr 275 annehmen. Nach dem Jahr 282 ging das rechte Rheinufer bald verloren, und die folgenden Jahre erzählen nur von Einfällen der Römer in ihr früheres Gebiet.

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