Kitabı oku: «Ein selbsterzähltes Leben», sayfa 2

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Das Haus

Nach kurzer Zeit zogen wir aus der Seestraße in das alte Haus mit dem hohen Dach, das ich mein Vaterhaus nenne. Es lag abseits neben der Stadtkirche und war auf dem ehemaligen Grabplatz gebaut. Zur anderen Seite lagen die Gärten und Abseiten, Scheunen und verlorenen Orte des Landratsamts, und es barg Winkel und Verschläge, Böden und Finsterräume, allzu erwünscht für ein Gemüt voll Ahnen und Grausen – Schicksal brütete in diesem Hause, ein dunkles, herrliches und schlimmes Wesen machte sich ans Werk und ordnete nach seiner Einsicht den Zustand der Familie des Dr. Barlach. Hierzu genügten ihm die Jahre von 1878 bis 1884.

Mein Vater war ein ziemlich kleiner, scharfer, feuriger, schwarzlockiger Herr, schnell bereit, in allen Dingen Ernst zu machen, und drauf und dran, mich in eine Kadettenanstalt zu tun, als ich seinen Verdacht erregte, es auf einen Taugenichts anzulegen. Diesem Plan widersprach meine Mutter, die niemals müde wurde, meine tausend Ungebärden mit Geduld zu umhegen, üble Vorzeichen mit Glauben zu segnen und Geschehenes auf dem Friedhofe ihres grenzenlosen Vertrauens zu begraben.

Die Ehe der Eltern war so glücklich wie eine Ehe sein kann – und nicht minder unglücklich. Die behagliche Kindersituation in der Schlafstube, wenn im Wohnzimmer heiteres Gespräch ging oder mit dem Lampenlicht durch Türritzen Bruchstücke aus David Copperfields lustleidigen Kinderzeiten schlichen, wechselten mit bitterlich anderen.

Herr v. Bülow von Kogel, der sich auf seinem Gute langweilte, nistete sich ein und trank in später Nachtstunde dem schlafbedürftigen Doktor den Wein aus, den er sich in Kogel verdient hatte. Und da gab es eine andere hässliche Stimme im Hause, die aus der Kehle und von der Zunge der Nachtglocke. Ihr war es gegeben, das beglückt-unbewusste Schweigen des Dunkels der im Hause ruhenden Nacht zu verscheuchen. Das wachende Kind dachte, sie müsse sich heiser heulen, bis endlich noch jemand erwacht, bis endlich gefragt wird und Antwort kommt: »Na Schlagsdörp, Hä Dokter, na’n Buern Sötbeer b’in Diek anne Schasseh.« – »Je, wat fählt em denn?« – »Hei is bannig leeg, Hä Dokter.« – »Je, ick will äwer weeten, wat em fählt, dat ick wat mitnähmen kann, wo hett he Wehdag?« – »Hei is bannig leeg, Hä Dokter.« – »Na, denn gah man hendal na de Schün und wak den Kutscher op, ick bün glik farig–«

Und dann will der Wagen immer noch nicht kommen, denkt das wach gewordene Kind, bis endlich Pinaks und Lieses verschlafene Hufe durch die Stille trappeln und der Wagen nachschleicht und endlich was im Dunkeln davonrumpelt, als hätte die Nacht Kolik im Leibe und es ginge ihr holtergepolter was ab.

Nein, das Ideal meiner Mutter eines Seins auf einsamer Insel lebenslang in trauter Gemeinschaft mit dem geliebten Mann fand auch in Ratzeburg keine Erfüllung. Gesellschaft tat ein Übriges, um Kinder vor Eltern, Eheleute voreinander fremd zu machen.

Ich erzähle

… aber ich erzählte. Wenn wir abends alle vier unser Gebet getan hatten, wohl zugedeckt und für die Nacht besorgt waren, dann ging es los. Es wurde erzählt, natürlich aus freier Faust heraus und sonder Zensur. Höchstens Niko schnarchte ins Ende hinein, aber sonst hielt die Dunkelheit, wie mir schien, einen ganzen Buschwald von Ohren aufgespannt.

Ich erzählte die Geschichte vom schwein’schen Indianer, kurz und bündig, und leistete absichtslos eine Satire auf die epidemische Indianertümelei, ich häufte die Legenden von Ernst Bärlein auf Goldensee, der mich einmal in den Ferien aufs väterliche Gut geladen hatte in der irrigen Vorstellung von meiner zuverlässigen Gutartigkeit. Manches hatte ihn schon befremdet, aber als ich mir herausnahm, beim Angeln einen stattlichen Brachsen zu fangen, gegen den sein zutage gebrachtes Wassergewürm allzu sehr abfiel, kehrte er mir die Seite seiner Ungnade zu.

Dann erwuchs weiter das Epos »Kuhgesicht« – Kuhgesicht war der Beiname eines unserer Lehrer, den die Schüler für alle Zeit dafür brandmarkten, dass er sich in einer verhängnisvollen Sekunde hatte hinreißen lassen, einen Schüler »du Kuhgesicht!« zu schimpfen – Kuhgesicht in den peinlichsten Lagen zu zeigen, machte den Inhalt meines Epos aus, und wir Armen, ich und meine Brüder, löffelten die vielen Suppen der tröstlichen Rache mit der Feststellung, dass Recht doch Recht geblieben war.

Um diese Zeit kamen wir einmal aus der Schule heim und wurden bedeutet, dass unsere Mutter abwesend sei, auf kurze, vielleicht auf längere Zeit. Wir antworteten nicht, fragten nicht und taten zueinander, als sei da alles auf dem sichern Boden des Notwendigen – und mein Vater, der wissen musste, was er über seine Frau verhängt hatte, schwieg seinerseits in der gleichen Scheu vor Gefühlsäußerungen, die er bei uns dankbar respektierte, nur, dass er mich von Zeit zu Zeit aufforderte, einen Weihnachts- oder Geburtstagsbrief zu schreiben.

Habe ich von Kuhgesicht gesprochen, so kann Tiek nicht übergangen werden, Tiek mit dem Menschenaffenbart, dieser Schulmeister von altem Schrot und Korn, der zur Andacht früh auf der Orgel aufs Schönste präludierte, aber zur Einleitung des Unterrichts zuweilen ohne erkennbares Übelwollen zum Pult ging, den Stock hervorholte und die ganze Klasse verprügelte – gemütlich, selbstverständlich, »doch man so«, weil Prügeln gut tut, sowohl dem, der gibt, wie dem, der nimmt. Demnächst blies der Wind seiner Laune einen andern Strich, dann gab es Halloh, und wir unterbrachen Rechnen, Singen und Zeichnen, um dem andern Tiek, einem leibhaftigen Narren, seine eigenen Faxen widerzuspielen. Wir kollerten auf die Bänke nieder, wenn wir nach dem rechten auch das linke Bein in die Luft strecken wollten, wie Tiek vorschlug – aber nach manchen bösen Montagsstunden standen wir Sextaner auf dem Korridor zuhauf in der Pause und wiesen einander mit ernsten Mienen die Folgen des genossenen Unterrichts. Dem einen waren die Frostfinger wundgeklopft, und es geschah Paul Siebenmark, dass ihm gerade an dem Morgen nach der Sterbenacht seines Vaters unseres Tieks Würgerseele ganz besonders kund und offenbar wurde.

Bock, Herr von Neuvorwerk, wusste nicht, wie er dem Übel, unter dem auch seine Söhne seufzten, abhelfen sollte – ein Kalb als Opfer war ihm zu teuer, eine Gans zu gering, und so unterblieben selbst solche zahmen Versuche, dem Sadisten das Handwerk zu legen.

Unser Direktor meinte es gewiss gut, aber er hatte seine besonderen Begriffe von Hinanführung der Jugend, wenigstens erinnere ich mich einer seltsamen Regung, als er zur Andacht den Bibelabschnitt der Geschichte von Lot und seinen Töchtern vorlas, die aufgereihten Lehrer blickten betreten, was ich genau beobachtete, denn ich stand als Sextaner vornean.

Konrektor Hornbostel, ob seiner Dürre Snieder genannt, stand unter ihnen allen aufgereckt wie ein Gevattersmann der alten Zeit im langschößigen Rock mit Vatermördern da, ein hochgezüchteter Rest ironisch überlegener Geistigkeit, ein Gelehrter von Stil und ein rettungsloses Original. Alle wir dummen Jungen tanzten ihm auf der Nase, aber er kam und ging mit nobler Getragenheit, als wärme er in den Taschen seiner Rockschöße die schonungsbedürftigen Überbleibsel einer besseren Zeit.

Kuhgesichts markanten Bartwuchs aber schmierte ich hundertmal an die Wände des Gymnasiums, und auch sonst begann in mir etwas spürbar zu werden, was nach Form verlangte, und ich schwamm zeitweise in der rettenden Sehnsucht nach irgendetwas, das durch mich geschehen sollte.

Ich muss erfahren

Mein Vater gab sich und seinen Söhnen für die abwesende Doktorsfrau die Doktorstochter Hermine Bark aus Rhena als Ersatz, ein Wesen wie zum Mahnbild erlesen, unvergleichlich befähigt, alles Vergessen der Fehlenden durch den Mangel aller Gnade bei Gott und den Menschen zu verhüten. »Herminsch«, wie wir sagten, war eine aus Saft und Jugend heraus zäh geräucherte Jungfrau. Es kam sogar zum Handgemenge zwischen ihr und uns Jungen – der eine sprang zu, als er den andern sich widersetzen sah, und der dritte und vierte griffen ein. Nach hergestelltem Gewaltfrieden saßen wir vier in der Pfeifenkrautlaube des Gartens und pflegten in traurig-süßer Eintracht unsere Wunden. Herminsch machte aber doch einige unzulängliche Versuche, von ihrem Ufer an das unsere überzusetzen, unnötig; denn wir verwarfen sie mitsamt ihren Versuchen, wir hassten Herminsch von da, wo sie kam, bis da, wo sie ging. Krankheiten des Vaters brachten weitere Änderungen des häuslichen Zustandes, ein junger Arzt versorgte die Praxis, und auch er, wenn auch nicht handgreiflich, lernte die Herminsche Fuchtel kennen.

An einem Abend während dieser unerwünscht geordneten Zeit mag es gewesen sein, als ich bei voller Stille des leeren Hauses und verlassenen Gartens in der Veranda von einem Buch aufsah. Der gelinde Dämmer des Sommerabends lag überall, und vom Benningsen’schen Garten winkten die Wipfel hoher Tannen über die Scheunendächer. Hier widerfuhr mir abermals eine Erschütterung, die im Augenblick durch mich ging und ganz sinn- und gegenstandslos war – und vielleicht doch das heftigste Erleben, das mir beschieden gewesen ist. Ein anderes Mal stand ich an der Nordecke der Insel am großen See hinter dem Gymnasium bei einem ganz artig heranfahrenden Winde und erlebte im Augenblick des Zerfließens einer Welle ein ähnlich übermächtiges Gefasstwerden – dabei muss mir eine auffällige und ziemlich lächerliche Gebärde entfahren sein, denn ich hörte, wie jemand verweisenden Tons orgelte: »Barlach, Barlach!« – und sah aufblickend in meines Lehrers Bertheau vor Unbehagen steif gewordenes Gesicht, der eben seine junge Frau des Weges spazieren führte. Sein Fleisch wucherte mit einem entsprechenden Wuchs der inneren Menschlichkeit um die Wette, sein von Korps und Couleur gezüchtetes Weltgefühl war im Augenblick von meiner offenbaren Hingegebenheit an irgendwas peinlich Unangemessenes tief gekränkt, er schämte sich meiner, sein Gesicht war blau und wie versteinert.

In einer Nacht sah ich erwachend einen Kopf in der Höhe des meinigen mit einem Paar gutmütiger, fast trauriger Augen. In dieser Nacht regulierte ich bei wütendem Herzschlagen, jeder Sekunde Mühseligkeit erliegend, meine Atemzüge, bis ich es nicht mehr ertrug, mich schlafend zu stellen, und die Augen wieder aufschlug. Es war inzwischen heller geworden, und jemand stand am Fenster, hatte den Vorhang beiseitegeschoben, so dass ein matter Schein auf sein Gesicht fiel, das er dennoch zu mir zurückgewendet hielt, als sei er vom Vorsatz hinauszusteigen durch das leise Regen meiner Glieder abgelenkt.

Wer möchte etwas von den beiden Göllners wissen, meinen Feinden von der Stadtschule? Fast alle Stadtschüler waren Feinde der Gymnasiasten und umgekehrt, nicht etwa aus Grund und Anlass, sondern schlechthin bloß tatsächlich. Trafen wir uns, ich und die Göllners vor allem, so schlug man sich oder riss aus, wie es gerade kam. Der ältere Göllner hätte mich, wäre es nach ihm gegangen, nicht nur von den Straßen, sondern aus Haus und Leben verscheucht, und ein anderer kreuzbraver Bengel, aber ein unbedingter Hasser, fiel uns viere eines Sonntagsnachmittags mit solch ehrlicher Wütigkeit an, dass wir zum Haufen verknäult eigenartig den Markt belebten und durch Ogger Iben, den Tante Minna vom Balkon zu Hilfe gerufen, erledigt werden mussten.

Ogger Iben war ein Überläufer und hielt es mit den »Feinen«. – Unsere Niederlagen posaunten wir nicht gerade aus, aber als mein Vater mich eines Tages, mit mir über Land fahrend, rücksichtsvoll lächelnd auf einen Fall ansprach, der unser Renommee völlig ruiniert hatte, ließ ich seinen Spott gelten. Es hatte der ganzen Mannschaft der unteren Gymnasialklassen simpel an Courage gefehlt, und sie hatte sich im Schirachschen Garten salviert. Die feindlichen andern schlugen drein, als gelte es nicht den kindischen Ernst eines Kräftespiels, sondern Sieg oder Tod.

Ich glitt durch die Tage und weidete durch die Jahre hin, die Augenblicke sogen sich voll Zeitlosigkeit und häuften sich zu Schichten und Gruppen, die unzusammenhängend mit dem Organismus des Schul- und Hauskinderdaseins das Leben im Rhythmus voranführten. Ich lebte mit Lederstrumpf und Sigismund Rüstig kameradschaftlich, einhellig und von ihrem Wesen sattgesäuert und zufriedengeläutert, mit Gestalten eines seltsamen Bandes, platzend voll eines Geschehens, das mich, ungläubig und überzeugt zugleich, oft bedenklich zurichtete, dagegen als widerwilliger Knecht, barsch geheißen, aus meiner Verstörtheit aufzumerken auf ein hochfahrendes Kreisen von gewalttätigen Herrlichkeiten. Der Name auf dem Titelblatt missfiel mir, ich ließ ihn außer Acht, bis ich später feststellte, dass es ein einbändig vollständiger Shakespeare, übersetzt von Fischer, Böttger, Ortlepp, Oetkers und andern, war. Schmöker jeder Art waren willkommen, ich lief ihnen nach, kannte und achtete nicht Namen, Rang noch Stand – alles war gut, wenn es nur den Zauber besaß, mich meiner selbst ledig und von mir vergessen zu machen. Doch das Leben nahm mich bisweilen am Genick und stieß mich mit der Nase in seine Wirklichkeiten, ich bekam die Elementarbücher des Geschehens um die Ohren geschlagen, dass mir der Kopf brummte.

Den Marterweg eines Menschen, der sich unter Krämpfen durch die Stadt schleppte, begleitete ich, unfreiwillig und fast unwissentlich, von Station zu Station, vergessend, wo, wer, was ich sonst war, wenn nicht der Mann der Schmerzen selbst, vielleicht schwerer leidend, im Gefühl unbarmherziger geschüttelt als er – – – mit unserm Kutscher »Hoschen«, wie wir ihn nannten, saß ich einst neben den Pferden auf der Diele eines Bauernhauses, in dessen innerm Raum sich das Letzte eines an Diphtherie sterbenden Kindes begab. Mein Vater und der des Kindes unternahmen drinnen irgendwelche verzweifelten Handlungen zur Rettung oder Erleichterung, wovon die Tochter des Hauses der Mutter von Zeit zu Zeit wie mit gewürgter Kehle die grausigen Einzelheiten zutrug. Diese beiden Frauen standen vor unsern Augen leibhaftig im Tiefsten der Hölle. Als alles vorüber war, begleitete der Bauer meinen Vater an den Wagen, drückte seine Hand und sah immer noch wie ein Mensch aus. Wir fuhren heim und beobachteten ein schweres Schweigen gegeneinander. Als an einem der nächsten Tage die Mutter des Kindes aus dem Sprechzimmer trat, vor dem ich gelauscht hatte, weil mein Vater seltsam eindringlich und, was mich betroffen machte, wie selbst erschüttert zu ihr gesprochen, sah sie über mich hin mit Augen, denen das Sehen anderer Dinge als des einen einzigen von damals verloren gegangen schien.

Einem Knecht auf Kogel war von der Maschine der halbe Arm abgeschnitten, nun lag er ohne Besinnung bei uns auf der Diele, wo man ihn abgeladen hatte. Ein blutfeuchtes Tuch war um den Stumpf gewickelt. Das zarte Kind Else Keferstein war bei meiner Mutter zu Besuch und fand durch den Halbverbluteten den Heimweg versperrt, sie war immerhin etwas älter als ich und wusste schon, dass der da eben ein anderer war als sie in ihrer backfischigen Wohlgeborenheit – ich hatte dagestanden und es nicht gewusst. Also der Zustand des Mannes setzte ihrer Fassung sehr zu, und sie musste umkehren und sich an einem Gläschen Portwein erholen. Ich hörte aber die genaue Schilderung der Herfahrt mit an, die der Kogeler Kutscher Hoschen machte – nach solchen und ähnlichen Einblicken blieb ich viele Tage unbrauchbar für das gemeine Leben.

Nun muss ich auch die sonderbare Erfahrung erwähnen, die ich mit einem meinen Händen anvertrauten Kaspertheater machte. Es war ein Weihnachtsgeschenk, die Veranstaltung meiner Mutter, die hauptsächlichste, fast einzige Gabe dieses Abends, und ich hatte sie ohne zugreifende Lust empfangen. Dieser Abend machte mit der Vorstellung der unerschöpflich sprudelnden weihnachtlichen Lustquelle ein Ende, Trauer kam über mich Armen, der sich im Voraus so unendlich gefreut hatte und doch nur mit halber Lust beglückt war. Das dumme Theater! Aber wenn ich dann doch einmal die Puppen zur Hand nahm, halb neugierig, was wohl damit zu vollbringen sei, vielleicht durch die Erwartung der Brüder oder Freunde gereizt, so fuhr etwas von ihnen in mich, so dass das Ding einen selbsttätigen Verlauf einschlug, dass die hölzernen Köpfe von Kasper, Tod und Teufel durch meinen Mund ihre Sprache rappelten und dass da überhaupt Vorfälle sich schoben und miteinander tanzten, deren Anstifter zu sein ich mir nicht bewusst war. Es brauchte keine Mühe, höchstens einen gewaltsam hergestoßenen Anfang, und das Stück bekam Fortgang und Ende.

Mühe hatte ich aber beim Zeichnen – etwas zu erfinden, ja, das war wohl nicht so schwer, aber solche schönen Blätter wie die der Prachtausgabe zu Hauffs Märchen etwa zu kopieren schien mir schon darum verdienstlicher, weil es weit mehr Arbeit kostete. Eines von diesen mit Blei tief ins Papier gegrabenen Stücken bekam mein Vater zu Weihnachten. Er fühlte sich wohl durch meinen guten Willen erfreut und stellte den Karton in seinem Sprechzimmer auf; als dann einmal ein Bauer staunend davor Halt machte und zu hören bekam: »Dat hett min Jung makt«, meinte er ehrlich: »Dat mütt jo een kloken Jung sien.«

Ich legte indes meinen Kanon des Schönen fest oder machte doch Anstalten dazu – muss ein Profil nun so oder so verlaufen, um das zu sein, was als Ausdruck der baren Herrlichkeit gelten konnte – ich zeichnete mit Qual, weil ich die Beschaffenheit dessen nicht erkannte, was ich zustande brachte, und sah mein eigenes Gesicht im Spiegel oder sonst jemandes mit schmerzlicher Neugierde, wie, was ich sah, eigentlich war und was es mit dem Eigentlichen an diesem – genau besehen Unbekannten – denn wohl schließlich auf sich hätte.

An einem Nachmittage, als wir aus der Schule kamen, standen die Eltern uns erwartend zusammen da. Meine Mutter war heimgeholt und erkannte an unserer stummen Verlegenheit und befangenem Grüßen ihre Söhne. Das Haus hatte seine Ordnung wieder, die Ehe blieb ungetrübt, das Dasein ließ sich harmonisch an, das alte Haus wurde mit einigem Aufwand renoviert, und doch, als meine Mutter eines Tages durch die offene Haustür und alle friedlich daliegenden Räume hindurch uns vier gemächlich auf dem Rasen des Gartens balgen sah, zog die Ahnung von dem Unbestand dieses behäbig gelagerten Seins durch ihr Herz.

Vor Pfingsten 1884 reisten die Eltern miteinander zum Besuch der Altonaer Verwandten, mein Vater kehrte zurück und ließ seine Frau einige Tage allein, um in der neuhergestellten Gewogenheit der Sippe warm zu werden. Ich lag im Bett, als ich ihn bald darauf von einer Fahrt spät heimkehrend zu dem Mädchen sagen hörte: »Der Kutscher ist krank, und ich bin auch nicht wohl, Sie dürfen niemand hereinlassen.«

Es kam aber doch zu einer Bestellung aufs Land, der Arzt ließ sich nicht vergebens rufen und kehrte nach einem weiten Fußmarsch bei Nacht krank zurück. Die Herren Kollegen sahen in dem Ganzen den Anlass zu einem launigen Konzil am Krankenbett, kamen und gingen, berieten ein bisschen und lachten aus vollem Halse über so ein Ding von Lungenentzündung, qualmten das Zimmer voll Rauch und blieben alle miteinander aus, als die Krankheit auf diese Art Behandlung nicht einging. Meine Mutter wurde gerufen, Onkel Karl, Arzt in Neumünster, eilte herbei und sagte eines Morgens früh, während er sich mit Vehemenz die Zähne putzte, zu mir: »Du, mit deinem Vater steht es faul« –, reiste aber ab, weil er schwere Fälle in eigener Praxis wahrnehmen musste.

Der Arzt war ohne Arzt.

Am Dienstag nach Pfingsten wurde ich gerufen und musste sehen, wie ein Zoll zu früh eingefordert wurde, ein Zoll, den ein Mann nicht anerkannte und der grausam eingetrieben ward.

Am Nachmittag dieses sonnigen Junitages gingen wir alle in die Pfeifenkrautlaube und hörten die Stunde drei vom Kirchturm schlagen. Sonst war alles totenstill, und die meinem Vater beschiedenen fünfundvierzig Jahre waren um.

Ich fühle mich sehr

Meine Mutter zog im Herbst 1884 mit uns nach Schönberg zurück, ich war 14 Jahre. Sie ging täglich und stündlich gefasst und tapfer den Witwenweg der sorgenvollen Alltäglichkeit – ich, als Schüler nichts Ganzes, weder gut noch schlecht, spitzte die Ohren und horchte seitwärts und aufwärts nach all den neuen Tönen, die meinen Flegeljahren gepfiffen wurden. Da fand ich als erstes und Hauptstück die wuchernde, sozusagen aus dem Rinnstein und dem holperigen Pflaster des Nestes sprießende blaue Blume einer waschechten Romantik ohne Hemmung, Hut und Üblichkeit, in die ich, noch mit kurzen Hosen angetan, hineintaumelte.

Dazumal litt ich obendrein hart an dem Begehr nach Bewunderung und Geltung und ergab mich weidlich dem Kultus des falschen und erschwindelten Bestauntwerdens – so malte ich mir aus dem Tuschkasten eine rotklaffende Wunde auf die Stirn, ging auch gehoben von der eingebildeten Würde als Sozius eines wüsten Abenteuers damit auf die allerdings nicht mehr taghelle Straße, weiß aber nicht, ob irgendjemand von dieser Mordgeschichte Notiz genommen hat.

Zugleich rüttelte ich die Schwingen und warf mich in den Äther, wo er sich am grenzenlosesten breitet. Mein Raptus einer ungeschorenen Reim- und Versschreiberei regte sich bald in wutartigem Schuss, bald gefiel er sich in einem vertrackten Zuschnitt von Putzigkeit.

Ich hatte vom Vater einen Westentaschen-Seume, enthaltend den Spaziergang nach Syrakus, geerbt, und dieses Dingchen von Buch, dessen Besitz mich seltsam befriedigte, als ob ein Leitfaden zum Leben als Wanderer, Schriftsteller und Sonderling ganz eigen für mich zugerichtet sei, ließ mir keine Ruhe, bis ich ihm ein Gegenstück leiblich gleicher Beschaffenheit erstellt hatte, aus der eigenen Feder mit mikroskopisch kleinen Schriftzeichen – schrieb und schrieb ohne Rücksicht auf die Augen und erlaubte obendrein meinen drei Brüdern, sich mit Zuhören abzuquälen, wie das trächtige Bäuchlein von Buch immer voller wurde.

Dann wurde mir eine Tür geöffnet, und ein sanfter Schub ermunterte mich einzutreten in ein Werkstübchen, von dem ich nicht wissen konnte, dass es sich zur Lebenswerkstatt auswachsen würde. Ich erhielt von der Frau Schuldirektor durch Vermittlung meiner Mutter die Aufforderung, für ein so oder so geartetes Brettspiel ein Dutzend Vögelchen zu kneten, ein Klümpchen Ton in die Hand zu nehmen und – nun als Anfang – einen Kiebitz zu formieren. Es wurde einer, und das andere Geflügel folgte, bis das Dutzend voll war.

Halt, dachte ich, die Art Hantierung tut gut, – – die blaue Blume wucherte lustig weiter drauflos, irgendwo bei einem Schulausflug goss ich mir ahnungslos eine Feldflasche voll Branntwein auf Anraten eines Mitschülers in den Hals und kam mit dem Leben davon, ich weidete weiter durch Wald, Wiesen und Felder mein Dasein im Ausgleich von Tun und Lassen, Versorger meines Hanges zum ziellosen Schweifen, meine mir genehmste Art, auf der Welt mit der Welt zu sein, ich hockte in den Klassen, rutschte von den Bänken der unteren auf die der oberen – Edmund Steffan, dessen Mund noch immer nicht weiträumig genug war, um alle heiseren Wortklumpen halbwegs geordnet oder gegliedert auszuscheiden, fing an, für mich in ein Nichtsein zu gleiten, die alte Hörigkeit war längst verdorrt, ich trug meines Vaters solide Schoßröcke auf – und war bei allem einer geheimen Sicherheit wo nicht stolz, so doch froh, wo nicht froh, so doch zufrieden, wie wenn sich ein schwaches Bewusstsein regte, als ob ich in meiner Tasche einen Heckpfennig trüge, ein so zauberhaftes Stück Eigentum, dass mit dem Wechsel der Taschen gleichwohl keine Änderung seiner Zugehörigkeit, kein Wechsel im Bewusstsein unserer tröstlichen Gemeinschaft miteinander stattgefunden hätte.

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