Kitabı oku: «Achtung Lebensgefahr!»
Ernst Künzl
Achtung
Lebensgefahr!
Die Legende
von der inneren Sicherheit
im antiken Rom
Meiner Schwester Annemarie
zum 13. März 2016
128 Seiten mit 44 Abbildungen
Titelbild: Hintergrund: Pompeji, Straße am Herculaner Tor © Ernst Künzl
Schwert: Roman Gladius, Type Pompeji © Wikimedia Commons
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2016 by Nünnerich-Asmus Verlag & Media GmbH, Mainz am Rhein
ISBN 978-3-945751-87-9
Lektorat: Anne Hessinger, Svea Gerull
Gestaltung: Lohse Design, Heppenheim
Gestaltung Titelbild: Lohse Design, Heppenheim
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten.
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017
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INHALTSVERZEICHNIS
COVER
TITEL
WIDMUNG
IMPRESSUM
ZITAT
VORWORT
Die Räuber im Spessart
KAPITEL 1
Wer durfte im antiken Römerreich Waffen tragen?
Das historische Stichwort: Securitas – Sicherheit
Funde in den Vesuvstädten: Ein bewaffneter Portier
Das Heer eines Ständestaates und die Waffen im Umlauf
KAPITEL 2
Das historische Trauma: Sklavenaufstände und Gladiatorenrevolten
Die Keltenangst: Metus Gallicus
Die Sklavenkriege der Republik
Spartacus und Sacrovir
KAPITEL 3
Waffen im zivilen Italien
Herculaneum und Pompeji
Truppen in Italien
Waffenfunde der Archäologen
KAPITEL 4
Rom – eine vom Militär kontrollierte Hauptstadt
Ordnungskräfte in Rom
Prätorianer – Stadtkohorten – Feuerwehr
Leibwache und Spezialtruppen
Die Legion auf den Albanerbergen
Die militärische Topographie Roms
KAPITEL 5
Die römischen Verkehrswege – unsicher zu jeder Stunde
Die Legende von der Sicherheit der Römerstraßen
Der Cursus publicus
Die ewigen Räuber – Militärkontrollen – Entführungen
Unberechenbare Hirten
Piraten – Waffen auf Schiffen
KAPITEL 6
Gefürchtete Waffenansammlungen: Die Vereine in der römischen Gesellschaft
Die Waffengesetze des Augustus
Die blutigen Krawalle in Pompeji 59 n. Chr
Bataillone der Anarchie (Mommsen): Die Rolle der Collegia
Kaiser Traian und ein Feuerwehrproblem in Kleinasien
Private Sicherheitsdienste
KAPITEL 7
Kaisermord
Die Iden des März
Tod auf dem Palatin
Hundert Jahre Ruhe: Von den Flaviern zu Marcus Aurelius
Die letzten drei chaotischen Jahrhunderte Roms (180–476 n. Chr.)
KAPITEL 8
Zusammenfassung
ANHÄNGE
Dank
Literaturauswahl
Bildnachweis
Autorenkurzlexikon
Index
„Piraten suchten schon dauernd die Seefahrer heim, ebenso wie es auch die Räuber mit den Landbewohnern zu tun pflegen. Es gab ja keine Zeit, in der solche Verbrechen unbekannt waren, und es dürfte damit wohl auch kein Ende nehmen, solange die menschliche Natur die gleiche bleibt.“
Der römische Historiker Cassius Dio 26,20,1, zur Situation vor dem Piratenkrieg des Pompeius 67 v. Chr.; geschrieben fast drei Jahrhunderte später und gültig bis zum heutigen Tag
Abb. 1
Räuber überfallen eine Reisekutsche in Italien. Gemälde von Johann Heinrich Bürkel, 1854. Öl auf Leinwand. Unten links signiert: HBürkel.
VORWORT
Die Räuber im Spessart
„Man hatte ihm vom Spessart so mancherlei erzählt. Eine große Räuberbande sollte dort ihr Wesen treiben, viele Reisende waren dort in den letzten Wochen geplündert worden, ja man sprach sogar von einigen greulichen Mordgeschichten …“
Wilhelm Hauff, Das Wirtshaus im Spessart, 1826
Um die Sicherheit des öffentlichen Raumes sah es zu fast allen Zeiten bedenklich aus. Die europäischen Reisenden vor der Industrialisierung im Laufe des 19. Jahrhunderts lebten permanent gefährlich. Die Kriminalität armer Unterschichten in der Neuzeit wie vorher im Mittelalter war erheblich, und unabhängig von allen Fragen der Sozialstruktur spielten die unsicheren Verkehrswege eine entscheidende Rolle. In Deutschland kannte man zwar noch die Trassen der Römerstraßen und auch das lediglich im Westen und Süden, aber ansonsten konnte man sich nur auf der Rollbahn bewegen, dem durch Wagen und Füße niedergetrampelten, unbefestigten Weg. Diese erbärmlichen Straßen waren Nährboden und Lebensraum des Fahrenden Volkes im Mittelalter und der frühen Neuzeit.
Entsprechend unsicher waren im neuzeitlichen Europa Straßen und Wege. Wer reiste – zu Fuß, mit der Postkutsche oder dem Boot, die Wohlhabenden auch mit dem eigenen Pferd – musste dauernd mit Überfällen rechnen (Abb. 1). Eine Polizei im modernen Sinn, die dem gesamten Volk Sicherheit garantieren konnte, gab es nicht – und es gibt sie ja auch heute nur als Ideal, dem freilich manche Staaten nahe kommen. In den Generationen nach dem Dreißigjährigen Krieg bemühten sich die europäischen Staaten des Absolutismus um eine gewisse Kontrolle des Verbrecherwesens, doch dauerte es bis in das 19. Jahrhundert, dass sich ein sichtbarer Umschwung in der Haltung der Regierenden zur öffentlichen Sicherheit anbahnte. Im Jahr 1829 gründete in London Sir Robert Peel die erste uniformierte Polizeitruppe der Neuzeit, die Londoner Metropolitan Police. Diese Idee setzte sich im Laufe der Zeit durch. Die Mechanisierung des Verkehrs, erst durch die Eisenbahn im 19. Jahrhundert, dann durch das Automobil, führten dazu, dass seit über 150 Jahren die Reisenden und überhaupt die Menschen in der Öffentlichkeit nicht mehr so verwundbar wie in den Jahrhunderten zuvor waren.
Die verbesserte Staatskontrolle des öffentlichen Raumes ist auch der Hintergrund für die im modernen Europa allgemein übliche juristische Situation, den privaten Besitz schlagkräftiger Waffen einzudämmen und möglichst zu kontrollieren. Sind auf diesem Gebiet auch längst keine idealen Verhältnisse erreicht, so gilt doch für Europa im Friedenszustand der Grundsatz: Bewaffnete auf den Straßen gehören zum Militär und zur Polizei; Waffenträger außerhalb dieser Gruppen haben eine Lizenz (z. B. als Gebäudeschützer oder Leibwächter) – oder sind Kriminelle. Es ist jedenfalls üblicherweise nicht zu erwarten, dass viele bewaffnete Zivilisten die Straßen bevölkern. In früheren Zeiten war das durchaus anders, auch im Altertum.
Eine weitgehende Sicherheit des öffentlichen Raumes in den Städten Europas wird nur durch das Phänomen beschränkter Gefahrenräume beeinträchtigt: In manche Viertel oder Straßen geht man nachts besser nicht oder nur vorsichtig. Das ist freilich kein neues Phänomen und gilt vor allem nur für einen kleinen Teil des menschlichen Lebensraumes. In all den Jahrhunderten zuvor – und das gilt auch für das Mittelalter und das Altertum – war man prinzipiell in Gefahr, wenn man nur das eigene Haus verließ.
Innere Sicherheit ist auch eine Frage der Wahrnehmung. Die moderne Demoskopie liefert dafür Momentaufnahmen. Zwischen 2006 und 2016 erhöhte sich beispielsweise in Deutschland die Furcht vor einem Verbrechen von 33 % auf 51 %; zu gleichen Zeit gaben 30 % der befragten Männer und sogar 56 % der Frauen an, es gäbe Gebiete, in die sie sich nachts nicht allein zu gehen trauten. Das gestiegene Gefühl der Unsicherheit im öffentlichen Raum ließ sich für Deutschland im Jahr 2016 nicht durch Zahlen von Gewaltverbrechen wie Mord und Körperverletzung belegen; entscheidend waren die zunehmenden Eigentumsdelikte (Einbrüche, Diebstähle) und das vermehrte Unsicherheitsgefühl in Folge der massiven Zuwanderungen aus dem Vorderen Orient und aus Afrika.
Als Höhepunkt der Räuberbanden in Deutschland gilt das halbe Jahrhundert zwischen 1770 und 1815, welches zugleich die hohe Zeit der deutschen Literatur und Musik war. Mozart und Beethoven, Goethe und Schiller, sie alle erlebten eine Blütezeit der deutschen Räuberbanden, verursacht durch den politischen Niedergang des Ancien Régime, die Revolution in Frankreich, das Ende des Heiligen Römischen Reiches, die Niederlagen Österreichs und Preußens gegen Napoleon und die Freiheitskriege. Friedrich Schiller hat das Räuberthema selbst direkt aufgegriffen.
Ein Grundmotiv für das Entstehen von Räuberbanden war die simple Not, und diese konnte ganz verschiedene Gründe haben. Die soziale Bedrängnis mag mit dem Ende des Ancien Régime und in Folge der Französischen Revolution etwas nachgelassen haben, weiter zurück ging sie aber erst im Laufe des 19. und des 20. Jhs. Ein anderer Grund sind die Hungersnöte, beispielsweise jene von 1816/1817, die auf den verheerenden Vulkanausbruch des Tambora in Indonesien im April 1815 folgten.
Die Geschichte der inneren Sicherheit eines Staates ist nicht in jedem Falle mit einer Geschichte der Kriminalität identisch, doch berühren sich die Felder weitgehend. Vor allem die Sozialstruktur ist dabei zu beachten. Im merowingischen Frankenreich des beginnenden Mittelalters waren das Königshaus und die Oberschicht notorisch brutal und dadurch waren sie für Notleidende kein nacheifernswertes Vorbild für ein sozial verträgliches Verhalten.
„Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt“
Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1922
Der Anspruch, dass der Staat dazu verpflichtet sei, für alle Menschen einen sicheren Raum außerhalb ihrer Privatsphäre zu schaffen, ist eine rezente Erscheinung unserer Gegenwart seit der Mitte des 19. Jhs. Dass dieses Ziel allerdings jederzeit durch Naturkatastrophen, Tumulte, politische Umstürze, unkontrollierte Massenzuwanderungen und soziale Abstiege ganzer Gemeinden ad absurdum geführt werden kann, bedarf keiner Beispiele. In allen historischen Epochen vorher stand – bei allen Unterschieden im Detail – die Selbsthilfe der Privatperson im Vordergrund. Die Regierenden, welcher Art auch immer, hatten den Schutz vor dem äußeren Feind im Auge, nicht den vor dem Verbrecher nebenan. Das galt auch für die Staaten des Altertums, und dem unter ihnen mächtigsten, dem Reich der Römer.
KAPITEL 1
Wer durfte im antiken Römerreich Waffen tragen?
Das historische Stichwort: Securitas – Sicherheit
Die öffentliche Sicherheit hatte im kaiserzeitlichen Rom eine eigene Personifikation: Securitas. Damit war nicht die körperliche Sicherheit im öffentlichen Raum gemeint, sondern die gesellschaftliche Sicherheit und Stabilität eines gefestigten Staatswesens mit gesellschaftlichem Konsens. Als symbolische Frauenfigur ist Securitas auf Münzen seit Nero (54 – 68 n. Chr.) bekannt (Abb. 2) und sie ist noch in der Spätantike des 4. Jhs. in dieser Form zu finden. Dass Angst als Ausdruck der Bedrohungen in Politik und Gesellschaft und als Gegenpol zur Securitas keine Rolle mehr spielte, ist selbst für den Blickwinkel der aristokratischen Oberschicht nicht anzunehmen. Die Sorge vor einem äußeren Feind verkörperte die seit dem 4. Jh. v. Chr., seit der Niederlage an der Allia, sprichwörtliche Angst vor den Galliern, die Keltenangst (Metus Gallicus). In den Punischen Kriegen kam die Angst vor Karthago (Metus Punicus) als zweiter großer Komplex hinzu, der aber weniger dauerhaft als der Metus Gallicus war. Dieser erhielt durch die Cimbern und Teutonen und die Übertragung auf die Germanen eine bis in die Kaiserzeit dauernde Nahrung.
In den Bürgerkriegen wurde seit den Gracchenkonflikten des späten 2. Jhs. v. Chr. und besonders seit den blutigen Gewalttätigkeiten unter Sulla (88 v. Chr.) die Furcht vor dem innenpolitischen Gegner ein bestimmendes Element der römischen Politik. Caesar, wie auch sein politischer Erbe Octavian, hatten bei ihren militärischen Aktionen in der Hauptstadt mit dieser Sorge zu rechnen. In späteren Quellen (Appian, Cassius Dio) wurde ihnen dann zugeschrieben, dass es ihnen gelungen sei, diese Angst der Menschen zu beseitigen. Wenn bei den antiken Historikern die Furcht als Teil des Lebens beschrieben wurde, dann handelte es sich nicht um die Angst vor Überfällen auf den Straßen, sondern um die Furcht als Teil des politischen Lebens und der bedrohlichen Situationen im Zusammenspiel der römischen Oberschicht mit dem Herrschaftssystem des Kaisertums.
Abb. 2
Securitas – Sicherheit. Münzprägung des Jahres 65 n. Chr. mit der Propagierung der Securitas Augusti, der Sicherheit des Kaisers Nero. Securitas sitzt im Habitus einer Göttin auf einem Thron. Zu ihren Füßen ein Altar mit brennender Flamme und daran gelehnt eine brennende Fackel. Berlin, Münzkabinett.
Mit dem Begriff der Sicherheit war also keineswegs der öffentliche Raum im Sinne einer Polizeikontrolle der Verkehrswege gemeint. Securitas war die Sicherheit des nach den Bürgerkriegen von Augustus neu gefestigten Staatswesens. Der in der Zeit des Tiberius schreibende Historiker Velleius Paterculus zählt unter den Wohltaten des Augustus für den Staat ausdrücklich auf, dass er den Menschen die Sicherheit (securitas hominibus) wiedergegeben habe. War dies eine allgemeine Würdigung, so stellte die erste Münzedition der Securitas Augusti einen anderen Aspekt in den Mittelpunkt. Gefeiert wird die Sicherheit der Position und der Person des Kaisers als ersten Mannes im Staate (Princeps), und zwar mit einem stillschweigenden Bezug auf das Scheitern der Pisonischen Verschwörung vom Jahre 65 n. Chr. Diese Münze, vom Senat herausgegeben (Abb. 2), implizierte eine für die Zukunft dauerhafte Übereinstimmung der Interessen des Kaisers und jener der Senatsaristokratie. Dieses Ziel wurde zwar von den Gewaltherrschaften Neros und Domitians verfehlt, kehrte aber in den Münzprägungen der jeweiligen Nachfolger Galba und Nerva wieder. Mit einer Securitas Augusti war nach Neros Tod die Securitas populi Romani (Sicherheit des Römischen Volkes) verbunden, was einen Ausgleich des Kaisers mit der Senatsnobilität umfasste.
Nach dem Tode Domitians (96 n. Chr.) erlebte das Reich in der Tat ein knappes Jahrhundert an Rechtssicherheit, bis zur erneuten Willkürherrschaft des Commodus (80 – 192 n. Chr.). Neben der Sicherheit wurden in der Agricolabiographie des Tacitus und in einem Brief des Jüngeren Plinius an Kaiser Traian die glücklichen Zeiten beschworen (Felicitas temporum), was unter anderem die Testamentsfreiheit umfasste. Diesen für uns exotischen Punkt versteht man nur, wenn man bedenkt, dass unter Domitian jeder unter der Drohung eines Majestätsprozesses leben musste, wenn er den Kaiser nicht in seinem Testament bedachte. Dies bedeutete in der Praxis, dass vor allem die senatorische Nobilität und reiche Bürger anderer Schichten unter einer permanenten Todesdrohung leben mussten. Nun garantierte der Kaiser Sicherheit nach außen durch die Bewahrung der Reichsgrenzen, eine von Traian noch offensiv, seit Hadrian immer mehr defensiv geführte Grenzpolitik; zudem galt der Kaiser als die integrierende Person, die aus einer gesicherten eigenen Stellung heraus (Securitas Augusti) die berechtigten Ansprüche der Bürger des Reiches auf ein stabiles Gemeinwesen (Salus publica) erfüllen konnte.
Den Begriff der Sicherheit verband man mit dem der Maiestas, einem von maius (größer) abgeleiteten Substantiv komplexen Inhalts: Größe und Würde in religiösem und politischem Sinn. Als Crimen maiestatis (Verbrechen gegen die Maiestas) erklären die Digesten – die Gesetzessammlungen des römischen Rechts aus der Zeit Kaiser Justinians (6. Jh.) – alle Aktionen, die sich gegen das römische Volk und seine Sicherheit richteten (adversus populum Romanum vel securitatem eius). Darin waren die Tötung eines Magistrats sowie die Vorbereitung oder Ausführung eines bewaffneten Aufruhrs enthalten (Dig. 48,4,1,1).
Funde in den Vesuvstädten: Ein bewaffneter Portier
Wer durfte im antiken Römerreich Waffen tragen? Den allgemeinen Informationen aus den antiken Geschichtsquellen und anderen antiken Schriftquellen stehen die konkreten archäologischen Funde gegenüber, die jeweils einer genauen Analyse der Fundumstände bedürfen. Ein vereinzelter Waffenfund in einem Privathaus ist anders als ein Hortfund voller Waffen zu interpretieren.
Sucht man deshalb nach äußeren Dokumenten, so sind die Momentaufnahmen einer hoch entwickelten Siedlungslandschaft besonders hilfreich: In Campanien verschüttete im Jahr 79 n. Chr. der Vesuv die Städte Herculaneum, Pompeji, Stabiae und zahlreiche Villen, Landsitze und Landgüter; in einer blühenden Region wurde alles Lebende durch den Aschenregen, die Lavaströme und die pyroklastischen Lawinen getötet und vieles davon auch konserviert. In Pompeji und Herculaneum fanden sich etliche Waffen, für die man die Träger zu benennen hat. Waren es Soldaten auf Urlaub? Abkommandierte Soldaten? Städtische Milizen? Oder bewaffnete Zivilisten? In jedem Falle handelte es sich um Waffen, die man an jenem Orten wieder fand, an dem sie sich im August 79 n. Chr. befanden.
Abb. 3
Pompeji. Mysterienvilla. Rekonstruktion der letzten Bauphase des Jahres 79 n. Chr.
Abb. 4
Pompeji. Mysterienvilla. Der Gladius eines Türstehers aus dem Zimmer 35 nahe dem Villeneingang. L. noch 54,2 cm. Soprintendenza Archeologica di Pompei.
Eines der Schwerter aus Pompeji stammt aus einem Haus vor den Mauern der Stadt. Westlich außerhalb der Stadtmauer liegt eine große Villa, genannt die Mysterienvilla, weil einer der Räume mit einem eindrucksvollen Gemäldezyklus geschmückt war, der sich auf die Mysterienreligion des Gottes Dionysos/Bacchus beziehen lässt (Abb. 3). In Raum Nr. 35 dieser großen Wohnanlage fand man ein Schwert, das in seiner Form vollkommen dem Gladius, dem Schwert der Legionäre, entspricht (Abb. 4). In diesem Fall ist der Fundraum ein Indiz für die Verwendung der Waffe: Es ist ein Raum im Nordteil der Villa nahe dem Eingang und nur wenige Meter von der Haustür entfernt. Im gleichen Raum fand man das Skelett eines Verschütteten. Auch wenn man nach der Fundbeschreibung nicht sagen kann, ob der Gladius direkt neben der Leiche lag, ist es erlaubt, hier das Zimmer eines bewaffneten Bediensteten nahe am Eingang zu sehen. Es wird kein Zufall sein, dass der Portier einer römischen vornehmen Villa dieser Größe eine Waffe griffbereit hatte. Dass man Angst vor Überfällen haben musste, wenn man nur die Tür öffnete, erwähnt Apuleius im Rahmen seiner ausführlichen Räuberpassagen, wo er auch erzählt, wie ein Pförtner (Ianitor) von einem Räuber niedergestochen wurde.
Grundsätzlich galt im Römerreich das Prinzip der Selbsthilfe. Wer überfallen wurde, konnte keine Polizeistreife zu Hilfe rufen sondern musste sich selbst helfen. Unterstützung erhielt er allenfalls noch von herbeieilenden Nachbarn oder von einem barmherzigen Samariter. Wer mit der Waffe in der Hand zur Selbsthilfe griff, hatte das Gesetz zumindest teilweise auf seiner Seite: Straflos blieb, wer einen Dieb tötete, wenn er befürchten musste, selbst ermordet zu werden; soweit war die Selbstjustiz gesetzlich gedeckt. Jemand, der einen Dieb umbrachte, obwohl er ihn hätte ergreifen können, beging freilich eine Straftat. Eigeninitiative konnte rasch in Lynchjustiz umschlagen. Umgekehrt galt der Besitz und der Einsatz einer Waffe durch einen Dieb als Anlass für eine verschärfte Strafe: Einbrecher, die sich mit einer Waffe der Festnahme widersetzten, wurden in die Bergwerke geschickt; diese Strafe ad metalla war fürchterlich und kam einem lang andauernden, qualvollen Todesurteil gleich.
Gewaltsames Eintreten gegen nächtliche Diebe hatte bereits Roms archaisches Zwölftafelgesetz von 450 v. Chr. erlaubt (8,12):
„Si nox furtum faxsit, si im occisit, iure caesus esto.“
„Hat jemand nachts einen Diebstahl begangen und hat man den Dieb getötet, so soll er zu Recht erschlagen sein.“
Abb. 5
Darstellung eines Wachhundes im Mosaik eines Hauseingangsflurs. Pompeji I 7,1 (Haus des Paquius Proculus). Um 70 n. Chr.
Abb. 6
Pompeji. Der Hund aus der Casa di Orfeo (= Haus des Vesonius Primus. VI 14,20). Gipsausguss. Der Wachhund war angekettet und konnte deshalb nicht fliehen. Gefunden 1874. Pompeji-Ausstellung 2007, Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim.
Die grundlegende Ursache für das Vorherrschen der Selbsthilfe war das Fehlen einer Staatsanwaltschaft; ohne einen Ankläger und Strafverfolger von Amts wegen kamen die Verfahren nur dann in Gang, wenn von privater Seite aus die Initiative ergriffen wurde. Dasselbe Prinzip der Selbsthilfe galt für den Schutz vor Diebstahl und Überfällen zu Hause. Kein Wunder, dass man auch auf dem Lande Waffen bereithielt. In einer der großen Domänenvillen am Vesuvabhang bei Boscoreale fanden sich zwei eiserne Stichwaffen. Außerdem konnten Waffen auch als Trophäen im Atrium eines Privathauses aufbewahrt werden, wenn dies auch eine mehr republikanische Sitte war, als die Hocharistokratie Roms Krieg und Politik bestimmte.
Meist behalf man sich mit einem Wachhund (Abb. 5), bis heute ein probates Mittel zum Schutz allein stehender Häuser. Unser »Vorsicht: Bissiger Hund!« oder das Hundeköpfchen mit dem Text »Hier wache ich« haben auch ihre Vorläufer in Pompeji. Dort hat der Hausherr der Casa del poeta tragico (Haus des tragischen Dichters) im Hausflur ein Mosaik mit dem zähnefletschenden Wachhund anbringen lassen; die Inschrift CAVE CANEM warnt vor dem Hund. Die angeketteten Hunde fanden 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch den Tod. Ergreifend ist das Bild eines solchen im Todeskampf verkrümmten Tieres aus der Casa di Orfeo in der 6. Region (Abb. 6).