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Ein findiger Wirrkopf

André Marie Ampère (1775–1836), Mitbegründer der Elektrodynamik


André Marie Ampère, französischer Physiker * 22. Januar 1775 in Lyon10. Juni 1836 in Marseille

Immer wenn in der Welt eine Sicherung durchbrennt, wird seiner gedacht. Für wieviel Ampere war der Stromkreis abgesichert? Aber kaum einer fragt heute noch, woher dieser terminus electrotechnicus kommt und wer der Maßeinheit Ampere den Namen gegeben hat.

Der Blick zurück auf das Leben des fast vergessenen Namengebers führt in eine dunkle Periode der Geschichte. In der Jugendzeit von André Marie Ampère waren in Europa noch die Monarchen an der Macht. Es herrschte Willkür und Feudalismus, die Menschen waren bettelarm, dauernd wurde irgendwo Krieg geführt. Dunkel war es aber auch nächtens auf den Straßen, in den Zimmern der Bürgerhäuser. Das trübe Licht der Ölfunzeln gehörte bereits zum gehobenen Wohnkomfort. Elektrizität war nur das, »was die Froschschenkel zum Zucken bringt«. Ampère sollte einen wichtigen Beitrag dafür liefern, daß 100 Jahre später die elektrische Kraft Maschinen antrieb und Glühbirnen zum Leuchten brachte.

Wer war der Mensch, nach dem heute die Maßeinheit der elektrischen Stromstärke benannt ist?

Die SI-Einheit Ampere

Ampere ist die Basiseinheit der elektrischen Stromstärke.

Definition: Das Ampere (A) ist die Stärke eines zeitlich unveränderlichen elektrischen Stromes, der, durch zwei im Vakuum parallel im Abstand 1 Meter angeordnete, geradlinige, unendlich lange Leiter von vernachlässigbar kleinem, kreisförmigem Querschnitt fließend, zwischen diesen Leitern je 1 Meter Leiterlänge die Kraft 2 x10–7 Newton hervorrufen würde.

Anmerkung: Das auf dem Personennamen liegende Akzentzeichen è fällt bei der SI-Einheit weg. Gelegentlich wird zur Vermeidung von Verwechslungen auch die Abkürzung »Amp« anstelle des Zeichens A verwendet.

Als Sohn des wohlhabenden Seidenhändlers Jean-Jacques Ampère kam André Marie am 22. Januar 1775 in Lyon zur Welt. Als der Junge sieben Jahre alt war, zog die Familie in ihren luxuriös eingerichteten Landsitz im Bergdörfchen Poleymieux. Weil es in der Umgebung keine Schule gab, kümmerte sich der Vater um die Bildung des Sohnes. Er unterrichtete ihn in Sachkunde, Philosophie und Religion. Lesen und Schreiben brachte sich der intelligente Junge selbst bei. Bereits mit zwölf Jahren lernte er die Gesetze der Algebra aus eigener Initiative. Unermüdlich las er alle wissenschaftlichen Bücher, die ihm in die Hände kamen. Einen besonders nachhaltigen Eindruck machte auf ihn die fünfunddreißigbändige Enzyklopädie von Diderot, in der alle damals bekannten Wissensgebiete in Wort und Bild ausführlich beschrieben waren. Noch im Alter kannte er ganze Kapitel dieses Werkes auswendig.

Mit dreizehn Jahren verblüffte André Marie die Académie de Lyon mit einem Lösungsvorschlag für die Quadratur des Kreises. An diesem Problem hatten sich schon ganze Generationen von Mathematikern die Zähne ausgebissen. Zwar stellte sich Andrés Lösung später nach eingehender Prüfung als unrichtig heraus, doch hier zeigte sich schon, aus welchem Holz dieser Junge geschnitzt war. Die lateinische Sprache erlernte er in wenigen Wochen ohne fremde Hilfe. Weil der 14jährige Schwierigkeiten mit der Integration partieller Differentialgleichungen hatte, nahm er Privatunterricht an der Universität von Lyon. Nebenbei belegte er Vorlesungen in Physik und Biologie und entwarf eine Universalsprache auf logischer Basis, ein Vorläufer des Esperanto.

Tod auf dem Schafott

So schien der Lebensweg des jungen André Marie eigentlich schon vorgezeichnet: Er würde die Universität besuchen und später ein stiller Gelehrter werden, der sein Leben zwischen dicken Büchern und verstaubten Herbarien verbringt. Doch das Schicksal wollte es anders. Die Funken der französischen Revolution sprangen auch nach Lyon über. Vater Ampère setzte sich in der ehrenamtlichen Funktion eines Friedensrichters für die königstreuen Girondisten ein und sorgte dafür, daß dem Führer der aufständischen Jakobiner der Prozeß gemacht wurde. Doch plötzlich waren es die Jakobiner, die in Lyon die Macht übernahmen. Der angesehene Seidenhändler wurde verhaftet, vor das Revolutionstribunal gezerrt und nach kurzem Prozeß auf dem Schafott hingerichtet.

Der 18jährige Sohn erlitt einen schweren Schock. In der Trauer um seinen Vater verfiel André in völlige Apathie. Ein ganzes Jahr lang las er keine einzige Zeile mehr, statt dessen spielte er stundenlang wie ein Kleinkind im Sand. Erst durch die Lektüre der Oden von Horaz wurden seine Lebensgeister wieder geweckt – und durch die Liebe zu einem Mädchen aus dem Nachbardorf, das er beim Blumenpflücken getroffen hatte. Drei Jahre warb er um seine Julie, er besang sie in italienischen Versen und widmete ihr seine schwärmerischen Tagebuchnotizen. Doch Julie Caron, Tochter aus gutem Hause, durfte ihn nicht erhören, solange sich der junge Mann nicht zu geregelter Arbeit aufraffen konnte. Erst als Ampère die Stelle eines Privatlehrers für Mathematik übernahm, durfte Hochzeit gefeiert werden. Ein Jahr später wurde ein Sohn geboren. Die glücklichen Eltern gaben ihm den Namen des hingerichteten Großvaters: Jean-Jacques.

Die Ecole Polytechnique in Paris (beim Besuch von Napoleon 1815). Hier hatte Ampère eine schlechtbezahlte Stelle als Hilfslehrer inne

Feuersglut im Herzen

Schon ein Jahr später – Ampère war inzwischen Professor für Physik an der Zentralschule in Bourg-en-Bresse geworden – starb die junge Frau an Tuberkulose. Verzweifelt und mutlos wollte der erst 28jährige André aus dem Leben scheiden oder in ferne Länder auswandern. Auf gutes Zureden der Familie nahm er schließlich die Stelle eines répetiteur an der Ecole Polytechnique in Paris an, die erbärmlich schlecht bezahlt war. Diese Arbeit füllte ihn bei weitem nicht aus, doch ließ sie ihm wenigstens Zeit, sich mit Fragen der Philosophie und der Religion zu befassen. Auch von ungelösten Problemen aus den Fachgebieten Biologie und Chemie, aus der Astronomie und Psychologie wurde er wochenlang gefesselt. Immer wieder überwältigt von neuen Ideen, aber unfähig, sich auf eine Sache ganz zu konzentrieren, ließ er sich von einem Thema zum anderen treiben. Nächtelang brütete er über einer mathematischen Formel, stundenlang erklärte er andern das Weltsystem. Freunde sagten von ihm, er habe stets »eine Feuersglut im Herzen« gehabt. Ein Biograph beschrieb Ampères Naturell so: »Sein gewaltiger Geist war wie ein bewegtes Meer, plötzlich türmten sich die Wellen empor, schwimmende Korken und Sandkörner wurden gen Himmel geschleudert …«

Wenig erfreulich gestaltete sich das Privatleben. Eine zweite Ehe, im Jahr 1806 mit der lebenslustigen, etwas liederlichen Jeanne Potot geschlossen, erwies sich als Katastrophe. Nach wenigen Jahren war er wieder allein. Die Aufgabe, für den Sohn aus erster und die Tochter aus zweiter Ehe zu sorgen, überforderte den grüblerischen und in praktischen Dingen völlig hilflosen Gelehrten. Mutter und Schwester kamen nach Paris und übernahmen die Haushaltsführung.

Zerstreuter Professor

Mit der Ernennung zum Generalinspekteur der Universität Paris im Jahr 1808 waren wenigstens die drängenden materiellen Sorgen behoben. Die mit dem hohen Amt verbundenen Verpflichtungen erfüllte der zerstreute Professor mehr schlecht als recht. Seinem Wesen entsprechend beschäftigte er sich mit Dutzenden von Fragestellungen gleichzeitig: mit dem ungelösten Problem des Parallelenaxioms, mit der Anwendung der Variationsrechnung in der Mechanik, mit der Integration partieller Differentialrechnungen. Arbeiten über die Atomistik, den Bau der Kristalle, die Theorie der Gase und das Boyle-Mariottesche Gesetz schlossen sich an. Mit dem englischen Chemiker Sir Humphry Davy (1778–1829) führte er jahrelang einen Briefwechsel über die chemische Natur der Halogene Chlor, Fluor und Jod und ihre Einordnung in eine homologe Reihe. Eine Zeitlang verschrieb er sich der spekulativen Philosophie, in der Hoffnung, auf diesem Wege schwierige naturwissenschaftliche Probleme besser lösen zu können. Die Vielzahl seiner Interessen und der wenig effektive Arbeitsstil verhinderten zunächst, daß er in irgendeiner Disziplin herausragende Leistungen erzielen konnte.


Mit diesem Instrument wies Ampère 1822 die elektromagnetische Induktion nach

Dies sollte sich mit einem Schlage ändern. Im Juli des Jahres 1820 erfuhr Ampère beiläufig von der Beobachtung des dänischen Physikers Hans Christian Ørsted (1777–1851), daß eine Magnetnadel durch einen stromdurchflossenen Leiter abgelenkt wird. Dieses nebensächliche, von anderen Physikern bis dahin kaum beachtete Phänomen faszinierte den versponnenen Gelehrten so sehr, daß er alle anderen Arbeitsgebiete vernachlässigte und sich nur noch mit einer Frage beschäftigte: Welche Wechselwirkung besteht zwischen Magnetismus und elektrischem Strom? Er machte Hunderte von Versuchen, um ganz sicher zu sein. In größter Hast – diesmal wollte er endlich der erste sein, der eine wissenschaftliche Neuigkeit verbreitete – schrieb er zwei Aufsätze, die sich mit der bewegten Elektrizität als Quelle der magnetischen Wirkungen befaßten. In einem Vortrag vor der Französischen Akademie der Wissenschaften berichtete Ampère am 25. September 1820 über die Wechselwirkung zweier stromdurchflossener Leiter: Gleichgerichtete Ströme ziehen sich an, entgegengesetzt gerichtete stoßen sich ab. Er zeigte, daß sich eine stromdurchflossene Drahtspule wie ein Stabmagnet verhält, und bewies damit, daß die bewegte Elektrizität den Magnetismus erzeugt. Ampère stellte zum erstenmal einen Zusammenhang her zwischen zwei physikalischen Erscheinungen, die man bis dahin für völlig unabhängig gehalten hatte.


Die von Ampère aufgestellte »Schwimmer-Regel«: Ein Schwimmer, der mit dem Strom schwimmt, zeigt mit der rechten Hand in die Richtung, in die der Nordpol des Magneten abgelenkt wird

Den Elektromagnetismus erforscht

Volle sieben Jahre hielt ihn dieses Phänomen gefangen. In dieser Zeit entwickelte der Wissenschaftler, dem Elektrizität und Magnetismus bis dahin ziemlich fremd gewesen waren, ein völlig neues und bedeutendes Teilgebiet der Physik: das theoretisch und experimentell abgesicherte Gebäude des Elektromagnetismus.

In diesen sieben fruchtbaren Jahren stellte Ampère eine Fülle von Theorien auf, so die Hypothese der »Ampèreschen Molekularströme«, wonach jedes Molekül von ringförmigen Strömen umgeben sein sollte, deren mikroskopisch kleine Wirkungen sich zum makroskopischen Magnetismus addieren. Diese Annahme war zunächst sehr umstritten. Mehr als hundert Jahre später war jedoch der Beweis erbracht, daß Ampères Vorstellungen prinzipiell richtig waren: Der Ferromagnetismus setzt sich aus den Spinmomenten der Elektronen zusammen. Große Bedeutung gewann ein von Ampère entwickeltes Meßinstrument, bei dem eine frei beweglich angebrachte Magnetnadel die Stromstärke anzeigte. Es wurde später in verbesserter Form als Galvanometer bezeichnet und ist noch heute eines der wichtigsten Meßinstrumente der Elektrotechnik.

In seinem großen, abschließenden Werk Über die mathematische Theorie elektrodynamischer Erscheinungen, allein aus dem Experiment abgeleitet entwickelte André Marie Ampère 1826 eine umfassende Theorie der elektrischen Erscheinungen. Hier formulierte er erstmals die noch heute gültigen Begriffe »Strom« und »Spannung«, hier beschrieb er die Wirkungsweise des Galvanometers und des Elektromagneten. In Anspielung auf Newtons Grundlagenwerk über die Mechanik Principia erhielt Ampères Werk später den Ehrentitel Principia der Elektrodynamik.

Die gequälte Seele


So sah sich Ampère selbst

In den letzten Jahren seines Lebens kehrte der unruhige Geist zu seinen alten Gewohnheiten zurück. Sein Arbeitsstil wurde wieder unsystematisch. Von plötzlichen Eingebungen gepackt, wechselte Ampère sprunghaft von einer Fragestellung zur anderen. Unter dem Eindruck von Emanuel Kants Kategorienlehre Kritik der reinen Vernunft setzte er sich mit er kenntnistheoretischen Betrachtungen auseinander. Ein Zeitgenosse charakterisierte den wunderlichen Gelehrten so: »Leidenschaftlich in seinen Überzeugungen und Zweifeln, bietet Ampère stets das Bild einer mystischen und gequälten Seele.« Immer weniger gelang es ihm, sich seinen Mitmenschen verständlich zu machen. Darüber verfiel er in tiefe Melancholie. Mehr und mehr wurde der liebenswürdige, sensible und poetisch veranlagte Gelehrte zur Zielscheibe des Gespötts. Zahlreiche Anekdoten ranken sich um seine Zerstreutheit. Man amüsierte sich darüber, daß Ampère im Feuereifer seines Vortrags vor der Französischen Akademie den direkt vor ihm sitzenden Kaiser Napoleon nicht erkannt und ihn keines Grußes gewürdigt hatte. Der Kaiser nahm es ihm nicht übel, sondern lud den berühmten Gelehrten für den nächsten Tag zum Mittagessen ein. Napoleon wartete umsonst: Über seiner Arbeit hatte Ampère die Verabredung vergessen.

Die letzte große Aufgabe, die Ampère im Jahr 1834 in Angriff nahm, war der Versuch, die Gesamtheit der wissenschaftlichen Kenntnisse in ein umfassendes Ordnungsschema zu gruppieren. Das an sich wohldurchdachte philosophische Alterswerk fand bei der Fachwelt jedoch keine Resonanz, im Gegenteil: Von seinen Kollegen erntete der Autor nur Spott und ablehnende Kritik. Die letzten Lebensjahre waren geprägt von Armut und Krankheit. Auf einer Reise in die Provence, von der er sich eine Besserung seines »Lungenkatarrhs« versprochen hatte, verschlimmerte sich sein Zustand. Während eines Besuches der Universität von Marseille starb Ampère am 10. Juni 1836, erst 61 Jahre alt, nach einem plötzlichen Fieberanfall. Dreißig Jahre später wurde sein Sarg nach Paris überführt und unter großen Ehren auf dem Friedhof von Montmartre beigesetzt. Das Elternhaus in Poleymieux wurde zu einem »Ampère-Museum« umgebaut.

Ein Denkmal der besonderen Art wurde Ampère im Jahr 1881 von den Teilnehmern des in Paris tagenden »Electrischen Congresses« gesetzt. Auf Vorschlag des deutschen Physikers Hermann von Helmholtz (1821–1894) wählte man für die Einheit der elektrischen Stromstärke die Bezeichnung »Ampere«. So wurde der Name des unsteten, vom Glück verlassenen französischen Forschers zu einem in aller Welt bekannten Terminus technicus.

Das ungenießbare Mittagsmahl

André Marie Ampère war geradezu der Inbegriff eines zerstreuten Professors. Immer in tiefen Gedanken versponnen, ständig mit physikalischen Problemen beschäftigt, nahm er sein Umfeld oft kaum noch wahr. Eine hübsche Anekdote illustriert dies:

Nach einer Vorlesung wurde er einmal von einem befreundeten Professor eingeladen, bei dessen Familie zu Mittag zu speisen. Als sich das Mahl etwas verzögerte, nutzte Ampère die Zeit, um in seinem Notizbuch eine Formel nachzurechnen.

Noch ganz in Gedanken, setzte er sich zu Tisch, aß einige Bissen, schleuderte die Serviette auf den Tisch und schimpfte: »Das Essen ist ja wieder einmal nicht zu genießen! Wann wird meine Schwester endlich einsehen, daß jede Köchin, bevor man sie einstellt, erst eine Kostprobe ablegen muß?« Ampère hatte völlig vergessen, daß er nicht zu Hause speiste, sondern zu Gast war bei einem Kollegen.

Er brachte ein Weltbild ins Wanken

Antoine Henri Becquerel (1852–1908), Entdecker der natürlichen Radioaktivität


Henri Antoine Becquerel, französischer Physiker * 15. Dezember 1852 in Paris25. August 1908 in Le Croisic (Bretagne)

Namen seien nur Schall und Rauch, meint Goethe in Faust I. Ob er sich da nicht geirrt hat? Der Name Becquerel jedenfalls ist geradezu ein Synonym für eine Naturerscheinung, die weder Schall noch Rauch hinterläßt. Im Gegenteil: Sie ist absolut lautlos und unsichtbar und gerade deshalb so unheimlich.

Antoine Henri Becquerel hat die natürliche Radioaktivität entdeckt und damit die moderne Atomphysik begründet. Sein Name ist heute in aller Munde, weil er 1985 – sozusagen als Nachfolger von Marie Curie, der berühmten französischen Chemikerin polnischer Herkunft, die den ersten radioaktiven Stoff isoliert hat, das Radium – in den Rang einer Maßeinheit erhoben wurde.

Wer war dieser Monsieur Becquerel? Wie kam er zu jener Entdeckung, die seinen Namen unsterblich machte, weil sie ein bis dahin als unumstößlich geltendes Weltbild verändert hat?

Antoine Henri Becquerel war ein Mann von zierlicher Statur und gepflegtem Äußeren. In der besten Wohnlage von Paris, nahe den Champs Elysées, bewohnte er eine prächtige Villa. Die herrschaftlichen Räume waren mit wertvollem altem Mobiliar und feinen Gobelins, mit chinesischem Porzellan und kostbaren Gemälden ausgestattet. Am Muséum National d’Histoire Naturelle war er der führende Physiker. Seine Schüler bewunderten seine Eloquenz, die Fachkollegen schätzten seine Kompetenz. In ganz Frankreich galt er als großer Wissenschaftler, im Ausland wurde sein Name jedoch kaum bekannt.

78 Jahre nach seinem Tod begann seine zweite Karriere. Sie machte ihn weltberühmt, wenn auch in einer wenig rühmlichen Weise. Sein Name wurde geradezu zu einem Synonym für unsichtbare Gefahr und allgegenwärtiges Unheil. Wenn er genannt wurde, dann mit besorgtem Gesicht und oft im Zusammenhang mit Milchpulver, Haselnüssen und Pilzen. Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 stand der Name des französischen Physikers Becquerel im Mittelpunkt heftiger Diskussionen über Nutzen und Gefahren der Kernenergie. Die Maßeinheit der Radioaktivität erlangte plötzlich eine ungeheure, wenn auch fragwürdige Popularität. Selten wurde eine Maßeinheit so oft – und meist auch so falsch – zitiert.

Verdächtiges Glimmen am Leuchtschirm

Antoine Henri Becquerel, geboren am 15. Dezember 1852 in Paris, entstammte einer alten Gelehrtenfamilie. Vater und Großvater gehörten zu den führenden Physikern Frankreichs, und so lag es nahe, daß Henri in ihre Fußstapfen treten und ebenfalls Physiker werden sollte. Nach dem Lyzeum wurde er an der Eliteschule Ecole Polytechnique für seine spätere Aufgabe als Lehrer und Wissenschaftler ausgebildet. Weitere drei Jahre widmete er sich an der Ecole des Ponts et Chaussées dem Studium des Brücken- und Straßenbaus. Es folgte die übliche akademische Laufbahn: Assistent an der Ecole Polytechnique, Lehrstuhl für Physik an der Ecole des Arts, Chefingenieur in einem Ministerium. Von 1891 an bekleidete er, in direkter Nachfolge seines Großvaters und seines Vaters, die beiden Lehrstühle für Physik am Musée d’histoire naturelle und am Conservatoire Nationale des Arts et Métiers in Paris. Bis an sein Lebensende war Becquerel auch für die Ausbildung des Physikernachwuchses an der Ecole Polytechnique verantwortlich.

Die SI-Einheit Becquerel

Das Becquerel ist die Einheit der Aktivität einer radioaktiven Strahlungsquelle.

Definition: 1 Becquerel (Bq) ist die Aktivität einer radioaktiven Strahlungsquelle, bei der sich im zeitlichen Mittel von 1 Sekunde 1 Atomkern eines Nuklides umwandelt.

1 Bq = 1 / s

Schon als 24jähriger bearbeitete Becquerel eigenständig neue Forschungsgebiete. Dabei entdeckte er die infraroten Banden im Spektrum des Sonnenlichts und die Drehung der Polarisationsebene des Lichtes im Magnetfeld. Es folgten Arbeiten über die Sonnentemperatur und den Magnetismus bei Nickel und Kobalt. Jahrelang beschäftigte er sich mit den eigentümlichen Phänomenen der Luminiszenz und der Phosphoreszenz. Sie führten ihn schließlich zu jener Entdeckung, die seinen Namen später unsterblich machen sollte.


Wilhelm Conrad Röntgen, Professor an der Universität Würzburg, der mit den X-Strahlen den Anlaß gab für Becquerels Untersuchung der Uransalze

Am 8. November 1895 hatte Wilhelm Conrad Röntgen (1845–1923), Professor für Physik an der Universität Würzburg, wieder einmal mit Kathodenstrahlen experimentiert. Dabei entdeckte er auf einem im gleichen Zimmer stehenden Leuchtschirm zufällig ein schwaches Glimmen. Er ging dieser Erscheinung nach und fand, daß sie von einer unbekannten Strahlung herrührte, die auf der Erde nicht natürlich vorkommt. Es war eine ganz ungewöhnliche elektromagnetische Strahlung. Sie war so energiereich, daß sie scheinbar widerstandslos durch Eichentüren und dicke Bücher, sogar durch Metallplatten hindurchging. Röntgen war völlig überrascht und wußte nicht, was er von diesen unbekannten Strahlen halten sollte. Er bat einige Kollegen um Rat, auch den berühmten französischen Mathematiker und Wissenschaftsphilosophen Henri Poincaré (1854–1912). Dieser hielt am 20. Januar 1896 vor der Pariser Académie des Sciences einen Vortrag über den damaligen Stand der Naturwissenschaften. Dabei konnte er von der Existenz neuer Strahlen berichten, die den menschlichen Körper durchdringen, so daß die Skelettknochen sichtbar werden. Als Beweis zeigte Poincaré den verblüfften Zuhörern eine von Röntgen selbst angefertigte fotografische Aufnahme, auf der die Handknochen von Frau Röntgen abgebildet waren.


Die Handknochen von Frau Bertha Röntgen, aufgenommen am 22. Dezember 1895 (die erste Röntgenaufnahme der Geschichte)

Indiskrete Strahlen

Die Nachricht von den geheimnisvollen Strahlen – Röntgen selbst bezeichnete sie als »X-Strahlen«, weil sie sich in das bestehende Lehrgebäude der Physik nicht einordnen ließen – war eine wissenschaftliche Sensation. Nicht nur die Gelehrten diskutierten sich die Köpfe heiß. Wochenlang beherrschten die Strahlen auch die Schlagzeilen der Gazetten, in den Salons der feinen Gesellschaft waren sie das Lieblingsthema der Saison. Die Phantasie trieb seltsame Blüten, windige Geschäftemacher witterten ihre große Chance. Eine Pariser Firma bot eine Spezialbrille an, die angeblich in der Lage war, mit Hilfe der indiskreten Strahlen die Kleidung zu durchdringen. Im Gegenzug propagierte eine Londoner Firma »X-Strahlen-sichere Dessous« für die Damen.

Doch zurück zu dem denkwürdigen Akademievortrag. Unter den Zuhörern befand sich auch Henri Becquerel. Aufmerksam hatte er die vom Vortragenden geäußerte Vermutung registriert, daß möglicherweise jede elektromagnetische Strahlung, also auch das Licht, fluoreszierendes Material zur Abgabe von X-Strahlen anregen könne. Professor Becquerel, anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der Fluoreszenz, kam diese Hypothese reichlich unwahrscheinlich vor. Er beschloß, am nächsten Tag sofort die Probe aufs Exempel zu machen. Eine Reihe unbelichteter Fotoplatten verpackte er in schwarzes, lichtdichtes Papier und legte auf jedes Päckchen ein Kreuz aus reinem Kupfer. Dann nahm er aus dem Laborschrank diejenigen Salze, die nach seiner Erfahrung am Licht fluoreszieren, streute sie einzeln auf die verschiedenen Päckchen und legte diese für einen Tag an die Sonne. Das Ergebnis war, wie er vermutet hatte, durchweg negativ. Mit einer Ausnahme: Auf einer einzigen Fotoplatte zeigte sich nach dem Entwickeln tatsächlich der schwache Schatten eines Kreuzes. Die Platte war mit einem Uransalz beschichtet gewesen.


Selbst die renommierte Zeitschrift Life zeigte ihren Lesern die »aussichtsreichen« Einblicke mit Hilfe der X-Strahlen. Eine Abendgesellschaft, fotografiert einmal mit einem normalen Plattenapparat, unten mit Hilfe der Röntgenstrahlen

Geheimnisvolles Salzlicht

Als kritischer und systematischer Experimentator wollte sich Becquerel nicht auf einen einzigen Versuch verlassen. Er präparierte weitere Fotoplatten mit Uransalz und legte sie, weil der Himmel bewölkt war, in eine Schublade, um auf besseres Wetter zu warten. Sicherheitshalber prüfte er nach ein paar Tagen, ob die Platten noch in Ordnung waren. Dabei bemerkte er zu seiner Überraschung, daß auf einer Platte wieder das Kreuz zu sehen war, sogar viel deutlicher, und das, obwohl diese Platte überhaupt nicht in der Sonne gelegen hatte. Woher konnte die Schwärzung stammen, etwa von dem Uransalz selbst? Mit größter Sorgfalt durchgeführte weitere Untersuchungen lieferten den Beweis: Alle Uransalze, auch das reine Uranmetall, senden eine Strahlung aus, welche die Fotoplatten sogar in absoluter Dunkelheit schwärzen. Becquerel hatte durch Zufall, Scharfsinn und Wachsamkeit die natürliche Radioaktivität entdeckt.


Die Schwärzung dieser Fotoplatte läutete das Atomzeitalter ein. In der unteren Hälfte die vagen Umrisse des Kupferkreuzes, oben eine handschriftliche Notiz des Entdeckers

Daß diese Zufallsentdeckung eine neue Epoche der Menschheit einleiten würde, nämlich das Atomzeitalter, das konnte Becquerel nicht ahnen. Ihm war noch nicht einmal der Begriff »Radioaktivität« bekannt. Das von ihm beobachtete Phänomen betrachtete er als eine Art »langlebige Fluoreszenz«, eine Strahlung, die kurioserweise von einem Metallsalz ausging. Die Wissenschaft kannte ja schon mehrere Strahlenarten, die Radiowellen beispielsweise und das Sonnenlicht, das Leuchten der Glühwürmchen und das Phosphoreszieren verfaulenden Holzes. Warum sollte es nicht auch eine Art »Salzlicht« geben? Am 2. März 1896 berichtete Becquerel vor der Académie des Sciences über die Entdeckung einer natürlichen Strahlung des Elements Uran, welche ebenso wie die X-Strahlen des Herrn Kollegen Röntgen feste Körper durchdringen konnte. In mehreren Aufsätzen legte er weitere Beobachtungen über die »Becquerelstrahlen« vor. Als ein Echo ausblieb, verlor er das Interesse und wandte sich wieder seiner Fluoreszenzforschung zu.

Woher kommt die Energie?

Vielleicht wäre seine Entdeckung in Vergessenheit geraten, hätten sich die aus Polen stammende Marya Sklodowska (1867–1934) und der französische Physiker Pierre Curie (1859–1906), ihr Kollege und späterer Ehemann, nicht gefragt, woher denn die zwar geringen, aber deutlich meßbaren Energiemengen stammen, die vom Uran und seinen Verbindungen unablässig ausgestrahlt werden. Sie arbeiteten ungeheure Mengen uranhaltiger Pechblende auf in der Hoffnung, die unbekannte Energiequelle zu finden. Nach zwei Jahren konnten die beiden Forscher in den Comptes Rendus verkünden, daß sie aus 8000 kg Pechblende ein knappes Gramm eines neues Elementes isoliert hatten, von dem eine extrem starke Strahlung ausging. Das Element solle den Namen »Radium« – das Strahlende – erhalten.


Der Brief an die französische Akademie, in dem Becquerel seine Entdeckung beschreibt

Die Entdeckung des Radiums brachte das hergebrachte Weltbild der Wissenschaft ins Wanken. Der Beweis war erbracht, daß die Atome eben nicht »atomos«, d. h. unteilbar, sind. Sie mußten aus noch kleineren Partikeln aufgebaut sein. Nun war Becquerels Interesse an den Uransalzen wieder geweckt. Er fand heraus, daß die radioaktiven Strahlen imstande waren, Gase zu ionisieren und elektrisch leitend zu machen. Das war insofern eine wichtige Entdeckung, als man nun diese Strahlen auch messen konnte, nämlich mit einem ganz einfachen Goldplättchen-Elektroskop.

Das vergessene Glasröhrchen

Für die Entdeckung der Radioaktivität erhielt Henri Becquerel im Jahr 1903 den Nobelpreis für Physik, gemeinsam mit dem Ehepaar Curie. Eigentlich hätten diese drei Forscher auch den Nobelpreis für Medizin verdient gehabt: Unabhängig voneinander entdeckten sie die physiologischen Wirkungen der radioaktiven Strahlen auf das lebende Gewebe, und zwar am eigenen Körper. Von Marie Curie persönlich hatte Becquerel anläßlich eines Besuches einige Milligramm Radium erhalten. Das achtlos in die Westentasche gesteckte Glasröhrchen hatte er bereits vergessen, als sich nach einigen Tagen an seinem Körper schwere Verbrennungen zeigten. Marie Curie, der er von seiner Vergeßlichkeit und ihren schmerzhaften Folgen erzählte, gestand, daß auch sie Verbrennungen an den Händen erlitten habe, als sie ungeschützt mit Radiumpräparaten gearbeitet hatte. Ihr Ehemann Pierre Curie griff dieses bis dahin unbekannte Phänomen auf und bestätigte durch einen Selbstversuch die zerstörende Wirkung der radioaktiven Strahlen auf biologisches Gewebe. Die gemeinsame Veröffentlichung der drei Forscher hatte zur Folge, daß sich drei Jahrzehnte später die Strahlentherapie des Krebses allgemein durchsetzen konnte.

In seinen letzten Lebensjahren wurde Becquerel mit zahlreichen Preisen und Medaillen geehrt. Ausländische Akademien ernannten ihn zu ihrem Mitglied. Die Académie des Sciences wählte ihn 1908 zum Präsidenten und Sekretär auf Lebenszeit. Doch schon sechs Wochen später, am 25. August 1908, starb Becquerel im Alter von 56 Jahren auf seinem Landsitz Le Croisic in der Bretagne an den Folgen der Strahlenschäden, die er sich bei der Arbeit mit den radioaktiven Uransalzen zugezogen hatte.

Dunkle Vorahnung

War sich Henri Becquerel über die Folgen seiner epochalen Entdeckung im klaren? Daß er sie zumindest geahnt hat, geht aus einer Äußerung hervor, die er gegen Ende seines Lebens machte: »Ob die Wissenschaft schließlich so weit fortschreiten wird, daß sie die praktische Verwendung des ungeheuren Energievorrats zu nutzen vermag, dies ist eine Frage, auf die nur die Zukunft antworten kann. Man möge aber daran denken, daß die Elektrizität in den Anfängen der Forschung auch nur als reine Spielerei angesehen wurde, zu nichts nütze, als Kinder zu unterhalten, indem sie mit einer geriebenen Siegellackstange Papierschnitzel anzuziehen versuchen.«

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