Kitabı oku: «Lang lebe die Königin!», sayfa 2

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3

Am nächsten Tag zeichnete Sara in der Schule das Schachbrett fertig. Sie malte das Schwarz noch schwärzer, die Linien noch klarer, und sie radierte aus den weißen Feldern alles weg, was nicht hineingehörte.

Der Lehrer hatte schnell gemerkt, dass Sara ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Die Provinz Groningen war für sie immer noch ein Rätsel. Vielleicht hat sie Rechnen geübt, dachte er und fragte: «Sara, wie viel ist sieben mal neun?»

Sara zuckte zusammen. Zum Glück öffnete sich in diesem Augenblick die Tür des Klassenzimmers, und der Schulleiter trat mit einem neuen Jungen ein. Sie erkannte den Jungen sofort, schon weil er dieselbe Mütze trug. Das war der Junge, den sie gestern bei dem Spielwarenladen gesehen hatte. Es war der Junge mit dem Schachspiel.

«So, Kinder, dies ist Victor. Er kommt zu euch in die Klasse», sagte der Schulleiter. Er wechselte einen Blick mit dem Lehrer und verließ den Raum wieder.

Der Lehrer legte eine Hand auf Victors Schulter und sagte: «Guten Tag, Victor, schön, dass du zu uns kommst. Such dir nur schnell einen Platz, wir rechnen gerade.»

Victor schaute sich in der Klasse um und entdeckte Sara. Vergnügt ging er auf sie zu und setzte sich auf den Stuhl neben sie. Sara wagte nicht, ihn anzusehen, so froh war sie.

Der Lehrer klatschte in die Hände. «Also, Sara, glaub nicht, dass du schon fertig bist. Sag mir, wie viel ist sieben mal neun?»

Sara wusste es nicht, wirklich nicht. Sie duckte sich noch tiefer und starrte in ihr Rechenbuch. Nie mehr wollte sie aufblicken, nie mehr. Sie hörte, wie der Lehrer näher kam. «Nun, ich warte. Diese Aufgaben habe ich euch gestern noch erklärt.»

Sara wagte auch nicht, die Antwort zu raten, was sie sonst manchmal versuchte. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Mariette sich meldete. So ein Glück! Aber der Lehrer blieb neben ihrem Tisch stehen. Die Zahlen im Buch tanzten vor ihren Augen.

Endlich nickte der Lehrer Mariette zu.

«Dreiundsechzig», sagte Mariette mit ihrer klaren Stimme. Mariette wusste immer alles. Mariette war die Beste in der Klasse. Und sie? Sie war strohdumm, die Dümmste in der Klasse. Das würde auch Victor jetzt begriffen haben.

Der Lehrer schrieb etwas an die Tafel. Saras Blick wanderte hinaus zu den Vögeln auf dem Schulhof. Sie sah Bertje, den kleinsten Spatz, der überall hinterher hüpfte und immer zu spät kam, wenn es etwas Leckeres zu picken gab. Er flatterte ans Fenster und setzte sich zu ihr auf die Fensterbank.

«Macht jetzt die zehnte bis fünfzehnte Aufgabe», sagte der Lehrer und kam an ihren Tisch. «Du kannst diesmal bei Sara hineinschauen, Victor.» Der Lehrer schob das Rechenbuch in die Mitte des Tisches. Victor öffnete sein Heft, nahm den Füller aus dem Mäppchen, warf einen Blick in das Rechenbuch und begann ohne zu zögern, die Antworten der Reihe nach aufzuschreiben.

Sara versuchte es gar nicht erst. Sie zeichnete weiter, aber sie merkte, dass Victor aufgehört hatte zu schreiben und sie ansah. Nein, sie konnte nicht rechnen. Na und? Sie drückte den Bleistift tiefer in das Papier. Jetzt verdarb sie auch noch die schöne Zeichnung vom Schachbrett. Als sie wieder aufblickte, sah sie, dass Victors Augen noch immer auf sie gerichtet waren. Plötzlich schob er ihr sein Heft hin. Sie konnte die Antworten, die er säuberlich untereinander aufgeschrieben hatte, gut lesen. Erstaunt sah sie ihn an. Er sah gar nicht aus, als ob er sie strohdumm fände, sondern als hoffte er, dass sie lesen konnte, was er aufgeschrieben hatte.

Jetzt zögerte Sara nicht länger. Nach einem schnellen Blick auf den Lehrer, der zum Glück in die andere Richtung schaute, schrieb sie rasch und sauber die Ergebnisse von Victor ab. Nachher wollte sie die Zeichnung von dem Schachbrett aus dem Heft herausreißen, dann sah ihre Arbeit genau so aus wie die Hefte der anderen Kinder. Sie merkte nicht, dass der Lehrer sich umgedreht und alles gesehen hatte.

Bald darauf waren alle mit den Aufgaben fertig, und der Lehrer ließ sie die Ergebnisse vorlesen.

Sara kam auch an die Reihe. Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste sie die richtige Antwort. Sie fand das selbst so komisch, dass sie nur ganz leise sprach.

«Was sagst du, Sara? Ich kann dich nicht verstehen.»

«Zweiunddreißig», wiederholte sie etwas selbstsicherer.

Der Lehrer nickte: «Gut, sehr gut, Sara.»

Die anderen drehten sich erstaunt um. Meinte er etwa Sara?

Der Lehrer wandte sich jetzt an Victor. «Mir scheint es besser, wenn du dich dort hinsetzt», sagte er plötzlich und zeigte auf einen Tisch vorne in der Klasse.

Victor verstand rein gar nichts. «Aber ich möchte doch neben Sara sitzen!»

Die Kinder fingen an zu kichern.

«Und ich möchte, dass du dich dorthin setzt», sagte der Lehrer bestimmt. Er wollte Sara keine Strafarbeit geben, aber wenn Victor weiterhin neben ihr säße, würde sie vielleicht überhaupt nichts mehr tun.

Victor fand es sonderbar.

«Victor ist in Sara verknallt, Victor ist in Sara verknallt!», tuschelten die Kinder, als er langsam zu dem anderen Tisch ging.

Zum Glück ließ der Lehrer Sara den Rest der Stunde in Ruhe, und sie konnte ungestört die Vögel auf dem Schulhof beobachten. Aber sie fand es nicht so lustig wie sonst.

Sara holte ihre Jacke von der Garderobe. Sie wollte gerade hinausrennen, als der Lehrer sie zurückrief.

«Hast du deiner Mutter den Brief gegeben, Sara?»

Sie nickte.

«Und warum hattest du die Aufgaben trotzdem wieder nicht gemacht?»

«Meine Mutter ist eingeschlafen», antwortete sie.

«Ach so. Na, weißt du, was? Sag deiner Mutter, dass ich dir selbst Nachhilfeunterricht geben will, wenn sie keine Zeit dazu hat.»

Nachhilfe beim Lehrer! Noch länger in der Klasse sitzen, noch mehr Fragen beantworten. Wenn sie Nachhilfe vom Lehrer bekäme, würde sie davonlaufen und nie wiederkommen!

Sara nickte und wusste gleich, dass sie es ihrer Mutter nie ausrichten würde. Sie drehte sich um.

Weiter vorne im Flur stand Victor, er hatte seine Jacke schon angezogen. Ob er auf sie wartete? Bestimmt nicht.

Sara ging ohne aufzuschauen an ihm vorbei. Aber er kam hinter ihr her und blieb dann neben ihr. Sara freute sich.

Zusammen gingen sie durch das Dorf, und Sara zeigte Victor, wo man das beste Brot kaufen konnte, wo die Entenmutter mit ihren Küken die Straße überquerte, wo sie mal die Birne in einer Straßenlaterne kaputt geschmissen hatte und wie man quer durch die Hausgärten zur Schule rennen konnte, wenn man zu spät dran war. Victor, der meistens etwas blass aussah, bekam rote Backen vor Aufregung.

Sie gingen in den Friseurladen, und Sara fragte ihre Mutter, ob sie bei Victor spielen durfte.

«Ja, geh nur mit, aber komm pünktlich nach Hause. Du musst noch Hausaufgaben machen.»

Bäh, Hausaufgaben, dachte Sara.

Die meisten Umzugskisten waren ausgepackt, und der Laden von Victors Vater war voll gestellt mit Spielsachen. Alles stand kreuz und quer, nur das Schaufenster war schon fertig gestaltet. Sara sah das schöne Schachspiel im Schaufenster stehen. Daneben lag ein Preisschild, auf dem 75,00 hfl stand. Sara verstand nichts von Geld, aber sie fand, fünfundsiebzig Gulden waren nicht viel.

Victor sah das Schachspiel auch, aber er dachte wohl an andere Sachen. Er hatte Sara gerade erzählt, dass seine Mutter gestorben war, als er noch ein Baby war. Er wusste gar nicht, wie sie in Wirklichkeit ausgesehen hatte, er kannte sie nur von Bildern.

«Ich kenne meinen Vater auch nur von einem Foto», wollte Sara sagen, aber sie unterließ es, denn ihr Vater war nicht tot, und sie wusste außerdem nicht, ob der Mann neben ihrer Mutter auf dem Foto wirklich ihr Vater war.

Victor hatte plötzlich eine blendende Idee. «Soll ich dir bei den Aufgaben helfen?»

Jetzt? Das war wohl das Letzte, wozu Sara Lust hatte. «Nein, ich kann es ja doch nicht.»

«Natürlich kannst du.» Er wollte es ihr so gerne zeigen.

«Ich habe aber keine Lust», sagte Sara ehrlich.

Aber Victor meinte, dass Rechnen ihm Spaß mache.

Wie kann Rechnen denn bloß Spaß machen?, fragte sich Sara.

Aber Victor ließ nicht locker. «Es ist doch lustig, wenn du etwas ausrechnen kannst.»

«Was denn?» Sara begriff nicht, was daran so lustig sein sollte.

«Na, wie lang du schon lebst und wie lang du schon zur Schule gehst.»

Wer kam denn auf die Idee auszurechnen, wie lang man schon zur Schule ging! «Du musst doch immer zur Schule gehen», sagte sie lachend.

Aber Victor schüttelte energisch den Kopf. «Ich nicht, weißt du, ich bin nur selten zur Schule gegangen.»

Sara sah ihn forschend an. Wie konnte es sein, dass er nur selten in der Schule gewesen war? Er war doch so klug.

Er steckte die Hände in die Taschen. «Ich bin krank gewesen.»

Sara nickte verständnisvoll, wagte aber nicht zu fragen, was er denn gehabt hatte.

Da erschien Victors Vater in der Tür und fragte, ob sie Tee trinken wollten.

4

Victors Vater schenkte Sara einen großen Becher Tee ein, und sie durfte so viele Kekse essen, wie sie wollte. Als sie den ersten Becher ausgetrunken hatte, bekam sie gleich noch mal Tee, und sie nahm sich auch noch einen Keks.

Victor klagte über Kopfweh, und sein Vater gab ihm eine kleine rosa Tablette. Sara sah, wie er sie geübt herunterschluckte. Sie konnte sich nicht entsinnen, je eine Tablette bekommen zu haben, aber sie war ja auch nicht schwer krank gewesen.

Jetzt setzte Victors Vater sich zu ihnen. Er trug dieselben Kleider wie gestern und meinte, die seien so bequem, warum sollte er denn dann andere anziehen. Ein bisschen schmutzig sei doch nicht schlimm, wenn sie nur nicht müffelten. Er fragte, ob denn der Lehrer nett sei und ob Victor einen guten Platz in der Klasse bekommen habe und ob er alles verstehen könne. Victor erzählte, dass er neben Sara hatte sitzen wollen, aber der Lehrer es nicht erlaubt hatte.

«Durftest du nicht neben Sara sitzen? Warum denn das nicht?»

«Das wissen wir nicht», antworteten die Kinder wie aus einem Mund.

«Und der Lehrer wollte es auch nicht erklären?»

Die Kinder schüttelten den Kopf.

«Na, was ist denn das für ein Blödsinn?» Victors Vater schien das alles sehr seltsam zu finden.

Es gefiel Sara, dass Victors Vater den Lehrer nicht verstand. Sonst verstanden immer alle den Lehrer, sogar ihre Mutter, nur sie selbst nicht. Mit einem Mal fühlte sie sich nicht mehr so allein.

Victor wollte Sara so gerne bei den Hausaufgaben helfen, und schließlich gab sie nach und holte ihr Rechenbuch aus der Schultasche. Während sein Vater weiter im Laden aufräumte, fing Victor an, ihr eine Aufgabe zu erklären. «Hörst du mir zu?»

«Ja … Ja.» Aber sie hörte gar nicht zu. In dem Laden gab es so viel zu bestaunen! Dort standen seltsame Autos und verrostete Eisenbahnen, und manchen Tieren fehlte ein Ohr oder ein Auge. Trotzdem fand Sara die Tiere schön.

«Zweimal dreizehn ist …»

Sara sah Victor an, und der wurde jetzt ungeduldig.

«Sechsundzwanzig. Sechsundzwanzig minus fünf ist …»

Sie hatte gar keine Lust. «Ich frage meine Mutter, ob sie mir hilft», sagte sie.

«Aber du weißt es doch, oder?»

«Nein, ich weiß es nicht!» Sara wurde böse. Jetzt glaubte Victor auch schon, dass sie nur so tat, als wüsste sie es nicht. Sie schlug das Rechenbuch zu.

Victor erschrak, er wollte ihr doch helfen.

Sein Vater drehte sich um. «Ihr könntet doch etwas tun, was Sara gefällt?»

«Aber Sara will ja gar nichts», sagte Victor bekümmert.

«Auch nicht Fahrrad fahren oder zeichnen oder ein Spiel spielen?»

Sara wollte ihre Jacke schon anziehen, aber jetzt blieb sie stehen. Ja, sie wollte gerne spielen, vor allem …

Aber nein, das durfte sie bestimmt nicht.

Victor sah seinen Vater an. «Aber du begreifst es nicht. Sie ist schlecht in der Schule, und vielleicht wird sie nicht versetzt!»

Nun sah auch Sara Victors Vater an. Nein, natürlich wusste er das nicht. Sie selbst wusste es genau, aber sie wollte trotzdem nicht rechnen.

«Und glaubst du, dass du ihr hilfst, wenn du ihr etwas beibringen willst, was sie nicht mag? Ich habe dir doch nie etwas beigebracht, was du nicht gerne getan hast.»

«Ich rechne gerne», sagte Victor betreten.

«Das war auch nicht von Anfang an so.»

Victor dachte nach, und dann erinnerte er sich, wie sein Vater ihm das Rechnen beigebracht hatte. «Soll ich dir zeigen, wie mein Vater am Anfang mit mir gerechnet hat?»

Nein … Dazu hatte Sara nun wirklich keine Lust. Sie zog ihre Jacke an.

Victor warf seinem Vater einen Blick zu, der zu sagen schien: Siehst du wohl? Aber der Vater schlug vor: «Weißt du was, Sara, du darfst selbst sagen, was du lernen möchtest. Du darfst dir alles wünschen.»

Wirklich alles? Sara hielt den Atem an und drehte sich zum Schaufenster um. Die Sonne schien herein, und das Schachspiel glänzte so schön wie noch nie.

«Möchtest du Schach spielen?», fragte Victors Vater überrascht.

Sara nickte zögernd. «Aber das ist viel zu schwer, oder?»

Victors Vater lachte. «O nein, das ist gar nicht schwer. Du wirst es bestimmt lustig finden.»

«Paps, darf ich das schöne Spiel holen?» Victor strahlte. Endlich mal jemand, mit dem er Schach spielen konnte außer mit seinem Vater.

Im Nu hatte Sara ihre Jacke wieder ausgezogen. Gleich darauf hielt sie das Schachbrett in ihren Händen. Mit Victor zusammen trug sie es ganz behutsam zum Tisch. Die Königin schaukelte sanft hin und her, und Sara sah auch jetzt wieder, wie sie lächelte!


Victor holte das Buch «Lang lebe die Königin». Es war ein schönes Buch mit lustigen Bildern, und darin wurde die Geschichte von der weißen Königin erzählt.

Sara sah, dass die Königin sich streckte und sie freundlich anblickte.

Victor begann vorzulesen. Er gab sich große Mühe, es spannend zu machen.

Es waren einmal ein König und eine Königin, die lebten in einem großen Schloss auf einem hohen Berg, weit weg von hier.

Sie waren eigentlich immer glücklich gewesen, bis der König eines Tages anfing, sich zu langweilen, schrecklich zu langweilen. Er saß auf seinem Himmelbett und trug einen glänzenden Morgenrock und bunte Hausschuhe. Der Bommel an seiner Schlafmütze baumelte munter um seinen Kopf, während er missmutig in einem Buch blätterte. Dann warf er das Buch fort und sah sich um, ob er nicht etwas anderes anfangen könnte.


Victor schaute auf, um zu sehen, ob Sara auch zuhörte. Und wirklich hörte sie zu, sehr gut sogar. So gut hörte sie sonst nicht einmal zu, wenn ihr Großvater ihr eine spannende Geschichte vorlas.

Plötzlich meinte der König etwas zu hören. Jawohl, er hörte Schritte. Schnell löschte er das Licht und kroch unter die Decken. Die Schritte kamen immer näher. Er hörte es schon: da kam seine Frau, die Königin. Er kroch noch tiefer unter die Decken. Er wollte ihr zeigen, wie unglücklich er war. Zwischen den Leintüchern hindurch spähte er nach der Tür.

Die Königin betrat das Zimmer. Sie sah freundlich aus, wie immer, und leise ging sie zum Fenster. Als sie die Läden öffnete, flutete das warme Sonnenlicht ins Zimmer. Sofort sah alles viel fröhlicher aus.

«Ist es nicht ein schöner Tag, ein ganz herrlicher Tag?», sagte sie, und das Licht funkelte in ihren grünen Augen. Tief atmete sie die frische Luft ein.

Der König wurde böse. Sah sie denn nicht, wie erbärmlich es ihm ging? Laut sagte er: «Es ist ja immer soo wunderschön!»

Aber die Königin überhörte sein mürrisches Gebrumme. Sie schaute hinab in das Tal, wo die Menschen am Ufer des glänzenden Flusses saßen und angelten.

«Wollen wir heute einen schönen Spaziergang machen?», fragte sie.

«Ich will nicht spazieren gehen, ich habe schon alles gesehen.»

«Alles?»

«Ja, alles. Was ist denn das für ein König, der den ganzen Tag spazieren geht. Nirgends ist Krieg, nirgends herrscht Hungersnot. Alle sind glücklich, außer mir!»

Die Königin sah ihn an und setzte sich dann auf den Rand des Bettes. Sie konnte nichts dafür, sie musste immer ein bisschen lachen, wenn ihr Mann sich so anstellte.

Der König machte ein noch kläglicheres Gesicht. «Du verstehst mich nicht. Ich langweile mich!»


«Mein armer Schatz.»

«Wenn ich einen Krieg führen könnte …», schmollte er und sah seine Frau dabei erwartungsvoll an.

«Krieg!» Die Königin lachte nicht mehr, es lief ihr kalt den königlichen Rücken hinunter.

«Ja. Ich verstehe nicht, was du gegen einen Krieg hast. Länder erobern und …»

Der König hielt inne, denn jetzt sah die Königin sehr unglücklich aus. Wieder verschwand er wie ein verwöhntes Kind unter den Decken. «Ich langweile mich so, ganz furchtbar schrecklich sehr …»

Die Königin begriff, dass er es ernst meinte. Und sie wusste auch, wenn jetzt nicht schnell etwas geschah, würde der König einen Krieg anfangen.

Auf dem großen Schlosshof saß die Hofdame und stickte. Die Hofdame war die beste Freundin der Königin, schon seit der Zeit, als die Königin noch eine kleine Prinzessin war. Seit damals erzählte die Königin ihr alles, und das tat sie auch jetzt.

Krieg! Die Hofdame erschrak so, dass sie sich in den Finger stach. Sie mochte den Krieg genauso wenig wie die Königin. Vor allem, weil der König meistens verlor und dann furchtbar zornig wurde. Und so viele verwundete Soldaten, und überall die zerschossenen Mauern … Konnten sie denn nicht einfach das Gänschenspiel oder Mensch-ärgere-dich-nicht spielen? Das war doch so geruhsam.

Aber die Königin schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Lust mehr auf Mensch-ärgere-dich-nicht.

«Na, weißt du nicht mehr, wie zufrieden der König war mit dem Würfel, der immer nur Sechser würfelte?» Die Hofdame entsann sich, dass der König es nicht einmal gemerkt hatte.

Tief in Gedanken ging die Königin auf und ab. Plötzlich blieb sie stehen. Sie hatte sich offensichtlich etwas ausgedacht. Die Hofdame ließ ihren Stickrahmen sinken.

«Wie wäre es, wenn wir uns selbst ein Spiel ausdenken würden?», sagte die Königin. «Ein schönes und interessantes Spiel, ein Spiel, das wir auch mögen und das nie langweilig wird. Ein Spiel speziell für den König.»

Die Hofdame konnte sich ein solches Spiel gar nicht vorstellen, aber die Königin schien ganz begeistert zu sein. Sie nickte ihr aufmunternd zu.


Sara freute sich. Sie wusste, welches Spiel die Königin meinte. «Schach!»

5

Während die Königin über die weißen und schwarzen Steinplatten des Schlosshofes hin und her ging und angestrengt nachdachte, stickte die Hofdame zufrieden und leise vor sich hin summend weiter. Ihre Königin dachte sich ein Spiel aus, ein spannendes Spiel, damit der König sich nie mehr langweilen musste. Dann hätte er gar keine Zeit mehr, Krieg zu führen.

Die Hofdame konnte sich nicht vorstellen, wie schwer es ist, sich ein Spiel auszudenken. Sonst hätte sie nicht so sorglos dagesessen und vor sich hin gesummt.

Ein Spiel für den König?, überlegte die Königin. Was würde er am liebsten tun? Ja, Krieg führen! Schon bei dem Wort lief es ihr wieder kalt über den Rücken.

Trotzdem brachte gerade dieser Gedanke sie auf eine neue Idee. Wie wäre es mit einem Kriegsspiel … Dann könnte der König so viel Krieg führen, wie er wollte, ohne dass jemand verwundet würde. Das war gut. Also müsste ein König im Spiel sein! Die Königin schaute sich um und sah den Lakaien, der am Tor Wache hielt.

Zwar sah der Lakai ihrem Mann gar nicht ähnlich – der war nämlich groß und kräftig und hatte ein kleines Bärtchen auf den runden Backen, während der Lakai dünn und lang war und hübsche Locken hatte, die bis auf seine Schultern herabfielen –, aber solange der König selbst nicht mitspielte (er durfte doch nicht wissen, dass sie sich ein Spiel ausdachte), konnte der Lakai seinen Platz einnehmen.

«Wärst du bitte so freundlich, hierher zu kommen?», fragte die Königin liebenswürdig.

Der Lakai schrak auf. Sprach die Königin mit ihm?

«Ich?»

«Ja, du. Kannst du mal den König spielen?»

Der Lakai traute seinen Ohren nicht. Er sollte den König spielen? Die Königin zeigte auf eine weiße Platte auf dem Schlosshof. «Stell dich bitte dahin.»

Der magere Lakai versuchte, den schweren Gang des Königs nachzuahmen. Das war gar nicht so einfach. Er stolzierte auf die Platte zu und stellte sich mitten drauf. «So, und was soll ich jetzt tun?»

«Vorläufig nichts», antwortete die Königin. Sie sah sich den Lakaien an, der kerzengerade auf der Platte stand. So, der wäre also der König. Aber eigentlich recht einsam, fand sie. Und dann fiel ihr plötzlich noch etwas ein, etwas Lustiges. Sie stellte sich neben den Lakaien, sah ihn schalkhaft an und sagte: «Weißt du was? Ich spiele auch mit!»

Der Lakai räusperte sich vernehmlich.

Erstaunt sah ihn die Königin an. War es ihm denn nicht recht?

«Verzeiht, aber Ihr steht auf der falschen Seite. Ihr solltet links vom König stehen», meinte der Lakai diskret.

«Ach so. Wie dumm von mir. Das hätte ich doch glatt vergessen», sagte die Königin munter und tauschte mit zierlichen Schritten die Plätze mit ihm. Es sah fast aus, als ob sie tanzten.


Jetzt wollte die Königin sich aber merken, wo sie zu stehen hatte, damit sie es nicht noch einmal falsch machte.

Sie schaute an sich herunter und sah, dass sie auf einer weißen Platte stand. Weiß! Das war einfach, denn es war die Farbe ihres Kleides. Sie betrachtete ihre Hände: Wenn der König auf der Seite ihrer Schreibhand, also rechts von ihr, stand und wenn sie auf der anderen Seite, also links, eine schwarze Platte sah, dann stand sie richtig.

Eigentlich war es ganz einfach!

Als sich herausstellte, dass die Königin bei dem Spiel mitmachte, ging alles sehr schnell. Denn nun wollte die Hofdame auch mitspielen, und weil sie das durfte, musste der Ratsherr des Königs ebenfalls dabei sein, sonst wäre es ja ungerecht gewesen.

Der Ratsherr betrat gereizt den Schlosshof, er hatte doch keine Zeit zum Spielen!

«Ach, wärt Ihr wohl so freundlich, Euch neben den König zu stellen?», bat die Königin.

Welchen König?, fragte sich der Ratsherr missmutig. Am liebsten hätte er sofort kehrtgemacht, aber seine Königin schaute ihn freundlich an, und da konnte er es ihr nur schwer ausschlagen.

Der Lakai, dem die Hofdame eine Art Pappkrone aufgesetzt hatte, winkte heftig mit seinem Taschentuch. «Ich bin der König!», jubelte er ausgelassen quer über den Platz.

Der Ratsherr seufzte. Mit Verrückten soll man nicht streiten.

Steif und aufrecht stellte er sich neben den Lakaien. «Das ist mir mal ein schönes Spiel!», sagte er etwas zu laut.

Die Hofdame schaute ihn giftig an. «Wir sind ja auch noch nicht fertig damit!»

Das kann man wohl sagen, dachte der Ratsherr, denn nun überlegte die Königin sich doch tatsächlich, ob sie nicht vielleicht die Pferde mitspielen lassen sollte!

Die Pferde! Diese schwerfälligen Biester, die nie mehr aufhörten zu reden, wenn sie einmal angefangen hatten, und alles zehnmal wiederholten! Nicht einmal anständig springen konnten sie. Er hatte im vorigen Krieg nicht wenig Probleme mit den dämlichen Tieren gehabt. Der Ratsherr wurde ganz wild, als er daran dachte.

Aber die Königin meinte, die Pferde könnten schließlich nichts dafür, und außerdem seien sie doch so anhänglich. Also wurden Karl und Kees – so hießen sie – herbeigerufen.

Und tatsächlich: Als die beiden hörten, dass ein neues Spiel ausgedacht werden sollte, erkundigten sie sich mindestens zehnmal, ob sie sich auch nicht verhört hätten.

«Ein Spiel? Hören wir richtig? Ein Spiel? Und wir dürfen mitmachen?»

Es war zum Verrücktwerden, fand der Ratsherr. Übrigens hatte er wahrhaftig anderes zu tun, denn der König hatte ihn am Morgen zu sich gerufen. In feierlichem Tonfall hatte er ihm mitgeteilt, dass bald ein Krieg geführt werden müsste. Und da der Ratsherr dann die Aufgabe hatte zu entscheiden, wie, wann und vor allem gegen wen Krieg geführt werden sollte, hatte er es jetzt schrecklich eilig.

Gerade, als er fand, jetzt sei es aber genug, kamen seine zwei Türme in den Hof gerollt. In jedem Turm schien ein Soldat zu sitzen, denn genau gleichzeitig erschienen zwei Köpfe über den Zinnen.

«Ratsherr, habt Ihr einen Moment Zeit für uns?», baten sie höflich. Ihr unterwürfiger Ton gefiel dem Ratsherrn ganz besonders. Er hatte sie nämlich selbst erfunden, diese Türme auf Rädern.

Mit der erforderlichen Lässigkeit sagte er: «Ich komme sofort!»

«Was ist das?», fragte die Königin neugierig.

«Eine kleine Erfindung von mir», sagte der Ratsherr stolz. «Ich dachte, es könnte praktisch sein, im nächsten Krieg Türme auf Rädern zu haben. Das eröffnet nämlich ungeahnte …»

Die Miene der Königin hellte sich auf. Noch bevor der Ratsherr sich über die ungeahnten Möglichkeiten verbreiten konnte, fiel sie ihm ins Wort.

«Sehr gut, Leute. Kommt nur her. Einer hier und einer da.» Sie wies den Türmen ihre Plätze zu, neben den Pferden, auf den Ecken der schwarz-weißen Fläche.


Dem Ratsherrn rutschte das Herz in die Hose. Wie sollte er ohne …? Er wollte etwas sagen, kam aber nicht dazu, denn zu seinem Entsetzen stürmten eben jetzt seine acht besten Soldaten herbei. Wenn die auch noch mitspielten, konnte er im nächsten Krieg niemanden mehr kämpfen lassen!

Die Soldaten stellten sich in einer Reihe vor die anderen hin.

«Und jetzt?» Der Ratsherr hoffte, dass das Spiel bald vorbei sei.

«Und jetzt wollen wir Krieg führen», sagte die Königin munter.

Krieg? Genau! Na ja, zum Glück war sie nicht ganz verrückt geworden. Der Ratsherr trat aus seiner Reihe. «Sehr gut, dann kann ich ja gehen!»

Aber die Königin hielt ihn zurück. «Nein, Ihr bleibt hier! Ihr müsst uns doch erklären, wie man Krieg führt!», sagte sie freundlich.

Der Ratsherr schaute sie misstrauisch an. War das ihr Ernst?

«Das wollt Ihr gar nicht wissen», sagte er.

«Doch, ich will es wissen.» Wieder blickte sie ihn unschuldig an.

«Gut. Zuerst braucht man einen Gegner.»

«Ach, natürlich. Wie konnte ich das vergessen! Wir werden das Königspaar aus dem Nachbarreich bitten», sagte sie eifrig.

«Den Nachbarkönig?» Diesen grässlichen König? Das konnte doch nicht wahr sein …

«Und seine Frau.» Die Königin freute sich sichtlich auf deren Kommen.

«Aber denen wollten der König und ich doch gerade den Krieg erklären …», stammelte der Ratsherr.

«Solch schlechtes Benehmen kommt gar nicht in Frage!», sagte die Königin entschlossen.

Da erhob der Ratsherr gegen seine sonstige Gewohnheit die Stimme.

«Ihr wisst, wie der König über sie denkt. Es sind schreckliche Leute, die glauben, das Leben sei spaßig.»

«Ach was!», antwortete die Königin herablassend. «Zufällig sind es nette Leute, die eben nicht die ganze Zeit an Krieg und ans Kämpfen denken.» Sie winkte ihre Hofdame herbei. «Bitte die Nachbarkönigin, so schnell wie möglich zu kommen», befahl sie ihr.

Der Ratsherr resignierte. Er hatte sein Möglichstes getan, und das würde er dem König auch berichten, wenn das Spiel vorgeführt wurde. Der König würde toben!



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