Kitabı oku: «Skyle», sayfa 8

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• 21 •

Ich werde diese Mode nie verstehen«, murmelte Fly, als zwei Gäste mit blau gefärbter Haut zum Eingang der Salzgrotten gingen.

Juuba starrte den beiden Männern unverhohlen hinterher. »Was passiert eigentlich, wenn die Farbe nicht wieder verschwindet?«, überlegte sie laut und Fly stellte sich unwillkürlich vor, wie die Hälfte des königlichen Hofstaats dauerhaft mit blauer Haut herumlief.

»Dann müssen sie hoffen, dass wir nie Krieg gegen das Moosvolk führen«, meinte sie.

Juuba lachte. »Stimmt, dann hätten sie ein Problem.«

Die Haut der Angehörigen des Moosvolks hatte alle Schattierungen von Maigrün bis Olivfarben, je nachdem, aus welcher Region von Skyle sie stammten. Vermutlich würde unter den blau gefärbten Mitgliedern des Hofes Panik ausbrechen.

Es war üblich und sogar erwünscht, dass man bei Hofe mit den Gegnern des Frühlingsreiches sympathisierte. Seit bekannt geworden war, dass die Frühlingskönigin plante, die Marinepräsenz im Sommerreich zu verstärken, dominierten Blau- und Schwarztöne die Kleidung. Besonders seit man von einer Offensive auf die Echsenkrieger munkelte, überschlug sich der Hofstaat mit Modespielchen.

Der Beitrag der Alchemisten waren die Mittelchen, mit denen die hohen Hofbeamten ihre Haut färbten. So liefen Männer und Frauen mit glänzender blauer Haut herum, auf der die schwarze Streifenzeichnung und den Stammestätowierungen nachempfundene Muster zu sehen waren. Die Färbung hielt nur wenige Stunden, aber allein die Vorstellung, dass den Alchemisten ein Fehler unterlief und die Haut hinterher blau blieb, war amüsant.

Die nächste Kutsche hielt vor den flachen Stufen, die zum Eingang der Salzgrotten hinaufführten. Die Aepicela vor der Kutsche schnaubten und stampften mit den zierlichen Hufen. Fly warf den hübschen Antilopen mit den gedrehten Hörnern einen sehnsüchtigen Blick zu. Viel zu lange war sie schon nicht mehr geritten.

Ihre eigene Aepicela, ein hübsches weißes Rassetier mit einer klaren Streifenzeichnung auf den Flanken, war in den Ställen des Glaspalasts von Jazli untergebracht. In den letzten Wochen hatte sie kaum Zeit für sich gehabt. Fly beschloss, am nächsten Morgen auszureiten.

Ein Diener öffnete den Verschlag der Kutsche und zwei hochgewachsene Echsenkrieger stiegen aus. Fly kannte sie, sie waren Gesandte der Stämme. Juuba und sie knicksten tief, als sie vorbeigingen.

»Was sie wohl von der Farbe halten?«, fragte Juuba leise.

»Keine Ahnung. Aber sie dürften die Eskapaden des Hofes inzwischen gewohnt sein.« Wenn Fly sich richtig erinnerte, waren diese beiden Gesandten schon seit einigen Jahren in Jazli. Vermutlich waren sie selbst inzwischen so tief in das Netz aus Intrigen und Oberflächlichkeit verstrickt, die den Frühlingshof ausmachten, dass es sie kaum interessierte.

Charles, der Hauptmann der Leibgarde, trat an sie heran, um ihren Bericht zu hören. Fly und Juuba waren an diesem Abend für die Sicherheit des Geländes zuständig und deswegen bereits seit dem frühen Nachmittag vor Ort.

Charles nickte, als sie ihren Report beendet hatten. »Coline und Félix lösen euch ab.«

Fly und Juuba sahen ihn verblüfft an. »Jetzt schon?«, fragte Juuba. »Aber wir haben bis Mitternacht Schicht.«

»Ihre Majestät hat strikte Anweisung gegeben, dass ihr euch zu amüsieren habt. Also amüsiert ihr euch.«

Fly verengte die Augen. »Hat sie das wirklich gesagt?«

Charles lachte. »Nein, aber sie sagte, dass sie sich freuen würde, dich im Laufe des Abends zu sehen. Apropos.« Er wies mit einem Kopfnicken zu der Kutsche mit dem königlichen Wappen, die die Einfahrt herauffuhr. Sofort sanken Juuba und Fly in einen tiefen Knicks, während Charles sich verbeugte.

Die Königin und eine Hofdame kamen die Stufen herauf, ins Gespräch vertieft. Vor Fly und Juuba hielten sie kurz an. Die beiden hoben die Köpfe. Ihre Majestät bedeutete ihnen mit einer kleinen Handbewegung, ihr zu folgen. Fly warf Charles einen schnellen Blick zu, der kaum merklich nickte, ehe sie und Juuba hinter der Königin die Salzgrotten betraten.

Das Licht der Kronleuchter wurde glitzernd von den stuckverzierten Wänden und weißen Möbeln zurückgeworfen, die wie alles hier aus Steinsalz bestanden. Die Gäste flanierten in Grüppchen oder zu zweit durch die Säle, unterhielten sich gedämpft oder lauschten der Musik des kleinen Ensembles im mittleren Saal.

Die Königin glitt durch die Menge, wohlwollend und zurückhaltend wie immer. Doch Fly wusste, dass die Königin auch unbarmherzig und skrupellos sein konnte, genauso wie sie manchmal jähzornig und brutal war. Sie war von Anfang an dabei gewesen. Fly hatte die Ermordung ihres Prinzgemahls ebenso miterlebt wie den Aufstieg des Frühlingsreiches zur alchemistischen Großmacht. Ihre Majestät spielte in jeder Situation ihre Rolle perfekt.

Heute Abend trug die Frühlingskönigin eine imposante, mitternachtsblaue Robe. Ihre bleiche Haut hob sich stark von dem glänzenden Stoff ab. Eine Kette aus kostbaren schwarzen Perlen zierte ihr Dekolleté, schwere tropfenförmige Ohrringe fingen das Licht der Kronleuchter und Kerzen ein und brachen es funkelnd. Ihr langes dunkelbraunes Haar war kunstvoll aufgetürmt. Sie hatte auf Schleifen und Perlen verzichtet, sodass die natürliche Fülle ihres Haares ihr einziger Schmuck war.

Obwohl ihr zierlicher Körper dank der Künste der königlichen Alchemisten jung geblieben war, konnte man vom Gesicht der Königin ihr wahres Alter ablesen. In den letzten Monaten hatte sich um ihre Augen und die Mundwinkel ein Netz aus feinen Fältchen gebildet, und die Blässe ihrer Haut wirkte unnatürlich, beinahe weiß. Die dunklen Haare der Königin waren von silbernen Fäden durchzogen, kaum sichtbar im gedämpften Licht der Salzgrotten.

Fly fand nicht, dass diese Dinge der würdevollen Ausstrahlung Ihrer Majestät einen Abbruch taten, im Gegenteil: Sie wirkte reifer, bestimmter, weiser. Und die grünen Augen der Königin, die Flys so ähnlich waren, versprühten noch immer dieselbe Energie wie vor fünfzig Jahren, als sie sich das erste Mal getroffen hatten. Fly verehrte sie. Wenn es sein musste, würde sie für die Frühlingskönigin in den Tod gehen.

»Was hälst du von den Gerüchten?«, holte Juuba sie in die Gegenwart zurück.

»Welche? Es gibt zu viele, ich habe den Überblick verloren.«

»Die von der Offensive«, sagte Juuba mit gesenkter Stimme und betrachtete den Rücken der Königin. »Glaubst du, sie will wirklich die Echsenkrieger angreifen?«

Fly wiegte den Kopf und dachte an den letzten Wochenreport. »Wir hätten die Mittel dazu.«

»Hm. Was denkst du über die Exorzisten?«

Fly blieb stehen. »Woher weißt du davon?«

Juuba schnaubte. »Also bitte! Dieser Hof lebt von Gerüchten! Das weißt du besser als ich!«

Fly setzte sich erneut in Bewegung, um den Anschluss an die Königin nicht zu verlieren. »Ich weiß es nicht. Aber ich kann mich umhören.«

»Frag Magpie, wenn du ihn das nächste Mal siehst.«

Fly verzog das Gesicht. »Lieber nicht.« Sie konnte den Marinedrachen nicht ausstehen.

»Was hast du eigentlich gegen ihn?«

»Er ist ein Drache«, antwortete Fly mit finsterer Miene und beobachtete, wie der neue Verteidigungsminister zur Königin trat. »Das reicht.«

Sie standen in der Nähe des Musikensembles und konnten deswegen nicht hören, was der Minister zu sagen hatte, doch die Königin nickte und entließ Fly, Juuba und ihre Hofdame mit einer Handbewegung. Der Minister verbeugte sich tief und geleitete die Königin in eine Suite am Rande der Säle. Juuba und Fly sahen ihnen nach.

»Und jetzt?«, fragte Juuba.

»Jetzt suchen wir uns etwas zu essen. Ich sterbe vor Hunger!« Flys Magen knurrte zustimmend und Juuba lachte.

Nachdem sie dem Buffet einen Besuch abgestattet hatten, streiften sie eine Weile durch die Säle. Tiefer in den Grotten befanden sich die unterirdischen Soleseen, die dank der Zauber der Magieweber türkisblau leuchteten. Fly schmeckte das Salz auf den Lippen und roch den nassen Stein. Sie liebte diesen Ort, er hatte etwas Magisches.

In einer der Logen, die den größten der Seen umgaben, hatte sich eine Handvoll Hofdamen und Offiziersanwärter zusammengefunden. Ihre Ausgelassenheit war ansteckend, und als einer von ihnen Fly und Juuba heranwinkte, folgten sie der Einladung, ohne zu zögern. Ehe sie sich versahen, war eine laute Feier im Gange.

Fly war überrascht, als jemand die kleine Kristallglocke in der Eingangshalle der Salzgrotten schlug und damit das Zeichen zum Aufbruch gab. Die Zeit war wie im Fluge vergangen. Sie erhob sich wehmütig, denn sie hatte schon lange nicht mehr so viel gelacht wie an diesem Abend. In der Ferne ertönte die Glocke ein weiteres Mal. Ihr Klang schwebte wie ein Signal aus einer anderen Welt durch die Grotte. Fly lauschte, bis der letzte Glockenschlag verklungen war.

Juuba knuffte sie in die Seite, als sie die Loge verließen. »Der Typ aus dem Winterreich, der mit den kurzen braunen Haaren, starrt dir die ganze Zeit hinterher!«

Fly wusste, wen Juuba meinte. Der junge Mann war ihr mit seinen intelligenten Kommentaren bereits aufgefallen. »Lass ihn«, sagte sie. Sie würde ihn ein wenig zappeln lassen.

Juuba lachte. »Du bist ein Biest!«

»Er darf sich ruhig ein bisschen anstrengen.« Ein drittes Mal ertönte die Kristallglocke. »Die Königin wird sich gleich auf den Weg machen. Wir sollten sie nicht warten lassen.«

Juuba grinste. »Ganz, wie du willst.«

• 22 •

Sonnenlicht durchflutete die Räume des alten Herrenhauses im Süden des Herbstreiches. Der Wald ringsum hatte bereits vor langer Zeit die weitläufigen Gartenanlagen und die Seitenflügel des halb verfallenen Gemäuers zurückerobert. Kleine Bäume wuchsen aus den Fensteröffnungen, deren Scheiben zersplittert am Fuße des Steinhauses lagen. Ranken bildeten verschlungene Muster auf ihrem Weg ins Innere. Zwischen den Steinplatten im Eingangsbereich und auf der Terrasse hatte sich Gras angesiedelt und Moos wuchs auf den roten Tonziegeln, die einst mit dem Dachgebälk ins obere Stockwerk eingebrochen waren. Die Pracht des alten Herrenhauses war schon lange Vergangenheit.

Die beiden Menschen näherten sich vorsichtig der Ruine. Immer wieder blickten sie sich um, prüften, ob niemand ihnen gefolgt war. Dies waren gefährliche Zeiten.

Der Wind fuhr Ida durch das lange gelbbraune Haar und bauschte Tronds dunkelroten Umhang auf. Er trug den vertrauten Geruch des Nordwinters mit sich, obwohl diese Region des Herbstreiches stets vom Schnee verschont blieb.

Plötzlich erstarrten die beiden. Wie auf ein geheimes Kommando zogen sie ihre Waffen. Ida spannte ihren Langbogen aus schwarzem Holz, während Trond zwei Krummdolche aus den Scheiden zog. Kaum hatten sie sich kampfbereit gemacht, als sie auch schon von einem halben Dutzend hell gewandeter Gestalten umzingelt wurden. Sie trugen lange Stoffbahnen um den Kopf, die ihre Haare und den Großteil ihrer Gesichter verbargen. Die verschiedenen ungewöhnlichen Augenfarben konnten sie allerdings nicht verstecken. Das hier waren Drachen, keine Menschen. Heron hatte richtig gelegen.

Ida und Trond ließen ihre Waffen sinken.

»Wir kommen mit friedlichen Absichten!«, rief Trond.

Eine der Gestalten trat vor. Ihre goldgelben Raubtieraugen blitzten. »Was wollt ihr?« Die Stimme verriet, dass es eine Frau war.

»Wir sind Mitglieder der Winterrebellen. Andor, der Prinz des Winterreichs schickt uns. Wir möchten mit der Drachenkaiserin Scarab sprechen.«

»Die Kaiserin spricht nicht mit Unterhändlern«, sagte die Frau mit den Raubtieraugen. »Der Prinz sollte es besser wissen, als zwei seiner Gefolgsleute zu schicken!«

Ida trat vor. »Der Prinz weiß darum, aber die derzeitige Situation erlaubt es ihm nicht, die Winterinseln zu verlassen. Er bittet trotzdem um eine Audienz bei der Drachenkaiserin, auch wenn er nicht persönlich zugegen sein kann.«

Die Drachin schüttelte den Kopf. »Es werden keine Ausnahmen gemacht.«

Ida verzog das Gesicht. Sie hatten befürchtet, dass so etwas geschehen würde.

»Aber …«, setzte Trond neben ihr an, doch sie legte ihm eine Hand auf den Arm.

»Lass gut sein. Du hast sie gehört.« Ida verbeugte sich vor der Drachin. »Vielen Dank für Eure Zeit. Entschuldigt die Störung.«

Die Haltung der Raubtierfrau entspannte sich und sie hob die Hand, um die Stoffbahn abzuwickeln, die ihre Haare verdeckte. Ein kurzer feuerroter Haarschopf kam zum Vorschein. Sie lächelte die beiden Rebellen an.

»Das Gesetz der Gastfreundschaft gebietet es uns, euch ein Nachtquartier und Verpflegung anzubieten.«

Erleichterung durchströmte Ida. Wenn sie nicht sofort wieder weggeschickt wurden, fanden sie eventuell doch noch eine Möglichkeit, Scarab ihr Anliegen vorzutragen. Sie war nicht gewillt, die Hoffnung so schnell aufzugeben. »Habt vielen Dank. Es war ein langer Weg, wir nehmen das Angebot gerne an.«

Die Rothaarige gab den anderen vermummten Gestalten ein Zeichen. So lautlos, wie sie gekommen waren, verschwanden sie wieder. Sie blieb im Eingang des Herrenhauses stehen und wartete, bis Ida und Trond zu ihr aufgeschlossen hatten. Dann betrat sie die Ruine.

»Mein Name ist Cougar«, sagte sie und ging voran. »Ich bin die oberste Befehlshaberin in der Leibwache der Kaiserin. Ich möchte euch in ihrem Namen willkommen heißen, auch wenn eure Reise vergebens war.«

»Schön, dich kennenzulernen, Cougar. Ich bin Ida und das hier ist mein Gefährte Trond. Wir sind Mitglieder in den Rebellentruppen des Winterprinzen und gehören zu seinem Beraterstab.«

»Ich weiß«, sagte Cougar über die Schulter.

Ida senkte den Kopf. »Wir dachten uns, dass ihr informiert seid.«

»Wissen ist Macht, besonders in solch unruhigen Zeiten wie diesen«, entgegnete Cougar.

Sie berührte die nächste Steinwand, die daraufhin lautlos verschwand und einen Gang offenbarte. Ida wechselte einen schnellen Blick mit Trond. Sie bekamen nicht oft den Einsatz von Magie zu sehen. Die menschlichen Mitglieder der Winterrebellen verfügten nicht über sie, und Heron und Marmoset zeigten ihre Kräfte selten.

»Nach euch.« Cougar machte eine auffordernde Geste zum Durchgang, aus dem Fackelschein fiel.

Zögernd gingen sie weiter. Cougar folgte ihnen und verschloss den Zugang hinter sich, ehe sie sich an ihnen vorbeischob und sie durch weitere Gänge und über eine Treppe hinab zu einer Holztür führte. Dort angelangt, drehte sie sich zu den Rebellen um. Offenbar würden sie nicht näher als bis hier an die Drachenkaiserin herankommen.

»Dies ist euer Quartier für die kommende Nacht.«

»Habt Dank für eure Gastfreundschaft.« Wieder verbeugte sich Ida vor der Frau mit den Raubtieraugen.

Cougar winkte ab. »Keine Ursache. Ruht euch aus. Wenn ihr etwas braucht, scheut euch nicht, Bescheid zu sagen.« Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber doch noch einmal um. »Es tut mir leid, dass ich nicht mehr für euch tun konnte.«

»Nicht zu ändern«, antwortete Ida verständnisvoll. »Bestellt der Kaiserin unseren ergebensten Dank und die besten Wünsche.«

»Werde ich. Bis morgen früh.« Damit drehte sie sich um und verschwand im nächsten Gang. Das Letzte, was Ida und Trond von ihr sahen, waren ihre feuerroten Haare, die im Licht der Öllampen glänzten.

»Und jetzt?«, fragte Trond.

»Jetzt machen wir das Beste draus und holen Schlaf nach«, meinte Ida und öffnete die Tür. Im kleinen Kamin brannte ein Feuer, und ein Tablett mit Speisen stand auf dem Tisch.

»Sie wussten, dass wir kommen«, stellte Trond kopfschüttelnd fest und setzte sich auf eines der Betten.

»Überrascht dich das tatsächlich? Heron hatte so etwas doch schon vermutet.«

»Nein.« Trond seufzte. »Aber ich hatte mir mehr erhofft.«

»Vielleicht bekommen wir morgen noch eine Chance«, tröstete Ida ihn halbherzig. Nachdem Hound als Nördlicher Drachenkaiser abgelehnt hatte, den Winterrebellen zu helfen, brauchten sie Scarabs Unterstützung dringender denn je.

»Was erzählen wir den anderen, wenn wir zurückkommen?«, fragte Trond.

»Dass wir nichts erreichen konnten.« Ida setzte sich auf das zweite Bett und streifte ihre Stiefel ab. »Entweder Andor und Heron kommen selbst her, oder Scarab muss zu uns kommen.«

Trond betrachtete nachdenklich das Tablett mit Essen. »Glaubst du wirklich, die Drachenkaiserin wird die Winterrebellen unterstützen?«

»Kommt darauf an, wie sich die politische Lage entwickelt. Aber ich hoffe es. Wir können ihre Unterstützung gut gebrauchen.«

• 23 •

Die Straßen von Autonne Gale waren spiegelglatt und Eisblumen wuchsen an den Fensterscheiben. Zuvor hatte es noch heftig geregnet, und nach dem plötzlichen Kälteeinbruch war die regennasse Stadt in einen Eispanzer gehüllt. Es war bitterkalt.

Wolf stand am Fenster seiner Wohnung und blickte hinaus. Es war beinahe Mittwinter. Zu dieser Zeit war es stets dunkel und kalt. Dies war in vielerlei Hinsicht eine Zeit der Entbehrungen, doch er hatte den Eindruck, dass es dieses Mal besonders schlimm war. Die Bürger zitterten bereits vor den gefürchteten Steuererhöhungen der Frühlingskönigin, die in den nächsten Wochen auf sie zukommen würden. In diesem Jahr hatte es das Herbstreich schwer getroffen.

Wolf sah zu seinem Reißbrett hinüber. Die halb fertigen Baupläne erinnerten ihn an einen ganzen Stoß anderer Pläne, die es nun endlich fertigzustellen galt. Er überlegte, wie viel Zeit ihm noch blieb, bevor er die Metallteile im Tiegel abholen konnte. Glücklicherweise war vor ein paar Tagen endlich das Holz angekommen, das er geordert hatte. Das Handelsschiff mit der kostbaren Ladung hatte es gerade noch in den Hafen geschafft, ehe der Schneefall eingesetzt hatte.

Die Glocken des alten Tuchhallenturms läuteten das Ende des Markttags ein. Sie verrieten Wolf, dass er wieder einmal vergessen hatte, eine ordentliche Mahlzeit zu sich zu nehmen. Plötzlich merkte er, wie hungrig er eigentlich war. In der Küche warf er einen wenig hoffnungsvollen Blick in seinen leeren Vorratsschrank. Vorerst würde er sich mit einem Kaffee begnügen müssen. Er nahm die Kaffeedose und suchte zwischen Zeichenutensilien und Geschirr auf dem Küchentisch nach einem Löffel. Schließlich gab er auf und schüttete den Kaffee ohne abzumessen in den Filter, bevor er die Gasflamme des Sieders entzündete. Gebannt beobachtete er, wie das Wasser im unteren Glaskolben zu sprudeln begann und sich im dünnen Glasrohr nach oben durch den Filter drückte. Er war immer wieder fasziniert von der Einfachheit des Vorgangs und dem ausgeklügelten System des gläsernen Sieders. Langsam füllte sich die Kugel über dem Filter. Wolf atmete tief ein. Nichts ging über einen guten, frischen Kaffee.

Er hatte gerade den Schrank in der Hoffnung geöffnet, dort vielleicht einen sauberen Becher zu finden, als es klopfte. Verwundert ging er, um die Tür zu öffnen. Im dämmrigen Licht des Treppenaufgangs stand Raven, der eine in einen Kapuzenumhang gehüllte Gestalt in Wolfs Wohnung schob.

»Mach die Tür zu!«, knurrte Raven zur Begrüßung. Wolf folgte der Aufforderung.

Mürrisch wischte sich Raven die Schneeflocken vom schwarzen Mantel und schüttelte seine Kapuze aus. »Scheißwetter!«, fluchte er. »Kel war schwerer zu finden als ein Buschschwein im Dschungel!«

Wolf umarmte Raven freundschaftlich. »Gut, dass du ihn trotzdem gefunden hast.« Seine Augen leuchteten auf, als sie Ravens begegneten. Dann wandte er sich seinem zweiten Gast zu. »Kel. Schön, dich wiederzusehen.«

Kel schlug die Kapuze zurück. Zum Vorschein kam die lange, geschuppte Echsenschnauze eines Rjtak.

»Wolf!« Er umarmte ihn herzlich.

Wolf trat einen Schritt zurück, um seinen ehemaligen Lehrling zu betrachten. Sie hatten sich viel zu lange nicht gesehen. Kels Schuppenfarbe war wegen der Kälte draußen blasser als sonst, sodass seine schwarzen Stammestätowierungen deutlich zum Vorschein traten. Davon abgesehen sah der Rjtak genauso aus, wie Wolf ihn in Erinnerung hatte. Es würde eine Freude werden, wieder mit ihm zusammenzuarbeiten. Er klopfte Kel freundschaftlich auf die Schulter, dann kehrte er in die Küche zurück. »Werft eure Mäntel einfach da irgendwo hin. Ich habe gerade Kaffee gemacht. Wollt ihr auch eine Tasse?«

»Ich denke nicht, dass Kaffee eine gute Idee ist«, sagte Kel skeptisch und stieg über Wolfs Sachen.

»Kaffee ist immer eine gute Idee«, gab Wolf zurück, während er drei Becher abwusch. »Bitteschön!«, sagte er, als er sie auf den Tisch stellte und seine Zeichenutensilien mit einer Armbewegung auf den Boden fegte. Raven sah zur Wohnungstür und wechselte einen Blick mit Kel, ehe er sich setzte.

»Was hast du so getrieben, Kel?«, wollte Wolf wissen.

»Ich habe es mir im südlichen Herbstreich bequem gemacht und Schiffe abgewrackt.«

»Davon habe ich gehört. Du hast dir einen ziemlichen Namen gemacht.«

Kel lachte heiser. »Ja, ich nehme an, der Zerleger ist ein weiteres Schreckgespenst der Wolkenmeere geworden.« Er wirkte sehr zufrieden.

»Ich bin froh, dass Raven dich gefunden hat.«

Ravens Antwort beschränkte sich auf ein unwilliges Knurren.

»Ich hatte echt keine Ahnung, wo du steckst.«

Kel schmunzelte. »Unser letztes Treffen liegt inzwischen auch fast zehn Jahre zurück. Es wäre mir allerdings lieber gewesen, wenn du jemanden geschickt hättest, der weniger brutal vorgeht als Raven.«

Raven starrte teilnahmslos aus dem Fenster, als hätte er Kel nicht gehört. Wolf fiel erst jetzt auf, dass der hochgewachsene Echsenmann einen weißen Verband um den Schuppenkopf trug.

»Ich hatte Raven eigentlich darum gebeten, dich mir unversehrt zu bringen«, meinte Wolf entschuldigend.

Kel machte eine wegwerfende Handbewegung. »Kein Problem.«

»Nicht meine Schuld«, kommentierte Raven.

»Ich weiß um deine Kunst des Versteckspielens, Kel.« Wolf trank einen Schluck Kaffee. »Ich weiß nicht, ob dich jemand anderes als Raven gefunden hätte.«

Kel wiegte den Kopf. »Das stimmt vermutlich. Mit dem Geld, das wir für die Wonder bekommen haben, bin ich abgetaucht. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, um seine Spuren zu verwischen.«

Wolf klopfte Raven anerkennend auf die Schulter. »Gute Arbeit, Raven. Ihr seid genau zur rechten Zeit gekommen. Für dieses Projekt habe ich das alte Team zusammengetrommelt«, sagte er zu Kel gewandt. »Rensa und Coram sind auch vor zwei Tagen angekommen. Sturmerprobte Hände schaffen mehr.«

»Rensa? Die alte Schachtel lebt immer noch?« Kel lachte wieder. »Sieht aus, als würdest du wieder mal etwas Großes planen, Meister.«

Wolf rieb sich verlegen über den Nasenrücken. »Ich habe dir gesagt, du sollst mich nicht Meister nennen! Du bist vor mehr als sechzig Jahren bei mir in der Lehre gewesen!«

Kel sah ihn neugierig an. »Sag lieber, was hast du vor?«

In diesem Augenblick wurden in der Gasse vor dem Küchenfenster Stimmen laut. Stiefel dröhnten auf dem Kopfsteinpflaster, Befehle wurden gebrüllt. Wolf sah verwundert hoch. Kel fluchte und sprang auf. Raven befand sich bereits auf halbem Wege zum Flur.

»Gibt es einen Hinterausgang?« Er warf sich seinen Mantel über.

Wolf bejahte. »Durch das Fenster im Bad.«

»Vielen Dank!«, rief Kel Wolf zu und verschwand hinter Raven im Nachbarraum.

Wolf stand auf und schlenderte ihnen hinterher. Er lehnte sich gegen den Türrahmen und sah Kel dabei zu, wie er über die Badewanne kletterte. »Wir treffen uns in einer Stunde im White Dragon. Fragt die Besitzerin nach Coram und Rensa. Sie weiß Bescheid.«

Raven hockte bereits auf dem Fensterbrett. »Alles klar, den White Dragon kenne ich. Ich würde jetzt sagen: Tut mir leid wegen der Unannehmlichkeiten, aber eigentlich …« Er zuckte mit den Achseln.

Wolf grinste zurück. »Verschwinde, elender Unruhestifter!«

Raven schwang sich aufs Dach, Kel folgte. Wolf schloss das Fenster hinter ihnen. Zurück in der Küche räumte er die beiden Becher weg und versetzte den Raum in seinen üblichen chaotischen Zustand, indem er die Kleidungsstücke auf die Stühle zurücklegte und seine Zeichenutensilien wieder auf dem Tisch verteilte.

Schritte polterten die Treppe herauf. Gelassen nahm Wolf sich die neueste Zeitung und setzte sich erneut an den Küchentisch. Er schlug sie auf und trank einen Schluck Kaffee. Wenige Augenblicke später wurde seine Wohnungstür aufgebrochen. Gardesoldaten mit schussbereiten Gewehren und grimmigen Gesichtern stürmten herein. Ein Offizier in Uniform folgte ihnen.

»Durchsucht alle Räume!«, bellte er. »Ich will sie lebend!« Dann erst bemerkte er Wolf. Unwillkürlich nahm der Offizier Haltung an.

Wolf lehnte sich zurück, Kaffeebecher und Zeitung in der Hand, und sah ihn freundlich an.

»Kann ich den Herren vielleicht helfen?«

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