Kitabı oku: «An der Quelle des Lebens»
Eugen Drewermann
An der Quelle des Lebens
oder: Von Begegnung und Gespräch
Ausgewählt und herausgegeben von Heribert Körlings
Patmos Verlag
Inhalt
Vorwort
Lebendig? oder: Begegnung und Gespräch
Einbezogen? oder: die Natur und die Liebe
Geduldig? oder: bei mir selbst sein
Verständnisvoll? oder: Niemand ist freiwillig böse
Erfüllend? oder: der notwendige Andere
Verbindend? oder: Jesus, die Brücke zu Gott und zu den Menschen
Umfangen? oder: Vertrauen wagen
Unverzichtbar? oder: ein Leben vor und nach dem Tod
Engagiert? oder: miteinander unterwegs
Quellenverzeichnis
Über den Autor
Über den Herausgeber
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
Am Ende eines „schönen Gesprächs“,
wenn ein Mensch dahin kommt,
sich selber zu finden,
gelangt er zu einem Vertrauen,
das niemand zerstören kann,
schon weil es niemand zu erzeugen vermag.
EUGEN DREWERMANN
Vorwort
Mit seinem vielseitigen Werk möchte Eugen Drewermann dem einzelnen Menschen Lebenshilfe geben. Jeder und jede Einzelne kann und soll den eigenen Lebensweg gehen, ohne Schwierigkeiten und Sackgassen zu verleugnen. Drewermann weist auf die vielfältigen positiven Möglichkeiten des Einzelnen hin, sein Leben sinnvoll zu gestalten.
Die Kapitelüberschriften bestehen aus einer Frage und der damit verbundenen Perspektive. Als Wegweiser machen sie jeweils auf den Aspekt aufmerksam, unter dem ich die folgenden Texte ausgewählt habe.
Die Reihenfolge der Kapitel ist bewusst gewählt, die Leserinnen und Leser können aber ihre Lektüre an jeder beliebigen Stelle beginnen, die sie interessiert.
Der Aufbau des Buches:
Was macht mich lebendig? Gespräch und Begegnung dienen der Orientierung und schließen neue Möglichkeiten auf (1. Kapitel).
Wie bin ich in die Natur eingebunden? Inmitten der anderen Lebewesen besteht kein Grund zu selbstbezogener Überheblichkeit.
In der Liebe, der Beziehung zwischen Ich und Du, erfährt das Individuum sich selbst und den anderen als Person. Diese ist kein bloßes Exemplar. Die Person geht im Natur- und Gattungszusammenhang nicht auf (2. Kapitel).
Doch erlebt der oder die Einzelne auch Situationen, in denen er allein ist und allein sein muss. Verweilt er darin geduldig bei sich selbst, kann er sich neu kennenlernen und besser verstehen (3. Kapitel).
Den eigenen Möglichkeiten und Grenzen nicht auszuweichen, ist die Voraussetzung dafür, auch den Hintergrund für das negative Verhalten des anderen verständnisvoll einzubeziehen und zu erkennen: Keiner ist freiwillig böse (4. Kapitel).
In mehrfacher Hinsicht ist der Mitmensch die notwendige Ergänzung in meinem Leben. Dieses beinhaltet nämlich auch erfüllte Augenblicke und Situationen. In ihnen will und erlebe ich, vom anderen Menschen geschätzt und geliebt zu sein. Dieser Wunsch impliziert die Sehnsucht, vollkommen angenommen zu sein. Das aber überfordert den endlichen Mitmenschen. So verweist mein existentieller Durst auf Gott, das „ewige Du“, die Liebe, die den Durst stillt und meine Sehnsucht erfüllt, unbedingt geliebt zu sein. Das macht mir Mut und Zuversicht (5. Kapitel).
Grund der Lebenszuversicht ist für den christlichen Theologen Drewermann die Beziehung zu Jesus. Jesus von Nazareth bildet mit seinem Leben aus Vertrauen die Brücke zu Gott und zu den Mitmenschen. Jesus verkündigt und vergegenwärtigt Gott als den lieben Vater jedes einzelnen Menschen, erschließt so Möglichkeiten eines neuen, gelösten Lebens (6. Kapitel).
In seinem Vertrauen zu Gott, seinem Vater und seiner Mitmenschen Vater, begründet Jesus ein Beziehungsklima. Darin kann jeder einzelne Mensch, umfangen von der Liebe, selbst Vertrauen wagen (7. Kapitel).
In der gegenseitigen Liebe erlebt die einzelne Person sich selbst und den anderen als unverzichtbar. Daher ist die Liebesbeziehung auch ein Indiz für die Unsterblichkeit des geliebten anderen. Denn dieser soll im Tod nicht untergehen. Das erhoffte todüberwindende Leben beginnt aber schon vor dem Tod (8. Kapitel).
Diese Hoffnung vor und nach dem Tod bleibt nicht nur privat oder zwischenmenschlich. Sie motiviert dazu, sich für ein humanes Leben in der Gesellschaft zu engagieren – miteinander unterwegs (9. Kapitel).
In herzlicher Verbundenheit gratuliere ich Ihnen, lieber Herr Dr. Drewermann, zu Ihrem 80. Geburtstag.
Heribert Körlings
Lebendig?
oder:
Begegnung und Gespräch
WIR HABEN DIE CHANCE, einander zu begegnen ohne die Grenzen und Schranken des Reichtums, der Sicherheit, der Abhärtung gegeneinander und der Anpassung. Wir haben die Chance, einander das Glück der Liebe, der Freundschaft, des Verständnisses, der Güte, des Wagemuts zu schenken – lauter Dinge, die man nicht im Laden kaufen kann. Wir haben die Chance, einander zu begleiten mit Mitgefühl, Mitleid, Sensibilität, Poesie, Kreativität, Phantasie und dem Reichtum des Herzens.
Zwischen Staub und Sternen 227
KEIN MENSCH KOMMT AUF DIE WELT ohne die Frage, ohne das fast unstillbare Bedürfnis, in der Liebe eines anderen zu hören und zu wissen, dass es mit seinem Dasein etwas Erwünschtes, geradezu Notwendiges ist. Nur dann wird er sich selbst wagen und mutig in sein Leben treten.
Der offene Himmel 110
EIN MENSCH VERMAG sich zu seiner eigenen Person nur zu formen im Gegenüber zu einer anderen Person, die ihn vorbehaltlos akzeptiert und meint …; ein Mensch kann einen anderen nur akzeptieren in dem Maße, wie er selbst mit sich eins geworden ist.
Glauben in Freiheit II 278
ZUR SELBSTERKENNTNIS GELANGT JEMAND nur, der sich anerkannt und gemocht fühlt; wer Angst hat, ist zu verwirrt, sich richtig zu sehen; wahrhaftig sich selbst gegenüber wird jemand nur durch Vertrauen; und Selbstfindung ist möglich allein in dem Empfinden, geliebt zu werden.
Liebe, Leid und Tod 702
JE WEITER DIE LIEBE zu wachsen vermag, desto mehr an Wahrheit und Schönheit im Wesen des anderen wird sie entdecken und freizusetzen vermögen.
Liebe, Leid und Tod 61
DAS EINZIGE, WAS WIR TUN SOLLTEN, ist, den andern zu begleiten, dahin, wohin er selbst gehen möchte, um nach Hause zu kommen. In den Stunden, wo es dunkel wird und wo er Angst hat, keinen Weg mehr sieht und sich sehr allein fühlt, braucht er uns an seiner Seite. Nicht weil wir es besser wüßten für ihn, aber weil wir gemeinsam mit vier Augen besser sehen als er allein mit angstverwirrten zwei Augen.
Wort des Heils, Wort der Heilung I 165
WENN ZWEI MENSCHEN EINANDER BEGEGNEN und sie erleben sich ganz stark als Person, ist die Energie, die zwischen ihnen strömt, Liebe. Die Liebe selber ist nicht Person, aber sie ist dasjenige, was Menschen zu Personen macht und was sie als Personen miteinander verbindet … Nur im Vis-à-vis der Liebe gestaltet sich ein Mensch als Individuum. Das ist Geist: eine Kraft, die es vermag, das Schönste, Riskanteste, Ungeheuerlichste auf dieser Welt hervorzubringen, das wir kennen: einen freien, individuellen Menschen in seiner Schönheit, Größe, Ausgesetztheit und Behütetheit.
Daß alle eins seien 108
ICH BETONE GERADE auf dem Hintergrund der Freud’schen Psychoanalyse, wie notwendig es ist, Menschen zu begegnen, die uns erlauben, die eigene Person zu entfalten, und daß ein solches Miteinander des personalen Austauschs nur möglich ist durch eine gemeinsame Geborgenheit in einer absoluten Person.
Wort des Heils, Wort der Heilung I 159 f.
WENN WIR EINEN MENSCHEN so anreden, daß wir die Tiefe seines Wesens berühren, wenn wir sein Du so aussprechen, daß es seinen Namen möglichst vollständig verdichtet und bezeichnet, so öffnet sich seine Person und wird für uns zu einem Weg, der ins Unendliche hinüberführt.
Das Markusevangelium II 476 f.
MENSCHEN VERMÖGEN FÜR IHR LEBEN selber verantwortlich zu zeichnen, und sie sind imstande, die Hypothek des Elternhauses noch einmal zu durchdenken, sogar eines Tages zu verlassen, und es ist oft nur eine Frage des Zeitpunkts: wann wir Menschen begegnen, die imstande sind, uns dort herauszuführen … Wenn wir nur beginnen, wirklich zu leben, werden wir andere Menschen finden, genauso sehnsüchtig wartend nach der gleichen Weite und Größe ihres Lebens, und sie werden uns sehr nahe sein.
Zwischen Staub und Sternen 26
WAS DICH – UND ALLE WELT – IM DASEIN BEGRÜNDET, ist der Umstand, daß mit dir gesprochen wird, daß du ein Angeredeter bist, daß Gott mit deinem Namen dich ins Dasein gerufen hat. Gott ist in diesem ursprünglichen Verständnis diejenige Stimme, die du hören mußt, um zu wissen, wer du selber bist, und die dich davor bewahrt, nur eine Woge im Meer der Natur oder nur ein Rädchen im Getriebe der Gesellschaft (gewesen) zu sein. Was dich zur Person macht jenseits der Natur, jenseits der Gesellschaft, ist Gott, der dich ganz umgreift mitsamt deinen Fehlern und Schwächen.
Von Krieg zu Frieden = Kapital und Christentum III 355
EIN KIND WIRD zu einem seiner selbst bewußten Ich und schließlich zu einer „Person“ in eigentlichem Sinne, indem es zu sprechen lernt – diese Aussage behält ihre Richtigkeit; doch ein Kind lernt nur zu sprechen, wenn eine andere Person mit ihm spricht – und diese Aussage ist (als notwendige und hinreichende Bedingung von allem, was die Personwerdung angeht) jetzt noch weit wichtiger. Eine Person formt sich nur in Gegenwart des Wohlwollens und der Zugewandtheit einer anderen Person … Eine solche Beziehung darf nicht in irgendwelche „Interessen“ eingebunden sein, sie muß vielmehr fernab jeder äußeren Zwecksetzung die Person des anderen selber zum Ziel haben. Sprechen kann man und muß man in diesem Zusammenhang deshalb unbedingt von Gnade; und zwar in vollem Bewußtsein, daß dieses Wort auf das engste mit der Vorstellung eines persönlichen Gottes verknüpft ist. Denn zu tun ist es im Umfeld der Personwerdung um nicht mehr und nicht weniger als um eine Dimension der Existenz, in welcher dieser selber eine unbedingte Geltung zukommt. Jene bedingungslose Zuwendung, die eine Mutter ihrem Kinde schenkt, um es zu einem eigenen und eigenständigen Wesen sich entwickeln zu lassen, jene offene Haltung eines gewährenlassenden Wohlwollens, das die Voraussetzung einer jeden gelingenden psychotherapeutischen Sitzung darstellt, erschafft allererst den Raum, in welchem eine Person zu sich selbst heranzureifen vermag. Verstehen wir „Gnade“ als eine bedingungsfreie, unverzweckte Bejahung und Bestätigung des Selbstseins eines anderen, so bildet sie die unerläßliche Voraussetzung dafür, daß so etwas wie eine Person überhaupt entstehen kann. Nicht in dem Sinne also stellt „Person“ ein Symbol dar, als sie innerhalb einer kulturellen Sprachgemeinschaft ein Ensemble möglicher sozialer Bedeutungen vertritt, sondern insofern, als sie auf den Raum einer unbedingten Güte verweist, innerhalb deren sie selbst sich vollzieht.
Atem des Lebens II 617; 619 f.
EIN ICH IST EIN SELBST, das sprechen und seine eigene Geschichte erzählen kann … Ein Mensch reift nur allmählich zu sich selbst, langsam nur wird er, was er ist, und doch ist er nicht erst am Ende, was er suchend immer schon war: eine Person. Woher also kommt dieser Drang, durch die Maske [= lat. persona] hindurch ein eigenes Wort auszusagen, in der verordneten Rolle ein eigenes Stück aufzuführen, ja, es als eine innere Überzeugung geltend zu machen, eine Person zu sein mit einem Recht auf ein eigenes Leben?
„Das kommt daher, daß Gott dich selbst bei deinem Namen gerufen hat“, lautet die christliche „Erklärung“ (mit Bezug auf das Prophetenwort in Jes 43,1: „Bei deinem Namen rief ich dich. Mein bist du.“) … – Das Merkwürdige ist, daß unsere bisherigen neurologischen Bemühungen an dieser Stelle auf etwas prinzipiell Unerklärbares stoßen, das, weil unerklärbar, zugleich die wirkliche Ebene angibt, auf welcher das Problem zur Lösung ansteht. Die Neurologie, so viel ist eigentlich von vornherein klar, kann die Frage, wie wir dahin kommen, uns für „Personen“ (in angegebenem Sinne: für eigenständige, selbstbewußte, sprachfähige Subjekte) zu halten, mit ihren Methoden definitiv nicht beantworten … Wenn Person ein sprachfähiges Subjekt ist, versteht es sich, daß das, was wir eine Person nennen, selber eine Hervorbringung der menschlichen Gemeinschaft, ein soziales beziehungsweise ein kulturelles Konstrukt, darstellt.
Von daher ergibt sich zugleich, warum es rein neurologisch unmöglich ist, die Person zu „erklären“: – Ihre Wirklichkeit ist nicht in einem individuellen Gehirn begründet, sondern in den sozialen, interpersonalen Vorgängen, die zwischen menschlichen „Gehirnen“ (zwischen Menschen im Austausch von Gefühlen, Gesten, Worten, Gedanken, Absichten) stattfinden … So entsteht der Eindruck der eigenen Personalität durch den Prozeß eines interpersonalen Austauschs. Allerdings ergibt sich dieses „Selbstkonzept“ mit den frühesten Entwicklungsschritten der menschlichen Psyche, mithin in einem Zeitraum, zu dem später kein episodisches (autobiographisches) Gedächtnis mehr zurückreichen wird. Daran liegt es, daß das Personsein subjektiv wie etwas Naturgegebenes erlebt und von der (christlichen) Religion als etwas Gottgegebenes interpretiert werden kann.
Atem des Lebens II 546.; 559; 561 f.
DAS ANGEREDETWERDEN ALS PERSON durch andere Personen „erschafft“ nicht die Person eines Menschen, bildet aber die unerläßliche Voraussetzung möglicher Personwerdung. Was kein Stern, was kein Mond, was keine Sonne einem Menschen zu sagen vermag, kann einzig ein Mensch einem anderen Menschen vermitteln und schenken: sein Sein als Person …
Doch nun muß man sehen, daß jede menschliche Anrede, so wesentlich und unverzichtbar sie ist, stets nur begrenzt und bruchstückhaft jene tragende Sicherheit zu schenken imstande ist, deren das menschliche Subjekt in seiner radikalen Ungesichertheit in dieser Welt bedarf. Alles, was Menschen diesbezüglich füreinander tun können, ist nicht mehr und nicht weniger, als einen Hinweis auf ein Absolutes an Bejahung und „Anrede“ zu geben, das, selbst subjekthaft, aller Subjektwerdung zum Grunde liegt. Dieses absolute Subjekt, dessen ein Mensch im Verlaufe seiner eigenen Subjektwerdung inne wird, „erklärt“ als erstes nicht das physische Dasein eines Menschen, es entdeckt sich vielmehr als unbedingte Grundlage des Personseins: Da ist etwas, das immer schon als Subjekt einer „Anrede“ vorausgesetzt wird, damit wir selbst Subjekte werden können. Dieses absolute Subjekt ist das, was in der Religion Gott genannt wird … Wenn ein Mensch nur leben kann, indem er spürt, wozu er leben soll, so traut er diesem Grund seines Existierens auch zu, der Ursprung seiner Existenz zu sein … Jedes menschliche Wort, das den anderen oder uns selbst als Person erreicht, ist Teil und Äußerung jenes absoluten „Urwortes“.
Im Anfang 1129; 1131 f.;1133
ES GIBT NUR EINEN WEG, richtig zu leben, und der ist, heute damit zu beginnen. Glücklich sein können wir heute; unsere Gespräche so gestalten, daß sie in die Tiefe führen, können wir heute. Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, über neunzig Prozent aller Gedanken, fast hundert Prozent aller Gespräche nur darum sich drehen zu lassen, was das Mittagessen kostet, was die Kleidung kostet, was die Schuhe kosten, was die Wohnung kostet, was der Urlaub kostet, die Krankheit kosten wird, und am Ende eine Summe zu unterzeichnen, die bedeutet, daß wir nie gelebt haben.
Zwischen Staub und Sternen 129
ÜBEN ABER LIESSE SICH und nötig wäre es, im Herzen eines jeden eine Sprechkultur aufzubauen und zu pflegen, die es ihm ermöglicht, von den peinlichen, schmerzlichen, oft schon vergessenen Dunkelseiten des eigenen Herzens und der eigenen Vergangenheit, wenn auch zunächst nur stotternd, zögernd, würgend, mit zugeschnürter Kehle oft, weinend zuerst, schreiend und fluchend, wie auch immer, doch schließlich womöglich dankbar, leiser, ruhiger und eines Tages hoffentlich sogar einmal lachend zu sprechen.
Ich steige hinab in die Barke 203
WENN ES HEISST, daß alles Geschaffene durch das Wort Gottes selbst existiert, dann wird darin die Überzeugung von der grundsätzlichen Liebesfähigkeit und Liebenswürdigkeit aller Dinge ausgedrückt. Ganz besonders sagt es uns, daß wir mit unserem Leben im Grunde einer uns zwar noch nicht wirklich bekannten, aber doch bereits vollendeten Dichtung beiwohnen, wir selber teilhaben an einem tiefen Prozeß des liebenden Erkennens und Benennens.
Was uns Zukunft gibt 13 f.
NIMMT MAN DIE TEXTE … [der Bibel] symbolisch, hat man in ihnen Wegweisungen zur Menschwerdung. Dann geht es nicht mehr um Israel vor dem Sinai; es geht nicht darum, ein bestimmtes Volk wie die Ägypter zu bekämpfen oder beim Durchzug durch das Rote Meer hinter sich zu lassen, so dass sie als Leichen im Meer treiben. Man hat einen Werdegang im Prozess der Vermenschlichung.
Die zehn Gebote 32 f.
GOTT, WENN ES IHN GIBT, ist nichts als befreiende Güte, die aufscheint in jeder Gebärde der Liebe und des Verstehens unter den Kreaturen …
Glauben in Freiheit 19
SIE BRAUCHEN NUR EIN EINZIGES LEBEWESEN, irgendein Stück der Welt wirklich zu lieben, und Sie werden Gott finden im Urgrund und im Hintergrund von allem. Wie immer wir Gott sonst nennen, die Weisheit, die Macht, all das ist nichts, weil diskutierbar, formulierbar. Einzig wenn wir sagen, er ist die Liebe, sprechen wir ihn ganz aus, weil wir dieses Wort gar nie anders aussprechen können, ohne uns selber vollkommen mitzuteilen.
Ich lasse Dich nicht, du segnest mich denn 16 f.
ALL DIE ERFAHRUNGEN dessen, was in der Sprache der akademischen Theologie einmal als „Gnade“ bezeichnet wurde, laufen letztlich darauf hinaus, daß kein Mensch dem anderen vorschreiben kann, was er zu sein oder zu tun hat; er läßt den Anderen gelten – das ist alles! Er „macht“ nicht den anderen – er macht überhaupt nichts, weder für ihn noch mit ihm, er ist einfach für ihn da, wenn der Andere ihn braucht. Diese absichtslose Gegenwart des eigenen Daseins in der Anwesenheit eines Anderen erzeugt in ihrer voraussetzungslosen Zugewandtheit gerade die „Resonanzschwingung“, die nötig ist, um die Personwerdung des Anderen im Gegenüber der eigenen Person zu katalysieren … Gott in diesem Sinne ist das absolute Gegenüber einer reinen Begegnung, das Du oder besser das Ich-Du, das jede Begegnung umgreift und in jeder Begegnung begegnet.
Glauben in Freiheit I 376 f.
[ES IST MÖGLICH] Gott anzureden als unseren „Vater“ und unsere „Mutter“, denn nur im Raum derartiger Worte „vermittelt“ sich fühlbar und ganz, was den Kern aller wirklich religiösen Erfahrung ausmacht: noch einmal von vorn, aus der Wahrheit des eigenen Wesens jetzt, leben zu dürfen unter der Anrede derjenigen Macht, die von Ewigkeit her, wie wir glauben, gemocht und gewollt hat, dass es uns gibt, und die uns gerufen hat bei unserem Namen.
Glauben in Freiheit 377
DER CHRISTLICHE GLAUBE … muss als eine Synthese von personaler Erfahrung und deutenden Bildern, aus individuellem Erleben und kollektiven Chiffren verstanden werden.
Glauben in Freiheit 208
RELIGIÖS GILT, dass nur der eine bestimmte Wahrheit finden wird, der sie von ganzem Herzen benötigt. Das subjektive Moment stellt religiös eine unerlässliche Erkenntnisbedingung dar; wer sie als „nur subjektiv“ oder „rein projektiv“ verwirft, behält nichts weiter übrig als einen Haufen toter Götzen, nichts von dem, was einem persönlichen Gott gleicht … Dass jedoch „Projektion“ nur die Umschreibung für eine standpunktbedingte Verfälschung der Wirklichkeit sei, ist nicht wahr. „Projektion“ – das ist vielmehr so etwas wie der Schein einer Taschenlampe in einem an sich unbeleuchteten Keller: nur wo der Lichtstrahl der Lampe hinfällt, wird etwas sichtbar.
Glauben in Freiheit 49 f.
DER „RUF“ GOTTES ergeht mithin keinesfalls nur „punktuell“, sondern er ertönt, ähnlich der Entwicklungslehre der Hindus, quer durch die gesamte Evolution. Ja, mehr noch: Statt rein religionspsychologisch zu sagen: die „Offenbarung“ Gottes bestehe in der personalen Erfahrung, als Mensch in einer Tiefe angenommen zu sein, die eine Integration einer Vielzahl unbewusster Bilder erlaube, können wir jetzt auch theologisch sagen: Offenbarung ist die personale Vollendung dessen, was durch die „Schöpfung“ in der Natur des Menschen angelegt ist.
Glauben in Freiheit 260 f.
DIE RELIGION DIENT DER „HUMANISATION“ … und der „Personalisation“ des Menschen …, [ein] integrativer Prozess auf dem Hintergrund einer alle Angst umspannenden Geborgenheit im Gegenüber eines absoluten Du, das in der Zuwendung einer anderen menschlichen Person erscheint, sich vollzieht und ermöglicht … Es erscheint nunmehr die „Offenbarung“ Gottes als identisch mit dem Akt der Personwerdung, der durch die Begegnung zwischen Ich und Du zustande kommt … Religion ist … zu verstehen als eine Form der Mitteilung der absoluten Person Gottes, die sich ausspricht in der Personwerdung jedes einzelnen Menschen. Mit anderen Worten: wir werden von Gott, wer immer er sei, wenn das Gesagte gilt, gerade so viel verstehen und zu Gesicht bekommen, als wir im Feld unserer eigenen Personwerdung in der Begegnung mit anderen Menschen zu leben vermögen. Die gesamte „inhaltliche“ Seite der jeweiligen Religionsform ist mithin zu lesen als der symbolische Urgrund, der in die Personwerdung einbezogen werden muss, weil ohne ihn eine Überwindung der Angst in den Tiefenschichten der menschlichen Psyche nicht möglich ist. Also doch „Entgeschichtlichung“? Also doch „gnostischer Synkretismus“? Also doch „Aufhebung der Einmaligkeit Jesu Christi“? Keineswegs. Sondern im Gegenteil! – … wir ahnen zum ersten Mal, was es mit einer Person auf sich hat, die uns die eigene Person so nahe bringt, dass, wer sie anredet mit „Du“, gar nicht anders kann als dahinter das ewige Du Gottes selbst anzusprechen, dem sie selbst sich verdankt.
Glauben in Freiheit 379 f.
WENN WIR NICHT WAGEN, unsere Gefühle in der Sprache mitzuteilen, wenn wir unsere Erlebniswelt immer weiter komprimieren auf die Welt der Dinge und ihrer Verwaltung, so werden wir erleben, daß uns die Seele entweicht … Aber irgendwo muß sie hin, unsere Seele, und je weniger wir menschlich miteinander reden, desto sicherer werden die Dinge anfangen, mit uns zu reden und sich mitzuteilen. Das ist es, was man schließlich als Wahnsinn oder als Psychose bezeichnet: daß alle Dinge reden, weil man selber nie zu reden wagen durfte und es nie ein Gegenüber gab, dem man sich mit Hilfe der Sprache hätte verständlich machen können.
Was uns Zukunft gibt 27
WAS UNS DEN MUT GIBT, einen anderen Menschen aufzufordern, sich auszusprechen, er möge wagen, seine Person mitzuteilen, ist diese Weltsicht der Religion … Es ist dieser feste Glaube von uns Christen, daß Gott uns einzig deshalb geschaffen hat, damit wir das Wort, das in uns lebt, der Welt mitteilen. Sonst wäre unser Leben sinnlos. Wir sind nicht gemacht, gehorsame Sklaven fremder Befehle und Anweisungen zu sein. Wir haben den Beruf, zu existieren nach der Art von Künstlern, die auf ihre Weise die Welt so sehen, daß sie unvertauschbar eine Wahrheit verkündet und offenbart und allen anderen zeigt. Es gibt etwas, das dürfen wir uns nicht aus dem Mund stehlen lassen.
Und legte ihnen die Hände auf 123
WIR SPRECHEN VON GOTT … nur noch wie von weitem, aus den Jahrtausenden der Tradition. Es hat nichts mehr an sich von dem, was Jesus ausmachte: Er trat mit seiner eigenen Person vor die Menschen hin, und alles von Gott ereignete sich in dem Moment seiner Begegnung.
Das Matthäusevangelium I 364
DIE MENSCHEN VERLANGEN DANACH, wirklichen Personen zu begegnen. Doch eben deshalb sind sie überdrüssig dieser gottseligen Scharlatanerie hochwürdiger Amtsträger, die immer noch glauben, sie stünden näher dem Himmel … Man glaubt ihnen nichts mehr, schon weil sie ihre Glaubwürdigkeit zu einer Frage des Kostümzwangs erniedrigt.
Glauben in Freiheit I 9
NIEMAND HAT SICH SELBST GESCHAFFEN! Es mag im Umgang miteinander peinlich sein, daran erinnert zu werden, wie angewiesen in vielen Fällen man auf andere Menschen gewesen ist und noch immer bleibt, von der Mutter beginnend bis zu all den Nachfolgegestalten, die im Leben an ihre Stelle traten (oder zu treten drohen); im Wesentlichen aber kann man und darf man über diese Tatsache sich nicht hinwegtäuschen: Ein Mensch ist nicht Gott, – er ist nicht absolut, nicht autonom, auch nicht autark, auch nicht perfekt, auch nicht zeitlos in unveränderter Befähigung zu Tüchtigkeit und Spitzenleistung, und wenn er es trotzdem zu sein versucht, steht ihm unvermeidlich eine Einschnürung in Einsamkeit, Verbitterung, Kälte und Starrheit bevor.
Grenzgänger 350 f.
EINE LIEBE ZWISCHEN ZWEI MENSCHEN ist nur wahr, wenn der eine den anderen nicht in ein Mittel zum Zweck, in ein Produktionswerkzeug seiner (biologischen, wirtschaftlichen oder künstlerischen) „Potenz“ verwandelt; das Leben eines Menschen im Umgang mit sich selbst wird nur wahr, wenn es kindlich genug bleibt, um in sich selbst stimmig zu sein – nicht „Erfolg“, sondern Identität ist hier wesentlich; und genauso beim Umgang mit den Dingen: es kommt nicht darauf an, sie planvoll in Mittel zum Erwerb von Macht und Reichtum zu verwandeln, es gilt, ihnen absichtslos gegenüberzutreten, wenn man sie in ihrer Wahrheit und Schönheit erkennen will.
Das Matthäusevangelium II 470
DIESER RUF „KOMM HERAUS!“ gilt uns heute, gleich wo wir stehen. Ob zwanzig-, vierzig-, sechzigjährig – es ist niemals zu früh und niemals zu spät, zu fühlen, zu sehen und zu hören, daß es nicht zwei Welten gibt, ein Diesseits und ein Jenseits, zeitlich und wesentlich getrennt. Der Gott Jesu Christi ist gegenwärtig heute im ewigen Präsens. Und dies ist unser ganzes Leben: zu glauben und zu wissen, dass es zwischen Erde und Himmel, zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen Menschlichkeit und Göttlichkeit keine Grenzen gibt, dass nur ein einziges Reich der Liebe und des Lebens ist, zu dem wir berufen sind.
Leben, das dem Tod entwächst 125 f.
WIRKLICHE FREIHEIT erwächst dem Menschen … durch sein Angerufensein durch die absolute Person … Einzig im Gegenüber dieser absoluten Person ist der Mensch in seiner individuellen Personalität ein Zweck an sich selbst, besitzt er eine unantastbare Würde, ist mit ihm unveräußerlich etwas gemeint, das für alle Ewigkeit gilt.
Von Krieg zu Frieden = Kapital und Christentum III 362
IN DER LIEBE bildet sich das Gefühl, dass dieser Eine oder diese Eine alles ist, dass er oder sie absolut unersetzlich ist. Vielleicht weiß man vom Verstand her noch, dass das „objektiv“, rein biologisch, nicht ganz so ist, aber die Liebe verschafft uns subjektiv genau diesen Eindruck. Wenn zwei Menschen einander gefunden haben, entdecken sie sich als unvergleichlich, als ganz und gar einmalig, als in sich absolut. Die Liebe verleiht dieses Gefühl, einander zu begegnen im Raum einer Absolutsetzung, die unaustauschbar diesem Einen gilt … Der andere ist nicht zu verzwecken. Er ist von Gott gegeben, indem er so ist, wie er ist. Insofern kommen wir jetzt dahin, dass Liebe und Religion zu einer Einheit werden. Plötzlich entdeckt man den Gedanken einer göttlichen Führung oder Vorsehung im Leben: Kaum dass zwei Menschen einander lieben, erzählen sie sich wechselseitig, dass sie einander schon immer gesucht haben.
Die großen Fragen 35
NUR DARAUS KANN EIN MENSCH LEBEN, dass da ein Punkt ist, zu dem er unbedingt sich zu wenden vermag … Wer diesen Punkt gefunden hat, der muß und wird in all seiner Freiheit und Verantwortung selber sehen, wie er mit dieser Einsicht zurückkommt in diese Welt.
Dass auch der Allerniedrigste mein Bruder sei 162
DAS BISSCHEN, DAS WIRKLICH VON UNS STAMMT und das wir freiwillig geben, genügt objektiv nicht, aber womöglich wollen die Menschen, mit denen wir umgehen, gar nicht unsere Werke und Erzeugnisse und Leistungen, sondern nur ein Stückchen von uns selber. Und das freilich wirkt oft Wunder und genügt, wo wir’s kaum für möglich halten. Kann es nicht sein, daß wir am Ende Menschen einen Frieden zu geben vermögen, den wir selber bis dahin nicht hatten, und ihnen durch die Bereitschaft, auf sie zuzugehen, ein Glück zu schenken vermochten, das wir selber bis dahin so noch nicht kannten? Es gibt diese Wunder der leeren Hände: daß wir anderen Menschen zu schenken vermögen, worauf wir selber nie zählen durften und was am Ende zu uns zurückkommt, reich und über die Maßen. Es kommt darauf an, in die Hände Gottes das wenige zu geben, das wir sind.
Und legte ihnen die Hände auf 55 f.
WIE, WENN DIE LIEBE EINER MUTTER die einzige Form wäre, dem Leid und der Not eines Menschen in seinen Verirrungen und Verwirrungen jemals gerecht zu werden? Dann wäre dieses Bild einer geschwisterlichen Madonna das Konterfei der wahren „Grenzgängerin“ aller Zeiten bis ans Ende der Tage, – die gestaltgewordene Einheit und Versöhnung all der sonst so verlorenen Wanderer jenseits der Demarkationslinien des Normalen, Normierten und Normativen, ein Bild der Verheißung über den Abgründen des Tartaros, das zu sehen allein schon den möglichen Absturz gerade der am meisten Gefährdeten gnädig umfängt.
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