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Rudolf Nebel – Raumfahrtpionier aus Weißenburg

Dieser Beitrag ist die leicht gekürzte Version eines raumfahrthistorischen Artikels über das Leben Rudolf Nebels, den das Stadtarchiv Weißenburg SPACE 2021 zur Verfügung gestellt hat und dem wir an dieser Stelle herzlich dafür danken. Der Autor dieses Artikels ist Thomas Wägemann, der auch so freundlich war, diese gekürzte Version durchzusehen. Der Original-Beitrag wurde in den Weißenburger Blättern, Ausgabe 1/2020 veröffentlicht und ist hier www.weissenburg.de/villa-nostra einsehbar. Er enthält die komplette für diesen Beitrag verwendete Bibliografie sowie viele interessante historische Fußnoten.
Rudolf Willy Nebel wurde am 21. März 1894 in Weißenburg geboren. Sein Vater war der aus Koblenz stammende Kaufmann Johann Joseph Nebel. Die Familie wohnte eine Zeit lang in Weißenburg am Marktplatz im Haus Nr. 6. In diesem Haus wurde Rudolf Nebel auch geboren. Der Umgang mit Schwarzpulver und explosiven Materialien lag dem späteren Forscher und Erfinder wohl schon im Blut, war doch seine Mutter Emma eine Tochter des Weißenburger Büchsenmachers Ernst Staudinger. Dieser soll, laut Aussage von Rudolf Nebel, im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 eine wichtige Verbesserung zum damaligen Zündnadelgewehr erfunden haben. Bereits 1899 zog es den Vater aus beruflichen Gründen nach München. Trotz der relativ wenigen Kindheitsjahre in Weißenburg hatte Nebel, wie er selbst schreibt, schon hier seine erste Berührung mit der Technik. Sein Onkel Ernst Staudinger war nämlich „Mitglied im Veloziped-Club und fuhr stolz mit seinem Hochrad durch die Stadt“.
Wege zur Technik

Über München führte der Weg der Familie Nebel wieder zurück in fränkische Gefilde nach Nürnberg. Dort wurde Rudolf 1903 eingeschult. Der technikbegeisterte Schüler verschlang wie viele seiner Altersgenossen die Bücher von Jules Verne, war fasziniert von den Flugpionieren Lilienthal oder den Wrights und teilte die allgemeine Begeisterung für die Ideen des Grafen Zeppelin. Als er schließlich erfuhr, dass es in der Nähe von Berlin „Fliegende Menschen“ geben solle, war der Junge nicht mehr zu halten. Von seinem Weißenburger Onkel Ernst bekam er Fahrradteile geschenkt. Rudolf baute sich daraus ein Rad zusammen und machte sich in den Sommerferien 1909 auf den Weg nach Berlin. In Berlin-Johannisthal angekommen, sah er erstmals in seinem Leben Flugzeuge in Aktion und änderte sofort sein Berufsziel von „Pferdebahnkutscher“ in „Aviatiker“. Zurück in Nürnberg experimentierte er zunächst mit selbst gebauten Flugdrachen. Dabei kam er auf die Idee, diese, wie heutzutage Drohnen, mit einer Kamera zu bestücken. Auf die Art und Weise kamen angeblich die ersten Luftbilder Nürnbergs zustande. Praktischer Nebeneffekt war, dass Nebel damit auch Geld verdiente. Dieses investierte er sogleich in einen Bauplan für ein Flugzeug. Am 17. Juli 1912 war es so weit. Die „Libelle“, Nebels selbst gebautes Flugzeug, erhob sich erstmals aus eigener Kraft vom Boden. Pilot war natürlich Rudolf Nebel selbst. Den offiziellen Pilotenschein (Nr. 178) bei der „Königlich Bayerischen Inspektion der Luft- und Kraftfahrtruppen“ in München erhielt Rudolf Nebel erst danach, nämlich am 15. August 1912.
Vom 1. Oktober 1912 bis 30. September 1913 leistete Nebel seinen Militärdienst (Freiwilligen-Jahr) beim „Königlich Bayerischen Telegraphenbataillon“ in München ab und wurde als Offiziersanwärter entlassen.
Als Maschinenbau-Student war er gerade im vierten Semester an der Technischen Hochschule München, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Er kam aber nicht etwa zur Fliegertruppe, sondern zur Infanterie an die Front nach Lothringen. Die militärische Bedeutung von Flugzeugen wurde in Deutschland zu Beginn des Krieges nicht erkannt, die Ausstattung der wenigen fliegenden Einheiten mit tauglichen Maschinen daher auch sträflich vernachlässigt.

Im Mai 1915 überlebte Nebel einen der ersten Gasangriffe bei Arras und wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Durch Zufall kam er mit dem Kommandeur einer bei Arras liegenden Feldfliegerabteilung ins Gespräch. Da die Bedeutung des Flugzeuges nun auch von den deutschen Militärs eingesehen wurde, war der Weg für Rudolf Nebel vom Grabenkrieger zum Jagdflieger frei. Am 27. Januar 1916 wurde er an die Fliegerersatzabteilung nach Schleißheim bei München abkommandiert, zum Jagdflieger ausgebildet, im August 1916 als „frontreif“ von der Ausbildung entlassen und zur Jagdstaffel 5 kommandiert. Einer seiner Staffelkameraden war der spätere Reichsmarschall Hermann Göring. Nach einem misslungenem Luftkampf im Dezember 1916 in der Nähe von Cambrai – Nebel wurde von einem Engländer abgeschossen – hatte der Flieger anschließend im Lazarett Zeit, sich über die lebensgefährliche Kurbelei mit dem Gegner Gedanken zu machen. Vor allem die Nähe zum feindlichen Flugzeug (Luftkämpfe spielten sich damals meist in einer Entfernung um die 30 Meter ab) machte ihm Sorgen. Nebel sann also folgerichtig nach Möglichkeiten, den Gegner aus größeren Distanzen erfolgreich zu bekämpfen. Er kam auf die Idee, an seinem Flugzeug Signalraketen zu installieren, die er vom Sitz aus elektrisch zünden konnte. Tatsächlich funktionierte die simple Einrichtung zunächst ganz gut. Nebel schoss damit auf eine Distanz von etwa 100 Meter einen Engländer ab und zwang eine zweite (unbeschädigte) Maschine mit einem völlig verschreckten Piloten zur Landung. Der Weißenburger hatte so im Prinzip die erste „Luft-Luft-Rakete“ erfunden, installiert und erfolgreich eingesetzt.

Die Sache hatte nur einen Haken. Nebel schoss sich nämlich bei seinem nächsten Einsatz selbst damit ab. Die Rakete löste sich nicht aus der Halterung und explodierte deshalb unter der Tragfläche. Die Maschine stürzte ab und Nebel konnte gerade noch aus dem brennenden Wrack geborgen werden. Er erhielt für seine Luftsiege das „Eiserne Kreuz I. Klasse“. Weitere Einsätze oder Experimente wurden ihm von höchster Stelle jedoch untersagt.

Das Kriegsende erlebte Nebel in Nürnberg. Nach Erhalt seines Demobilmachungsbefehls setzte er ab Dezember 1918 sein Studium an der Technischen Hochschule in München fort und legte im März 1919 auch sein Vorexamen ab. In den Wirren der Münchner Nachkriegszeit, er war mittlerweile Mitglied in der dortigen Studentenverbindung „Corps Cisaria“ und hatte die Führung einer Gruppe des Münchner Heimatschutzbundes übernommen, wurde Nebel von den Kommunisten verhaftet. Er konnte jedoch mithilfe eines Kameraden aus dem Gefängnis nach Nürnberg fliehen. Als sich die Lage beruhigt hatte, kehrte er im Oktober 1919 nach München zurück und legte sein Hauptexamen ab. Die folgenden Jahre verbrachte Nebel als Ingenieur bei Siemens in München (ab 1919) und in Berlin (ab 1927) und zwischendurch in einer Deutsch-Schwedischen Kugellagergesellschaft (SKF-Norma GmbH), die ein Ingenieurbüro in Nürnberg unterhielt. Die Rakete jedoch ließ ihn nicht mehr los. So experimentierte er nebenbei weiter mit Pulverraketen und war sogar Teilhaber an einer Feuerwerksfabrik im sächsischen Pulsnitz (1923-1927).
Raketenfieber
Im Deutschland der späten zwanziger Jahre, und hier vor allem in Berlin, herrschte ein regelrechtes Raketenfieber. Zunächst war es noch ein recht wilder Haufen von Einzelgängern, der zerstreut über das ganze Land mit Schwarzpulverraketen experimentierte. Bastler und Abenteurer, aber auch ausgebildete Techniker und Wissenschaftler montierten ihre Raketen an alles, was Räder, Tragflächen oder Kufen hatte. Aber erst Fritz von Opels spektakuläre Rennwagenvorführungen lösten ein gewaltiges Medienecho aus.
Jürgen Neffe beschreibt in seiner Einstein-Biografie das Berliner Umfeld, in das Nebel nun eintauchte, folgendermaßen: „Der Starkult hat nun die gesamte Prominenz der Schauspieler, Schriftsteller und Musiker, Sportler, Abenteurer und Technikpioniere erfasst. Sechstagerennen und Autowettfahrten, Sportpalast, Avus, Zeppelin und Flugzeug ... Die neue Freiheit hat die Republik und ihre Hauptstadt in ein Experimentierfeld der Künste und Vergnügungen verwandelt.“
Nur dass eben zu Zeppelin und Flugzeug nun noch die Rakete hinzukam. Die Rakete war laut, bot im Flug oder auf der Straße – bedingt durch die enorme Rauchfahne – einen spektakulären Anblick und war dazu auch noch gefährlich, da sie eine unberechenbare Flugbahn hatte und hin und wieder explodierte. Die Rakete entpuppte sich plötzlich als ideales Werbemittel. Überall dort, wo die Flugkörper präsentiert wurden, sei es im Flug oder auch nur in Schaufenstern von Kaufhäusern, konnte sich der Veranstalter einer begeisterten Menge sicher sein. Die Werbewirksamkeit der Rakete wollte sich auch eine Branche sichern, die mit Raketentechnik ursprünglich überhaupt nichts im Sinn hatte, nämlich die Filmindustrie. Fritz Lang, der 1927 mit „Metropolis“ ein Meisterwerk der Filmkunst abgeliefert hatte, musste auf Druck der UFA einen neuen Sensationsfilm abliefern. Lang konnte das Filmunternehmen schließlich von der Produktion eines Raumfahrtfilms überzeugen; der Regisseur hatte nämlich Hermann Oberths 1923 erschienenes Buch „Die Rakete zu den Planetenräumen“ gelesen und war fasziniert von den technischen Möglichkeiten der Rakete. Kurzentschlossen engagierte er Hermann Oberth und dessen Assistenten Willy Ley als technische Berater des Films und löste damit – unbewusst – ein schon fast schicksalhaftes Zusammentreffen Oberths mit Rudolf Nebel aus.
Zunächst kamen Oberth und sein Team mit ihrer Arbeit an einer Raketenattrappe für die Studioaufnahmen ganz gut zurecht. Dann hatte jemand seitens der UFA die Idee, zum Filmstart eine echte Rakete starten zu lassen, und Oberth – möglicherweise durch die finanziellen Möglichkeiten der UFA geblendet – sagte den Wünschen des Studios allzu leichtfertig zu.
Doch der geniale Theoretiker kam schnell an die Grenze des technisch Machbaren. Der Termindruck auf die Raketenbauer stieg immer stärker an – ausgelöst durch teilweise maßlos übertreibende Presseveröffentlichungen. Anfang September 1929 kam es schließlich zu einem folgenschweren Zwischenfall auf dem Filmgelände. Bei Brennversuchen ereignete sich eine Explosion, bei der Oberth an den Augen verletzt wurde. Zwar konnte sein Augenlicht gerettet werden, die Studioleitung erkannte aber jetzt plötzlich, dass sie sich im wahrsten Sinne des Wortes auf ein Spiel mit dem Feuer eingelassen hatte. Der Raketenstart durfte nun aus Sicherheitsgründen keinesfalls mehr in Babelsberg stattfinden, sondern irgendwo weit weg, möglichst an der Ostseeküste. Außerdem war es offensichtlich geworden, dass Oberth die ihm gestellte Aufgabe nicht mehr alleine bewältigen konnte. Über eine Zeitungsannonce hoffte die UFA Unterstützung für Oberth zu finden. Gemeldet hat sich daraufhin auch der Weißenburger Rudolf Nebel. Er empfahl sich als erfahrener Jagdflieger mit elf Abschüssen und vor allem mit seiner Erfahrung im Umgang mit Raketen. Der selbstsicher und gewandt auftretende Ingenieur bekam den Zuschlag und wurde Oberths Assistent.
Zu diesem Zeitpunkt war ein Raketenstart zur Filmpremiere (15. Oktober 1929) – wie der Praktiker Nebel schnell erkannte – bereits nicht mehr zu schaffen. Im Gegenteil. Völlig erschöpft und mit seinen Kräften am Ende wollte der resignierte Oberth die Arbeit an der Rakete einstellen. Die UFA befragte daraufhin Nebel, ob er die Rakete auch alleine bauen könne. Der bejahte dies ohne zu zögern und machte sich als Erstes daran, seinen Chef davon zu überzeugen. Der gutgläubige Oberth willigte also ein und verlor durch diesen geschickten Schachzug Nebels jede Kontrolle und Einflussnahme auf das UFA-Raketenprojekt. Zweifellos liegt hier auch der Ursprung des lebenslangen, teilweise erbittert geführten Streits der beiden Raketenforscher. Nun war es Nebel, der mit ständigen Problemen und Explosionen zu kämpfen hatte. Erklärtes Ziel war mittlerweile ein Raketenstart zur Amerika-Premiere des Films. Am 3. Dezember 1929 hatte Nebel die Rakete schließlich so weit, dass der Start innerhalb von Tagen möglich schien. Als Startplatz hatte er eine Lichtung in der Nähe des Ostseebades Horst auserkoren. Oberth, nach einem Erholungsurlaub in Rumänien wieder zurück, erkannte seine Raketenkonstruktion nicht mehr wieder und lehnte jede weitere Verantwortung ab. Über das folgende Geschehen im Seebad Horst gibt es zwei Versionen. Nebel selbst schreibt, er habe nach einem Riesenkrach mit Oberth die Rakete und das Startgestell wieder nach Babelsberg zurückgeschickt. Michael Neufeld dagegen kommt zu dem Schluss: „...Frustriert von den zahlreichen Fehlschlägen platzierte Nebel heimlich Sprengstoff in der Rakete, damit diese beim Start explodierte, was sie dann auch tat. Nebel wusste, dass die Rakete niemals funktionieren würde, wollte aber den Vertrag mit der Ufa über den Raketenstart erfüllen.“
Die geplante Amerika-Premiere des Films kam indes nicht mehr zustande. Der Tonfilm hatte Einzug im Filmgeschäft gehalten. Fast über Nacht gehörte die Stummfilmzeit mitsamt ihren Stars der Vergangenheit an. Nichtsdestotrotz wurde „Frau im Mond“ der erfolgreichste UFA-Stummfilm aller Zeiten.

Nebels Raketenflugplatz 1930-1933.
Die Gruppe der „Raketenbastler“ um Rudolf Nebel, die im Gegensatz zu Oberth ohne großen Schaden an Vermögen und Ansehen aus dem UFA-Desaster herauskam, hatte sich zwischenzeitlich erheblich vergrößert. In der Endphase der Arbeiten am UFA-Film war auch der junge Student Wernher von Braun zu Rudolf Nebel gestoßen. Das Verhältnis der höchst unterschiedlichen Charaktere von Brauns und Nebels sollte nicht ohne ernste Spannungen bleiben. Zunächst jedoch fand in diesen Wochen und Monaten (Jahreswende 1929/1930) eine bemerkenswerte und wichtige Veränderung in der deutschen Raketenforschung statt. Durch die Konzentration vieler Mitarbeiter um eine Person (Nebel) wurde der Schritt von einer individuellen und damit langwierigen Forschung hin zur effizienten Teamarbeit vollzogen. Logische Folge dieser Zusammenballung geistiger und technischer Kräfte war die dringliche Notwendigkeit eines gemeinsamen Forschungsgeländes.
Rudolf Nebel fand dieses schließlich in einem ehemaligen Schießplatz im Berliner Stadtbezirk Reinickendorf. Die auf dem Gelände vorhandenen Erdwälle und Betonbauten (im Ersten Weltkrieg war dort Munition gelagert worden) erwiesen sich als ideal für die Forschergruppe. Am 27. September 1930 überreichte ein Vertreter des Amtes für Liegenschaften – die symbolische Pacht betrug zehn Reichsmark – den Schlüssel für das Gelände an Rudolf Nebel. Wenig später erhielt das Areal von Rudolf Nebel jenen Namen, der in die Geschichte der Raketentechnik und Raumfahrt eingehen sollte: „Raketenflugplatz Berlin“. Wie aus einer Abschrift 43 vom 12. Mai 1931 hervorgeht, war es die Abteilung für Ballistik und Munition des Heereswaffenamtes (HWA) 44, das im Hintergrund die Fäden um die Gründung des „Raketenflugplatzes“ gezogen hat. Ein Interesse des HWA an der Raketenentwicklung war schon deshalb naheliegend, weil Raketen und deren Entwicklung nicht vom „Versailler Vertrag“ betroffen waren. Sie unterlagen daher auch keiner Kontrolle durch die alliierten Siegermächte. Die Zusammenarbeit mit dem HWA sollte jedoch für Nebel äußerst negativ verlaufen. Den Bestrebungen des Amtes, das die Raketenforschung so geheim und diskret wie nur möglich behandelt wissen wollte, kam Rudolf Nebels „Unehrlichkeit, mangelnde Sachlichkeit, seine Neigung sensationslüsterne Artikel zu verfassen und seine unverfrorene Art der Selbstdarstellung“ nicht gerade entgegen. Auf der Suche nach Geldgebern oder Sachspenden schoss Nebel oft über das Ziel hinaus. Er suchte Ministerien, wissenschaftliche Institutionen und Firmen auf.
Nebel kannte keine Grenzen, wenn es darum ging, „seinen Raketenflugplatz“ bekannt zu machen. So schickte er beispielsweise einmal ein Telegramm an den sich in Deutschland aufhaltenden Automobilkönig Henry Ford mit dem Inhalt: „anbiete erste fluessigkeitsrakete fuer fordmuseum. stopp. einlade zur besichtigung des ersten raketenflugplatzes in berlin-reinickendorf“. Als dann auch noch ein französischer Bankier den Raketenflugplatz besichtigte, war die Geduld im HWA zu Ende. Im Frühjahr 1931 brach das Amt jeglichen Kontakt zu Nebel vorerst ab. Zwischenzeitliche Fortschritte machten die neue Raketentechnologie jedoch transparenter und ein funktionierendes Triebwerk schien jetzt möglich. Prompt bot das HWA Nebel Verhandlungen über einen geheimen Raketenstart auf dem Truppenübungsplatz in Kummersdorf an (etwa 40 Kilometer südlich des Berliner Stadtzentrums). In seiner ihm eigenen Art versicherte Nebel dem HWA, dass acht Kilometer Steighöhe kein Problem und 3,5 Kilometer Steighöhe garantiert seien.
Am Morgen des 22. Juni 1932 wurde unter strikter Geheimhaltung „ein merkwürdig aussehendes Gerät“ von Nebel und seinen Helfern, darunter auch Wernher von Braun, in Kummersdorf gezündet. Die Aktion endete im Desaster, sowohl für den Versuch als auch für Rudolf Nebel. Die Rakete erreichte gerade mal eine Höhe von 600 Metern bevor sie in eine nahezu horizontale Flugbahn überging und dann etwa 1.500 Meter vom Startplatz entfernt auf dem Boden aufschlug.
Der Abschlussbericht des HWA fiel vernichtend aus. „Es hat sich wiederum gezeigt, dass Nebel unzuverlässig arbeitet und dass seinen Angaben mit größtem Misstrauen zu begegnen ist.“

Der misslungene Raketenstart war aber dennoch ein wichtiger Wendepunkt in der Raketenentwicklung. Von nun an übernahm das HWA nämlich selbst die Entwicklung von Flüssigkeitsraketen. Mit Wernher von Braun, der zum HWA wechselte und um den 1. Dezember 1932 in Kummersdorf seine neue Arbeit aufnahm, verlor Rudolf Nebel seinen fähigsten Mitarbeiter. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten – ein sogenannter Führerentscheid erklärte ausschließlich das HWA für Raketenforschung zuständig – endete die Zeit der sogenannten freien Raketengruppen.
Nebels Versuch, seinen Raketenflugplatz als eigenständigen Verein registrieren zu lassen, um ihn so am Leben zu halten, scheiterte an einer dubiosen (vorgeschobenen) Wasserrechnung des Flugplatzes, für die niemand mehr aufkommen wollte. Das Ende der „Narren von Tegel“ war damit offiziell besiegelt. Der Platz wurde im Juni 1934 von den neuen Machthabern geschlossen.
Magdeburger Pilotenrakete & Röhm-Putsch
Die sogenannte „Magdeburger Pilotenrakete“ war Rudolf Nebels wohl abenteuerlichstes Projekt. Im August 1932 erschien der Magdeburger Ingenieur Franz Mengering, der mit einer Rakete die sogenannte „Hohlwelttheorie“ beweisen wollte, bei Rudolf Nebel in Berlin. Dieser war nicht etwa verschreckt von dem Unsinn. Er setzte Mengering nicht vor die Tür, sondern erkannte eine neue Möglichkeit, Geldmittel für seine Ideen flüssig zu machen.
Zusammen mit Mengering gelang es Nebel tatsächlich, die Magdeburger von ihrem utopischen Vorhaben zu überzeugen. Sie appellierten an den Stolz der Magdeburger und an die Möglichkeit, aus dem übermächtigen Schatten Berlins herauszutreten. Gleichzeitig brächte der Start natürlich immense Vorteile für das Magdeburger Geschäftsleben. Geschickt von Nebel eingestreute Bemerkungen, wie beispielsweise „die Rakete in Dresden, Hamburg oder gar Amerika starten lassen“, taten schließlich ihr Übriges.
Der Magdeburger Magistrat unter Leitung von Oberbürgermeister Ernst Reuter bewilligte eine Summe von 35.000 Reichsmark. Ein entsprechender Vertrag wurde aufgesetzt und an Pfingsten 1933 sollte der Start erfolgen. Rudolf Nebel verpflichtete sich, eine bemannte Rakete zu bauen und diese, samt Piloten im Frühjahr 1933 vom Magdeburger Flughafen aus starten zu lassen. In einer Höhe von 1.000 Metern sollte der Pilot dann mittels Fallschirm abspringen. Ein zweiter Fallschirm hätte die Rakete nach ihrem Weiterflug schließlich sicher wieder zur Erde bringen sollen.
Das Interesse der Öffentlichkeit war entsprechend groß. Die New Yorker Monatszeitschrift „Metal Industry“ erbat sich Informationen zu der Rakete, und „Fox Tönende Wochenschau“ aus Berlin wollte sich die Filmrechte sichern. Nebel wusste aber nur zu gut, dass eine Rakete dieser Größenordnung niemals termingerecht fertiggestellt werden konnte. Die Magdeburger Pilotenrakete erwies sich als gigantischer Flop. Als Glück für Nebel erwies sich die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Magdeburgs Oberbürgermeister Ernst Reuter wurde am 11. März 1933 in ein Konzentrationslager gesteckt und der Magistrat gleichgeschaltet. Das Projekt der Magdeburger Pilotenrakete ging im Strudel der braunen Machtübernahme unter, und auch diesmal kam Nebel wieder unbeschadet aus der von ihm verschuldeten Misere heraus.
Ab 1933 waren Raketentechnik und -entwicklung aufgrund verschiedener Verordnungen und Zensurbestimmungen aus den Zeitungen und damit auch aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden. Für den Raketenforscher Nebel, der die Öffentlichkeit für seine Arbeit dringend brauchte, war diese Entwicklung natürlich verhängnisvoll. Also versuchte er seine Beziehungen zum Reichsarbeitsminister und Stahlhelmführer Franz Seldte spielen zu lassen. Für Rudolf Nebel, der selbst Mitglied des „Stahlhelm“ war, sollte sich dies als eher unglücklicher Schachzug herausstellen. Über Seldte wollte er an den Stabschef der SA, Ernst Röhm, herankommen. Ob Nebel mit Röhm persönlich Kontakt hatte, ist nicht bekannt. Zumindest aber kam ein Treffen mit SA-Obergruppenführer Fritz Ritter von Kraußer zustande. Dieser versprach, sich bei Röhm für Nebel einzusetzen.
Nebel setzte vermutlich deshalb auf die SA-Karte, weil der „Stahlhelm“ seit Mitte 1933 als ein NS-Frontkämpferverband gleichgeschaltet worden war und unter der Leitung der SA stand. Außerdem war sich der Raketenforscher der wachsenden Feindschaft zwischen SA und Reichswehr mit Sicherheit bewusst. Wäre Röhms Plan, die SA mit der Reichswehr zu einer „braunen Armee“ zu vereinigen (oder diese zu ersetzen) aufgegangen, hätte Nebel automatisch auf der richtigen Seite gestanden. Es kam jedoch ganz anders. Rudolf Nebel, der sich der Unterstützung und des Schutzes durch die SA recht sicher war, ging wieder einmal an die Öffentlichkeit, indem er ein Flugblatt mit dem Titel „Raketen-Torpedos“ drucken ließ. Die Flugblätter mit eindeutig militärtechnischem Inhalt hätten zu keinem (für Nebel) ungünstigeren Zeitpunkt veröffentlicht werden können, denn die Spannungen zwischen der SA und der Reichswehr hatten gerade ihren Höhepunkt erreicht.
Gezielt durch Göring und Himmler falsch informiert, ordnete und führte Hitler persönlich die Mordaktion gegen die in Bad Wiessee versammelte SA-Spitze an. Die als sogenannte „Nacht der langen Messer“ in die Geschichte eingegangene Mordaktion war für die Nationalsozialisten eine willkommene Gelegenheit, mit missliebigen Gegnern abzurechnen. Zu den Opfern des sogenannten „Röhm-Putsches“ zählte auch Rudolf Nebel. Doch auch diesmal schaffte er es wieder, mit heiler Haut davonzukommen. Ein Polizeioffizier, der häufig Gast auf Nebels Raketenflugplatz gewesen war, erkannte ihn zufällig wieder und sorgte zunächst für eine Trennung von den anderen Häftlingen. Kurze Zeit später wurde Nebel aus der Haft entlassen.
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