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Kitabı oku: «Im Hause des Commerzienrates», sayfa 16

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17

Die Tante ging hinaus, um einige Erfrischungen zu besorgen, und Käthe folgte ihr. Ekel und Widerwillen trieben sie aus dem Zimmer, in welchem sich eben die empörendste Komödie abgespielt hatte. Sie bat die Tante, ihr das kleine Geschäft der Bewirthung zu überlassen, und die alte Frau legte willig den Schlüsselbund in ihre Hand. „Hier, mein liebes, liebes Kind, meine treue, ehrliche Käthe,“ sagte sie weich und in so bebenden Lauten, als kämpfe sie mit einem tiefen Aufseufzen.

Sie legte den Arm um den Leib des jungen Mädchens und schmiegte sich in zärtlicher Zuneigung an die schöne Gestalt. „Mich überkömmt es wie süßes Ausruhen, wenn ich in Ihr offenes, frisches Gesicht sehen darf. Ich muß immer an Luther’s vielliebe Käthe denken, an die tapfere Frau, die stark und muthig an die Seite des streitbaren Mannes getreten ist.“ Jetzt schlüpfte in der That ein beklommener, sorgenvoller Seufzer über ihre Lippen; sie entließ das hocherröthende Mädchen aus ihren Armen und kehrte in das Krankenzimmer zurück.

Käthe holte die Kaffeebüchse und den zu Ehren des Tages gebackenen Napfkuchen aus der Speisekammer, und während die dicke, freundliche Magd frisches Holz unter den Wasserkessel legte, füllte sie die hübsche, blaue Glasschale, die schon gestern beim Thee figurirt hatte, mit Zucker und rieb den krystallenen Confectteller blank. Sie schnitt eben den Kuchen in Stücke, als sie Jemand aus dem Krankenzimmer kommen hörte. Die Küchenthür war so angelehnt, daß ein breiter Spalt blieb, und durch diese Oeffnung sah sie Flora in den Hausflur treten.

[246] Die schöne Braut sah sich ungewiß und rathlos um; die Zimmereintheilung der „Spelunke“ war ihr ja völlig fremd, aber es war, als ob der Strahl dieser suchenden Augen den Doctor magnetisch berührt und angezogen hätte. Er trat in diesem Augenblicke aus dem Zimmer der Tante.

Flora flog auf ihn zu und breitete die Arme aus. Das lange, schwarze Kleid schleppte über den Boden hin, und die dunklen Schleierfalten wogten ihr nach, wie gelöste, offen niederfließende Haarsträhne. Mit den bleichen Händen, die sich kinderklein und schmal aus dem zurückfallenden schwarzen Spitzengekräusel streckten, mit dem mattweißen Gesicht erschien sie wie eine jener gespenstischen, schönen Frauen, die der Volksglaube aus den Gräbern steigen und mordend über junges Leben herstürzen läßt.

„Leo!“ vibrirte es wie ein Hauch, und doch klingend durch den Flur.

Käthe horchte mit stockendem Athem hoch auf – es ging ihr durch Mark und Bein. War das wirklich Flora’s Stimme? Kam dieser köstliche, innige Klang voll weicher Abbitte, voll bebender Sehnsucht wirklich von den Lippen, die so schnöde verurtheilende Worte sprechen, die so schneidend verächtlich lächeln konnten? Das junge Mädchen wandte die Augen weg und sah vor sich nieder; das Messer zitterte in ihrer Hand. Sie hätte so gern die Thür ganz geschlossen, um nicht zu sehen und nicht gesehen zu werden, aber sie fand, wunderlich genug, weder Muth noch Kraft, sich von der Stelle zu bewegen. Draußen erfolgte keine Antwort, aber auch kein Schritt wurde hörbar.

„Leo, sieh mich an!“ sagte Flora lauter, halb flehend, halb gebieterisch. „Wozu die Marter, die Deinem eigenen Herzen widerstrebt? Ich weiß es, Du kämpfst mannhaft, aber unter Schmerzen Dein heiligstes Gefühl nieder, um hart zu erscheinen, um mich zu strafen. Und wofür? Weil ich gestern halb wahnwitzig war vor Aufregung und nicht wußte, was ich that und sagte. Leo, mein Leben, das Dir gehört, war in Gefahr gewesen, noch kochte das Blut in mir, und – da reiztest Du mich auch noch.“

Käthe sah unwillkürlich empor. Neben ihr stand die Magd mit einem breiten Grinsen auf dem guten, dicken Gesichte; es war jedenfalls sehr ergötzlich, daß die Dame da draußen ihrem jungen Herrn etwas abbitten mußte. Dieser Anblick brachte augenblicklich Leben in das junge Mädchen; sie ordnete rasch die Kuchenstücke auf dem Teller, nahm ihn in die Hand und trat entschlossen in den Flur. Sie sah noch, wie der Doctor mit fest verschränkten Armen, das Gesicht von der Bittenden weggewendet, regungslos durch die offene Hausthür in die Gegend hinaus starrte; wie fahl erschienen seine braunen Wangen und wie fest und erbittert biß er die Zähne zusammen, während Flora’s unheimlich düstere Gestalt an seinem Halse hing, so weich und geschmeidig und innig fest sich anschmiegend wie der Vampyr der Volkssage.

Bei dem ziemlich lauten Geräusch der aufgestoßenen Thür fuhr der Doctor empor, und in demselben Moment traf sein scheu irrender Blick Käthe’s Augen. Als sei er auf dem schlimmsten Verbrechen betroffen, so schrak er zusammen – Flora folgte erstaunt der Richtung seines Blickes, aber die schönen Mädchenhände, die sich in seinem Nacken fest verschlungen hatten, lösten sich darum nicht. „Ach, mein Gott, es ist ja nur Käthe, Leo!“ sagte sie und drückte den Kopf fester an seine Brust.

Käthe huschte wie auf der Flucht vorüber in das Krankenzimmer. Ihr Herz schlug fast laut vor Schrecken und schamvoller Bestürzung; sie hatte eine Liebesscene à la Romeo und Julie unterbrochen. Mit bebenden Händen stellte sie den Teller auf den Tisch, lockte auf Henriettens Verlangen, die ein Attentat ihrer Lieblinge auf Kuchen und Zucker befürchtete, die umherschwirrenden Kanarienvögel in die kleine Volière und schloß hinter ihnen das Thürchen.

Da sah sie im Käfige auf dem sauberen, weißen Sande den gesuchten Goldreifen liegen; er war seltsamer Weise durch die Messingstäbe geflogen, ohne das geringste Klirren zu verursachen, und ebenso unhörbar auf der weichen Sandschicht niedergefallen. Käthe nahm ihn heraus und ließ ihn in die Tasche gleiten – und nun hätte sie wieder hinausgehen und den Kaffee fertig machen sollen, aber sie schüttelte sich fast vor Angst und Abneigung. Es war ihr, als solle sie in den Tod, in die Hölle gestoßen werden. Sie entfernte sich nicht um einen Schritt vom Tische und machte sich unnöthig mit den Kanarienvögeln zu schaffen, während die Präsidentin mit ihrer angenehmen, sanft gedämpften Stimme von Flora’s „Trousseau“ sprach und der Tante Diakonus an den Fingern herzählte, was nun infolge der Ortsveränderung noch nachbestellt werden müsse; die alte Frau durfte keinen Augenblick in Zweifel bleiben, daß ihr berühmter Neffe in der schönen Banquiertochter eine Art Prinzessin heimführe.

Käthe wurde rascher aus ihrer Pein erlöst, als sie dachte. Der Doctor trat schon nach wenigen Minuten in das Zimmer, und nun schlüpfte sie, ohne aufzusehen, an ihm vorüber. Der Flur war leer. Flora mußte in den Garten gegangen sein. In der Küche knarrte die Kaffeemühle; vielleicht hatte das mißtönende Geräusch, und nicht, wie sie vermuthet, ihr Erscheinen, die Versöhnungsscene so schnell zu Ende geführt.

Das Küchengeschäft war bald beseitigt, und während die Magd eine frische Schürze vorband, um das Kaffeebret hineinzutragen, trat Käthe in das Fenster und betrachtete den Ring, den sie unter Herzklopfen aus der Tasche gezogen. … „E. M. 1843“ stand auf der Innenseite – Ernst Mangold – es war also der Trauring von Flora’s Mutter, den sie in der Hand hielt.

Sie stand wie gelähmt vor dem Uebermaß von Frivolität, mit welchem Flora sich zu helfen und jedes Bedenken zu überwinden gewußt hatte. Das war eine jener Frauennaturen, die sich stets der augenblicklichen Situation zu bemächtigen verstehen, die bei jedem Umschwung elastisch wieder auf die Füße zu stehen kommen und mit einem kecken Ignoriren des unliebsamen Geschehenen, mit der Zuversicht des Uebermuthes die Fäden der Intrigue leise und glücklich auch an dem veränderten Terrain wieder anheften. Und das war die Schwester, vor deren weit überwiegenden Geistes- und Charaktereigenschaften ihr junges Herz demüthig gebangt hatte.

Das kleine unscheinbare Symbol der Gattentreue, das Flora’s sanfte Mutter bis an den Tod getragen, war entweiht durch das Gaukelspiel der Tochter. Es brannte Käthe zwischen den Fingerspitzen; sie hätte es am liebsten so weit von sich schleudern mögen, daß es keine Menschenhand wieder aufzufinden vermocht hätte, aber es war und blieb das ererbte Eigenthum der Schwester und mußte zurückgegeben werden.

Sie verließ sofort die Küche und trat hinaus auf die Thürstufen. Dort stand Flora am Staket und sah hinaus in das Weite. Sie wandte dem Hause den Rücken zu und hatte die Arme unter dem Busen gekreuzt, und durch die Maschen des Spitzenschleiers entlockte die Sonne dem blonden Haar ein goldenes Flimmern. Der Hofhund bellte unaufhörlich und erbost die stumme, fremde Gestalt an, und die Hühner umschritten scheu die leise rauschende Damenschleppe, die sich so lang und düster über den Rasen hinbreitete.

Das Hundegebell übertönte Käthe’s Tritte, Flora bemerkte ihr Kommen nicht eher, als bis die Schwester dicht neben ihr stand. Sie fuhr herum; ihr zarter Teint war betupft mit rothen Spuren der Aufregung; sie war offenbar in der ärgerlichsten Stimmung, und nun falteten sich die Brauen noch finsterer, und ihre Augen sprühten in ausbrechendem Zorne.

„Bist Du schon wieder da, wie ein unvermeidlicher Deus ex machina? Ungeschicktes Ding, vorhin so hereinzupoltern!“ fuhr sie Käthe in einem Tone an, als stehe nicht die stolze Erscheinung einer erwachsenen jungen Dame, sondern ein ungezogenes, boshaftes Schwesterlein vor ihr, das zeitweilig noch mit der Ruthe Bekanntschaft machen müsse.

Eine gerechte Erbitterung quoll fast unbezwingbar in Käthe empor – so fromm war ihr Naturell nicht, und so sanftmüthig floß ihr frisches Jugendblut auch nicht in den Adern, daß sie einer ungezogenen Begegnung auch noch die andere Wange hingehalten hätte, aber sie beherrschte sich. „Ich bringe den Ring,“ sagte sie kurz und kalt.

„Gieb her!“ Flora’s Züge glätteten sich; sie nahm hastig den kleinen Reifen von der hingehaltenen Handfläche und steckte ihn an den Finger. „Ich bin sehr froh, daß er wieder da ist, der Ausreißer. Es ist ein so fatales Anzeichen –“

„Du willst in dem Falle doch nicht von einem bösen Omen sprechen?“ Dem jungen Mädchen versagte fast die Stimme, angesichts dieser bodenlosen Dreistigkeit.

„Ei warum denn nicht? – Glaubst Du denn, Leute von

[247] Geist müßten nothwendig frei vom Aberglauben sein? Napoleon der Erste war abergläubisch wie eine Spittelfrau, wenn Du das noch nicht weißt, meine Kleine – und ich, ich leugne wenigstens das Omen nicht.“ Sie sah die Schwester so fest, so herausfordernd an, als wolle und werde sie mit diesem einen durchdringenden und gebieterischen Blicke jedweden selbstständigen Gedanken, ja jede unbequeme Rückerinnerung an das Vergangene in dem jugendlichen Mädchenkopfe niederzwingen. Aber sie stand vor einer unerbittlich Wahrhaftigen, der die Empörung das Blut heiß nach dem Kopfe trieb. „Du vergissest, daß du gestern Abend nicht allein dort gestanden hast,“ sagte das junge Mädchen und deutete nach der Brücke.

[259] Flora lachte zornig auf. „Das hat Unsereins davon, wenn es sich solch ein Jüngstes nicht mindestens zehn Schritte vom Leibe hält. Das ist so die echte Backfischmanier, wichtig und vertraulich zu thun, als ob man um Gott weiß was Alles wüßte, und täppisch und tactlos immer wieder eine unangenehm klingende Saite im Menschenherzen zu berühren, die man gern vergessen möchte. Habe ich nicht schon drinnen erklärt, daß der gestrige Auftritt im Walde mein ganzes Blut- und Nervenleben so wahnsinnig aufgestürmt hatte, daß ich für Alles, was nachher geschehen ist, nicht verantwortlich gemacht werden dürfe? Meine sehr liebe Käthe, Du willst mir in Deiner unerschöpflichen Weisheit sagen, daß sich an meinen Verlobungsring überhaupt kein Omen mehr knüpfen könne, weil – nun, weil er da drüben im Flusse liege, gelt, Schatz?“ – Sie lachte abermals kurz auf. – „Wie, wenn ich nun bei aller Leidenschaftlichkeit und Sinnesverwirrung, bei allem Grolle über eine ungerechte, vorurtheilsvolle Kritik, die mir schonungslos in das Gesicht gesagt worden war, schließlich dennoch ein menschliches Rühren gespürt und mein süßes Kleinod nicht von mir geworfen hätte? Hast Du das Ringlein fallen hören, Kind? Unmöglich! Denn – hier sitzt es ja,“ sie drehte den Reifen spielend am Finger, „nachdem es vorhin wirklich Miene gemacht hat, mich freiwillig zu verlassen –“

„Weil es Dir zu weit ist. Du hast schlankere Finger als Deine verstorbene Mutter,“ fiel Käthe unerbittlich ein; sie bebte am ganzen Körper vor Entrüstung.

Flora aber fuhr mit einer Geberde empor, als wolle sie mit den Händen nach ihr stoßen. „Natter Du!“ murmelte sie ergrimmt. „Ich habe auf den ersten Blick hin gewußt, daß Deine bäurisch plumpe Gestalt einen widerwärtigen Schatten auf meinen Lebensweg werfen würde. Wie kannst Du Dich unterstehen, mir nachzuspüren, meinem Thun und Lassen wie ein Spion nachzuschleichen? Du mir? Sind das die ehrenhaften Grundsätze, welche Dir die ‚vortreffliche‘ Lukas einzupauken vorgegeben hat?“

„Meine Lukas lasse aus dem Spiele!“ sagte Käthe, diesem maßlos leidenschaftlichen Ausbruche plötzlich eine kühle, imponirende Ruhe entgegensetzend. „Daß ich so denke und handle, das hat die Erziehung nicht verschuldet; ich weiß, diese ‚ehrenhaften Grundsätze‘ stecken mir von meinem braven Vater her im Blute; ich verabscheue die Komödie im Menschenverkehre und will eher zeitlebens verstummen, als daß ich eine Lüge gut heiße. Bist Du gewohnt, Deine Umgebung mit einem so kühnen Vorgehen zu verblüffen und dermaßen einzuschüchtern, daß sie zu Deinem falschen Spiele stillschweigt, so glückt Dir das bei mir nicht, so jung und so wenig weltgewandt ich auch noch sein mag. Ich lasse mich nicht verwirren – ich habe gesunde Augen und ein starkes Gedächtniß –“

„Ei, das sind allerdings robuste Naturgaben, vor denen ein anderes Menschenkind mit seinen fein nüancirten inneren Regungen und Antrieben freilich nicht aufkommen kann,“ rief Flora. Sie hatte, während Käthe sprach, einige Male Miene gemacht, ironisch lachend zu gehen und den „moralisirenden Backfisch“ stehen zu lassen; sie hatte die Hände geballt, sich auf die Lippen gebissen und erbarmungslos das spärliche Grün von den saftstrotzenden Zweigen eines Busches gezupft – aber gegangen war sie doch nicht, und jetzt sprach sie so überlegen und gefaßt, als habe sie nicht einen Augenblick das innere Gleichgewicht verloren. „Ob Du mich verstehen wirst, Kind?“ – sie zuckte die Achseln – „ich glaube es kaum. Du hältst Deinen langweiligen Maßstab der sogenannten Moral mit kindlicher Gläubigkeit fest und missest die Seelen daran, wie der Krämer die bestimmte Ellenzahl, gleichviel, ob das Zeug grob oder fein, grün oder roth ist, aber ich will mich bemühen, deutlich zu werden.“

Sie trat einen Schritt näher, sodaß die junge Schwester ihren balsamischen Athem wehen fühlte. „Nun ja, Du hast Recht,“ sagte sie gedämpft, und ließ einen raschen Seitenblick über die Fensterreihe des Hauses hinfliegen, „mein Verlobungsring liegt dort im Flusse. Ich habe ihn von mir geworfen in einem Anfalle höchster Verzweiflung, mit dem Gefühle unaussprechlichen Ekels vor dem Leben der Armseligkeit an Bruck’s Seite. Mädchen Deines Schlages werden das freilich nicht begreifen. Ihr wählt Euch den Mann, je nachdem er sein Auskommen, eine einnehmende Gestalt und – einen hübschen Bart hat, und ist das ‚Ja‘ einmal gesprochen, dann geht Ihr mit ihm durch Dick und Dünn, und das ist ja auch ganz brav; solche Mädchen werden rechtschaffene Mütter wohlerzogener Söhne; sie hocken im heimischen Neste und schließen furchtsam und demüthig die Augen, wenn ein Adler vor ihnen in die schwindelnde Höhe steigt. Zu einem solchen Adler aber geselle ich mich; da, wohin er sich versteigt, weht meine Lebensluft; ich halte mich an seiner Seite; ich jauchze ihm zu und ermuthige ihn in seinem stolzen Fluge –“

[260] „Um ihn, wenn ein heimtückischer Schuß seine Flügel lähmt, für eine Krähe zu erklären und ihn feige zu verlassen,“ fiel Käthe ein – dieser Einwurf brandmarkte mit wenigen Worten den ganzen schamlosen Verrath der selbstsüchtigen Schwester, und die ihn ausgesprochen, sie stand da mit untergeschlagenen Armen, die verkörperte ernstzürnende, in ihren Gefühlen tiefverletzte Weiblichkeit. „Und wenn Du noch gegangen wärest, verstohlen und schweigend, wie es doch sonst die Art der Treulosigkeit ist, aber Du hast erst noch dem bittersten Hasse Luft gemacht, hast Dich an dieser Stelle für die Verrathene, Betrogene erklärt, und jetzt stehst Du wieder auf dem mißachteten Boden –“

„Als Bruck’s vergötterte Braut, die erst einem schweren Irrthume verfallen mußte, bis sie die ganze Größe des ihr bestimmten Glückes einzusehen vermochte,“ ergänzte Flora mit triumphirendem Hohne. Sie maß die Schwester von unten bis oben mit einem boshaft funkelnden Blicke. „Schau, Du kannst ja auch ganz allerliebst impertinent sein, Kleine! Ich bin förmlich frappirt von der hübschen Wendung, die Du vorhin meinem Gleichnisse gegeben hast. … Ei nun ja, eine ganz respectable Dosis bürgerlichen Hausverstandes ist Dir ja nicht abzusprechen, aber sie reicht gerade so weit, um die Ausbrüche einer genialen Natur, einer Feuerseele mißzuverstehen – was weißt Du von einem psychologischen Räthsel! Hätte ich gestern von abtrünniger Freundschaft gesprochen, dann hättest Du Recht, Dich über meine plötzliche innere Wandlung zu scandalisiren und sie für Komödie zu halten, denn aus Freundschaft wird niemals Liebesleidenschaft, wohl aber liegen Haß und Liebe in der Menschenseele eng zusammen; sie entzünden sich an einander, und dem glühend gezeigten Hasse liegt oft ein Uebermaß von Liebe zu Grunde. Ihr, mit Eurem stumpfen Gefühle, fasset das freilich nicht. Ihr kocht dem beleidigten Manne ein Lieblingsessen, um ihn zu versöhnen, während eine Natur wie die meine in eclatanter Sühne für ihn ein Verbrechen begehen, für ihn den Tod erleiden kann.“

Sie legte ihre geballte Rechte unter den Busen, als drücke sie sich bereits ein Stilet in das Herz. „Und nun lasse Dir sagen: Nie habe ich Bruck leidenschaftlicher, hingebender geliebt, als seit ich weiß, daß er wie ein Märtyrer gelitten, wie ein Held geschwiegen hat, seit ich mir sagen muß, daß ich ihn tödtlich gekränkt habe, aber auch noch nie“ – sie erfaßte plötzlich Käthe’s Hand und zog sie an sich, und die schmalen Finger, die sich um das warme, blühende Fleisch des jungen Mädchens klammerten, waren kühl wie der Zugwind, der jetzt vom Wasser herkam – „noch nie,“ flüsterte sie Käthe in’s Ohr, „war ich so glühend eifersüchtig. Merke Dir das, mein Kind! … Hier ist mein Revier. Und wenn mir auch nichts ferner liegt, als Dich für gefährlich zu halten – Du bist ihm durchaus nicht sympathisch, das habe ich längst gemerkt, auch hat er ja bis in alle Ewigkeit nur Aug’ und Ohr für mich – so bin ich doch nicht gewohnt, irgend ein Menschenkind neben mir zu dulden, das so absichtlich die Angenehme spielt. Dein ‚hausmütterliches‘ Schalten und Walten hier, Dein ungenirtes Kommen und Gehen in diesem Hause gefällt mir nicht. Du wirst das in Zukunft bleiben lassen – verstanden, Schatz?“

Das hieß deutlich und energisch gesprochen, und nun faltete sie ihre rauschende Schleppe zusammen und schritt so eilig dem Hause zu, als wolle sie jede Erwiderung abschneiden – ein ganz überflüssiges Manöver, denn das junge Mädchen hatte die blaßgewordenen Lippen fest geschlossen. Auf ein solch gerüttelt volles Maß des Uebermuthes, der Willkür und der beispiellosesten Doppelzüngigkeit hatte die ehrliche, unverdorbene Jugend keine Antwort.

18

Es war im Mai. Die Bäume hatten bereits ihren Blüthenschnee wieder von sich geschüttelt, und der prachtvolle, krokusbesäumte Hyacinthenflor, der sich, Aufsehen erregend, über das weite Rasenparterre vor der Villa Baumgarten hingebreitet, war längst verblüht. Dafür färbten sich die Dolden der Syringenbüsche weiß und lila; das glänzende Kettengeschmeide des Goldregens schaukelte halbentfaltet an den Zweigen; aus den Blätterbüscheln der Rosenbäume streckten sich die spitzen, grünen Fühlfäden der ersten Knöspchen, und der Schatten auf den Zickzackwegen der Boscage und in der alte Lindenallee wurde intensiver. Der Fluß brauste wieder klarwellig durch die grünen Guirlanden seines Ufergebüsches, und über das alte, liebe Haus hinter ihm flocht sich ein maienduftiges Gewebe, das mit jedem neuen Morgen weniger von den weißen Mauern sehen ließ – die dicken, kräftigen Weinstöcke trieben ihre safttropfenden Ranken bis unter das vorspringende Dach hinauf.

Das Fremdenzimmer stand wieder leer. Henriette war längst in die Villa übergesiedelt; sie hatte sich scheinbar wieder erholt, ja, es schien sogar ein momentaner Stillstand in ihrer Krankheit eingetreten zu sein, und diese Wohlthat schrieb die Tante Diakonus einzig und allein Käthe’s Pflege zu. Die beiden Schwestern führten in der Beletage ein reiches, isolirtes Zusammenleben, das einen wunderbaren Reiz erhalten hatte, seit der neue Flügel in Käthe’s Zimmer stand. Aber nicht allein die Pflege der Schwester, auch der intime Verkehr mit der Tante hatte günstig auf Henriette eingewirkt; sie war in dem einfachen, gemüthlichen Fremdenzimmer anders geworden in ihren Lebensansichten und Lebensgewohnheiten – die Stille eines zurückgezogenen Lebens, die sie früher wie ein Gespenst geflohen, heimelte sie jetzt an, und sie blieb ruhig und wunschlos, mochte auch unter ihren Füßen der Gesellschaftstrubel noch so geräuschvoll werden.

Das Haus des Commerzienrathes aber war nie geselliger gewesen, als gerade jetzt, nachdem sein Besitzer geadelt worden. Es fanden sich manche neue, sehr willkommene Elemente ein, denen zu Ehren verschiedene Festivitäten arrangirt werden mußten, und darin waren die Erfindungsgabe der Präsidentin und die Börse des Commerzienrathes unerschöpflich. Der Mann hatte ein wunderbares Glück. Nie hörte man von einem Verluste, von einem Mißlingen; wo die Wünschelruthe seines Geschäftsgenies einschlug, da sprudelte die Goldquelle – man schätzte ihn nach Millionen. Und er verstand es, wie selten ein Glückskind, die neue Glorie der Auszeichnung vor so vielen anderen Erdgeborenen zu tragen, sie interessant und zum nie versiechenden Gesprächsthema für Hoch und Niedrig zu machen. Die Promenade vor der Villa Baumgarten war zur fashionablesten geworden; man zeigte die herrliche Besitzung, die sich Tag für Tag verschönerte, den Fremden; man sprach von den kostbaren Gemälden und Sculpturwerken, von den seltenen Sammlungen, die der Commerzienrath unablässig hinter den marmorverzierten Wänden aufspeicherte, von der Silberkammer, mit der sich die des fürstlichen Hofes kaum messen könne; man blieb gefesselt stehen, wenn eine seiner Equipagen vor dem Portale hielt, und wunderte sich, daß die leichten, aufstiebenden Wölkchen, die der trockene Frühlingswind von den Sandwegen über den Rasen hinstreute, nicht Goldstaub waren.

Es wurde fortwährend gebaut; ganze Strecken des Parkes waren deshalb kaum mehr zu passiren. Man schritt an aufgethürmten Quadern und schneeweißen Marmorblöcken hin, die beim Bau und der Einrichtung neuer Pferdeställe verwendet wurden – die alten, sehr geräumigen waren der Passion des Commerzienrathes für schöne Pferde längst zu eng geworden. Große Berge ausgegrabenen Erdreichs versperrten die Wege – für den sehr umfangreichen See, dem diese Massen Platz machen sollten, war das Terrain nicht günstig; er und das Palmenhaus, eine beabsichtigte Merkwürdigkeit für die Residenz, verschlangen Unsummen. Zu alledem erschien eines Tages auch noch eine Anzahl Bauhandwerker und machte sich an einem hübschen, großen Pavillon zu schaffen, der bis dahin unbenutzt und verschlossen gestanden hatte. Er lag eine ziemliche Strecke von der Villa entfernt, im Dickicht, aber von seinen oberen Fenstern aus hatte man doch den Blick auf die Promenade und die Stadt. Das zierliche Haus erhielt einen eleganten Anbau; es wurden neue Fenster mit ungebrochenen Scheiben eingesetzt, und dann und wann zog der Commerzienrath Tapetenproben oder Zeichnungen für das Parquet aus der Tasche und bat die Präsidentin, auszuwählen. Sie wurde zwar jedes Mal sehr spitz und ungnädig, und Flora kicherte in das Taschentuch, aber wählen mußte die alte Dame doch, und wenn sie auch dabei versicherte, daß die Ausbesserung der alten Baracke sie ganz und gar nicht interessire, daß sie zeitlebens übergenug für die Instandhaltung der Villa zu denken und zu sorgen habe, und sich nicht auch noch[261] um das „Logirhaus“ fremder Geschäftsfreunde kümmern könne, welches sie doch niemals mit einem Fuße betreten werde. Sie ignorirte denn auch den Neubau, trotz des beharrlich fortgesetzten und stets herüberklingenden Hämmerns und Pochens, wie nur je die herrschsüchtige Gemahlin eines Regierenden ihren zukünftigen Wittwensitz ignoriren kann.

Zwischen diesem Trubel, diesem hastigen Beginnen und Vollenden aber kam und ging der Commerzienrath wie ein Zugvogel. Er verreiste sehr oft in Geschäften, aber nur noch für kurze Zeit, wie er manchmal sagte, dann wollte er sich ein schönes Rittergut kaufen und Landedelmann werden. Hatte er aber einmal „ein paar Erholungstage“, dann war er sehr viel in der Beletage; den Nachmittagskaffee trank er regelmäßig droben, zum großen Aerger der Präsidentin, die dadurch ihr Lieblingsstündchen im Wintergarten verlor – sie war selbstverständlich viel zu aufmerksam, um „den lieben Moritz“ bei der verdrießlichen Kranken und dem jungen Backfisch allein zu lassen, und brachte das Opfer, stets fast zugleich mit ihm zu erscheinen.

Käthe war das sehr erwünscht; sie empfand nun einmal eine unüberwindliche, beklemmende Scheu vor dem Schwager und Vormunde, seit er sich so wunderlich zuvorkommend und zärtlich ihr gegenüber und dabei so falsch, so heimtückisch bei äußerlich unveränderter Liebenswürdigkeit gegen die Präsidentin zeigte. Sie nahm unwillkürlich die befangene Zurückhaltung der erwachsenen Dame an, wo sie sich früher harmlos kindlich gezeigt hatte. Aber gerade das schien ihn zu belustigen und in seiner seltsamen Art zu bestärken. Er las ihr ihre Wünsche von den Augen ab; er hatte längst seine Einwilligung gegeben, daß der unbenutzte Theil des Mühlengartens an die Arbeiter verkauft werde – nie setzte er dem Wohlthätigkeitssinne des jungen Mädchens irgendwie Schranken, und war ihre Börse auch noch so oft leer, er füllte sie ohne Widerrede. „Du darfst Dir den Spaß schon erlauben, Käthe – ich werde bald einen zweiten Eisenspind anschaffen müssen,“ sagte er dabei im Hinblick auf das staunenswerthe Anwachsen des Capitals. Sie nahm eine solche Aeußerung stets mit finsterem Schweigen auf – er hatte auf ihre ernsten Fragen mit all’ seinen diplomatischen Wendungen und Finessen die Anklage des Volkes, daß ihr Reichthum auf erbarmungslose Weise erwuchert sei, nicht widerlegen können, auch ließ die Präsidentin keine Gelegenheit vorübergehen, wo sie diesen Vorwurf begründen konnte – das kindlich naive Ergötzen, mit welchem Käthe es früher „so über alle Maßen hübsch“ gefunden, reich zu sein, hatte sich in eine Art von Furcht und Angst vor den Geldmassen verwandelt, die so riesig, auf so dämonenhafte Weise anschwollen, als müßten sie eines Tages in gerechter Vergeltung erdrückend über sie herstürzen.

Sie war überhaupt ernster geworden; das sonnige Lächeln, das ihr erregbares, heiteres Temperament sonst so oft und rasch über ihre Züge hinfliegen ließ, zeigte sich nur selten. So recht herzensfreudig war sie nur noch im Hause am Flusse, und auch da nur in gewissen Stunden. Die Tante Diakonus unterrichtete nämlich seit lange eine Anzahl bedürftiger Kinder unentgeltlich im Nähen und Stricken – das geschah Jahr aus, Jahr ein an den Mittwoch- und Sonnabendnachmittagen. In diesen kleinen Kreis hatte sich Käthe mit der freudigen Bewilligung der alten Frau eingeschmuggelt. Der Umgang mit Kindern war ihr völlig neu und machte Saiten in ihrer Seele erklingen, die sie bis dahin nicht geahnt hatte – es war die zärtlichste Hinneigung zu den kleinen Geschöpfen und die plötzliche Erkenntniß, daß sie im Grunde ihres Herzens den Beruf, die jungen Wesen an Leib und Seele zu stützen, sie kräftig und gesund zu erhalten und bildend auf sie einzuwirken, jedem anderen weit vorziehe.

Sie kleidete die Kinder, wo es noth that – in ihrem Nähkorb lag stets ein angefangenes Röckchen oder Schürzchen; sie sorgte – was die Tante Diakonus nicht hatte ermöglichen können – nun auch für ein reichliches Vesperbrod während der Unterrichtsstunden, und eine wahre Augenweide war es für die alte Frau, wenn das junge Mädchen mit dem Korb voll Obst und Brödchen erschien und mit wahrhaft mütterlicher Würde an den schönsten, rothbackigen Apfel eine Belohnung zu knüpfen wußte. Für den Sommer verlegte die Tante den Unterricht in den Garten; die Kinder, meist in den engsten und dumpfesten Straßen der Stadt wohnend, sollten nun auch die Wohlthat genießen, sich in reiner, gesunder Luft auf dem Rasen, unter schattigen Obstbäumen, tummeln zu dürfen. Käthe hatte zu dem Zweck hübsche, tragbare Bänke angeschafft, zugleich aber auch eine Anzahl Bälle und Reifen für die Spiel- und Erholungsstunde, die sich nunmehr an die Unterrichtszeit anschloß.

Flora war tieferbittert über diesen Verkehr, der sie, ihrer Meinung nach, in ihren Rechten, ihrer Beziehung zu der Tante beeinträchtigte, aber sie war klug genug, das im Haus am Flusse nicht verlauten zu lassen – man kam ja bei „der Alten“ stets so schlecht an, wenn man „das große Mädchen mit der Plebejerröthe auf dem Sommerschen Gesicht nicht für eine wahre Musterkarte aller erdenklichen Tugenden hielt“. Die schöne Braut kam auch täglich in das Haus; sie hatte sich weiße, mit Stickerei garnirte Latzschürzchen dutzendweise machen lassen und erschien nie ohne diesen häuslichen Schmuck, der ihr allerliebst stand. Den Vorwurf konnte man ihr nicht machen, daß sie nicht Alles aufgeboten hätte, den Beifall der Tante Diakonus zu erringen. Sie setzte ihr zartes Gesicht der Gluth des Küchenfeuers aus, um Pfannkuchen backen zu lernen; sie ließ sich über das Einmachen der Obstfrüchte und Gemüse, über die Behandlung der Wäsche belehren und nahm wohl auch einmal der Magd das Bügeleisen aus der Hand, um versuchsweise ein Stück Hauswäsche zu plätten, allein so groß auch das Opfer war, das damit gebracht wurde, es vermochte nicht, die alte Frau aus der überaus höflichen, aber doch sehr reservirten Haltung, die sie seit jenem unheilvollen Abend angenommen, herauszulocken – es war, als ob sie genau wisse, daß Flora nach dergleichen Anstrengungen wie zu Tode erschöpft in ihr Ankleidezimmer wankte, dort die Schürze mit einer halbunterdrückten Verwünschung in die Ecke schleuderte, und sich dann zur Erholung meist in den Wagen warf, um die Runde bei den Freundinnen zu machen, deren schwer zu verbergender Neid eine unerschöpfliche Quelle der Genugthuung für sie war. Diese Freundinnen behaupteten einstimmig, die Frau Universitäts-Professorin in spe liege mit ihren bauschenden Falbeln wie ein radschlagender Pfau im Coupé, und ihr Uebermuth sei kaum noch zu ertragen.

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