Kitabı oku: «Im Hause des Commerzienrates», sayfa 4
Nach wenigen Minuten saß Suse bequem und weich gebettet in der luftigen Stube. Sie musterte ängstlich die famosen Vorhänge, entsetzte sich über das Bett auf dem „stolzen Kanapee“ und bemühte sich vergeblich, ihre Freude darüber zu verbergen, daß sie nun wieder jeden Sack zählen konnte, der drunten im Hofe auf- und abgeladen wurde.
Die junge Dame sah nach ihrer kleinen goldenen Uhr. „Es wird Zeit, mich in der Villa vorzustellen; sonst gerathe ich möglicher Weise mitten in den stolzen Theezirkel der Frau Präsidentin,“ sagte sie mit der anmuthigen Geste eines leichten Schauders und zog die Handschuhe aus der Tasche. „In einer Stunde komme ich wieder und koche Dir eine Suppe, Suse –“
„Mit den feinen Händen?“
Mit den feinen Händen, versteht sich. Glaubst Du denn, ich lege sie in Dresden in den Schoos? … Hast doch meine Lukas gekannt, Suse – sie ist heute wie damals; da heißt es, Hand und Fuß rühren und die Zeit ausnutzen. Du solltest sie nur einmal sehen! Sie ist eine Frau Doctorin geworden, die ihres Gleichen sucht.“ Damit verließ sie das Zimmer, um sich in Susens Stübchen zum Fortgehen zu rüsten.
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Auf der Spinnerei schlug es Fünf, als Käthe in Doctor Bruck’s Begleitung wieder in den Hof trat. Es war kälter geworden, und die uralte halbverwischte Sonnenuhr am Giebel, die heute, im goldenen Frühlingslicht neu auflebend, mit scharfem Finger die Stunden bezeichnet hatte, sah wieder trübselig verlassen und verwittert aus.
Das helle Geklingel der Thürschelle lockte Franz wieder heraus auf die kleine Freitreppe, und auch seine Frau folgte ihm neugierig mit langem Halse, um die heimgekehrte junge Herrin zu begucken. Käthe bat sie, während ihrer Abwesenheit fleißig nach der Kranken zu sehen, was auch heilig und theuer versprochen wurde. In diesem Augenblick rauschte es in den Lüften, und gleich darauf stürzte eine schöne Taube herab und blieb hülflos aus dem Steinpflaster liegen.
„Schwerenoth, nehmen denn die Bubenstreiche kein Ende?“ fluchte Franz, indem er die Treppe herabsprang und das Thierchen aufhob – es war flügellahm geschossen. „Da guck’ her, Frau!“ sagte er zu der Müllerin. „’s ist keine von unseren – ich dachte mir’s gleich. ’s ist ein gottheilloses Volk da drüben. Die schießen der armen Dame ihre Prachttauben nur so vor der Nase weg. Na, ich sollte nur der Herr Commerzienrath sein!“ Er schüttelte die Faust.
„Wer ist denn die arme Dame, Franz? Und wer schießt nach ihren Tauben?“ fragte Käthe mit großen Augen.
„Er meint Henriette,“ sagte Doctor Bruck.
„Und drüben aus der Spinnerei wird geschossen,“ platzte Franz ingrimmig heraus.
„Wie, die Fabrikarbeiter meines Schwagers?“
„Ja, ja, die sein Brod essen, Fräulein. ’s ist eine Sünde und Schande. Da haben Sie die Bescheerung, Herr Doctor! Da sehen Sie ja nun, was das für eine Brut ist. Sie wollen bei denen Alles mit Liebe und Güte durchsetzen – ja, da werden Sie weit kommen. Was haben denn solche brave Leute, wie Sie, von der Gutheit? Lange Nasen macht Ihnen die Gesellschaft. … Die Faust auf’s Auge! ’runter müssen sie. Das ist meine Meinung – sonst ist kein Aushaltens.“
„Strikt man hier auch? fragte Käthe den Doctor, dem ein so schönes, ernstes Lächeln um die Lippen schwebte, daß sie das Auge nicht von ihm wenden konnte.
„Nein, die Sache liegt anders,“ sagte er, den Kopf schüttelnd. Seine ruhige Stimme klang imponirend neben Franzens heftigem Gepolter. „Mehrere der ersten Arbeiter im Besitz einiger Capitalien, hatten Moritz gebeten, ihnen beim Zerschlagen des Rittergutes zu einem Stück Land zu verhelfen, das, an sich öde und von geringem Ackerwerth, ziemlich nahe der Fabrik unbenutzt liegt. Sie wollten Häuser bauen mit Miethwohnungen auch für die ärmeren Arbeiterfamilien, die den theuren Miethzins in der Stadt fast nicht mehr erschwingen können. Der Commerzienrath hat ihnen auch Versprechungen gemacht; er konnte das um so eher, als der begehrte Streifen Landes noch zu seinem Park gehört –“
„Verzeihen Sie, Herr Doctor, daß ich Sie unterbreche!“ fiel Franz ein; „gerade deshalb durfte er’s nicht. Ich hab’ mir’s gleich gedacht, daß das die Frau Präsidentin nicht zugiebt. Wer läßt sich denn auch eine solche Nachbarschaft gefallen, wenn er nicht muß? Und richtig – die Damen drüben sind furchtbar böse geworden, und haben’s ein- für allemal nicht gelitten, daß die Bauplätze abgegeben worden sind, ‚es sollten neue Anpflanzungen gemacht werden‘, hat’s geheißen, und damit war die Sache abgemacht. Nun sind sie wüthend in der Fabrik und thun Schabernak und rächen sich, wo sie können.“
„Freilich eine erbärmliche Rache! – Du armes Ding!“ sagte Käthe und nahm die Taube aus Franzens Hand.
„Das Beklagenswerthe dabei ist, daß diese Rohheit Einzelner auf einen ganzen Stand strafend zurückwirkt. Man wird der Präsidentin keinen Vorwurf mehr daraus machen dürfen, daß sie solche Elemente nicht in ihrer Nähe dulden will,“ sprach Doctor Bruck mit verfinstertem Gesicht.
„Das sehe ich nicht ein. Es giebt Boshafte und Rachsüchtige in allen Ständen,“ versetzte das junge Mädchen rasch und lebhaft. „Ich verkehre oft in den unteren Classen; mein Pflegevater hat viele arme Patienten, und wo außer seinen Medicamenten auch kräftige Suppen und sonstige Nachhülfe in der Pflege noththun, da unterstützt ihn meine liebe Doctorin nach Möglichkeit, und ich gehe selbstverständlich auch mit. Man stößt auf viel Undank und Rohheit, das ist wahr, oft aber auch auf brave und edle Gesinnungen, Noth und Elend aber sind meist so herzerschütternd –“
„Ist nicht so schlimm, wie Sie denken, Fräulein – das Volk verstellt sich,“ unterbrach sie Franz mit einer wegwerfenden Handbewegung.
Käthe maß ihn einen Augenblick schweigend von unten herauf mit einem sprechenden Blick. „Sieh, sieh, was für ein vornehmer[58] Herr der Franz geworden ist!“ sagte sie mit unverkennbarer Ironie. „Von wem sprechen Sie denn? Sind Sie nicht selbst aus dem Volke? Und was waren Sie denn früher in der Schloßmühle? Ein Arbeiter, wie die Leute dort in der Spinnerei auch, ein Arbeiter, der schweigend manches Unrecht leiden mußte, wie ich sehr genau weiß.“
Dem Müller schoß das Blut in das bestäubte Gesicht. Er stand in sprachloser Verblüfftheit vor der jungen Dame, die ihm so kurz und bündig, so schlagend seinen Standpunkt bezeichnete. „Na, Fräulein, nichts für ungut! Es war nicht so böse gemeint,“ sagte er endlich und streckte ihr in unbeholfener Verlegenheit seine breite Hand hin.
„In Wirklichkeit sind Sie auch nicht so schlimm, aber Sie haben Glück gehabt und kehren nun den Schloßmühlenpächter heraus, der Geld in der Tasche hat,“ entgegnete sie und legte einen Augenblick ihre schlanke Hand in die seine, aber die kleine Falte des Unwillens auf ihrer Stirn glättete sich nicht so rasch wieder. Sie zog ein weißes Tuch aus der Tasche, schlug es um die Taube und knüpfte die vier Enden zusammen. „Ich werde Henrietten den kleinen Invaliden mitbringen,“ sagte sie, das Tuch wie ein Körbchen vorsichtig in die Hand nehmend – es sah aus, wie ein armseliges Reisebündelchen.
Der Doctor öffnete eine kleine Seitenthür in der Hofmauer, welche direct in den Park führte, und ließ die junge Dame voranschreiten. Draußen blieb sie wie eingewurzelt stehen. „Ich finde mich nicht zurecht,“ rief sie fast bestürzt und wandte sich wie hülflos nach ihm um. „Sieht es doch fast aus, als ob Riesenhände den Park durcheinander geschüttelt hätten. Was thun die Leute dort?“ Sie zeigte weit hinüber nach einer Erdvertiefung von gewaltigem Umfang, aus der die Köpfe zahlloser Arbeiter auftauchten.
„Sie graben einen Teich; die Frau Präsidentin liebt die Schwäne auf breitem Wasserspiegel.“
„Und was baut man da drüben, nach Süden hin?“
„Ein Palmenhaus.“
Sie sah nachdenklich vor sich hin. „Moritz muß sehr reich sein.“
„Man sagt es.“ Das klang so kühl und objectiv, als vermeide er absichtlich, seinen Antworten auch nur den leisesten Mitklang eigenen Urtheils zu geben. … Er war ein auffallender Mann, dieser Doctor Bruck; das sah sie jetzt so recht, wie er im rothfluthenden Abendlichte neben ihr stand. Es lag etwas von militärischer Strenge und Straffheit in seiner Haltung, während sein schönes, luftgebräuntes Gesicht mit dem weichgelockten Vollbarte nur die Züge sanftgemilderten Ernstes zeigte. Von Gedrücktsein oder Niedergeschlagenheit, die ein Mißgeschick wie das über ihn verhängte meist zur Folge hat, war in der ganzen Erscheinung nicht eine Spur zu finden. „Ich werde Sie führen,“ sagte er, als sie unschlüssig ihre Augen über das total veränderte Terrain schweifen ließ. Er reichte ihr seinen Arm, und sie legte unbedenklich ihre Hand darauf. So schritt Schwester Flora neben ihm. … wunderlich! Erst jetzt fiel ihr der Gedanke, daß sie in wenigen Minuten der ihr geistig so weit überlegenen Schwester gegenübertreten sollte, unbeschreiblich bang und schwer auf das Herz.
Sie blieb stehen und sagte nach einem tiefen Athemholen befangen lächelnd: „O ich Hasenfuß! Ich glaube gar, ich fürchte mich. – Ob ich wohl Flora gleich beim Eintreten begegnen werde?“
Sie sah, wie ihm das Blut jäh und dunkel in das Gesicht stieg. „So viel ich weiß, ist sie ausgefahren,“ antwortete er mit bedeckter Stimme, und gleich darauf setzte er, jeder neuen Frage vorbeugend, hinzu: „Sie werden das ganze Haus heute noch in einer gewissen Aufregung finden – der Fürst hat Moritz vor wenigen Tagen den Adel verliehen.“
Und das sagte er jetzt erst. „Wofür denn?“ stieß sie überrascht heraus.“
„Nun, er hat bedeutende Verdienste um die Hebung der Industrie im Lande,“ versetzte er so rasch und ernstlich, als gelte es, ein ungünstiges Urtheil abzuwenden. Dabei ist Moritz ein Mensch von großer Herzensgüte – er thut sehr viel für die Armen.“
Käthe schüttelte den Kopf. „Sein Glück macht mir Angst.“
„Sein Glück?“ wiederholte er betonend. „Es kommt darauf an, wie er selbst diese Wechselfälle ansieht.“
„O, ganz gewiß als etwas Beseligendes,“ antwortete sie entschieden. „Ich weiß aus seinen Briefen, daß ihm die Erwerbung weltlicher Güter Hauptlebenszweck ist. Seine letzte Zuschrift z. B. war eine geradezu verzückte, weil – mein Erbe sich über alles Erwarten reich herausgestellt hat.“
Er ging schweigend neben ihr her; dann fragte er mit einem Seitenblicke: „Und Sie – bleiben denn Sie kalt diesem Reichthume gegenüber?“
Käthe bog den Kopf mit graziösem Muthwillen vor und sah ihm unter das Gesicht. „Sie erwarten wahrscheinlich eine sehr gesetzte Antwort von mir großem Mädchen, so ein recht ernstes Ja, aber das kann ich mit dem besten Willen nicht herausbringen. Ich finde es nämlich über die Maßen hübsch, reich zu sein.“
Er lachte leise in sich hinein und fragte nicht weiter. Sie gingen rasch vorwärts und erreichten bald die Lindenallee. Sie war verschont geblieben; man hatte die lange Bahn bereits mit frischem Kiese bestreut. „Ach, dort die liebe, altmodische Bekannte steht auch noch,“ rief das junge Mädchen, nach einer fernen Holzbrücke zeigend, die ihren schmucklosen, morschen Bogen über den Fluß schlug.
„Sie führt zu dem Grundstücke am jenseitigen Ufer –“
„Ja, nach dem Gras- und Obstgarten. Ein hübsches, altes Haus steht drin. Es hat als Wirthschaftsgebäude zu dem ehemaligen Schlosse gehört, ist ganz von Wein umsponnen und hat breite Steinstufen vor der Thür. … Köstlich anheimelnd und still ist’s dort. Suse hatte ihren Bleichplatz im Garten; im Frühlinge war er ganz blau von Veilchen; dort habe ich stets die ersten gesucht.“
„Das dürfen Sie auch jetzt noch – die kleine Besitzung ist seit heute Morgen mein Eigenthum.“ Er warf einen warmen Blick hinüber.
Käthe dankte ihm, sah aber zerstreut und nachdenklich auf die Kiesel nieder, über die sie hinschritten. … Sollte ihre schöne Schwester als junge Frau in dem Hause wohnen? Flora mit ihren stolzen Geberden, ihren majestätisch nachfließenden Schleppen, Flora Mangold, die Anspruchsvolle, der kein Salon hoch und weit, keine Ausschmückung reich genug sein konnte, in dem einsamen Hause mit den großen, grünen Kachelöfen und den ausgetretenen Dielen? Wie mußte sie sich geändert haben – um seinetwillen!
Ein fernes Geräusch schreckte sie auf. Sie sah die Villa bereits so nahe vor sich, daß sie die Prachtmuster der Spitzengardinen erkennen konnte. Hinter den Scheiben rührte und regte sich nichts, aber von der Promenade her, die sich vor der jenseitigen, der Hauptfaçade des eleganten Hauses hinzog, kam das Getöse einer heranrollenden Equipage immer näher. Es waren zwei prächtige Pferde, die gleich darauf um die nördliche Hausecke jagten. Geschirr und Wagen funkelten in Silberschmuck und im Glanze der Neuheit. Eine Dame hielt die Zügel in fester Hand; ihre Gestalt, um die sich dunkelfarbener, pelzverbrämter Sammet schmiegte, saß so leicht und sylphenhaft dort, als schwebe sie über den Polstern. Von ihrer Stirn zurück wehten weiße Federn, und um das classische Gesicht, den unbedeckten Hals, der sich glänzend weiß aus der dunklen Pelzeinfassung hob, flatterten krause, blonde Locken.
„Flora! Ach, wie wunderschön ist meine Schwester!“ rief Käthe enthusiastisch und streckte unwillkürlich die Rechte nach der Vorüberfliegenden aus, aber weder Flora, noch der Commerzienrath, der mit verschränkten Armen neben ihr saß, hörten den Zuruf. Die Equipage bog um die entgegengesetzte Ecke, dann hörte man sie drüben vor dem Portale halten.
Ein kleiner Kiesel tanzte vorbei – die Stockspitze des Doctors hatte ihn wie im Spiele fortgeschleudert. Jetzt erst fiel es Käthe auf, daß er nicht mehr an ihrer Seite ging; sie war freilich unter dem hinreißenden Eindrucke vorwärts geeilt. Mit einer lebhaften Geberde wandte sie sich um. Er schritt unbeirrt, noch genau in dem Tempo, wie vorher auch, aber in seiner Haltung erschien er noch stolzer emporgereckt, noch strenger reservirt. Er mußte sie eben beobachtet haben, denn er wandte rasch und fast verlegen seine Augen weg. Mit Mühe verbiß sie ein satirisches Lächeln. Sie wußte, daß sie ihn bei einem vergleichenden Gedanken ertappt hatte, der ungefähr lauten mochte: „Gott, was für eine vierschrötige Jungfrau neben meiner Elfe!“
[59] „Ich bin erstaunt über den sicheren Muth, mit welchem Flora fährt,“ sagte sie, als er wieder neben ihr ging.
„Weit mehr zu bewundern ist die Todesverachtung ihres Begleiters. Es war eine Probefahrt, und der Commerzienrath hat die jungen Pferde gestern erst gekauft.“ Er war bitter gereizt. Sie hörte das plötzlich in seiner Stimme und schwieg ganz erschrocken.
5
Es fiel kein Wort mehr von beiden Seiten. Sie erreichten bald das Haus und traten durch eine Seitenthür ein, während drüben die Equipage vom Portale wegfuhr. Ein Bedienter berichtete ihnen, daß die Damen und „der gnädige Herr“ im Wintergarten seien, also in den Appartements der Frau Präsidentin.
Käthe hatte ihre ganze heitere Ruhe und Sicherheit wiedergefunden. Sie nahm eine Visitenkarte aus der Brieftasche und reichte sie dem Manne hin. „Für den Herrn Commerzienrath,“ sagte sie.
„So steif?“ fragte Doctor Bruck lächelnd, während der Lakai geräuschlos über den dicken persischen Corridor-Teppich hinschlüpfte und hinter einer Thür verschwand.
„So steif!“ bestätigte sie ernsthaft. „Da ist die weiteste Distance die beste. Ein biederes Hereinpoltern würde mir jedenfalls sehr schlecht bekommen. Ich fürchte nun selbst, ‚den gnädigen Herrn‘ mit meiner unceremoniellen Ankunft sehr in Verlegenheit zu bringen.“
Sie hatte sich nicht geirrt. Der Commerzienrath kam im förmlichen Sturmschritte aus den Gemächern, mit dem bestürzten Ausrufe: „Mein Gott, Käthe!“ stolperte er über die Schwelle.
Die Richtung seines Blickes war geradezu lächerlich – er suchte den Kopf der wie vom Himmel fallenden Mündel offenbar um zwei Fuß zu tief – und nun trat sie so hochgewachsen und festen Schrittes auf ihn zu und begrüßte ihn mit einem fast frauenhaft stolzen Kopfneigen:
„Lieber Moritz, sei nicht böse, daß ich der Abrede zuwider handle! Aber um mich abholen zu lassen, dazu bin ich nun doch schon ein wenig zu groß.“
Er stand wie versteinert vor ihr. „Recht hast Du, Käthe. Die Zeit, wo ich Dich an der Hand führte, ist vorüber,“ sagte er langsam, gleichsam in dem Anblicke ihres mit Rosengluth überhauchten Gesichts verloren. „Nun, sei mir tausendmal willkommen!“ Jetzt erst reichte er auch Bruck begrüßend die Hand. „Ein Zusammenfinden im Corridor – da muß ich wohl gleich hier vorstellen –“
„Bemühe Dich nicht, Moritz! Das habe ich bereits selber besorgt,“ unterbrach ihn das junge Mädchen. „Der Herr Doctor machte gerade Krankenbesuch bei Suse, als ich in die Mühle kam.“
Das Gesicht des Commerzienraths verlängerte sich. „Die Mühle war Dein Absteigequartier?“ fragte er betreten. „Aber liebes Kind, die Großmama Urach hat mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit erklärt, sich Deiner anzunehmen; mithin verstand es sich von selbst, daß Du Dich ihr sofort vorstelltest; statt dessen gehst Du zu Deiner alten Flamme, der Jungfer Suse! Ich bitte Dich, sage das d’rin lieber nicht!“ setzte er hastig flüsternd hinzu.
„Verlangst Du das ernstlich von mir?“ Die fest klingende Mädchenstimme stach seltsam ab von seinem scheuen Flüstertone. „Ich kann doch nicht leugnen, wenn die Sache zur Sprache kommen sollte… Auf das Verheimlichen verstehe ich mich wirklich nicht, Moritz“ – sie verstummte für einen Moment, erschrocken über die Feuergluth, die ihm in das Gesicht schoß, dann aber sagte sie resolut: „Habe ich einen Fehler begangen, so will ich mich auch dazu bekennen; es wird ja nicht gleich meinen Kopf kosten.“
„Wenn Du einen gutgemeinten Wink so tragisch nehmen willst, dann habe ich allerdings nichts mehr zu sagen,“ entgegnete er verlegen und ärgerlich zugleich. „Den Kopf wird es freilich nicht kosten, aber Deine Stellung in meinem Hause erschwerst Du Dir. Uebrigens ganz wie Du willst! Sieh Du selbst, wie Du Dich mit diesem herben ‚Geradedurch‘ in unseren hochfeinen Gesellschaftskreisen zurecht findest!“
Schon bei den letzten Worten hatte sein Ton mehr scherzhaft als pikirt geklungen. Er ließ sich nun einmal nicht gern die behagliche Stimmung verderben. Er bot ihr galant den Arm und führte sie nach dem ehemaligen Speisezimmer, das neben dem Wintergarten lag und dessen Thür er aufstieß.
Das war aber nicht mehr der traute Eßsalon mit seinen altmodischen, behäbigen, rothen Saffianmöbeln. Die Wand, die ihn einst vom Wintergarten getrennt, war verschwunden; an ihrer Stelle trugen schlanke, oben in Rundbogen auslaufende Säulen den Plafond, den der köstlichste Farbenschmuck in maurischem Stil bedeckte. Drunten lief ein niedriges, spitzenklares, vergoldetes Bronzegitter von einer Säule zur anderen – es schied den steingetäfelten Fußboden des maurischen Zimmers von dem weißen Wegsand, dem grünen Flaum kleiner Rasenflecke im Wintergarten. Hinter diesem Gitter grünte und blühte es wonnig; da dufteten Maiblumen und köstliche Bouquets von Parmaveilchen zu Füßen der mächtigen Drachenbäume, des dunklen Lorbeer und der prachtvollen Decoration von silbergestreiften, metallisch glänzenden Blattpflanzen. Dieses herrliche Pflanzenbild wurde umrahmt und gleichsam in einzelne Felder getheilt durch eine Art von Blumenornamentik. Um die Säulen rankte sich die Clematis und behing die schlanken Schäfte bis hinauf in das feingebogene Rund mit weißen und lilablauen Blüthen.
Zwischen den zwei Säulen, die einen Mittelweg in das Zimmer freiließen, stand Flora. Sie war noch in der Straßentoilette und augenscheinlich im Begriff, das Zimmer zu verlassen. Hoch hinter ihrem federgeschmückten Haupt wölbte der Springbrunnen des Wintergartens seine glitzernde Kuppel. Mit der behandschuhten Rechten hob die schöne Dame das schwere kastanienbraune Sammetkleid, dem das schräg hereinfallende Abendlicht schwachgoldige Reflexe entlockte, ein wenig über den Fuß, die unbedeckte Linke aber legte sich anmuthig stützend an die Säule, weiß und zart wie die danebenhängende Clematisblüthe.
Beim Eintreten des hochgewachsenen Mädchens öffnete sie zuerst ihre graublauen Augen weit vor Erstaunen, aber auch ebenso rasch kniff sie die Lider zu einem blinzelnd prüfenden Blick zusammen, wobei ein sarkastisches Lächeln um ihre Lippen huschte.
„Nun rathe, Flora, wen ich da bringe!“ rief der Commerzienrath.
„Da brauche ich mir nicht lange den Kopf zu zerbrechen – das ist Käthe, die sich allein auf den Weg gemacht hat,“ versetzte sie in ihrer eigenthümlich nachlässigen und doch so überaus bestimmten Art und Weise. „Wer die alte Sommer gekannt hat, der weiß, daß das stämmige Mädchen da mit dem weiß und rothen Apfelgesicht ihre Enkelin sein muß, Augen und Haar aber hat sie frappant wie Clotilde, Deine verstorbene Frau, Moritz.“
Mit einer geschmeidigen Bewegung löste sie sich gleichsam aus dem Blumenrahmen, trat auf die Schwester zu, und den Kopf in den Nacken zurückbiegend, bot sie ihr die Lippen zum Kuß. Ja, das war noch immer die unvergleichlich schöne Flora, aber das langjährige Herrscherthum über die Herzen hatte die weibliche Grazie von ihrer Ausdrucksweise genommen. Ebenso nachlässig wie bei dem kühlen Begrüßungskuß nach sechsjähriger Trennung, war ihr Wesen dem mit eingetretenen Doctor gegenüber. „Grüß Gott, Bruck!“ sagte sie und reichte ihm die Rechte, aber nicht wie eine Braut, sondern wie ein College dem anderen. Er erfaßte die Hand mit leichtem Druck und ließ es ruhig geschehen, daß sie sofort wieder zurückgezogen wurde.
Diese äußere Zurückhaltung zwischen dem Brautpaar schien sich von selbst zu verstehen. Flora wandte unbefangen den Kopf nach dem Wintergarten zurück. „Großmama,“ rief sie mit lächelndem Spott in ihren geistreichen Zügen, „unser Goldfisch macht Dir und Deinen Bekannten die Freude, sich vier Wochen früher anstaunen zu lassen.“
Die Präsidentin war bereits bei Flora’s ersten Worten hinter einer Camelliengruppe hervorgetreten. Ohne daß sie es vielleicht selbst wußte, hatte sie die Angekommene mit jener Spannung gemustert, welche die meisten Menschen einem sogenannten Glückskind gegenüber an den Tag legen. Flora’s boshaft übermüthiger Zuruf machte diesen Ausdruck sofort verschwinden. Die alte Dame zog unwillig die Brauen zusammen, und ein feines Roth der Verlegenheit flog über ihr bleiches Gesicht hin. „Ich erinnere mich nicht, ein so auffälliges Interesse gerade für jene Eigenschaft Deiner Schwester gezeigt zu haben,“ sagte sie kühl und mit einem streng verweisenden Blick. „Wenn ich[60] mich über Käthe’s Kommen freue und sie freundlich willkommen heiße, so geschieht das, weil sie meines lieben verstorbenen Mangold Kind und Eure Schwester ist.“
Sie ging mit gehobenen Händen auf Käthe zu, als beabsichtige sie eine Umarmung; allein diese verbeugte sich so tief und ceremoniell, als stehe sie zum ersten Mal in ihrem Leben vor der stolzen Schwiegermutter ihres Vaters. Ein scharfer Blick hätte in dieser einen Geberde leicht das scheue Zurückweichen vor jeglicher Berührung erkannt, die Präsidentin aber sah darin offenbar nur das Anzeichen eines tiefen Respectes. Sie zog die Hände zurück und hauchte einen Kuß auf die Stirn des jungen Mädchens. „Bist Du wirklich allein gekommen?“ fragte sie, ihre Augen suchten unruhig forschend die Thür, als müsse noch irgend eine nicht gerade willkommene Reisebegleitung eintreten.
„Ganz allein. Ich wollte auch einmal selbstständig meine Flügel probiren, und das hat meine Doctorin gern erlaubt.“ Sie strich noch einmal wie unbewußt mit den schlanken Fingern über die Stelle, welche die alte Dame mit ihren kalten Lippen berührt hatte.
„Ei, das glaube ich Dir gern; das ist ja ganz im Sinne der alten Lukas,“ sagte die Präsidentin mit einem ganz leisen, ironischen Lächeln. „Sie war ja auch stets sehr selbstständig … Dein guter Papa hatte sie ein ganz klein wenig verzogen, mein Kind. Sie that, was ihr gefiel; selbstverständlich immer nur das Rechte –“
„Und das Verständige; aus dem Grunde mag ihr wohl auch der Papa seine jüngste wilde Hummel anvertraut haben,“ setzte Käthe mit jener heiteren Unbefangenheit hinzu, die ihr ganzes Wesen charakterisirte. Aber gerade dieser Freimuth, diese Leichtigkeit und Sicherheit schienen unangenehm zu berühren.
Die Präsidentin zog die Schultern leicht empor. „Dein Papa hat sicher Dein Bestes gewollt, liebe Käthe, und meine Sache ist es nie gewesen, irgend eine seiner Maßregeln zu bemäkeln. Aber er war eine vornehme Natur und hielt streng auf das Decorum – ob es ihn nun doch nicht einigermaßen in Verlegenheit gebracht hätte, wenn ihm sein heiteres Töchterchen plötzlich so sans gêne, so frank und frei in das Haus geflattert wäre?“
„Wer weiß?“ versetzte Käthe. „Der Papa würde doch wissen, weß Geistes Kind diese Tochter ist“ – ein muthwilliger Strahl blitzte aus ihren braunen Augen – „Müllerblut, das schlägt sich tapfer und wohlgemuth durch die Welt, Frau Präsidentin.“
Der Commerzienrath räusperte sich und strich eifrig seinen schönen Lippenbart, während die Präsidentin so betreten aussah, als habe unvermuthet ein allzukräftiger Luftzug ihr vornehmes Gesicht angeblasen, Flora aber brach in ein helles Gelächter aus. „Kind Gottes, Du bist kostbar naiv,“ rief sie, die Hände zusammenschlagend. „Ja, ja: ‚Das Wandern ist des Müllers Lust, das Wandern,‘“ recitirte sie. „Mit einer solchen Aeußerung müßte unser Jüngstes nächstens in Moritzens großer Soirée debütiren, Großmama; da würden sie die Ohren spitzen!“ Sie blinzelte die alte Dame schadenfroh an, die jedoch ihr Gleichgewicht schon wieder gefunden hatte.
„Ich vertraue dem angeborenen Tact Deiner Schwester, mein Kind,“ sagte sie, ihre Hand nebenbei nun auch dem Doctor zur Begrüßung hinstreckend. Dazu lächelte sie mit jenem feinen Zusammenziehen der Lippen, das nur einen Schein der Zahnspitzen sehen ließ und von welchem man nie wußte, ob es süß oder sauer war.
„Tact, Tact – der wird viel helfen,“ wiederholte Flora, den Kopf spöttisch wiegend. „Die Müllerreminiscenz ist ihr genau ebenso angeboren. Die gute Lukas hat es eben nicht verstanden, ihr ein wenig Weltklugheit einzupauken – da fehlt’s. Uebrigens bin ich wirklich froh, daß Du allein gekommen bist, Käthe; ich hoffe, es wird sich so besser mit Dir leben lassen, als wenn Du am Rock Deiner alten hausbackenen Gouvernante hängst.“
Käthe hatte das Barett abgenommen; die schwüle Blumenluft trieb ihr das Blut heiß in die Wangen. Jetzt, mit der dicken, goldbraunen Haarflechte über der Stirn, sah sie noch größer aus.
„Hausbacken? Meine Doctorin?“ rief sie lebhaft. „Eine poesievollere Frau läßt sich nicht denken.“
„Ei, was Du sagst! Sie schwärmt wohl den Mond an, schreibt empfindsame Verse ab, etc. Oder dichtet sie gar selbst? Wie?“
Das junge Mädchen richtete die glänzenden Augen mit klugem Blicke auf das Gesicht der Spötterin. „Verse nicht, aber die Manuscripte ihres Mannes schreibt sie ab, weil die Setzer der medicinischen Zeitschrift seine wunderlichen Krakelfüße absolut nicht entziffern können,“ sagte sie nach einem kurzen Moment schweigender Prüfung. „Sie schreibt auch keine eigenen Verse oder Novellen – dazu fehlt ihr die Zeit, und doch dichtet sie. … Ach, Du lächelst noch genau so wie früher, Flora, so tief und so scharf in den Mundwinkeln, aber das Spottlächeln scheucht mich nicht mehr in die Ecken; ich habe eine streitbare Ader und behaupte weiter: Sie dichtet doch in der Art und Weise, wie sie das Leben nimmt und ihm stets eine Seite abzugewinnen weiß, von der ein verklärendes Licht ausgeht, wie sie ihr einfaches Heim ausschmückt – aus jedem Eckchen guckt ein schöner Gedanke – und wie sie es unsäglich gemüthlich und doch ästhetisch anregend für ihren braven Mann und mich alten Kindskopf und die wenigen auserwählten Freunde des Hauses zu erhalten versteht.“
In diesem Augenblicke flog ein ganzer Regen von frischen Veilchen gegen die Brust des jungen Mädchens und rieselte auf den Fußboden nieder,
„Bravo, Käthe!“ rief Henriette. Sie stand im Wintergarten, dicht am Gitter, und preßte die bleichen Hände auf ihre heftig athmende Brust. „Ich möchte Dir gleich um den Hals fliegen, aber – sieh mich doch an! – müßte das nicht zum Todtlachen sein? Du, so kerngesund an Leib und Seele, und ich –“ ihre Stimme versagte.
Käthe warf das Barett, das sie noch in der Linken hielt, von sich und flog zu ihr. Sie umschlang zärtlich die schwache Gestalt, aber die Thränen des Erbarmens und die Betroffenheit darüber, daß das Gesicht der Schwester „so entsetzlich abgemagert“, wurden weislich unterdrückt.
Flora biß sich auf die Lippen. „Das Jüngste“ war nicht nur imposant an Leibesgestalt geworden, es hatte auch in den hellen Augen und auf den Lippen den seltenen Freimuth innerer Unabhängigkeit, der manchmal so unbequem werden kann. Ihr kam plötzlich die dunkle Ahnung, als trete mit dem kraftvollen Mädchen dort eine schattenwerfende Gestalt in ihr Leben. … Sie nahm hastig den Hut ab und fuhr mit beiden Händen auflockernd durch die zerdrückten Scheitellöckchen. „Hast Du das poetische Reisebündelchen da wirklich von Dresden mitgebracht?“ fragte sie trocken, mit einem blinzelnden Seitenblicke nach dem zusammengeknüpften weißen Tuche am Arme der Angekommenen.
Das junge Mädchen löste die verschlungenen Enden und reichte Henriette die Taube hin. „Ein kleiner Patient, der Dir gehört,“ sagte sie. „Das arme Ding ist flügellahm geschossen. Es fiel im Schloßmühlenhofe auf das Pflaster.
Da war bereits die Einkehr in der Mühle verrathen, allein die Präsidentin schien die letzten Worte ganz zu überhören; sie zeigte tief empört auf das verwundete Thierchen und sagte, nach dem Commerzienrathe zurückgewendet, mit strafendem Vorwurfe: „Das ist nun die vierte, Moritz.“
„Und noch dazu mein Liebling, mein Silberköpfchen!“ rief Henriette und wischte sich eine Thräne des Schmerzes und der Erbitterung von den Wimpern.
Der Commerzienrath war ganz blaß vor Schreck und Aerger. „Liebe Großmama, ich bitte Sie dringend, machen Sie mir daraus keinen Vorwurf mehr!“ rief er fast heftig. „Ich thue, was möglich ist, um diesen bodenlosen Nichtswürdigkeiten auf die Spur zu kommen und sie zu verhindern, aber der Thäter versteckt sich hinter der Phalanx von zweihundert erbitterten Menschen“ – er zuckte die Achseln – „da läßt sich gar nichts thun. Ich habe auch deshalb Henriette wiederholt gebeten, ihre Tauben einzuschließen, bis die Aufregung vorüber ist.“
„Also wir werden in der That die Nachgebenden sein müssen? Es wird immer besser,“ sagte die alte Dame sehr anzüglich; sie zog und rückte an der Schleierwolke, die ihr um Gesicht und Hals lag, als ob ihr die innere Aufwallung unerträglich warm mache. „Sagst Du Dir nicht selbst, Moritz, daß eine solche Gleichgültigkeit die Verwegenheit geradezu herausfordert? Man wird das geduldete Taubenschießen nachgerade langweilig finden und sich edleres Wild aussuchen.“