Kitabı oku: «Im Hause des Kommerzienrates», sayfa 25
Flora trat schweigend und sichtlich verwirrt in das Fenster; bei aller Selbstvergötterung kam ihr doch vielleicht die Ahnung, dass sie diesen beiden Menschen gegenüber in allen Fällen eine klägliche, verlorene Rolle spiele. »Kind, weißt Du das nicht längst?« sagte sie in gedämpftem Tone. »Und hast Du Dir nicht selbst gesagt, dass wir alle für die arme Kreuzträgerin um endliche Erlösung von der Schmerzenslast bitten müssen?« Sie trat mit lautlosen Schritten wieder an das Mädchen heran. »Und war das wirklich Wort für Wort der Inhalt Eurer Gespräche?«
Das Gefühl unsäglicher Verachtung stieg in Käthe auf. Sie meinte, das sei gemeine Eifersucht nicht des liebenden, sondern des eitlen Weibes, die dem Manne nachschleiche und jedes seiner Worte zu kontrollieren suche. »Glaubst Du, Bruck habe in solchen Stunden, wo er Trost und Stütze der armen Kämpfenden sein muss, für irgendetwas anderes Sinn und Interesse«, antwortete sie mit ernster Zurückweisung, »noch dazu an einem Schmerzenslager, wie das da drüben, wo ihm die treueste Freundin auf Erden stirbt?«
»Ja, sie hat ihn geliebt«, sagte Flora, kalt.
Eine Flamme schlug über Käthes Gesicht hin – Flora weidete sich förmlich an der mädchenhaften Unbeholfenheit, mit der die junge Schwester ihr Erglühen zu verbergen suchte. »Ei ja, der Mann kann sich gratulieren zu dem Zauber, der ihn, ihm selbst unbewusst, umgibt, der die Mädchenherzen anzieht, wie die Lichtflamme einen Mückenschwarm. Und die Welt wird lachen, wenn sie erfährt, dass, so viele Töchter Bankier Mangold hinterlassen hat, auch ebenso viele in den Lichtkreis hineingetaumelt sind, – Bleib’!« Sie hatte in fast spielendem Tone gesprochen, bis zu dem Momente, wo Käthe sich abermals abwandte und nach der Tür eilte – jetzt kam der herrische Befehl wie ein wilder Schrei von ihren Lippen. Das junge Mädchen blieb, als wäre sie festgewurzelt, stehen, aus Furcht, dass der Aufschrei sich wiederholen und die Kranke erschrecken könne. »Auch unsere Jüngste, die schöne Müllerin, derb von Gliedern und tapfer von Gemüt, ist so schwach gewesen«, fuhr sie, in den sarkastischen Ton zurückfallend, fort. »O, möchtest Du protestieren mit dieser trotzigen Miene, mit diesem kläglichen Versuche, stolz und beleidigt auszusehen? Nun gut – ich will Dir glauben; Du kannst Dich reinwaschen, wenn Du widerrufst, was Du vorhin mit solch unvergleichlicher Emphase zu Brucks Verherrlichung ausgesprochen hast –«
»Nicht mit einem Jota widerrufe ich.«
»Siehst Du wohl, Du Sünderin, dass Du Deiner sträflichen Liebe mit Haut und Haar verfallen bist? Sieh’ mir in die Augen! Kannst Du Deiner verratenen Schwester ins Gesicht hinein ›nein‹ sagen?«
Käthe hob den gesenkten Kopf und sah über die Schulter zurück; sie griff nach der Stirnwunde, die in Folge der Nervenaufregung zu schmerzen begann, aber das geschah mechanisch – und wenn ihr Leben der Wunde entströmt wäre, sie hätte es nicht beachtet in diesem Augenblicke, wo sich ihr ganzes Denken und Fühlen auf einen Punkt konzentrierte. »Du hast kein Recht, mir eine solche Beichte abzuverlangen«, sagte sie fest, und doch mit einer Stimme, aus der stürmisches Herzklopfen klang; »ich bin nicht verpflichtet, Dir zu antworten. Aber Du hast mich eine Sünderin genannt, Du hast von Verrat gesprochen – das sind dieselben Worte, mit denen ich mich selbst beschuldigt und gestraft haben bis ich mir klar geworden bin über die Neigung, die Du eine sträfliche nennst –«
»Ah, ein Bekenntnis in bester Form!«
Ein weiches Lächeln spielte um den blassroten Mund; ein verklärender Schimmer legte sich über das erblichene Gesicht, das in diesem Moment weiß erschien, wie die Binde über der Stirn. »Ja, Flora, ich bekenne, weil ich mich nicht zu schämen brauche, ich bekenne auch um Unseres verstorbenen Vaters willen; ich will die scheinbare Schuld, als griffe ich nach den heiligen Rechten einer meiner Schwestern, seinem Andenken gegenüber nicht auf meiner Seele haben. Für unsere Gefühle können wir nicht – verantwortlich sind wir nur für die Macht, die wir ihnen einräumen; das weiß ich nun, nach dem erfolglosen Kampfe mit einer rätselhaften Neigung, von der man sich plötzlich sagt, dass sie mit einem geboren und immer dagewesen sein muss – nur schlafend. Ist es Sünde, wenn man verehrend an den Hausaltar eines anderen tritt? Ist es Sünde, wenn man freudig zu einem stolzen Baume aufblickt, der im Garten eines anderen steht? Ist es Sünde, wenn ich liebe, ohne zu begehren? Ich will nichts von Euch; ich werde nie Deinen und Brucks Weg kreuzen. Ihr sollt nie wieder von mir hören, sollt Euch nicht einmal meiner erinnern; was kann es Eurem ehelichen Glücke schaden, wenn ich ihn liebe, so lange ich atme, und ihm die Treue halte wie einem Gestorbenen?« -
Ein verletzendes Auflachen unterbrach sie. »Nimm Dich in Acht, Kleine! Im nächsten Augenblicke wird Dein dichterischer Schwung in Verse verfallen.«
»Nein, Flora, die überlasse ich Dir, wenn ich mir auch sagen muss, dass ich gesteigert bin in meinem Empfinden und nicht mehr in den festen, ruhigen Geleisen meiner Erziehung gehe, seit ich diese Neigung im Herzen trage.« Sie schritt wieder tiefer in das Zimmer zurück, an dem Ständer vorüber, der den Brautanzug trug. Ohne es zu wissen, streifte sie die nur noch lose droben hängende Schleppe, und mit einem leisen Gezisch sank der rauschende Seidenstoff zur Erde.
Käthe bückte sich erschrocken, aber Flora schleuderte den Atlas verächtlich mit dem Fuße aus dem Wege. »Lasse den Plunder liegen!« sagte sie schreibend. »Aber sieh, selbst der leblose Stoff wird rebellisch und empört sich gegen die Schuldige.«
»Und sprichst Du Dich ganz frei von Schuld, Flora?« fragte Käthe rasch mit fliegendem sie hatte auch lebhaft wallendes Blut in den Adern; sie hatte ein strenges Rechtsgefühl in der Seele – dem ausgesprochenen Unrecht der eigensüchtigen Willkür beugte sie sich nicht um des lieben Friedens willen. »Was war es, das mich zu Anfang erfüllt hat? Mitleid, unsägliches, schmerzliches Mitleid für den edlen Mann, den Du nicht verstanden, den Du vor unser aller Augen gemisshandelt und um jeden Preis abzuschütteln gesucht hast. Wäre es nicht eine schwere Schuld gewesen, wozu hättest Du denn Abbitte geleistet? Ich habe Dich als Büßende gesehen. … Als Du den Ring in den Fluss warfst –«
»Gott im Himmel, Käthe! Wärme doch nicht immer die alte Vision auf, die Du einmal gehabt haben willst«, rief Flora und presste sekundenlang die Hände auf die Ohren; dann hielt sie dem jungen Mädchen den Goldfinger unter die Augen, und ihre Oberlippe hob sich scharf einwärts gekrümmt über den weißen Zähnen. »Da – da sitzt er ja. Und ich kann Dir versichern, dass er echt ist – die gravierten Buchstaben lassen nichts zu wünschen übrig. … Um übrigens der Sache ein Ende zu machen, will ich Dir sagen, dass dieses Ding da in meinem Leben keine Rolle mehr spielt, es sei denn die eines Drahtes, an dem man eine Marionette lenkt – mein bräutliches Verhältnis zu Bruck ist gelöst –«
Käthe fuhr bestürzt zurück. »Diese Lösung hast Du ja schon früher erfolglos versucht«, stammelte sie verwirrt, atemlos.
»Ja, damals hatte der Erbärmliche noch einen Rest von Kraft in der Seele; jetzt ist er windelweich geworden.«
»Flora – er gibt Dich frei?«
»Mein Gott, ja, wenn Du denn durchaus die Freudenbotschaft noch einmal hören willst –«
»Dann hat er Dich auch nie geliebt. Dann hat ihn damals ein anderer Impuls getrieben, auf seinen Rechten zu beharren. Gott sei Dank, nun kann er noch glücklich werden!«
»Meinst Du? Wir sind auch noch da«, sagte Flora; sie legte ihre Hand mit festem Druck auf den Arm des jungen Mädchens, und ihr Blick tauchte vielsagend und diabolisch tief in die verklärten braunen Augen. »Ich werde ihm die Stunde nie vergessen, in der er mich vergebens um meine Freiheit betteln ließ. Nun soll er auch fühlen, wie es tut, wenn man den Becher zum ersehnten Trunk an die Lippen setzt, und er wird einem aus der Hand geschleudert. Ich gebe den Ring nicht heraus, und sollte ich ihn mit den Zähnen festhalten –«
»Den gefälschten –«
»Willst Du das beweisen, Kleine? Wo sind Deine Zeugen? Mir gegenüber bist Du verloren mit einer Anklage, wenn sie nicht Hand und Fuß hat – man sagt mir nicht mit Unrecht nach, dass ein Juristengenie in mir stecke. … Übrigens magst Du Dich beruhigen. So unmenschlich grausam bin ich nicht, meinem ehemaligen Verlobten das Heiraten überhaupt zu verbieten; mag er sich doch vermählen – morgen, wenn er Lust hat, aber selbstverständlich nur mit einer Ungeliebten; gegen eine Konvenienzehe erhebe ich keinen Einspruch. … Ich werde ihm nachspüren, nachschleichen auf jeder inneren Regung, die er unvorsichtig an den Tag legt – wehe ihm, wenn ich ihn auf einem Wege betreffe, der mir nicht konveniert!«
Sie hatte einen der rings verstreuten Orangenzweige ergriffen und wiegte ihn zwischen den Fingerspitzen spielend hin und her; sie sah aus wie ein schönes Raubtier, das ein Opfer mit geschmeidigen Windungen des schlanken Körpers umkreist.
»Nun, Käthe, Du liebst ihn ja; hast Du nicht Lust, für ihn zu bitten – wie?« hob sie wieder an, die langsam gesprochenen Worte scharf markierend. »Schau, ich hab’ sein Glück in der Hand; ich kann es zerdrücken; ich kann es aufleben lassen, ganz nach Belieben. Diese Machtvollkommenheit ist für mich allerdings unbezahlbar, und doch – kann ich kaum der Versuchung widerstehen, sie hinzugeben, lediglich, um einmal zu erproben, in wie weit die hochgepriesene sogenannte wahre Liebe feuerfest ist. … Gesetzt, ich legte diesen Ring mit der Befugnis in Deine Hand, ihn zu verwenden, wie es Dir gut dünkt –, verstehe mich recht: ich selbst hätte mich dann von diesem Augenblicke an jedes Einspruchs, jedes Anrechtes begeben – würdest Du bereit sein, Dich jeder meiner Bedingungen zu unterwerfen, damit Bruck von dieser Stunde an freie Wahl hätte?«
Käthe hatte unwillkürlich die Hände verschlungen und drückte sie fest gegen die wogende Brust; man sah, ein unbeschreiblicher Kampf arbeitete in dieser jungen Seele. »Ich unterwerfe mich jeder, auch der härtesten Bedingung, sofort, wenn ich Bruck aus Deinen Schlingen erlösen kann«, rang es sich heiser, aber entschlossen von ihren Lippen.
»Nicht zu sanguinisch, meine Tochter! Du könntest mit diesem übereilten Opfermute leicht Dein eigenes Lebensglück hinwerfen.«
Das junge Mädchen schwieg und legte die Rechte an die schmerzende Stirn. Man sah, der Starken brach eine Stütze nach der anderen, der Jugendmut, die elastische Kraft, die auf sich selber pocht, der Glaube an das schließliche innere Über winden – nur der Wille blieb stark. »Ich weiß, was ich will – da braucht es kein Besinnen«, sagte sie.
Flora hielt den Blütenzweig vor das Gesicht, als atme sie den Duft der künstlichen Blumen ein. »Und wenn er nun – vielleicht nur um mich namenlos zu demütigen – Dich selbst begehrte?« fragte sie mit einem blinzelnden Seitenblick.
Der jungen Schwester stockte der Atem. »Das wird er nicht – ich war ihm nie sympathisch.«
»Das ist richtig. Ich will aber einmal annehmen, er sage Dir, dass er Dich liebe, da wäre das Unterpfand seiner Freiheit denn doch sehr schlecht aufgehoben in Deinen Händen meinst Du nicht? … Er würde eines Tages um die Geliebte freien und sie könnte nicht widerstehen, und ich mit meinen unbestrittenen Anrechten hätte das Nachsehen – nein, ich behalte meinen Ring.«
»O Gott, darf es wirklich geschehen, dass eine Schwester die andere so entsetzlich martert?« rief Käthe in schmerzlicher Entrüstung. »Aber gerade in diesem Augenblick, der Deinen ganzen beispiellosen Egoismus, Dein Herz ohne Erbarmen, Deine unbezwingliche Neigung zur Intrige bloßlegt, wie noch nie, fühle ich mich doppelt berufen, Bruck um jeden Preis von dem Vampir, zu befreien, der nach seinem Herzblut trachtet – Du darfst keine Gewalt mehr über ihn haben. … Er soll ein neues Leben anfangen; er wird sich eine Häuslichkeit schaffen, die ihn beglückt und befriedigt; er wird nicht mehr verurteilt sein, an der Seite einer herzlosen Gefallsüchtigen ein steifes Salonleben zu führen –«
»Sehr verbunden für die schmeichelhafte Beurteilung! Du sprichst viel zu warm für sein Glück, als dass ich Dir mein Kleinod anvertrauen möchte.«
»Gib es her – Du kannst es getrost.«
»Und wenn er Dich nun wirklich und wahrhaftig liebte?«
Die Lippen des jungen Mädchens zuckten in unsäglicher Qual; sie verschlang die Hände angstvoll ineinander, wie es die Verzweiflung tut, aber sie blieb standhaft. »Wäre es auch – ich bin nicht unersetzlich. Wie leicht wird es ihm werden, eine Bessere zu finden! Und dass er nicht wieder blindlings ein falsches Los zieht, dafür bürgt seine schmerzliche Erfahrung. Gib mir den Ring, den gefälschten, von dem ich weiß, dass in Wahrheit auch nicht die leiseste Spur von einem Recht mehr an ihm hängt – ich verspreche Dir, ihn zu achten, wie den, der im Flusse liegt, weil er trotz alledem und alledem Brucks Befreiung verbürgt.« Sie streckte die Hand aus.
»So wie ich Dich kenne, bist Du ehrenhaft genug, ihn nie zu Deinen Gunsten zu verwenden«, sagte Flora nachdrücklich und den Ring abstreifend; ein leises Zittern durchlief Käthes Glieder, als das Gold ihre Handfläche berührte – dann schlossen sich die Finger wie im Krampf über dem Reisen; dabei stahl sich ein bitterverächtliches Lächeln um den Mund des Mädchens – sie war zu stolz, auch nur mit einer Silbe ihre makellose Absicht zu beteuern.
»Nun?« rief Flora beunruhigt.
»Du hast mein Wort. Jetzt bin ich die Marionette, die Du an diesem Drahte lenkst«, – sie hob die geschlossene Hand mit dem Goldreifen; – »bist Du zufrieden?« Damit ging sie.
In dem Moment, wo sie auf die Schwelle der geöffneten Tür trat, kam Doktor Bruck die gegenüberliegende Treppe herauf. Sein Blick überflog die zwei Gestalten, von denen die eine aufrecht, triumphierend inmitten des Zimmers stand und ihn kalt anlächelte, während das herausschreitende, fieberglühende Mädchen bei seinem Anblick fast zusammenbrach.
Er eilte bestürzt herbei und legte rückhaltlos den Arm um die Schwankende. Die Tür hinter ihnen fiel zu, und in ihr Geknarr mischte sich ein wohlbekanntes, gedämpftes Auflachen.
28
Nachmittags brach der Sturm los, den die wie die Möwen um das Haus schwirrenden Gerüchte verkündigt hatten – eine Gerichtskommission erschien. Man hatte sich die feierliche Beschlagnahme seit den frühen Morgenstunden vergegenwärtigt, und doch ging es wie ein erschütternder Schlag durch das ganze Haus, an die Herren unter das Portal traten. Sie kamen für alle zu früh. Noch schleppten die Bedienten die altmodischen, blinden Mahagonitische und Kommoden der Präsidentin, die Sofas und Stühle mit den verstaubten und zerschlissenen Bezügen vom Dachboden herab in den Hauptkorridor; noch standen Floras Kisten mit dem eingepackten Trousseau droben und harrten auf den säumigen Spediteurwagen; noch lag im kleinen Haus-, Wein- und Bierkeller allerlei »Trinkbares«, das man nicht mehr bei Seite bringen konnte.
Die Präsidentin hatte sich stolz und vornehm in ihr Schlafzimmer zurückgezogen – sie wollte die Herren nicht sehen, aber so höflich und respektvoll dieselben auch waren, sie durften auf die Nervenzufälle der gnädigen Frau keine Rücksicht nehmen; sie mussten fragen, ob die Zimmereinrichtung ihr. Eigentum sei, und auf das Verneinen der Dame hin bitten, einstweilen in ein leerstehendes, heizbares Entrée überzusiedeln, weil das Zimmer versiegelt werden müsse. Nun wurden die alten Möbel aus den Korridore in das kleine, freundliche Zimmer geschoben, die pensionierten Federbetten gelüstet und bezogen und unter die verschossene, braunseidene Steppdecke gesteckt, die der Präsidentin seit Jahren nicht vor die Augen gekommen war und bei deren Erblicken ein Schauder des Abscheus durch ihre Glieder flog. Die Jungfer richtete das Stübchen so wohnlich wie möglich ein; sie hatte den kleinen Mahagoniblumentisch am Fenster mit einigen aus dem Wintergärten eroberten Blattpflanzen gefüllt und manches aus dem Schlafzimmer herübergerettet, was ihrer verwöhnten Herrin besonders lieb und unentbehrlich war, aber die alte Dame sah die Bemühungen nicht – sie saß am Fenster und stierte nach dem Pavillon hinüber, dessen neuglänzendes Dach hinter der Boscage auftauchte.
Dieser gefürchtete und namenlos verhasste »Witwensitz« war ein wahres Feenschlösschen geworden. Reiche Gardinen hingen hinter den Spiegelscheiben; sie sah eine köstliche Spitzenkante an einem Eckfenster, welches das Ahorngeäst freiließ; es funkelte alles im Glanze der Neuheit, das spiegelglatte Parkett, die eleganten Möbel, die Deckenmalereien, die Lüstres in den Salons; selbst die Küche war splendid und vorsorglich ausgestattet, bis auf den einfachsten Blechlöffel hinab. Dieses »Bijou« hatte ihr Eigentum sein sollen bis an ihr Ende, und sie hatte es verächtlich mit dem Fuße fortgestoßen, aus Furcht, es werde sie von der Geselligkeit im Hause des Kommerzienrates isolieren – und nun, und nun!!
Währenddem kämpfte Flora um ihre Effekten, aber alle erschöpfenden Argumente, das schließliche Berufen selbst auf das Zeugnis der Dienerschaft waren vergeblich. Fräulein Mangold möge später reklamieren, augenblicklich müsse alles Vorgefundene in Bausch und Bogen unter die Siegel – lautete die höfliche, aber sehr bestimmte Antwort. Und so ging es treppauf, treppab, stundenlang. Alles, was an lebenden Blumen das Haus schmückte, wurde in die Treibhäuser gestellt; man hörte einen Zimmerschlüssel nach dem andern im Schlosse kreischen, und die noch offenen Fensterläden vorlegen – es war schauerlich, wie sich so nach und nach, hinter der Vollstreckern des Gesetzes her, die Dunkelheit und das Schweigen in den verlassenen Ecken niederhockte. Zwischen das Treiben hinein schimpfte und fluchte die Dienerschaft nunmehr ganz offen und jammerte um den rückständigen Lohn, aber jedes schnürte sein Bündel, um das Haus zu verlassen, dessen Komfort hinter Schloss und Riegel lag, dessen Fleischtöpfe nicht mehr brodelten. Mir der Gärtner blieb und wurde in der Domestikenstube einquartiert.
Und inmitten dieser Verwirrung hob die Mädchenseele droben in der Beletage die Flügel, um nach jahrelangem, heldenhaftem Kampfe den kranken Leib leise und klaglos abzustreifen.
Henriettens Zimmer blieben unberührt von dem Geräusche der Beschlagnahme – was die Sterbende umgab, war ihr Eigentum. Man bemühte sich auch, in der Beletage jeden Lärm, selbst den der lauten Fußtritte, zu vermeiden, und so drang nichts zu der scheidenden Seele, was sie noch einmal aufschrecken und in die irdische Misere zurückblicken machen konnte. Sie sah nur vor sich, durch das offene Fenster, in einen wahren Rosenhimmel hinein; sie sah die Schwalben mit ihren weißen Brust- und Flügelfedern wie silberne Kreuze unter den hochziehenden, rotglänzenden Abendwolken hinschießen, hastig, von dem erwachten Wandertrieb in der Brust beunruhigt: Noch gestern waren feine Rauchstreifen von der Ruine her vorübergezogen, und fernes Geräusch hatte die Gedanken des kranken Mädchens immer wieder auf sich gelenkt und schmerzbewegt um die Unglücksstätte kreisen lassen, wo die berstenden Mauern zusammengestürzt waren über »dem Unvorsichtigen«, an welchem sie, bei allen seinen Schwächen, doch mit schwesterlicher Zuneigung gehangen hatte. In die jetzige feierliche Abendstunde aber, in das stille Hingehen des Tages und eines kurzen Mädchenlebens mischten sich keine Anzeichen jener Schrecknisse mehr.
Der Doktor saß an Henriettens Bett. Er sah, wie der Tod dieses Antlitz voll Geist und Bewusstsein mit rapider Schnelligkeit, Strich um Strich, schärfte und markierte; an die Fingerspitzen der Kranken klopfte der entfliehende Lebensstrom in so vereinzelten Pulsschlägen, als kehre von fern her hie und da eine Welle zurück und spüle noch einmal an das verlassene Ufer.
»Flora!« flüsterte Henriette und sah ihn mit einem sprechenden Blicke an.
»Soll sie kommen?« fragte er, sofort bereit nach ihr zu gehen.
Henriette schüttelte schwach den Kopf. »Du wirst mir nicht böse sein, wenn ich mit Dir und Käthe allein bleiben möchte, bis« – sie vollendete nicht und pflückte mit halbversagenden Fingern an dem welken, roten Weinlaub auf der Bettdecke. »Ich will es ihr ersparen, und sie wird es mir Dank wissen« – noch einmal schwebte der Anflug eines sarkastischen Lächelns schattenhaft um ihren Mund – »sie kann Rührszenen nicht leiden. … Du sollst ihr nur einen Gruß bringen, Leo.«
Der Doktor schwieg und neigte das Haupt. In seiner nächsten Nähe stand Käthe. Das Herz klopfte ihr zum Zerspringens die Sterbende stützte sich ahnungslos auf Beziehungen, die nicht mehr existierten; erfuhr sie noch die Wahrheit? Ein angstvoller Seitenblick streifte das Gesicht des Doktors; es blieb vollkommen ernst und gefasst; die Scheidende durfte durch eine unerwartet hereinbrechende Nachricht aus der schon halb und halb verlassenen Welt herüber nicht mehr aufgeschreckt werden, und zu einer Vorbereitung blieb – keine Zeit.
Henriettens Augen schweiften über den Himmel hin. »Wie köstlich klar und rosig! Ein Hineintauchen der befreiten Seele muss himmlisch sein«, flüsterte sie innig. »Ob es ein Zurückblicken gibt? Ich will ja nur eines sehen« – sie wandte mühsam den Kopf in den Kissen und sah voll, zum ersten Male mit dem ganzen, unverhehlten Ausdruck unaussprechlicher Liebe zu Bruck auf – »ob Du glücklich wirst, Leo. Dann mag es mich fort, in Sonnenfernen tragen.« Zu sagen: »ich muss das wissen, um selig werden zu können, weil ich dich geliebt habe mit allen Kräften, mit jeder Faser meines Herzens«, das konnte die scheu verschlossene Mädchenseele selbst in der Todesstunde nicht über sich gewinnen.
Es war, als überfliege ein verklärender Schein die gesenkte Stirn des Doktors. »Es hat sich noch alles glücklich für mich gewendet, Henriette«, sagte er bewegt. »Ich wage zu hoffen, dass ich nicht mehr einsam und verbittert durchs Leben, gehen werde, oder besser: ich weiß, dass sich in der zwölften Stunde noch mein Traum von wahrer Lebensbeglückung erfüllen wird – genügt Dir das, meine Schwester?« Er zog die schmale, erkaltete Hand, die er noch in der seinen hielt, an die Lippen. »Ich danke Dir«, setzte er innig hinzu.
Ein Erröten, sanft rosig wie das Abendlicht draußen, kam und schwand in jähem Wechsel auf den Wangen der Sterbenden; mit einem Ausdruck von scheuem Glück streiften ihre Augen unwillkürlich die Schwester, welche, die Rechte auf Brucks Armstuhl gelegt, sichtlich bemüht war, ihren Schmerz, aber auch eine unverkennbare Bestürzung zu bemeistern. Bei diesem Anblick schmolz Henriettens Herz in Weh und Mitleid.
»Sieh meine Käthe an, Bruck!« sagte sie bittend, aber mit erlöschender Stimme und unaufhörlich von Atemnot unterbrochen. »Lasse mich’s noch aussprechen, was mich immer bedrückt und tief geschmerzt hat! Du bist immer so kalt gegen sie gewesen – einmal sogar hart bis zur Grausamkeit – und ihr kommt doch keine gleich, keine! Leo, ich habe Dein Vorurteil nie begreifen können. … Sei gut gegen sie – stehe an ihrer Seite –«
»Bis zum letzten Atemzug! Bis über den Tod hinaus!« Unterbrach er sie, kaum fähig, seiner stürmischen Bewegung Herr zu werden.
»Sieh, nun ist alles gelöst! Ich weiß’ es; hältst Du sie in treuer Hut, dann wird meine starke, meine mutige Käthe stets zwischen Dir und allem Ungemach stehen –«
»Wie eine treue Schwester, die ich ihm von dieser Stunde an sein werde«, vollendete Käthe mit halberstickter Stimme.
Ein geisterhaftes Lächeln irrte um Henriettens Mund – sie schloss die Augen. Sie sah nicht, dass durch die Glieder der Starken, Mutigen Schauer liefen, als schüttle sie das Fieber – sie sah nicht, dass sie Brucks dargebotene Rechte mit weggewendetem Gesicht von sich schob; als sei selbst ein Händedruck nicht statthaft. Das Lächeln erlosch, und aus der Brust der Sterbenden rang sich ein röchelnder Laut. »Grüßet die Großmama! – Nun möchte ich Ruhe haben – schaffe mir Ruhe um jeden Preis, Leo!« hauchte sie angstvoll.
»In zehn Minuten wirst Du schlafen, Henriette«, sagte er in tiefen, beruhigenden Tönen. Er legte ihre Hand auf die Bettdecke zurück, und sich erhebend schob er seinen Arm sanft und unmerklich unter das Kopfkissen. – So lag sie wie ein Kind an seiner Brust – seliges Sterben!
Und nach zehn Minuten schlief sie. Die hereinnickenden Weinblätter wehten leise, als streife sanfte Berührung an ihnen hin, und das Rosenlicht draußen, in das zu tauchen die Seele sich gesehnt hatte, erglühte plötzlich wie angefacht zum tiefsten Purpur. Und der kleine, kirre Vogel ließ sich wie immer zum Abendgruß auf dem Fenstersims nieder; er zwitscherte leise herein, nach dem wachsweißen Mädchengesicht hin letzten Mal; denn nun wurde auch dieser Fensterladen geschlossen, bis – fremde Hände kamen und Besitz ergriffen vom Hause des Kommerzienrates.
Da kam die Präsidentin herein, gebeugt, als habe ihr das so lange nachschleichende Alter nunmehr mit doppelter Wucht einen Stoß in das Genick versetzt. Die weiße Schleierwolke lag wieder um Kinn und Hals; sie hatte die schwarze Krepphaube fortgeschleudert – um einen Schurken trauere man nicht, hatte sie gesagt. Sie trat an das Bett, und ein leichter Krampf machte ihre Lippen beben, als sie in das stille Totengesicht sah. »Ihr ist wohl«, sagte sie mit brechender Stimme. »Sie hat das bessere Teil erwählt; nun braucht sie nicht in die Verbannung zu gehen – der bittere, bittere Kampf mit der Armut ist ihr erspart geblieben.«
Flora aber kam und ging wortlos. Die zwei treuen Wächter am Totenbette existierten nicht für sie. Sie küsste die Heimgegangene Schwester auf die Stirne, dann schritt sie, den Kopf in den Nacken zurückgeworfen, wieder nach der Tür, durch die sie gekommen. Wohl wurzelte ihr Fuß auf der Schwelle, aber sie wandte weder die Augen, noch den Kopf nach der Richtung, wo der Doktor stand und mit ernster, feierlicher Stimme die Grüße der Toten bestellte. Sie neigte unmerklich das Haupt, zum Zeichen, dass sie den Ausdruck des letzten Gedenkens in Empfang genommen, und ging mit rauschender Schleppe weiter, die Treppe hinab, um drunten Hut und Regenmantel anzulegen und nach dem nächstgelegenen Hotel zu gehen, in welchem sie Zimmer für sich und die Präsidentin gemietet hatte; unter dem Dach des Verbrechers durfte kein Glied der Familie Mangold mehr schlafen, selbst die Tode nicht.
Und als man auch sie nach hereingebrochener Dunkelheit fortgetragen hatte in die große Halle, wo sie alle im letzten Schmuck und blumenüberschüttet auf das Öffnen der letzten Pforte warten, da wurde auch in der Beletage die letzte Zimmertür verschlossen, und der Doktor und Käthe stiegen die Treppe herab. Wie schollen ihre Schritte durch das schweigende, verlassene Haus! Wie gespenstig schlich der Schein der Lampe, die der Gärtner vor ihnen hertrug, über die einsamen Wände des Treppenhauses und der Korridore, an denen Tag für Tag die Fluten des üppigsten Lebens, die übermütigen Zeugen der goldgleißenden Schwindelepoche hinweggerauscht waren.
Die weiche Nachtlust, welche die Fortgehenden umfloss, legte sich wie Balsam auf Käthes heiße, verweinte Augen. Ein sternfunkelnder Himmel breitete sich über den schweigenden Park hin; man konnte die einzelnen Baumgruppen unterscheiden, und der Teichspiegel glomm schwach herüber, wie mattes Silber durch schwarzes Schleiergewebe. Das Sandgeröll wich knirschend unter den Tritten, und von fern her tosten die über das Wehr stürzenden Wasser, aber kein Blatt an den Wipfeln und Büschen regte sich – es war so lautlos still, wie droben im Sterbezimmer, wo man während der letzten Stunden nur flüsternd das Notwendige beredet hatte. Und deshalb schrak auch Käthe jetzt so zusammen und brach fast in die Knie, als der Doktor mit seiner tiefen, vollen Stimmt das Schweigen unterbrach! Sie hatten gerade das tiefdunkle Laubtor der Allee vor sich, und da blieb er stehen.
»Ich verlasse in wenigen Tagen die Residenz, und so wie ich Sie kenne, werden Sie bis dahin weder zu meiner Tante kommen, noch mir gestatten, die Mühle zu betreten«, sagte er – eine unsägliche Beklommenheit und Spannung lag in diesen Tönen. »Ich muss mir also sagen, dass wir zum letzten Male, nebeneinander gehen – das heißt, für jetzt –«
»Für immer!« unterbrach sie ihn tonlos, aber fest.
»Nein, Käthe!« sagte er entschieden. »Eine Trennung für immer wäre es allerdings, wenn ich das, was Sie vor wenigen Stunden ausgesprochen haben, für unverbrüchlich halten müsste, denn eine Schwester will ich nicht. … Glauben Sie, ein Mann werde sich zeitlebens da mit wohlgemeinten schwesterlichen Briefen begnügen, wo er nach dem lebendigen Worte von geliebten Lippen dürstet? … Aber nein, das wollte ich ja heute nicht sagen. Die Selbstsucht reißt mich hin, Sie in einem Augenblicke zu bestürmen, wo Sie eine so bittere Schmerzenslast zu tragen haben. Nur über eines muss ich mich noch aussprechen. Sie haben heute Nachmittag eine Begegnung in dem Zimmer gehabt, aus welchem Sie mir in der heftigsten Gemütsbewegung entgegentraten. Man hat Ihnen mitgeteilt, was geschehen ist, und dabei ist selbstverständlich der ganze missliche Anschein, den eine solche gewaltsame Lösung stets gewinnt, auf mich allein gefallen – ich sah das an Ihren Mienen, und später, als Sie sich gegen eine innigere Beziehung verwahrten, indem Sie Henriette zu Liebe mir eine Schwester sein wollten, da hörte ich auch, dass böse Einflüsterungen Macht über Sie gewonnen hatten – Gott sei Dank, nicht für immer! Ich weiß es – Ihr klarer, kluger Blick mag sich vielleicht momentan trüben, aber er wird sich nicht hartnäckig verschließen. Käthe, ich war neulich, an dem schreckensvollen Nachmittage, in meinem Garten; ich stand hinter dem Ufergebüsche, und drüben legte ein Mädchen die Stirn an einen Baumstamm und weinte bitterlich.«
Käthe machte eine Bewegung, als wolle sie in die Allee hineinfliehen, allein schon hatte Bruck ihre Hand gefasst und hielt sie mit festem Drucke. »Ich sah das Mädchen leibhaftig vor mir stehen, das ich eben in Gedanken voll Sehnsucht in meinen Armen gehalten und an das Herz gedrückt hatte; ich war eben in dem letzten der Kämpfe, die ich monatelang durchlitten, Sieger geblieben, das heißt, ich hatte falsche Ansichten von mir geschüttelt und mir gesagt, dass ich ein Meineidiger sei, wenn ich, die Unbezwingliche Leidenschaft im Herzen, eine verhasste Ehe eingehe. Und da sah ich die Heimgekehrte stehen – und ich jauchzte, denn ihre weinenden Augen suchten nicht die Fenster der Tante –« er schwieg und zog ihre Hand an seine Lippen, und sie lehnte an der nächsten Linde, unfähig, auch nur einen Laut herauszubringen.