Kitabı oku: «Reichsgräfin Gisela», sayfa 5
Frau von Herbeck hatte den Arm um Juttas feine Taille gelegt. Die Dame war, trotz ihrer ziemlich vorgeschrittenen Jahre, noch sehr hübsch; das ließ sich gerade in diesem Augenblick feststellen, wo sie sich neben der unvergleichlichen Schönheit des jungen Mädchens recht gut behauptete. Für den feinen Kenner weiblicher Reize waren wohl diese Körperformen zu kolossal und üppig, und manches feinfühlige, reine, weibliche Gemüt mochte sich instinktmäßig von dem oft eigentümlich lächelnden und zugleich schwimmenden Blick abwenden; allein jene Körperfülle erschien so kerngesund und rosig frisch, und die großen, ein wenig vorstehenden Augen konnten in geeigneten Momenten auch wieder so ernsthaft und ehrenhaft dreinblicken, daß das öffentliche Urteil diese Frau einstimmig schön, respektabel und sehr liebenswürdig nannte... Sie war die kinderlose Witwe eines armen, altadligen Offiziers und war bereits zu Lebzeiten der Gräfin Völdern als Giselas Erzieherin im Hause des Ministers tätig gewesen. Stets unbedingt und gewandt auf die Absichten der Großmutter bezüglich des zu erziehenden Kindes eingehend, war sie von der ersteren noch auf dem Sterbebette als diejenige bezeichnet worden, die als »vollkommen passend« die Führung und Ausbildung der Kinderseele in der Hand behalten sollte.
Nun saß sie da im eleganten, dunkeln Seidenkleid, das schöne, volle Haar von geschickten Kammerjungferhänden modern und geschmackvoll geordnet, und erzählte Episoden aus dem Leben und Treiben der großen Welt, und von dem jungen Geschöpf, das sich weich und hingebend an die stattliche Frau schmiegte, war das starre Gepräge der »tiefen, wortlosen Trauer« spurlos weggewischt. Das war wieder die Lebenslust atmende Gestalt, die wir im Brautkleid der Mutter, mit den Tazetten im Haar, vor dem Spiegel gesehen haben – unverwandt und sprühend hingen die dunkeln Augen an dem roten, leichtgeschwellten Mund der Erzählerin, die ein farbenreiches, verlockendes Bild nach dem anderen aufrollte. Die junge Dame war der Wirklichkeit, dem engen Stübchen so gut entrückt wie das denkende Kind am Fenster; nur dann und wann fuhr sie empor und warf einen zornigen Blick nach der Tür. Da draußen lag die alte Rosamunde, die qualmende Küchenlampe neben sich, auf den Dielen und scheuerte mit wahrer Inbrunst Vorsaal und Treppe, als letzten Rest ihrer Weihnachtsarbeiten – sie kannte die Füßchen der »kleinen Panduren« viel zu gut, um nicht zu wissen, daß sie am liebsten schnurstracks aus Pfützen und Straßenschmutz über den frischgescheuerten Fußboden liefen, und deshalb warf sie auf jede neugewaschene Stelle mit unglaublicher Vehemenz ganze Salven schützender Sandbrocken.
Da kamen rasche Schritte über den Vorsaal, und die Pfarrerin trat in das Zimmer. In der Linken trug sie ein brennendes Licht und auf dem rechten Arme ihren in ein dickes, wollenes Tuch gewickelten jüngsten Knaben. Die ganze große, kräftige Frau mit den glühenden Wangen und energischen Bewegungen war das Bild angestrengter Tätigkeit. Sie bot einen freundlichen guten Abend und stellte das Licht auf das Klavier, da beide Damen die Hand über die geblendeten Augen hielten.
»Heute geht's scharf her in der alten Pfarre, nicht wahr, Fräulein Jutta?« meinte sie lächelnd, wobei zwei Reihen kerngesunder, fest zusammengefügter Zähne sichtbar wurden. »Nun, morgen sollen Sie dafür einen recht stillen Feiertag, ein ruhiges, leeres Haus haben. Mein Mann hält die Filialpredigt in Greinsfeld, und meine kleine, wilde Gesellschaft drunten geht auch mit hinüber – die alte Muhme Röder hat sie zum Kaffee eingeladen... Fräulein Jutta, ich möchte Ihnen gern für eine halbe Stunde mein Herzblättchen da lassen – Rosamunde scheuert noch drauf und drein und wird gern brummig, wenn man sie von der Arbeit abruft, und mit den Kindern ist heute absolut nichts anzufangen; sie laufen von einem Schlüsselloch zum anderen, gucken nach dem Himmel, ob er nicht bald dunkel wird, und darüber kann der kleine Schelm da, der gern an den Stühlen aufsteht, zehnmal auf die Nase fallen. Mir aber wären heute zehn Hände nicht zu viel – die Kinder horchen schon auf die Klingel, und es liegt noch nicht ein einziges Stück auf dem Weihnachtstisch.«
Sie wickelte den Kleinen aus dem Tuch und setzte ihn auf den Schoß der jungen Dame. »So, da haben Sie ihn!« sagte sie und strich mit der großen, kräftigen Hand glättend über die weißen Flaumhaare des Köpfchens, die sich unter dem Tuch zu lauter Löckchen gekrümmt hatten. »Er kommt eben aus dem Bade und ist so weiß und frisch wie ein Nußkernchen. Viel belästigen wird er Sie nicht – es ist mein artigstes Kind.«
Voll von der unerschütterlichen Zuversicht der Mutterliebe, die ihr Kind unwiderstehlich findet, war es ihr nicht eingefallen, auch nur einen forschenden Blick auf Juttas Gesicht zu werfen; ihr Auge hing vielmehr unverwandt mit zärtlichem Stolz an dem kugelrunden Geschöpfchen, das gutwillig auf dem Schoß der jungen Dame sitzen blieb und mit seinen vier nagelneuen Zähnchen tapfer in den Zwieback biß, den die Mutter in die kleine Hand gedrückt hatte.
Die Pfarrerin schritt hurtig nach der Tür zurück, allein diese zwei blauen, lustigen Augen besaßen einen wahren Feldherrnblick im Hauswesen; sie fahndeten selbst in der größten Eile auf jede Gesetzwidrigkeit, und so blieb die Frau plötzlich stehen und ergriff einen der Immergrünzweige, die sich nach Frau von Zweiflingens Bild emporrankten und vom Kerzenlichte bestrahlt wurden – die jungen Triebe hingen matt und halb verdurstet am Stengel.
»O weh, ihr armen Dinger!« rief sie mitleidig, während sie nach einer gefüllten Wasserflasche griff und die steinharte Erde in den Töpfen begoß. »Fräulein Jutta«, wandte sie sich freundlich ernst an die junge Dame, »das Immergrün da müssen Sie mir mehr in Ehren halten! Als ich meinen ersten Geburtstag als junge Frau hier in der Pfarre feierte, da ging es knapp genug bei uns zu – der Storch war da gewesen, und so war der Geldbeutel schmal geworden –, mein Mann hatte keinen Groschen mehr in der Tasche, aber da kam er in aller Frühe aus dem Walde und stellte mir die Töpfe aufs Fensterbrett, und ich sah zum erstenmal in meinem Leben, daß er geweint hatte... Ich hab' sie nicht mit leichtem Herzen da heraufgegeben«, fuhr sie aufrichtig fort, indem ihre flinken Hände die niederhängenden Ranken wieder an den Schnüren befestigten, die an der Wand hinliefen; »aber mit Tapeten sieht's windig bei uns aus, die kann weder mein Mann noch die Gemeinde bezahlen, und die kahlen weißen Wände waren mir denn doch nicht schön genug für meinen lieben Gast.«
Ihr Gesicht hatte bei den letzten Worten wieder den Ausdruck unbekümmerter Heiterkeit angenommen. Sie setzte das Licht auf den Sofatisch, nickte ihrem Knaben zu und verließ rasch das Zimmer.
Als die Tür hinter ihr in das Schloß gefallen war, sah Frau von Herbeck einen Augenblick wie sprachlos vor Erstaunen in Juttas Gesicht, dann brach sie in ein helles, spöttisches Lachen aus.
»Nun, das muß ich sagen, das ist eine Naivität, die ihresgleichen sucht!« rief sie und sank, die Hände zusammenschlagend, an das schwellende Polster der Sofalehne zurück. »Himmel, was Sie für ein klassisches Gesicht machen, Herzchen! Und wie gottvoll Sie sich anstellen als Kindermuhme!... Ich könnte mich totlachen!«
Jutta hatte noch nie ein Kind auf dem Schoße gehabt und selbst als kleines Mädchen nur wenig mit Altersgenossen verkehren dürfen. Als die Zwistigkeiten zwischen ihren Eltern ausbrachen, war sie – kaum zwei Jahre alt – einer in klösterlicher Einsamkeit lebenden Geheimratswitwe übergeben worden, sie sollte nicht durch die schrecklichen Verhältnisse im elterlichen Hause berührt werden. Erst kurz vor dem Tode ihres Vaters durfte sie zu der Mutter zurückkehren und hatte somit den größten Teil ihrer Kindheit fast ausschließlich im Umgang mit der alten Dame verbracht, deren Aufgabe es ja gewesen war, sie einzig und allein für ein zurückgezogenes, anspruchsloses Leben zu erziehen. Übrigens mußte dieser jungen Mädchenseele der Instinkt versagt sein, der das echte Weib unwiderstehlich zu der Kinderwelt hinzieht und dasselbe sofort, ohne irgendwelche Anleitung, zur Pflegerin geschickt macht, denn sie sah, den Oberkörper ängstlich zurückgebogen und die Arme steif an den Seiten niederhaltend, mit einer Art von Entsetzen auf den kleinen, aufgedrungenen Schützling nieder; aber sie war auch innerlich erbittert über die Zumutung, die ihr gemacht worden war – sie runzelte finster die Brauen, und die feinen, bläulichweißen Zähne gruben sich tief in die Unterlippe.
»Ach, und wie vortrefflich Ihnen die ehrliche Landpomeranze zu sagen wußte, welche übermenschlichen Opfer ›dem lieben Gast‹ in diesem gesegneten Pfarrhause gebracht werden!« fuhr Frau von Herbeck noch immer lachend fort, »Gott solch eine vierschrötige, hausbackene Person, und dabei diese Sentimentalität mit dem Grünzeug!... An Ihrer Stelle ließ ich die Töpfe sofort dahin zurückbringen, wo sie der gerührte Gatte einst hingestellt hat – schließlich werden Sie noch für jedes abgefallene Blatt verantwortlich gemacht, und ich kann es Ihnen keinen Augenblick verdenken, wenn Sie nicht Lust haben, die kostbare Orangerie der Frau Pfarrerin zu begießen.«
Die kleine Gisela war von ihrem Stuhl aus mit großer Aufmerksamkeit dem ganzen Vorgang gefolgt. Jetzt glitt sie auf den Boden herab, und ihr großes, kluges Auge richtete sich erregt auf das Gesicht ihrer Gouvernante, während ein helles Rot unter die gelblichweiße, matte Haut der Wangen trat.
»Die Töpfe dürfen nicht fortgeschafft werden!« sagte sie ziemlich heftig. »Ich will es nicht haben – das tut mir zu weh!« Stimme und Gebärden des Kindes zeigten unverkennbar, daß es gewohnt sei, zu befehlen.
Frau von Herbeck nahm die Kleine sofort in ihre Arme und küßte sie voll Zärtlichkeit auf die Stirne. »Nein, nein«, beschwichtigte sie, »sie sollen ganz gewiß da bleiben, wenn mein süßes Kindchen es will... Aber du verstehst das noch nicht, Engelchen – es ist nicht so gut gemeint von der Frau, wie du denkst.«
Währenddessen hatte Fritzchen lustig und unbekümmert seinen Zwieback bearbeitet. Das kaum dreivierteljährige Kind war in der Tat frisch und weiß wie ein Nußkern. Der kleine, runde Kopf mit den blühenden Wangen und dem gespaltenen Kinn ruhte unmittelbar auf der blütenweißen, faltenreichen Hemdkrause, und unter dem fleckenlosen, feuerroten Flanellröckchen hervor guckten ein Paar draller, rosiger Beinchen, denen man es ansah, daß sie eben noch im Seifenschaum gesteckt hatten.
Fritzchen wurde nach dem Prinzip der allgemeinen Menschenliebe erzogen. Es fiel ihm plötzlich ein, daß er von allem, was ihm gut schmeckte, an Mama, Rosamunde und die Geschwister abgeben mußte, und infolgedessen nahm er unter treuherzigem Lallen den Zwieback vom Munde und stieß ihn mit den ungeschickten Händchen heftig gegen Juttas Lippen – das junge Mädchen fuhr leise aufschreckend zurück, und die Röte des Erschreckens flammte über ihr Gesicht; die kleine Gräfin aber lachte laut auf – der Moment erschien ihr urkomisch.
»Aber, Gisela, mein Kind, wie magst du da nur lachen?« schalt die Frau von Herbeck sanft. »Siehst du denn nicht, daß das arme Fräulein von Zweiflingen zu Tode erschrocken ist über die Zudringlichkeit des kleinen Bengels?... Übrigens sehe ich gar nicht ein, weshalb wir uns das gemütliche Plauderstündchen verderben lassen sollen!« fuhr sie ärgerlich fort. »Ich werde der Sache gleich ein Ende machen!«
Sie stand auf, nahm den kleinen Missetäter von Juttas Schoß und setzte ihn auf die Dielen; in demselben Augenblick kauerte aber auch Gisela neben dem Kinde und legte die kleinen mageren Arme um seine Schultern. Der Ausdruck war wie weggewischt von ihrem schmalen Gesichtchen. »Es war gut gemeint von ihm!« sagte sie, zwischen Trotz und Bedauern schwankend.
»Pfui, mein Kind – ich bitte dich, rühre den schmutzigen Jungen nicht an!« rief Frau von Herbeck, die Bemerkung des Kindes überhörend.
Die kleine Gräfin antwortete nicht, aber der Blick, mit dem sie zu ihrer Gouvernante aufsah, funkelte in Zorn und Widersetzlichkeit. Diesem Kinde gegenüber hatte die Dame offenbar einen sehr schweren Stand; allein sie war ja »vollkommen passend« und wußte sich demgemäß zu helfen.
»Wie – eigensinnig will mein Liebchen sein?« fragte sie schalkhaft zärtlich. »Nun meinetwegen, bleibe du sitzen, wenn es dir Freude macht!... Was aber wohl Papa sagen würde, wenn er die kleine Reichsgräfin Sturm als Kindermädchen auf dem Fußboden kauern sähe! Oder die Großmama!... Weißt du noch, Engelchen, wie sie zürnte und schalt, weil dir im vorigen Jahr auf deine Bitten die Frau des Jägers Schmidt ihr Kind auf den Schoß gegeben hatte?... Nun ist sie tot, die liebe, schöne Großmama; aber du weißt ja, daß sie im Himmel ist und immer sehen kann, was ihre kleine Gisela tut – in diesem Augenblick betrübt sie sich gewiß recht sehr, denn was du tust, schickt sich ja nicht für dich!«
»Es schickt sich nicht für dich!« das war die Zauberformel, mittels der diese Kinderseele regiert wurde. Nicht daß das aristokratische Element so übermächtig in ihr ausgebildet gewesen wäre, um jedes verpönte Begehren mit seiner Hilfe zu unterdrücken – dazu war das Kind noch zu jung; aber »es schickt sich nicht für dich!« hatte ja »die liebe, schöne Großmama« so oft gesagt, ehe sie in den Himmel gegangen, und sie war und blieb der Inbegriff der Erhabenheit und Unfehlbarkeit für die kleine, verwaiste Enkelin... Noch saß die Falte des Zorns zwischen Giselas Brauen, und ihre Augen hingen beunruhigt an dem kleinen Ausgesetzten auf dem Boden, aber als die Gouvernante mit ihren weichen, weißen Händen sanft die schmale, leichte Gestalt zu sich emporzog, da ließ sie sich willenlos greifen, wie ein Vogel, der keinen Ausweg mehr sieht – Frau von Herbeck kehrte mit ihr zum Sofa zurück und behielt ihre Hand zwischen den ihrigen.
Fritzchen sah sich plötzlich einsam und verlassen. Er warf seinen Zwieback hin, streckte die Ärmchen empor und wollte genommen sein; allein Jutta wandte sich ab – sie war noch immer beschäftigt, ihre etwas in Unordnung geratenen Locken und die verschobenen Falten des Kleides wieder zu ordnen – und Frau von Herbeck machte ihm ein bitterböses Gesicht und drohte heftig mit dem Finger. Der arme, kleine Schelm starrte sie lange erschrocken und unverwandt an – seine großen, blauen Augen füllten sich allmählich mit Tränen, während ein Jammerzug die Mundwinkel herabsenkte – endlich brach er in ein bitterliches Weinen aus.
Sofort eilten die raschen Füße der Pfarrerin die Treppe herauf, und ehe sich die Damen dessen versahen, stand sie in der Tür. Dort saß ihr »Herzblättchen« ausgestoßen und verlassen auf dem kalten Fußboden, und die vornehmen Frauengestalten auf dem Sofa schmiegten sich aneinander wie zusammengehörig, und als könne der Raum zwischen ihnen und dem plebejischen Kinde nicht weit genug sein.
Nicht ein Wort kam über die Lippen der beleidigten Mutter, nur eine tiefe Blässe bedeckte für einen Augenblick das blühende Gesicht. Sie hob ihren Knaben empor und preßte ihn heftig an sich; dann wickelte sie ihn in das warme Tuch und schritt nach der Tür zu. Dieses lautlose Schweigen, die fast königliche Haltung der einfachen Frau, die es unter ihrer Würde hielt, ihrem tiefverletzten Gefühl Ausdruck zu geben, imponierten selbst der gewiegten Welt- und Salondame auf dem Sofa.
»Meine beste Frau Pfarrerin«, rief sie, leicht verlegen, aber mit einschmeichelnder Stimme ihr nach, »Ich bedauere, daß wir den Kleinen nicht besser beschäftigen konnten, aber er war sehr unruhig, und Fräulein von Zweiflingen ist doch noch zu angegriffen –«
»Ich kann es mir selbst nicht verzeihen, daß ich das nicht besser überlegt habe«, antwortete die Pfarrerin einfach, ohne Bitterkeit, und ging hinaus.
»Seien Sie diesem Zwischenfall dankbar, Kindchen!« flüsterte die Gouvernante, als sie auch auf Juttas Gesicht einen Zug der Scham und Verlegenheit bemerkte. »Mit dieser einen Zurechtweisung hab' ich Sie vor einer unabsehbaren Reihe widerwärtiger Zumutungen bewahrt... Das ist auch eine jener ›wackeren deutschen‹ Hausfrauen, die vor lauter Tugend und Vortrefflichkeit unausstehlich werden. Zudringlich mit ihrer Weisheit, fahnden sie förmlich auf junge Mädchenseelen und pressen die unschuldigen Lämmer ohne Gnade in den Pferch der sogenannten ›Weiblichkeit‹, die da nichts erlaubt als Bibel, Kochtopf und Strickstrumpf... Das, was wir eben erlebt haben, war der erste leise Versuch der überklugen Frau – war ich nicht da mit meinem Einspruch, so säßen Sie bereits morgen drunten und flickten den alten Rock des Herrn Pfarrers oder die zerrissenen Höschen der geistlichen Sprößlinge.«
Jutta fuhr empor – in diesem Moment konnte sich das aufglühende Mädchengesicht getrost neben den hochmütigen Zügen des stolzesten Ahnherrn in der Halle des Waldhauses behaupten – das war genau jener kalt zurückweisende Zug um die Lippen, jener verächtlich abwärts zuckende Blitz aus den halbgeschlossenen Augenlidern, der da sagte: »Was nicht neben oder über mir steht, existiert nicht für mich!«
Frau von Herbeck legte den Arm wieder um die schlanken Hüften des jungen Mädchens und zog sie schmeichelnd an sich heran. Dabei ergriff sie mit der Linken die Hand, die schmal und zart, wie ein durchsichtig weißes Blumenblatt auf dem schwarzen Wollkleide lag, und betrachtete sie mit einer Art von zärtlicher Aufmerksamkeit.
»Es kann mich förmlich unglücklich machen«, sagte sie mit einem Anflug von Groll in der Stimme, »wenn ich eine meisterhafte Form, wie zum Beispiel diese reizende Hand hier, sehe, und mir dabei sagen muß, daß ihre Schönheit unausbleiblich zerstört werden wird durch die Anforderungen einer unangemessenen Lebensstellung... Diese rosigen Nägel, diese Grübchen voll Küchenschwärze! – pfui, ich mag es gar nicht denken!... Hoffentlich verfährt das Schicksal glimpflich mit Ihnen, Kindchen!... Freilich, ganz und gar diesem Los entgehen werden Sie doch nicht als Frau Hüttenmeisterin.«
»Theobald hat mir und Mama versprochen, daß er mich wie seinen Augapfel behüten wolle«, entgegnete das junge Mädchen stockend mit halberstickter Stimme.
»Ja, ja, liebes Herzchen, das ist alles recht schön und gut, und der Hüttenmeister auf alle Fälle ein prächtig lieber Mensch, der im Notfall sein Herzblut für Sie hingibt – in seinen guten Willen setze ich auch nicht den mindesten Zweifel. Aber, aber, solch einem glücklichen Bräutigam fällt es selten ein zu rechnen – das kommt erst nach der Hochzeit... Und was wollen Sie dann machen, wenn Sie einmal drinstecken? Die Familie wird größer, das Einkommen aber nicht, und wenn dann der Mann die Nähterin oder Flickmamsell nicht mehr bezahlen kann, so hilft der Frau kein Wehren und Sträuben – sie muß, wohl oder übel, die groben Strümpfe des Herrn Gemahls über die feine Hand stülpen und – sie flicken.«
Frau von Herbeck hielt inne und sah seitwärts auf Juttas Gesicht nieder, das an ihrer Schulter lehnte. Das junge Mädchen schwieg mit fest zusammengepreßten Lippen, während sein Auge unverwandt und finster auf den Boden starrte, als gewänne die häßliche Schilderung der Gouvernante dort bereits Form und Gestalt... Frau von Herbeck lächelte leise, und der Ausdruck ihrer großen, schwimmenden Augen war in diesem Moment sicher nicht jener ehrenfeste, den sie respektablen Charakteren gegenüber anzunehmen wußte. Sie strich mit der Hand sanft über die gerunzelte Stirne der jungen Dame.
»Ach, wer wird denn gleich ein solch trübes Gesicht machen!« sagte sie ebenso einschmeichelnd beschwichtigend, wie sie mit ihrer kleinen Schutzbefohlenen zu reden gewohnt war. »Meine ich Sie denn etwa speziell mit dieser Schilderung?... I, Gott soll mich bewahren! Ich wäre ja mit dem besten Willen nicht einmal imstande, mir die schöne Jutta von Zweiflingen in einer solchen Lage zu denken, obwohl ich an manchem schönen, gefeierten Mädchen erfahren habe, wohin solche Neigungsheiraten führen können... Sehen Sie, da wird alles, was das Leben schmückt, nach und nach als Ballast über Bord geworfen... Das geliebte Klavier steht verstaubt und verschlossen in der Ecke, die eleganten Bücher und Stickereien verschwinden vom Nähtisch, dafür liegen schmutzige Abc-Bücher und Schreibhefte umher, und ein Korb voll zerrissener Wäsche wartet auf neue Flicken – ich kenne das... Die junge Frau streicht die bewunderten Locken glatt hinter das Ohr oder unter die Haube – das sieht häßlich aus – aber was tut's? Sie braucht nicht mehr schön zu sein, es sieht sie ja niemand!«
Jutta sprang auf, warf wortlos, aber mit einer leidenschaftlichen Gebärde die Locken zurück und trat an das Klavier... Was auch in dieser Brust vorgehen mochte, es war jedenfalls ein heftiger Aufruhr, der sie in fliegenden Atemzügen hob und senkte.
Die junge Dame schlug den Deckel des Instrumentes zurück, und in den Sessel niedergleitend, begann sie eine wildaufbrausende ungarische Volksweise kraftvoll und energisch mit denselben Händen, die vorhin zu »schwach und angegriffen« gewesen waren, das Kind der Pfarrerin auch nur einen Augenblick zu halten... Wie Perlenschnüre rollten die kühnen Passagen; es war ein Gewoge von Tönen, aus denen die Grundmelodie immer wieder auftauchte, und mit ihr wilde Zigeunergesichter, glühend angestrahlt vom Lagerfeuer, nächtliche, über die weite Pußta hinfliegende Reiter, umtobt von mähneflatternden Roßherden, sterbende Helden und kühne Räubergestalten – und diese fremdartigen Gebilde, in denen ein heißes Blut pulsierte, rauschten durch die kleinen Eckfenster hinaus in das keusche, feierliche Schweigen der herabsinkenden heiligen Nacht. Das Gebirge reckte seine dunklen Glieder aufwärts, und der goldflimmernde Himmel spannte sich von einem Bergscheitel zu dem anderen, Kluft und Tiefen ausgleichend, wie der große Versöhnungsgedanke des Gekreuzigten sich breitet über jenes zerklüftete Schöpfungswerk, das wir die Menschheit nennen... Und diese Menschheit? Sie schärft seine milden Worte zu Schwertern, mit denen sie sich selbst zerfleischt. Der Baalsglaube macht jenen Stern des Heils, den einst die Hirten über der kleinen Erde aufgehen sahen, zum stummen Götzen und verfolgt den lebendigen Geist, der von ihm ausgegossen, mit blindem Vandaleneifer – umsonst, er leuchtet! Und mit seinem mächtigen Wort: »Es werde Licht!« hat Gott selbst gewollt, daß die Nacht nie mehr »die Herrschende« werde!