Kitabı oku: «Oder sind es Sterne»

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Über das Buch

Kabul, Paris, Los Angeles. Die Schicksale dreier Helden, die ihre Identität suchen, finden und wieder verlieren, rasant verknüpft mit politischem Weltgeschehen. Ein spannender Roman, der poetisch und mit surrealem Humor von der Sehnsucht nach Zugehörigkeit erzählt.

Sommer 2001. »Survivor« von Destiny’s Child geht um die Welt wie ein Omen für kommende Ereignisse. Im Pariser Penthouse von Hasir Zaman, einem wohlhabenden Exil-Afghanen, tanzt zu der Melodie die mysteriöse Frau, die er verführen möchte. Beyoncés Stimme schleicht sich in die sündigen Gedanken seines Neffen Sameer, der im Waisenhaus von Kabul aufwächst. Der Song schallt aus dem Lautsprecher eines geheimen Trainingslagers, wo Leutnant Ryder, ein US-Marine, für einen internationalen Spezialeinsatz ausgebildet wird. Und die Hymne übertönt das Surren der Drohnen im Hindukusch, als sich dort die Schicksale der drei ›Überlebenden‹ untrennbar verstricken. Eva Munz erzählt von Zugehörigkeit und Identität in einer aus den Fugen geratenen Welt, von trügerischen Wahrheiten im Zerrbild der Medien, von der Unzuverlässigkeit der Erinnerung und einer fragwürdig gewordenen Männlichkeit. Wer ist Freund, wer Feind? Vor allem: Wer bin ich und wer darf ich sein?

Die Autorin

Eva Munz studierte an der HFF München Film und arbeitete viele Jahre als Regisseurin und Journalistin in verschiedenen Ländern Asiens. Heute lebt sie in New York und schreibt für Magazine und Tageszeitungen. Eva Munz ist Co-Autorin von Die totale Erinnerung – Kim Jong Ils Nordkorea (2006) und hat Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht. Oder sind es Sterne ist ihr erster Roman.

Eva Munz

ODER SIND ESSTERNE

Roman


IN A DREAM YOU SAW

A WAY TO SURVIVE

AND YOU WERE FULL OF JOY

Jenny Holzer

SAMEER
KABUL

KURZ VOR SONNENAUFGANG hat sich die Schlange noch gehäutet, dann ist sie eingegangen. Wie ein Geist zittert ihre abgestoßene Haut nun neben dem Kadaver in der Brise. Ein süßlicher Geruch hängt in der Hütte, die sich an den Berg im Norden der Stadt klammert. Der Tanz der Cobra sollte mein kaputtes Auge heilen, Mullah Usmeen und ich haben den ganzen Weg durch Kabul umsonst zurückgelegt. Der Mullah kräuselt seine Nase – sie ragt wie eine gebrochene Flöte aus seinem faltigen Gesicht – und spricht dem Schlangenbeschwörer Trost zu. Dann machen wir uns auf den Rückweg ins Waisenhaus.

Der rostige Ventilator hängt untätig von der Decke des Klassenzimmers, es ist unerträglich heiß diesen Sommer. Wir haben schon lange keinen Strom mehr. Unsere Stimmen verschmelzen beim Aufsagen der Sure, die besagt, dass nur Allah die Vögel in den Lüften hält. Wenn ich Flügel hätte, ich würde sie ausbreiten, den Wind durch die Federn wehen lassen und davonfliegen. Aber ich sitze hier am Boden fest.

Manchmal wünsche ich mir, ich wäre unsichtbar und niemand könnte mein rotes Teufelshaar oder meine Sommersprossen sehen, niemand würde seinen Blick von meinen grünen Augen abwenden müssen. Ich wünschte, niemand könnte erkennen, dass ich der Sohn einer Hure bin, die sich von einem sowjetischen Dreckschwein hat nehmen lassen. Die Sünden meiner Mutter stehen in meinem Gesicht geschrieben. Jeden Tag muss ich dafür büßen. Einmal habe ich mir freiwillig eine widerliche Schnecke übers Gesicht kriechen lassen, in der Hoffnung, der Schleim würde die Punkte wegradieren, vergeblich. Früher wurde ich nur gehänselt, inzwischen haben sich alle gegen mich verschworen, und sobald die Erwachsenen wegsehen, bin ich fällig.

Irfahn wirft einen Kiesel auf meine takke, seinen Tritten habe ich das zugeschwollene Auge zu verdanken. Zu dritt haben sie mich verprügelt in jener Nacht, so schlimm war es noch nie. Ein andermal haben sie mir im Schlaf die Haare angezündet. Sie nutzen jede Gelegenheit, um mich zu quälen. Ich würde das Unheil anziehen, sagen sie. Langsam glaube ich es selbst.

Ich hätte schon lange abhauen sollen, weit weg von hier, aber am Ende traue ich mich doch nie. Die Bärtigen sammeln Buben von der Straße ein, bringen sie in die Berge und zwingen sie, schlimme Dinge zu tun, von denen nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Im Frühling sind sie im Hof der Schule vorgefahren und haben AliAli geholt, er war der Einzige, der mich in Ruhe ließ. AliAli hieß eigentlich Ali, aber weil er alles doppelt und dreifach sagte und sich immer hin und her bewegte, nannten ihn alle AliAli. Er litt unter Anfällen, bekam oft Krämpfe, einmal quoll sogar Schaum aus seinem Mund. Meistens schwebte er auf einer Wolke des Glücks. Ich beneidete ihn, trotz der Krämpfe. Die Bärtigen kitzelten AliAli, und er wirbelte im Kreis wie ein besessener Derwisch. Mullah Usmeen kam angerannt und bat sie, ihn in Ruhe zu lassen. Er appellierte an den Glauben der Männer. Sie stießen den Mullah in den Dreck und warfen AliAli auf die Ladefläche ihres Wagens, dort, wo das Maschinengewehr befestigt war. Als sie abfuhren, winkte AliAli vom Wagen, lachend. Selbst Irfahn wischte sich Tränen weg.

Seitdem weiß ich, dass wir auch hier nicht sicher sind und dass die Gelehrten uns nicht schützen können. Das Böse lauert überall.

LEUTNANT RYDER
SAN DIEGO

RYDER IST GRUNDZUFRIEDEN mit diesem Tag. Ein Tag wie je-der andere. Die Sonne Kaliforniens scheint wie immer gelangweilt auf den Stützpunkt. Alltag und Routine sind eingezogen und haben die Vergangenheit weichgespült. Ryder hat die Ausbildung bei den Marines bestanden, seitdem ist das Soldatenleben ein Spaziergang. Militärkonfrontationen auf amerikanischem Boden unwahrscheinlich. Somalia ein unscharfer Fleck auf der Weltkarte. Truppen im Kosovo nur noch mit Friedenstauben bewaffnet. Kriegsführung zukünftig ferngesteuert. Der amerikanische Soldat im Schützengraben wird bald ein Anachronismus sein.

Ryder kann sich zurücklehnen. In ein, zwei Jahren wird er sich von einer Sicherheitsfirma anstellen lassen und bei Geldtransporten eine ruhige Kugel schieben oder ein paar Omas vor einem Waldbrand retten. Sogar die verkochten Rippchen in der Kantine sind bei diesen Aussichten akzeptabel.

Da grätscht ausgerechnet dieser General in seine geordnete Idylle. »Ah, ich liebe den Geruch von Meister Proper!«, ruft er und atmet tief ein. »Hygiene! Segnung der freien Welt!« Surfer-Bräune, silbriger Dreitagebart, Pilotenbrille. Die Uniform hängt locker am drahtigen Körper, als wäre sie vom Kostümverleih. Der General wirkt wie ein Schauspieler, der sich bemüht, gleichzeitig authentischer und unattraktiver daherzukommen, als er wirklich ist. Wie alt kann er sein? Fünfzig? Sechzig?

Das Namensschild Bender, Sterne und alle erdenklichen Orden dekorieren seine Jacke. Anscheinend ist er ein hohes Tier.

»Was hat der Spaßvogel hier verloren?«, fragt Ryder seinen Kumpel Kellogg, der ihm Nägel kauend beim Essen zusieht.

Der General kann den Schuss nicht gehört haben, wenn er vorhat, hier mit den Gefreiten zu speisen. Die Kantine des Stützpunkts ist nicht gerade für ihre Gourmetküche bekannt. Streunende Hunde drüben in Mexiko ernähren sich besser. Sogar der fiese Drill-Sergeant bringt sein eigenes Essen mit, dabei kann er seit dem Balkankrieg nichts mehr riechen.

Küchenkraft Lupe beobachtet den General aus dem Schützengraben ihrer rostfreien Anrichte.

»Wunderschönen guten Tag, Fräulein Lupe.«

Ryder kann Lupe aus der Entfernung schlucken sehen.

»Ich bin General Lawrence Bender, Freunde nennen mich Larry. Ich werde demnächst öfter in diesem Etablissement vorbeischauen, die Atmosphäre auf mich wirken lassen, sozusagen. Hätten Sie heute noch etwas anderes zur Auswahl außer den Rippchen? Ich bin Vegetarier, keiner dieser Fundamentalisten, also Eier sind durchaus in Ordnung.«

Lupes tätowierte Augenbrauen fahren hoch, und ihr Häubchen staut sich in ihrem Nacken. »Sir, ich hab noch Hühner-Curry mit Ananas, von gestern, Sir.« Sie wischt sich ein paar Schweißperlen vom Oberlippenflaum und klatscht das atomgelbe Zeug auf den Portionsteller. Ryder erinnert sich an das Aroma, süßlich, wie künstliche Piña Colada.

»Wow, Hühner-Curry. Danke, Fräulein Lupe.« Der General späht in den Raum und bleibt an Kelloggs rasiertem Kopf hängen.

»Achtung, General im Anmarsch!« Kellogg duckt sich.

Der General lässt sich neben Ryder auf die Bank fallen, schiebt seine Sonnenbrille nach oben und durchbohrt Kellogg mit stählernen Blicken. »Leutnant Kellogg, Sie haben ja gar nichts zu essen. Kann ich Sie für dieses exotische Hühnerfrikassee begeistern? Ich verzichte vorerst auf tierisches Eiweiß.«

»Sir, ich kann das leider nicht annehmen, Sir«, sagt Kellogg.

»Sie fasten zu Ramadan, Leutnant?«

»So ist es, Sir.«

Ryder bereitet sich innerlich auf die unvermeidliche Glaubensdiskussion vor.

»Ausgezeichnet. Ich mag charakterfeste Persönlichkeiten.« Der General trennt das Curry vom Kartoffelbrei. »Leutnant Shaikh Kellogg. Ihre Eltern stammen aus Pakistan, richtig?«

»Stimmt genau, Sir. Ich bin allerdings hier geboren, Sir.«

»Kellogg, ein eher ungewöhnlicher Name im Punjab, wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben.«

»Sir, eigentlich ist Shaikh mein Familienname, ich habe es aufgegeben, das den Leuten klarzumachen, Sir.«

»Ihre Eltern haben Sie Kellogg getauft?«

»Korrekt, Sir. Mein Vater ist sehr leidenschaftlich, was amerikanische Frühstückskultur angeht, Sir.«

»Kann ich gut verstehen. Was mach ich jetzt mit dir, mein ar mes, vegetarisches Hühnchen?« Der General sieht von seinem Teller auf und nimmt Ryder ins Visier. »Ihnen scheint es immerhin zu schmecken, Leutnant.«

»Ich bin nicht sonderlich verwöhnt, Sir«, sagt Ryder vorsichtig.

»Was genau hat Sie noch mal zu den Marines gebracht, Leutnant?«

»Sir, ich hab im College Basketball gespielt, bei den San Diego Aztecs. Das Training hat mich abgehärtet. Ich dachte mir, hier kann ich meine körperliche Fitness sinnvoll einsetzen, Sir, für die Nation, Sir.« Ryder hofft, dass der General schnell wieder das Interesse an ihm verliert.

»Verstehe«, sagt der General und deutet auf Ryders Teller. »Wussten Sie, dass die Verdauungsgase von Rindern den Treibhauseffekt beschleunigen? Einer der Hauptgründe, warum ich mich zu einer Diät auf Pflanzenbasis entschieden habe. Abgesehen davon halte ich wenig davon, anderen Wesen das Leben zu nehmen, um ausgerechnet unsere Gattung zu erhalten. Die Schäden des Anthropozäns sind zwar irreversibel, aber jeder von uns kann dazu beitragen, dass die Löcher in der Atmosphäre nicht noch größer werden. Viele Weltreligionen haben derartige Überlegungen in ihren Glauben eingebaut. Die Hindus zum Beispiel beten Kühe an. Ich glaube, auch die Zuneigung, die Japaner für elektronische Haustiere verspüren, sind Zeugnis unserer Humanität. Selbst das Recht, sogenannte falsche Götter anbeten zu dürfen …«

Meister Bender scheint geistig an ein fernes Universum angeschlossen. Ohne wirklich zuzuhören, lässt sich Ryder von der an genehmen Stimme berieseln. »Welchen beten Sie an, Leutnant? Gott? Welchen? Lassen Sie mich raten, Leutnant Ryder.«

Die Worte des Generals verklumpen in Ryders Gehirn.

Kellogg kommt ihm zu Hilfe. »Sir, für meinen Vater zum Beispiel ist Ryder ein Ehren-Muslime, wie eine Sonderausgabe von Cornflakes, wenn Sie wissen, was ich meine.«

Der General ignoriert Kellogg.

»Ich bin getauft, katholisch«, korrigiert Ryder.

»Sie sind in San Ysidro aufgewachsen, am Tijuana River, nicht wahr?«, fragt der General scheinheilig, als sei das eine schicke Adresse in Malibu.

»Ja, Sir.«

»Hartes Pflaster für einen Außenseiter irischer Abstammung. Kriminalität, Gangs, Drogen. Da rutscht man schnell ab. Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht und ein Vollstipendium fürs College bekommen. Beeindruckend.« Er nickt Ryder wohlwollend zu. »Ihre Eltern haben Sie gefördert?«

»So würde ich das nicht ausdrücken.« Ryder merkt, dass er rot wird. »Basketball hat sicher geholfen.«

»Aber sagen Sie, sind die Aztecs ’98 nicht wegen Ihnen komplett abgeschmiert?«, fragt der General. »Hatten Sie nicht so etwas wie einen Nervenzusammenbruch? Ich hab das doch in Ihren Unterlagen gelesen.«

Seine Unterlagen? Ryder wäre nie auf die Idee gekommen, dass jemand sich die Mühe machen würde, eine verpatzte Saison im College-Basketball festzuhalten.

»Sir, es war ein eingeklemmter Nerv im Oberarm. Der Sportarzt am College hat das schnell wieder hinbekommen.« Er zuckt betont gelassen mit den Schultern.

Der General lässt nicht locker. »Das hatte eindeutig nichts mit Ihrem Arm zu tun, Leutnant. Die hätten einen Seelenklempner auf Sie ansetzen sollen. Ihre Nerven haben die ganze Saison ruiniert. Vorher waren Sie nicht aufzuhalten. Da muss doch irgendwas passiert sein. War das nicht genau zu der Zeit, als Ihr Vater gestorben ist? Oder war das davor?«

Es war genau zu der Zeit. Ryders Kiefer verhakt sich sofort bei dem Gedanken an seinen Alten.

»Das muss hart gewesen sein. Ausgerechnet der Vater«, sagt der General. »Dieses ganze Chaos beim Erwachsenwerden, das weiße Rauschen der Pubertät, die verkrusteten Vorstellungen von Männlichkeit bringen übrigens nicht nur Sportler um den Verstand. Wir könnten alle wesentlich mehr Achtsamkeit gebrauchen, finden Sie nicht?«

»Profisport war nie mein Ziel. Ich liebe es hier bei den Marines, Sir.« Das mit dem Lieben bereut Ryder sofort wieder.

»Schon mal darüber nachgedacht, etwas ambitionierter an das Leben ranzugehen, Leutnant? Es gibt ein paar exklusivere Programme, von denen Sie vermutlich noch nie gehört haben. Die suchen immer nach Persönlichkeiten wie Ihnen. Nach Leuten, die schon etwas erlebt haben. Ich sehe da Potenzial.«

»Nein, Sir.« Ryder ist verwirrt von der plötzlichen Schmeichelei. Er beißt sich in die Wange. Der rostige Geschmack wirkt beruhigend.

»Warum eigentlich nicht? Und hören Sie endlich mit dem albernen >Sir< auf.«

»Körperlich würde ich das sicher packen, Sir. Bei dem Rest weiß ich nicht.«

»Der Rest? Ich möchte Ihnen einmal etwas erklären, Leutnant. Das Gehirn ist ein wichtiger Teil Ihres Körpers, dort lebt nämlich Ihre Seele. Das Denken jedes Einzelnen beeinflusst die Welt, in der er lebt. Sie sollten sich genau überlegen, wie Sie Ihre gestalten möchten.«

So hat Ryder das noch nie gesehen. Warum eigentlich nicht?

»Sie beide haben sich hier kennengelernt?«, fragt er.

»Ja, Sir. Alte Kriegskameraden«, sagt Kellogg.

»Machen Sie sich nicht lustig. Marines gehen durch dick und dünn, oft ein Leben lang. Wie sieht’s bei Ihnen aus, Kellogg? Sie sprechen was genau: Dari, Farsi, Urdu?«

»Urdu, Sir.« Kellogg fummelt sich einen Nagelsplitter von der Lippe.

»Das heißt, Sie verstehen nicht nur Millionen Pakistanis, sondern auch ein paar Hundert Millionen Inder. Was haben Sie mit dieser Geheimwaffe vor?«

»Sir, ich kann Urdu kaum lesen oder schreiben, meine Mutter beklagt sich immer über meinen amerikanischen Akzent. Aber ich kann Ihnen sagen, wir – also Ryder und ich – haben noch so einiges vor. Wir haben uns nach der Grundausbildung für ein paar Kurse angemeldet, außerhalb der Marines. Theater, Performance, solche Sachen. Ich bin inzwischen schon recht gut im Ausdruckstanz. Ryder tut immer so bescheiden, Sir.«

Ausdruckstanz! Alle Augen in der Kantine sind nun auf Kellogg gerichtet. In der Küche knallt eine Blechschale auf den Boden und rollt scheppernd weiter.

Ryder kann es nicht fassen, was für einen Schwachsinn Kellogg, ohne mit der Wimper zu zucken, dem General erzählt. Der weiß doch, dass sie sich für nichts angemeldet haben. Er hat ihre Unterlagen gelesen. Wo auch immer dieses Kantinen-Rendezvous hinführen sollte, Kellogg hat es jetzt vermasselt.

Prompt schiebt der General den Teller weg und erhebt sich. »Die Herren? War nett, mit Ihnen zu plaudern, aber ich muss jetzt erst einmal in mich gehen.« Er tippt sich mit zwei Fingern an die Stirn. Im Gehen summt er eine Melodie. Ryder könnte schwören, dass es Britney ist.

Später, hinter den Baracken, abseits von den anderen Soldaten, versuchen Kellogg und Ryder, die extravagante Erscheinung zu enträtseln. Gerüchte von Sondereinheiten, die Camps nach Talenten durchkämmen, kursieren in letzter Zeit häufiger, aber Ryder hat sich diese Leute immer anders vorgestellt. Unauffällig. Als Spießer getarnte Kampfmaschinen.

»Dieser General ist doch wahnsinnig, bestimmt einer dieser durchgeknallten PSYOPS-Leute.« Kellogg schielt und malt Kreise in die Luft.

»Er wusste immerhin, dass du Ramadan einhältst«, sagt Ryder.

»Bin gespannt, ob wir von dem noch was hören.«

Ryder kann sich das nicht vorstellen, aber es ist das erste Mal seit Langem, dass er beim Militär jemandem begegnet ist, dem es nicht nur darum geht, recht zu haben, Macht auszuüben oder hart rüberzukommen. Er will rausfinden, was es mit diesem Anthropozän auf sich hat. Vielleicht sogar Vegetarier werden.

Ein paar Tage später überredet Kellogg Ryder, nach dem Dienst noch mit zu ihm zu kommen, um ein paar Runden Snake’s Revenge auf Nintendo zu spielen. Das letzte Mal ist Ryder beim Verhör truth gas verabreicht worden, während Kellogg schon massenweise Geiseln befreit hatte. Das kann Ryder unmöglich auf sich sitzen lassen. Solange er vor Sonnenuntergang nach Hause kommt, wird seine Frau keinen Stress machen.

Auf dem Parkplatz vor Kelloggs Wohnung werden sie von zwei aalglatten Typen in Zivil abgefangen. General Bender hätte sie geschickt, sagen sie einsilbig. Der eine ist dünn, trägt einen blonden Bürstenschnitt auf rosa Kopfhaut, beige Hosen und beiges Hemd. Er sieht aus wie ein Stangenspargel. Der andere erinnert eher an einen Nachrichtensprecher.

Für Ryder riecht das nach Disziplinarverfahren. Wahrscheinlich sind Kelloggs unpatriotische Aktionen doch rausgekommen. Sie haben das Sweatshirt entdeckt, in dessen Innenseite er mit dem Elektrorasierer eine Swastika gefräst hat. Ryder gegenüber hat er das als Spinnrad deklariert, Zeichen postkolonialer Unabhängigkeit. Oder jemand hat das Foto von Halloween gefunden, auf dem Kellogg als Freiheitsstatue mit aufgeschnittener Kehle zu sehen ist. Mit dem Theaterblut hat er bei der Party eine Riesensauerei in der Turnhalle gemacht. Nicht gut angekommen bei den Vorgesetzten.

Oben in Kelloggs Junggesellenbude sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Auf dem einzigen Sessel steht der Fernseher. Kellogg bemüht sich, ein paar Kleidungsstücke vom Bett zu räumen, aber am Ende bleiben alle steif an der Küchentheke stehen. Die beiden Männer lassen sich nichts anmerken und versuchen krampfhaft, wie Kumpel rüberzukommen, doch ihr Ostküsten-Akzent und Ivy-League-Duktus entlarven sie. Schlaumeier.

Ryder und Kellogg hätten den General beeindruckt. Er hätte sie für eine Sondereinheit vorgeschlagen, sagt der Nachrichtensprecher.

»Das ist doch ein Witz, oder?« Kelloggs Augen springen zwischen den beiden hin und her.

»Negativ. Wir folgen den Anordnungen eines Viersternegenerals. Wir haben ein bisschen in Ihren Lebensläufen gestöbert und keine nennenswerten Verfehlungen finden können. Sie sind einigermaßen sauber«, sagt der Spargel, der andere räuspert sich auffällig. »Ob Sie wirklich etwas draufhaben, liegt im Ermessen des Generals.«

Ryder kann beim besten Willen keine Ironie heraushören.

Dann legen die Typen los. Die kompakte Einheit sei ein experimentelles Sonderprogramm im Grenzbereich zwischen Militär und Geheimdienst. Thinktank und Trainingslager in einem, spezialisiert auf Präventivmaßnahmen. Der General arbeite an Strategien, die US-Bürger im In- und Ausland vor Terroranschlägen schützen sollen. Ziel sei es, die Einheit später auf internationale Missionen zu schicken, um Terrorzellen aufzuspüren, zu infiltrieren, Drahtzieher auszuschalten.

Ryder schlägt der Puls bis zum Hals, das ist der Stoff aus Actionthrillern, nur der Begriff Thinktank macht ihn stutzig. Ihm leuchtet ein, dass sie Interesse an Kelloggs Sprachkenntnissen haben, aber spätestens in dieser Bruchbude muss den Leuten doch klar geworden sein, dass Kellogg ein Chaot und kein geheimdienstliches Präzi sionswerkzeug ist. Und Ryder besitzt nicht einmal einen Reisepass.

Weil es sich bei dem Sonderkommando um eine sogenannte weiße Einheit handelt, so die Männer, hätten die wenigsten je davon gehört. Egal, ob Ehefrauen, Liebhaber oder beste Freunde – niemand dürfe etwas davon erfahren. Jegliche Namen müssten sofort vergessen werden, Diskretion und Geheimhaltung stünden an oberster Stelle. Falls Ryder und Kellogg die Probezeit bestünden, würden sie in die Eliteeinheit aufgenommen.

Obwohl die beiden zuerst so tun, als sei es eine Art Bewerbungsgespräch, wird klar, dass sie eigentlich nicht wollen, dass Kellogg und Ryder sich zu sehr den Kopf zerbrechen. Die Begriffe »Ehre« und »unsere Nation« fallen häufiger, alles andere bleibt vage.

Die Sache werde als Fortbildung für Friedenseinsätze kommuniziert und sie sollten sich an strikte Sprachformeln halten, wenn sie mit Freunden oder Familie darüber sprächen. Ideal für seine Frau, denkt sich Ryder. Katie hat sich bis heute nicht mit der Tatsache abfinden können, dass Töten zum Aufgabengebiet eines Marines gehört. Das Wichtigste an der Strategie sei, so der Spargel, die Leute mit Information zu überfluten und mit Jargon zu verwirren. Quantität sei wichtiger als Qualität. Immer weiterreden! Die Zuhörer sollten ermüdet werden, bis sie das Interesse am nicht vorhandenen Kleingedruckten verlieren. Alles würde ausschließlich mündlich vereinbart. Dann übt der Spargel noch ein paar Runden verbale Zuckerwatte mit ihnen.

Draußen dämmert es schon, als er Ryder die Hand hinhält. Ryder und Kellogg werden gar nicht mehr gefragt, ob sie überhaupt dabei sein wollen.

Die Privilegien des Soldatenlebens. Befreiung von der Qual der Wahl!

»Wird schon ok sein«, sagt Kellogg und schlägt ein. Sein Magen knurrt.

Ryder will sich im Gehen noch bei dem Spargel bedanken, kann sich aber nicht an seinen Namen erinnern. Haben die sich überhaupt vorgestellt?

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Hacim:
321 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783956144448
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