Kitabı oku: «Zärtlich ist die Nacht», sayfa 5
Zweites Buch
I
Im September war Doktor Diver zum Tee bei Baby Warren.
»Es ist ein unbesonnener Schritt«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob ich Ihre Motive richtig verstehe.«
»Wir wollen es lieber unterlassen, uns unangenehme Dinge zu sagen.«
»Schließlich bin ich Nicoles Schwester.«
»Das gibt Ihnen nicht das Recht, unangenehme Dinge zu sagen.« Es verwirrte Dick, daß er so vieles wußte, was er ihr nicht sagen konnte. »Nicole ist reich, aber deshalb bin ich noch kein Abenteurer.«
»Das ist es eben«, betonte Baby eigensinnig. »Nicole ist reich.«
»Wieviel Geld hat sie denn genau?« fragte er.
Sie fuhr hoch, aber er versetzte mit leisem Lachen: »Sehen Sie jetzt, wie albern das ist? Ich würde gern mit einem Mann in Ihrer Familie sprechen –«
»Ich habe über alles zu entscheiden«, beharrte sie. »Nicht, daß wir Sie für einen Abenteurer hielten. Wir wissen nicht, wer Sie sind.«
»Ich bin Doktor der Medizin«, sagte er. »Mein Vater ist Geistlicher im Ruhestand. Wir haben in Buffalo gelebt, und meine Vergangenheit ist für Nachforschungen zugänglich. Ich habe in New Haven studiert und erhielt anschließend ein Rhodes-Stipendium. Mein Urgroßvater war Gouverneur von Nordkarolina, und ich bin ein direkter Nachkomme von dem verrückten Anthony Wayne.«
»Wer war der verrückte Anthony Wayne?« fragte Baby mißtrauisch.
»Der verrückte Anthony Wayne?«
»Ich finde, in dieser Angelegenheit gibt es schon genug Verrücktheit.«
Er schüttelte resigniert den Kopf, gerade als Nicole auf die Hotelterrasse heraustrat und sich nach ihnen umsah.
»Er war zu verrückt, um so viel Geld zu hinterlassen wie Marshall Field«, sagte er.
»Das ist alles ganz gut und schön –«
Baby hatte recht und wußte es. Ihr Vater wäre bei einer Gegenüberstellung fast jedem Geistlichen überlegen gewesen. Sie waren eine amerikanische Herzogsfamilie ohne Titel – ihr bloßer Name, in ein Hotelregister eingetragen, unter ein Empfehlungsschreiben gesetzt oder angesichts einer schwierigen Situation erwähnt, rief in den Menschen eine psychologische Wandlung hervor, und diese Veränderung wiederum hatte ihr Standesbewußtsein entwickelt. Diese Tatsachen hatte sie von den Engländern erfahren, die sie seit Hunderten von Jahren kannten. Was sie aber nicht wußte, war, daß Dick zweimal drauf und dran war, ihr diese Heirat vor die Füße zu werfen. Die Situation rettete für diesmal nur, daß Nicole ihren Tisch entdeckte, weiß, frisch und jung und mit dem Septembernachmittag um die Wette strahlend.
Guten Tag, Herr Rechtsanwalt. Wir fahren morgen auf eine Woche nach Como und dann wieder nach Zürich zurück. Darum möchte ich, daß Sie und meine Schwester die Sache regeln, weil es uns einerlei ist, wieviel für mich ausgesetzt wird. Wir werden zwei Jahre lang sehr still in Zürich leben, und Dick hat genug, um uns zu ernähren. Ja, ja, Baby, ich bin praktischer, als du denkst – ich werde es nur für Garderobe und so benötigen ... Oh, das ist mehr, als – kann der Grundbesitz wirklich so viel für mich abwerfen? Ich weiß, ich werde nie imstande sein, so viel auszugeben. Hast du auch so viel? Warum hast du mehr – wohl weil man mich für untüchtig hält? Schön, dann mag mein Anteil sich anhäufen ... Nein, Dick weigert sich, auch nur das Geringste damit zu tun zu haben. Ich werde für uns beide großtun müssen. Baby, du hast ja überhaupt keine Ahnung, wie Dick wirklich ist – Wo muß ich unterzeichnen? Oh, es tut mir leid.
... Ist es nicht spaßig und einsam, beieinander zu sein, Dick? Keine andere Zuflucht als neben dir. Sollten wir uns nur lieben und lieben? Ach, aber ich liebe am stärksten; ich weiß genau, wenn du dich von mir entfernst, wenn es auch nur ein wenig ist. Ich finde es herrlich, so zu sein wie jeder andere auch. Den Arm auszustrecken und dich ganz warm neben mir im Bett zu finden.
... Bitte, wollen Sie meinen Mann im Krankenhaus anrufen. Ja, das kleine Buch geht sehr gut – es soll in sechs Sprachen herauskommen. Eigentlich sollte ich die französische Übersetzung besorgen, aber ich bin zur Zeit so müde – ich habe Angst umzufallen, ich bin so dick und schwerfällig – wie ein mißratener Pudding, der nicht aufrecht stehen kann. Das kalte Hörrohr an meiner Brust und mein einziger Gedanke ›Je m'en fiche de tout‹. – Ach, im Krankenhaus die arme Frau mit dem leichenblassen Baby, viel lieber tot. Ist es nicht schön, daß wir jetzt zu dritt sind?
... Das scheint mir unvernünftig, Dick – wir haben allen Grund, die größere Wohnung zu nehmen. Warum sollen wir uns kasteien, nur weil mehr Warrensches als Diversches Geld vorhanden ist. Oh, vielen Dank, cameriere, aber wir haben uns anders entschlossen. Der englische Geistliche hat uns gesagt, Ihr Wein hier in Orvieto sei ausgezeichnet. Er läßt sich nicht verschicken? Wahrscheinlich haben wir deshalb niemals etwas von ihm gehört, denn wir sind Weinliebhaber.
... Die Seen sind im braunen Lehm versunken, und die Berghänge haben richtige Bauchfalten. Der Photograph hat uns mein Bild gegeben, wo mein Haar auf der Fahrt nach Capri über den Rand des Bootes hängt. ›Leb wohl, Blaue Grotte‹, sang der Bootsmann, ›ich kehr' bald wie–ie– der.‹ Und dann ging es an dem heißen, tückischen Schienbein des italienischen Stiefels entlang, und der Wind pfiff rings um die unheimlichen Schlösser, während die Toten von den Bergen oben herabblickten.
... Dieses Schiff ist hübsch, wenn wir gemeinsam mit den Absätzen darauf klappern. Das ist die zugige Ecke, und jedesmal, wenn wir umkehren, stemme ich mich gegen den Wind und ziehe meinen Mantel fest um mich, ohne mit Dick aus dem Takt zu kommen. Wir singen sinnloses Zeug:
»Oh – oh – oh – oh –
Andere Flamingos als ich,
Oh – oh – oh – oh –
Andere Flamingos als ich –«
Das Leben mit Dick macht Spaß – die Leute in den Liegestühlen sehen uns an, und eine Frau versucht zu hören, was wir singen. Dick hat genug vom Singen, also mach allein weiter, Dick. Allein wirst du anders gehen, Liebster, in dickerer Luft wirst du dir deinen Weg durch den Schatten der Stühle, durch den niedertropfenden Rauch der Schornsteine bahnen. Du wirst fühlen, wie dein eigenes Spiegelbild an den Augen derer entlanggleitet, die dich anblicken. Du bist nicht länger isoliert, aber ich glaube, du mußt mit dem Leben in Berührung kommen, damit es dir Sprungbrett wird.
Auf dem Querbalken dieses Rettungsbootes sitzend, blicke ich seewärts und lasse mein Haar flattern und leuchten. Unbeweglich erscheine ich gegen den Himmel, und das Boot ist dazu da, meine Gestalt in die blaue Finsternis der Zukunft hinauszutragen; ich bin Pallas Athene, die ehrfurchtsvoll in den Bug einer Galeere geschnitzt ist. Die Wasser laufen durch die Waschräume, und das achatgrüne Schaumgeriesel kräuselt sich und plätschert am Heck.
... Wir sind in diesem Jahr viel gereist – von Woolloomooloo Bay nach Biskra. Am Rande der Sahara gerieten wir in eine Heuschreckenplage hinein, und der Schofför erklärte freundlich, es seien Hummeln. Nachts hing der Himmel tief herab und war erfüllt von der Gegenwart eines fremdartigen, wachsamen Gottes. Oh, der arme, kleine nackte Ouled Nail; in der Nacht ertönten Senegaltrommeln und Flöten und das Klagen der Kamele, und die Eingeborenen tappten in Schuhen herum, die aus Autoreifen gemacht waren.
Aber damals hatte ich wieder meine Zustände – ob Eisenbahn oder Strand, das war alles eins. Darum ging er mit mir auf Reisen; aber nachdem mein zweites Kind, mein kleines Mädchen, Topsy, geboren war, wurde wieder alles finster.
... Wenn ich nur meinem Mann schreiben könnte, der es für richtig befunden hat, mich zu verlassen und mich Leuten zu überantworten, die nicht Bescheid wissen. Du sagst, mein Baby sei schwarz – das ist absurd, das ist ganz gemein. Wir sind nur nach Afrika gegangen, um Tungad zu sehen, da Archäologie mein Hauptinteresse im Leben ist. Ich habe es satt, nichts zu wissen und immerzu daran erinnert zu werden.
... Wenn ich wieder gesund bin, möchte ich ein famoser Mensch werden wie du, Dick – ich möchte Medizin studieren, wenn es nicht zu spät ist. Wir müssen mein Geld ausgeben und ein Haus haben – ich habe Wohnungen satt, in denen ich auf dich warte. Du magst Zürich nicht und du hast hier keine Zeit zum Schreiben und du sagst, es sei ein Eingeständnis von Schwäche, wenn ein Wissenschaftler nicht schreibt. Und ich werde das ganze Wissensgebiet durchackern und etwas herauspflücken und das gründlich studieren; dann habe ich etwas, woran ich mich klammern kann, wenn ich wieder einen Zusammenbruch habe. Du wirst mir helfen, Dick, dann werde ich mich nicht so schuldig fühlen. Wir wollen an einem warmen Strand wohnen, wo wir zusammen braun und jung werden können.
... Dies wird Dicks Arbeitshaus werden. Der Gedanke kam uns beiden gleichzeitig. Wir waren ein dutzendmal an Tarmes vorbeigekommen, und wir fuhren hier herauf und fanden die Häuser leer bis auf zwei Ställe. Wir ließen den Kauf durch einen Franzosen tätigen; aber die Marine schickte sofort Kundschafter her, als sie hörte, daß Amerikaner einen Teil des Bergdorfes gekauft hätten. Sie suchten überall zwischen dem Baumaterial nach Kanonen, und schließlich mußte Baby das Auswärtige Amt in Paris in unserem Interesse mit Telegrammen bombardieren.
Im Sommer kommt kein Mensch an die Riviera, wir werden also gelegentlich Gäste haben und arbeiten. Ein paar Franzosen sind hier – Mistinguette kam vorige Woche und war erstaunt, daß das Hotel offen war, außerdem Picasso und der Autor von ›Pas sur la bouche‹.
... Dick, warum hast du uns als Herr und Frau Diver eingetragen statt als Doktor Diver und Frau? Warum wohl – es ging mir gerade durch den Kopf. – Du hast mich gelehrt, daß Arbeit alles ist, und ich glaube dir. Du hast immer gesagt, ein Mensch besitzt Kenntnisse, und wenn er aufhört, Kenntnisse zu besitzen, unterscheidet er sich nicht von anderen, und es kommt für ihn darauf an, zur Macht zu gelangen, bevor er aufhört, Kenntnisse zu besitzen. Wenn du die Dinge auf den Kopf stellen willst – schön –, aber muß deine Nicole dir, auf den Händen gehend, folgen, Liebling?
... Tommy sagt, ich sei schweigsam. Nachdem ich das erstemal gesund geworden war, habe ich spät in der Nacht viel mit Dick geredet; wir beide saßen aufrecht im Bett und zündeten uns Zigaretten an, dann, später, tauchten wir aus der blauen Dämmerung hinab in die Kissen, um unseren Augen das Licht fernzuhalten. Manchmal singe ich und spiele mit den Tieren, und ich habe auch einige Freundinnen – Mary, zum Beispiel. Wenn Mary und ich uns unterhalten, hört keiner dem anderen zu. Unterhaltung ist Männersache. Wenn ich spreche, bilde ich mir oft ein, daß ich Dick bin. Ich bin sogar schon mein Sohn gewesen, so weise und bedächtig, wie er ist. Manchmal bin ich Doktor Dohmler, und es kann sogar vorkommen, daß ich dein Aussehen habe, Tommy Barban. Tommy ist, glaube ich, verliebt in mich, aber sanft und beruhigend. Und das genügt, damit er und Dick sich gegenseitig mißfallen. Alles in allem geht es so gut wie noch nie. Ich befinde mich unter Freunden. Ich bin hier an dem stillen Strand mit meinem Mann und meinen beiden Kindern. Alles ist in Ordnung, wenn ich nur mit der Übersetzung dieses verflixten Rezeptes für Huhn à la Maryland ins Französische zurechtkäme. Meine Zehen sind warm im Sand.
»Ja, ich werde mich umsehen. Wieder neue Leute – ach, das Mädchen – ja. Wem, meintest du, sieht sie ähnlich? ... Nein, wir haben sie nicht gesehen, wir haben nicht oft Gelegenheit, hier drüben die neuen amerikanischen Filme zu sehen. Rosemarie wer? Nun, für den Juli sind wir sehr fashionable – das kommt mir merkwürdig vor.«
II
An der Küste der französischen Riviera, auf halbem Wege etwa zwischen Marseille und der italienischen Grenze, stand ein großes, stolzes, rosenfarbenes Hotel. Ehrerbietige Palmen milderten die Glut seiner Fassade, und vor ihm erstreckte sich ein kurzer, blendender Badestrand. Neuerdings dient er angesehenen und eleganten Leuten als Sommerfrische; 1925 lag er, wenn seine englischen Gäste im April nach Norden abgereist waren, nahezu verlassen da. Nur die Dächer von einem Dutzend alter Villen schimmerten wie Wasserrosen aus den dichten Pinien zwischen Gausses Hotel des Etrangers und dem fünf Meilen entfernten Cannes hervor.
Das Hotel und sein leuchtender gelbbrauner Gebetsteppich von Badestrand bildeten ein Ganzes. Früh am Morgen spiegelten sich im Wasser das ferne Bild von Cannes, die Rosa- und Elfenbeintöne alter Befestigungen und die purpurnen Alpen an der italienischen Grenze, zitterten auf dem Wellengekräusel und den Ringen, die an klaren, seichten Stellen von Wasserpflanzen an die Oberfläche geschickt wurden. Vor acht kam ein Mann in blauem Badeanzug zum Strand herunter, und nachdem er nach umständlichen Vorbereitungen seinen Körper mit dem kalten Wasser in Berührung gebracht hatte, planschte er mit viel Gebrumm und Schnaufen eine Minute in der See herum. Als er sich entfernt hatte, lagen Strand und Bucht eine Stunde lang ruhig da. Handelsschiffe zogen am Horizont langsam westwärts; Hotelpagen lärmten im Hof; der Tau auf den Pinien verdunstete. Eine Stunde später ertönten die Autohupen von der gewundenen Straße an der niedrigen maurischen Hügelkette, die das Küstengebiet vom richtigen provenzalischen Frankreich trennt.
Eine Meile von der See entfernt, wo die Pinien durch staubige Pappeln abgelöst werden, befindet sich eine abgelegene Bahnstation; von dorther brachte eine leichte Kutsche an einem Junimorgen 1925 eine Dame und ihre Tochter zu Gausses Hotel. Das Gesicht der Mutter trug Spuren einer verblassenden Hübschheit, die bald von roten Äderchen durchzogen sein würde; ihr Ausdruck war in angenehmer Weise ruhig und aufgeweckt zugleich. Man ließ jedoch seine Augen alsbald zu ihrer Tochter wandern, die einen Zauber in ihren rosigen Händen barg und in ihren Wangen, die in lieblicher Flamme erglühten wie die Haut von Kindern, die nach dem kalten Abendbad von plötzlicher Röte überzogen wird. Ihre schöne, hohe Stirn stieg sanft zu ihrem Haar hinan, das sie wie eine Helmzier umgab, aus der Schmachtlocken, Wellen und Gekräusel aus Aschblond und Gold hervorquollen. Ihre Augen waren lebhaft, groß, klar, mit feuchtem Glanz, die Farbe ihrer Wangen war echt; sie wurde von ihrem jungen, starken Herzen unmittelbar zur Oberfläche gepumpt. Ihr Körper verweilte noch eben im letzten Stadium der Kindheit – sie hatte ihr achtzehntes Jahr fast vollendet, aber sie hatte sich ihren Schmelz bewahrt.
Als See und Himmel in Form einer dünnen, glänzenden Linie unter ihnen erschienen, meinte die Mutter:
»Ich habe das Gefühl, als wenn uns dieser Ort nicht zusagen wird.«
»Ich will sowieso nach Hause«, antwortete das junge Mädchen.
Beide sprachen in heiterem Ton, hatten jedoch offenbar keinen festen Plan; außerdem ärgerten sie sich über die Tatsache, daß ihnen kein Vorhaben, einerlei welcher Art, zugesagt hätte. Sie trugen Verlangen nach besonders aufregenden Dingen, nicht weil ihren erschöpften Nerven ein Anreiz notwendig gewesen wäre, sondern aus der Begierde von Schulkindern heraus, die einen Preis gewonnen und sich ihre Ferien verdient haben.
»Wir bleiben drei Tage und fahren dann nach Hause. Ich werde sofort telegraphisch Plätze auf dem Dampfer belegen.«
Im Hotel gab das junge Mädchen die Bestellung in fließendem, aber ziemlich monotonem Französisch auf, wie etwas Auswendiggelerntes. Als sie sich im Erdgeschoß eingerichtet hatten, trat sie in die Helle der französischen Fenster und ein paar Stufen hinaus auf die Steinterrasse, die am Hotel entlanglief. Beim Gehen hielt sie sich wie eine Ballettänzerin, ließ ihr Gewicht nicht in den Hüften, sondern im Kreuz ruhen. In dem heißen Licht draußen hob sich ihr Schatten scharf ab, und sie zog sich zurück – es blendete zu sehr. Fünfzig Meter weiter unten bot das Mittelmeer den sengenden Sonnenstrahlen pulsierend seine Farbenpracht dar; unter dem Geländer schmorte ein verschossener Buick auf der Hotelauffahrt.
Der Strand war eigentlich die einzige Stelle, wo lebhaftes Treiben herrschte. Drei englische Kinderwärterinnen saßen und strickten Pullover und Strümpfe mit den langweiligen viktorianischen Mustern der vierziger, sechziger und achtziger Jahre und begleiteten ihr Tun mit einem Geplapper, das im Tonfall einer Beschwörung glich; näher am Wasser hatte sich ein Dutzend Leute unter einem gestreiften Sonnenschirm häuslich eingerichtet, während die dazugehörigen Kinder an seichten Stellen nach vorwitzigen Fischen jagten oder nackt und glänzend vom Kokosnußöl in der Sonne lagen.
Als Rosemarie zum Strand kam, lief ein zwölfjähriger Junge an ihr vorbei und warf sich mit jauchzenden Schreien in die See. Da die forschenden Blicke der fremden Gesichter sie bedrückten, legte sie ihren Bademantel ab und folgte dem Jungen. Sie ließ sich ein paar Meter mit dem Gesicht nach unten treiben, aber als sie merkte, daß es flach war, stellte sie sich mit Anstrengung auf die Füße und stakte vorwärts, indem sie ihre schlanken Beine wie Gewichte gegen den Widerstand des Wassers schob. Als es ihr bis zur Brust ging, blickte sie zum Strand zurück: ein kahlköpfiger Mann mit einem Monokel und im Badetrikot, mit herausgedrückter Brust und eingezogenem Bauch, betrachtete sie aufmerksam. Als Rosemarie den Blick zurückgab, ließ der Mann das Monokel fallen, das sogleich in dem drolligen Haardickicht seiner Brust verschwand, und goß aus einer Flasche, die er in der Hand hielt, etwas in ein Glas.
Rosemarie legte ihr Gesicht aufs Wasser und kraulte mit kurzen, heftigen Schlägen zum Floß. Das Wasser umspülte sie, zog sie sanft hinab, von der Hitze fort, sickerte in ihre Haare und rann in die Winkel ihres Körpers. Sie drehte sich um und um darin, indem sie es umarmte und in ihm schwelgte. Als sie das Floß erreichte, war sie außer Atem, aber eine sonnengebräunte Frau mit sehr weißen Zähnen blickte zu ihr herunter, und Rosemarie, die sich plötzlich der kalkigen Weiße ihres eigenen Körpers bewußt wurde, drehte sich auf den Rücken und ließ sich dem Strand zutreiben. Der behaarte Mann mit der Flasche sprach sie an, als sie herauskam.
»Hören Sie – draußen, hinter dem Floß, gibt's Haifische.« Er war von unbestimmbarer Nationalität, sprach aber ein langsames Oxford-Englisch. »Gestern haben sie zwei britische Matrosen von der Flotte im Golf Juan verschlungen.«
»Um Gottes willen!« rief Rosemarie.
»Die Abfälle von den Schiffen locken sie herein.«
Seine Augen wurden ausdruckslos, als wenn er andeuten wollte, daß er nur gesprochen hatte, um sie zu warnen; er tat zwei Schritte rückwärts und goß sich noch ein Glas voll.
Etwas verlegen, doch angenehm berührt von dieser Unterhaltung, in der sich ein gewisses Interesse ihr gegenüber bekundet hatte, suchte sich Rosemarie einen Platz zum Sitzen. Augenscheinlich hatte jede Familie den Streifen Sand im Besitz, der im Bereich ihres Sonnenschirmes lag; überdies herrschte ein lebhaftes Hin und Her – man besuchte sich, man plauderte miteinander – eine Atmosphäre von Gemeinsamkeit, in die man nicht eindringen konnte, ohne anmaßend zu erscheinen. Weiter oben, wo der Sand mit Steinen und trockenem Tang untermischt war, befand sich eine Gruppe von Menschen, deren Haut ebenso weiß war wie ihre. Sie lagen unter kleinen Handsonnenschirmen statt unter Strandschirmen und hatten offenbar keinen Stammplatz. Rosemarie fand Platz zwischen den dunklen und den hellen Leuten und breitete ihren Bademantel auf dem Sand aus.
Als sie so dalag, hörte sie zunächst nur die Stimmen der Menschen, fühlte ihre Füße ihren Körper streifen und ihre Gestalten zwischen ihr und der Sonne vorbeigehen. Der warme und nervöse Atem eines neugierigen Hundes berührte ihren Nacken; sie spürte, wie ihre Haut zu schmoren begann, und lauschte dem matten Glucksen der heranspülenden Wellen. Dann unterschied ihr Ohr einzelne Stimmen, und sie vernahm, wie jemand spöttisch berichtete, »dieser Kerl, der North«, habe am Abend vorher einen Kellner aus einem Café in Cannes gewaltsam entführt, um ihn mitten durchzusägen. Erzählt wurde die Geschichte von einer weißhaarigen Dame in voller Gesellschaftstoilette, die offensichtlich noch vom Abend vorher stammte, denn ein Kopfschmuck haftete in ihrem Haar, und eine kraftlose Orchidee hauchte an ihrer Schulter ihr Leben aus. Rosemarie wurde von einer vagen Antipathie gegen sie und ihre Gesellschaft erfaßt und wandte sich ab.
Nicht weit von ihr, auf der anderen Seite, lag eine junge Frau unter einem Dach von Schirmen und schrieb aus einem auf dem Sand liegenden Buch eine Liste von Dingen ab. Sie hatte ihren Badeanzug von den Schultern gestreift, und ihr rötlich-orangebrauner Rücken, den eine Reihe mattweißer Perlen zierte, glänzte in der Sonne. Ihr Gesicht war herb, schön und traurig. Sie begegnete Rosemaries Blicken, ohne sie zu sehen. Weiter weg befanden sich ein gutaussehender Mann mit Jockeimütze und rotgestreiftem Trikot, dann die Frau, die Rosemarie auf dem Floß gesehen hatte und die sich, als sie sie bemerkte, nach ihr umsah, dann ein Mann mit schmalem Gesicht, einem goldgelben, löwenartigen Kopf, in blauem Trikot und ohne Hut, der ernsthaft mit einem unverkennbar romanischen Jüngling in schwarzem Trikot sprach, während beide an kleinen Stücken Seetang im Sande herumzupften. Sie hielt die Mehrzahl von ihnen für Amerikaner, etwas jedoch ließ sie anders erscheinen als die Amerikaner, die sie in der letzten Zeit kennengelernt hatte.
Nach einer Weile bemerkte sie, daß der Mann mit der Jockeimütze dieser Gruppe von Menschen eine richtige kleine Vorstellung gab; er ging feierlich mit einem Rechen umher und tat so, als ob er Kies wegharkte, dabei führte er eine nur für Eingeweihte bestimmte Burleske auf, deren Spannung durch seine ernste Miene aufrechterhalten wurde. Die geringste Veränderung seines Gesichtes wirkte spaßig, bis schließlich alles, was er sagte, einen Sturm von Heiterkeit auslöste. Selbst wer wie sie zu weit entfernt war, um die Worte zu verstehen, verfolgte das Spiel mit Aufmerksamkeit, bis zuletzt die einzige Person am Strand, die nicht davon berührt wurde, die junge Frau mit der Perlenkette war. Vielleicht aus einer gewissen Bescheidenheit, wie sie Besitzenden eigen ist, quittierte sie jede Lachsalve damit, daß sie ihren Kopf tiefer über ihre Liste beugte.
Der Mann mit dem Monokel und der Flasche sprach plötzlich wie aus dem Himmel heraus zu Rosemarie herab:
»Sie sind eine famose Schwimmerin.«
Sie widersprach.
»Doch, ausgezeichnet. Mein Name ist Campion. Hier ist eine Dame, die Sie vorige Woche in Sorrent gesehen hat und weiß, wer Sie sind; sie möchte gern Ihre Bekanntschaft machen.«
Als Rosemarie sich mit unterdrücktem Ärger umblickte, sah sie, daß die Leute mit der weißen Haut sie erwarteten.
Zögernd erhob sie sich und ging zu ihnen hinüber. »Frau Abrams – Frau McKisco – Herr McKisco – Herr Dumphry –«
»Wir wissen, wer Sie sind«, sagte die Dame im Abendkleid. »Sie sind Rosemarie Hoyt; ich habe Sie in Sorrent erkannt und erkundigte mich beim Geschäftsführer des Hotels; wir alle finden Sie einfach wunderbar und möchten wissen, warum Sie nicht in Amerika sind und weiterfilmen.«
Sie forderten sie durch ganz überflüssige Gesten auf, näher zu kommen. Die Dame, die sie erkannt hatte, war keine Jüdin, trotz ihres Namens. Sie war eine jener »famosen Alten«, die sich dadurch jung erhalten, daß sie Erfahrungen gegenüber unzugänglich sind und eine gute Verdauung haben.
»Wir wollten Sie davor warnen, sich am ersten Tag einen Sonnenbrand zu holen«, fuhr sie munter fort, »denn Ihre Haut ist wichtig; aber hier am Strand scheint es so verflixt steif zuzugehen, daß wir nicht wußten, ob Sie etwas dagegen hätten.«