Kitabı oku: «Das zerbrochene Mädchen», sayfa 2

Yazı tipi:

McWhistle, der auf Stellas Schoß saß, flüsterte ihr zu, sie solle ihn hereinbitten.

Stella tat wie geheißen und sagte deutlich: »Herein.«

Der Rabe auf dem Gondeldach neigte kurz den Kopf, klopfte dann noch einmal an das Glas und flog plötzlich davon, über die Themse hinweg Richtung Tower.

Stella blickte den Brownie an, doch McWhistle sagte nichts. Und gerade, als Stella ihn fragen wollte, schlich sich Nebel in die Gondel, Nebel, der gefüllt war mit dem Ruß der Kamine.

Erschrocken hielten die beiden Freundinnen einander fest, in ängstlicher Erwartung wen die Jäger der Mylady Muerte nun holen wollten.

Doch dann baute sich die Gestalt aus Nebel und Rauch vor ihnen auf. In ihrem Inneren glitzerten sanft ein paar Sterne.

Und als Mary das Gesicht des Schornsteinfegers erkannte, löste sie sich von Stella und fiel dem Nebeljungen in die Arme, der sie so fest drückte, wie er konnte, weil in London alles lebendig war.

Das Wasser der Themse.

Die Gassen der Borroughs.

Die Häuser.

Aber vor allem der Nebel.

Das Orangenbäumchen

»Eine Ewigkeit, ein Schmetterlingsflügelschlag.«

(Christoph Marzi, Lumen)

»Alles«, sagte die Katze und zuckte unmerklich mit den Ohren, als sich irgendwo unter ihr eine Taube regte, »ist immer im Wandel. Nichts bleibt, wie es ist, und nichts ist für die Ewigkeit.«

»Ewigkeit«, sagte der Wasserspeier. »Das ist ein schönes Wort.«

»Es ist überbewertet«, sagte die Katze und verfolgte die Menschen, die tief unter ihr durch die Straßen strömten.

(Oliver Plaschka, Drachenschwingen)

Prolog

Der Topf mit der Erde steht vor mir. Ich halte den Orangenkern fest in meiner Hand. Noch ist es nicht Zeit, ihn fallen zu lassen. Ich schaue in den Himmel, der sich über mir im Muster meines kaleidoskopischen Lebens spannt. Gleich – gleich wird es soweit sein. Das Muster wird sich verschieben, das Kaleidoskop sich drehen.

Ich hoffe es funktioniert, Julie, auch wenn ich weiß, was ich tun muss, wenn es nicht klappt. Aber ich hoffe es. Es ist meine letzte Chance, dich in die Welt zurück zu holen. Die anderen habe ich bereits vertan.

Drei Chancen.

Drei Orangen.

Drei Träume.

Drei weitere Drehungen im Kaleidoskop.

Die Menschen, die um mich herumhasten, um den Eiffelturm zu sehen, jenes Stahlgestell, das das Antlitz der Stadt so verändert hat, beachten mich kaum. Wer beachtet schon einen Magier im Schatten des Eiffelturms?

Ich mag diesen Ort nicht wirklich. Und doch – es ist unser Ort. Hier trafen wir uns. Es ist dein Ort, Julie, hier hast du eine Weile gesessen, Tag für Tag, und den Leuten gelauscht.

Sie wissen, dass du fort bist. Sie müssen es einfach spüren. Schließlich ist jetzt niemand mehr da, der sie rettet. Mich hast du auch gerettet.

Aber wahrscheinlich tun sie es doch nicht. Sie sind blind. Waren es schon immer, auch, als du noch da warst, du, und das Orangenbäumchen, das in deiner kleinen Wohnung in Montmartre stand.

Ich spüre, wie sich über mir das Muster meines Himmels verändert. Du hast mir beigebracht, dass das Leben nichts anderes ist, als das Muster eines Kaleidoskops – ein Bild, dass wir betrachten und nach einer Weile scheinbar verstehen – bis es sich wieder ändert und wir wieder von vorne beginnen. Manchmal dauert es Jahre, bis ein Steinchen sich dreht. Manchmal vergehen nur Sekunden.

Bei dir und mir waren es drei Tage.

In meinen Ohren beginnt das vertraute Geräusch der Veränderung. Seit du fort bist, kann ich es erkennen. Die Steine, einer nach dem anderen, mischen sich, zuerst klackernd, dann alle zusammen, rauschend, neu.

Ich lasse den Orangenkern fallen. Meine Hand schwebt über dem Topf.

Es muss gelingen. Es muss gut werden, du musst zurückkehren. Es muss …

I

Julie. Unter diesem Namen kannte dich die Welt, als Stimme aus dem Radio.

Auch ich kannte dich von dort, aus deiner Sendung, die jeden Abend ausgestrahlt wurde. Gedichte und Geschichten hast du vorgelesen, manchmal ein Lied gesungen, und immer waren deine Worte mit einem Lächeln versehen, das man durch die Lautsprecher spüren konnte. Vor allem aber – und ich glaube, das war es, was die Sendung ausgemacht hat, hast du zugehört. Menschen haben dich angerufen, dir ihre Sorgen und Nöte geschildert, dir ihren Kummer und ihr Leid geklagt. Und obwohl du nie viel gesagt hast, stets legten sie am Ende des Gespräches mit einem Lächeln in der Stimme auf. Und auch die, die wie ich vor dem Radio saßen und einfach nur zuhörten, lächelten dann. Weil das Leid, das einen selber quälte, ein Stück kleiner geworden war, durch die Geschichte des Fremden, durch deine Stimme, dein Lächeln.

Nie hat man etwas über dich erfahren. Du warst immer nur Julie. Julie aus dem Radio.

Ich habe dich nie angerufen, obwohl ich oft die Hand schon am Hörer hatte. Doch was hätte ich sagen sollen? Ich sei ein Magier, der seine Magie verloren hat? Ein Trickkünstler, dem die Tricks misslingen? Ein Illusionist, der keine Bilder mehr hervorbringen kann, weil auch diese Dinge nicht ohne einen Funken Magie funktionieren? Wie unsinnig waren diese Dinge, wenn man den fremden Stimmen lauschte, die dich sonst anriefen. Und doch – du hast mir jeden Abend geholfen. Mit deinem Lächeln.

Nie hat jemand gefragt, wie es dir geht. Nie. Auch ich nicht. Nicht einmal daran gedacht habe ich.

Du warst es, die zuhörte. Mir meinen Kummer nahm, meine Traurigkeit. Wie im Radio. Wie zu den Füßen des Eiffelturms, wo du jeden Tag eine Weile verbracht hast, um Menschen kennen zu lernen, ihnen zu lauschen. Und doch – ein wenig von dir hast du mir gezeigt. Vielleicht sogar eine Menge.

Hat je einer außer mir dich kennengelernt, Julie? Dich, den Schmetterling und die Orangen? Wusste überhaupt jemand, wie sehr diese Dinge mit dir verbunden waren? Ich wusste es nicht – und ich begriff es erst, als es zu spät war.

Der Moment, in dem ich dich zum ersten Mal sah, ist mir noch so nah, dass ich das Bild genau beschreiben kann. Ich saß auf einer der Bänke, die es am Eiffelturm gibt. Das Konstrukt aus Stahl ragte über mir in den Himmel und sperrte für meine Augen die Wolken am Himmel für einen kurzen Moment ein. Mir ging es nicht gut. Immer noch suchte ich nach dem Trick, der funktionierte, der Illusion, die nicht sofort als Lüge verflog.

Du hast dich einfach neben mich gesetzt, als hättest du gespürt, wie es um mich stand. Einen weißen Rock mit Blumen, die sich von der Hüfte bis zur Höhe deiner Knöchel rankten, hast du getragen, und eine helle Strickjacke. Um deinen Hals baumelte der silberne Schmetterling mit den hellblauen Flügelflecken, auf jeder Seite einen. »Es sind Regentropfen«, hast du irgendwann mal zu mir gesagt, als ich den Anhänger in der Hand hatte, »Regentropfen voller Licht.« Du mochtest den Regen und das Licht, den Regenbogen, der beides verband.

Der Wind hat mit deinen roten Haaren gespielt und mehrmals musstest du die Strähnen aus deinem sommersprossigen Gesicht streichen, um noch etwas zu sehen – aus Augen, die grün oder blau sein konnten, aber nie beides zugleich.

»Ich bin Julie«, hast du gesagt. Nur das.

Und ich, der deine Stimme, das Lächeln in ihr, sofort erkannte, sagte: »Aus dem Radio.«

Daraufhin sah ich dein Lächeln zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht. Es war noch viel wunderbarer als in meiner Vorstellung, es kam mir wie ein Sonnenstrahl vor, der durch die Wolken bricht und alles vergessen macht.

»Erzähl mir von dir«, das waren deine nächsten Worte. Und ich tat es. Nach nur einer Stunde wusstest du alles von mir oder das, was ich in diesem Moment selbst noch wusste – meinen Namen, meine Geschichte und meinen Kummer über missratende Tricks und zerfallende Illusionen. Als ich dir alles erzählt hatte, genau in dem Moment, als ich dir sagte, dass ich nur dort gesessen hatte, weil ich nicht mehr wusste wohin mit mir – da wusste ich auf einmal, wie es weitergehen würde. Wie ich meine Illusionen retten und mir meine Tricks gelingen würden. Und du? Ach Julie, natürlich hast du nur gelächelt und nachdenklich mit dem silbernen Schmetterling gespielt. Du wusstest schon so viel mehr von mir, nicht wahr?

Mir kam ein Gedanke, beschwingt wie ein Lied – ein Traum, der wie alle Träume wahre Magie enthielt. Magie, die heute längst vergessen ist und für Trick und Illusion gehalten wird.

Ich hob meine Hand, legte sie vorsichtig um die deine, die den Schmetterling hielt. Du hast mich nur angeschaut und stillgehalten, in der Erwartung dessen, was nun kommen würde.

Ich wusste es, weil ich den Traum hatte, die Melodie, für den nur noch dein Lachen fehlte, dein Lachen, das ich auf deine Lippen zaubern wollte. Ich wollte dein Glück sein, und in diesem einen Moment war ich es – jedenfalls glaubte ich es. Aber Julie, wer glaubt, der weiß nicht und kann irren – nicht wahr?

Als dein Schmetterling mit den Flügeln schlug, hast du gelacht, so, wie ich es mir in dem kurzen Moment zuvor erträumt hatte, doch ungleich schöner, nicht zu beschreiben. Die Luft begann nach Orangen zu duften.

»Jetzt ist er mit Magie gefüllt.« Die Worte klangen in der Melodie deines Lachens wie ein wunderbares Lied.

Warum habe ich dich nicht gefragt, woher du wusstest, dass es wahre Magie war, die bleibt, weil jede Berührung ihre Spuren hinterlässt? Warum habe ich nur an mein Glück gedacht?

Dann, mit dem letzten Flügelschlag, bist du gegangen. Einfach so. Und ich bin dir hinterher – was hätte ich sonst tun sollen?

Dein Lächeln ist für einen Moment eingefroren, als ich dich erreichte. Ich habe es genau in deinen Augen gesehen.

»Ich möchte dich wiedersehen.« So einfach, so klar konnte ich plötzlich sagen, was ich wollte. Kein Herumdrucksen, wie bei anderen – wie sonst immer.

»Das wäre nicht gut.«

Worte, die wie Pfeile waren.

»Warum?«

Die verzweifelte Suche nach dem Grund, dem Verstehen.

»Weil es einfach so ist.«

Und damit bist du wirklich gegangen, und ich bin dir nicht gefolgt.

Am Abend habe ich wieder deine Sendung gehört. Sie war noch schöner, jetzt, da ich dir begegnet war.

II

Am nächsten Tag war ich wieder dort. Saß genau auf derselben Bank. Ich habe auf dich gewartet, vom Morgen an. Trotz deiner Ablehnung. Verzeihst du mir, Julie? Oder ist es gar nicht nötig, dein Verzeihen zu erbitten, weil du wolltest, was geschah?

Du kamst gegen Nachmittag, wie am Tag zuvor. Mit so vielen Leuten hast du dich unterhalten, ehe dich deine Schritte zu der Bank führten, auf der ich saß.

»Du bist wieder hier.«

Nur ein Nicken von mir. Zu gefesselt war ich von deinen Augen – eisblau an diesem Tag. In ihnen lag kein Lächeln, nicht in diesem Moment.

Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen sagte ich: »Ich wollte dich wiedersehen.«

Dieses Mal hast du genickt und dich neben mich gesetzt. Der Schmetterling hing um deinen Hals, reglos, als hätte es meine Magie nie gegeben.

»Du wirst mein Winter sein.«

Was hätte ich darum gegeben, dich damals zu verstehen. Aber deine Worte waren mir nur Rätsel, ungeordnete Puzzleteile.

Ich teilte dir meinen Gedanken mit. Mit meinen Worten kehrte dein Lächeln zurück und du erzähltest mir von Mustern im Leben, die wie die in Kaleidoskopen sind, und wie die kleinste Drehung – ein Schmetterlingsflügelschlag – alles ändern konnte. Dein Schmetterling – dreimal haben seine Flügel geschlagen, es fiel mir in diesem Augenblick wieder ein.

Drei Flügelschläge.

Drei Drehungen im Kaleidoskop.

Drei Tage.

Drei Änderungen.

»Es ist nicht richtig«, hast du wieder gesagt, und doch bist du geblieben. Heute glaube ich, dass ich deine Angst gespürt habe. Gefragt habe ich nie. Nur gelauscht habe ich dir, deiner Stimme, in der, wie ich heute weiß, nicht immer ein Lächeln gelegen hat. Kleinigkeiten hast du mir erzählt, Fragmente von Erinnerungen, vergangen, verblasst und doch nicht vergessen. Und von deinem Orangenbäumchen.

Niemand, hast du gesagt, darf es je berühren.

Niemand seine Blüten pflücken.

Niemand seine Früchte kosten.

Und nie, niemals dürfte es welken.

Wieder hast du den Schmetterling dabei festgehalten. Kurz habe ich überlegt, ihn wieder flattern zu lassen. Welch ein Glück, dass ich es nicht getan habe. Stattdessen habe ich dich nach dem Orangenbäumchen gefragt. Wollte wissen, was es ist, was es dir bedeutet.

Du sagtest, es sei dein Glück. Deine Freude. Dein Leben.

Oh Julie, hätte ich diesen Worten doch nur mehr Bedeutung beigemessen. Hätte ich sie bloß verstanden.

Doch ich war blind. Habe nicht gesehen, dass ich in diesen wenigen Minuten, in denen du gesprochen hast, mehr über dich erfuhr, als jeder sonst.

Du hast danach wieder zugehört. Wie immer. Mir meine Sorgen vom Herzen gewischt.

Wieder hörte ich am Abend, als wir uns voneinander getrennt hatten, deine Radiosendung. Ich meinte, einen Hauch von Traurigkeit in deiner Stimme zu hören – doch, Julie, verzeih – ich habe nicht weiter darauf geachtet, war ich doch selber taumelnd vor Glückseligkeit, denn, auch wenn ich nicht verstand, zum Abschied hattest du mir einen Kuss auf die Lippen gehaucht, eine Berührung, kaum länger als der Flügelschlag einer Libelle.

Du warst eigentlich schon wieder auf dem Sprung zum Sender, da hast du dich umgedreht, ganz nah bist du vor mich getreten. Ich weiß noch, wie ich aus den Augenwinkeln bemerkte, dass deine roten Haare, vom Wind getragen, meine schwarzen berührten.

»In deinen Augen liegt der Frühling.« Deine Worte, nur dahingehaucht, ich verstand sie wieder nicht.

Dann berührten deine Lippen meine. Kurz nur, ganz kurz, vielleicht für die Länge eines Wimpernschlags. Schon in der nächsten Sekunde warst du wieder einen Schritt von mir entfernt. Deine Augen, immer noch strahlend blau, wie das Licht eines Sommertages, lächelten, und auch wenn die Nacht weit entfernt war, dachte ich, dort einen Stern aufblinken gesehen zu haben. Ich wollte fragen, doch du gabst mir keine Gelegenheit. »Jetzt ist es der Sommer!«, hast du gelacht und auf meine Augen gedeutet.

Ich glaube, dass dein Lachen in diesem Moment ein wenig seiner Freude verloren hat, eingeknickt ist wie ein Ast, auf den man tritt. Nach dem Sommer kommt unweigerlich der Herbst. Und auf den Herbst der Winter. Du hast es in diesem Moment schon gesehen, nicht wahr?

Doch ehe ich den Schatten in deinen Augen genauer sehen konnte, jenen Schatten, den ich bemerkte, aber ignorierte, bist du weggelaufen.

Ich dachte, ich könnte ebenso dein Glück sein, wie du meins. Du hattest mir meine Träume zurück gebracht. Meine Magie.

Aber ich war nicht dein Glück. Nie. Ich war die Gefahr, die du von Beginn an in mir gesehen hast.

Der erste Schmetterlingsflügelschlag hatte mein Leben verändert, das Muster in meinem Kaleidoskop gedreht.

Der zweite hat dein Leben, dein Muster, von mir unbemerkt, mit meinem vermischt.

Der dritte, oh Julie, der dritte hat dich zerstört.

Drei Flügelschläge.

Drei Tage.

Zwei waren schon vergangen.

III

Wenn Gefühle erfrieren, sind es stets Glück und Freude, die zu Eis erstarren. Nie Leid und Traurigkeit. Und manchmal geht es so schnell, so schnell, dass Gefühle einfrieren. Auf den Sommer folgt der Herbst, auf ihn der Winter. Und manchmal, ja, manchmal wird man selbst der Winter und erkennt es erst, wenn schon alles geschehen ist, was nie hätte geschehen dürfen.

Ich habe auch am darauffolgenden Tag auf dich gewartet. Wie hätte ich auch nicht können? Du hattest mir meine Träume zurückgegeben, Träume, von denen ich nicht einmal mehr wusste, wann und wo ich sie verloren hatte, die aber so wichtig waren, dass sie meine Magie mitgenommen hatten. Was ist Magie ohne Träume? Nichts. Du hast es immer gewusst. Du hast die Magie in mir gesehen, als wir uns das erste Mal trafen – die Magie und das, was ich einst war. Das, was ich wieder geworden bin, für einen Moment nur, und doch lang genug, um der Winter zu werden, vor dem du dich gefürchtet hast.

An diesem Tag, dem dritten, kamst du früh, und dieses Mal machtest du keinen Umweg, du kamst direkt zu mir. Gelächelt hast du, wie immer, doch deine Augen waren dunkler als zuvor. Ich dachte, es läge an den Wolken, die den Himmel bedeckten, doch in deinen Augen lagen nicht die Wolken des Himmels. Deine Augen waren voller Schatten, die ihre Dunkelheit jeden Tag stärker auf dich warfen, an dem ich mit dir zusammen war.

Ach Julie, warum hast du es zugelassen? Warum bist du wieder zu mir gekommen, obwohl du es doch gewusst hast, es mir sogar am ersten Tag sagtest?

War es bereits zu spät, weil der Schmetterling mit seinen Flügeln geschlagen hatte? Oder wolltest du es, irgendwie?

Aber noch war es nicht soweit, in dem Moment, als wir uns an diesem Tag trafen, lag noch der Sommer in meinen Augen. Sie haben sich in deinen gespiegelt, braun, so wie immer, und doch erfüllt von einem Leuchten, dass ich vielleicht nie kannte, vielleicht auch einfach lange nicht mehr in ihnen gesehen hatte.

Wie ich schon sagte, du hast gelächelt. Und mich umarmt. Der Geruch von Orangen umgab dich, und wäre nicht der Eiffelturm über uns in den Himmel gewachsen, hätte ich gedacht, an einem anderen Ort zu sein, einem, der nur uns zugänglich ist.

Vielleicht waren wir auch in diesem Himmel, für diese eine Sekunde. Dann aber hast du dich von mir gelöst und der Eiffelturm, die Menschen um uns, die vielleicht, wie ich, täglich deiner Stimme lauschten, waren wieder da.

»Willst du es sehen?«

Das hast du gefragt. Ich wusste, was mit »es« gemeint war, sofort. Dein Orangenbäumchen.

Oh Julie, warum diese Frage? Du hast genau gewusst, dass ich nicht ablehnen würde. Du wusstest alles von mir, selbst die Geschichte mit dem Orangenbäumchen, die ich dir, ich bin sicher, nie erzählt hatte.

Du wusstest, was geschehen würde. Mit mir, der der Winter werden würde, wie ich es schon einmal gewesen war. Heute weiß ich es wieder – doch an diesem dritten Tag – da wusste ich nichts. War nur betört von deinem Duft, von deinem Lächeln und dir – ja, Julie, du bist mein Glück gewesen – und ich wollte dein Glück, deine Freude, dein Leben kennenlernen. Dein Orangenbäumchen.

Ich hatte nicht vergessen, was du mir darüber erzählt hattest – es war ja nur einen Tag her. Niemand dürfte es je berühren. Niemand seine Blüten pflücken. Niemand seine Früchte kosten. Und niemals, nein, niemals dürfte es welken.

Ich weiß jetzt, welche Bedeutung all dies hat. Aber ich weiß es erst heute. An diesem Tag, dem dritten, den wir hatten, wusste ich es noch nicht, und so folgte ich dir in deine Wohnung in den Straßen Montmartres, wo die Bilder in den Gassen liegen und nur warten, von den Malern eingefangen zu werden.

Doch heute ist es zu spät. Heute bis du fort. Seit drei Tagen schon.

Deine Wohnung war schlicht eingerichtet, weiße Möbel setzten sich gekonnt von dem dunklen Holz des Bodens ab, so dass der Eindruck erweckt wurde, dass die Dinge aus der Dunkelheit herauswuchsen und zugleich in sie hineinreichten – wie Tag und Nacht, Nacht und Tag.

Nirgends waren Bilder oder anderer Zierrat, es gab Bücher mit Gedichten, ein Grammophon, das viel zu alt schien, um von dir bedient zu werden, aber perfekt zu dir passte, und Schallplatten. Überall waren Schallplatten.

»Aus ihnen suche ich die Lieder für die Sendung aus«, war deine Antwort auf meine Frage nach ihnen.

Dann hast du mir das Orangenbäumchen gezeigt. Es stand auf der Fensterbank, eine kleine Oase in deiner kargen Wohnung. Die drei Orangen, die an seinen Ästen hingen, schienen wie Sterne an einem kleinen, grünen Himmel.

Unwillkürlich habe ich die Hand danach ausgestreckt, doch noch ehe ich das Bäumchen berühren konnte, hast du sie schon weggezogen.

»Nicht berühren«, hast du geflüstert und meine Hand stattdessen zu deiner Wange geführt.

»Ich kann ein Orangenbäumchen wachsen lassen.« Das stimmte, ich konnte es wirklich. Es war ein Trick, einer, den ich lange schon vergessen hatte und der jetzt wieder da war.

»Ich weiß.« Du hast mich angelächelt.

Warum, Julie, warum habe ich nicht gefragt, woher du es wusstest? Nie hatte ich dir von dem Trick erzählt, ihn dir nie gezeigt.

Ich tat es nicht, ich ließ meine Hand ruhig auf deiner Wange liegen. Wartete ab, was geschehen würde.

Es passierte nicht viel – doch manchmal sind es gerade die kleinen Dinge, die die Macht innehalten, alles zu verändern.

Du hast mir einen Kuss auf die Wange gehaucht.

Das war alles.

Und dann hast du den kleinen Raum verlassen, mich allein mit dem Orangenbäumchen gelassen, das so wichtig für dich war. Hast du es mit Absicht getan, Julie? Ich wünschte, du könntest mir eine Antwort geben. Aber du kannst nicht. Du bist nicht hier.

Ich hörte, wie Schränke auf und wieder zugingen, Gläser klirrten. Wahrscheinlich wolltest du etwas zu trinken holen – ich habe nicht näher darauf geachtet. Ich war schon betrunken – betrunken vor Glück.

Ich konnte wieder Zaubern.

Die Magie hatte mich wieder – oder ich sie.

Die Illusion des Orangenbäumchens war mir wieder in den Sinn gekommen.

Doch nur die Illusion. Nicht die Erinnerung, die damit verbunden war.

Du hast es gesehen. Vielleicht war ich überhaupt nur deswegen hier. Weil du wusstest, was ich tun konnte. Vielleicht hast du es gewollt. Aber hattest du es wirklich so satt? Ich wollte dein Glück sein, Julie. Doch ich war dein Untergang. Und ich glaube, du hast mich dazu gemacht.

Ich trat zu deinem Orangenbäumchen. Berührt habe ich es nicht, wirklich nicht – ich habe mich nur ganz dicht herangebeugt, so dass ich den Duft der Orangen in mich aufnehmen konnte. Deinen Duft. Und dabei flüsterte ich, was ich nicht mal hätte denken dürfen: »Wir werden immer zusammen sein.« Der Luftzug, der diese Worte, die kein romantisches Versprechen waren, sondern blanker Eigensinn, traf dein Bäumchen. Die Blätter zitterten stärker, als sie hätten zittern dürfen.

Etwas – wahrscheinlich ein Glas – zerschellte im Nachbarzimmer klirrend auf dem Boden.

Ich sah mich um – sah zu der Tür, hinter der du verschwunden warst – nichts, nur Stille. Dann sah ich zurück zu dem Orangenbäumchen. Langsam, ganz langsam nur, breitete sich eine Eisschicht über den Blättern aus, bedeckte die drei Früchte mit einem weißen Mantel und ummantelte schließlich auch Äste und Stamm.

Eine Bewegung hinter mir. Schnelles Umdrehen, Herz und Atem stockten für den Bruchteil der Sekunde, in der ich auf dich zustürzte. Du hast dich am Türrahmen festgehalten und mich angeschaut – mit einer Mischung aus trauriger Gewissheit, Schmerz und seltsamerweise Erleichterung in den Augen, die jetzt tief grün waren – wie die Blätter an deinem Orangenbäumchen noch wenige Augenblicke zuvor.

Ich dachte, dass du mich anschreist, mir Vorwürfe machst, doch du hast gar nichts gesagt, nicht ein Wort. Du hast gelächelt, Julie, wie du immer gelächelt hast, obwohl deine Haut genauso weiß wurde, wie die Eisschicht auf dem Bäumchen. Dann – ich kann nicht sagen, was genau geschah – ich glaube immer noch, dass meine Augen mir einen Streich spielten, eine Illusion, wie ich sie sonst nur vorzuführen wusste – warst du weg. Fort, als hätte es dich nie gegeben, als wäre ich immer schon allein in dieser fremden Wohnung gewesen.

Nur dein silberner Schmetterling war noch da. Von der Kette gelöst, flatterte er auf mich zu, an mir vorbei. Immer noch voller Magie. Er flog zu dem gefrorenen Orangenbäumchen und seine Flügelspitze – nicht mehr – streifte eines der Blätter.

Mit einem Klirren, gleich dem des Glases zuvor, zersprang es. Nur die drei Orangen blieben heil und plötzlich von ihrer Eisschicht befreit, im Topf liegen, auf einem weißen Berg aus Scherben. Für einen Moment verharrte der Schmetterling über ihnen, flatterte mit den silberblauen Flügeln, so schnell und rasch, dass in ihnen eine Melodie zu hören war, die an dein Lachen erinnerte, Julie. Dann verschwand er – und ich verstand, obwohl ich immer noch nichts wusste.

Die drei Orangen. Sie hatten eine Bedeutung.

Doch ehe ich auf ihren Sinn kam, sah ich mir das Orangenbäumchen an, das nur noch ein Haufen fester, eisiger Scherben war. Die Wohnung kam mir auf einmal kalt vor. Nicht eine Scherbe, wurde mir klar, würde hier schmelzen.

Ich betrachtete die drei Orangen. Dann die Scherben.

Dann verließ ich deine Wohnung. Weil ich nicht weiterwusste. Deinen Schlüssel nahm ich mit, ich wusste, ich würde wiederkommen. Was, so dachte ich, war mein Leben ohne dich? Mein Glück?

Aber es ist immer das Glück, dass verschwindet, wenn man zu sehr versucht es zu halten. Das kleine Wörtchen immer – aus meinem Mund wie eine Fessel – hat es verscheucht. Hat es erfroren.

An diesem Abend schwieg das Radio zu deiner Sendezeit.

Das Kaleidoskop drehte sich weiter, unaufhaltsam.

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