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Kitabı oku: «Jenny», sayfa 12

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Gott hat es mir auferlegt, daß ich mit den ersten Worten, die ich Ihnen schreibe, Ihnen und mir den tiefsten Schmerz bereite, den eine Menschenbrust empfinden kann. Er wird uns Kraft geben, ihn zu ertragen. Liebte ich Sie weniger, oder wäre ich nicht vollkommen gewiß, es könne kein Zweifel an meiner Liebe Raum in Ihrer Seele finden, ich würde nicht den Muth haben, Ihnen zu sagen, daß ich nicht die Ihre werden, daß die schönste Hoffnung meines Lebens nicht erfüllt werden dürfe. Ach, lieber Eduard! als ich Jenny und Reinhard verbunden sah, da wagte ich mir zu gestehen, daß ich ein ähnliches Glück begehrte und erhoffte, obgleich ich wußte, was Sie von Jenny’s Uebertritt zum Christenthume dachten; wie Sie bei Jenny billigten, was Sie selbst niemals zu thun vermöchten. Ich täuschte mich gern, weil ich Sie liebte und kein höheres Glück kannte, als Ihnen in jeder Stunde meines Daseins, mit jedem Gedanken, mit jedem Gefühl meiner Seele zu eigen zu sein. Ein Familienleben hatte ich erst in dem Hause Ihrer Eltern in seiner heiligen Schönheit kennen gelernt, und ich wünschte sehnlichst, mit Ihnen zu den Kindern dieses glücklichen Hauses zu gehören, das mich mit so viel Güte empfing, in dem ich die schönsten Stunden meines Lebens genossen habe.

Glauben Sie mir, ich verlange nichts als Ihre Liebe, nichts als Sie, Eduard! und jedes Band, das uns vereinigte, wäre mir heilig. Ich möchte Ihr treues Weib sein, gleichviel, welch ein Priester den Segen über uns gesprochen; jedes Land, jedes Verhältniß wäre mir gleich. Ich könnte ruhig den Tadel der Menge ertragen — aber den Segen meiner Eltern kann ich nicht entbehren. Ohne diesen Segen, den ich nie zu erhalten hoffen darf, so lange Sie nicht Christ geworden sind, gäbe es, selbst mit Ihnen, kein Glück für mich.

Meine Mutter hat mich William verlobt, ohne mich darum zu befragen, und ich habe mich dadurch keinen Augenblick für gebunden gehalten. William selbst würde meine Hand nicht begehrt haben, hätte er meine Liebe zu Ihnen gekannt. Ich vermag, so leid es mir thut, den Wunsch meiner Mutter nicht zu erfüllen, ich kann William’s Frau nicht werden. Aber auch die Ihre nicht, Eduard! Sie bindet die Ehre an Ihr Volk, mich die Pflicht an meine Eltern, und ich darf an eine Verbindung nicht denken, die auch einer minder stolzen Frau als meiner Mutter verwerflich scheinen müßte durch die befremdlichen Schritte, welche eine Trauung im Auslande erfordert. Ich wähnte, Liebe sei allmächtig, nun sehe ich, daß sie vor Pflicht und Ehre sich beugen muß. Ich bin bereit, das Opfer zu bringen — aber es ist ein schweres, furchtbares Opfer, ich bringe es mit blutendem Herzen, und weiß kaum, wie ich das Unvermeidliche ertragen werde.

Sie nehmen Abschied von mir, Eduard! Sie sagen mir Lebewohl! das begreife ich nicht! Ist es nicht hart genug, daß wir einander nicht gehören sollen? Wollen wir uns selbst um das Glück bringen, uns zu sehen, uns zu sprechen und Trost für unser Leid in dem Beisammensein zu suchen, das uns vergönnt ist? Ich kann den Gedanken nicht fassen, Sie nicht mehr zu sehen; ich möchte den Trost nicht entbehren, Ihrer treuen Brust anzuvertrauen, was mich bewegt, und zu erstarken an den großen Gedanken Ihres Geistes. Waren wir nicht glücklich bis jetzt, auch ehe das Wort Liebe ausgesprochen wurde? Hatten wir uns nicht verstanden? So kann und soll es wieder werden! Man sagt, der Strom, der die Dämme durchbrach, könne niemals wieder von selbst in jene Schranken zurückkehren; das mag sein. Wo aber die Schranke allein Zuflucht vor gänzlichem Verarmen zu geben vermag, da muß man sie aufs Neue erbauen, sich hinter sie flüchten, um das einzige Gut zu behalten, das uns geblieben ist.

Schreiben Sie mir nicht mehr, das kann nicht sein. Lassen Sie uns versuchen, die Ereignisse des gestrigen Tages im tiefsten Grunde des Herzens zu bergen. So allein — und ich rechne auf Sie, als ob Sie es mir mit dem heiligsten Eide gelobt hätten — dürfen wir uns wiedersehen. Sie, Eduard, sollen mich schützen vor der Gewalt unserer Liebe; Ihrem starken Willen vertraue ich mich an. Nur ein paar Tage der Einsamkeit gönnen Sie mir, mich zu gewöhnen an das schwere Loos, das uns geworden ist. Doch was klage ich? Ich begehrte Glück und Leid mit Ihnen zu tragen, und sollte muthlos werden, nun die Prüfung naht? Nein, Eduard! Sie sollen sehen, daß Sie sich nicht in mir geirrt haben, daß ich würdig gewesen wäre, die Ihre zu sein, weil jedes Schicksal, das ich mit Ihnen theile, mir erträglich scheint. Um mich sorgen Sie nicht, ich weiß, daß Sie mich lieben! Mit dem Bewußtsein kann ich Alles tragen; denn Liebe, selbst hoffnungslose Liebe ist Glück! Daran halten Sie fest, Eduard! wenn wir uns wiedersehen.

Dieser Brief brachte auf Eduard die doppelte Wirkung hervor, ihm Clara im vollsten Lichte ihres ruhig milden Wesens zu zeigen, und ihn zu ermannen, obgleich er ihn die ganze Größe seines Verlustes fühlen ließ. Er durfte nicht kleiner sein als sie, die ein unabwendbares Geschick mit Ergebung trug und mit ängstlicher Sorgfalt das geringe Glück, auf das sie Anspruch hatte, sich und dem Geliebten zu erhalten strebte. Doch nur schwer und allmälig gelangte er zu der Fassung, welche Clara gleich in sich gefunden hatte, um ihn damit zu beruhigen. Auch ihm drängte sich dadurch unwillkürlich die Frage auf, ob in der Frauen-Natur wirklich eine höhere Leidensfähigkeit liege, als in der des Mannes. Er bewunderte Clara, aber er konnte ihre Entsagung kaum begreifen. Ja, einen Augenblick lang wagte er zu glauben, Clara’s Gefühl könne an Stärke dem seinigen nicht gleich sein; sie müsse ihn weniger lieben, als er sie. Das ist eine Ungerechtigkeit, deren man sich nur zu oft schuldig macht. Weil das Weib besser liebt, weil es nur an den Schmerz des Geliebten, nicht an sich selbst denkt und sich in dem Glück des Andern vollkommen vergessen kann, schilt man es kalt und tröstet sich über den Gram, den man verursacht, mit dem alten Gemeinplatz, das Weib sei leidensfähiger als der Mann. Die Schmach fühlt man gar nicht mehr, den Frauen, dem sogenannten schwachen Geschlecht, eine Stellung im Leben angewiesen zu haben, die sie von Jugend auf an Leiden und Entsagungen gewöhnt; man denkt nicht an jene schweren Stunden, in denen sie genöthigt sind, sich zu beherrschen, wenn ihr Herz gepeinigt wird. Wer sieht die Thränen, die oft aus der innersten Seele hervorbrechen möchten, während ein Männerarm die schöne Gestalt umschlingt und mit ihr durch die fröhlichen Reihen des Walzers dahinfliegt? Ihr seht nur die schimmernden Thautropfen auf dem Rosenkranz in ihren Locken, nur die Perlen, die den schönen Nacken zieren, und ahnet nicht, daß hinter dem feuchten Blau des Auges, das Euch entzückt, Perlen und Thautropfen glänzen, viel kostbarer und reiner, als der Tand, den Ihr bewundert. Ihr preiset das süße Lächeln des holden Mundes, der nur zu oft traurig lächelt über ein Dasein, das so grelle Gegensätze in sich schließt. Kommt dann Einer einmal zu der Erkenntniß des Schmerzes, den solch ein heiteres Frauenantlitz birgt, dann schreit er über die Verstellung, die Unwahrheit des Geschlechts, und vergißt, daß Jeder, der ein Mädchen traurig sieht, ohne sich zu bedenken, auf eine unglückliche Liebe schließt und mit roher Hand das stille Geheimniß an das Licht ziehen möchte. Ein Frauenherz, in dem einmal der Strahl wahrer Liebe gezündet, erkennt seinen Besieger in dem Manne, fühlt sich ihm unterthan, als Sklavin seines Willens, und möchte doch aus angebornem Schamgefühl nicht dem Auge jedes Ungeweihten die Fessel zeigen, durch die es gebunden wird, die oft blutig drückt, und selbst zerbrochen, unvertilgbare Narben zurückläßt. Geliebt werden ist das Ziel der Frauen. Ihr Ehrgeiz ist Liebe erwerben; ihr Glück Lieben, und die Liebe, nach der sie gestrebt, nicht erlangen zu können, unglücklich lieben, eine Kränkung, welche nur die edelsten Frauennaturen ohne Schädigung zu tragen vermögen. So beruht die ganze Entwickelung der weiblichen Seele auf dem Verhältniß zum Manne; und man darf das Weib nicht der Falschheit anklagen, wenn es den geheimnißvollen Proceß seines geistigen Werdens schamhaft der Welt verbergen möchte. In der ganzen Natur schreitet die Entwickelung so mystisch verhüllt vor, daß wir fast überall nur das Fertige erblicken, ohne uns über das Werden Rechenschaft geben zu können. Warum verlangt man es denn anders von den Frauen? Es mag den Mann stolz machen, die sichtbare Vorsehung des Weibes zu sein; zu fühlen, daß Glück und Unglück ihm aus seiner Hand kommt; aber es sollte ihn auch Mitleid und Schonung für die Armen lehren, die echt biblisch die Hand küssen, welche sie schlägt. Man hat sich nicht zu wundern, wenn einst die Stunde kommt, in der das Weib gleichen Schmerz mit dem Manne zu tragen berufen ist, es ruhig in liebender Ergebung zu finden, wo der Mann gegen das Schicksal tobt, so lange er die Möglichkeit begreift, ein besseres Loos zu ertrotzen.

Das Letztere war denn auch Eduard’s Fall, der nicht allein die Geliebte verlor, sondern der aufs Neue glaubte eine Unbill rächen zu müssen, die man an ihm, an seinem Volk begangen. Er haßte in der ersten Leidenschaft des Schmerzes die Welt, die noch immer in stumpfer Gefühllosigkeit Recht und Wahrheit verhöhnte. Seine Phantasie erschrak vor keiner noch so gewaltsamen Maßregel, welche ihn zum Besitz der Geliebten, zur Erlangung seines guten Rechtes führen konnte. Dann, als der erste Sturm vorüber war, las er Clara’s Brief aufs Neue und verstand die Schönheit einer Seele, die so zu entsagen vermochte. Er konnte die Zeit nicht erwarten, in der es ihm vergönnt sein würde, sie wiederzusehen, und durfte doch nicht wagen, den ersehnten Augenblick herbeizuführen, ehe sie ihn dazu berechtigte. Sein Herz war noch tief erschüttert, als sein Geist schon wieder zu seiner Klarheit gelangte und sich an einem Gedanken mächtig emporrankte. Um sein Glück war es geschehen, sein Leben hatte man der reinsten Freuden beraubt; darum fühlte er den Muth, Alles von sich zu werfen, sein Vaterland, seine Aussichten für die Zukunft, selbst seine Freiheit, wenn es sein mußte, um damit das Einzige zu erkaufen, das noch Werth für ihn hatte: die bürgerliche Gleichstellung seines Volkes. Diese Idee gab ihm die nöthige Kraft, noch an demselben Tage vor seinem Vater zu erscheinen und ihm zu verkünden, er habe das Spiel verloren, auf das er alle seine Hoffnungen gesetzt.

Der Vater war bewegt. Auch ihn traf der Schlag doppelt, in seinem Sohne und in seinem Volke, obgleich ihm das Gelingen dieser Angelegenheit höchst zweifelhaft gewesen war, aber er war kein Mann des Wortes, wo es etwas zu thun galt. Und was soll jetzt werden? fragte er den Sohn.

Clara weiß es bereits, antwortete Eduard. Ich hatte ihr geschrieben, um Abschied von ihr zu nehmen. Ich war entschlossen fortzugehen, um ihr und mir die Trennung zu erleichtern. Ich wollte mich in der freien Größe der Natur verlieren, weil ich mir einen Augenblick vorspiegelte, ich würde irgendwo die Bande nicht fühlen, die mich an Clara binden; die Ketten vergessen, unter denen die Juden seufzen. Der erste Schmerz ist trügerisch in jedem Sinne. — Dann kam Clara’s Antwort! — Er seufzte, und blieb eine Weile schweigend in seine Gedanken vertieft, darauf fuhr er fort: Sie will nicht, daß wir scheiden; ihr sanftes Herz vermag es zu entsagen, sie hofft, in die Schranken ruhiger Neigung zurückzukehren, glücklich dabei sein zu können. Ich soll sie wiedersehen, bald, in wenig Tagen — und soll schweigen — wie ist das möglich?

Möglich, mein Sohn! sagte der Vater, muß es sein, weil Clara es so will; und das Einzige, was Du thun kannst, ist, Dich unbedingt in jeden Vorschlag zu fügen, den sie Dir macht, und von dem sie sich Beruhigung verspricht.

Du fragtest mich neulich, Vater! als wir über diesen Gegenstand sprachen: wohin soll das führen? Ich gebe Dir heute die Frage zurück. Wohin soll die Pein führen, uns zu sehen und zu schweigen von Dem, was jeder Blick, jeder Gedanke uns dennoch verräth?

Zu einer nothwendigen Trennung, wenn Ihr nach Monden eingesehen haben werdet, daß der Instinkt der Jugend sich gegen jeden hoffnungslosen Zustand sträubt. Denn lösen, Eduard, mußt Du jetzt ein Band, das Clara an Dich bindet, ohne ihr die mindeste Aussicht auf Glück zu geben.

Und mit diesem Bewußtsein soll ich sie sehen? rief Eduard. Ich soll sie sehen und daran denken, sie zu lassen?

Sprich nicht von Dir, sagte der Vater ruhig, Du bist ein Mann!

Aber Clara! was soll aus Clara werden? fragte Eduard im Tone des tiefsten Schmerzes.

William’s Frau, wenn es irgend mit ihrer Neigung zu vermitteln ist, antwortete mit festem Ernst der Vater, und fuhr, ohne auf Eduard’s Widerstreben bei dem Ausspruch zu achten, in seiner gewohnten Weise also fort: Der herbe Kelch, den uns das Leben bisweilen zu kredenzen liebt, muß ganz und schnell geleert werden, wenn wir uns das Leben nicht schwerer machen wollen, als es leider oftmals ist. Darum stehe ich keinen Augenblick an, Dir zu sagen, Clara ist für Dich verloren, sie fühlt sich in diesem Augenblick so unglücklich wie Du — vielleicht noch mehr — aber damit ist Euer Leben nicht beendet. Denn gerade dieses Mädchen vermag es, ihr Glück in Andern zu finden. Wenn sie William’s Hand ausschlägt, zerfällt sie mehr und mehr mit ihrer Mutter. Die Deine kann sie niemals werden; soll sie unaufhörlich den Vorwürfen einer herrschsüchtigen Mutter ausgesetzt bleiben, damit Dir der Schmerz erspart werde, sie mit einem andern Mann glücklich zu sehen?

Kann sie so schnell vergessen? sprach Eduard im Tone des Zweifels, und schon bei dem bloßen Gedanken an die Möglichkeit erbangend: Kann sie das auch nur wollen?

Das hoffe ich, mein Sohn! Nur Thoren verlangen Etwas, dessen Unmöglichkeit sie eingesehen haben. William ist brav und liebt seine Cousine, Clara hätte ohne Dein Dazwischentreten diese Liebe gewiß erwidert, und ich wünsche um ihretwillen lebhaft, daß sie noch jetzt, wenn auch mit Ueberwindung, sich zu dieser Ehe entschließt, in der ich allein Glück und Ruhe für sie erblicke, wenn Du sie und William, die Dir Beide als einem Freunde vertrauen, auf den rechten Standpunkt leitest.

Nimmermehr! rief Eduard. Es ist genug, daß ich sie verliere. Kannst Du glauben, daß ich, ich selbst sie in die Arme eines Andern führen werde?

Ich erwarte das von Dir, wie ich Dich kenne! antwortete Herr Meier.

Eduard konnte sich gegen die Wahrheit in den Worten seines Vaters nicht verblenden, so gern er es auch wollte. Er erkannte die edle strenge Gerechtigkeit des Greises, aber sein Gefühl empörte sich noch dagegen, als gegen eine Sünde an Clara selbst. Indeß der Vater ließ sich nicht erweichen. Er wollte gleich in dieser Stunde in seinem Sohne jeden möglichen Selbstbetrug ertödten. Er glaubte am sichersten jenem langwierigen, unbestimmten Hinsiechen der Seele vorzubeugen, wenn er die Wunde rasch nach allen Seiten hin untersuchte, sie tüchtig ausbluten ließ, und dann die Heilung der Zeit, und besonders dem Bedürfniß nach Glück überließ, das uns unbewußt antreibt, zu genesen, wenn ein geistiges Leid uns niedergeworfen hat. Denn wir sind zum Glück geschaffen, wir streben darnach, und erlangen es am sichersten, wenn wir uns durch keine falschen Hoffnungen täuschen lassen.

Eine Weile saßen Vater und Sohn noch bei einander, dann schieden sie mit einem Händedruck und Eduard ging davon, um am Bette der Kranken Trost zu bringen, er, der dessen selbst noch so nöthig bedurfte.

* * *

Also Adieu princesse? Adieu plaisir? sagte Steinheim zu Jenny, die auf dem Balkon unter Erlau’s Anleitung spielend die Gegend aufnahm, welche vor ihren Augen lag. Sie wollte das Bildchen Reinhard schenken, ehe sie morgen auf das Gut hinausfuhren.

Adieu gewiß, für ein paar Tage, antwortete sie, doch hoffe ich, an Vergnügen soll es uns nicht fehlen; es sei denn, daß Ihnen, die Stunde Wegs nach Berghoff zu weit und zu anstrengend wäre.

Sagen Sie dem Hypochondristen das noch einmal, Fräulein, meinte Erlau, so glaubt er es und bleibt zu Hause; natürlich unter jämmerlichen Klagen über seine schwache Gesundheit und über den Undank seiner Freunde, die sich Landgüter kaufen, ohne auf die Entfernung von seinem Hause und auf seine Rheumatismen Rücksicht zu nehmen.

Der Wunden lacht, wer Narben nie gefühlt, rief Steinheim. Wenn solch ein Springinsfeld, wie Erlau, der mit jedem Hasen um die Wette laufen könnte, doch nicht über die Empfindungen vernünftiger Leute spotten wollte, welche, ohne deshalb schwerfällig und alt zu sein, sich dennoch bei warmem Wetter ihres Körpers als einer Zugabe bewußt werden, die sie am Laufen und Fliegen verhindert.

Jenny und Erlau lachten, und man rief Therese herbei, um sie an der Unterhaltung Theil nehmen zu lassen. Sie trat hinter Jenny’s Stuhl und bewunderte die raschen Fortschritte, welche deren Arbeit seit einer Stunde gemacht hatte. Du solltest Dir, sagte sie, so lange Du noch zu Hause bist, allmälig alle Deine Lieblingspunkte zeichnen, um sie Dir zum Andenken mitzunehmen, wenn Ihr einst fortgehen werdet.

Der Gedanke ist des Monarchen werth, Fräulein Therese! fiel Steinheim ein.

Und schöne Gegenden werden Ihrem Auge erquickend sein, sprach Erlau, wenn Reinhard darauf besteht, Sie in jene Einöde zu führen, in der die Heerde weidet, die er hüten soll. Ich sehe Sie schon, Fräulein, mit einem Schäfer- oder Krummstabe — ich weiß nicht, was Pfarrerinnen in Arkadien führen, — durch die sandigen Fluren wallen. Ich höre Sie, Reinhard zu Liebe, über jedes Haidekraut, das der Boden hervorbringt, in Ach! und Oh! zerfließen und Gott danken dafür, daß er diesen Sand aus seiner großen Barmherzigkeit erschaffen, damit er uns in die Augen fliege, wenn ein warmer Lufthauch sich je einmal in solch eine Gegend verirrt.

Lassen Sie das Reinhard ja nicht hören, warnte Jenny, er würde es übel deuten!

Du solltest es auch nicht leiden, liebe Jenny, meinte Therese, da Du weißt, wie unangenehm diese Scherze Deinem Bräutigam sind, der mit so viel Liebe an seinen künftigen Aufenthaltsort denkt.

Ich wollte, sie ginge nach dem entzückenden Orte und ließe uns Jenny hier! sagte Erlau leise zu Steinheim, und: Wer weiß, wie gern sie das thäte! antwortete dieser ebenfalls leise, während Therese versicherte, für sie würde ein ganz eigner Reiz darin liegen, einem Manne sein einziges Glück zu sein. Je schlechter die Gegend, je weniger lockend die äußern Verhältnisse, um so theurer müßten ihm ja Frau und Heimath werden.

Gott bewahre mich vor solchem Glück! rief Jenny und legte den Pinsel fort; das ist ja, um mich bei Zeiten an biblische Wendungen zu gewöhnen, der Weib gewordene Egoismus. Mein Mann sollte entbehren, damit ich geliebt würde? Wie kann man so Etwas denken? Weißt Du, was ich mir wünschen würde? Reinhard müßte Herr sein über die ganze Welt und alle ihre Schätze. Alle Menschen müßten ihn anbeten, weil er eine neue schöne Zeit heraufgeführt, und dann müßte er den schönsten Lohn für seine Thaten darin finden, wenn ich Diejenige wäre, die ihn am meisten bewunderte und liebte. Die Hand, mit der ich Abends die Falten auf seiner Stirn glättete, müßte ihm noch lieber sein, als die Kronen, die er auf sein Haupt drückt — denn nebenher müßte er ein Herrscher aus eigener Machtvollkommenheit sein und nicht von Gottes Gnaden Da das aber nicht sein kann, schloß sie, und nahm den Pinsel wieder vor, ist nächst solchem Herrscher mein Reinhard mir der Liebste.

Das sieht Dir ähnlich, sagte Therese, Du suchst nun einmal das Glück immer und überall in äußern Dingen und weichst darin von Reinhard ab, der nichts begehrt, als ein bescheidenes Loos und einen segensreichen Wirkungskreis.

Jenny stand verdrießlich von der Arbeit auf und ging mit Erlau nach der andern Seite des Balkons, während Steinheim Therese mit ihren soliden Ansichten neckte und zuletzt die Worte hinwarf: Uebrigens glaube ich auch, daß Fräulein Jenny mit einer Hütte und einem Herzen nicht ganz so zufrieden wäre, als manche Andere.

Diese Worte, die halb scherzend, halb absichtlich gesprochen waren, erreichten Jenny’s Ohr. Sie wendete sich um, sah Therese plötzlich roth werden und sich unter einem gleichgültigen Vorwande entfernen. Auch sie erglühte einen Augenblick, warf einen langen forschenden Blick auf Therese und fuhr mit der Hand über die Stirne, als wenn sie einen Gedanken verbannen wollte, der ihr unvermuthet aufgestiegen war.

Steinheim gesellte sich gleich nach Theresens Entfernung zu den beiden Andern, und machte die Bemerkung, Therese gewöhne sich schon seit einiger Zeit einen gewissen pedantischen Ton an, der sonst nur Gouvernanten eigen zu sein pflege. Sie will immer Alles besser wissen, sagte er, immer belehren, »man merkt die Absicht und man wird verstimmt.«

Es ist so böse nicht gemeint, entschuldigte Jenny, sie glaubt nur, mich erziehen zu müssen, weil meine Eltern und Reinhard selbst sie mir früher oft als Beispiel aufgestellt haben. Zudem hält sie sich meinem Bräutigam für den Unterricht verpflichtet, den er uns gegeben hat, und möchte aus Dankbarkeit gegen ihn mich zu einer recht vollkommenen Frau nach seinem Sinne machen, und dazu fehlt noch viel.

»Sie muß also aus Liebe quälen,« sagte Steinheim und nahm bald darauf Abschied von Jenny, die wieder zu malen angefangen hatte.

Nun war sie mit Erlau ganz allein. Eine Weile arbeitete sie eifrig fort, vielleicht um ungestört über etwas nachzudenken, bis der Maler sie fragte, ob sie Neigung hätte, Theresens Rath zu befolgen und die schönsten Ansichten der Gegend zu skizziren?

Nein, antwortete sie, ich bedarf dieser sinnlichen Anhaltspunkte nicht, um mich deutlich und mit Vergnügen an Orte zu versetzen, die mir durch irgend etwas theuer sind. Es ist mir im Gegentheil oft lästig, wenn solch ein Bildchen mir eine Landschaft, die mir im schönsten Lichte fröhlicher Erinnerung vorschwebt, so dürftig und verkleinert zeigt, daß sie mir fremd und schattenhaft erscheint.

Da werden Sie mich vielleicht für einen Menschen halten, der ganz und gar der Sinnenwelt gehört, wenn ich Ihnen sage, daß ich erst vor einiger Zeit das Bild einer Dame beendete, um es mir als Andenken an sie zu bewahren.

Geht die Giovanolla denn schon fort von hier? Ich hatte gehört, es sei gelungen, sie für die hiesige Bühne zu gewinnen, sagte Jenny mit Beziehung auf die Huldigung, welche der junge Maler seit Monaten der schönen Sängerin unverhohlen dargebracht.

Die Giovanolla würde ich mir ebenso wenig zum Andenken malen als die mediceische Venus. Sie ist mir Studie, und vielleicht die schönste, die man findet. Solche Köpfe bewahrt unser Album, und sie gehören der Nachwelt, der wir sie überliefern. Anders ist es mit den Gestalten, die dauernd in unserer Seele leben und deren Abbild, nur von uns gesehen, auf unserm Herzen ruht, erwiderte Erlau und zog eine kleine Kapsel hervor, die er mit einem Federdruck öffnete, und in welcher Jenny ihr eigenes Bild im Costüme der Rebekka sprechend ähnlich vor sich sah.

Erlau! rief Jenny erschreckt, um Gottes willen, was soll das heißen?

Das heißt, daß ich nicht das Irrlicht, der Leichtfertige, der Unbeständige bin, für den Sie mich halten; es beweist, daß auch ich das geistig Schöne erkennen und leidenschaftlich — er hielt inne und sagte dann mit leiserem Tone: verehren kann.

Verwirrt und überrascht schwieg Jenny still und sah scheu zur Erde nieder. Dies Schweigen benutzte Erlau. Fürchten Sie nichts, Jenny! sagte er, ich gehöre nicht zu den Thoren, die jeden schönen Stern, der in ihre Seele leuchtet, hinabziehen möchten in den Staub, um ihn sich anzueignen. Ich freue mich, daß er ist, daß er seine leuchtenden Strahlen auch in mein Auge fallen läßt, denn er ist es, der meinen Farben ihren Glanz, meinen Gebilden ihren tiefen Sinn verleiht; und ich verlange nichts, als daß er sich nicht verdunkeln lasse durch irdische Verhältnisse, daß er nicht untergehe in der Prosa eines gewöhnlichen Lebens. Versprechen Sie mir das? rief er mit Wärme und reichte ihr seine Hand entgegen.

Mit vollster Zuversicht! antwortete Jenny und schlug in die dargebotene Rechte. Ich verspreche Ihnen immer das Bild des Schönen in der Seele, und das Streben danach in mir rege zu erhalten. Ihrem Schaffen und Wirken, Ihnen selbst wird mein Geist willig folgen; und in der Liebe zur Kunst bleiben wir vereint, wenn wir einst uns trennen.

Und das geschieht noch heute, sagte Erlau. Dieser ganze Winter hat schwer auf mir gelegen, mein Herz hat unter seinem eisigen Scepter viel gelitten. Es hat mir weh gethan mein Herz — recht weh! und Haß und Neid, und wie diese Dämonen sonst noch heißen mögen, die alle sind in meine sonst so fröhliche Seele gezogen. Seit ich dies theure Bild gemalt, hat kein anderes mehr gelingen wollen; es wird immer nur das Eine, und darum, Jenny! muß ich gehen. Wenn erst Italiens heiterer Himmel und seine schönen Menschen mich wieder umgeben, dann wird es besser werden. Und wenn ich zurückkehre, soll Niemand ahnen, wie ich geweint, als ich zum letzten Male vor Dir stand, Niemand als nur Du!

Mit diesen Worten schied er plötzlich und ließ Jenny betäubt und erschüttert zurück.

Nie war es ihr eingefallen, daß Erlau einer solchen Liebe fähig, daß sie der Gegenstand derselben sein könne. Sie hatte ihn geistreich gefunden; seine fröhliche Laune, sein unerschöpflicher Humor und besonders sein bedeutendes Talent hatten sie angezogen, und sie konnte sich nicht verhehlen, daß er ihr vor ihrer Verlobung in einer Weise begegnet sei, die ihr seine Neigung hätte verrathen können, wenn sie damals auf irgend Jemand, außer auf Reinhard geachtet hätte. Erlau’s Liebe zu ihr betrübte sie, und doch machte es ihr Freude, von ihm um jener Eigenschaften willen geliebt zu werden, welche sie selbst in sich als eine Quelle poetischen Genusses schätzte, und die Reinhard fast unbeachtet ließ. Sie hatte mit Erlau die sprudelnde Leichtigkeit des Geistes gemein, die Scherz und Ernst auf wundersame Weise zu mischen und das Leben wie ein fröhliches Spiel zu nehmen begehrt, dessen ernste Bedeutung sie trotzdem wohl verstand. Aus dieser gewohnten Denkart hatte ihr Verhältniß zu Reinhard sie gerissen, und so sehr sie Reinhard’s Charakter ehrte, so erschreckte sie doch oft der strenge Ernst, den er selbst auf die unbedeutendsten Verhältnisse angewendet wissen wollte. Jetzt besonders, als sie angstvoll mit den Zweifeln gerungen, die der Uebertritt zum Christenthum in ihr hervorgerufen, hatte Erlau, ihre trübe Stimmung bemerkend, mit unermüdlicher Gefälligkeit täglich auf irgend eine kleine Zerstreuung für sie gedacht. Er sah sie leiden, er bemerkte, daß seine Gesellschaft ihr willkommen sei, und ohne die Quelle ihres Kummers entdecken zu wollen, war er glücklich, ihr Alles zu gewähren, was sie zu bedürfen schien. Je ernster er sie sah, um so mehr strebte er, sie mit sich auf die heitere Höhe des Daseins zu führen, auf die ihn seine poetische Seele und die Freiheit des wahren Künstlerlebens stellten. Seine Bemühungen waren nicht ohne Wirkung auf sie geblieben, nun sollte auch dieser Trost ihr genommen werden. Es war ihr, als ob mit Erlau der Genius ihrer fröhlichen Jugend von ihr scheide. Sie hatte ihn lieb gehabt, mehr, als sie es gewußt hatte, das fühlte sie in dieser Stunde. Ihm hatte sie sich gleich gefühlt und sich nie gescheut, sich ihm in aller Excentricität zu zeigen, zu welcher der Augenblick sie gerade hingerissen hatte. Er war dem erwachsenen Mädchen ein lieber treuer Spielgefährte gewesen, und wehmüthig schlug sie die Hände zusammen und sagte: Wie wird es still sein, ohne seine Fröhlichkeit! wie still und ernst!

Sie sah ihm lange nach, als er von dannen ging, ohne nach ihr zurückzuschauen, und sie sagte sich dann, als er ihrem Blick entschwunden war, von diesem Scheiden dürfe Niemand, auch Reinhard nichts erfahren. Es war Erlau’s Geheimniß, nicht das ihre. Erlau besaß ihr Bild, das für Reinhard zu malen er unter immer neuen Vorwänden sich geweigert hatte. Sie hätte es ihm vielleicht nicht lassen dürfen; aber es zu fordern, hatte sie nicht den Muth, nicht die Besonnenheit gehabt. Daneben gönnte sie es ihm, und doch kam es ihr wie eine Untreue an Reinhard vor, daß sie schwieg, besonders, weil trotz aller Einwendungen ihres Gewissens, Erlau’s stille Liebe ihr im Herzen heimlich wohlthat. Wie schroff stach gegen dieses Mannes selbstlos verschwiegene Liebe das Betragen ihrer nächsten Freundin ab!

Schon vor langer Zeit war Jenny der Eifer unangenehm gewesen, mit dem Therese immer gegen sie Partei genommen hatte, wenn sie in den gleichgültigsten Sachen von Reinhard’s Meinung abwich. Es fiel ihr ein, daß sie sich einmal scherzend gegen Joseph darüber beschwert und dieser erwidert hatte, er halte Therese für neidisch, und rathe überhaupt davon ab, sie ganz in die Familie aufzunehmen. Das hatte Jenny mit tausend Gründen bestritten. Sie hatte damals den Vetter darauf hingewiesen, wie gutmüthig Therese stets gewesen sei, wie anhänglich und anspruchslos; sie hatte versichert, daß sie nie etwas Uebles von ihr glauben würde, und hatte dann lächelnd hinzugefügt: Sie ist doch gewissermaßen Reinhard und mir zu Hülfe gekommen, und hat mindestens dazu beigetragen, uns schneller in den Hafen des Brautstandes zu bringen; dafür ertrage ich ihre kleinen Schwächen, denn lieb hat sie uns Beide, Reinhard sowohl als mich.

An ihrer Liebe für Reinhard habe ich nie gezweifelt, hatte Joseph geantwortet, und so gleichgültig diese Bemerkung ihr damals erschienen war, so deutlich erinnerte sie sich jetzt der Absichtlichkeit, mit welcher er sie ausgesprochen. Tausend kleine Züge, welche sie früher nicht beachtet, fielen ihr jetzt ein, und erhoben die Vermuthung, die sich ihr heute aufgedrungen hatte, zur Gewißheit. Sie konnte sich es nicht verbergen: Therese hatte eine Neigung für Reinhard gefaßt, und mißgönnte ihr das Glück, von ihm geliebt zu werden. Sie muß fort, Therese darf nicht mit uns bleiben, das war Jenny’s erster Gedanke. Dann dachte sie an die Reihe von Jahren, in denen sie Therese gekannt, an unzählige kleine Liebesdienste, welche sie sich gegenseitig erzeigt hatten; sie erinnerte sich, wie Therese lange Zeit ihr einziger Umgang gewesen, und daß erst, seit sie Reinhard und Clara kannte, jene so in den Hintergrund ihres Herzens getreten sei. Theresens Gesundheit war schwankend; Eduard, der ihr Arzt war, hatte gehofft, der Sommer auf dem Lande werde ihr gut thun, da sie im Hause seiner Eltern es nicht nöthig hatte, sich so angestrengt zu beschäftigen, als bei ihrer Mutter. Madame Meier hatte Theresens Gesellschaft gern; sie war ihr in mancher Hinsicht bequem, und es schien nicht unwahrscheinlich, daß Therese sich gern entschließen würde, als Gesellschafterin in dem reichen Hause zu bleiben, wenn Jenny nach ihrer Hochzeit aus demselben schied. Alle diese Rücksichten stimmten Jenny milder. Sie durfte hoffen, noch im Laufe des Jahres mit Reinhard verbunden zu werden, und einige Monate, meinte sie, gingen ja leicht vorüber. Mochte Therese immerhin sie auf das Land begleiten, wenn sie ihrem Bräutigam offen die Wahrheit bekannte, konnte für Niemand Gefahr daraus entstehen. Durfte sie, ohnehin die Glücklichere, der armen Therese aus kleinlicher Eifersucht eine Zuflucht in ihrem väterlichen Hause mißgönnen, in das sie auf Jenny’s Bitten eingetreten war? Reinhard’s Liebe konnte ihr ja nie geraubt werden und ihr festes Vertrauen zu derselben mußte ihm Freude machen.