Kitabı oku: «Jenny», sayfa 14
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Jenny wußte sich keinen Rath in der Verwirrung ihres Sinnes. Von Natur offen und mittheilend, sah sie sich theils durch die Verhältnisse, theils durch ihre eigene Schuld in ein Gewebe von Heimlichkeiten und Täuschungen verstrickt, das sie in ihren eigenen Augen erniedrigte. Clara’s ruhige, ergebene Entsagung leuchtete ihr als Beispiel vor; sie wollte nicht kleiner sein als ihre Freundin, denn auch sie war sich bewußt, das Unvermeidliche würdig tragen und eher das Glück, als die Achtung vor sich selbst entbehren zu können. Wie würde es sein, fragte sie sich also immer wieder, wenn ich vor Reinhard hinträte und ihm erklärte: Ich liebe Dich mehr, als Du es weißt, ich hatte meine ganze Zukunft an Dich geknüpft; aber Christin nach Deinem Sinne kann ich nie werden, darum muß ich auf das Glück verzichten, auf das ich mit Dir hoffte. Therese liebt Dich, sie glaubt wie Du an Christus, möge sie Dir ein Glück gewähren, das Du aus den Händen einer Jüdin nicht annehmen darfst. Aber schon bei dieser innerlich gehaltenen Rede zerfloß die Aermste in Thränen, trotz der Großmuth, welche sie gegen ihre Nebenbuhlerin auszuüben dachte. Sie stellte sich den Kummer vor, in dem sie die schönsten Jahre ihres Lebens fern von Reinhard vertrauern würde, sie sah ihn an Theresens Seite glücklich, sah sich von ihm vergessen, und noch heißer und bitterer flossen ihre Thränen. Was würden ihre Eltern sagen? Was würde man in den Kreisen ihrer Bekannten von ihr denken? Welch’ widersprechende, tadelnde und nachtheilige Gerüchte könnten sich über sie verbreiten! Während sie ihr höchstes Glück einer religiösen Ueberzeugung mit blutendem Herzen opferte, würden Neid und böser Wille sich in die innersten Verhältnisse ihres Lebens drängen, und Gründe zu dieser Handlung suchen, von denen keine Spur in ihrer Seele war. Könnte nicht selbst Therese bereit sein, Reinhard zu beweisen, daß Mangel an Liebe zu ihm, oder die Furcht vor seinen beschränkten Verhältnissen und dem Leben in ländlicher Zurückgezogenheit, sie zur Lösung dieses Bündnisses veranlasse, und daß sie die Religion nur zum Deckmantel gebrauche? Jenny sah Reinhard vor sich, sie sah, wie er mit Verachtung auf sie blickte, wie er sie von sich stieß, er, der sie einst geliebt, an dem sie stets mit warmer Neigung gehangen, und trotz aller innern Kämpfe, trotz der warnenden Stimme ihres Gewissens ließ sie die Taufe für eine bestimmte Stunde ansetzen, und beschloß, durch jenes erkünstelte Glaubensbekenntniß, das sie beschwören konnte, ohne gerade einen Meineid zu begehen, sich unauflöslich mit Reinhard zu verbinden, weil sie sich vor den Leiden fürchtete, die eine Trennung von ihrem Geliebten nothwendig für sie zur Folge haben mußte.
Reinhard, seine Mutter und Clara sollten die Zeugen bei Jenny’s Taufe sein, und die Pfarrerin war zu diesem Zwecke nach Berghoff gekommen, wo sie ein paar Wochen zu bleiben versprochen hatte. Auch Reinhard machte sich frei von seinen Geschäften in der Stadt, um diese Zeit ganz mit seiner Braut zu verleben, da er, wie schon gesagt, gleich nach der Taufe mit seiner Mutter zu seinem alten Onkel fahren und dort verweilen wollte, bis die Entscheidung über seine Anstellung definitiv erfolgt sein würde. Obgleich nur ein paar Monate seit der Abreise der Pfarrerin verflossen waren, fand sie das Verhältniß ihres Sohnes zu Jenny wesentlich verändert und fast umgekehrt. Reinhard’s Eifersucht hatte sich gelegt, da Erlau dieselbe nicht mehr erregte; mit den äußern Verhältnissen seiner Zukunft, mit dem Reichthum seiner Braut hatte er sich ausgesöhnt, je mehr er sich überzeugte, daß die ganze Familie denselben zwar in seinem Werthe begriff, aber doch nicht überschätzte oder damit absichtlich prunkte; und da nun auch Jenny’s religiöse Erkenntnisse sich seinen Ansichten angeschlossen hatten, war er vollkommen glücklich, und zu jener innern Zufriedenheit gelangt, die ihn seit seiner Verlobung geflohen hatte. Diese innere Ruhe machte ihn heiter, nachgebender und mittheilender, als er es jemals gewesen war. Er hatte tausend Aufmerksamkeiten für Jenny’s Eltern, behandelte Eduard mit der zartesten Sorgfalt, da er ihn über einen Verlust trösten wollte, dessen Größe er mit ihm empfand, ohne daß Jener irgend über seine Liebe oder seinen Gram mit ihm gesprochen hatte. Mit Jenny unabläßlich beschäftigt, war er es jetzt, der sich an jeder Kleinigkeit erfreuen und bei jedem Begebniß eine fröhliche, scherzhafte Seite hervorheben konnte. Selbst Theresens Neigung für ihn diente, so sehr er es auch verheimlichen wollte, nur dazu, sein Glück zu erhöhen, indem sie seiner Eitelkeit, deren er sich kaum bewußt war, schmeichelte und ihm in Jenny’s Eifersucht einen ihm wohlthuenden Beweis ihrer Liebe gab. Er fühlte sich in gewisser Weise Theresen dafür verpflichtet, behandelte sie mit freundlicher Zuvorkommenheit, und in dem täglichen Beisammensein mit ihr stellte sich ein zutraulich bequemes Verhältniß zwischen ihnen her, das aber von Theresens Seite an Unbefangenheit verlor, je ruhiger Reinhard sich demselben überließ.
Mit Freuden hatte die Pfarrerin die Verwandlung bemerkt, welche die Stimmung ihres Sohnes erlitten hatte, aber um so räthselhafter erschien ihr Jenny. Ein düstrer Ernst, eine krankhafte Reizbarkeit hatten sich ihrer bemächtigt, und besonders hatte Therese von der Letztern in einem Grade zu leiden, der der Pfarrerin mißfiel. Jenny’s Liebe zu ihrem Bräutigam schien äußerst lebhaft, sie konnte sich keinen Augenblick von ihm trennen; sie war unruhig, wenn sie ihn nicht sah, und doch vermißte das scharfe Auge der Pfarrerin in Jenny’s Liebe jene innige Hingebung, welche sie früher für Reinhard gezeigt hatte. Es lag ein Etwas in ihrem Betragen, in ihrer ganzen Art, das ihr unheimlich, ja fast dämonisch vorkam, und wovon sie sich doch keine bestimmte Rechenschaft geben konnte, um so weniger, als Jenny von einem unersättlichen Hang zu immer neuen Zerstreuungen erfüllt schien, der Niemanden in ihrer Umgebung zur Ruhe kommen ließ.
Fahrten zu Wasser und zu Lande, Besuche in der Nachbarschaft und stundenlange Spazierritte wechselten schnell mit einander ab, ohne daß Jenny, die eifrig darnach verlangte, Genuß darin zu finden schien. Reinhard liebte die Natur und jede Art von Bewegung im Freien, deshalb ließ er sich gern bereitwillig finden zu jedem Vorschlag der Art, welchen Jenny machte, bis auch ihm endlich ihre fieberhafte Unruhe auffiel, die nicht eher nachließ, bis sie körperlich ganz erschöpft zusammenbrach und dann stundenlang in vollkommener Abspannung und weichster Stimmung verharrte. Bat er sie, von dieser anstrengenden Lebensweise abzustehen, sich Ruhe und Erholung zu gönnen, so riß sie sich gewaltsam aus der Apathie empor, versicherte, weder krank noch ermüdet zu sein, und bestand darauf, diesen letzten Sommer in Berghoff mit Reinhard, wie sie es nannte, noch recht in Eile zu genießen.
Gegen dies wilde Treiben, das zuletzt Jenny’s Mutter ebenso beunruhigte, als die Pfarrerin, erschien Theresens stille, häusliche Thätigkeit um so wohlthuender. Sie hatte allmälig sich fast des ganzen häuslichen Regimentes bemächtigt und wußte für Jeden mit Sicherheit das Bequeme und Angenehme zu verschaffen, ohne daß man es von ihr verlangt hatte. Dadurch machte sie sich namentlich den älteren Personen unentbehrlich, und auch Reinhard konnte nicht umhin, ihr lobend zu gestehen, daß sie ein seltenes Talent besitze, die Wünsche ihrer Umgebung zu errathen und zu befriedigen. Je mehr durch Gewöhnung auch für ihn die Bequemlichkeit des Lebens an Reiz gewann, um so angenehmer erschien ihm die Weise, mit der Therese vorzusorgen wußte. Jenny’s Aeußerung, daß Therese sich Liebe erkoche und erwirthschafte, begegnete daher allgemeinem Tadel, wie überhaupt ihr Verhältniß zu ihrer Freundin der Pfarrerin immer mehr mißfiel und Allen ein Räthsel dünkte, Reinhard ausgenommen, der diese ungewohnte Härte in Jenny’s Charakter nur zu leicht und gern entschuldigte.
Nach Jenny’s früher geäußertem Wunsche sollte auch Therese unter ihren Taufzeugen sein, doch schien sie diesen oft besprochenen Vorsatz jetzt ganz plötzlich aufgegeben zu haben. Sie erklärte, als die Pfarrerin sie deshalb zur Rede stellte und ihr bemerklich machte, wie diese Zurücksetzung für Therese empfindlich sein müsse: Es thäte ihr leid, aber sie könne sich nicht entschließen, es wäre ihr unmöglich, sie dazu aufzufordern. Diese entschiedene Aeußerung veranlaßte die Pfarrerin, weiter in Jenny zu dringen, sie konnte jedoch keine nähere Erklärung von ihr erlangen. Jenny behauptete, ohne Gründe anzugeben, sie habe sich in Therese geirrt, sie fühle eine wachsende Abneigung gegen sie, und könne dieselbe nicht überwinden. Als zufällig eben während dieser Unterredung Therese mit einer Anfrage von Jenny’s Mutter hinzukam und mit einer heftigen, kurzen Antwort von Jenny abgefertigt wurde, die gleich darauf das Zimmer verließ, benutzte die Pfarrerin die Gelegenheit, mit Theresen einmal darüber zu sprechen, ob sie vielleicht den Grund zu Jenny’s gereizter, launenhafter Stimmung kenne?
Therese verneinte es. Ich weiß nur das Eine, sagte sie, daß ich ihr Betragen gegen mich nicht verdient habe, und ich würde es nicht ertragen, wenn mich das Andenken an unser früheres Verhältniß nicht nachsichtig gegen sie machte.
Und wissen Sie denn nicht, liebes Kind, seit wann diese Verstimmung sich Jenny’s bemächtigt hat? Man könnte vielleicht irgend Etwas zu ihrer Beruhigung thun, wenn man die Veranlassung dazu kennte.
So wie Sie Jenny jetzt sehen, liebe Frau Pfarrerin, ist sie seit wir in Berghoff sind, antwortete Therese, und allerdings habe ich eine Vermuthung darüber, die ich Ihnen mittheilen möchte, wenn Sie mir heilig versprechen wollen, gegen Jeden, besonders aber gegen Ihren Sohn darüber zu schweigen.
Die Pfarrerin zauderte einen Augenblick, dann bat sie Therese, diese Mittheilung lieber zu unterlassen, wenn sie nicht wirklich nöthig zu Jenny’s Glück, zu ihrer Herstellung sei.
Ich bin in einer sonderbaren Lage, antwortete Therese, und weiß selbst nicht, ob es nicht meine Pflicht ist, ein Geheimniß zu verrathen, zu dessen Kenntniß ich nur zufällig gelangte; denn noch dürfte es Zeit sein, ein Unheil zu vermeiden, das meinen theuersten Freunden droht.
Die Pfarrerin wurde unruhig, und Therese fuhr fort: Den Abend, ehe wir nach Berghoff zogen, zeichnete Jenny mit Erlau auf dem Balkon vor dem Treibhause eine Ansicht der Gegend, welche sie für ihren Bräutigam bestimmte. Sie war Anfangs ganz heiter; Steinheim war auch mit ihnen, und Jenny rief mich ebenfalls herbei, um mir ihre Arbeit zu zeigen und mich an der Unterhaltung Theil nehmen zu lassen. Diese nahm, wie gewöhnlich, wenn jene Drei ohne Reinhard beisammen waren, eine ziemlich fade Wendung. Das Gespräch langweilte mich, so daß ich Jenny aufmerksam machte, wie wenig dieses Geplauder und Geschwätz ihrem Bräutigam behagen würde. Darüber wurde sie verdrießlich und heftig, und so ist es seit jenem Tage geblieben.
Aber mein Kind, sagte die Pfarrerin im Tone des Vorwurfs, Sie können doch kaum annehmen, daß ein so geringer Tadel Jenny’s ganzes Wesen, ihr ganzes Verhältniß zu Ihnen so vollkommen verändern könne, besonders da sie sonst Tadel von Jedermann mit großer Freundlichkeit zu ertragen pflegte, was mir an ihr stets angenehm aufgefallen ist.
O, Gott bewahre! das glaube ich auch nicht, erwiderte Therese, ich halte es nur für begreiflich, daß ihre üble Laune sich gerade gegen mich richtet, weil wir zufällig jenen kleinen Streit in einer Stunde hatten, die außerdem von entschieden traurigen Folgen für Jenny war.
Therese, unterbrach die Pfarrerin sie sehr ernsthaft, Ihre halben Reden scheinen mir ein Geheimniß mittheilen zu wollen, das Sie vielleicht verschweigen sollten. Sie sind aber bereits zu weit gegangen, und ich muß Sie bitten, mir nun die volle Wahrheit zu enthüllen, damit ich selbst entscheide, was wir für Jenny, die ich als meine Tochter liebe, thun können und müssen.
Therese schien zu schwanken, dann aber sagte sie rasch und mit großer Bestimmtheit: Nun denn, Frau Pfarrerin! Ich glaube, Erlau’s Abreise ist die Veranlassung zu der vollkommenen Veränderung, welche mit Jenny vorgegangen ist.
Das wäre ein großes Unglück, rief die alte Dame erschreckt. Aber was bringt Sie auf diese Vermuthung?
Eine bloße Vermuthung hätte ich Ihnen nicht mitgetheilt, antwortete Therese, ich habe die feste Ueberzeugung, daß es so ist. Nachdem Steinheim den Balkon verlassen hatte, hörte ich, denn ich war im Treibhause beschäftigt, Erlau lebhaft mit Jenny sprechen, und obgleich ich weder Alles verstehen konnte noch wollte, vernahm ich, daß Erlau ihr seine Liebe gestand und ihr zugleich Lebewohl sagte, weil er ohne Hoffnung in ihrer Nähe nicht leben könne. Den nächsten Tag war er abgereist, und als sein Abschiedsbrief uns gebracht wurde, behauptete Jenny, die man darum fragte, von seiner Reise ebenso wenig gewußt zu haben, als wir. Trotzdem hat sie ihm wahrscheinlich das für Reinhard bestimmte Bildchen zum Andenken geschenkt, denn ich habe es seit dem Abend nicht mehr gesehen, und es ist auch nie wieder die Rede davon gewesen. Am nächsten Tage zogen wir hieher und seitdem ist Jenny’s traurige Stimmung, wie Sie selbst wissen, im Zunehmen begriffen.
Die Pfarrerin schwieg lange Zeit und schien mit sich selbst zu Rathe zu gehen, dann sprach sie: Gott verhüte, daß Ihre Behauptung wahr sei! Ich kann nicht glauben, daß Jenny sich so vollkommen über ihre Gefühle getäuscht haben könne, und bin ebenso fest von ihrer Liebe zu Reinhard überzeugt, als von der seinen für sie. Indeß ist leider unser Herz tausend befremdlichen Eindrücken zugänglich, und es ist nicht unmöglich, daß sich irgend ein Widerstreit von Gefühlen in der Seele der armen Jenny erhoben hat, den sie mit ihrer leidenschaftlichen Weise gewaltsam bekämpfen will und hoffentlich bekämpfen wird. Es ist denkbar, daß ihre Unruhe dadurch entstanden ist, und ich danke Ihnen für das Geständniß, das Sie mir gemacht haben, wie für die Geduld, mit der Sie die Unfreundlichkeit des armen Mädchens ertragen. Nur Eins muß ich Ihnen wie die heiligste Pflicht an’s Herz legen: Lassen Sie weder Jenny, noch meinen Sohn es ahnen, daß Sie irgend eine Vermuthung der Art hegen.
Wie können Sie das nur glauben? fragte Therese. Rechnen Sie fest auf meine Verschwiegenheit, um so mehr, als auch Ihres Sohnes Glück davon abhängt, dem ich lebenslang für so Großes verpflichtet bin und für den kein Opfer mir zu schwer fallen sollte.
Die Pfarrerin umarmte sie gerührt. Sie versicherte sie, wie sie ihre Achtung in hohem Grade gewonnen habe, und wie sehr sie ihr die Schonung Dank wisse, mit der sie Jenny behandle. Lassen Sie uns vereint, sprach sie, dahin wirken, Jenny mit sich selbst wieder auszusöhnen und ihr das Glück zu erhalten, das sie und mein Sohn von der Zukunft erwarten. Unsere innigste Anerkennung wird es Ihnen danken, und wenn Sie sich wirklich meinem Sohne verpflichtet fühlen, tragen Sie ihm Ihren Dank jetzt in einer Weise ab, welche ihn für immer zu Ihrem Schuldner macht.
Therese versprach Alles und sie schieden mit den herzlichsten gegenseitigen Versicherungen.
Wie weit Therese bei dieser Unterredung sich selbst über die Beweggründe ihrer Handlungen getäuscht hatte, wie weit sie absichtlich dabei zu Werke gegangen, möchte schwer zu entscheiden sein. Ob sie wirklich an Jenny’s Liebe für Reinhard zweifelte, an eine Neigung für Erlau glaubte, ob nur der Wunsch, Reinhard und Jenny vor Reue zu bewahren, allein sie antrieb, der Pfarrerin jenen Bericht zu erstatten, das lassen wir dahingestellt sein. Jedenfalls aber war sie sich der eigensüchtigen Motive, die zweifelsohne in ihrer Seele sich regten, nicht deutlich bewußt, so daß sie die Lobsprüche der Pfarrerin mit ruhigem Gewissen annahm und sich Jenny gegenüber in einer stillen Größe erschien, welche es ihr leichter machte, sich fügsam und nachgebend gegen sie zu betragen.
Ihrem Vorsatz getreu, schwieg die Pfarrerin gänzlich über die Entdeckung, welche Therese ihr gemacht hatte. Jenny that ihr leid, und doch zürnte sie ihr, weil sie nicht daran zweifelte, daß Erlau wirklich einen Eindruck auf Jenny’s bewegliche Phantasie gemacht und sie verleitet haben könnte, Reinhard untreu zu werden, wäre Erlau selbst ihr nicht zur rechten Zeit zu Hülfe gekommen. So lieb sie ihre künftige Schwiegertochter hatte, konnte sie sich doch nicht verbergen, was sie stets gedacht und früher auch gegen ihren Sohn geäußert hatte, daß eine Frau mit so unruhigem Geiste, mit solch beweglichen Leidenschaften viel weniger zu Hoffnungen auf ein ruhiges eheliches Glück berechtigte, als z. B. ein Mädchen von Theresens soliden, wenn auch weniger glänzenden Eigenschaften. Sie zitterte bei dem Gedanken, ihr Sohn könne durch irgend einen Zufall von der Neigung seiner Braut für Erlau unterrichtet werden, und fühlte sich sehr beruhigt, als endlich der für die Taufe bestimmte Tag gekommen war und sie die Aussicht hatte, nun mit ihrem Sohne Berghoff auf einige Monate zu verlassen. In dieser Zeit, so hoffte sie, würde Jenny zur Ruhe kommen, ohne daß Reinhard etwas von dem Kampfe in ihrem Herzen zu erfahren brauchte.
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Die Eltern beide, Eduard, Joseph, die Pfarrerin, Therese und Clara waren in ernster Haltung in einem Zimmer beisammen, in das freundlich die Strahlen der untergehenden Sonne hineinfielen. Ein runder, mit schwerem Teppich behangener Tisch, auf dem ein silbernes Becken in silberner Schale stand, nahm die Mitte desselben ein. Neben diesem einfach hergerichteten Hausaltar stand Jenny’s Lehrer, der würdige Pastor, und erwartete, gleich den Uebrigen, den Eintritt seiner Schülerin. Sie hatte gewünscht, die letzten Stunden vor ihrer Taufe ganz allein zu bleiben, und ihren Bräutigam ersucht, sie erst rufen zu kommen, wenn Alles zu der feierlichen Handlung bereit sein würde.
Nun trat sie an Reinhard’s Arm in das Zimmer und Allen fiel die Blässe ihrer schönen Züge auf, als sie sich in die Nähe des Pastors stellte und Reinhard zurücktrat. Nach einer kurzen Anrede des Geistlichen sprach Jenny ihr Glaubensbekenntniß und empfing die Taufe. Sie schien sehr ergriffen zu sein, als das Taufwasser ihre bleiche Stirn berührte. Aber keine Thräne war in ihr Auge gekommen, keine Muskel ihres Gesichtes hatte gezuckt, und nur der bebende Ton der Stimme hatte, während sie das Glaubensbekenntniß ablegte, der Herrschaft ihres festen Willens Trotz geboten.
Jetzt war die kurze Ceremonie vorüber; Jenny war Christin geworden. Mit wahrer Innigkeit zog Reinhard die Geliebte an sein Herz und Thränen der reinsten Freude glänzten in seinen Augen. Doch nur einen kurzen Moment ruhte sie, wie um sich zu erholen und Kraft zu gewinnen, an seiner Brust; dann flog sie, von einem innern Impuls getrieben, zu ihrer Mutter und sank, bitterlich weinend, ihr in die Arme.
Es wäre vielleicht für einen ruhigen Beobachter anziehend gewesen, hätte er während der Taufe in den Seelen der anwesenden Personen die verschiedenen Gefühle zu lesen vermocht, von denen sie bewegt wurden. Jenny’s Mutter weinte, weil es ihr vorkam, als trete durch die Taufe ein fremdes Element zwischen sie und ihre Tochter. Eduard und Clara, welche einander gegenüber standen, waren in schmerzliche Gedanken vertieft, und wenn ihre Blicke sich zufällig trafen, wandten sie dieselben schnell von einander ab, als fürchteten sie, die ernste Feier durch die beredte Sprache ihrer Augen zu entweihen. Die Pfarrerin dankte Gott, daß es endlich so weit gediehen sei, und betete inbrünstig, der Herr möge nun auch ferner dies Paar beschützen und alles Störende, das ihnen noch in der nächsten Zukunft drohen könne, gnädig an ihnen vorüberführen. Dieses innere Gebet verhinderte sie, Theresens Unruhe zu bemerken, die keinen Blick von Reinhard und seiner Braut abwendete und, fast ebenso bleich als diese, mit Gewalt in Jenny’s Seele lesen zu wollen schien. Joseph aber entging dies ängstliche Spähen Theresens nicht, das ihn ebenso wenig, als Jenny’s qualvolle Aufregung befremdete. Er sah finster auf die Scene vor seinen Augen, als auf etwas, das er lange erwartet hatte; nur als Reinhard nach der Taufe die Braut in seine Arme schloß, fuhr er mit der Hand nach dem Herzen, als ob er dort einen flüchtigen Schmerz empfinde.
Der Vater allein war vollkommen ruhig und heiter geblieben. Er hatte Wohlgefallen an Reinhard und dessen stolzer, voller Freude; er ließ alle den erregten Empfindungen Raum, sich zu beruhigen, dann war er es, der die Thüren des Zimmers öffnete, in den Garten hinaustrat und die Uebrigen aufforderte, ihn zu begleiten.
Es war drückend warm im Zimmer geworden, denn die Sonne brannte auf die Scheiben der geschlossenen Fenster. Um so erquickender erschien Jedem die frische Abendluft, welche, von dem Duft der prächtigen Orangenblüthen balsamisch durchzogen, ihnen entgegenströmte. Reinhard war einer der Ersten, die der Aufforderung des Vaters folgten. Er verlangte sehnlichst, mit seiner Braut allein zu sein, und wandte sich mit ihr, sobald es thunlich war, einem entlegenern Theile des Parkes zu. Dort angekommen, setzten sie sich nieder unter den Schatten einer mächtigen, von Epheu grün umrankten Kastanie und schweigend sah Reinhard lange mit der innigsten Liebe auf Jenny, die, noch sehr bleich und ermattet, sich mit geschlossenen Augen an ihn lehnte und dringend Ruhe zu bedürfen schien. Die Spannung der letzten Zeit hatte, nun die That vollbracht war, nachgelassen und einer weichen Müdigkeit Platz gemacht. Als Reinhard das zarte Mädchen so in seinen Armen hielt, das mit den geschlossenen Augen, den ruhigen, regungslosen Zügen und der weißen Kleidung wirklich einer schönen Leiche glich, fuhr ihm schmerzlich der Gedanke durch die Seele, sie könne sterben, während er sich von ihr trenne, und er werde sie niemals wiedersehen. Er schrak zusammen. Wäre es eine Ahnung? fragte er sich, und eine fast kindische Furcht ließ ihn die Möglichkeit wähnen, die Geliebte könne gerade jetzt in seinen Armen gestorben sein. Behutsam küßte er plötzlich Jenny’s lange Wimpern, indem er sie mit den zärtlichsten Worten bat, nur einen Laut zu sprechen, ihm nur zu sagen, daß sie lebe, daß sie sein Glück mit ihm fühle.
Ja, ich lebe, Geliebter! antwortete sie auf seine Frage und schlug lächelnd die Augen zu ihm empor. Ich lebe! Und ob ich Dich liebe? O! Gott weiß es, wie ich davon in dieser Stunde Zeugniß gegeben habe. Ich liebe Dich wie mein Leben, wie meine Seele — nein, mehr als meine Seele. Ist es so recht? fragte sie und lehnte sich wieder an ihn, nachdem sie sich während des Sprechens aufgerichtet und die Hände fest ineinander gefaltet hatte. Aber warum fragst Du mich erst, ob ich Dich liebe? fuhr sie nach einer kleinen Pause fort.
Weil ich den Ton Deiner Stimme hören wollte, mein süßes Leben. Du sahst so bleich und so verklärt aus, daß ich fürchtete, Du könntest die Erde verlassen und aus meinen Armen in den Himmel zurückkehren, von dem Dein Antlitz ein so treues Bild war.
Ach! hätte ich so hinüberschlummern können, seufzte Jenny, so im vollen Besitz Deiner Liebe.
Als ob diese Liebe Dir jemals fehlen könnte, rief Reinhard fast entrüstet aus. Siehe, Jenny, einst gab es eine Zeit, in der ich an Dir, an Deiner Liebe zweifelte, Dich fliehen und vergessen wollte. Das ist Alles nicht mehr möglich, und seit Du durch Deine Liebe mich zum Herrn über Dein Geschick gemacht, bin ich Dir zu eigen geworden, mehr als irgend einem Menschen. Du weißt es, sagte er, immer wärmer werdend, ich würde vor keinem Könige knien, kein Weib hat mich jemals zu seinen Füßen gesehen, ich glaubte, nur vor Gott mich beugen zu können — und nun knie ich vor Dir, und bekenne Dir, daß ich Dich fußfällig bitten könnte, mich zu lieben, mir treu zu bleiben, wenn ich daran zweifeln könnte, weil in Dir allein das ganze Glück meines Lebens beruht.
Er war wirklich vor ihr niedergesunken und hielt sie mit seinen Armen umfaßt, während seine Augen an den ihren hingen. Schöner, hingebender hatte sie ihn nie gesehen, glücklicher hatte sie sich nie gefühlt, und doch stieg eben in diesem Augenblicke der Zweifel in ihr auf, ob Reinhard sie mit dieser Innigkeit lieben, ob seine Neigung nicht wanken würde, wenn er einst erfahren sollte, wie sie ihn getäuscht, um sich seine Liebe zu bewahren, um die Seine zu werden.
Sie drückte ihn voll Leidenschaft an ihre Brust, und ihm zärtlich und fest ins Auge blickend, sagte sie: Versprich mir, dieser Stunde immer zu gedenken, wie ich ihrer nie vergessen werde, und wenn einst ein Tag käme, an dem Du irre an mir würdest, an dem ich Dir Deiner Liebe weniger würdig schiene — dann, aus Barmherzigkeit, dann denke an diese Stunde, dann laß mich Dich daran erinnern und eine Stütze in dieser Erinnerung bei Dir finden!
Was bedeutet das? fragte Reinhard verwundert, wie kannst Du glauben, jemals eines andern Fürsprechers bei mir zu bedürfen, als meiner Liebe zu Dir?
Das gebe Gott! rief Jenny. Aber wenn Du mich einst schwach und tadelnswerth finden, wenn Du mich deshalb weniger lieben, mich von Dir weisen solltest, dann möge Deine Neigung mein treuer Schutz sein; sie möge Dir deutlich machen, daß ich aus Liebe kein Opfer scheute, daß ich Alles erdulden wollte, Alles! Nur Dir entsagen — das konnte ich nicht, das werde ich niemals können, dazu fehlt mir die Kraft.
Ich verstehe Dich nicht, sagte Reinhard, vergebens einen Sinn in diesen Reden suchend, der in irgend einem Zusammenhang mit ihren Verhältnissen stehen konnte, aber das schwöre ich Dir, ich werde nie an der Lauterkeit Deiner Seele, an der Reinheit Deines Herzens zweifeln; Du sollst in mir alle Liebe finden, die Dir gebührt, und auch Nachsicht, wenn es möglich wäre, daß Du sie jemals brauchtest; denn wie sollte ich Dir nicht Alles verzeihen, so lange Deine Liebe mir bleibt!
Schwöre mir das, Geliebter, flehte sie mit einer Angst, als ob sie fürchtete, er könne seine Meinung ändern.
Ich schwöre es Dir! antwortete Reinhard und reichte ihr seine Hand, welche sie lange festhielt, dann leidenschaftlich an ihre Lippen drückte und mit den Worten: Nun bin ich ruhig, nun ist es gut! endlich wieder losließ.