Kitabı oku: «Jenny», sayfa 2
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So hättest Du mir also lieber Unglück wünschen sollen? fragte die Tochter lächelnd.
Zu Deinem wahren Heile wäre es vielleicht besser gewesen. Ich schloß von meinem Herzen auf das Deine, und darin irrte ich. In Dir ist der Charakter Deines Vaters, der feste, starke Sinn, und Eduards Einfluß hat diese Charakter-Richtung in Dir noch mehr ausgebildet. Vom Glück verzogen, von uns Allen mit der nachgiebigsten Liebe behandelt, hast Du es nie gelernt, Dich in den Willen eines Andern zu fügen; was man an Dir als Eigensinn hätte tadeln sollen, das haben Vater und Bruder als Charakterfestigkeit gelobt, und ich begreife, daß Dir Joseph zuwider ist, weil er allein Dir entschieden und mit Nachdruck entgegentritt. Trotzdem weiß ich, daß er Dich mehr liebt, als Viele, die Dir schmeicheln. Bei den Worten reichte die milde Frau der Tochter die Hand. Diese nahm sie, drückte einen Kuß darauf, und saß eine Weile schweigend bei ihrer Arbeit.
Man sah es ihrem lieblichen Gesichte an, daß irgend ein Entschluß, ein Gedanke sie beschäftigte; auch legte sie plötzlich die Arbeit bei Seite, sah ganz ruhig die Mutter an und sagte mit einer Stimme, der man nicht das Geringste von der Bewegung anmerkte, die ihre Züge verriethen: Mutter! den Joseph heirathe ich niemals. Niemals, Mutter! — Sage ihm das, und auch dem Vater. Ich weiß, daß Ihr es wünschet, daß Joseph es erwartet und mich nur erzieht, um eine gute Frau an mir zu haben; die Mühe aber kann er sparen. Sieh, fuhr sie fort, und ihre Fassung verlor sich mehr und mehr, so daß sie zuletzt bitterlich weinte, sieh, gute Mutter! was Dein Beispiel, Deine Geduld, und Vater und Eduard, die ich so lieb habe, nicht über mich vermochten, das kann Joseph, den ich gar nicht liebe, gewiß nicht von mir erlangen. Ihr sagt oft, ich sei noch ein Kind, ich werde erst in einigen Wochen siebzehn Jahre, aber solch ein Kind bin ich nicht mehr, daß des Cousins rauhe, befehlende Art mich nicht verletzte. Andere haben mich auch getadelt, aber sie verlangen nicht das Unmögliche von mir. Dort die große, hohe Pappel im Garten biegt der Wind hin und her, und meinen kleinen, stacheligen Cactus hat er gestern mitten durchgebrochen, weil er sich nicht beugen konnte. So ist mein Herz! Es mag Euch starr, rauh und häßlich erscheinen, aber es kann, so hoffe ich, Blüthen tragen, die Euch freuen. Man kann mein Herz brechen, aber es niemals zu schwächlichem Nachgeben, zu schwankender Gesinnung überreden — und das schwöre ich Dir, lieber will ich sterben, als Joseph’s Frau werden.
Laut schluchzend warf sie sich vor die Mutter nieder und barg das Gesicht in ihren Schooß. Erschreckt über so viel unerwartete Leidenschaftlichkeit schlang die besorgte Mutter die Arme um das geliebte Kind und versuchte auf alle Weise es zu beruhigen. Sie versicherte Jenny, daß sie allerdings glaube, der Vater würde ihre Verbindung mit Joseph gern sehen, doch sei es ihm nie in den Sinn gekommen, jemals ihrer Neigung Zwang anzuthun. Sie solle selbst über ihre Zukunft entscheiden; sie wisse ja, daß die Eltern keinen andern Wunsch hätten, als das Glück ihrer Kinder — aber Alles war vergeblich. Jenny konnte nicht zur Ruhe kommen, und die Mutter sah an der Leidenschaftlichkeit, die so plötzlich, so anscheinend grundlos hervorgebrochen war, daß wohl schon lange ein andres stilles Feuer in Jenny’s Seele geglüht haben mochte. Wer dieses Feuer aber angefacht, das wußte sie nicht zu errathen. Sie konnte sich nicht erinnern, daß irgend einer der jungen Männer, die in ihr Haus eingeführt waren und Jenny auf jede Weise huldigten, einen besonderen Eindruck auf diese gemacht hätte. Sie sann und sann, während die Tochter noch ganz erhitzt und aufgeregt wieder an den Nähtisch zurückgekehrt war, und sich emsiger als sonst mit einer Arbeit beschäftigte, die gar nicht so großer Eile bedurfte. Sie wurde aber allmälig ruhiger dadurch, und hatte sich äußerlich bereits gesammelt, als man den Doctor Steinheim meldete.
Einen Augenblick schwankte die Mutter, der in dieser Stimmung jeder Besuch unwillkommen war, ob sie ihn annehmen solle, oder nicht, dann entschied sie sich dafür, weil sie hoffte, Steinheim’s Lebhaftigkeit werde Jenny auf angenehme Weise zerstreuen. Als er darauf nach wenig Minuten in das Zimmer trat, wurde er von beiden Damen wie ein alter Bekannter behandelt. Er mochte siebenundzwanzig bis achtundzwanzig Jahre alt sein, hatte eine große, kräftige Figur und einen vollblütigen, rothbraunen Teint. Sein krauses schwarzes Haar, die dunkeln Augen und der starke bläuliche Bart konnten ebenso gut dem Südländer als dem Juden gehören, und machten, daß er von vielen Leuten für einen schönen Mann gehalten wurde, während Andere die Kohlschwarzen Augen starr und unheimlich, die Schultern hoch, den starken Hals zu kurz und Hände und Füße so groß fanden, daß dieses Alles ihm jeden Anspruch auf wirkliche Schönheit unmöglich mache. Er selbst schien indessen gar nicht dieser Meinung zu sein, das bewies die sehr studirte Toilette, die aber trotz ihrer gesuchten Eleganz des Geschmacks ermangelte. Er trug an jenem Morgen einen kurzen dunkelgrünen Ueberrock, zu dem eine ebenfalls grüne Atlasweste und mehr noch ein dunkelrother türkischer Shawl sonderbar abstachen, den er unter der Weste kreuzweise über die Brust gelegt und mit einer großen Brillantnadel zusammengesteckt hatte. Handschuhe, Stiefel und Frisur waren nach der modernsten Weise gewählt, aber all das stand ihm, als ob er es eben wie eine Verkleidung angelegt hätte. Es war für den feinen Beobachter etwas Unharmonisches in der ganzen Erscheinung, das störend auffiel.
Ich bitte tausendmal um Vergebung, sagte er, daß ich in diesem Morgenanzug vor Ihnen erscheine, aber ich bin so durchweg erkältet, meine Nerven sind so abgespannt, mein Wunsch, Sie zu sehen, war so groß, daß ich dachte, die Damen entschuldigen Dich wohl. Es ist allerdings eine Verwegenheit — aber: »ich kann nicht lange prüfen oder wählen, bedürft Ihr meiner zu bestimmter That, dann ruft den Tell! Es soll an mir nicht fehlen.«
Mein Gott! Herr Doctor! geht es so bergab mit Ihnen, daß Sie von dem göttlichen Shakespeare, dem erhabenen Calderon und dem heiligen Schmerzenssohne unserer Zeit, dem unvergleichlichen Byron, schon zu unserm armen Schiller zurückkehren müssen? Sie haben also in den letzten Tagen wohl gar zu viele Citate verbraucht? fragte Jenny spottend, und —
Jenny! ‘rief die Mutter mit mißbilligendem Tone. — Aber Steinheim ließ sich nicht stören, er ging zu Jenny und sprach: »Mit Ihnen, Herzogin, hab’ ich des Streits auf immer mich begeben,« und Sie werden auch nicht mehr streiten wollen, meine schöne kleine Feindin! wenn ich Ihnen sage, daß ich als der Verkünder sehr interessanter Nachrichten komme. Erstens ist Erlau entzückt über den Vorschlag Ihrer Frau Mutter, hier am Sylvesterabend Tableaux darzustellen, zweitens — — nun rathen Sie — hat man heute Herrn Salomon, einen jüdischen Kaufmann, zu einem städtischen Amte erwählt.
Das Letztere ist mir ungemein gleichgültig, rief Jenny, aber für die erste Nachricht bin ich Ihnen sehr dankbar, und sie macht mir großes Vergnügen. Weiß es Eduard schon?
Was denn?
Daß der Kaufmann Salomon gewählt ist? — fragte Jenny.
Also sehen Sie, sehen Sie, es ist Ihnen doch nicht so gleichgültig, als Sie behaupten, und wie könnte es auch. Wen sollte es nicht freuen, wenn alte barbarische Vorurtheile allmälig vor der gesunden Vernunft und der Gerechtigkeit weichen müssen; wenn ein Volk, das Jahrhunderte hindurch mit Füßen getreten wurde, endlich allmälig die Rechte erlangt, an die es dieselben Ansprüche hat, als die andern Bürger des Staates, wenn .... A propos! was ist gestern bei Horn’s vorgefallen, man ließ ja Eduard noch so spät holen? sagte Steinheim, der oft von dem Hundertsten, wie man sagt, auf das Tausendste kam. — Ich höre, die Clara Horn hat den Fuß gebrochen; Erlau sagte es mir, der mich, das fällt mir eben ein, bei der Giovanolla erwartet! Wie hat sie Ihnen gestern gefallen, die Giovanolla? Sie gehen doch morgen wieder hin? — Das Alles fragte er so durcheinander, daß es nicht möglich war, irgend eine der Fragen zu beantworten; dann wandte er sich, Abschied nehmend an Madame Meier, rieth Jenny nochmals, das Theater nicht zu versäumen, und empfahl sich mit den Worten: »So süß ist Trennungswehe, ich sagte wohl Adieu, bis ich den Morgen sähe.«
Mutter und Tochter sahen ihm lächelnd nach.
Ehe wir in der Erzählung fortfahren, müssen wir aber einen Rückblick auf den Lebensweg der Personen werfen, von denen diese Blätter handeln sollen.
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Die Familie Meier galt bei Allen, die sie kannten, für eine der glücklichsten. Der Vater hatte ein hübsches Vermögen, das er von seinen Eltern ererbt, durch Thätigkeit und kluge Berechnung in einen großen Reichthum verwandelt, dessen er bei seiner Bildung auf würdige Weise zu genießen wußte, und von dem er dem Dürftigen gern und reichlich mittheilte. Aus Neigung hatte er sich früh mit seiner Frau, einem schönen und guten Mädchen, verheirathet, die ihm mit immer gleicher Liebe zur Seite gestanden, und ihm zwei Kinder, Eduard und Jenny, geboren hatte. In seiner Frau, und mit ihr in diesen beiden Kindern, hatte Meier Trost und Ersatz gefunden, wenn Welt und Menschen ihren Haß und ihre Unduldsamkeit gegen den Juden bewiesen, wenn man ihn ausgeschlossen hatte von Gemeinschaften, ihm Rechte verweigert, deren Gewährung jeder Mann von Ehre zu fordern hat. Die Thätigkeit, Wirksamkeit und Liebe, denen einer großen Gesammtheit zu nutzen nicht vergönnt war, waren lange Zeit hindurch Eduard’s alleiniger Segen geworden, da er mehr als zehn Jahre älter war als seine Schwester.
Man wundert sich oft, daß die Juden noch immer die Geburt eines Messias erwarten und die göttliche Sendung Jesu weder anerkennen noch begreifen. Aber von ihrem Standpunkte aus muß das ganz natürlich scheinen. Wie sollten sie an eine Lehre glauben, deren mißverstandene Grundsätze ihnen bis auf den heutigen Tag die blutigsten, widersinnigsten Verfolgungen zugezogen haben? wie an einen Erlöser, der sie bis jetzt nicht von Schmach und Unterdrückung erlöset hat? Von der Liebe, die Jesus der Menschheit gepredigt, haben die Juden bei den Christen seit jener Zeit wenig zu bemerken Gelegenheit gehabt. Sir haben in der That noch keinen Messias gefunden. Welch ein Wunder also, wenn sie ihn um so sehnlicher erwarten, je mehr sie der Befreiung und Erlösung sich werth fühlen; wenn jeder Vater bei der Geburt eines Sohnes freudig hofft, dies könne der Erlöser seines Volkes werden, und wenn er den Knaben so erziehen möchte, daß der Mann reif werde für den großen Zweck.
So war auch Eduard’s Erziehung in jeder Beziehung sorgfältig geleitet worden. Sie sollte ihn zu einem Menschen heranbilden, der in sich Ersatz für die Entbehrungen finden könnte, welche das Leben ihm auferlegen würde, und sollte ihn anderseits fähig machen, die Verhältnisse zu besiegen, und sich wo möglich eine Stellung zu verschaffen, die ihn der Entbehrungen überheben und alle Vorurtheile besiegen könne. Glücklicherweise kamen Eduard’s Fähigkeiten dem Wunsche seiner Eltern entgegen. Eine starke Fassungsgabe und eine große Regsamkeit des Geistes machten, daß er die meisten seiner Mitschüler überflügelte, und erwarben ihm ebenso sehr die Gunst der Lehrer, als eine gewisse Herrschaft über seine Gefährten. Von Liebe und Wohlwollen überall umgeben, schien sein Charakter eine große Offenheit zu gewinnen, und er galt für einen fröhlichen, sorglosen Knaben, bis einst in der Schule der Sohn einer gräflichen Familie, mit dem er sich knabenhaft in Riesenplanen für die Zukunft verlor, bedauernd gegen ihn äußerte: Armer Meier, Dir hilft ja all Dein Lernen Nichts, Du kannst ja doch nichts werden, weil Du nur ein Jude bist.
Von dieser Stunde ab war der Knabe wie verwandelt. Er erkundigte sich eifrig nach den Verhältnissen der Juden, er fühlte sich gedrückt und gekränkt durch sie, und nur sein angeborner Stolz verhinderte ihn, sich gedemüthigt zu fühlen; doch entwickelte sich durch das Nachdenken über diesen Gegenstand bei ihm sehr früh der Begriff von jenen Rechten des Menschen, die Alle in gleichem Grade geltend zu machen vermögen, das Bewußtsein innern Werthes, und ein Zorn gegen jede Art von Unterdrückung. Je älter er wurde, und je mehr er erkennen lernte, welche Vorzüge ihm schon bei seiner Geburt, durch die Aussicht auf eine glänzende Unabhängigkeit zu Theil geworden waren, je bestimmter er einsah, zu welchen Ansprüchen ihn seine Fähigkeiten einst berechtigen dürften, um so mehr empörte sich sein Herz gegen ein Vorurtheil, das alle seine Hoffnungen unerbittlich vernichtete.
Grade in der Zeit von Eduard’s Kindheit war wieder eine neue Judenverfolgung durch ganz Deutschland gegangen und die allgemeine Stimmung hatte sich natürlich auch in der Schule sichtbar gemacht, die Eduard besuchte. Spott und Kränkungen mancher Art waren nicht ausgeblieben; man hatte wohl gehofft, der feige Judenjunge werde Alles ruhig dulden. Darin hatte man sich aber geirrt. Eduard’s Charakter war furchtlos, und er erlangte durch Uebung bald eine Gewandtheit und Entschlossenheit, die Jeder sich anzueignen vermag. Er lernte fechten, reiten, schwimmen, und nachdem er sich ein paar Mal mit starker Hand selbst sein Recht verschafft hatte, fand er Ruhe, und endlich auch wieder seine frühere überlegene Stellung zu seinen Gefährten wieder. Hatte der Jüngling früher in einzelnen Momenten dem Gedanken Raum gegeben, sich von dem Judenthume loszusagen und christ zu werden, so verschwand der Plan plötzlich bei dem Anblick der Rohheiten, die er als Knabe selbst von sogenannten gebildeten Christen gegen seine Glaubensgenossen ausüben sehen. Er konnte sich nicht denken, daß das Recht und die Wahrheit sich auf einer Seite befänden, die so zu handeln im Stande war, und Verfolgung machte auch ihn, wie tausend Andere zu allen Zeiten, nur fester seinem Volke angehörig.
Er hatte sich aber in jener Zeit gewöhnt, sich in der Opposition zu empfinden und das Gefühl verließ ihn nie wieder, weil er beständig in Verhältnissen lebte, die dazu gemacht waren, seine Opposition hervorzurufen.
Da Eduard keine Neigung für den Kaufmannsstand hegte, beschlossen seine Eltern, ihn studiren zu lassen, wobei ihm freilich nur die Wahl blieb, Mediziner zu werden, oder nach beendigten Studien in irgend einem andern Fache als Privatgelehrter zu arbeiten, da ihm der Eintritt in eine Staatsstelle ebenso wie die Erlangung eines Lehrstuhles als Jude unmöglich waren. Er entschied sich für das Erstere und verließ das Vaterhaus, um die Universität zu beziehen.
Glücklicherweise herrschte damals auf den Hochschulen ein freier akademischer Geist, und die neuen Verhältnisse übten auf Eduard einen guten Einfluß aus. Hier galt er selbst, sein eigenstes Wesen, ohne daß ihn Jemand fragte, wer bist Du? und was glaubst Du? Sein Geist, seine körperliche Gewandtheit erwarben ihm die Achtung seiner Genossen, sein Fleiß, das Wohlwollen der Lehrer, und die Bereitwilligkeit, mit der sein reichlich gefüllter Beutel Allen offen stand, die Sorglosigkeit und Genußfähigkeit, die er zu jedem Feste brachte, machten ihn bald zum Lieblinge der ganzen Burschenschaft, der er sich mit jugendlicher Begeisterung angeschlossen hatte. Die Idee der Freiheit und Sittlichkeit, die jenem Bunde ursprünglich zum Grunde lag, berührte die zartesten Seiten seiner Seele, und kam seiner ganzen Richtung entgegen. Er fühlte sich gehoben als Glied eines schönen Ganzen, das harmonisch aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt war, frei in einem Verbande, in dem Alle gleiche Rechte genossen.
Unter den Jünglingen, die sich an ihn angeschlossen hatten, und deren Freundschaft ihn beglückte, war Reinhard ihm der liebste geworden. Er war der Sohn einer armen Predigerwittwe, die einer reichen Familie angehörte. Von seinen Verwandten unterstützt, hatte er die Schule besucht und kaum die Universität bezogen, als er erklärte, nun weiter keines Beistandes zu bedürfen, da er in sich die Kraft fühle, für seine Existenz selbst zu sorgen und hoffentlich auch seine Mutter ernähren zu können. Es hatte ihn seit Jahren schmerzlich gedrückt, von Andern abhängig zu sein, es hatte ihn gedemüthigt, seine Mutter von den Wohlthaten einer hochmüthigen Familie leben zu sehen, welche ihr niemals die Heirath mit einem armen bürgerlichen Candidaten vergeben wollen. Abhängigkeit irgend einer Art schien ihm die größte Schmach, weil sie ihm Kränkungen zugezogen, die er nie vergessen konnte, und nur zu leicht mußten er und Eduard sich verständigen, da Beide, wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen, sich in ihrem Ehrgefühle verletzt, in mancher Rücksicht von der Allgemeinheit ausgeschlossen empfunden hatten.
Wenn Reinhard den halben Tag mit mühevollem Unterrichten zugebracht hatte, und mit unerschütterlichem Eifer seinen theologischen Studien nachgekommen war, erquickte ihn Abends der Frohsinn, der Geist und der Reichthum an Hoffnungen, mit denen Meier in die Zukunft sah. Im Anfang ihrer Bekanntschaft waren ihre religiösen Ueberzeugungen freilich oftmals zwischen ihnen zur Sprache gekommen, und ein Gegenstand lebhafter Erörterungen geworden. Meier konnte es nicht begreifen, wie man an einen Sohn Gottes, an seine Menschwerdung, an die Dreieinigkeit, an die wirkliche Anwesenheit Christi im Abendmahl zu glauben vermöge — ein Glaube, den Reinhard mit tiefer Ueberzeugung heilig hielt, und den zu lehren und zu predigen sein sehnlichster Wunsch war; denn er gehörte zu jenen poetischen Naturen, die sich Alles, was sie ergreifen, zu einer Religion gestalten, und bei denen der Glaube an die Wunder ein wahrhaftes Bedürfniß ist. Später aber war davon niemals mehr die Rede zwischen ihnen gewesen, weil sie fühlten, daß der verschiedene Glaube sie Beide doch zu demselben Ziele leite, und ein äußeres Ereigniß war dazu gekommen, sie noch fester zu verbinden.
Es war gegen die Zeit ihres Abgangs von der Universität gewesen, als die Regierung es für nöthig gefunden hatte, eine Untersuchung gegen die Burschenschaft einzuleiten. Meier und Reinhard waren nebst vielen Andern verhaftet, längere Zeit mit Verhören und Untersuchungen geplagt und erst nach einem halben Jahre freigesprochen worden. Meier hatte diese Zeit gezwungener Zurückgezogenheit benutzt, sich für sein Doctorexamen vorzubereiten, das er in den ersten Tagen der wiedererlangten Freiheit gemacht, und war dann in seine Vaterstadt zurückgekehrt, um dort seine Carriere zu beginnen. Zwar war er, wie es zu geschehen pflegte, noch eine geraume Zeit unter der sorgsamen Aufsicht der höhern Polizei geblieben, aber das hatte ihn in der Ausübung seiner medicinischen Praxis nicht gehindert, die er gleich mit dem glücklichsten Erfolge begann. Anfänglich waren es, wie gewöhnlich, nur die Armen gewesen, die seiner Hülfe begehrt und sie bei ihm gefunden hatten, doch das Gerücht von einigen glücklichen Kuren, von seiner Uneigennützigkeit und Menschenliebe, hatte sich schnell verbreitet, seine Praxis hatte angefangen, sich auch in den höhern Ständen auszudehnen, und sein Loos würde ein beneidenswerthes gewesen sein, wenn nicht aufs Neue die alten Vorurtheile gegen ihn geltend gemacht worden wären.
Meier’s sehnlichster Wunsch war nämlich dahin gegangen, Vorsteher irgend einer bedeutenden klinischen Anstalt zu werden, um lehrend zu lernen und zu nützen. Auf eine solche Stelle an irgend einer Universität Deutschlands hatte er aber nicht rechnen können, und es war ihm also wünschenswerth geworden, wenigstens die Leitung einer Krankenanstalt zu erhalten. Als dann durch den Tod eines alten Arztes die Directorstelle eines Stadtlazareths freigeworden, hatte er nicht gezögert, sich darum zu bewerben, besonders da er einer günstigen Meinung im Publicum gewiß gewesen war. Die Vorstellungen der Armenvorsteher und mancher andern Leute hatten die betreffende Behörde auch wirklich dazu vermocht, den jungen geachteten Arzt, dessen Kenntnisse ihn ebenso sehr zu dieser Stelle empfahlen, als seine strenge Rechtlichkeit und seine reinen Sitten, zum Director zu wählen und bei der Regierung um seine Bestätigung einzukommen. Meier war auf dem Gipfel des Glückes gewesen, und in der Freude seines Herzens hatte er sich, nachdem er gewählt worden war, anheischig gemacht, auf das immerhin bedeutende Gehalt zu Gunsten der Lazarethkasse zu verzichten. Einige Wochen waren in frohen Erwartungen hingeschwunden, er hatte die Glückwünsche seiner Freunde empfangen und bereits daran gedacht, seine Wohnung im elterlichen Hause mit der neuen Amtswohnung zu vertauschen, als der Bescheid der Regierung angelangt war, welcher statt der erwarteten Bestätigung die Aufforderung enthalten, Meier möge zum Christenthume übertreten, da es ganz gegen die Ansichten der Regierung sei, einem Juden irgend eine Stelle anzuvertrauen. Vergebens waren seine Vorstellungen, wie der Glaube bei einer solchen Anstellung gar kein Hinderniß sein könne, wie diese Zurückweisung in den Gesetzen des Staates nirgends begründet sei — die Regierung war bei ihrem Entschlusse geblieben. Man hatte Meier einen unruhigen Kopf genannt; seine Neider, an denen es dem Talentvollen, Glücklichen nie fehlt, hatten über die jüdische Anmaßung gelacht, die sich zu Würden dränge, für die sie nicht berufen sei, und dabei vergessen, daß die Behörden selbst den verspotteten Gegner durch ihre Wahl für den Würdigsten erklärt hatten.
Auf das Empfindlichste gekränkt, hatte Meier schon damals sein Vaterland verlassen wollen; doch die angeborene Liebe zu demselben und der Gedanke an seine Eltern hatten ihn davon zurückgehalten. Er war in der Heimath geblieben, und obgleich er das Unrecht, das ihm geschehen, niemals vergessen, oder es verschmerzen können, das schöne Feld für seine Thätigkeit verloren zu haben, hatten ihn die Anerkennung, die er fand, der ausgezeichnete Ruf, den er erwarb, endlich schadlos gehalten für die erfahrene Zurücksetzung.
Bei seiner Rückkehr von der Universität hatte er Jenny als ein liebliches Kind von eilf Jahren wiedergefunden, das sich mit leidenschaftlicher Innigkeit an ihn hing, und für das er eine Zärtlichkeit fühlte, die ebenso viel von der Liebe eines Vaters, als eines Bruders besaß. Die Eltern hatten die Kleine niemals aus den Augen verloren, und jeden Wunsch des nachgebornen Lieblings mit zärtlicher Zuvorkommenheit erfüllt. Eduard war überrascht durch den Verstand und den schlagenden Witz des Kindes, er sah, daß ein lebhaftes, leidenschaftliches Mädchen aus demselben werden müsse, konnte sich es aber nicht verbergen, daß die übergroße Liebe seiner Eltern in Jenny eine Herrschsucht, einen Eigensinn entstehen gemacht hatten, dem bis jetzt nur durch seinen Vetter Joseph eine Schranke gesetzt worden war, der, im Meierschen Hause lebend, die Kleine mit seiner ernsten, rauhen Art tadelte und zurechtwies. Dafür hatte Jenny den Cousin schon damals nicht leiden mögen, und es dem Bruder unter vielen Thränen geklagt, wie garstig der Joseph sei, wie er ihr Alles zum Trotze thäte, und wie sie hoffe, in Eduard einen Beschützer gegen den unliebenswürdigen Cousin zu finden.
Der junge Mann begriff bald, daß bei Jenny mit Strenge nichts auszurichten sei, und machte sich in der ersten Zeit seiner Anwesenheit selbst zu ihrem Lehrer und Erzieher. Sie lernte fast spielend, ja es schien oft, als läge das Verständniß aller Dinge in ihr, und man dürfe sie nur daran erinnern, um klar und deutlich in ihr Kenntnisse hervorzurufen, die man ihr erst mitzutheilen wünschte. Ebenso wahr und offen als Eduard, wuchs sie diesem von Tag zu Tag mehr ans Herz, und obgleich er gegen die Eltern oft beklagte, daß sich in Jenny zu viel Selbstgefühl und eine fast unweibliche Energie zeigten, obgleich er es Joseph zugestehen mußte, daß sich bei ihr die Eigenschaften des Geistes nur zu früh, die des Herzens aber scheinbar gar nicht entwickelten, so fiel es ihm doch schwer, als er nach zwei Jahren den Unterricht derselben aufgeben mußte, weil seine zunehmende Praxis ihm keine Zeit mehr dazu übrig ließ.
Eduard drang deshalb darauf, man möge seine Schwester einer Privatschule anvertrauen, die von den Töchtern der angesehensten Familien besucht wurde. Er hoffte, der Umgang und das Zusammenleben mit Mädchen ihres Alters werde bei Jenny die Härten und Ecken, die ihr Charakter zu bekommen schien, am leichtesten vertilgen. Die Eltern folgten seinem Rathe und die neuen Verhältnisse machten in vielen Beziehungen einen günstigen Eindruck auf Jenny. Sie gewöhnte sich, ihrem Witze nicht so zügellos den Lauf zu lassen wie in dem elterlichen Hause, wo man ihre beißendsten Einfälle nur lachend getadelt hatte; sie lernte es, sich in den Willen ihrer Mitschülerinnen zu fügen, dem Lehrer zu gehorchen, aber sie fing auch an, sich ihrer Fähigkeiten bewußt zu werden, welche sie in eine Klasse gebracht, in der alle Mädchen ihr im Alter um mehrere Jahre voraus waren. Von einem Umgange, wie Eduard ihn für sie gehofft hatte, war indessen nicht die Rede. Die halberwachsenen Mädchen dieser ersten Klasse mochten sich größtentheils mit dem bedeutend jüngern Kinde weder unterhalten, noch befreunden, das ihnen obenein von den Lehrern mitunter vorgezogen wurde. Andere, denen Jenny’s lebhaftes, freimüthiges Wesen behagte, und die gern mit ihr zusammen waren, konnten von ihren Eltern nicht die Erlaubniß erhalten, die Tochter einer jüdischen Familie einzuladen oder zu besuchen, und zu diesen Letztern gehörte auch Clara Horn. Zwei Jahre älter als Jenny, hatte sie dieselbe unter ihre Vormundschaft genommen, ihr gerathen und geholfen, wenn das verzogene Mädchen sich in den strengen Schulzwang nicht zu finden gewußt, und dadurch ihr volles Vertrauen erworben. Ihr hatte Jenny in den Zwischenstunden von ihren Eltern, von ihrem Bruder, von allen ihren Freuden erzählt, und damit ihrer Beschützerin eine Vorliebe für die ganze Meiersche Familie eingeflößt. Wenn nun Clara nach solcher Mittheilung ihre kleine Freundin glücklich pries, und sie um die Eintracht ihrer Eltern und die Liebe ihres Bruders beneidete, da sie Beides entbehrte, wenn Jenny sie dringend bat, zu ihr zu kommen und das Alles mit ihr zu genießen, hatte Clara immer verlegen geantwortet, sie dürfe das nicht. Endlich hatte Jenny sie einmal beschworen, ihr den Grund zu sagen, warum sie nicht zu ihr kommen könne, da hatte Clara ihr mit Thränen erklärt, sie dürfe nicht, weil Jenny’s Eltern Juden wären und ihre Eltern diesen Umgang niemals gestatten würden. Jenny wurde glühend roth, sprach aber kein Wort, und gab nur schweigend der weinenden Clara die Hand. Die nächsten Stunden saß sie so zerstreut da, daß weder Lehrer noch Mitschüler sie erkannten. Sie dachte über Clara’s Worte nach, und es wurde ihr klar, wie sie allein und einsam in der Schule sei, wie keines von den ihr befreundeten Mädchen sie besuche, oder ihre Einladungen annähme, außer bei solchen Gelegenheiten, wo man die ganze Klasse einlud, und sie, ohne es zu auffallend zu machen, nicht zurücklassen konnte. Sie erinnerte sich der ewigen Frage, bei wem sie eingesegnet werden würde, und des Lächelns, wenn sie den Namen des jüdischen Predigers nannte. Es schien ihr unerträglich, künftig in diesem Kreise zu leben, und als sie nach Hause kam, warf sie sich weinend den Eltern in die Arme, flehentlich bittend, man möge sie aus der Schule fortnehmen. Alle Thränen, die sie in der Schule standhaft unterdrückt hatte, brachen nun gewaltsam hervor. Eduard kam dazu, und bei der Schilderung, die sie von ihrer Zurücksetzung und Ausgeschlossenheit machte, deren sie sich jetzt plötzlich bewußt geworden war, fühlten ihre Eltern und ihr Bruder nur zu lebhaft, daß sie auch dies geliebte Kind nicht gegen die Vorurtheile der Welt zu schützen, ihm nicht die Leiden zu ersparen vermochten, die sie selbst empfunden hatten und nun wieder mit ihm erdulden mußten.
Jenny länger in der Anstalt zu lassen, fiel Niemand ein, weil man das bei ihrem Charakter fast für unthunlich hielt und mit Recht fürchtete, daß ihre Fehler, die man zu bekämpfen wünschte, dort unter diesen Verhältnissen nur wachsen könnten. Man gab also den Besuch der Schule wieder auf, und Jenny sollte wieder zu Hause unterrichtet werden, wobei man aber die Aenderung machte, daß man ihr Therese Walter, die Tochter einer armen Beamtenwittwe, zur Gefährtin gab, die in der Nachbarschaft wohnte und mit der sie von früh auf bekannt gewesen war.
Jenny hatte bis dahin für Therese keine besondere Zuneigung gefühlt. Jetzt, getrennt von der Schule, in welcher Umgang mit Mädchen ihr zum Bedürfniß geworden war, wurde Therese ihr Ersatz für diese Entbehrung, ja, ihr einziger Trost. Es bildete sich dadurch allmälig eine Freundschaft zwischen den beiden Mädchen, die sich sonst wohl niemals besonders nahe getreten wären, da Theresens mittelmäßige Anlagen, ihr ruhiges und stilles Wesen zu Jenny’s Art und Weise nicht recht paßten, und sie derselben unterordneten, was aber freilich dazu beitrug, das Verhältniß zu befestigen.
Als es nun nöthig wurde, einen Lehrer für die beiden, jetzt fast fünfzehnjährigen Mädchen zu wählen, schlug Eduard seinen Freund Reinhard dazu vor, der in sehr beschränkten Verhältnissen noch immer in der Universitätsstadt lebte, in welcher die Freunde einander begegnet waren. Reinhards Bemühungen, nach gemachtem Examen eine Pfarre zu bekommen, waren an dem Einwande gescheitert, den man gegen ihn wegen seiner burschenschaftlichen Verbindungen machte. Ein paar Jahre war er Hauslehrer gewesen, hatte die Stelle aber aufgegeben, weil sein Gehalt zwar für seine Bedürfnisse hinreichte, jedoch nicht groß genug war, seiner Mutter die Unterstützung zu gewähren, deren sie bedurfte. Seitdem hatte er durch Unterrichten und durch literarische Thätigkeit für sich und seine Mutter zu sorgen gesucht. Von Eduard Beistand anzunehmen, hatte er verweigert, und nur mit Vorsicht konnte derselbe ihm den Vorschlag machen, nach dessen Vaterstadt zu kommen, um den Unterricht der beiden Mädchen unter den vortheilhaften Bedingungen, die man ihm stellte, zu übernehmen.
Eduard’s Plan gelang. Er sah seinen Freund nach mehrjähriger Abwesenheit wieder, und fand in ihm mit großer Freude den alten treuen Gefährten, den er verlassen hatte; doch war er im Denken und Fühlen mannigfach verändert. Ein düsterer Ernst hatte sich seiner bemächtigt. Die Armuth hatte ihn stolz, mißtrauisch und reizbar gemacht, und dadurch die Schönheit seines Charakters beeinträchtigt. Im höchsten Grade streng gegen sich selbst, wahr gegen seine Freunde, glühte er für Recht und Freiheit, hing er mit dem alten schwärmerischen Glauben dem Christenthume an, das ihm der Urquell der Wahrheit und der Liebe war. Der günstige Erfolg, den sein Unterricht im Meierschen Hause hatte, verschaffte ihm bald so viele Schüler, daß er den Aufforderungen, die in dieser Beziehung an ihn gemacht wurden, kaum genügen konnte, während sie ihm eine sorgenfreie Existenz bereiteten, da der Unterricht in der reichen Handelsstadt ganz anders als in dem kleinen Universitätsstädtchen bezahlt wurde. Er konnte seine Mutter zu sich nehmen, mit der er seine kleine freundliche Wohnung theilte, und die treffliche Frau wurde bald in vielen Familien, besonders aber im Meierschen Hause ebenso geachtet und geliebt, als Reinhard selbst. —