Kitabı oku: «Jenny», sayfa 21
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Zwei Gefühle waren es besonders, die Jenny beunruhigten und sie bewogen, sich von Walter zu entfernen: Die Furcht, welche sie Frau von Meining gestand, vor einer Verbindung, die man gerade in den Kreisen eine Mißheirath nennen würde, in denen sie als Walter’s Frau zu leben bestimmt war, und, was sie nur sich selbst bekannte, Scham vor sich selbst, daß sie einer zweiten Neigung fähig sei, die sich entschieden zu Walter’s Gunsten in ihr geltend machte. Trotz ihres klaren Verstandes besaß Jenny die Schwärmerei eines tieffühlenden Herzens und hatte mit Treue das Andenken des Geliebten ihrer Jugend in sich gepflegt, bis sich nach Reinhard’s Verheirathung der Gedanke in ihr ausgebildet, sie habe jetzt keinen Anspruch mehr an Liebesglück zu machen, ihr Leben sei in der Beziehung beendet.
So hatte sie sich seit Jahren mit der Idee: »entsagt zu haben« wie mit einem Wittwenschleier geschmückt, den sie jetzt abzulegen sich nicht entschließen konnte. Sie fühlte ihre wachsende Neigung für den Grafen, aber sie kämpfte dagegen, wie gegen ein Unrecht, weil sie sich scheute, den Ihrigen zu sagen: Ich liebe wieder! und weil sie doch zu wahrhaft war, um eine Verbindung mit Walter, die sie trotz aller Bedenken wünschte, für eine bloße Verstandsheirath auszugeben, was außerdem kränkend für ihn gewesen wäre.
Nach Jahren innern Friedens mit sich selbst machte dieser Zwiespalt ihrer Seele ihr doppelte Unruhe und gab ihr einen Anstrich von Kälte, die Walter irre an ihr zu machen drohte; da ohnehin die Sorge für Clara’s ihr anvertraute Kinder ihr einen Grund gab, den Grafen weniger zu sehen, als es früher der Fall gewesen war. Dadurch trat eine Art von Spannung zwischen Walter und Jenny ein, von der Beide gleich viel zu leiden schienen, bis es Frau von Meining gelang, des Grafen Vertrauen zu gewinnen. Sie bat ihn Geduld zu haben, Jenny Zeit zu lassen, bis sie sich selbst klar geworden sei: Glauben Sie, lieber Graf! sagte sie, je deutlicher in uns Frauen das Bewußtsein von der Heiligkeit der Ehe wird, je langsamer entschließt man sich, den Schritt zu thun. Jenny steht jetzt bang und zögernd auf der Schwelle des Tempels, die sie vor zehn Jahren leichtherzig und sorglos überschritten haben würde. Lassen Sie sich dadurch nicht irren! Ich würde es für unrecht halten, Jemand zu einem Entschlusse hin zu drängen, zu dem er keine Neigung hat, oder dem seine Eigenthümlichkeit widerstrebt. Jenny wird aber nur durch ein von ihr mißverstandenes Gefühl gehindert, ihr Glück und das Glück eines Mannes zu gründen, den sie hoch und werth hält. Da muß man aus Freundschaft ein Uebriges thun und die Gute gelinde dazu zwingen, glücklich zu sein und zu beglücken.
Das ist ein hartes Wort! bemerkte Walter, und selbst Jenny’s Hand möchte ich weder der Ueberredung noch dem Zwang verdanken.
Aber Sie sind damit zufrieden, wenn Jenny sich und Ihnen gestehen lernt, daß ihre eigene Neigung sie zwingt, die Ihre zu werden? fragte Frau von Meining freundlich.
Wenn Sie Jenny davon überzeugen könnten, erwiderte Walter, wie würde ich es Ihnen danken!
Lassen Sie das, mein Freund! wandte die Geheimräthin ein. Ich bleibe Ihnen verpflichtet und mein Mann wird es Ihnen Dank wissen, daß Sie mich aus meiner Abspannung befreiten, indem Sie mir Gelegenheit gaben, an Ihnen und meiner Freundin ein gutes Werk zu üben. In wenig Tagen denke ich Jenny in ihrer Wohnung selbst aufzusuchen und rechne dann auf Ihre Begleitung.
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Heute ist ein wahrer Glückstag, sagte Jenny zu Frau von Meining, als dieselbe an einem heitern Morgen in Walter’s Begleitung zum ersten Male Jenny besuchte und mit ihr unter dem Schatten der Bäume saß. Du scheinst den letzten Rest von Schwäche von Dir geworfen zu haben und auch meine arme Kranke ist heute so wohl, daß ich es wagen konnte, sie gehörig um ihre Verhältnisse zu fragen.
Und was haben Sie erfahren? fragte Walter, den die Frau interessirte, weil Jenny Theil an ihr nahm.
Eigentlich nicht viel mehr, als mein Vater schon durch die Behörde wußte. Es ist eine von den traurigen Geschichten, die sich leider täglich wiederholen. Sie ist die Tochter eines Handwerkers aus Gernsbach und kam gewöhnlich während des Sommers nach Baden, um in einem Hause auszuhelfen, in dem man Wohnungen vermiethet. Hier hat sie einen armen Jägerburschen kennen gelernt und ihn gegen den Willen ihres Vaters geheirathet, der sie einem wohlhabenden, aber sehr alten Bürger in Gernsbach bestimmt hatte. Ein unglücklicher Fall auf der Jagd, in Folge dessen das Gewehr losging, raubte ihrem Mann im Herbst das Leben, lange ehe ihr Kind geboren wurde. Im Winter gab es kein Verdienst für sie und in die bitterste Armuth versunken, aus Mangel erkrankt, ist sie nun schwach und elend nach Gernsbach gegangen, um dort das Mitleid ihres Vaters anzuflehen. Der aber hat sie und ihr Kind mit Verwünschungen von sich gestoßen, sie hat hierher zurückkommen und Arbeit suchen wollen, als sie auf dem Wege zusammenbrach, wo ich sie fand. Sie sagte mir, daß ihr Vater kein anderes Kind hätte, als sie, und wohl die Mittel, für sie zu sorgen. Aber er hätte gehofft, mit dem Gelde des reichen Schwiegersohnes sein Gewerbe zu vergrößern und selbst ein reicher Mann zu werden, und daß sie ihn um diese Hoffnung betrogen, werde er ihr nicht vergessen und verzeihen.
So muß man hier für sie sorgen! meinte Frau von Meining.
Sie selbst verlangt nichts mehr, als die Mittel, sich durch einige Pflege Kräfte zu erwerben, um wieder arbeiten zu können, sagte Jenny. Wie sie mir erzählt, hätte ihr Vater sie, ohne das Kind, wohl zu sich genommen, weil er hoffte, jener Bürger würde sie auch jetzt noch heirathen, wenn sie sich von ihrem Kinde trenne. Das aber will und soll sie natürlich nicht und so meint mein Vater, man müsse einen der nächsten Tage dazu benutzen, nach Gernsbach zu fahren und versuchen, ob man nicht durch ein Jahrgeld, das man an das Leben des Kindes knüpft, den Vater vermögen könne, Tochter und Enkel bei sich aufzunehmen, wo sie am Ende doch am besten untergebracht sein würden.
Walter stimmte dieser Ansicht bei und man verabredete eben einen Tag für diese Fahrt, als ein Mann von etwa vierzig Jahren mit einer jungen Frau am Arm sich dem Platze näherte, auf dem die Gesellschaft vor dem Hause saß. Ein Diener trug ihnen, trotz des schönen Wetters, einen Männerüberrock und einen kleinen Teppich nach.
Steinheim! rief Jenny, als sie ihn erkannte, und stand auf, ihn und seine Begleiterin zu begrüßen: Vielmals willkommen!
»Erneute Huldigung gestatte mir!« sagte Steinheim, ihr mit steifer Galanterie die Hand küssend, und vergönnen Sie mir zugleich, Ihnen meine Frau vorzustellen und sie Ihrer Freundschaft zu empfehlen.
Madame Steinheim war ein sehr hübsches, siebzehnjähriges, höchst schüchternes Wesen, das zu ihrem Manne wie zu einer Gottheit emporsah und sich nicht der Ehre werth zu fühlen schien, ihm anzugehören. Steinheim war sehr stark geworden und pflegte sein Aeußeres und seine Gesundheit noch mit der alten übertriebenen Vorsicht. Die junge Frau, welche diese seine alte Schwäche noch nicht zu kennen schien, stand ihm darin mit ängstlicher Sorgfalt bei.
Nachdem Jenny die Angekommenen mit ihren Freunden bekannt gemacht hatte, fragte sie Steinheim, was ihn, den abgesagten Feind alles Reisens, zu dem Entschluß gebracht habe, sich dennoch auf den Weg zu machen und eine Häuslichkeit zu verlassen, die jetzt erst wahren Reiz für ihn haben müsse.
Ich bin mir selbst ein Räthsel! antwortete er, und mir scheint, daß mit dem Liebesfrühling, der so urplötzlich in meiner Brust erwachte, ein ganz neues, junges Leben für mich begonnen hat. »Ein unbegreiflich holdes Sehnen trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn.« Ich wünschte meiner Frau zu zeigen, wie schön die Welt sei und konnte mich der Gefahr, die das Reisen für meine Gesundheit hat, jetzt leichter aussetzen, da Hannchen — er wies dabei auf seine Frau — mit dankenswerther Sorgfalt über mir wacht. Aber findest Du nicht, sagte er, sich unterbrechend, daß der Fußboden hier feucht ist, mein lieb’ Schätzchen?
Das liebe Schätzchen bejahte es, und nach einer leichten Entschuldigung gegen die Damen, ließ Steinheim den Teppich unter seine Füße breiten und zog den Ueberrock an, wobei der Diener und seine Frau ihm behülflich waren. Dann fragte er nach William und Clara, von deren Anwesenheit in Baden er durch Eduard gehört hatte, während ihre Abreise ihm fremd war, denn auch er war schon längere Zeit auf der Reise und vom Hause entfernt. Er erkundigte sich, wem die Kinder gehörten, die seitwärts unter Obhut der Wärterinnen sichtbar waren. Man rief Richard herbei, ließ Lucy bringen und auch das hübsche, nun sauber gehaltene Kind der armen Frau, wobei die Verhältnisse derselben nochmals flüchtig besprochen wurden.
Da sieht man, sagte Steinheim, wie tief das Gefühl für Standesunterschiede im Menschen begründet ist, das man einen leeren Wahn schilt. »Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt, wer mag sich gern davon befreien«, besonders, wenn es darauf ankommt, eine Ehe zu schließen, in der vollkommene Gleichheit der Verhältnisse die erste Bedingung zum Glücke ist?
Hätte Steinheim absichtlich eine Aeußerung machen wollen, die für alle Anwesende gleich verletzend wäre, er hätte keine bessere finden können. Seine Frau und Frau von Meining waren Beide wohl um zwanzig Jahre jünger, als ihre Männer, und welch unangenehmen Eindruck Jenny und Walter durch die Behauptung empfingen, bedarf keiner Erwähnung. Steinheim fühlte aber davon nichts, da er die Verhältnisse der einzelnen Personen nicht kannte und fuhr, immer nur mit sich beschäftigt, fort: Es hat eine Zeit gegeben, in der ich auch an ein Verschmelzen der Stände, wo möglich gar an eine gleichmäßige Vertheilung der Güter dachte und, von Eduard’s Ueberspanntheit angesteckt, nur von Reformen und von Weltverbesserungen träumte. »Der Traum war kindisch, aber göttlich schön«; ich gestehe es, obgleich ich mich freue, daraus erwacht zu sein.
Und was hat denn Ihre plötzliche Sinnesänderung bewirkt? fragte Walter.
Herr Graf! »die Zeit kommt auch heran, wo wir was Gut’s in Ruhe schmausen mögen«, antwortete der Gefragte, sich selbst Beifall lächelnd. Dies Reformiren, Politisiren und dergleichen schickt sich nur für die Jugend, die Nichts zu verlieren und Alles zu gewinnen hat. Zudem trieb der ewige Aerger, in dem solch ein Parteikampf uns hält, mir die Galle in’s Blut, raubte mir den Schlaf und hätte mich zuletzt noch um Gesundheit und Leben gebracht, wenn mir nicht endlich die Erkenntniß gekommen wäre, daß es für mich Zeit sei, den Liberalismus Andern zu überlassen und fortan nur mir, der Literatur, die Ansprüche an mich hat, und meiner kleinen Frau zu leben, die mit meinem Entschlusse sehr zufrieden ist. Gestehen Sie, Herr Graf! das ist das Vernünftigste, was man thun kann. Sie, ein Edelmann aus altem Hause, werden es begreiflich finden, daß ich, ein nicht unbemittelter Bürger, das Haupt einer Familie, mich aus Grundsatz zur äußersten Rechten halte und entschieden gegen Alles eifre, was gegen das Bestehende läuft. Der Unterschied der Stände ist ein heiliger und muß aufrecht erhalten werden, wie der des Besitzes und des Glaubens; und nur wenn das geschieht, kehrt sie wieder: »die goldne Zeit, womit der Dichter uns zu schmeicheln pflegt«.
Steinheim glaubte, als er das Schweigen der Gesellschaft, das entzückt aufhorchende Gesichtchen seiner Frau bemerkte, des allgemeinen Beifalls sicher zu sein und warf sich mit der Bravour einer Sängerin, die eine große Arie glücklich beendet hat und nun des Bravo harrt, in seinen Stuhl zurück. Umsonst! Niemand rief ihm Beifall zu, die Frauen warfen einzelne Worte hin und nur Walter sagte kurz: Ich bekenne Ihnen, daß ich nicht Ihrer Meinung bin! als ob er es nicht der Mühe werth hielt, sich in irgend eine nähere Erörterung einzulassen. Dann ging er schnell zu andern Dingen über, fragte Steinheim nach seinen Reisen, und bald war dieser auf ein neues Steckenpferd gebracht. Er sprach von den Theatern, die er besucht, von der Art, in welcher der berühmte Seidelmann, den Alle kannten, den Nathan dargestellt hatte, und erklärte dieselbe für die vollendetste Schöpfung der Schauspielkunst.
Der Kunst, bemerkte Walter, insofern sie der Natur entgegensteht, denn diese fehlt den Schöpfungen von Seidelmann, mehr oder weniger, fast immer.
»Wo fehlts nicht irgendwo auf dieser Welt? dem dies, dem das«, recitirte Steinheim, und Sie müssen doch eingestehen, daß Lessing’s Nathan ein Meisterwerk ist, und daß jener Schauspieler die Absicht des Dichters immer vollkommen begreift und versinnlicht.
In diesem Falle bestimmt nicht! sagte der Graf. Mir scheint, was die Dichtung anbetrifft, Nathan der Weise überhaupt mehr eine großartige Allegorie, ein didaktisches Gedicht, als ein darstellbares Schauspiel zu sein. In dem Bestreben, die positiven Religionsunterschiede als unwesentlich darzustellen, sobald die innere, wahre Religion vorhanden, hat Lessing den einzelnen Repräsentanten der verschiedenen Confessionen ihren nationalen und durch den Glauben bedingten Typus genommen, so daß Saladin, der Templer und Nathan, drei so ganz abweichende Charaktere, eine Art von protestantischer Familienähnlichkeit bekommen. Das thut dem Interesse Abbruch, welches man an ihnen nähme, wenn die Gegensätze schärfer gezeichnet wären. Dazu kommt noch, daß die Ruhe, mit der der Templer, der strenggläubige Christ, sich als den Abkömmling eines Muselmannes, den Bruder einer Jüdin erblickt, etwas Unwahres hat, wie der ganze Schluß, der nicht befriedigt — wenigstens auf der Bühne nicht. Das Schauspiel unterhält den Zuschauer nicht, so herrlich das Gedicht ist, und wird durch den Darsteller noch langweiliger.
Madame Steinheim, die bis dahin fast kein Wort gesprochen, sondern sich mit den Kindern beschäftigt hatte, stimmte dem Grafen schüchtern bei.
»Brutus! auch Du?« rief ihr Mann, und drohte ihr mit dem Finger, in einer Weise, die er für schalkhaft zu halten schien.
Madame Steinheim hat Recht! bekräftigte Walter. Gerade da liegt jenes Schauspielers Fehler in dieser Rolle. Er ist nicht der schlichte, klare Mann, der aus eigener Anschauung Gott, die Welt und den Menschen begriffen hat; nicht der anspruchslose Weise, der sich seiner hohen Weisheit kaum bewußt ist und sie für die natürlichste Erkenntniß hält — sondern ein selbstbewußter Gelehrter, der seine Sentenzen im Kathedertone vorträgt, weil er ihre wichtige Bedeutung fühlt. Deshalb stellt er sich jedesmal in Position, ehe er eine seiner moralischen Behauptungen spricht und der Schein von Demuth, von Schlichtheit, mit dem er sich umgibt, täuscht uns keinen Augenblick. Lessing dachte sich einen Erzvater in heiliger, erhabener Einfalt und jener stellt uns einen Professor des neunzehnten Jahrhunderts vor, der wohl fühlt, daß er tausend Mal gescheuter sei, als sein Auditorium, sich aber hütet, es zu zeigen, weil er weltklug genug ist, Niemand beleidigen zu wollen. Er erscheint feig und arrogant zugleich.
Frau von Meining lächelte und stimmte dem Grafen bei, auch Jenny schien seine Ansicht zu theilen.
»Dergleichen Reden hören sich gut an, doch hat es allerlei Bedenkliches damit!« sagte Steinheim. Vor Allem vergessen Sie nicht, daß Nathan, der Unterdrückte, der verachtete Jude, zu seinem Herrn und Unterdrücker spricht. Das mag die bescheidene, fast furchtsame Weise seines Auftretens bei aller seiner Selbstschätzung entschuldigen.
Im Gegentheil! rief Jenny. Wenn er es fühlt, daß er ein freier Mensch ist vor den Augen des Schöpfers, wenn er die Qual empfindet, unterdrückt, verachtet zu sein, so muß ihn das nur stolzer gegen seinen Unterdrücker machen. Was kann ein Mann wie Nathan fürchten? — Ketten und Gefängniß? Darüber erhebt ihn sein Selbstgefühl; — den Tod? Er hat sein Weib und seine Söhne sterben sehen und Gott getraut, er kann den Tod für sich nicht fürchten. Feigheit ist nur die Schwäche kleiner Seelen; wer sich wie Nathan frei empfindet, fürchtet Niemand und fühlt sich, selbst als verachteter Jude, den Besten gleich!
Sei es, daß Jenny durch Steinheim’s frühere Behauptung über die nothwendige Gleichheit in der Ehe verstimmt worden war, oder daß der Ausdruck »verachteter Jude«, den er jetzt gebraucht, ihr in Walter’s Anwesenheit unangenehm gewesen, genug, sie fühlte einen Unmuth in sich, der ihr fast Thränen erpreßte. Mit ungewohnter Heftigkeit hatte sie die letzten Worte gesprochen und stand dann schnell auf, um ihrem Vater entgegen zu gehen. Sie fiel ihm um den Hals und küßte seine Hände: Du weiser Mann, Du armer verachteter Jude! sagte sie so leise, daß selbst ihr Vater die Worte nicht vernahm, der sich begrüßend zu Steinheim wandte, heiter nach Nachrichten aus der Heimath fragte und Alle in die Unterhaltung verwickelte. Nur Jenny war in tiefes Nachdenken versunken. Walter bemerkte es und versuchte vergebens, in ihrer Seele zu lesen, als ein leichter Windstoß durch die Luft fuhr und Madame Steinheim unruhig auf ihren Gatten blickte. Er schlug den Kragen seines Ueberziehers in die Höhe und rief: »Wie ras’t die Windsbraut durch die Luft! Mit welchen Schlägen trifft sie meinen Nacken!« Weißt Du, Hannchen! ich fühle ein Schnupfenfieber im Anzuge, und wenn wir dies Baden-Baden nicht bald verlassen, stehe ich für Nichts. Indeß, wenn es Dir hier gefällt ....
Um Gottes willen, nein! sagte die kleine Frau ängstlich, und dann zu den Damen gewandt: Es ist ganz prächtig in Baden und ich hatte gehofft, hier das Badeleben kennen zu lernen, von dem man mir immer erzählt; aber mein Mann hat so erstaunlich reizbare Nerven und meinte gleich, die Luft in diesem engen Thale würde ihm nicht zusagen. Darum wollte ich nur, wir wären schon heraus und in Ems, wo mein lieber Steinheim eine Cur zu brauchen denkt.
Während dieser Rede war Steinheim aufgebrochen, hatte sich fest in seinen Rock geknöpft, seine kleine Frau an den Arm genommen und empfahl sich, Goethe’s Worte parodirend, also: »»Wir aber, die wir hier nur Fremde sind und hier nur wenig Augenblicke weilten, wir kehren freudig und entzückt zurück, wenn wir Euch in der Vaterstadt begrüßen. Ihr zählt uns zu den Euren und wir fühlen, welch einen Vorzug uns dies Loos gewährt.««
Bald war das ungleiche Paar den Blicken entschwunden. Der Diener mit dem zusammengerollten Teppich folgte ihm in gemessener Entfernung auf dem Fuße nach.
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Eine größere Gesellschaft hatte sich am Abend bei Frau von Meining versammelt. Es war das erste Mal, seit sie in Baden lebte, und sie hatte es Herrn Meier und Jenny zur Pflicht gemacht, von der Partie zu sein, da sie dieselben mit einigen Personen bekannt zu machen wünschte, die ihnen fremd waren. Die Gesellschaft war ziemlich belebt, man hatte geplaudert, musicirt und die Geheimräthin forderte Jenny auf, nun auch etwas zu singen. Bereitwillig ging diese aus dem Salon in das Wohnzimmer, in der Hoffnung, unter den dort befindlichen Noten mehrstimmige Sachen zu finden, weil sie glaubte, daß dergleichen unterhaltender sein würde. Die Etagère, auf der die Noten lagen, stand hinter einer Thür, deren geöffnete Flügel Jenny verbargen, so daß sie von einigen Personen, die in der Thür standen, nicht gesehen werden konnte, obgleich kein Wort, das jene sprachen, für Jenny verloren ging.
Was wird man jetzt singen? fragte eine alte Dame, deren Brust ein Stiftskreuz zierte, einen jungen Attachè der österreichischen Gesandtschaft beim Bundestage.
Ich glaube, das Fräulein Meier proponirte mehrstimmige Piecen! antwortete der junge Mann.
Sagen Sie mir, lieber Baron! die Meier’s scheinen ja Juden zu sein, wie kommt Frau von Meining und namentlich Graf Walter zu den Leuten? Man sagt, er soll der unablässige Begleiter dieser Familie sein und man hält ihn für extravagant genug, die Vermuthungen, von denen ich eben in dieser Rücksicht hörte, wahr zu machen, sagte die Stiftsdame.
Wie können Sie nur so etwas wiederholen, meine Gnädigste! Graf Walter gefällt sich allerdings darin, der Rotüre gegenüber den Liberalen zu spielen, indeß von der Thorheit, die Sie ihm zutrauen, eine Jüdin zu heirathen, ist er sicher fern. Die Meier ist hübsch und pikant. Die Galanterie eines Grafen wird ihrer Eitelkeit schmeicheln und Sie wissen, die Freiheit des sogenannten Badelebens entschuldigt Manches! schloß lachend der Baron.
Athemlos und wie gelähmt stand Jenny da, den Kopf gegen eine Säule der Etagère gelehnt, als Frau von Meining zu ihr trat, der ihr langes Ausbleiben aufgefallen war. Erschreckt fuhr sie empor, faßte sich aber gleich und sagte anscheinend ruhig: Ich finde die Noten nicht und möchte überhaupt nicht singen, wenn Du mich davon freisprechen wolltest. Aber davon wollte Frau von Meining nichts hören. Mit den freundlichsten Bitten nöthigte sie Jenny, an dem Flügel Platz zu nehmen und wenigstens irgend ein Lied zu singen, um damit der Gesellschaft ihren Tribut zu zahlen. Einen Augenblick schien Jenny nachzudenken, sie mochte um die Wahl eines Liedes verlegen sein, dann war es, als ob ihr plötzlich ein Gedanke käme, sie griff mit sicherer Hand ein paar Accorde und begann Byron’s »Mädchen von Juda« zu singen, das von Kücken so meisterhaft komponirt ist. Ihre starke, metallreiche Stimme schien von dem Zorn in ihrer Brust einen neuen Zauber zu gewinnen, die tiefste Trauer klang aus ihren Tönen und als sie die zweite Strophe mit den Worten endete: »O Vaterland süß, o Vaterland mein! wann wird dir Jehovah ein Rachegott sein?« wagte Niemand zu athmen und Alle standen wie festgebannt und beherrscht durch die Gewalt des Zornes, der in diesen Tönen zu Gott rief und von ihm Rache erflehte. Dann ging der Gesang wieder zu wehmüthiger Klage über, Jenny’s Stimme wurde weicher, bis sie nochmals mächtig erklang in den Worten: »in Knechtschaft des Feindes der Jude verlacht«, und endlich matt in dem Wunsche erstarb: »O Vaterland süß, o Vaterland mein! könnt ich nur im Tode vereinet dir sein.«
Die Röthe der Begeisterung, die während des Singens Jenny’s Wangen gefärbt hatte, war gegen das Ende des Liedes gewichen. Ruhig, aber angegriffen, stand sie vom Instrumente auf. Kein lautes Zeichen des Beifalls war zu hören, in Vieler Augen standen Thränen; Andre sahen sich befremdet an. Sie schienen dunkel zu ahnen, daß ihnen hier, wo sie flüchtige Unterhaltung zu finden gehofft, eine Wahrheit entgegengetreten war, vor der sie erschraken, wie vor einem Gespenste, das plötzlich am hellen Tage in die Reihen der Lebenden tritt. Selbst Walter und Frau von Meining waren überrascht. So hatte der Graf Jenny niemals singen hören; er, der ihre Seele kannte, hätte sie beschwören mögen, ihm die Ursache des Schmerzes zu vertrauen, der sie eben jetzt erschüttert hatte. Er wollte und mußte sie sprechen, aber sie vermied seine Annäherung und verließ bald, nachdem sie gesungen hatte, die Gesellschaft.
Walter begleitete sie aus dem Saale hinaus und benutzte einen Augenblick, in dem ihr Vater im Nebenzimmer von einem Bekannten angeredet wurde, zu der Bitte, Jenny möge ihm heute noch eine kurze Unterredung gestatten, an der sein Glück und seine Hoffnung hänge.
Ihr Glück, Herr Graf, antwortete Jenny, liegt außerhalb meiner Sphäre und Sie täuschen sich, wenn Sie es in meiner Nähe suchen! Glauben Sie mir das, und dringen Sie nicht in mich! Sie reichte ihm bewegt die Hand zum Abschied und ging am Arme ihres Vaters davon.
Jenny’s Gesang und ihre ganze Erscheinung waren, während dies in einem der Nebenzimmer geschah, im Saale der Gegenstand der Unterhaltung geworden. Einige priesen ihre Schönheit und Anmuth, andere fanden ihr Auftreten abstoßend und stolz, zu ernsthaft und selbstbewußt für ein Frauenzimmer; und ebenso große Meinungsverschiedenheit herrschte über ihren Gesang.
Die Stimme ist vortrefflich, bemerkte die Stiftsdame, aber es zeigt immer von wenig Erziehung, sich und seine Gefühle so preiszugeben. Ich will gestehen, es mag unangenehm genug sein, dem jüdischen Volke anzugehören, indeß ist es doch nicht unsere Schuld, daß Fräulein Meier eine Jüdin ist und sich dessen schämt, und ich begreife nicht, mit welchem Rechte sie sich in der Gesellschaft in einer Weise gehen läßt, die für meine Nerven zum Beispiel viel zu stark ist. Ich versichere Sie, sie hat mich völlig krank gemacht!
Viele stimmten ihr bei, schwiegen aber, als Frau von Meining sich dem Kreise näherte, in welchem bald eine leichtere Unterhaltung den Eindruck verwischte, den Jenny’s Lied auf die Gesellschaft hervorgebracht. Nur Frau von Meining dachte mit ängstlicher Besorgniß an sie, und ihr entging es nicht, daß auch der Graf bald nach Jenny’s Entfernung das Haus verlassen hatte.