Kitabı oku: «Bambis Kinder», sayfa 3
»Anders! Sehr wahr! Ganz anders!« stimmte der Waldkauz ironisch bei, »wenn ich denke, was für ein reizender junger Prinz Ihr Gatte gewesen ist.«
»Ja, Bambi!« flüsterte Faline.
»Wie höflich er immer war«, fuhr der Waldkauz fort, »wie freundlich; wie angenehm im Umgang, wie verständig! Er hatte freilich auch eine bessere Erziehung genossen als dieser dreiste Bursche, der Geno ...«
»Soll das ein Vorwurf sein?« fragte Faline.
»Nein ... n... nein!« stotterte der Waldkauz.
»Erziehung«, sprach Faline ruhig, »halten Sie so viel von Erziehung? Man warnt die Kinder vor Gefahren, die sie nicht kennen, weil sie noch nichts erlebt haben. Man behütet sie, man sorgt sich um sie. Mehr hat man früher auch nicht leisten können; mehr zu leisten ist heute ebenso unmöglich. Drüber weg wird doch ein jeder das, was er im Kern seines Wesens eigentlich von Anfang ist. Höchstens kann das Beispiel etwas Einfluß wirken, aber selten. Oft zeigt sich das Gegenteil.«
»Ja, das Gegenteil! Da haben Sie recht! Nehmen Sie Ihren Sohn. Wenn ich Bambi fragte, ob ich ihn erschreckt habe, antwortete er jedesmal sehr höflich: ›Ja‹, und ich hatte meinen Spaß; es war unterhaltend.« Der Waldkauz verdrehte sentimental die Augen; gleich darauf rollte er sie grimmig. »Ihr Sohn hat auf meine Frage frech ›Nein‹ gesagt und mich noch dazu unverschämt ausgespottet.«
»Oh, dann ist er sicher sehr erschrocken«, begütigte Faline.
»Warum leugnet er also?«
»Er hat sich eben geschämt.«
Der Waldkauz war mit diesem Erfolg zufriedener, als er sich anmerken ließ. »Ich habe ihn an seinen Vater erinnert, wie artig der erschrocken ist. Aber da wurde ich beschimpft.«
»Geno hat seinen Vater verteidigen wollen«, erwiderte Faline sanft.
»Na, lassen wir das. Es war peinlich«, grollte der Waldkauz, »... diese Jugend ...«
»Jugend ist immer ein großer Vorzug«, erklärte Faline.
»Ein großer Vorzug«, höhnte der Waldkauz, »ein Vorzug, der mit jedem Tag kleiner wird. Alle müssen einmal alt werden oder vorher sterben.«
Er sah einen dicken Nachtfalter, breitete die Schwingen, haschte ihn und entschwebte.
Als sie beim ersten blassen Dämmerschein des Morgens ihrem Schlafplatz zueilten, trat ihnen Bambi entgegen.
Gurri sprang munter an ihm empor. »Vater! Vater!«
Schweigend legte ihm Geno die junge Stirne an die Flanke.
Und Faline sagte demütig: »Zum Gruß.«
»Hört mich an, Kinder«, redete Bambi beinahe feierlich, »sehr bald werde ich eure Mutter zu mir holen. Sie muß lange bei mir bleiben. Versteht ihr mich?«
»Wir kommen mit der Mutter zu dir«, Gurri war vorlaut.
»Das verbiete ich«, gelassen wies Bambi sie zurecht.
»Warum denn?« etwas verschüchtert erlaubte sich Gurri dennoch diesen Einspruch.
»Keine Fragen stellen«, gebot der Vater ruhig, »ich kann euch nicht brauchen.«
»Auch die Mutter kann uns nicht brauchen?« Von Neugier gestoßen, wagte Gurri noch einmal, sich zu melden.
Mild kam die Antwort: »Auch die Mutter nicht, mein Kind.«
Die Geschwister schauten die Mutter an, aber da Falinens Blick liebevoll in Bambis Augen versunken war, wurden die Kinder von einer seltsam fremden Empfindung und von Bangigkeit ergriffen.
Bambi redete weiter: »Ihr zwei werdet allein sein.«
Gurri zitterte. »Ganz allein?«
»Allein miteinander«, sagte der Vater, »ihr seid besser dran als andere Kinder, die keinen Bruder oder keine Schwester haben. Haltet euch zusammen.«
Geno ließ sich stockend vernehmen: »Werden wir lange ... allein ...?«
»Das weiß ich nicht genau, mein Sohn.«
Faline schwieg dauernd weiter und sah Bambi zärtlich ins Antlitz. Den Kindern schien sie wie verwandelt.
»Merkt gut auf«, sprach der Vater, »wenn ihr allein seid, ohne Obhut der Mutter, müßt ihr doppelt wachsam sein und zehnfach vorsichtig. Ihr müßt euch wie Erwachsene betragen und doch nie vergessen, daß ihr als Kinder noch keine Erfahrung habt. Lauscht so emsig ihr könnt. Geht immer so, daß euch die Luft entgegenzieht; da könnt ihr jede Gefahr wittern. Ihr dürft die Warnungszeichen eurer Wächter nicht überhören. Wer sind eure Wächter?«
Geno zählte sie her: »Die Elster ... der Häher ...«
»Die Krähen«, setzte Gurri fort, »das Eichhörnchen, die Amsel ...«
Bambi nickte: »Manchmal auch die Amsel. Es ist gut. Denkt daran, gleich beim ersten Zeichen hinein in die Büsche, dort wo sie am dichtesten sind! Wirst du nicht verspielt und sorglos sein, Gurri?«
»Ich will schon aufpassen, Vater«, sagte Geno fest.
Ehrlich beteuerte Gurri: »Ich werde sehr brav sein ...«
»Kennt ihr den Geruch, den Er ausströmt?« erkundigte sich Bambi.
Die Kinder schüttelten stumm verneinend das Haupt.
»Wenn euch eine Witterung um die Nase haucht, furchtbarer als die von Fuchs und Iltis, drohender als die vom Hund ...«
»Die vom Hund kennen wir auch noch nicht«, unterbrach Gurri.
»Ihr seid eben unerfahrene Kinder«, erwiderte Bambi, »aber sowie nur der leiseste Hauch, den Er verbreitet, euch trifft, überfällt euch eine Erregung, die ihr jetzt kaum ahnt, eine Erregung wie ein Sturm, die das Innerste durchwühlt. Man muß alle Kraft aufbieten, um besonnen zu bleiben. Da heißt es fort! Fort! Fort! So schnell und so weit wie möglich!«
»Fort ... Fort ... Fort!« stammelte Geno erschrocken.
»Und noch etwas«, sprach Bambi weiter, »noch etwas sehr Wichtiges. Andere Kinder, die allein sind, haben die schlechte Gewohnheit, ihre Mutter zu rufen. Aus Angst, aus Sehnsucht, aus Langeweile; was weiß man denn, warum solch dumme Kinder ihre Mutter stören, ihre Eltern in arge Verwirrung bringen? Ihr werdet eure Mutter niemals rufen. Schärft euch das ein! Nie dürft ihr sie rufen! Unter gar keinen Umständen! Sie kommt sicher wieder zurück, sobald ich es ihr erlaube; sie findet euch, wo ihr auch seid. Aber ruft nicht nach ihr. Und somit lebt wohl.«
Er kehrte sich weg, schritt majestätisch davon, lautlos, hocherhobenen Hauptes, darauf die prachtvolle Krone ragte. Er glitt in die dichteste Dickung wie ein Schatten, ohne daß ein Zweig raschelte, ohne daß ein Blatt sich regte.
Die Kinder glaubten, sie hätten den Vater nie zuvor so nahe gesehen, hätten seine gütige Herrscherstimme nie so lange hören können. Sie starrten ihm nach, verzaubert und erschüttert.
»Ich weiß gar nicht, was er gesagt hat«, Gurri war verwirrt; doch sie wußte alles.
Geno erklärte: »Jedes Wort habe ich im Gedächtnis.«
Faline blieb schweigend stehen, wo sie stand; ihre Blicke hafteten an der Stelle, an der Bambi entschwunden war.
Von nun an wurde Faline durch die Kinder bewacht. Sie drängten sich enger ihr zur Seite, ließen sie keinen Moment aus den Augen. Mitten im Schlaf schreckten sie auf, um sich zu versichern, ob die Mutter noch bei ihnen weile.
Aber Faline war in ihren Gedanken schon fern. Sie hörte die Fragen der Kinder oft gar nicht, gab oft verkehrte Antwort. Keine Ermahnungen, keine Ratschläge teilte sie aus. Wie von Träumen umfangen schlich sie umher.
Und eines Morgens, die Sonne glühte heiß hernieder, wurden die Kinder durch ein Zischen des Laubes geweckt.
Das war Faline, die durchs Gebüsch raste.
»Mutter! Mutter!« bat Gurri.
»Nicht rufen!« erinnerte sie Geno, »du darfst sie doch nicht rufen!«
»Jetzt sind wir allein ...« seufzte Gurri.
»Wir müssen es aushalten ...«, bestimmte Geno charaktervoll. Aber auch er seufzte.
»Schlafen wir«, rief er.
Die Kinder taten sich nieder, und während die Vögel sangen, gelang es ihnen zu schlummern.
* * *
V
Anfangs ging alles famos.
Geno und Gurri spielten Erwachsensein und kamen sich sehr wichtig vor.
Bedächtig traten sie mit einbrechender Dunkelheit auf die Wiese, kehrten bei dem ersten blassen Morgenschimmer zu ihrem Lager heim.
Der Waldkauz schrie etliche Male sein U–jj! U–jj! gellender und lauter als sonst. Man hörte ihn vorher nicht, und die Kinder erschraken; besonders heftig Geno.
Doch der Waldkauz unterließ jede Frage. Er tat so, als kümmerte er sich nicht um die kleinen Rehe. Er lachte nur vernehmlich und schadenfroh; saß aufgeplustert da, glich einer braunen, weißfleckigen Wollkugel und rollte ergötzt seine klugen dunkel glänzenden Augen. Dennoch beobachtete er die Kinder.
»Da müssen andere kommen«, dachte er, »andere als du, mein keckes Bürschchen, wenn mein Spaß gestört werden soll.«
Dagegen zeigten sich die Wächter, Elster, Häher und die übrigen, doppelt aufmerksam.
Der selbständige, musterhaft brave Wandel der beiden Geschwister dauerte drei Nächte und drei Tage. Nicht länger.
Der Wald dunstete vor Hitze, und ganze Schwärme von Mücken tanzten wieder in der Luft. Schmetterlinge taumelten wie trunken umher, Hummern und Bienen brausten durch die Büsche.
Da erwachten die Kinder aus dem Schlaf.
Nah über ihnen im Gezweig der jungen Buche hockte das Eichhörnchen und rief: »Eben habe ich eure Eltern gesehen!«
Gurri fuhr hoch: »Wo? Sag schnell, wo?«
»Nicht weit von hier. Kaum hundert Gänge.«
»Wie geht es ihnen?« erkundigte sich Geno.
»Ich glaube vortrefflich«, gab das Eichhörnchen Auskunft, »der Vater liegt und ruht; die Mutter steht daneben; sie knabbert Blätter von der Silberpappel.«
Da Gurri von der Mutter hörte, überwältigte sie plötzliche Sehnsucht, daß sie ausrief: »Mutter! Mutter!«
Auch Geno empfand starke Sehnsucht; doch er bezwang sich, stieß die Schwester an und raunte: »Still!«
Und als Gurri ihre Stimme wieder erheben wollte, fügte er rasch hinzu: »Denk an den Vater! Wenn dich der Vater hört!«
Gurri verstummte und schämte sich. »Wann kommt die Mutter wieder, wann endlich?« flüsterte sie, »so lange ist sie schon fort. Ich habe Sehnsucht nach ihr.«
»Sie wird noch lange fort bleiben«, meinte Geno, »noch viel länger! Der Vater hat das ja vorausgesagt.«
»Schwer für uns«, flüsterte Gurri, »sehr schwer! Ich hab die Mutter furchtbar lieb.«
»Jetzt erst, seit sie nicht mehr bei uns ist, fühle ich, wie ich sie liebe«, antwortete Geno, »wie arg sie mir fehlt. Es ist hart, ohne Mutter zu sein. Doch Jammern hilft uns nicht. Wir müssen warten; wir müssen!«
»Warten ist das Schlimmste, das ich kenne«, Gurri gefiel sich in altklugen Worten.
Gerührt lauschte das Eichhörnchen, hatte seine buschige Fahne aufgepflanzt, steckte den kleinen Kopf mit den feingespitzten, von schmucken Schöpfen überragten Ohren hervor und versuchte zu trösten: »Ich werde euch immer Nachricht über eure Eltern bringen, liebe Kinder. Seid ruhig. Das kürzt euer Warten.«
Ein wildes Rauschen durchdrang das Gebüsch, fegte im Kreis und entfernte sich.
Flink war das Eichhörnchen den Baum emporgeturnt, hielt Umschau und sauste wieder herunter, um anzukündigen: »Sie sind es, eure Eltern.«
»Was tun sie denn?« wollte Gurri wissen.
»Sie spielen Haschen«, sagte das Eichhörnchen.
»Mit solchem Lärm«, staunte Geno, »zieht der Vater sonst nie durch das Strauchwerk.«
»Der Vater ist es nicht, der lärmt«, stellte das Eichhörnchen fest, »das macht die Mutter, die rennt voraus.«
Einen Tag hatte sich das Eichhörnchen nicht blicken lassen; des Nachts schlief es immer in seiner Wohnung.
Gurri hielt es nicht aus: »Mutter! Mutter!«
»Du sollst still sein!« mahnte Geno sofort, »du weißt, es ist verboten!«
»Ich habe ja nicht gerufen«, entgegnete Gurri naiv.
»So?« widersprach Geno, »ganz deutlich war es doch zu hören.«
»Ich habe nicht gerufen«, beharrte Gurri, »wie werde ich denn rufen, da es ja streng verboten ist?«
»Aber«, Geno wunderte sich, »wenn ich es doch selbst gehört ...«
»Nun«, gestand Gurri, und mehr gestand sie keineswegs, »so vor mich hin habe ich ›Mutter‹ gesagt, nur für mich, weil ich immerzu an die Mutter denke. Ganz leise werde ich wohl ›Mutter‹ sagen dürfen.«
»So leise«, entgegnete Geno, »daß man es weit in der Runde vernommen hat. Behalte deine Gedanken für dich! Ich denke dasselbe wie du, aber ich kann schweigen.«
»Du, du fürchtest dich zu reden«, maulte Gurri, »aber ich bin nicht so furchtsam wie du!«
»Ich wollte, du hättest mehr Furcht«, sprach Geno voll Sorge.
Es war, als ahnte er das Unglück, das Gurri treffen sollte.
Der Abend begann niederzugleiten. Amsellieder klangen von den höchsten Zweigen, Fledermäuse wurden vereinzelt sichtbar, wie sie die Luft durchzuckten. Enten flogen quarrend feldwärts; der Reiher schwamm mit ausgebreitetem Fittich dahin, ein stolzer Anblick. Und noch hämmerte der Specht.
Gurri strebte zur Wiese hinaus.
»Zu früh!« warnte Geno, »zu früh!«
»Mich hungert so sehr«, rechtfertigte sie ihre Eile.
»Du mußt bleiben«, mahnte er, »es kann Gefahr sein!«
»Ach«, widersetzte sich Gurri, »ohne Mutter, dazu hungern und wer weiß wie lange noch hierbleiben! Du! Immer mit deiner Gefahr!«
»Die müssen wir immer im Sinn haben!« rief Geno.
Doch Gurri wurde ungeduldig. »Es gibt jetzt keine Gefahr!«
Sie stürmte los.
Zögernd folgte Geno.
In diesem Augenblick schwiegen die Amseln.
Der Häher kreischte laut.
Die Elster schakerte heftig.
Fern über die Wiese rannte wie ein Gehetzter Freund Hase.
»Hörst du, Gurri, hörst du!« flehte Geno und barg sich im Dickicht.
Aber Gurri war schon draußen.
»Zurück!« geckerte das Eichhörnchen, »zurück!«
Doch da sprang wie ein roter Blitz der Fuchs Gurri in den Nacken.
Unter seinem Gewicht knickte sie zusammen. Entsetzen und der scharfe Fuchsgeruch betäubten sie beinahe.
Gurri wäre ohnmächtig geworden, hätte sie nicht ein durchdringender Schmerz geweckt. Das kam vom ersten Biß, den der Fuchs ihr zufügte.
Sie stieß ein schwaches Klagen aus.
Zum zweiten, tödlichen Biß gelangte der Fuchs nicht.
Ein kurzer Donner krachte.
Wie von einer starken Faust geworfen, überschlug sich der Fuchs, fiel zur Seite, zuckte ein wenig mit den Läufen und starb.
Er lag gerade vor Gurris angst- und schmerzentstelltem Antlitz.
Sie rührte sich nicht; ihr waren die Sinne geschwunden.
Von Gurris Rücken strömte das Blut, floß mit dem Blut des Fuchses zusammen und färbte das Gras.
Jetzt erlebte Geno, der, geschüttelt vor Grauen, im Gebüsch stand, die Furchtbarkeit, die Er verbreitete.
Jetzt atmete Geno die erstickende und zugleich aufpeitschende Witterung, die Er hatte.
Jetzt sah Geno, wie Er heranschritt, hörte Ihn sogar sprechen.
Erstarrt blieb Geno, ohne sich zu regen.
»Armes Ding«, sagte Er leise, beugte sich zu Gurri nieder, untersuchte die Wunde und hob die Betäubte in seine Arme. »Na, das heilt schon wieder. Du armes Kleines, dich nehme ich mit. Hätte ich eine Sekunde später geschossen, so wäre es schon vorbei mit dir.«
Mit dem Fuß schleuderte er den Fuchs ins Gebüsch und trug Gurri davon.
Geno entwich, flüchtete vor dem toten Fuchs, flüchtete vor Ihm, verstört, ratlos, halb irrwitzig.
Ueber den Verlust der Schwester konnte er sich nicht fassen.
»Mutter! Mutter!« rief er in seiner Herzensnot.
Er besann sich nicht mal; er mußte rufen. »Mutter! Mutter!«
Taumelnd streifte er durch das Buschwerk. Unmöglich, nach solchem Ereignis allein zu bleiben. »Mutter! Mutter!«
Rascheln, Knistern bewegte die Zweige.
Faline tauchte vor ihm auf; doch er nahm sie in seiner Verwirrtheit nicht gleich wahr, weinte ihr ins Gesicht: »Mutter! Mutter!«
»Da bin ich ja«, redete Faline, »was gibt's denn?«
Hinter ihr klang Bambis Stimme verwundert: »Du, Geno? Hab ich euch nicht verboten ...?«
Geno würgte hervor: »Gurri ... Gurri ...«
»Wo ist Gurri?« drang Faline und war von Verzweiflung gepackt, als Geno in abgerissenen Schluchzworten erzählte: »Der Fuchs ... sie ... angesprungen ... Blut ... dann ... dann Er ... mit der Feuerhand ... tot ...«
»Und Gurri?« schrie Faline.
»Was war mit Gurri?« fragte Bambi erregt.
»Die ...«, stotterte Geno, »... die hat Er genommen ... fort ... mit ihr ... Er ist mit ihr ... fort ...«
Bambi und Faline schwiegen, als hätte die Katastrophe sie stumm gemacht.
Dann sagte Bambi still: »Mein schönes kleines Kind ...«
Davon wurde Geno im Tiefsten ergriffen. Unklar hatte er eine winzige Hoffnung gehegt; wenn nur die Eltern da wären, könnte alles wieder gut werden. Nun löschte dieses schmächtige Lichtchen aus; nicht einmal die Eltern vermochten zu helfen.
Faline weinte leise vor sich hin: »Ich hätte die Kinder nicht allein lassen dürfen. Nie hätte ich das dürfen. Meine Gurri, meine geliebte, arme Gurri ...«
Geno gab ihr recht, sie hätte uns nicht allein lassen sollen ... wäre sie bei uns geblieben, hätte das nie geschehen können; er sah den Kummer der Mutter, ihre Reue, den Schmerz des Vaters und sagte kein Wort.
Er verschwieg auch, wie leichtfertig, wie achtlos trotz aller Warnungszeichen Gurri sich der Gefahr preisgegeben hatte. Damit wollte er die Eltern verschonen.
»Ist sie ...«, Bambi stockte, »... ist sie ... tot?«
»Ich weiß es nicht ...«, zitterte Geno, »... wirklich ... das weiß ich nicht ...«
Zu dritt gingen sie langsam bis an den Saum der Dickung, standen dort voll Ekel vor dem erschossenen Fuchs, der mit zerfetzter Flanke ausgestreckt im Unterwuchs lag.
»Elender Mörder ...«, brachte Faline hervor.
»Manchmal«, sagte Bambi, »manchmal übt Er Gerechtigkeit ... nicht immer ... doch zuweilen tut Er es.«
»Vielleicht«, meinte Faline verzagt, »vielleicht ... ist Er ein Retter gewesen ...«
Beide dachten jetzt an Gobo, den ja Er bewahrt und gepflegt hatte; allein es war eine trübselige Erinnerung.
Sie traten hinaus auf die Wiese, wo das Blut Gurris mit dem Fuchsblut noch im Gras versickerte.
»Da hat sie gelitten«, schluchzte Faline, »meine Gurri ... meine zierliche Gurri ...«
Die Nase am Boden, entfernte sich Bambi quer durch die nachtfinstere Wiese, nahm die Fährte auf, die Er hinterlassen hatte. Am nächsten Morgen war der Fuchs verschwunden, doch Er ließ sich noch deutlicher spüren.
Bambi verbarg sich in der Nähe.
* * *
VI
Faline blieb jetzt immer mit Geno beisammen.
Den Gatten und Vater bekamen sie nie zu Gesicht.
Hin und wieder berichtete das Eichhörnchen, es habe Bambi gesehen.
Er ging seltsame Wege, wurde in Gegenden getroffen, wo man ihn vorher nie vermutet hätte.
Das Eichhörnchen zeigte sich sehr teilnehmend an Gurris Verlust. »Ach, ich war gerade am Einschlafen, als ich den Donner hörte. Dem Fuchs gönne ich ja, daß Er ihn umgeworfen hat ... nur das kleine Prinzeßchen ... es ist zu traurig ... zu traurig ...«
Aufrecht saß das Eichhörnchen, an seine wehende Fahne gelehnt, beide Vorderpfötchen gegen die weiße Brust gedrückt, um sein Beileid zu beweisen. Doch die hochgespitzten Ohren, die von netten Büscheln überragt wurden, die glänzenden Augen, das wirkte nur fröhlich.
Von der Elster und vom Häher erfuhr Faline, was Geno ihr verheimlicht hatte.
»Mich trifft keine Schuld«, rechtfertigte sich die Elster, »den Fuchs habe ich lange bemerkt, habe auch gewußt, wo Er lauert. Wie ich auch rief und warnte, es war vergeblich. Die kleine Prinzessin hörte nicht.«
»Sie wollte nicht hören«, verteidigte sich der Häher, »was habe ich geschrien und geschrien! Umsonst! Das junge Ding muß einem leid tun! Sehr leid!«
»Ganz gut war es zu vermeiden«, schakerte die Elster, »denn Er hat ja nur auf den Fuchs gewartet.«
Faline stöhnte und Geno schmiegte sich seufzend an sie.
Die einzige gute Nachricht kam vom Waldkauz.
Er gellte nicht, er war nicht darauf aus, zu erschrecken.
Unhörbar flog er heran, setzte sich auf den niedersten Zweig, schaukelte hin und her, rüttelte den Flaum seines Gefieders und begann zart zu reden.
»Trösten Sie sich, Prinzessin Faline ... Schicksal! Dem Schicksal entgeht niemand.«
»Aber das Schicksal, wie Sie es nennen, das Schicksal sollte nicht so grausam sein«, antwortete Faline.
»Was wollen Sie?« erwiderte der Waldkauz, »das Schicksal war gnädig!«
»Finden Sie? Mein unglückliches Kind ... so frisch, so jung ... und dahin.«
»Aber! Aber!« Der Waldkauz gurrte sein angenehmes Lachen. »Ihre Tochter lebt!«
Faline fuhr auf, von Freude durchzuckt: »Gurri ... lebt?!«
Geno lauschte erleichtert, mit größtem Entzücken.
»Das war so«, erzählte der Waldkauz, »unter meinem Horst ist Er vorbeigegangen. Ich kann nicht behaupten, daß ich Ihn liebe. Oh nein! Aber ich sehe, Er trägt jemanden von Ihnen. Anders trägt Er ihn, als wenn Er ihn mit der Feuerhand ermordet hätte. Sie wissen, ich bin neugierig; rasch fliege ich Ihm nach und ... und erkenne Gurri. Freilich, die Kinder sind zu mir nicht nett gewesen. Aber jetzt vergesse ich das. Eigentlich kann ich Ihrer Gurri gar nichts vorwerfen. Nur der Bursche da war frech zu mir.«
»Verzeihen Sie!« fiel ihm Geno stürmisch ins Wort, »bitte, verzeihen Sie!«
Der Waldkauz gab ihm keine Antwort, sondern redete weiter: »Ich sehe, daß Gurri blutet. Sie tut mir leid, und ich denke an Sie, Prinzessin Faline, an Ihre Sorge, an Ihren Kummer, denke an Bambi ... Während Er geht, streiche ich ganz nahe über Ihn. Da merke ich, daß Gurri sich regt; immer heftiger regt sie sich, immer mehr wird sie munter. Sie will sich befreien, sie strebt zu Boden! Doch Er läßt sie nicht los; mir scheint, Er liebkost sie. Ich möchte Gurri gerne helfen und schreie dicht an Seinem Ohr, schreie, so laut ich kann. Vielleicht erschrickt Er und läßt Gurri fallen. Allein, Er fürchtet ja keinen von uns hier im Wald, und vor meinem Schrei erschrickt Er nicht. Das alles hab ich Bambi schon erzählt. Sie können ganz ruhig sein; Ihre Gurri wird gesund, sicherlich ... und bald!«
»Wenn sie nur lebt«, murmelte Faline schweren Herzens, »wenn sie nur lebt. Jedenfalls danke ich Ihnen für die Nachricht. Ich kann Ihnen nie genug danken.«
Ehe der Waldkauz etwas erwidern konnte, bat Geno leidenschaftlich: »Bitte, bitte, verzeihen Sie mir! Verzeihen Sie mir! Ich bereue meine Keckheit! Ich verehre Sie ... und glauben Sie mir auch das: Ich bin jedesmal erschrocken. Ich hab mich nur geschämt, es zu gestehen. Bitte, bitte, verzeihen Sie mir!«
»Schon gut! Schon gut!« Der Waldkauz wurde in seinem stolzen Behagen kugelförmig. Er lachte voll Genugtuung: »Sie sehen, mein kleiner Prinz, man ist doch zu etwas nütze! Auch alte Leute leisten zuweilen Großes. Man darf sie nicht einfach verachten, nur weil man jung ist.«
»Nie hab ich Sie verachtet!«
»Lassen Sie sich das zur Lehre dienen«, predigte der Waldkauz, »junge Leute wissen so viel wie gar nichts und meinen alles besser zu wissen! Sie sind aus einer noblen Familie, Prinz Geno, Sie haben den Edelmut Ihrer Eltern in sich, und es ist edel von Ihnen, daß Sie mich um Verzeihung bitten. Ich verzeihe Ihnen, ja, ich werde Ihr Freund sein.«
Er war geradezu großartig, der Waldkauz.
Die folgenden Wochen blieb Bambi unsichtbar.
»Wo ist der Vater?« fragte Geno oft.
»Das ahne ich nicht«, entgegnete Faline immer.
»Mutter«, sagte Geno, »Mutter, warum bist du nicht fröhlich? Gurri lebt ja doch.«
»Sie lebt«, Faline nickte, »ich hoffe, daß sie lebt ... aber ... sie ist nicht da ... nicht bei uns ... sondern irgendwo ... ferne ...«
»Meinst du, es geht ihr nicht gut?«
»O doch! Ich fürchte nur, daß es ihr viel zu gut geht.«
»Erkläre, Mutter ... erkläre mir das ... ich begreife nicht ...«
Nun weihte Faline ihren Sohn gründlich in das Schicksal von Gobo ein; schilderte, wie Er den schwachen, kleinen Gobo aus dem Schnee gerettet und heimgetragen hatte, wie Gobo bei ihm aufwuchs, gesund und stark wurde. Das alles, das früher den Kindern nur eine ergötzliche Geschichte bedeutet hatte, erhielt jetzt dunkle, drohende Schatten. Faline sprach von dem überraschenden, von dem glückseligen Wiedersehen mit dem Verlorengeglaubten. Sie erwähnte den alten Fürsten, der das Wort »Unglücklicher« ausgesprochen hatte.
»Gobo war der Welt entfremdet, behandelte uns und den Wald mit Geringschätzung, bildete sich ein, mehr zu verstehen als wir alle, und bildete sich ein, Er wäre sein Freund ... daran starb Gobo ... von der Feuerhand erschlagen ...«
»Schrecklich ...«, flüsterte Geno.
»Begreifst du jetzt, mein Sohn, warum ich nicht fröhlich sein kann? Jetzt ist mit unserer Gurri etwas Ähnliches geschehen, und jetzt bange ich um deine arme Schwester.«
Geno begriff.
Bei dem Dasein, das Mutter und Sohn nun führten, wagten sie sich selbst des Nachts kaum auf die Wiese, sondern streiften beständig durch die Büsche, über kleine Blößen.
Zwei-, dreimal hatten sie auf der Wiese Rolla mit ihren Kindern gesprochen. Seither vermieden sie, ohne etwas darüber zu reden, diese Begegnung und die Wiese überhaupt.
Faline war aufgewühlt, wenn sie Rolla mit den Kindern sah.
Geno wurde aus dem gleichen Grunde traurig.
Zudem schwatzte Rolla unaufhörlich von Gurri, worüber Faline außer Fassung geriet.
»Ich begreife nicht, wie das Unglück passieren konnte«, wiederholte Rolla immer aufs neue.
»Was hilft da Begreifen oder Nichtbegreifen?« dachte Faline, »es ist nichts zu ändern; leider ...«
Boso und Lana verlangten dringend die Geschichte von Gurri zu hören.
Geno hatte sie ihnen zweimal erzählt und beide Male darunter gelitten. Boso und Lana genügte das jedoch nicht. Sie wollten den Hergang wieder und wieder hören.
»Was hat der Fuchs getan?« fragte Boso.
Lana, als ob sie es nun erst erfahren würde: »Ist Er gräßlich gewesen? Er?«
»Du hast Ihn ja gesehen«, drängte Boso, »rede endlich!«
Geno wehrte sich: »Ich habe euch alles schon erzählt ...«
»Das schadet nichts!« rief Lana.
Und Boso verlangte sachlich: »Erzähle noch einmal! Von Anfang!«
Geno machte kehrt und entlief.
Weder er noch Faline hielten es aus, wenn Rolla und ihre Kinder von der Zeit sprachen, da Boso und Lana allein waren. Sie prahlten miteinander ein wenig.
Rolla schwieg darüber, daß sie sich nun dennoch einem neuen Gatten gesellt hatte.
Faline und Geno gingen nicht mehr auf die Wiese. Sie fanden Ersatz. Ein großer Kahlschlag ließ Faline staunen.
»Hier sind einst mächtige Eichen gewesen«, sagte sie, »Baum neben Baum. Muß Er alles zerstören?«
Geno machte sich nichts daraus; er nahm das Vorhandene nach Kinderart, wie es eben war, als etwas Endgültiges, und er trollte, angelockt von würzigen Düften, in den Schlag. Die Mutter folgte ihm.
Kleine Haselstauden wucherten überall, junge Silberpappeln, Holunder, Schlehdorn, Liguster, und es winkten vielversprechende Gräser, schmackhafte Kräuter. Dazwischen glänzten in breiten, hellen Scheiben die Stümpfe gefällter Stämme.
Die Wurzeln der alten Eichen hatten noch Urkraft bewahrt, und sie trieben aus den Rinden der verstümmelten Ueberreste ein Gewirr von Schößlingen hervor. Die waren bittersüß und strotzten von Saft.
Geno glaubte, noch nie so was Gutes gegessen zu haben. Auch Faline, die dergleichen von früher her kannte, labte sich an der köstlichen Aesung.
Den Hirschen galt dieser Schlag als ihr liebster Nährboden. Von allen Seiten wanderten sie herbei, suchten ihn auf, ganz heimlich mitten in der Nacht, besonders wenn kein Mond am Himmel stand oder wenn die Wolken ihn verhüllten. Dann weilten die Hirsche stundenlang hier.
Heute gab die dünne Mondsichel nur matten Flimmerschein.
In solch fahlem Licht wirkten die Hirsche noch weit größer.
Sie befanden sich jetzt in der Feist; sie hatten ihr Geweih verfegt, und wie sie einer nach dem andern auftraten, boten sie einen imposanten Anblick.
Geno hatte noch nie einen Hirsch gesehen.
Als der erste nebelhaft sichtbar wurde, ganz leise, beinahe geschlichen kam, riesig, schier drohend, begann Geno zu zittern und starrte die gespenstische Erscheinung an, ohne sich zu rühren.
Der zweite, der dritte glitt heran, gigantische Schatten, doch ohne Zweifel lebendig.
Jetzt hatte Faline die Hirsche wahrgenommen. Das Entsetzen packte sie, von dem die Rehe bei jedem Zusammentreffen mit Hochwild ergriffen werden. Sie stieß einen Schrecklaut aus: »Bah–oh!« Fluchtartig rannte sie weg vom Schlag in die Dickung, und sie schreckte fortwährend langgezogen: »Bah–oh! Bah–oh! Bah–oh!«
Sie konnte nicht aufhören.
Geno verlor die Fassung; er wollte fort, wollte zur Mutter, doch zunächst vermochte er nicht, sich vom Fleck zu bewegen. Gebannt hingen seine Augen an den ungeheuren Gestalten, die langsam umherwandelten.
Aus dem Dickicht klang das Schreien Falinens: »Bah–oh! Bah–oh!« Es entriß Geno plötzlich seiner Erstarrung.
Wie toll raste er der Mutter nach, in hohen, stürzenden Fluchten. Kein Ton war in seiner jungen, zugeschnürten Kehle, so sehr er sich auch bemühte, gleich der Mutter zu schreien.
Endlich erreichte er Faline.
»Mutter ... Mutter ...!« Seine Stimme war erstickt, »wer ist das?«
Faline aber schrie in kurzen Pausen: »Bah–oh! Bah–oh! Bah–oh!«
Sie ließ sich nicht aufhalten, ging mit steifen Schritten tiefer in den Wald hinein.
»Ist noch Gefahr, Mutter?« Geno war sehr bang.
»Nein, mein Sohn«, erwiderte sie endlich, »ich hoffe nicht ...« Sie brach in ein letztes empörtes »Bah–oh!« aus.
Schüchtern stellte Geno die Frage: »Wer war das?«
»Das waren die Könige ...«
Ehrfurchtsvoll wiederholte er: »Die Könige ... Sind die Könige böse?«
»Das weiß niemand genau. Zuweilen sollen sie sehr arg werden. Man hat eine furchtbare Geschichte herumgetragen.«
»Was für eine Geschichte, Mutter? Bitte, erzähl mir.«
»Ach, das ist schon lange her ... schon sehr, sehr lange ...«
»Bitte, Mutter, bitte, die Geschichte ...«
»Nun, einer der Könige soll einen unserer Prinzen gespießt haben.«
»War der Prinz tot?«
»Das kann ich nicht sagen. Ueberhaupt ... du hörst doch ... das ist schon sehr lange her. Keiner, der es gesehen hat, lebt mehr. Auch dieser König nicht. Er soll wenige Tage darauf durch die Feuerhand umgekommen sein. Niemand weiß heute, was zwischen dem König und dem Prinzen vorgefallen ist. Sonst kümmern sich die Könige nicht um uns.«
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.