Kitabı oku: «Mein Bruder, Muhammad Ali», sayfa 3

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Muhammad erhob sich von seinem Sessel und begann, zur versammelten Menge zu sprechen. Er lobte seinen polnischen Kontrahenten, einen Mann, der ihm, wie er zugab, einen harten Kampf geliefert und ihn mit Schlagsalven eingedeckt hatte. Allerdings war mein Bruder nicht so bescheiden, dass er es sich verkneifen hätte können, zu sagen, dass er zu schnell und zu klug für den Polen gewesen war, und er schrieb seinen Sieg seiner Entschlossenheit und seinem boxerischen Können zu, das er jahrelang perfektioniert hatte. Er erzählte uns, wie stolz er darauf war, die Medaille nach Amerika geholt zu haben. Er sprach darüber, wie er davon geträumt hatte, dass er es eines Tages nicht nur zu den Olympischen Spielen schaffen würde, sondern dort auch triumphieren würde, und dass, nachdem dieser Traum wirklich geworden war, er das olympische Podium als Plattform nutzen würde, um sich Gehör zu verschaffen. Die Olympischen Spiele, so sagte er vor allen Anwesenden, seien der goldene Schlüssel zu vielen Wahrheiten: Es war eine Wortwahl, die viele im Publikum verwirrte, da zu diesem Zeitpunkt kaum jemand wusste, dass mein Bruder sein Interesse an der Rassenpolitik der Vereinigten Staaten entdeckt hatte. Als Muhammad dann fertig war, stand das Publikum erneut auf und applaudierte lautstark. Danach fragten ihn aufgeregte Schüler, ob sie die Medaille sehen und berühren dürften. Einfach nur einen Blick darauf werfen, war nicht genug. Alle wollten das Gold mit ihren Händen anfassen. Muhammad stieg von der Bühne und stand mit einem Lächeln da, und die Schüler kamen zu ihm, um die Früchte seiner harten Arbeit mit ihren eigenen Händen zu berühren.

Nach diesem aufregenden Auftritt wurde Muhammad wieder aus dem Gebäude eskortiert, und wir fuhren quer durch die Innenstadt bis zu unserem Haus. Ich genoss den Moment am Beifahrersitz, während Muhammad auf der Rückbank saß und der Menge mit seinem typischen Grinsen zuwinkte.

Als wir dann vor unserem Haus in der Grand Avenue ankamen, waren bereits alle unsere Nachbarn da, um dem neuen Champion einen entsprechenden Empfang zu bereiten. Die lokale Presse war auch da, um ein Interview und ein paar Schnappschüsse zu bekommen. Ich erinnere mich, wie ich auf die Medaille starrte und wie wundervoll sie aussah, als sie da um seinen Hals baumelte, während er zu den Anwesenden sprach. Schließlich löste sich die Menge auf, und alle waren noch ganz aufgeregt, dass sie einen Olympiahelden persönlich kennengelernt hatten. Ich dachte zurück an die Jahre, in denen wir zusammen trainiert hatten, wie wir frühmorgens gemeinsam laufen gegangen waren und uns über die besten Amateurboxer unterhalten hatten. Muhammad hatte damals immer voller Überzeugung zu mir gesagt: „Rudy, eines Tages werde ich mir olympisches Gold im Halbschwergewicht holen.“

Und ich hatte immer an die boxerischen Fähigkeiten meines Bruders geglaubt, und es gab keinen Moment, in dem ich diesen Optimismus durch pessimistische Gedanken trüben ließ. Trotzdem gibt es kein schöneres Gefühl auf der Welt, als den Erfolg eines Familienmitglieds selbst mitzuerleben. Unsere Eltern sagten uns immer, dass wir uns im Boxen engagieren müssten, wenn wir erfolgreich sein wollten. Unser Vater erklärte uns, dass wir immer wieder Hürden auf unserem Weg zum Erfolg überwinden würden müssen. Einige Eltern unterstützen ihre Kinder so gut wie gar nicht, doch unsere ermunterten uns, und das ist etwas, an das ich mich immer erinnern werde.

Nach dem Olympiasieg änderte sich das Leben meines Bruders – aber auch das meinige. Dank meines Bruders war ich nun eine Art Berühmtheit an meiner Schule. Meine Mitschüler lächelten mir zu und wünschten mir alles Gute, wenn ich sie am Gang traf oder mit ihnen im Klassenzimmer saß. Ich war in meinem letzten Jahr an der Central High School, und es ist mir immer noch in Erinnerung.

Mehr als fünf Jahrzehnte später weiß jeder, dass Muhammad seine Goldmedaille in den Ohio River geworfen hat, weil er in einem Restaurant in unserer Heimatstadt nicht bedient wurde – und das sogar nach seinem Olympiasieg. Irgendwo habe ich gelesen, dass diese Geschichte von einem Unbekannten erfunden worden und nun weitverbreitet wäre. Sie schrieben, dass mein Bruder seine Medaille verloren hätte und ich ihm dabei geholfen hätte, sie wiederzufinden. Es wurde behauptet, dass wir das gesamte Haus auf den Kopf gestellt hätten, aber sie nicht fanden. Ich glaube, Sie, werter Leser, können sich vorstellen, dass diese Medaille ein Prestigesymbol darstellte, auf das mein Bruder besonders stolz war. Leider meinte irgendwer, es besser zu wissen, und verbreitete diesen Schwachsinn. Also möchte ich die Dinge an dieser Stelle geraderücken: Muhammad und ich gingen zusammen in besagtes Restaurant, und wir wurden nicht bedient.

Muhammad sagte: „Ich hätte gerne einen Cheeseburger.“

Die Kellnerin antwortete: „Wir mögen hier keine Neger.“

Worauf mein Bruder sarkastisch meinte: „Ich will ja auch keinen Neger, sondern einen Cheeseburger.“

Da es uns schnell klar war, dass wir hier nicht bedient werden würden, verließen mein Bruder und ich verärgert und angewidert das Lokal.

Als wir dann zur 2nd Street Bridge kamen, nahm mein Bruder seine geliebte Medaille und warf sie in den Fluss. Ich versuchte, ihn davon abzuhalten, doch er sagte: „Nein, Rudy. Ich bin tief verletzt. Diese Verachtung, die mir entgegengebracht wurde, tut mir sehr weh.“

Und dann begann ich zu weinen.

Das war das letzte Mal, dass wir beide die Olympiamedaille gesehen haben. Also, ich war dabei und habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.


Nach den Olympischen Spielen wechselte Muhammad ins Profilager und unterschrieb bei der Louisville Group – einem Konsortium aus zehn Millionären –, die sein Managementteam wurde. Sie waren an meinen Bruder nach seinem Sieg in Rom herangetreten und boten ihm an, für sein Training, die Reisen, Wohnen und Versorgung aufzukommen sowie ein Antrittsgeld und ein garantiertes Einkommen zu zahlen. Im Gegenzug würden sie 50 Prozent dessen verlangen, was er an Preisgeldern und aus sonstigen Aktivitäten verdienen würde.

Das bedeutete auch den Abschied von Joe Martin, der, wie ich hier noch einmal festhalten will, Muhammad immer gut führte und trainierte und zu dem wir in jener Zeit ein exzellentes Verhältnis aufgebaut hatten.

Muhammads erster Profikampf fand am 29. Oktober 1960 gegen Tunney Hunsaker in der Louisville Freedom Hall statt. Nach dem Kampf, der über sechs Runden ging und den mein Bruder nach Punkten gewann, beschloss Muhammads Management, die Dienste des weithin respektierten Boxtrainers Angelo Dundee in Anspruch zu nehmen. Das bedeutete, dass Muhammad nach Miami Beach ziehen musste, wo Angelo das berühmte 5th Street Gym betrieb.

Mein Bruder hatte Angelo bereits zuvor in unserer Heimatstadt getroffen. Das war im Jahr 1958 gewesen, als Angelo den Halbschwergewichtschampion Willie Pastrano, der für einen Kampf gegen George Holman nach Louisville gekommen war, trainierte. Muhammad verfolgte das Geschehen im Boxsport schon damals sehr aufmerksam und verpasste niemals eine Gelegenheit, einen Boxer oder Trainer, den er respektierte, zu treffen, wenn er die Möglichkeit dazu hatte. Also rief er Angelo nach dem Kampf aus der Hotellobby auf dessen Zimmer an und fragte ihn, ob er ihn und seinen Boxer für fünf Minuten sehen könnte. Nach einer längeren Pause willigte Angelo ein, und so gingen Muhammad und ich auf sein Zimmer, um ihn und seinen niedergeschlagenen Kämpfer zu treffen. Na ja, Muhammad bahnte sich quasi den Weg in das Zimmer und bellte Angelo an, er solle ihn doch als Boxer nehmen. Dundee und sein Boxer sahen gerade fern, tranken Orangensaft und aßen Kartoffelchips, als wir hereinplatzten.

Pastrano, der im Unterleibchen auf dem Bett lag und sich gerade mit einer Schüssel Eiscreme tröstete, ignorierte meinen Bruder anfangs. Er dachte, Muhammad wäre wieder einer dieser enthusiastischen Teenager mit einer großen Klappe. Mein Bruder, der sich nie scheute, seine Meinung kundzutun, begann sofort damit, vor Angelo zu prahlen, dass er der nächste Weltmeister im Halbschwergewicht sein würde. Einerseits war Angelo von dieser Angeberei erstaunt, denn dieses Verhalten war damals nicht üblich bei Sportlern. Andererseits war er aber auch der Typ, der diese Art von Selbstbewusstsein als etwas Positives bei einem Boxer sah – eine wichtige Eigenschaft in einem so harten Sport. So wurde aus den fünf Minuten eine dreieinhalbstündige Unterhaltung, bei der Muhammad den Coach und Pastrano mit Fragen löcherte. Muhammad war sehr neugierig, und Angelo konnte seine Begeisterung deutlich sehen, und ich denke auch, dass er damals bereits feststellte, dass dieser junge Mann vor ihm etwas Besonderes war.

Das war zwei Jahre, bevor mein Bruder Olympiasieger wurde. Nachdem mein Bruder Olympiagold geholt hatte, traf er in Louisville zufällig erneut auf Angelo. Diesmal war Angelo empfänglicher für sein Anliegen und meinte zu Muhammad, dass er zu ihm nach Miami trainieren kommen solle. Auch wenn dieses Angebot damals sehr verlockend war, lehnte Muhammad es ab. Warum? Ich weiß es nicht. Als jedoch dann die Louisville Group Coach Dundee anheuerte, um ihre neue goldene Gans zu trainieren, war es das Beste, was Muhammad widerfahren konnte, und der Beginn einer neuen Ära.

Bevor Muhammad wechselte, hatte er mit Jersey Joe Walcott trainiert, der ihn immer den Boden aufwaschen ließ. Muhammad gefiel es dort überhaupt nicht. Er hasste es. Er hatte sich bereits öfters bei Jersey Joe beschwert, doch immer ohne Ergebnis. Immer wieder sagte er ihm, er wäre nicht als Putzfrau hier, sondern um zu trainieren. Seine Beschwerden stießen jedoch auf taube Ohren, und als mein Bruder mit Angelo sprach, wollte er nur mehr so schnell wie möglich weg von hier. Angelo hatte den Anruf irgendwie erwartet und freute sich darüber, und Muhammad, ganz verzweifelt, sagte zu ihm: „Ich will morgen zum Training kommen.“

„Wo bist du?“, fragte Angelo.

„Ich bin in Louisville.“

Angelo fragte: „Wie willst du dann hierherkommen?“

„Ich komme mit dem Auto,“ antwortete mein Bruder.

Also fuhr er den ganzen Weg nach Miami, eine Fahrt von 15 Stunden, doch in Muhammads Augen war es das allemal wert.

Am nächsten Tag, es war ein Sonntagmorgen, machte sich Muhammad auf den Weg ins berühmte 5th Street Gym. Angelos kleiner Sohn Jimmy kam sonntags mit seinem Vater immer mit ins Studio. Als die Dundees um 10 Uhr vormittags ankamen, sahen sie Muhammad geduldig auf den Stiegen sitzen und warten. Jimmy war von meinem Bruder sofort beeindruckt.

Zusammen gingen sie dann die Treppe hoch ins Boxstudio, wo Angelo meinem Bruder die bescheidene Trainingshalle zeigte. Muhammad überraschte Angelo damit, als er meinte, dass er gerne ein Sparring haben würde und einen Kampf am Dienstag – zwei Tage nach der Marathonfahrt. Angelos Bruder Chris, der ein Promoter war, sollte den Kampf ansetzen. Muhammad wollte natürlich unbedingt die verlorene Zeit aufholen. Also ließ Angelo ihn mit Willie Pastrano und einer Handvoll anderer Schwergewichte sparren.

Es war eine Sparring-Session, an die sich alle erinnern sollten, und eine weitere Demonstration der frühen Genialität meines Bruders. Um ehrlich zu sein, versohlte mein Bruder Willie und Angelos anderen jungen Schwergewichten ordentlich den Hintern. Er war einfach genial im Ring. Beeindruckt von Muhammads ausgezeichneter Vorstellung, drehte sich der Coach zu seinem Starschüler Willie – der ja immerhin Weltmeister im Halbschwergewicht war – und sagte zu ihm: „Du hattest einen schlechten Tag. Du gehst besser nach Hause. Du bist müde.“

Muhammad wollte dem Coach einfach unbedingt zeigen, was er zu bieten hatte. Normalerweise schonte er seine Trainingspartner, doch diesmal war er vollgepumpt mit Adrenalin und wollte sein Können zeigen. Er nahm daher keine Rücksicht auf seine Sparringspartner und nahm sie ziemlich her.

Sein neuer Coach hatte schnell erkannt, was hier abgelaufen war, und nannte meinen Bruder „the best kid“, also den besten Jungen. Das war aber nicht das Ende des ersten Aufenthalts meines Bruders in Miami. Nach dem ersten Training trafen sich Muhammad sowie Angelo und Jimmy mit Freunden zum Mittagessen in einem Lokal am Ende der Straße. Angelo war ganz begierig darauf, seinen Freunden seinen neuen Olympiahelden vorzustellen. Als die drei das Lokal betraten, starrte der Mann hinter der Theke Muhammad finster an und sagte: „Wir haben hier keine Neger.“

Danach folgten dann noch viel schlimmer Beleidigungen, die meinem Bruder überhaupt nicht gefielen. Es war, als hätte ein Außerirdischer das Lokal betreten. Man hätte es Muhammad nicht verübeln können, wenn er diesem Mann Manieren beigebracht hätte, doch in diesem Moment griff Angelo ein.

„Wir wollen ja auch keine haben“, sagte er und blickte dem Mann dabei in die Augen. „Wir wollen Hamburger. Wir setzen uns jetzt hier hin und essen in Ruhe zu Mittag.“

Damit war der Punkt erreicht, an dem auch der Kellner nicht mehr viel dagegen tun konnte. Es war in seinem eigenen Interesse, ein Auge zuzudrücken und den Mund zu halten. Nach dieser unerfreulichen Begegnung setzten sich alle und aßen, und Muhammads Coach stellte ihn mehreren seiner Freunde vor.

Aufgrund der Rassentrennungsgesetze war es nicht einfach, eine Unterkunft für Muhammad zu besorgen. Bevor sein neuer Coach ein Quartier für ihn fand, wohnte Muhammad erst im Mary Elizabeth und dann im Sir John Hotel in Overtown, einem ausschließlich Weißen vorbehaltenen Stadtteil. Angelo machte sich um das Wohlergehen meines Bruders Sorgen, und das hatte auch seinen Grund. Allein die Anwesenheit eines Farbigen in einer solchen Gegend reichte aus, um ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und mein Bruder gehörte nicht gerade zu den Menschen, die sich unauffällig verhielten.

Schließlich fand Angelo eine Unterkunft für ihn in der 7th Avenue und 118th Street, die gleich um die Ecke von Angelos Wohnung war. Ein graues, ebenerdiges Haus mit einem kleinen Garten nach vorn und hinten raus. Nicht gerade eines Olympiasiegers würdig. Aber selbst dann endeten die Probleme aufgrund seiner Hautfarbe nicht. Wenn Muhammad als Teil seines Trainingsprogramms zum Studio lief, wurde er immer wieder von der Polizei aufgehalten. Angelo erhielt fast täglich Anrufe von der Polizei, die alle sehr ähnlich klangen. Sie glaubten meinem Bruder nicht, dass er im berühmten 5th Street Gym trainierte, und bestanden darauf, seine Geschichte zu überprüfen.

„Angelo, boxt der junge Mann für dich?“, fragte der Polizist am anderen Ende der Leitung.

„Ja, das ist einer von meinen Jungs“, antwortete dann Angelo manchmal schon verärgert. „Lasst ihn bitte zum Training gehen.“

Miami war nicht gerade besser als andere Orte in den Vereinigten Staaten, wenn es um Vorurteile ging, doch Gott sei Dank wohnte mein Bruder in der Nähe von Angelos Haus. Als dann ihr Verhältnis immer besser wurde, verbrachte Muhammad jeden Feiertag mit der Familie Dundee.

Ich war in meinem letzten Schuljahr, als mein Bruder den Vertrag mit der Louisville Group unterzeichnete und nach Miami Beach übersiedelte. Nachdem er ins Profilager gewechselt war, gab er einen großen Teil seines Geldes, das er von dem Konsortium aus Louisville erhielt, dafür aus, unseren Eltern ein neues Heim zu kaufen. Mutter hatte oft über die Dinge gesprochen, die sie gerne gehabt hätte – darunter auch ein neues Haus. Ich erinnere mich noch genau daran, wie glücklich unsere Mutter war. Nun konnte sich unsere Familie den einen oder anderen Luxus leisten, da mein Bruder eine erfolgreiche Zukunft vor sich zu haben schien. Es dauerte nicht lange, und Muhammad holte mich zu sich nach Miami. Trotz seines engen Verhältnisses mit den Dundees hatte mein Bruder kaum jemanden, dem er vertrauen konnte, und so holte er mich 1962 zu sich, da er jemanden aus der Familie um sich haben wollte. Für meinen Teil muss ich sagen, dass ich bis dahin nie einen ordentlichen Job hatte, und so ergriff ich die Gelegenheit mit beiden Händen. Meine erste Aufgabe war es, ein Mitglied von Muhammads Entourage und seinem Team zu sein. Unnötig zu erwähnen, dass ich sofort meine Koffer packte und bei ihm einzog. Ich lebte mich schnell bei meinem Bruder ein. Muhammad und ich verbrachten unsere Freizeit oft damit, im Wohnzimmer zu sitzen, Filme anzuschauen und uns zu entspannen. Um spätestens 11 Uhr nachts waren wir dann meist im Bett, da wir ja schon früh am Morgen rausmussten, um das Lauftraining zu absolvieren.

Neben seiner Geduld im Umgang mit der Polizei war Angelo genau das, was mein Bruder brauchte. Er war ein wunderbarer Mensch, der die Herzlichkeit eines Lieblingsonkels mit einem ans Übernatürliche grenzenden Verständnis für die Psyche eines Boxers in sich vereinte. Er schaffte es, in die Köpfe seiner Schützlinge zu sehen und sie dazu zu bringen, Dinge zu vollbringen, ohne dass sie etwas davon mitbekamen, was genau das war, was mein Bruder zu diesem Zeitpunkt in seiner Karriere benötigte. Muhammad war immer dickköpfig gewesen, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, und so musste Angelo Mittel und Wege finden, ihn davon zu überzeugen, dass alles, was er tat, seine eigene Idee war. Angelo verbrachte viel Zeit damit, Muhammad zu manipulieren und ihm vorzugaukeln, dass er selbst die Entscheidung traf, mehr oder weniger zu trainieren, an einem bestimmten Schlag zu arbeiten oder sonst etwas. Wenn er wollte, dass mein Bruder mehr Uppercuts schlagen sollte, dann lobte er ihn für das eine Mal in der Runde, als er einen schlug, und in der nächsten Runde schlug Muhammad dann vielleicht sogar ein halbes Dutzend.

Eine meiner Lieblingsanekdoten über Angelo hat allerdings mit einem anderen Boxer zu tun, den er zur selben Zeit wie meinen Bruder trainierte. Dieser Boxer hatte sein Selbstvertrauen in seine Schläge verloren und dachte, seine Schläge wären einfach nicht mehr hart genug. Wie wahrscheinlich jeder Boxer weiß, sind solche Zweifel pures Gift – wenn du dir nicht mehr zutraust, hart genug zu schlagen, traust du dir auch keinen Schlagabtausch mehr zu, und du gehst unter. Eines Tages also, vor Beginn des Trainings, lockerte Angelo die Verankerung an der Boxbirne, und als der besagte Boxer das erste Mal zuschlug, löste sich die Schraube, und die Boxbirne flog in hohem Bogen durch die Halle. Der verdutzte Boxer dachte, sein Schlag wäre wieder so richtig explosiv, und boxte von nun an wieder voller Selbstvertrauen.

Es ist großartig, einen Coach wie Angelo an deiner Seite zu haben, jemanden, der einem im Hintergrund hilft. Und ich sah, welchen Unterschied dies machte – gelegentlich drehten Muhammad und ich ja auch ein paar Runden im Ring gegeneinander, und manchmal gewann er und manchmal ich. Doch ich fühlte, wie er schnell besser, schneller und stärker wurde.

Aber auch Muhammad tat das seinige dazu. Jeder Boxer arbeitet hart, doch Angelo sagte immer wieder, dass er nie einen Kämpfer in seinem Boxstudio hatte, der so viel arbeitete wie Muhammad – und das aus dem Mund eines Mannes, der in seiner Karriere mehr als 15 Weltmeister trainierte. Tatsächlich meinte Angelo, dass Muhammad manchmal auch zu viel trainierte. Schon am Anfang seiner Karriere steckte Muhammad zu viele Schläge im Training ein. Angelo wusste genauso gut wie ich, dass Muhammad es absichtlich zuließ, dass seine Sparringspartner ihn am Kopf trafen. Selbst als er dann einen Kopfschutz trug, erduldete er weiter die harten Treffer, denen andere Boxer immer auszuweichen versuchten. Er war nämlich der Überzeugung, dass ihn dies auf richtige Kämpfe vorbereiten würde, was sich damals nicht halb so verrückt anhörte, wie es heute klingt. Wie man es auch betrachtet, mein Bruder war ein Vollprofi, der hart trainierte und alles tat, um sich auf seine Kämpfe gut vorzubereiten. Und seine härtesten Kämpfe standen ihm noch bevor.

EIN BRUDER AUF MISSION

Vorurteile und Rassentrennung waren alltäglich im Leben aller Farbigen in Amerika in den 1960er-Jahren, doch in einigen Gegenden

war es schlimmer als in anderen. Während die schleichenden Auswirkungen des Rassismus in Louisville sicherlich spürbar waren, so gab es in Miami überhaupt kein Entkommen. Dort erstreckte sich die Rassentrennung nicht nur auf Nachtclubs und Cafés, sondern auch auf den Strand: Den weißen Einwohnern Miamis waren die schönsten und saubersten Abschnitte des Strands vorbehalten, farbige Menschen mussten sich mit jenen nahe der Abwasserrohre zufriedengeben und dort schwimmen, oder der Zutritt wurde ihnen überhaupt verweigert. Restaurants, die sich weigerten, Afroamerikaner zu bedienen, waren bis weit in die 1960er-Jahre hinein verbreitet, und als die Rassentrennung an den Schulen offiziell aufgehoben wurde, gab es wilde Proteste vonseiten der lokalen weißen Bevölkerung.

Das war die Stimmung in der Stadt, als mein Bruder 1960 nach Miami zog. Für eine Person mit schwarzer Hautfarbe waren diese Regeln ein fester Bestandteil ihres Lebens in einem angeblich freien Land – selbst für einen Olympiasieger. Zwar ließ sich Muhammad beim Training nicht von den Vorurteilen der anderen behindern – dafür hatte er eine zu dicke Haut –, doch mein Bruder und ich machten von Zeit zu Zeit Bekanntschaft mit der hässlicheren Seite des Landes, wenn wir uns in Miami unter die Leute mischten. Jedes Mal, wenn du aus der Reihe tanztest, war schon jemand zur Stelle, der dich direkt oder hinter deinem Rücken darauf aufmerksam machte, dass du anscheinend vergessen hast, wo du hingehörst. Das traf nicht nur auf die Öffentlichkeit zu. Man zog auch die Aufmerksamkeit der alteingesessenen Institutionen und Behörden im Mainstream-Amerika auf sich. Muhammad sagte zu mir: „Solange unsere Leute ihren Platz in der Gesellschaft nicht verlassen, ist alles okay. Aber wenn sie einmal aus der Reihe tanzen, laufen sie Gefahr, umgebracht zu werden.“

Mit seinem typischen Selbstbewusstsein war Muhammad bereit, dieser Art von Behandlung offen mit Verachtung entgegenzutreten. Als sachkundiger Experte für die Geschichte des Boxsports verfolgte er diese verächtliche Einstellung gegenüber schwarzen Athleten bis zu Jack Johnson zurück, der gejagt und aufgrund der lächerlichen Anschuldigung, eine weiße Frau rechtswidrig über die Bundesstaatsgrenze gebracht zu haben, sogar eingesperrt wurde. Auch kannte er das traurige Schicksal von Joe Louis und Jesse Owens, die ihr ganzes Leben lang vom Finanzamt wegen angeblicher Steuervergehen verfolgt wurden. Und er war sich der Gefahr bewusst, in der sich Jackie Robinson befand, der Morddrohungen erhielt, als er als erster farbiger Spieler in der modernen Major League Baseball spielte.

Jim Brown, den eine langjährige Freundschaft mit Muhammad verband, galt als der böseste und gemeinste Farbige in Amerika und sah sich allen möglichen erfundenen Anschuldigungen, speziell von Frauen, gegenüber. Die Botschaft war eindeutig: Jedes Mal, wenn du als Schwarzer in der amerikanischen Gesellschaft aus der Reihe tanzt, wirst du attackiert und an den Pranger gestellt. Das war definitiv der Fall, auch bei Muhammad, der im Zuge seines Olympiasiegs unendlich viel Aufmerksamkeit in den Medien bekam. Denn genauso wie man meinen Bruder auf seinen Platz verwies, war er als Weltmeister im Schwergewicht ein wichtiges Instrument für politische, wirtschaftliche und andere Interessen der Weißen. Als Muhammad sich dazu entschloss, gegen das System anzukämpfen, wusste er, dass er sich zur Zielscheibe machen würde. Aber so wie jeder andere farbige Sportler auf irgendeine Art und Weise unter Beschuss des amerikanischen Establishments kam, wusste auch er, dass es ihm ebenfalls so ergehen würde, egal was er tat.

Berücksichtigt man all dies, dann ist es vielleicht einfacher zu verstehen, was das Interesse meines Bruders an der Black Power Bewegung – vor allem an der Nation of Islam (NOI) – erweckte. Es ist eine irrige Annahme, dass Malcolm X meinen Bruder zur Nation of Islam gebracht hatte und für die Konversion meines Bruders zum Islam verantwortlich war. Zweifellos hatte Malcolm einen großen Einfluss darauf, doch er war nicht derjenige, der Muhammads Interesse daran erweckte. Es war ein Prediger namens Captain Samuel X Saxon, der meinen Bruder als Erster in die Lehren der Nation of Islam einführte, nachdem er ihn zufällig auf der 2nd Avenue getroffen hatte, bevor Muhammad zu den Olympischen Spielen nach Rom fuhr.

Captain Samuel war der Vorsteher einer Moschee in Miami – ein Ort, den mein Bruder regelmäßig aufsuchte, als er dorthin zog. Es war das erste Mal, dass er den Lehren der Nation of Islam aufmerksam zuhörte, und Miami war der Ort, an dem er langsam erkannte, dass es genau das war, was er in seinem Leben immer gesucht hatte. Zuerst war es sicherlich mehr religiös als politisch motiviert, doch das änderte sich mit der Zeit. Mein Bruder und ich entschieden uns, dieser kontroversen Organisation beizutreten, da Muhammad Teil von etwas sein wollte, Teil einer Bewegung, nicht wegen einer tieferliegenden spirituellen Suche.

Egal was unsere Gründe dafür waren, bei unseren Eltern zu Hause begannen die Alarmglocken zu schrillen, als Muhammad und ich die Lehren der Nation of Islam annahmen. Vater und Mutter waren irritiert, um es milde auszudrücken. Sie waren der Meinung, dass ihre Kinder gute Christen sein sollten, und sie wussten so gut wie nichts über diese neue Religion. Deswegen war es verständlich, dass sie recht aufgebracht darüber waren. Als er älter wurde, hatte Muhammad diese innere Stimme, die ihm sagte, dass da noch etwas Besseres als der Rassismus, den er als junger Boxer erfahren hatte, sein musste – eine Art Licht am Ende des Tunnels. Und obwohl unsere Eltern uns gelehrt hatten, dass Gott für uns sorgen würde, schien der Glaube, mit dem wir aufgewachsen waren, nicht die Lösung zu sein – zumindest nicht für meinen Bruder und mich. Mein Bruder, der schon immer sehr wissbegierig war, verbrachte sein halbes Leben damit, sich die Frage zu stellen, warum Menschen mit dunkler Hautfarbe sich mit diesen Umständen zufriedengeben sollten und warum alles Schwarze mit etwas Negativem assoziiert wurde. Auch im Christentum schien es so zu sein: Alles Gute in der Bibel wurde weiß gemacht – sogar Jesus und Gott wurden als Weiße dargestellt, ungeachtet ihrer Herkunft. Man zeigte uns das Bild des Erlösers als gütigen weißen Mann, und in der Hierarchie des Himmels schien es nirgends einen Platz für andere Hautfarben zu geben. Das war uns zu wenig. Mein Bruder und ich wollten keine mittelmäßigen „Neger“ sein, die sich der Gnade der Christen unterwerfen mussten. Christen, die schon öfters gezeigt hatten, dass sie Farbige als Bürger zweiter Klasse betrachteten. Muhammad konnte und wollte das nicht akzeptieren.


Natürlich waren unsere Eltern nicht die Einzigen, die sich wegen unseres neuen Umfelds Sorgen machten. Die meisten Menschen in den Vereinigten Staaten hatten kein gutes Bild von der Nation of Islam und standen allen, die mit dieser Organisation sympathisierten, sehr skeptisch gegenüber. Selbst unter Farbigen gab es viele, die sich von dieser Bewegung distanzierten. Anfangs merkte keiner, dass wir immer mehr dazu tendierten, Muslime zu werden, denn Muhammad und ich hatten beschlossen, unsere Absicht fürs Erste einmal für uns zu behalten – es war also unser dunkles Geheimnis. Wir waren uns einig, dass wir unseren Übertritt zum muslimischen Glauben dann bekannt geben würden, wenn die Zeit richtig dafür war. Doch vorerst mussten wir aufgrund der Neugier der größtenteils weißen Presse vorsichtig damit umgehen, und auch wegen einiger Leute in unserem engeren Umfeld, die etwas durchsickern hätten lassen können. Wir wussten, dass, wenn wir uns gleich zu erkennen geben würden, die Boxverbände, die öffentliche Meinung und sogar die US-Regierung Muhammad auf seinem Weg zur Boxweltmeisterschaft Probleme bereitet hätten. Muhammad, so entschieden wir, sollte seine Zugehörigkeit so lange geheim halten, bis er den so begehrten Schwergewichtstitel in seinen Händen hielt. Er musste, wie er es selbst ausdrückte, so klug wie eine Schlange, aber arglos wie eine Taube sein.

Je länger dieses Versteckspiel dauerte, umso mehr wurde einigen Personen in unserem engsten Umfeld die Verbindung Muhammads zu den Black Muslims, wie die Organisation auch genannt wurde, bewusst. Als er dann eine Bilanz von 19 Siegen und keine Niederlage sowie 15 Knockouts aufwies, bekam Muhammad die Chance, den amtierenden Schwergewichtsweltmeister Sonny Liston zu fordern – ein Kampf, den er, wie er selbst wusste, viel ernster nehmen musste als alle seine bisherigen Begegnungen. Drei Monate vor dem Kampf gegen Liston verbrachten Muhammad und ich Weihnachten in Angelos Haus, während die Familie im Garten hinter dem Haus feierte. Damals war Integration eher unbekannt, und mein Bruder war auch noch nicht berühmt. Wenn er also die Dundees besuchte, öffneten sie die Tür und lachten darüber mit den Nachbarn, die es seltsam fanden, dass da nebenan ein junger schwarzer Mann zu Besuch kam. Später, als Muhammad immer stärker im Rampenlicht der Medien stand, kamen auch die Nachbarn gerne hinüber, um ihn zu sehen, wenn er bei der Familie Dundee vorbeikam. Damals aber trauten sie ihren Augen nicht, wenn zwei junge Farbige in einer Gegend, in der nur Weiße lebten, an die Tür klopften.

Wie auch immer, an diesem besagten Tag gesellten sich Muhammad und ich zu den Dundees, als sie gerade ihre Geschenke auspackten. Da Muhammad unsere Familie in Louisville vermisste, war Angelos Familie eine Art Ersatz für ihn, und er genoss es vor allem, mit Angelos jüngstem Sohn Jimmy zu spielen, mit dem er über die Jahre ziemlich viel Zeit verbracht hatte. Muhammad war recht still, als wir mit den Dundees am Tisch saßen und aßen, und sog die Familienatmosphäre in sich auf, doch als Jimmy dann mit zwei Walkie-Talkies, die er als Geschenk erhalten hatte, zu spielen begann, kam Muhammads spielerische, energiegeladene Seite zum Vorschein. Der kleine Jimmy rannte in der Wohnung herum und schrie in sein Walkie-Talkie: „Cassius! Cassius! Wo bist du?“

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