Kitabı oku: «Die Brüder Karamasow», sayfa 14

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6. Smerdjakow

Er traf den Vater wirklich noch beim Essen an. Der Tisch war wie üblich im Saal gedeckt, obwohl im Hause auch ein richtiges Speisezimmer vorhanden war. Dieser Saal, das größte Zimmer des Hauses, war altmodisch prunkvoll möbliert. Die Möbel waren sehr alt, weiß lackiert und mit roter Halbseide bezogen. An den Pfeilern zwischen den Fenstern standen Spiegel in altertümlichen Rahmen, ebenfalls weiß mit verschnörkelter Goldschnitzerei. An den Wänden, die mit weißen, an vielen Stellen schon rissigen Tapeten beklebt waren, prangten zwei große Porträts, das eine irgendein Fürst, der vor etwa dreißig Jahren Generalgouverneur dieses Landesteiles gewesen war, das andere ein gleichfalls schon längst verstorbener Bischof. In der anderen Ecke des Saales waren einige Ikonen angebracht, vor denen zur Nacht ein Lämpchen angezündet wurde, nicht so sehr aus Frömmigkeit, eher damit das Zimmer in der Nacht beleuchtet war. Fjodor Pawlowitsch legte sich nachts sehr spät schlafen, etwa um drei oder vier Uhr morgens; bis dahin pflegte er im Zimmer auf und ab zu gehen oder in einem Lehnstuhl zu sitzen und sich seinen Gedanken zu überlassen. Das war ihm zur Gewohnheit geworden. Nicht selten war er nachts allein im Hause, da er die Dienerschaft ins Seitengebäude schickte. Meist blieb jedoch nachts der Diener Smerdjakow bei ihm, der dann im Vorzimmer auf einer Wandbank schlief.

Als Aljoscha eintrat, war das eigentliche Mittagessen schon beendet, aber es wurde noch Eingemachtes und Kaffee gereicht. Fjodor Pawlowitsch aß nach dem Mittagessen gern noch Süßigkeiten und trank Kognak. Iwan Fjodorowitsch saß auch am Tisch und trank Kaffee. Die Diener, Grigori und Smerdjakow, standen neben dem Tisch. Die Herren wie die Diener waren offensichtlich in ungewöhnlich heiterer Stimmung. Fjodor Pawlowitsch lachte laut. Aljoscha hatte schon vom Flur sein wohlbekanntes quiekendes Lachen gehört und aus den Lauten sofort geschlossen, daß der Vater noch lange nicht betrunken, sondern vorläufig bloß angeheitert war.

»Der ist ja auch da! Der auch!« kreischte Fjodor Pawlowitsch, der sich über Aljoschas Kommen gewaltig freute. »Gesell dich zu uns, setz dich, trink ein Täßchen Kaffee, das ist ja ein Fastengetränk, und heiß ist er und ausgezeichnet! Kognak biete ich dir nicht an, du hast die Fasten einzuhalten. Oder willst du welchen, willst du? Nein, ich will dir lieber einen kleinen Likör, geben, der ist ganz vorzüglich. Smerdjakow, geh doch mal zum Schränkchen, auf dem zweiten Regal rechts sind die Schlüssel, schnell!«

Aljoscha lehnte auch den Likör ab.

»Gebracht soll er doch werden! Wenn nicht für dich, dann für uns«, entschied Fjodor Pawlowitsch mit strahlendem Gesicht. »Aber halt, hast du schon zu Mittag gegessen?«

»Ja, ich habe gegessen«, antwortete Aljoscha, der in Wirklichkeit in der Küche des Abtes nur ein Stück Brot gegessen und ein Glas Kwaß getrunken hatte. »Aber eine Tasse heißen Kaffee trinke ich gern.«

»Du lieber Junge! Du braver Junge! Er trinkt ein Täßchen Kaffee! Ob wir den Kaffee noch einmal anwärmen? Aber nein, er ist ja noch kochend. Es ist vorzüglicher Kaffee, Smerdjakows Leistung. In Kaffee und Fischpasteten ist mein Smerdjakow ein wahrer Künstler, und dann auch noch in Fischsuppe, wahrhaftig. Du mußt mal unsere Fischsuppe essen kommen, gib uns nur vorher Bescheid. Aber warte mal, warte mal ... Ich hatte dir heute mittag befohlen, noch heute endgültig hierher überzusiedeln, mit Matratze und Kopfkissen. Hast du deine Matratze hergeschleppt? Hehehe!«

»Nein, ich habe sie nicht mitgebracht«, antwortete Aljoscha, ebenfalls lächelnd.

»Aber einen Schreck hast du heute mittag doch bekommen, einen Schreck hast du doch bekommen, nicht wahr? Ach du, mein Täubchen, ich kann dir ja nichts zuleide tun. Hör mal, Iwan, ich kann einfach nicht gleichgültig bleiben, wenn er mir so in die Augen sieht und lacht! Ich kann es nicht. Das ganze Herz muß über ihn lachen, ich habe ihn zu lieb! Aljoscha komm her, ich will dir meinen väterlichen Segen geben.«

Aljoscha stand auf, doch Fjodor Pawlowitsch hatte sich bereits eines anderen besonnen.

»Nein, nein, ich will jetzt nur ein Kreuz über dir machen. So, und nun setz dich wieder hin. Na, jetzt wirst du einen Spaß haben, wir reden gerade über ein Thema, das in dein Fach schlägt. Du wirst dich satt lachen. Bei uns hat Bileams EselinBileams Eselin – die Eselin des Propheten Bileam, die die ihm Gottes Befehl verkündete (Altes Testament) angefangen zu reden, und wie sie redet, wie sie redet!«

Bileams Eselin – die Eselin des Propheten Bileam, die die ihm Gottes Befehl verkündete (Altes Testament)

Bileams Eselin war, wie sich herausstellte, der Diener Smerdjakow. Ein noch junger Mensch, erst ungefähr vierundzwanzig Jahre alt, war er in hohem Grade ungesellig und schweigsam. Nicht daß er schüchtern war oder sich über irgend etwas schämte, im Gegenteil, er hatte einen hochmütigen Charakter und schien auf alle Menschen herabzusehen. Aber ich kann jetzt nicht umhin, wenigstens ein paar Worte über ihn zu sagen. Das dürfte gerade jetzt angebracht sein. Erzogen hatten ihn Marfa Ignatjewna und Grigori Wassiljewitsch, doch der Knabe wuchs »ohne jede Dankbarkeit« auf, wie Grigori sich ausdrückte, als ein scheues Kind, das aus seinem Winkel die anderen anschaute. In seiner Kindheit liebte er es, Katzen aufzuhängen, und beerdigte sie dann mit allen Zeremonien. Er drapierte sich zu diesem Zweck mit einem Bettlaken, das ein Meßgewand darstellen sollte, und sang und schwenkte etwas über der toten Katze hin und her, als ob er mit Weihrauch räucherte. Alles das tat er ganz leise, mit größter Heimlichkeit. Grigori überraschte ihn einmal bei dieser Beschäftigung und züchtigte ihn empfindlich. Der Knabe ging in eine Ecke und sah eine Woche lang alle schief an. »Er mag uns nicht, dieser Unmensch«, sagte Grigori zu Marfa Ignatjewna. »Er liebt überhaupt niemand. Bist du eigentlich ein Mensch?« wandte er sich plötzlich an Smerdjakow. Du bist kein Mensch, du bist aus der schleimigen Nässe des Badehauses entstanden! So einer bist du ...« Diese Worte hatte ihm Smerdjakow, wie sich später herausstellte, nie verziehen. Grigori lehrte ihn lesen und schreiben und unterrichtete ihn, als er zwölf Jahre alt war, in der biblischen Geschichte. Aber die Sache nahm bald ein jähes Ende. Schon in der zweiten oder dritten Unterrichtsstunde fing der Knabe auf einmal an zu lächeln.

»Was hast du?« fragte Grigori und blickte ihn unter der hochgeschobenen Brille hervor drohend an.

»Nichts. Gott der Herr schuf das Licht am ersten Tage, aber die Sonne, den Mond und die Sterne am vierten Tage. Woher leuchtete das Licht denn am ersten Tage?«

Grigori war verblüfft. Der Knabe blickte seinen Lehrer spöttisch an. In seinem Blick lag sogar etwas Hochmütiges. Das ertrug Grigori nicht.

»Daher, siehst du wohl!« rief er und schlug den Schüler wütend auf die Backe. Der Knabe nahm die Ohrfeige wortlos hin, verkroch sich aber wieder einige Tage in seinen Winkel. Doch eine Woche darauf trat bei ihm zum erstenmal die Epilepsie auf, die ihn dann sein ganzes Leben lang nicht wieder verließ.

Als Fjodor Pawlowitsch davon erfuhr, änderte er plötzlich sein Verhalten dem Knaben gegenüber. Früher hatte er ihn immer wieder mit einer gewissen Gleichgültigkeit angesehen, obwohl er ihn nie gescholten und ihm, wenn er ihm begegnete, stets eine Kopeke gegeben hatte. Wenn er gut gelaunt war, hatte er dem Knaben manchmal etwas Süßes von seinem Tisch geschickt. Nachdem er von der Krankheit gehört hatte, fing er an, sich wirklich um ihn zu kümmern, ließ einen Arzt rufen und wollte den Knaben heilen lassen, doch es stellte sich heraus, daß eine Heilung unmöglich war. Im Durchschnitt stellten sich die Anfälle einmal im Monat ein, und zwar zu verschiedenen Zeiten. Sie waren verschieden heftig, manche leicht, andere schwer. Fjodor Pawlowitsch verbot seinem Diener Grigori nun aufs strengste, den Knaben zu züchtigen, und ließ ihn von jetzt an häufig in seine eigene Wohnung kommen. Auch untersagte er einstweilen, ihn irgendwie zu unterrichten. Aber einmal, als der Knabe schon fünfzehn Jahre alt war, bemerkte Fjodor Pawlowitsch, daß er sich in der Nähe des Bücherschrankes umhertrieb und durch die Glasscheibe die Titel der Bücher las. Fjodor Pawlowitsch besaß ziemlich viele Bücher, über hundert Bände, doch hatte ihn selbst noch niemand mit einem Buch in der Hand gesehen. Er gab dem kleinen Smerdjakow sogleich den Schlüssel zum Schrank. »Na, dann lies, du sollst mein Bibliothekar sein! Statt auf dem Hof herumzubummeln – setz dich, hin und lies! Da, lies mal dieses Buch!« Und Fjodor Pawlowitsch nahm Gogols »Abende auf dem Vorwerk bei Dikanka« heraus.

Der Knabe las das Buch. Doch es befriedigte ihn nicht, er lächelte kein einziges Mal, im Gegenteil. Als er fertig war, machte er ein finsteres Gesicht.

»Nun, ist das nicht lustig?« fragte Fjodor Pawlowitsch.

Smerdjakow schwieg.

»So antworte doch, Dummkopf!«

»Was da drinsteht ist ja alles nicht wahr«, murmelte Smerdjakow lächelnd.

»Na, scher dich zum Teufel, du Dienerseele! Warte mal, da hast du Smaragdows ›Allgemeine Weltgeschichte‹. Lies die, darin ist alles wahr.«

Aber Smerdjakow las nicht einmal zehn Seiten im Smaragdow, es kam ihm langweilig vor. So wurde denn der Bücherschrank wieder zugeschlossen.

Bald darauf berichteten Marfa und Grigori ihrem Herrn von einer eigentümlichen Angewohnheit Smerdjakows. Bei ihm hatte sich eine seltsame, peinliche Mäkligkeit herausgebildet. Wenn er Suppe aß, nahm er den Löffel und rührte und suchte mit ihm in der Suppe herum, beugte sich vor, sah genauestens hin, schöpfte einen Löffel voll und hielt ihn ans Licht.

»Hast wohl eine Schabe drin?« fragte Grigori.

»Vielleicht eine Fliege«, bemerkte Marfa.

Der sauberkeitsliebende Bursche gab darauf nie eine Antwort, doch auch mit dem Brot, dem Fleisch und allen anderen Speisen war es nicht anders. Er hob oft einen Bissen auf der Gabel ans Licht, betrachtete ihn wie unter dem Mikroskop, überlegte lange und entschloß sich endlich, ihn in den Mund zu stecken. »Sieh einer an, was sich da für ein Herrensöhnchen entpuppt hat!« brummte Grigori, wenn er das mit ansah.

Als Fjodor Pawlowitsch von Smerdjakows neuer Eigenheit gehört hatte, beschloß er sofort, er solle Koch werden, und gab ihn nach Moskau in die Lehre. Dort bliebt er mehrere Jahre und kehrte mit stark verändertem Gesicht zurück. Er sah weit über seine Jahre gealtert aus, er hatte Runzeln und eine gelbe Hautfarbe bekommen und ähnelte einem Verschnittenen. In geistiger Hinsicht kehrte er fast als derselbe zurück, der er vor seiner Abreise gewesen war: noch ebenso ungesellig und ohne das geringste Bedürfnis nach irgendeinem Umgang. Auch in Moskau hatte er, wie später berichtet wurde, immer geschwiegen. Die Stadt selbst hatte ihn außerordentlich wenig interessiert, so daß er von ihr nur sehr weniges kennengelernt und alles übrige unbeachtet gelassen hatte. Er war zwar einmal im Theater gewesen, doch schweigsam und unbefriedigt zurückgekommen. Dafür kehrte er aus Moskau in einem guten Anzug, mit sauberem Rock und anständiger Weste zurück. Er reinigte seine Kleider selbst sorgfältig zweimal täglich mit der Bürste, und seine eleganten Kalbslederstiefel putzte er hingebungsvoll mit einer besonderen englischen Wichse, daß sie wie Spiegel glänzten. Als Koch leistete er Ausgezeichnetes. Fjodor Pawlowitsch setzte ihm ein Gehalt aus, und dieses Gehalt verwendete Smerdjakow fast ausschließlich auf seine Kleidung sowie auf Pomade, Parfüms und so weiter. Allerdings schien er das weibliche Geschlecht ebenso zu verachten wie das männliche; er verhielt sich ihm gegenüber sehr gemessen, beinahe unzugänglich. Fjodor Pawlowitsch begann ihn unter einem anderen Gesichtspunkt zu beobachten. Seine epileptischen Anfälle verschlimmerten sich nämlich, und an solchen Tagen mußte Marfa Ignatjewna das Essen zubereiten, wovon Fjodor Pawlowitsch ganz und gar nicht erbaut war.

»Woher kommt das, daß deine Anfälle jetzt häufiger sind?« fragte er manchmal den neuen Koch und schaute ihn von der Seite ins Gesicht. »Du solltest heiraten, soll ich dir eine Frau besorgen?«

Smerdjakow aber wurde bei solchen Reden nur blaß vor Ärger und gab keine Antwort.

Fjodor Pawlowitsch ließ dann von ihm ab und machte eine Handbewegung, als ob er sagen wollte: ›Mit dir ist eben nichts anzufangen.‹

Die Hauptsache war ihm, daß er von Smerdjakows Ehrlichkeit überzeugt war, und zwar ein für allemal. Er glaubte fest, dieser werde ihm nie etwas wegnehmen und stehlen. Fjodor Pawlowitsch hatte einmal in betrunkenem Zustand auf seinem eigenen Hof drei Hundertrubelscheine, die er kurz vorher erhalten hatte, im Schmutz verloren und vermißte sie erst am anderen Tage. Kaum begann er in seinen Taschen zu suchen, als er sie alle drei in seinem Zimmer auf dem Tisch vorfand. Wie war das zugegangen? Smerdjakow hatte sie aufgehoben und schon am Tag vorher hingelegt.

»Na, mein Freund, solche wie dich habe ich noch nicht viele gesehen!« bemerkte Fjodor Pawlowitsch kurz und schenkte ihm zehn Rubel.

Es muß noch hinzugefügt werden, daß er nicht nur von seiner Ehrlichkeit überzeugt war, sondern ihn sogar aus einem nicht recht verständlichen Grund mochte, obgleich der Bursche ihn ebenso scheel ansah wie andere Leute und immer schwieg. Nur selten kam es vor, daß er überhaupt redete. Wäre es bei seinem Anblick damals jemand in den Sinn gekommen zu fragen, wofür sich dieser junge Mensch eigentlich interessiert und was für Gedanken er im Kopf hatte, es wäre wirklich unmöglich gewesen, diese Fragen zu beantworten. Und doch kam es manchmal vor, daß er im Haus oder auf dem Hof oder auf der Straße offenbar gedankenversunken stehenblieb und an die zehn Minuten so dastand. Hätte ihn jemand, der sich auf Physiognomien versteht, so gesehen, würde er gesagt haben, daß es sich dabei gar nicht um wirkliches Denken handelt, sondern um eine Art Versonnenheit. Von dem Maler Kramskoi gibt es ein beachtenswertes Bild mit dem Titel: »Ein Versonnener!« Dargestellt ist ein Wald zur Winterszeit, und auf einem Weg in diesem Wald steht ein armer Bauer in einem dürftigen zerrissenen Kaftan, in alten abgetragenen Bastschuhen, mutterseelenallein, in tiefster Einsamkeit, in Träumereien versunken und anscheinend nachdenklich; doch er denkt nicht nach, er ist, nur »versonnen«. Würde man ihn anstoßen, würde er zusammenfahren und einen anblicken, als ob er aus dem Schlafe erwachte, ohne etwas von allem zu begreifen. Zwar würde er sofort wieder zu sich kommen; würde man ihn aber fragen, woran er soeben gedacht habe, würde er sich gewiß an nichts erinnern. Die Empfindung, unter deren Bann er während seiner »Versonnenheit« stand, würde er wohl allerdings heimlich in seinem Innern bewahren. Diese Empfindungen sind ihm teuer, und er bewahrt sie, ohne daß es jemand merkt und ohne daß er selbst sich dessen bewußt wird; zu welchem Zweck er das tut, weiß er natürlich auch nicht. Vielleicht läßt er, nachdem er solche Empfindungen viele Jahre bewahrt hat, auf einmal alles im Stich und geht nach Jerusalem, um ein Pilgerleben zu führen und seine Seele zu retten; vielleicht zündet er auch plötzlich sein Heimatdorf an; vielleicht tut er auch beides. Es gibt unter dem einfachen Volk ziemlich viel derartiger »Versonnener«. Sicher war auch Smerdjakow einer von ihnen, und sicher bewahrte auch er seine Empfindungen sorgsam, ohne selber zu wissen, wozu.

7. Eine Kontroverse

Wie gesagt, Bileams Eselin hatte auf einmal angefangen zu reden. Es ging um ein seltsames Thema. Als Grigori am Morgen beim Kaufmann Lukjanow einkaufte, hatte er von diesem die Geschichte eines russischen Soldaten gehört, der irgendwo in der Ferne, an der Grenze, bei den Asiaten in Gefangenschaft geraten war. Sie hätten ihn unter Androhung eines qualvollen Todes zwingen wollen, seinem christlichen Glauben abzuschwören und zum Islam überzutreten, er jedoch habe sich geweigert, seinen Glauben zu verraten, habe sich den Foltern unterworfen, sich die Haut abziehen lassen und sei, Christus lobend und preisend, gestorben. Von dieser Heldentat hatte soeben am selben Tage auch eine Zeitung berichtet, und nun hatte auch Grigori davon am Tisch erzählt. Fjodor Pawlowitsch liebte es schon, seit eh und je, nach dem Mittagessen, beim Nachtisch, ein bißchen zu lachen und zu schwatzen, sei es auch nur mit Grigori. Diesmal aber befand er sich in besonders heiterer und redseliger Stimmung. Nachdem er bei einem Glas Kognak zugehört hatte, bemerkte er, einen solchen Soldaten müßte man sofort heiligsprechen und seine abgezogene Haut in irgendein Kloster überführen. »Dann strömt das Volk zusammen, und es kommt Geld ein!« Grigori runzelte die Stirn, als er sah, daß Fjodor Pawlowitsch keineswegs gerührt war, sondern nach seiner alten Gewohnheit über die Religion zu spotten begann. Smerdjakow, der an der Tür stand, lächelte plötzlich. Er hatte auch früher während der Mahlzeit, das heißt gegen deren Ende, oft dabeistehen dürfen. Seit Iwan Fjodorowitsch in unsere Stadt gekommen war, erschien er fast jedesmal zum Mittagessen.

»Was hast du?« fragte Fjodor Pawlowitsch, der das Lächeln sofort bemerkt und natürlich erkannt hatte, daß es sich auf Grigori bezog.

»Meine Ansicht darüber ist die«, begann Smerdjakow ganz unerwartet mit lauter Stimme. »Wenn die Tat dieses braven Soldaten auch sehr heldenhaft war, wäre es doch andererseits auch keine Sünde gewesen, wenn er sich in dieser Lage von Christus und von seiner eigenen Taufe losgesagt hätte, um dadurch sein Leben für spätere gute Taten zu retten. Durch die hätte er im Laufe der Jahre auch seine Kleinmütigkeit wiedergutmachen können.«

»Wie sollte das denn keine Sünde sein? Du redest Unsinn, dafür kommst du geradewegs in die Hölle und wirst wie Hammelfleisch gebraten!« erwiderte ihm Fjodor Pawlowitsch.

In diesem Augenblick trat Aljoscha ein. Fjodor Pawlowitsch freute sich, wie wir gesehen haben, über sein Kommen außerordentlich.

»Wir sind bei einem Thema, das in dein Fach schlägt!« rief er lustig kichernd und forderte Aljoscha auf, sich hinzusetzen und zuzuhören.

»Was das Hammelfleisch anlangt, so ist das nicht so. Es wird mir nichts passieren, und es darf mir auch nichts passieren wenn es gerecht zugeht«, bemerkte Smerdjakow gemessen.

»Was soll das heißen: gerecht?« schrie Fjodor Pawlowitsch noch vergnügter und stieß Aljoscha mit dem Knie an.

»Er ist ein Schuft! Jawohl!«, entfuhr es Grigori, er blickte Smerdjakow zornig in die Augen.

»Was den Schuft anlangt, so warten Sie damit bitte noch ein Weilchen, Grigori Wassiljewitsch«, erwiderte Smerdjakow ruhig und beherrscht. »Sie sollten sich lieber selbst folgendes sagen: Würde ich bei den Peinigern der Christenheit in Gefangenschaft geraten und würden sie von mir verlangen, daß ich den Namen Gottes verfluche und mich von meiner heiligen Taufe lossage, dann hätte ich kraft meiner eigenen Vernunft das volle Recht dazu, denn von einer Sünde kann da keine Rede sein ...«

»Das hast du schon einmal gesagt. Rede nicht unnütze Worte, sondern beweise es!« rief Fjodor Pawlowitsch.

»Bouillonkoch!« flüsterte Grigori verächtlich.

»Was den Bouillonkoch anlangt, so warten Sie bitte damit ebenfalls noch ein Weilchen! Und überlegen Sie selbst, anstatt zu schimpfen, Grigori Wassiljewitsch! In dem Augenblick, wo ich zu meinen Peinigern sage: ›Nein, ich bin kein Christ! Und ich verfluche meinen wahrhaftigen Gott‹, in demselben Augenblick bin ich bereits durch das allerhöchste Gericht Gottes verflucht und aus der heiligen Kirche ausgeschlossen, ganz wie ein Heide. Sogar schon in dem Augenblick, wo ich es noch nicht ausgesprochen, sondern nur beabsichtigt habe, nicht einmal eine Viertelsekunde später, bin ich ausgeschlossen – ist das so oder nicht, Grigori Wassiljewitsch?«

Er wandte sich mit sichtlichem Vergnügen an Grigori, obwohl er in Wirklichkeit nur auf Fjodor Pawlowitschs Fragen antwortete und das sehr wohl wußte. Doch er tat absichtlich, als hätte Grigori diese Fragen an ihn gerichtet.

»Iwan!« rief Fjodor Pawlowitsch plötzlich. »Beug dich mal ganz nah zu mir her! Das hat er alles nur für dich gesagt. Er möchte, daß du ihn lobst. Lob ihn doch!«

Iwan Fjodorowitsch hörte die Mitteilung, die ihm der Papa so entzückt machte, mit ernstem Gesicht an.

»Halt, Smerdjakow, sei mal ein Weilchen still!« rief Fjodor Pawlowitsch wieder. Iwan, beug dich noch mal zu mir herüber!«

Iwan Fjodorowitsch beugte sich von neuem mit sehr ernster Miene zu ihm.

»Ich liebe dich ebenso, wie ich Aljoschka liebe. Glaub ja nicht, ich hätte dich nicht lieb. Willst du Kognak?«

»Geben Sie her!« erwiderte Iwan Fjodorowitsch, dabei sagte sein starrer Blick: ›Du selber hast dich schon gehörig angesäuselt!‹

Smerdjakow beobachtete er mit außerordentlichem Interesse.

»Verflucht bist du jetzt schon«, brach Grigori plötzlich los. »Wie kannst du unter diesen Umständen noch wagen zu streiten, du Schuft, wenn ...«

»Schimpf nicht, Grigori, schimpf nicht!« unterbrach ihn Fjodor Pawlowitsch.

»Warten Sie noch, Grigori Wassiljewitsch, wenn auch nur ganz kurze Zeit, und hören Sie weiter! Denn ich bin noch nicht zu Ende. Also in dem Augenblick, wo ich von Gott verflucht werde, bin ich schon ganz ein Heide geworden, und meine Taufe wird mir nicht angerechnet – geben Sie wenigstens das zu?«

»Komm zu Ende, lieber Freund, schneller! Komm zu Ende!« drängte Fjodor Pawlowitsch und nippte genußvoll an seinem Gläschen.

»Wenn ich aber kein Christ mehr bin, so folgt daraus, daß ich die Peiniger auch nicht belogen habe, als sie mich fragten, ob ich Christ sei oder nicht. Denn ich war schon von Gott selbst meines Christentums entkleidet, auf Grund meiner bloßen Absicht, ehe ich den Peinigern ein Wort hätte sagen können. Wenn ich aber schon degradiert war, auf welche Weise und mit welcher Gerechtigkeit kann dann von mir in jener Welt wie von einem Christen Rechenschaft dafür verlangt werden, daß ich Christus verleugnet hätte, da ich doch schon für diese bloße Absicht, noch vor der Verleugnung, meiner Taufe ledig geworden war? Wenn ich nicht mehr Christ bin, so folgt daraus, daß ich Christus nicht verleugnen kann, denn es wird überhaupt nichts geben, was ich verleugnen könnte. Wer wird denn, und sei es auch im Himmel, einen heidnischen Tataren dafür zur Rechenschaft ziehen, Grigori Wassiljewitsch, daß er nicht als Christ geboren ist? Und wer wird ihn dafür bestrafen, da man doch sagen muß, daß man einem Ochsen nicht zwei Häute abziehen kann? Und selbst wenn der allmächtige Gott den Tataren nach dem Tode zur Rechenschaft ziehen sollte, so vermute ich, daß Er in Anbetracht dessen, daß er doch nichts dafür kann, wenn er, von heidnischen Eltern erzeugt, als Heide auf die Welt gekommen ist, nur eine ganz kleine Strafe über ihn verhängen wird – ganz ohne Strafe wird es wohl nicht abgehen. Gott der Herr kann doch nicht ohne weiteres von dem Tataren sagen, auch er sei ein Christ gewesen? Das würde ja heißen, daß der allmächtige Gott eine glatte Unwahrheit sagt. Und kann Gott der Herr, der allmächtige Erhalter des Himmels und der Erde etwa eine Lüge sagen, und sei es auch nur mit einem einzigen Wort?«

Grigori war ganz starr geworden und sah Smerdjakow mit aufgerissenen Augen an. Obgleich er nicht alles so recht verstanden hatte, begriff er doch wenigstens etwas von dem ganzen Gewäsch und stand da mit dem Gesicht eines Menschen, der auf einmal mit der Stirn gegen eine Wand gerannt ist.

Fjodor Pawlowitsch trank sein Gläschen aus und brach in ein quiekendes Lachen aus.

»Aljoschka, Aljoschka, was sagst du dazu? Ach, du Sophist! Er muß irgendwo bei den Jesuiten in die Schule gegangen sein, Iwan. Ach, du stinkender Jesuit, wer hat dir das nur beigebracht? Aber du lügst nur, du Sophist, du lügst, du lügst, du lügst! Weine nicht, Grigori, wir werden ihn gleich total zerschmettern. Beantworte mir eine Frage, Eselin: Den Peinigern gegenüber magst du recht haben, aber du hast ja selbst in deinem Innern deinen Glauben verleugnet. Du sagst selbst, daß du in demselben Augenblick ein Verfluchter, ein Ausgestoßener geworden bist. Wenn du nun einmal ein Verfluchter, ein Ausgestoßener bist, wird man dich in der Hölle nicht allzu zart behandeln. Wie denkst du darüber, mein prächtiger Jesuit?«

»Daß ich mich selbst in meinem Innern losgesagt habe, daran ist kein Zweifel. Doch das war keinerlei persönliche Sünde. Und wenn ja, so nur eine ganz einfache.«

»Wieso eine ganz einfache?«

»Du lügst, Verfluchter!« knirschte Grigori.

»Überlegen Sie doch selbst, Grigori Wassiljewitsch«, fuhr Smerdjakow ruhig und gemessen fort. Er war sich seines Sieges bewußt, übte aber gewissermaßen Großmut mit dem geschlagenen Gegner. »Überlegen Sie doch selbst, Grigori Wassiljewitsch! Es steht doch in der Heiligen Schrift geschrieben:,Wenn ihr Glauben habt auch nur von der Größe eines kleinen Körnchens und dann zu dem Berg sagt, er solle sich ins Meer begeben, so wird er das ohne Zaudern auf euren Befehl hin tun.‹ Nun gut, Grigori Wassiljewitsch, wenn ich ein Ungläubiger bin und Sie ein solcher Gläubiger, daß Sie mich ständig beschimpfen, dann versuchen Sie doch selbst einmal, diesem Berg zu befehlen, er soll sich zwar nicht gleich, ins Meer – bis zum Meer ist es recht weit –, aber doch wenigstens in das übelriechende Flüßchen hinter unserem Garten begeben. Sie werden selber sehen, daß sich nichts von der Stelle bewegt, sondern alles in der bisherigen Ordnung und dem bisherigen Zusammenhang bleibt, mögen Sie auch noch so viel schreien. Das bedeutet aber doch, daß auch Sie, Grigori Wassiljewitsch, nicht richtig glauben, sondern statt dessen nur andere beschimpfen. Und wenn man außerdem in Betracht zieht, daß in unserer Zeit niemand von den höchsten Persönlichkeiten bis hinab zum niedrigsten Bauer, Berge ins Meer schieben kann, vielleicht außer einem oder höchstens zwei Menschen auf der ganzen Erde, und auch die leben, auf die Rettung ihrer Seele bedacht, wahrscheinlich irgendwo in der ägyptischen Wüste, wo man sie überhaupt nicht finden kann – wenn es sich also so verhält, wenn alle übrigen sich als Ungläubige erweisen, wird Gott der Herr dann alle übrigen, das heißt die Bevölkerung der ganzen Erde außer jenen beiden Einsiedlern, verfluchen und trotz seiner allbekannten Barmherzigkeit keinem von ihnen verzeihen? Also hoffe auch ich, daß mir, sollte auch ich einmal gezweifelt haben, verziehen wird, wenn ich Tränen der Reue vergieße.«

»Halt!« kreischte Fjodor Pawlowitsch auf dem Höhepunkt des Entzückens. »Du nimmst also an, daß es zwei Menschen gibt, die Berge versetzen können? Iwan, notiere dir das, schreib es dir auf! Darin zeigt sich der ganze Russe!«

»Sie haben durchaus recht, das ist ein charakteristischer Zug im Glauben des Russen«, stimmte Iwan Fjodorowitsch mit beifälligem Lächeln zu.

»Du stimmst zu! Also muß es sich so verhalten, wenn sogar du zustimmst! Aljoschka, das ist doch richtig? Das ist doch ein echt russischer Glaube?«

»Nein, Smerdjakow hat überhaupt keinen russischen Glauben« antwortete Aljoscha ernsthaft und in festem Ton.

»Ich rede nicht von seinem Glauben. Ich rede von dem charakteristischen Zug, von den beiden Einsiedlern. Nur von einem kleinen charakteristischen Zug! Das ist doch wohl echt russisch, echt russisch!«

»Ja, dieser Zug ist sehr russisch«, bestätigte Aljoscha lächelnd.

»Dein Ausspruch ist einen Dukaten wert, Eselin! Ich werde dir noch heute einen schicken. Aber was du sonst gesagt hast, ist Unsinn, Unsinn, Unsinn! Du mußt wissen, du Dummkopf, daß wir hier alle nur aus Leichtsinn ungläubig sind. Weil wir keine Zeit haben. Erstens sind uns die Geschäfte über den Kopf gewachsen, und zweitens gab Gott uns zu wenig Zeit. Er gab dem Tag nur vierundzwanzig Stunden, so daß man nicht einmal ordentlich ausschlafen, geschweige denn bereuen kann. Du aber hast vor den Peinigern deinen Glauben zu einer Zeit verleugnet, wo du an nichts zu denken hattest als an den Glauben, wo du den Glauben erst recht hättest zeigen müssen! Ich meine, das stimmt so, mein Lieber, nicht wahr?«

»Es wird wohl so stimmen. Aber bedenken Sie, Grigori Wassiljewitsch, gerade dadurch wird meine Ansicht noch bestärkt. Hätte ich damals gehörig an die heilige Wahrheit geglaubt, wäre es in der Tat Sünde gewesen, die Foltern nicht um des Glaubens willen auf mich zu nehmen, sondern zum heidnischen Glauben Mohammeds überzugehen. Aber zu Foltern wäre es dann gar nicht gekommen. Ich hätte ja in jenem Moment bloß zum Berg zu sagen brauchen: Beweg dich und erdrück den Peiniger. Er hätte sich dann in Bewegung gesetzt und ihn augenblicklich wie eine Schabe zerquetscht, ich aber wäre, Gott preisend und lobsingend, davongegangen, als ob nichts geschehen wäre. Doch wenn ich das alles versucht und den Berg aufgefordert hätte, diese Peiniger zu erdrücken, und er hätte sie nicht erdrückt – sagen Sie selbst, wie hätte ich da nicht zweifeln sollen, und noch dazu in einer so furchtbaren Stunde der Todesangst? Wüßte ich doch ohnehin, daß ich das Himmelreich nicht voll erlangen würde, denn der Berg hätte sich nicht in Bewegung gesetzt, Beweis genug, daß man meinem Glauben dort nicht recht traute und daß mich in jener Welt keine besonders große Belohnung erwartete – warum sollte ich mir da obendrein nutzlos die Haut abziehen lassen? Selbst wenn sie mir die Haut bis zur Hälfte des Rückens abziehen, der Berg würde sich auch dann auf mein Wort oder auf mein Geschrei hin nicht in Bewegung setzen. In so einem Augenblick können einem nicht nur Zweifel kommen, man kann sogar vor Angst den Verstand verlieren, so daß das Überlegen überhaupt unmöglich wird. Inwiefern mache ich mich also besonders schuldig, wenn ich wenigstens meine Haut rette, wo ich von etwaiger Standhaftigkeit weder in dieser noch in jener Welt einen Vorteil oder einen Lohn zu erwarten habe? Also hoffe ich zuversichtlich auf Gottes Barmherzigkeit und Vergebung ...«

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